L 10 AL 53/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 3580/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 53/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg).

Die 1971 geborene Klägerin war nach Abschluss ihres Hochschulstudiums vom 18. Januar 1999 bis 25. Mai 1999 versicherungspflichtig beschäftigt, nach ihren Angaben ihre einzige versicherungspflichtige Beschäftigung in den vergangen sieben Jahren. Vom 26. Mai 1999 bis 25. Mai 2001 war sie als Studienreferendarin Beamtin auf Widerruf.

Am 25. Mai 2001 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten mit Wirkung zum 26. Mai 2001 arbeitslos und beantragte Alg. Durch Bescheid vom 27. Juni 2001 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. September 2001 - lehnte die Beklagte den Antrag wegen Nichterfüllung der Anwartschaftszeit ab. Die Klägerin habe innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren vor dem 26. Mai 2001 nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Als Studienreferendarin - Beamtin auf Widerruf - sei sie nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III versicherungsfrei gewesen.

Bereits zum 1. September 2001 meldete sich die Klägerin in Arbeit - als Studienassessorin beim L - ab. Auch als solche war sie von Beginn der Beschäftigung an auf Grund einer sogenannten Gewährleistungsentscheidung arbeitslosen(- und renten)versicherungsfrei, auch wenn sie vor ihrer Berufung ins Beamtenverhältnis zunächst im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses beschäftigt war. Diese Verfahrensweise entspricht bis jetzt der überwiegenden Praxis in der Bundesrepublik Deutschland bei Einstellung von Studienassessoren.

Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin machte die Klägerin geltend, die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit beamteter Auszubildender in der Arbeitslosenversicherung sei verfassungswidrig. Ob dies schon immer der Fall gewesen sei, könne dahingestellt bleiben. Bis zum 1. Januar 2000 habe durch eine Beschäftigung als Beamter ein Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe (Alhi) begründet werden können. Durch die großzügigen Bestimmungen zur Bedürftigkeitsprüfung sei dieser Anspruch mit dem Alg nichtbeamteter Ausgebildeter vergleichbar gewesen. Jedenfalls seit dem ersatzlosen Wegfall der originären Alhi ab 1. Januar 2000 verstoße die Vorschrift über die Versicherungsfreiheit beamteter Auszubildender im Hinblick auf die Versicherungspflicht nichtbeamteter Auszubildender gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Grundgesetz [GG]). Eine entsprechende Änderung der Vorschrift sei auch aus dem Grundgedanken des Art. 20 GG (Sozialstaatsprinzip) geboten gewesen. Schließlich liege ein Verstoß gegen hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums vor (Art. 33 Abs. 5 GG), weil die Alimentationspflicht des Dienstherrn über das Ende des Beamtenverhältnisses hinaus fortbestehe.

Das SG wies die auf Bewilligung von Alg ab 26. Mai 2001 gerichtete Klage durch Urteil vom 29. Mai 2002 ab. Es verneinte die Verfassungswidrigkeit der Versicherungsfreiheit von Auszubildenden im Beamtenverhältnis auf Widerruf und nahm dazu auf ältere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) - aus der Zeit vor dem Jahre 2000 - zur Verfassungsmäßigkeit der Versicherungsfreiheit von Gerichtsreferendaren Bezug.

Mit der Berufung hält die Klägerin an ihrem Rechtsstandpunkt fest, den sie nicht als widerlegt ansieht. Der ausschließliche Verweis des SG auf Rechtsprechung aus den Jahren 1977 und 1990 zu einem nicht mehr geltenden Gesetz (Arbeitsförderungsgesetz [AFG]) sei als Begründung nicht überzeugend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 sowie den Bescheid vom 27. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 26. Mai 2001 bis 31. August 2001 Arbeitslosengeld zu bewilligen, hilfsweise die Sache auszusetzen und das Verfahren gemäß Art. 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Alhi sei als Leistung, die nicht aus Versicherungsbeiträgen, sondern aus Steuermitteln erbracht werde, kein geeigneter Bezugspunkt für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit. Der Lebensunterhalt von Beamten, die arbeitslos würden, sei im Übrigen durch die Sozialhilfe gewährleistet, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 62 AL 3580/01 -) und der Leistungsakte der Beklagten (zur Kd.-Nr. ) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin für den streitigen Zeitraum kein Alg zusteht, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat (§ 117 Abs. 1 Nr. 3 SGB III). Sie hat in der Rahmenfrist von drei Jahren (§ 124 Abs. 1 SGB III) nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden (§ 123 Satz 1 Nr. 1 SGB III), weil sie als Beamtin auf Widerruf gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III versicherungsfrei war. Nach dieser Vorschrift sind versicherungsfrei Personen in einer Beschäftigung u.a. als Beamter. Zu den Beamten gehören auch Beamte auf Widerruf.

Entgegen der Ansicht der Klägerin steht ihr die beantragte Leistung auch nicht deshalb zu, weil § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, soweit er Beamte auf Widerruf betrifft, verfassungswidrig ist, für sie deshalb die Grundnorm des § 25 Abs. 1 SGB III eingreift, wonach versicherungspflichtig Personen sind, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige Beschäftigung) sind, und sie danach die Anwartschaftszeit für den Alg-Anspruch doch erfüllt.

Nach wie vor gilt, was das BVerfG in seinem Beschluss vom 2. März 1977 - 1 BvR 122/74 - (= SozR 4100 § 169 Nr. 4 S. 3) für Gerichtsreferendare entschieden hat, entsprechend auch für Studienreferendare. Danach liegt ein sachgerechter - Willkür ausschließender - Grund für die ungleiche versicherungsrechtliche Behandlung der beamteten Referendare im Verhältnis zu anderen in der Ausbildung befindlichen Personen schon darin, dass Referendare im Gegensatz zu den anderen Auszubildenden nach ihrer Ausbildung zu einem erheblichen Teil der Arbeitslosenversicherung nicht angehören werden. Für Studienreferendare gilt dies im Wesentlichen deshalb, weil sie als Beamte versicherungsfrei sein werden. Demgegenüber ist aber die Arbeitslosenversicherung "wie jede andere gesetzliche Versicherung, die auf dem Solidarprinzip beruht, darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder ihr grundsätzlich auf Dauer angehören und durch dauerhafte Beitragsleistung gewährleisten, dass die durchschnittliche Beitragsberechnung den durchschnittlichen Risiken gerecht wird. Damit ist die Zugehörigkeit eines Personenkreises schwer vereinbar, der wie die Referendare in der Mehrzahl der Arbeitslosenversicherung nur während seiner kurzen Ausbildungszeit angehört, dessen Arbeitslosenrisiko aber in der Zeit unmittelbar nach Beendigung der Ausbildung besonders hoch ist" (BVerfG a.a.O.). Diese Entscheidung hat sich auch das BSG in seinem Urteil vom 16. Oktober 1990 - 11 RAr 103/89 - (= SozR 3-4100 § 104 Nr. 3 S. 9) zu eigen gemacht. Sie hat ebenso nach In-Kraft-Treten des das AFG ersetzenden SGB III zu gelten.

Dass arbeitslos werdende Referendare seit dem 1. Januar 2000 auch keine originäre Alhi mehr in Anspruch nehmen können, ändert an dieser Verfassungslage nichts. Zu Recht hat die Beklagte sich dahin geäußert, dass die Alhi kein geeigneter "Bezugspunkt" für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit sei. Die Versicherungsfreiheit der Beamten auf Widerruf (Referendare) findet - wie ausgeführt - ihre Rechtfertigung darin, dass Referendare zu einem erheblichen Teil eine versicherungsfreie Berufstätigkeit ausüben werden. Dieser - nach wie vor den Tatsachen entsprechende - Sachgrund gilt unabhängig davon, ob der arbeitslos gewordene Beamte auf Widerruf Alhi beanspruchen kann oder nicht. Hätte der Gesichtspunkt der Absicherung durch eine anderweitige Lohnersatzleistung (als Alg) für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Versicherungsfreiheit der Beamten auf Widerruf eine tragende Rolle gespielt, so hätte das BVerfG ihn bei seiner Entscheidung von 1977 entsprechend berücksichtigt. Das ist jedoch nicht der Fall. In der Entscheidung des BVerfG wird gar nicht erörtert, ob der dortige Beschwerdeführer nach Abschluss seines Referendariats irgendeine Lohnersatzleistung beanspruchen konnte oder nicht.

Danach sind - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums durch die Versicherungsfreiheit der Beamten auf Widerruf in keiner Weise berührt. So wenig der Anspruch auf originäre Alhi für arbeitslos gewordene Beamte auf Widerruf - als allgemeine staatliche Fürsorgeleistung für Arbeitslose - Ausdruck der Alimentationspflicht des Dienstherrn war, so wenig kann der Dienstherr durch den Wegfall der originären Alhi seiner Alimentationspflicht zuwidergehandelt haben. Die originäre Alhi war im Grunde nur eine besondere Form der Sozialhilfe für kurzfristig beschäftigt gewesene Arbeitslose, so dass es im vorliegenden Fall von keiner rechtlichen Bedeutung sein kann, ob die Klägerin originäre Alhi oder "nur" (allgemeine) Sozialhilfe hätte in Anspruch nehmen können.

Da der Senat nach allem die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, soweit danach Beamte auf Widerruf versicherungsfrei sind, nicht für verfassungswidrig hält, hatte er auch nicht nach Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, so dass auch dem Hilfsantrag nicht zu entsprechen war.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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