Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 14 AY 126/14 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 474/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Statthaftigkeit der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.d.F. des BUK-NOK vom 19.10.13 (BGBl I 3836) i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG richtet sich ausschließlich nach der zugrundeliegenden Hauptsache, nicht dem Beschwerdegegenstand im einstweiligen Rechtsschutz.
2. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im einstweiligen Rechtsschutz richtet sich grundsätzlich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG, selbst wenn die Auffassung vom erkennenden Gericht in der Tatsacheninstanz ohne neue Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art nicht geteilt wird.
3. Einstweiliger Rechtsschutz ist bei existenzsichernden Leistungen ab Antragstellung bei dem Sozialgericht zu gewähren, wenn ein Anordnungsanspruch offensichtlich besteht, so dass der Leistungsträger nicht durch eine abweichende Entscheidung in der Hauptsache einem Rückgriffsrisiko ausgesetzt sein kann.
2. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im einstweiligen Rechtsschutz richtet sich grundsätzlich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG, selbst wenn die Auffassung vom erkennenden Gericht in der Tatsacheninstanz ohne neue Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art nicht geteilt wird.
3. Einstweiliger Rechtsschutz ist bei existenzsichernden Leistungen ab Antragstellung bei dem Sozialgericht zu gewähren, wenn ein Anordnungsanspruch offensichtlich besteht, so dass der Leistungsträger nicht durch eine abweichende Entscheidung in der Hauptsache einem Rückgriffsrisiko ausgesetzt sein kann.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2014 aufgehoben. Der Antragsgegner wird vorläufig bis zu einer Erledigung des Widerspruchverfahrens gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Januar 2014 verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 9. Januar 2014 höhere Leistungen nach dem AsylbLG ohne Einschränkung nach § 1a AsylbLG zu zahlen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Kosten beider Instanzen zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren als Hauptsache zugrunde liegenden Widerspruchsverfahren darüber, ob der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 1a AsylbLG auf das Unerlässliche einzuschränken ist, mithin nur eingeschränkte Leistungen zu gewähren sind.
Der im Jahr 1977 geborene, mittellose Antragsteller, iranischer Staatsangehörigkeit, ist nach erfolglosem Asyl- und Asylfolgeverfahren (letzteres rechtskräftig abgeschlossen am 14. Juni 2011) vollziehbar ausreisepflichtig. Ihn schützt derzeit die wiederholt verfügte Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 1 AufenthaltsG.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller zuletzt ab dem 1. Januar 2008 sogenannte Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG (Änderungsbescheid vom 12. Dezember 2007).
Weil der Antragsteller Aufforderungen zur Vorlage von Identitätspapieren nicht nachgekommen war (zuletzt Schreiben vom 28. Februar 2008 mit Nachfrist zum 28. Februar 2008), änderte der Antragsgegner die Leistungen ab dem 1. Mai 2008 auf und bewilligte dem Antragsteller nur noch eingeschränkte Leistungen (Änderungsbescheid vom 1. April 2008). Den danach maßgeblichen Zahlbetrag für Geldleistungen erhöhte er mit weiteren Änderungsbescheiden, zuletzt ab 1. Oktober 2012 auf monatlich 133,07 Euro (Änderungsbescheid vom 26. September 2012).
Auf weitere Aufforderungen des Antragsgegners legte der Antragsteller Dokumente in Kopie und im Original vor, welche der Antragsgegner nicht als ausreichend ansah, um die geforderte Mitwirkung zu erfüllen.
Ab dem 1. Januar 2013 hob der Antragsgegner den vorherigen Änderungsbescheid auf und bewilligte dem Antragsteller eingeschränkte Leistungen in Höhe von 136,21 Euro monatlich nebst Sachleistungen (Änderungsbescheid vom 24. Januar 2013). Er versah zudem die Bewilligung erstmals mit einem Widerrufsvorbehalt.
Hiergegen legte der Antragsteller am 25. Februar 2013 bei dem Antragsgegner schriftlich Widerspruch mit dem Ziel ein, den vorbenannten Bescheid abzuändern und ab dem 1. Januar 2013 höhere uneingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG zu zahlen. Daneben stellte er für vorherige Zeiträume Überprüfungsanträge nach § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 44 SGB X, die hier nicht von Bedeutung sind.
Das Sozialgericht Gotha (SG) hat mit Beschluss vom 4. März 2014, den am 9. Januar 2014 gestellten Antrag des Antragstellers abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig - bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar 2013 ungekürzte Leistungen gemäß §§ 1, 3 AsylbLG zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG sei nach der obergerichtlichen Rechtsprechung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür lägen vor, weil der Antragsteller keine Ausweispapiere vorgelegt habe, mit welchen aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet werden könnten. Auch der Höhe nach sei die Anspruchseinschränkung rechtmäßig festgesetzt, weil das physische Existenzminimum gewahrt bliebe und der Antragsteller jederzeit die geforderte Mitwirkung nachholen könne.
Hiergegen richtet sich die am 4. April 2014 bei dem SG eingelegte Beschwerde des Antrag-stellers. In der Beschwerde hat der Antragsgegner eine Auskunft der iranischen Botschaft in Berlin vom 3. Juni 2014 vorgelegt, nach der eine Rückkehr iranischer Asylbewerber nur unter drei Voraussetzungen möglich ist (1. Identitätsnachweis durch Vorlage iranischer Identitätspapiere, 2. Schriftliche Erklärung des Bewerbers über die freiwillige Rückkehr in die Islamische Republik Iran - Freiwilligkeitserklärung -, 3. Persönliche Vorsprache in der Konsularabteilung der Botschaft der Islamischen Republik Iran).
Der Antragsteller stellt wesentlich darauf ab, die Anspruchskürzung werde der Höhe nach nicht dem grundrechtlich verbürgten menschenwürdigen Existenzminimum gerecht. Ungeachtet dessen lägen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG nicht vor. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen könnten bereits mangels "Freiwilligkeitserklärung" des Antragstellers nicht eingeleitet werden. Zu einer solchen wahrheitswidrigen Erklärung könne er nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG auch nicht verpflichtet werden. Der Antragsteller beantragt wörtlich,
unter Abänderung des vorbezeichneten Bescheides (Beschluss des Sozialgericht Gotha vom 4. April 2014) dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller vorläufig - bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar 2013 - ungekürzte Leistungen gemäß § 1, 3 AsylbLG zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er stützt sich vor allem auf unterinstanzliche Gerichte, welche es für einen abgelehnten Asyl-bewerber für zumutbar erachten, eine erforderliche Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungs- und Ausländerakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
II.
Der wörtliche Sachantrag des anwaltlich vertretenen Antragstellers ist bei verständiger Auslegung so zu verstehen, dass er sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 4. April 2014 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig bis zu einer Erledigung des Widerspruchverfahrens gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Januar 2013 zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 9. Januar 2014 höhere Leistungen nach dem AsylbLG ohne Einschränkung nach § 1a AsylbLG zu zahlen.
Ein Sachantrag ist unter Berücksichtigung des "Meistbegünstigungsprinzips" (vgl. zur Klage nur: BSG Urteil vom 6. April 2011 - B 4 AS 119/10 R, juris Rn. 29 m.w.N., das auf eine "dem Beschwerdeführer günstige Auslegung" abstellt) unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen (§ 123 SGG), dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Gerichte haben sich nicht daran zu orientieren, was als Sachantrag zulässig ist, sondern was nach dem klägerischen Vorbringen begehrt wird, soweit jeder vernünftige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen (BSG Urteil vom 6. April 2011, a.a.O. m.w.N.). Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen einschließlich der Klageanträge ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden (BSG Urteil vom 6. April 2011, a.a.O. m.w.N.). Danach ist nicht an dem Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, soweit er für das Gericht und die Beteiligten erkennbar ist. Dabei muss der für das Gericht und die übrigen Beteiligten erkennbare gesamte Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG Urteil vom 22. März 1988 - 8/5a RKn 11/87; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 92 Rn. 12).
Anhand dieses Maßstabs handelt es sich bei der Bezeichnung der erstinstanzlichen Entscheidung im wörtlichen Antrag als Bescheid um ein offensichtliches Versehen. Auch dürfte die Dauer der einstweiligen Anordnung nicht allein an eine Entscheidung über den Widerspruch anknüpfen, weil es auch ohne eine solche erledigt werden kann. Unschädlich ist es ebenfalls, dass der Antragsteller nicht ausdrücklich benannt hat, ab wann die vorläufige Leistungspflicht dem Antragsgegner auferlegt werden soll. Insoweit wird zu berücksichtigen sein, dass er weitest gehenden einstweiligen Rechtsschutz erwirken möchte, der nach allgemeiner Auffassung ohne einen hier nicht erkennbaren nachzuholenden Bedarf nicht vor Eingang des Antrags bei dem SG liegen kann.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft.
Die Beschwerde ist im einstweiligen Rechtsschutz, der in der Hauptsache eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, nur statthaft, wenn der - fiktive - Beschwerdewert der Hauptsache 750 Euro übersteigt (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 6f m.w.N.; klarstellende Gesetzesbegründung: BR-Drucks 811/12 S. 65); es sei denn, es sind in der Hauptsache wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG).
Im als Hauptsacheverfahren zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren sind laufende Leistungen für mehr als ein Jahr einbezogen. Der Antragsgegner hat mit angefochtenem Änderungsbescheid vom 24. Januar 2014 Leistungen ab dem 1. Januar 2013 ohne zeitliche Beschränkung bewilligt. Selbst wenn nachfolgend ein weiterer Änderungsbescheid wegen der Anpassung des Regelbedarfs ab dem 1. Januar 2014 ergangen sein sollte, würde er nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden, ohne eine zeitliche Zäsur zu begründen. Kommt es allein auf den Gegenstand der Hauptsache an, selbst wenn sie sich noch im Widerspruchsverfahren befindet, ist es unschädlich, dass im einstweiligen Rechtsschutz eine vorläufige Leistungsverpflichtung erst ab dem 9. Januar 2014 geltend gemacht ist.
Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Entgegen der Auffassung des SG liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag bei Leistungsbegehren in der Regel durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Regelung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache – möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Ent-scheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 27 und 29, 29a m.w.N.; Wehrhahn in Estelmann, SGB II, Stand: August 2009, § 86b SGG Rn. 60 m.w.N.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann.
Ein Anordnungsanspruch steht dem Antragsteller für den im einstweiligen Rechtsschutz allein erfassten Zeitraum ab 9. Januar 2014 zweifellos zu. Er wird in der Hauptsache voll obsiegen.
Liegen dem Grunde nach die Voraussetzungen für Leistungen nach dem AsylbLG offensichtlich vor (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 2 f. AsylbLG), bedarf es im einstweiligen Rechtsschutz nur Ausführungen dazu, warum die allein im Raum stehende Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG vorliegend nicht greift. Dabei lässt der Senat im einstweiligen Rechtsschutz ausdrücklich offen, ob dem Antragsteller ohne die Anspruchseinschränkung sogar Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG zustehen können. Hat der Senat den Antragsgegner lediglich dem Grunde nach zu höheren Leistungen nach dem AsylbLG entsprechend § 130 SGG vorläufig verpflichtet (zu dieser Möglichkeit: Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl., § 201 Rn. 2a), kann das dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben. Zumal der Antragsteller ausdrücklich im einstweiligen Rechtsschutz auf § 2 AsylbLG gestützt höhere Leistungen nicht geltend macht.
Ist die Anspruchseinschränkung bei Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG nur eröffnet, wenn aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, ist das nur anzunehmen, wenn der Leistungsberechtigte nachweislich jederzeit durch für ihn konkret erkennbare, tatsächlich mögliche und zumutbare Handlungen dieses Abschiebungshindernis beseitigen kann (Senat, Beschluss vom 14. August 2013 - L 8 AY 170/13 B ER; ähnlich: Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Januar 2011 - L 7 AY 6/09 B ER, juris; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Februar 2013 - L 15 AY 2/13 B ER und Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013 - L 8 AY 4/12 B ER, beide juris). Allein eine solche restriktive Auslegung stellt sicher, dass der Entzug des menschenwürdigen Existenzminimums nicht weiter reicht, als dem Leistungsberechtigten es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit möglich bleibt, mit ihm zur Verfügung stehenden tatsächlichen Mitteln zumutbar die Bedingungen zu erfüllen, welche an die Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums in voller Höhe geknüpft sind (vgl. Rothkegel in ZAR 2012, 357 (360 f.); Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249 (254)).
Erforderlich ist neben dem vorwerfbaren Verhalten selbst, dass dieses ursächlich dafür ist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollziehen zu können. Was bereits zu verneinen ist, wenn das von weiteren Bedingungen abhängig ist, für deren Nichteintritt der Leistungsberechtigte nicht verantwortlich zu machen ist (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R, juris Rn. 25 unter Hinweis auf Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 52).
Ausweislich der Auskunft der iranischen Botschaft in B. vom 3. Juni 2014, die sich mit vorherigen Erklärungen im Verwaltungsverfahren deckt (Auskunft der deutschen Botschaft in Teheran vom 1. November 2007), ist eine Rückkehr iranischer Asylbewerber nur möglich, wenn von ihnen eine Freiwilligkeitserklärung abgegeben wird. Fehlt diese, ermöglichen auch die Vorlage iranischer Identitätspapiere und eine persönliche Vorsprache in der Konsularabteilung der Botschaft keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Zu dieser wahrheitswidrigen Erklärung ist jedoch der Antragsteller weder bereit noch als Ausfluss des Kernbereichs seines Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet. § 49 Abs. 1 AufenthG, der die Pflicht vorsieht, erforderliche Erklärungen zur Beschaffung von Heimreisepapieren abzugeben, greift nur soweit das im Übrigen mit deutschem Recht, auch verbürgten Grundrechten, in Einklang steht (BSG, a.a.O., Rn. 26 ff.). Soweit der Antragsgegner seine abweichende Auffassung ausschließlich auf unterinstanzliche Gerichtsentscheidungen stützt, ist das im einstweiligen Rechtsschutz nicht zu berücksichtigen. Im sozialgerichtlichen Instanzenzug wird letztlich allein die Rechtsprechung des BSG maßgeblich sein.
Nicht erheblich ist daher, ob der Antragsteller im Übrigen gebotenen Mitwirkungshandlungen hinreichend nachgekommen ist.
Ist damit der Widerspruch in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet, ist den in diesem Fall verminderten Anforderungen an den Anordnungsgrund in jedem Fall genüge getan. Allein die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch, kann dem Antragsteller das ihm zustehende uneingeschränkte menschenwürdige Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 GG sichern. Einem in die Abwägung einzustellenden Rückgriffsrisiko ist der Antragsgegner nicht ausgesetzt, weil die Entscheidung in der Hauptsache die vorläufige Leistungspflicht zu seinen Gunsten nicht abändern wird. Jedenfalls in dieser Konstellation hat im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung die vorläufige Leistungspflicht ab dem Zeitpunkt einzusetzen, zu dem der einstweilige Rechtsschutz erwirkt ist (hier: Antragseingang bei dem SG am 9. Januar 2014). Auch wenn eine gegenwärtige Bedarfsdeckung grundsätzlich für die Vergangenheit nicht mehr nachgeholt werden kann, folgt das in eindeutigen Fällen wie hier aus dem Grundrecht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Das faktische Unvermögen, den gebotenen einstweiligen Rechtsschutz in der normativ gebotenen Schnelligkeit bei existenzsichernden Leistungen tatsächlich erbringen zu können, darf nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden gehen, um der grundrechtlichen Gewährleistung so weit wie möglich entsprechen zu können (vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2012 - L 8 SO 58/12 B ER, juris; für Hauptsache bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts: BVerwG, Urteil vom 16. April 1969 - V C 96.68, juris; Wehrhahn, a.a.O. Rn. 70 f. m.w.N.), wenn für die Gegenseite damit bis zur Entscheidung in der Hauptsache nachwirkende Nachteile nicht verbunden sind. Ob oder unter welchen weiteren Voraussetzungen das selbst dann zu gelten hätte, wenn der Sozialleistungsträger durch die zeitlich weitergehende vorläufige Leistungspflicht einem höheren Rückgriffsrisiko im Falle eines - teilweisen - Obsiegens in der Hauptsache ausgesetzt wäre, ist vorliegend nicht zu entscheiden.
Die einstweilige Anordnung greift nur bis zur Erledigung des Widerspruchverfahrens, weil der Antragsteller sein Rechtsschutzziel ausdrücklich auf diesen Zeitraum beschränkt hat. Der Antragsgegner wird ohnehin gehalten sein, von sich aus über den Zeitpunkt hinaus vorläufig höhere Leistungen zu erbringen, falls er dem Widerspruch nicht abhelfen sollte, um Folgever-fahren zu vermeiden.
Nicht aktenkundig ist, ob der Antragsgegner mittlerweile berücksichtigt hat, dass dem An-tragsteller ohnehin höhere Leistungen aufgrund der Fortschreibung der Regelbedarfe ab 1. Januar 2014 entsprechend § 28a SGB XII zustehen. Soweit der Antragsgegner dem nicht ohnehin entsprochen haben wird, hat er auch dies im Rahmen der vorläufigen Leistungspflicht zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang der Beschwerde entsprechend § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung ist abzulehnen. Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig geworden, weil dem Antragsteller aufgrund dieses Beschlusses ein rechtskräftiger Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner zusteht, dessen Leistungsfähigkeit und -willigkeit im Falle einer gerichtlich auferlegten Pflicht zur Kostenerstattung nicht in Zweifel steht (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2012 - L 4 AS 1197/11 B, juris). Auch ist ohne weitere Anhaltspunkte unter dieser Voraussetzung nicht zu befürchten, dass die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers diesen gegenüber dem Antragsgegner vorrangig wegen seiner anwaltlichen Vergütung in Anspruch nehmen werden. Daher bedarf der Antragsteller auch nicht des Schutzes vor einer vorrangigen Inanspruchnahme durch seinen Prozessbevollmächtigten, den im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - keine Geltendmachung der anwaltlichen Vergütung gegenüber der eigenen Partei - bieten würde (vgl. Senat, Beschluss vom 25. April 2014 - L 4 AS 306/14 B ER, juris).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren als Hauptsache zugrunde liegenden Widerspruchsverfahren darüber, ob der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 1a AsylbLG auf das Unerlässliche einzuschränken ist, mithin nur eingeschränkte Leistungen zu gewähren sind.
Der im Jahr 1977 geborene, mittellose Antragsteller, iranischer Staatsangehörigkeit, ist nach erfolglosem Asyl- und Asylfolgeverfahren (letzteres rechtskräftig abgeschlossen am 14. Juni 2011) vollziehbar ausreisepflichtig. Ihn schützt derzeit die wiederholt verfügte Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 1 AufenthaltsG.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller zuletzt ab dem 1. Januar 2008 sogenannte Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG (Änderungsbescheid vom 12. Dezember 2007).
Weil der Antragsteller Aufforderungen zur Vorlage von Identitätspapieren nicht nachgekommen war (zuletzt Schreiben vom 28. Februar 2008 mit Nachfrist zum 28. Februar 2008), änderte der Antragsgegner die Leistungen ab dem 1. Mai 2008 auf und bewilligte dem Antragsteller nur noch eingeschränkte Leistungen (Änderungsbescheid vom 1. April 2008). Den danach maßgeblichen Zahlbetrag für Geldleistungen erhöhte er mit weiteren Änderungsbescheiden, zuletzt ab 1. Oktober 2012 auf monatlich 133,07 Euro (Änderungsbescheid vom 26. September 2012).
Auf weitere Aufforderungen des Antragsgegners legte der Antragsteller Dokumente in Kopie und im Original vor, welche der Antragsgegner nicht als ausreichend ansah, um die geforderte Mitwirkung zu erfüllen.
Ab dem 1. Januar 2013 hob der Antragsgegner den vorherigen Änderungsbescheid auf und bewilligte dem Antragsteller eingeschränkte Leistungen in Höhe von 136,21 Euro monatlich nebst Sachleistungen (Änderungsbescheid vom 24. Januar 2013). Er versah zudem die Bewilligung erstmals mit einem Widerrufsvorbehalt.
Hiergegen legte der Antragsteller am 25. Februar 2013 bei dem Antragsgegner schriftlich Widerspruch mit dem Ziel ein, den vorbenannten Bescheid abzuändern und ab dem 1. Januar 2013 höhere uneingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG zu zahlen. Daneben stellte er für vorherige Zeiträume Überprüfungsanträge nach § 9 Abs. 3 AsylbLG i.V.m. § 44 SGB X, die hier nicht von Bedeutung sind.
Das Sozialgericht Gotha (SG) hat mit Beschluss vom 4. März 2014, den am 9. Januar 2014 gestellten Antrag des Antragstellers abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig - bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar 2013 ungekürzte Leistungen gemäß §§ 1, 3 AsylbLG zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG sei nach der obergerichtlichen Rechtsprechung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür lägen vor, weil der Antragsteller keine Ausweispapiere vorgelegt habe, mit welchen aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet werden könnten. Auch der Höhe nach sei die Anspruchseinschränkung rechtmäßig festgesetzt, weil das physische Existenzminimum gewahrt bliebe und der Antragsteller jederzeit die geforderte Mitwirkung nachholen könne.
Hiergegen richtet sich die am 4. April 2014 bei dem SG eingelegte Beschwerde des Antrag-stellers. In der Beschwerde hat der Antragsgegner eine Auskunft der iranischen Botschaft in Berlin vom 3. Juni 2014 vorgelegt, nach der eine Rückkehr iranischer Asylbewerber nur unter drei Voraussetzungen möglich ist (1. Identitätsnachweis durch Vorlage iranischer Identitätspapiere, 2. Schriftliche Erklärung des Bewerbers über die freiwillige Rückkehr in die Islamische Republik Iran - Freiwilligkeitserklärung -, 3. Persönliche Vorsprache in der Konsularabteilung der Botschaft der Islamischen Republik Iran).
Der Antragsteller stellt wesentlich darauf ab, die Anspruchskürzung werde der Höhe nach nicht dem grundrechtlich verbürgten menschenwürdigen Existenzminimum gerecht. Ungeachtet dessen lägen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG nicht vor. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen könnten bereits mangels "Freiwilligkeitserklärung" des Antragstellers nicht eingeleitet werden. Zu einer solchen wahrheitswidrigen Erklärung könne er nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG auch nicht verpflichtet werden. Der Antragsteller beantragt wörtlich,
unter Abänderung des vorbezeichneten Bescheides (Beschluss des Sozialgericht Gotha vom 4. April 2014) dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller vorläufig - bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar 2013 - ungekürzte Leistungen gemäß § 1, 3 AsylbLG zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er stützt sich vor allem auf unterinstanzliche Gerichte, welche es für einen abgelehnten Asyl-bewerber für zumutbar erachten, eine erforderliche Freiwilligkeitserklärung abzugeben.
Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungs- und Ausländerakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
II.
Der wörtliche Sachantrag des anwaltlich vertretenen Antragstellers ist bei verständiger Auslegung so zu verstehen, dass er sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 4. April 2014 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig bis zu einer Erledigung des Widerspruchverfahrens gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Januar 2013 zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 9. Januar 2014 höhere Leistungen nach dem AsylbLG ohne Einschränkung nach § 1a AsylbLG zu zahlen.
Ein Sachantrag ist unter Berücksichtigung des "Meistbegünstigungsprinzips" (vgl. zur Klage nur: BSG Urteil vom 6. April 2011 - B 4 AS 119/10 R, juris Rn. 29 m.w.N., das auf eine "dem Beschwerdeführer günstige Auslegung" abstellt) unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens so auszulegen (§ 123 SGG), dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Die Gerichte haben sich nicht daran zu orientieren, was als Sachantrag zulässig ist, sondern was nach dem klägerischen Vorbringen begehrt wird, soweit jeder vernünftige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen (BSG Urteil vom 6. April 2011, a.a.O. m.w.N.). Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen einschließlich der Klageanträge ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden (BSG Urteil vom 6. April 2011, a.a.O. m.w.N.). Danach ist nicht an dem Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, soweit er für das Gericht und die Beteiligten erkennbar ist. Dabei muss der für das Gericht und die übrigen Beteiligten erkennbare gesamte Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG Urteil vom 22. März 1988 - 8/5a RKn 11/87; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 92 Rn. 12).
Anhand dieses Maßstabs handelt es sich bei der Bezeichnung der erstinstanzlichen Entscheidung im wörtlichen Antrag als Bescheid um ein offensichtliches Versehen. Auch dürfte die Dauer der einstweiligen Anordnung nicht allein an eine Entscheidung über den Widerspruch anknüpfen, weil es auch ohne eine solche erledigt werden kann. Unschädlich ist es ebenfalls, dass der Antragsteller nicht ausdrücklich benannt hat, ab wann die vorläufige Leistungspflicht dem Antragsgegner auferlegt werden soll. Insoweit wird zu berücksichtigen sein, dass er weitest gehenden einstweiligen Rechtsschutz erwirken möchte, der nach allgemeiner Auffassung ohne einen hier nicht erkennbaren nachzuholenden Bedarf nicht vor Eingang des Antrags bei dem SG liegen kann.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere statthaft.
Die Beschwerde ist im einstweiligen Rechtsschutz, der in der Hauptsache eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, nur statthaft, wenn der - fiktive - Beschwerdewert der Hauptsache 750 Euro übersteigt (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 6f m.w.N.; klarstellende Gesetzesbegründung: BR-Drucks 811/12 S. 65); es sei denn, es sind in der Hauptsache wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG).
Im als Hauptsacheverfahren zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren sind laufende Leistungen für mehr als ein Jahr einbezogen. Der Antragsgegner hat mit angefochtenem Änderungsbescheid vom 24. Januar 2014 Leistungen ab dem 1. Januar 2013 ohne zeitliche Beschränkung bewilligt. Selbst wenn nachfolgend ein weiterer Änderungsbescheid wegen der Anpassung des Regelbedarfs ab dem 1. Januar 2014 ergangen sein sollte, würde er nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden, ohne eine zeitliche Zäsur zu begründen. Kommt es allein auf den Gegenstand der Hauptsache an, selbst wenn sie sich noch im Widerspruchsverfahren befindet, ist es unschädlich, dass im einstweiligen Rechtsschutz eine vorläufige Leistungsverpflichtung erst ab dem 9. Januar 2014 geltend gemacht ist.
Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Entgegen der Auffassung des SG liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag bei Leistungsbegehren in der Regel durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Regelung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache – möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Ent-scheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 27 und 29, 29a m.w.N.; Wehrhahn in Estelmann, SGB II, Stand: August 2009, § 86b SGG Rn. 60 m.w.N.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann.
Ein Anordnungsanspruch steht dem Antragsteller für den im einstweiligen Rechtsschutz allein erfassten Zeitraum ab 9. Januar 2014 zweifellos zu. Er wird in der Hauptsache voll obsiegen.
Liegen dem Grunde nach die Voraussetzungen für Leistungen nach dem AsylbLG offensichtlich vor (§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 2 f. AsylbLG), bedarf es im einstweiligen Rechtsschutz nur Ausführungen dazu, warum die allein im Raum stehende Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG vorliegend nicht greift. Dabei lässt der Senat im einstweiligen Rechtsschutz ausdrücklich offen, ob dem Antragsteller ohne die Anspruchseinschränkung sogar Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG zustehen können. Hat der Senat den Antragsgegner lediglich dem Grunde nach zu höheren Leistungen nach dem AsylbLG entsprechend § 130 SGG vorläufig verpflichtet (zu dieser Möglichkeit: Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl., § 201 Rn. 2a), kann das dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben. Zumal der Antragsteller ausdrücklich im einstweiligen Rechtsschutz auf § 2 AsylbLG gestützt höhere Leistungen nicht geltend macht.
Ist die Anspruchseinschränkung bei Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG nur eröffnet, wenn aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, ist das nur anzunehmen, wenn der Leistungsberechtigte nachweislich jederzeit durch für ihn konkret erkennbare, tatsächlich mögliche und zumutbare Handlungen dieses Abschiebungshindernis beseitigen kann (Senat, Beschluss vom 14. August 2013 - L 8 AY 170/13 B ER; ähnlich: Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Januar 2011 - L 7 AY 6/09 B ER, juris; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Februar 2013 - L 15 AY 2/13 B ER und Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013 - L 8 AY 4/12 B ER, beide juris). Allein eine solche restriktive Auslegung stellt sicher, dass der Entzug des menschenwürdigen Existenzminimums nicht weiter reicht, als dem Leistungsberechtigten es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit möglich bleibt, mit ihm zur Verfügung stehenden tatsächlichen Mitteln zumutbar die Bedingungen zu erfüllen, welche an die Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums in voller Höhe geknüpft sind (vgl. Rothkegel in ZAR 2012, 357 (360 f.); Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249 (254)).
Erforderlich ist neben dem vorwerfbaren Verhalten selbst, dass dieses ursächlich dafür ist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollziehen zu können. Was bereits zu verneinen ist, wenn das von weiteren Bedingungen abhängig ist, für deren Nichteintritt der Leistungsberechtigte nicht verantwortlich zu machen ist (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R, juris Rn. 25 unter Hinweis auf Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 52).
Ausweislich der Auskunft der iranischen Botschaft in B. vom 3. Juni 2014, die sich mit vorherigen Erklärungen im Verwaltungsverfahren deckt (Auskunft der deutschen Botschaft in Teheran vom 1. November 2007), ist eine Rückkehr iranischer Asylbewerber nur möglich, wenn von ihnen eine Freiwilligkeitserklärung abgegeben wird. Fehlt diese, ermöglichen auch die Vorlage iranischer Identitätspapiere und eine persönliche Vorsprache in der Konsularabteilung der Botschaft keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Zu dieser wahrheitswidrigen Erklärung ist jedoch der Antragsteller weder bereit noch als Ausfluss des Kernbereichs seines Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet. § 49 Abs. 1 AufenthG, der die Pflicht vorsieht, erforderliche Erklärungen zur Beschaffung von Heimreisepapieren abzugeben, greift nur soweit das im Übrigen mit deutschem Recht, auch verbürgten Grundrechten, in Einklang steht (BSG, a.a.O., Rn. 26 ff.). Soweit der Antragsgegner seine abweichende Auffassung ausschließlich auf unterinstanzliche Gerichtsentscheidungen stützt, ist das im einstweiligen Rechtsschutz nicht zu berücksichtigen. Im sozialgerichtlichen Instanzenzug wird letztlich allein die Rechtsprechung des BSG maßgeblich sein.
Nicht erheblich ist daher, ob der Antragsteller im Übrigen gebotenen Mitwirkungshandlungen hinreichend nachgekommen ist.
Ist damit der Widerspruch in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet, ist den in diesem Fall verminderten Anforderungen an den Anordnungsgrund in jedem Fall genüge getan. Allein die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch, kann dem Antragsteller das ihm zustehende uneingeschränkte menschenwürdige Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 GG sichern. Einem in die Abwägung einzustellenden Rückgriffsrisiko ist der Antragsgegner nicht ausgesetzt, weil die Entscheidung in der Hauptsache die vorläufige Leistungspflicht zu seinen Gunsten nicht abändern wird. Jedenfalls in dieser Konstellation hat im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung die vorläufige Leistungspflicht ab dem Zeitpunkt einzusetzen, zu dem der einstweilige Rechtsschutz erwirkt ist (hier: Antragseingang bei dem SG am 9. Januar 2014). Auch wenn eine gegenwärtige Bedarfsdeckung grundsätzlich für die Vergangenheit nicht mehr nachgeholt werden kann, folgt das in eindeutigen Fällen wie hier aus dem Grundrecht der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Das faktische Unvermögen, den gebotenen einstweiligen Rechtsschutz in der normativ gebotenen Schnelligkeit bei existenzsichernden Leistungen tatsächlich erbringen zu können, darf nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden gehen, um der grundrechtlichen Gewährleistung so weit wie möglich entsprechen zu können (vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2012 - L 8 SO 58/12 B ER, juris; für Hauptsache bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts: BVerwG, Urteil vom 16. April 1969 - V C 96.68, juris; Wehrhahn, a.a.O. Rn. 70 f. m.w.N.), wenn für die Gegenseite damit bis zur Entscheidung in der Hauptsache nachwirkende Nachteile nicht verbunden sind. Ob oder unter welchen weiteren Voraussetzungen das selbst dann zu gelten hätte, wenn der Sozialleistungsträger durch die zeitlich weitergehende vorläufige Leistungspflicht einem höheren Rückgriffsrisiko im Falle eines - teilweisen - Obsiegens in der Hauptsache ausgesetzt wäre, ist vorliegend nicht zu entscheiden.
Die einstweilige Anordnung greift nur bis zur Erledigung des Widerspruchverfahrens, weil der Antragsteller sein Rechtsschutzziel ausdrücklich auf diesen Zeitraum beschränkt hat. Der Antragsgegner wird ohnehin gehalten sein, von sich aus über den Zeitpunkt hinaus vorläufig höhere Leistungen zu erbringen, falls er dem Widerspruch nicht abhelfen sollte, um Folgever-fahren zu vermeiden.
Nicht aktenkundig ist, ob der Antragsgegner mittlerweile berücksichtigt hat, dass dem An-tragsteller ohnehin höhere Leistungen aufgrund der Fortschreibung der Regelbedarfe ab 1. Januar 2014 entsprechend § 28a SGB XII zustehen. Soweit der Antragsgegner dem nicht ohnehin entsprochen haben wird, hat er auch dies im Rahmen der vorläufigen Leistungspflicht zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang der Beschwerde entsprechend § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung ist abzulehnen. Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig geworden, weil dem Antragsteller aufgrund dieses Beschlusses ein rechtskräftiger Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner zusteht, dessen Leistungsfähigkeit und -willigkeit im Falle einer gerichtlich auferlegten Pflicht zur Kostenerstattung nicht in Zweifel steht (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2012 - L 4 AS 1197/11 B, juris). Auch ist ohne weitere Anhaltspunkte unter dieser Voraussetzung nicht zu befürchten, dass die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers diesen gegenüber dem Antragsgegner vorrangig wegen seiner anwaltlichen Vergütung in Anspruch nehmen werden. Daher bedarf der Antragsteller auch nicht des Schutzes vor einer vorrangigen Inanspruchnahme durch seinen Prozessbevollmächtigten, den im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - keine Geltendmachung der anwaltlichen Vergütung gegenüber der eigenen Partei - bieten würde (vgl. Senat, Beschluss vom 25. April 2014 - L 4 AS 306/14 B ER, juris).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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