S 14 KA 118/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 118/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 20.02.2003 (Bescheid vom 13.05.2003) wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Arzneiregressen für die Quartale I bis III/99 in Höhe von insgesamt 13.105,97 EURO.

Die Klägerin war bis zum II. Quartal 2000 in L als Internistin vertragsärztlich tätig; seitdem ist sie Rentnerin.

Die Beigeladenen schlossen im Jahre 1998 eine Vereinbarung über das Arznei-, Verband- und Heilmittelbudget 1998 sowie über Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel (im Folgenden: Vereinbarung 1998), welche im Rheinischen Ärzteblatt 8/98, Seite 57 ff. mit einer Anlage A veröffentlicht wurde. In der veröffentlichten Anlage A sind 4 Zahlen durchgestrichen.

Für das Jahr 1999 haben die Beigeladenen eine unter dem Datum des 29.09.1999 unterschriebene Folgevereinbarung (im Folgenden: Vereinbarung 1999) vorgelegt, mit welcher die Budgetobergrenze erhöht wurde, die Anlagen A und B der Vereinbarung 1998 jedoch unverändert weiter gelten sollten. Diese Vereinbarung 1999 wurde nicht veröffentlicht.

Mit Schreiben der Beigeladenen zu 8) vom 28.02.2000, 26.01.2000 und 30.05.2000 wurde der Klägerin jeweils für die einzelnen Quartale I bis III/99 die "Quartalsbilanz Arzneiverordnung / Richtgrößensumme" übersandt. Mit weiteren Schreiben vom 26.06. und 09.10.2000 sowie 18.01.2001 wurde die Klägerin darüber informiert, dass die Beigeladenen in ihrem Fall Anträge auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgrößen gestellt hätten. Die Klägerin machte im Wesentlichen geltend, sie behandele viele Patienten mit gastroenterologischen Problemen (Trippeltherapie) sowie Migräne-Patienten und alte polymorbide Patienten. Nachdem der Prüfungsausschuss der Klägerin korrigierte Quartalsbilanzen Arneiverordnungen / Richtgrößensumme I und II/99 zugesandt und ferner Prüfreferate eingeholt hatte, verhängte er in seiner Sitzung vom 30.01.2002 (Bescheid vom 25.02.2002) folgende Arzneiregresse gegen die Klägerin:

I/99 381,57 EURO II/99 5.604,17 EURO III/99 7.120,23 EURO

Nachdem die Klägerin Widerspruch eingelegt hatte, wurde ihr am 14.02.2003 die angeforderte Arzneipatiententabelle und die Liste der verordneten Arzneimittel (sortiert nach ATC) zugesandt. Mit Schreiben vom 18.02.2003 bat sie um Vertagung des für den 20.02.2003 beim Beklagten angesetzten Termin. Zur Begründung wurde vorgetragen, das Datenmaterial sei unzureichend und zweifelhaft. Sie beantrage die Vorlage der Originalverordnungen oder notfalls von Images. Anhand der bislang vorliegenden Unterlagen sei eine patientenorientierte Zuordnung nicht möglich. Es werde um Vertagung des Termins gebeten, da u.a. zu den Praxisbesonderheiten noch vorgetragen werden solle.

Dem Vertagungswunsch der Klägerin gab der Beklagte nicht statt, sondern wies in seiner Sitzung vom 20.02.2003 den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die jeweilige Richtgrößensumme habe die Klägerin in I und II/99 (nach den korrigierten Unterlagen) um 49,51 % bzw. 65,92 % bzw. in III/99 um 65,86 % überschritten. Verordnungen, zu denen keine weiteren Angaben vorgelegen hätten, seien zugunsten der Klägerin gewertet worden. Unter weiterer Beachtung von Insulinen, Opioiden und Immunsuppressiva als Praxisbesonderheiten ergäben sich in den drei streitigen Quartalen noch Richtgrößenüberschreitungen von 40,76 % (I/99), 57,96 % (II/99) sowie 57,04 % (III/99). Bei einer zu tolerierenden Grenze für die Richtgrößenüberschreitung von 40 % seien die Regresse unter Beachtung des günstigsten Indexes festgesetzt worden. Zwar finde sich in der Praxis der Klägerin ein erhöhter Anteil an kostenteuren polymorbiden Patienten. Insoweit fehlten jedoch konkrete Angaben der Klägerin. Die vorliegenden Unterlagen wie Arznei-Patienten-Tabellen, verordnete Arzneimittel, sortiert nach ATC, Rezeptdatenliste mit Indikationen nach ATC sowie die vorliegenden Quartalsbilanzen der Praxis seien ausreichend. Der Klägerin habe auch ausreichend Zeit zur Einsicht zur Verfügung gestanden. Ein anerkennenswerter Vertagungsgrund sei nicht gegeben.

Gegen diesen unter dem Datum des 13.05.2003 ausgefertigten Bescheid hat die Klägerin am 10. des Folgemonats Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt (S 14 KA 117/03 ER). Diese wurde durch Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.07.2003 zunächst vorläufig hergestellt und mit weiterem Beschluss vom 26.09.2003 bis zum 26.11.2003 verlängert. In der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2003 hat die Klägerin dieses Verfahren wegen ihres Obsiegens in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Zur Begründung ihrer Klage trägt sie im Wesentlichen vor, für die streitigen Arzneiregresse bestehe keine ordnungsgemäße Rechtsgrundlage. Denn die Vereinbarung 1999 sei erst am 29.09.1999 getroffen und nicht veröffentlicht worden. Die Vereinbarung 1998, die in 1999 noch fortgegolten haben könnte, sei ohne die zitierte Anlage B und ohne Datum und Unterschrift der für die Vertragspartner unterschreibenden Personen sowie mit einer falschen Anlage A veröffentlicht worden. In den Jahren 1998 und 1999 habe die Klägerin keine Informationen über die für sie geltenden Richtgrößen erhalten. Informationen hierzu habe sie erstmals im Jahre 2000 für die Quartale 1999 zugesandt bekommen. Im Übrigen werde die Richtigkeit des zugrundeliegenden Datenmaterials bezweifelt. So seien im Prüfverfahren die Quartalsbilanzen der Klägerin korrigiert worden. Der Vorsitzende der Beigeladenen zu 8) habe selbst in einem Brief vom 29.01.2001 von einer miserablen Datenqualität auf Grund der Angaben der Krankenkassen gesprochen; letztere könnten für Richtgrößenprüfungen nicht herangezogen werden. Die von der Klägerin angeforderten Quartalsdaten im Zusammenhang mit individuellen Verordnungsanalysen seien nach einem Schreiben der Beigeladenen zu 8) schon gelöscht worden. Die Klägerin könne deshalb einen möglichen Mehrbedarf nicht quantifizieren. Ihre Praxisbesonderheiten seien nicht ausreichend gewürdigt worden.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 20.02.2003 (Bescheid vom 13.05.2003) aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält seinen angefochtenen Beschluss für rechtmäßig. Zur Vereinbarung 1998 hat er vorgetragen, das sogenannte Unterschriftenverfahren sei ausweislich eines Schreibens der Beigeladenen zu 8) zumindest am 18.06.1998 abgeschlossen gewesen. In der Anlage A der Vereinbarung 1998 seien keine Zahlen durchgestrichen worden; der Strich habe lediglich auf eine Differenz des zweiten zum ersten Betrages hinweisen sollen. Im Parallelverfahren S 14 KA 117/03 ER hat der Beklagte ferner vorgetragen, das Datenmaterial für die Richtgrößenprüfung 1999 sei ausreichend gewesen. Images seien nur vorzulegen, wenn begründete Zweifel an den Arzneiübersichten bestünden. Zu den von der Klägerin angeforderten Quartalsdaten im Zusammenhang mit individuellen Verordnungsanalysen hat der Beklagte ausgeführt, bisher bestehe kein Anwendervergleich Arznei. Bezüglich der Verordnungsanalyse würden nur die Daten der Ärzte erfasst, welche einen entsprechenden Antrag gestellt hätten. Somit seien die Aussagen in diesen Verordnungsanalysen nicht so aussagefähig, dass der Beklagte diese Unterlagen für seine nähere Überprüfung heranziehen könne. Im Falle der Klägerin sei auch für das IV. Quartal 1998 ein Richtgrößenprüfantrag wegen der Arzneiverordnungen gestellt worden. Dieser sei jedoch wegen der schlechten Datenlage zurückgenommen worden.

Die Beigeladenen zu 1), 3) bis 5) sowie 8) beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) vertritt die Auffassung, die Vereinbarung 1998 habe hinsichtlich der Richtgrößen über das Jahr 1998 hinaus gegolten, bis sie durch eine neue Richtgrößenvereinbarung abgelöst worden sei. Dies ergebe sich sowohl aus der Bezeichnung des Vertrages als auch aus dem Vertragstext.

Die Beigeladene zu 8) trägt vor, die in § 84 SGB V vorgesehenen Richtgrößenvereinbarungen hätten im Hinblick auf die Regelung in § 106 SGB V das Ziel, die Prüfgremien bei der Festsetzung von Maßnahmen bei Überschreitung der Richtgrößen in ihren Entscheidungen zu binden. Demgemäß richteten sie sich nicht an den ohnehin zur wirtschaftlichen Verordnungsweise verpflichteten Arzt, sondern an die Prüfgremien. Die Richtgrößen bedürften deshalb zu ihrer Wirksamkeit keiner förmlichen Veröffentlichung, da Rechte und Pflichten der Mitglieder durch diese nicht begründet würden. Im Übrigen hätten sich die Vertragsärzte von Beginn an auch ohne eine Veröffentlichung auf die Richtgrößen einstellen können. Frühinformationen seien von der Beigeladenen zu 8) bereits in den Jahren 1998 und 1999 an die Ärzte verschickt worden: So sei auch die Klägerin z. B. mit Schreiben der Beigeladenen zu 8) vom 19.10.1998 über ihr persönliches Verordnungsvolumen für das II. Quartal 1998 informiert worden. Die Beigeladenen seien sich im Übrigen bereits bis Ende März 1999 über die wesentlichen Punkte der Arznei- und Heilmittelbudget- bzw. Richtgrößenvereinbarung 1999 einig gewesen, so dass die Einschaltung des Schiedsamts nicht nötig gewesen sei.

Die Beigeladenen zu 1), 3) bis 5) und 8) haben in der mündlichen Verhandlung Einsicht in ihre Exemplare der Vereinbarung 1998 gewährt: Diese waren jeweils von Vertretern aller Vertragspartner unterschrieben, ohne Datumsangabe. Die Anlage A 1998 enthielt keine durchgestrichenen Zahlen (abweichend von der veröffentlichten Form). Die von der Beigeladenen zu 8) vorgelegte Vereinbarung 1999 wies das Datum des 29.09.1999 und Unterschriften von Vertretern aller Vertragspartner aus.

Die Beigeladenen zu 2), 6) und 7) sind zu der mündlichen Verhandlung des 26.11.2003 rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden, wurden dort jedoch nicht vertreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie der beigezogenen Gerichtsakte S 14 KA 117/03 ER verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Obwohl für einige Beigeladene niemand in der mündlichen Verhandlung erschienen ist, konnte die Kammer verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit sind alle Beteiligten mit der rechtzeitig und ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch im vollen Umfang begründet. Denn der angefochtene Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 20.02.2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Nach § 106 Abs. 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Versorgung. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung kann u.a. geprüft werden durch die arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V in der hier maßgeblichen, im Jahre 1999, geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SolG) vom 19.12.1998. Zum Zwecke solcher Richtgrößenprüfungen haben die Beigeladenen ein Budget als Obergrenze für die insgesamt von den Vertragsärzten veranlassten Ausgaben für Arznei-, Verband- und Heilmittel zu vereinbaren. Dieses Budget ist für das jeweils folgende Kalenderjahr zu vereinbaren (§ 84 Abs. 1 SGB V in der in den Jahren 1998 und 1999 gültigen Fassung). Mithin war das Budget für das Jahr 1998 grundsätzlich bereits 1997 zu vereinbaren bzw. das Budget für 1999 noch im Jahre 1998. Nach § 84 Abs. 3 SGB V in der im Jahre 1998 und 1999 gültigen Fassung haben die Beigeladenen für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln zu vereinbaren. Nach § 84 Abs. 5 SGB V (Fassung von Juli bis Dezember 1998) bzw. § 84 Abs. 4 SGB V (Fassung 1999) gelten das Budget nach Abs. 1 und die Richtgrößen nach Abs. 3 bis zum Inkrafttreten von Folgevereinbarungen.

Ergänzend hierzu war speziell für das Jahr 1999 Folgendes in Artikel 17 GKV-SolG geregelt:

Kommen für das Jahr 1999 Vereinbarungen nach § 84 Abs. 3, § 85 Abs. 2 und 3 und § 106 SGB V bis zum 31.03.1999 ganz oder teilweise nicht zustande, setzt das Schiedsamt (§ 89 SGB V) den Vertragsinhalt bis zum 30.06.1999 fest. Der Vorsitzende des Schiedsamts stellt unverzüglich nach Ablauf der Frist fest, ob die in Satz 1 genannten Voraussetzungen für die Festsetzung des Vertragsinhalts durch das Schiedsamt vorliegen. Die Vertragsparteien teilen dem Vorsitzenden des Schiedsamts unverzüglich nach Ablauf der Frist mit, ob ein Vertrag nach Satz 1 zustande gekommen ist.

Dieses Regelungsgefüge interpretiert die Kammer angesichts des Zwecks der Richtgrößen (dazu nachfolgend) dahingehend, dass Richtgrößenvereinbarungen aus 1998 längstens bis 31.03.1999 fortgelten konnten, sofern sich die Vertragsparteien bis dahin nicht vollständig in Bezug auf die für 1999 zu treffende Vereinbarung geeinigt hatten. Danach sollte das Schiedsverfahren unverzüglich in Gang gesetzt werden, welches mindestens bis zum 30.06.1999 durch Festsetzung des Vertragsinhalts beendet sein musste. Nach Ablauf des 30.06.1999 konnte nach Auffassung der Kammer eine Richtgrößenvereinbarung 1999 nicht mehr geschlossen werden. Hingegen blieb es den Vertragsparteien unbenommen, stattdessen für 1999 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten durchzuführen (§ 106 Abs. 2 Satz 1, Nr. 1, 1. Alternative SGB V 1999). Richtgrößen sollen zum einen Maßstäbe für eine Auffälligkeitsprüfung im Rahmen des § 106 Abs. 2 Satz 1, Nr. 1, 2. Alternative SGB V liefern (vgl. Ausschussbericht zum 2. GKV-NOG, BT-Durcksache 13/7264, S. 55), zum anderen die Vertragsärzte bei ihren Entscheidungen über die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot leiten (vgl. § 84 Abs. 6, Satz 3 und 4 SGB V in der seit 2002 geltenden Fassung). Bei den Richtgrößen handelt es sich im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V um eine Sollvorgabe, an der sich das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes auszurichten hat. Sofern nämlich eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt ist, führt diese ab einer bestimmten Größenordnung zu Sanktionen in Form von Verordnungsregressen. Dass den Richtgrößen eine präventive Steuerungsfunktion zukommt, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. z. B. LSG Berlin, Beschluss vom 15.05.2003 -L 7 B 309/02 KA-; SG Berlin, Beschluss vom 08.05.2002 -S 71 KA 76/02 ER-; SG Dresden, Beschluss vom 15.07.2002 -S 11 KA 594/02 ER-; Peters-Hencke, KV-SGB V, § 84 Rdnr. 13; Hauck-Engelhard, § 106 SGB V, Rdnr. 97 h und i). Abweichend vom Vortrag der Beigeladenen zu 8) in diesem Verfahren sind ersichtlich auch alle Beigeladenen bislang von der steuernden Funktion der Richtgrößen ausgegangen. Dies ergibt sich bereits aus Teil C der Vereinbarung 1998. Danach sollte die Anlage 2 zur Prüfvereinbarung ab April 1998 folgende Fassung erhalten:

§ 2 Information der Vertragsärzte

(3) Die Daten nach Absatz 1 dienen in erster Linie dazu, den Vertragsärzten Informationen über das Kostenvolumen ihrer Verordnungstätigkeit im Vergleich zur Richtgrößensumme zu geben ... Die Informationen sollen den Vertragsärzten Orientierung in dem Bemühen geben, Überschreitungen der Richtgrößen zu vermeiden bzw. auszugleichen. Die Vertrags partner verständigen sich auf eine standardisierte Informationsunterlage für die nordrheinischen Vertragsärzte.

Diese steuernde Funktion konnten das Budget und die Richtgrößen 1999 aber nur dann entfalten, wenn sie bestenfalls bereits für das folgende Kalenderjahr, spätestens aber bis zum ersten Halbjahr 1999 durch das Schiedsamt festgelegt waren. Dies war hier unstreitig nicht der Fall. Die Vereinbarung 1999 ist vielmehr erst Ende September 1999 geschlossen und zudem nicht veröffentlicht worden. Die Richtgrößenvereinbarung 1999 ist nicht nur wegen des Verstoßes gegen Artikel 17 GKV-SolG, sondern auch wegen der fehlenden Veröffentlichung unwirksam. Richtgrößenvereinbarungen sind -ebenso wie Prüfvereinbarungen- öffentlich-rechtliche Verträge mit Rechtsnormcharakter im Range untergesetzlichen Landesrechts (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2001 -B 6 KA 66/00 R- zu Prüfvereinbarungen), weil sie gegenüber den am Vertragsschluss nicht beteiligten Vertragsärzten unmittelbar rechtliche Außenwirkung entfalten und Sanktionen -hier: Arzneiregresse- rechtfertigen. Richtgrößenvereinbarungen werden deshalb erst dann wirksam, wenn die betroffenen Ärzte durch die in der Satzung vorgesehenen Form, insbesondere durch Veröffentlichung in den jeweiligen Ärzteblättern, hiervon Kenntnis erhalten (vgl. Hauck-Engelhard, § 84 SGB V, Rdnr. 34, 119). Warum die Vereinbarung 1998 (allerdings mit einem unklaren Inhalt der Anlage A und ohne die Anlage B -also die Richtgrößen-) im Rheinischen Ärzteblatt veröffentlicht worden ist, die Vereinbarung 1999 dagegen nicht, ist von den Beigeladenen nicht dargelegt worden. Dass die Veröffentlichung der relativ umfangreichen Richtgrößenvereinbarung drucktechnisch zu bewerkstelligen ist, belegt die Publikation der Richtgrößenvereinbarung 2001 im Rheinischen Ärzteblatt 6 /01.

Selbst wenn Art. 17 GKV-SolG hier einer Weitergeltung der Richtgrößenvereinbarung 1998 auch im Jahr 1999 nach § 84 Abs. 4 SGB V 1999 nicht entgegengestanden haben sollte, so scheitert die Fortgeltung bereits daran, dass auch die Richtgrößen 1998 (Anlage B der Vereinbarung 1998) nicht veröffentlicht worden sind. Die förmliche Veröffentlichung von untergesetzlichen Normen kann im Übrigen nicht durch das Übersenden sogenannter Trend-Infos oder anderer "Frühinformationen" an die Vertragsärzte durch die Beigeladene zu 8) ersetzt werden, zumal die Klägerin - wie viele andere Vertragsärzte - bestreitet, derartige Informationen vor dem Jahr 2000 erhalten zu haben. Für die Richtigkeit dieser Ausführungen der Klägerin spricht die Veröffentlichung der Beigeladenen zu 8) in ihrer Zeitschrift KVNO aktuell 6/99 (Juli 1999), Seite 23. Dort wird folgendes ausgeführt:

"Mit zwei neuen Informationen werden die nordrheinischen Ärzte künftig über ihre Arzneiverordnungskosten informiert: die "Quartalsbilanz" und die "Trend-Info". Die Trend-Info bietet arzt- und quartalsbezogen eine Frühinformation über die Arzneiverordnungskosten. Darin wird zudem das Verordnungsvolumen der Richtgrößensumme gegenübergestellt ... Die Trend-Info soll helfen, die Verordnungstätigkeit zu beobachten und Richtgrößenüberschreitungen zu vermeiden ..."

Mangels Wirksamkeit der Richtgrößenvereinbarung 1998 und 1999 entbehrte der Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 20.02.2003 mithin einer rechtlichen Grundlage und war schon deshalb aufzuheben. Da die Prüfanträge ausdrücklich auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgrößen gerichtet war, kam eine Verurteilung zur Neubescheidung nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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