L 14 RA 63/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 311/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 63/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. September 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit.

Die 1946 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung durchlaufen. Seit 1964 war sie bei der DAK M. als Phonotypistin tätig, ab 1993 in Teilzeit (vier Tage à acht Stunden). Arbeitsunfähigkeit besteht seit 08.01.1997.

Den ersten am 24.01.1997 gestellten Rentenantrag hatte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Internisten und Arbeitsmediziners Dr.B. (Gutachten vom 17.03.1997, Diagnosen: insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II B, Adipositas permagna, medikamentös kompensierte chronische arterielle Hypertonie, psychovegetatives Syndrom; Leistungsbeurteilung: leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten, auch als Phonotypistin, vollschichtig) mit Bescheid vom 22.04.1997 abgelehnt. Der Widerspruch war erfolglos geblieben (ablehnender Widerspruchsbescheid vom 06.10.1997 nach zusätzlicher orthopädischer Beurteilung durch Frau Dr.K.).

Den streitgegenständlichen Rentenantrag stellte die Klägerin am 24.06.1998. Vorangegangen war in der Zeit vom 22.04. bis 13.05. 1998 ein stationäres Heilverfahren in der Reha-Klinik W. , aus dem die Klägerin mit den Diagnosen "Periarthropathia humeroscapularis links, arthroskopische Bursektomie und subacromiale Dekompression am 01.04.1998, Adipositas permagna, Diabetes mellitus Typ II B (insulinpflichtig), arterielle Hypertonie" als arbeitsunfähig, aber mit der Leistungsbeurteilung "vollschichtig für leichte körperliche Tätigkeiten ohne grobe manuelle Belastungen ..., halb- bis untervollschichtig in der letzten Tätigkeit als Phonotypistin wegen der damit verbundenen lang dauernden Zwangshaltungen des Schultergürtels" entlassen worden war.

Die Beklagte veranlasste eine internistische Untersuchung und Begutachtung durch Dr.von R. , der in seinem Gutachten vom 14.09.1998 als Diagnosen angab: "Diabetes mellitus Typ II B, Adipositas permagna, Hyperurikämie, arterielle Hypertonie, Hepatopathie, Cholecystolithiasis, Schulter-Arm-Syndrom links, LWS-Syndrom". Nach seinen Ausführungen bestand bei der Klägerin ein metabolisches Syndrom mit einem Diabetes mellitus Typ II, Adipositas permagna, Hyperurikämie und arterieller Hypertonie, wobei sekundäre Folgeerkrankungen nicht feststellbar gewesen seien. Hinweise für eine koronare Herzerkrankung hatten sich nicht ergeben, eine nur geringe Belastbarkeit (Belastungs-EKG: Abbruch nach einer Minute 80 Watt wegen Überschreitens der Ausbelastungsfrequenz und Atemnot) wurde auf Trainingsmangel und Übergewicht zurückgeführt. Der Gutachter hielt die Klägerin aus internistischer Sicht für in der Lage, in ihrem bisherigen Beruf als Schreibkraft weiterhin vollschichtig tätig zu sein, empfahl aber im Hinblick auf die Krankschreibung vor allem wegen der Beschwerden im Bereich der linken Schulter eine orthopädische Zusatzbegutachtung.

Diese erfolgte nach Ablehnung des Rentenantrags mit Bescheid vom 14.10.1998 im Widerspruchsverfahren. Der Orthopäde Dr.H. erhob die Diagnosen: 1. Schulterteilsteife links 2. Rotatorenmanschettensyndrom beider Schultern 3. Epicondylitis lateralis humeri rechts 4. funktionelles Cervicobrachialsyndrom bei beginnenden degene rativen HWS-Veränderungen 5. funktionelles dorsales und lumbales Vertebralsyndrom ohne aktuelle Beschwerden 6. Minderung des Skelettmineralsalzgehaltes und 7. Übergewicht.

Nach den Ausführungen des Gutachters war die aktive und passive Beweglichkeit der linken Schulter nach operativer Behandlung der Schulterteilsteife links und des funktionellen Rotatorenmanschettensyndroms beider Schultern am 01.04.1998 und physiotherapeutischer Nachbehandlung soweit wiederhergestellt, dass eine Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit als Schreibkraft bei körpergerechter Verhaltensweise am Arbeitsplatz mit ergonomisch richtiger Arbeitsplatzgestaltung vertretbar erschien; angesichts der langen Beschwerdeanamnese und langjähriger Adipositas schlug er eine stufenweise Wiedereingliederung vor (mit der der Arbeitgeber nach späteren Angaben der Klägerin sich nicht einverstanden zeigte). Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.1999 zurückgewiesen, da die Klägerin in der Lage sei, im bisherigen Beruf als Schreibkraft mit leichten bis mittelschweren Büroarbeiten vorwiegend im Sitzen vollschichtig tätig zu sein.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) beantragte die Klägerin die erneute Abklärung ihrer Beschwerden auf internistischem, orthopädischem und psychologisch-psychiatrischem Gebiet und legte neue Befunde über ärztliche Behandlungen im Krankenhaus M. in der Zeit vom 25.10. bis 25.11.1999 vor (u.a. "hypertensive Herzerkrankung, Verdacht auf neurokardiogene Synkope").

Das SG zog die Röntgenunterlagen Dr.H. , die Akten des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II/Außenstelle Regensburg, die Unterlagen des MDK in Bayern und des zuständigen Arbeitsamts, einen Bericht der Dr.Z. vom 27.06.2000, die ärztlichen Unterlagen des behandelnden Arztes Dr.G. , einen Ausdruck der Mitgliedsdaten der DAK mit den Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin von 1986 bis 1999 sowie eine Arbeitgeberauskunft vom 05.07.2000 bei. Aus der Auskunft der DAK vom 05.07.2000 ergab sich, dass die Klägerin ihre Tätigkeit dort ungelernt (Berufsanfängerin nach mittlerer Reife) begonnen hatte und zuletzt nach Vergütungsgruppe 4/5 der Gehaltstabelle II des Ersatzkassentarifvertrages bezahlt worden war.

Im Wege der Beweisaufnahme holte das SG ein nervenärztliches Gutachten des Dr.M. vom 17.10.2000 ein. Die Klägerin klagte bei der Untersuchung über orthopädische Beschwerden (rechte Schulter, Knie rechts, rechter Ellbogen und Handgelenk rechts), über Herzschmerzen und hohen Blutdruck, Kopfschmerzen einmal pro Woche, daneben andersartige Kopfschmerzen monatlich zur Zeit der Periode. Sie gab an, als Diabetikerin spritze sie sich täglich, der Zucker spinne manchmal.

Auf Grund der klinischen Untersuchung und technischer Zusatzuntersuchungen (EEG, Dopplersonographie, Neurographie des rechten Nervus peronaeus, EMG) erhob der Gutachter die Diagnosen: "HWS-Syndrom mit Spannungskopfschmerz ohne neurologisch bedeutsame Ausfälle, LWS-Syndrom ohne neurologisch bedeutsame Ausfälle, einfache Migräne, Neurasthenie". Er führte dazu aus, dass sich Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit durch die Diagnosen auf neurologischem Gebiet nicht begründen lasse, eine diabetische Polyneuropathie sei, wie schon bei allen früheren Untersuchungen, nicht nachzuweisen. Die psychopathologische Symptomatik (vermehrte Nervosität, Unruhe, psychovegetative Labilität, leichtere Depressionen, Schlafstörungen) sei am ehesten der Diagnose einer Neurasthenie zuzuordnen und allenfalls leichtgradig ausgeprägt; Behandlungsbedürftigkeit bestehe nicht, ebenso keine Leistungsminderung. Der Gutachter hielt Tätigkeiten als Phonotypistin sowie leichte bis kurzfristig mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Ausschluss von Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in gebückter Haltung und in Zwangshaltungen sowie über Kopf wegen der orthopädischen Beschwerden vollschichtig für möglich, darunter auch Arbeiten an Büromaschinen und am Bildschirm.

Auf Antrag der Klägerin erstellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. am 30.07.2001 ein nervenärztliches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Er legte dar, dass in den bisherigen Untersuchungen und Begutachtungen die psychosomatischen Aspekte zu kurz kämen, und diagnostizierte nach einer überwiegend unter tiefenpsychologischen Aspekten durchgeführten Untersuchung bei der Klägerin eine psychische Fehlentwicklung im Sinne einer depressiven Neurose bzw. Neurasthenie, eine ausgeprägte Somatisierungsstörung mit Schmerzsyndrom, Adipositas permagna, Migräne und Spannungskopfschmerz. Er führte dazu aus, dass es sich neben den orthopädischen Beschwerden und den internistischen (genetisch mitbedingten, aber auch psychodynamisch zu deutenden) Komplikationen um eine früh determi- nierte Störung der Entwicklung im Sinne einer Psychoneurose handle, die mit niedrigem Selbstwertgefühl, starken Selbstzweifeln, ausgeprägtem Bemühen, es jedem recht zu machen, sowie mit der Verleugnung eigener Wünsche und Verzichtshaltung einhergehe, ferner eine Neigung zur Somatisierung von Konflikten gewissermaßen als Ausweg. Insgesamt seien die Bewältigungsstrategien der Klägerin jetzt erschöpft und führten zu weiterhin zunehmenden Somatisierungen, objektivierbaren Funktionsstörungen und Funktionseinschränkungen deutlichen Ausmaßes, die nicht mehr ausreichend kompensiert werden könnten. Er sah die Klägerin daher nicht mehr als in der Lage an, spätestens seit 1997 mehr als ca. drei Stunden täglich berufliche Tätigkeiten zu verrichten. Dieser Zustand sei von Dauer, die Möglichkeiten einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit durch Maßnahmen der orthopädischen Rehabilitation seien erschöpft, psychosomatische bzw. psychotherapeutische Rehabilitationsmaßnahmen seien angesichts des Alters der Klägerin und der Chronifizierung ihres Zustandes bezüglich einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr erfolgversprechend. Psychosomatisch/psychotherapeutische Maßnahmen könnten lediglich zur Symptomminderung und zur allgemeinen Besserung der Lebensqualität führen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 28.09.2001 ab mit der knappen Begründung, die Klägerin könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschich- tig ohne Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken und Zwangshaltungen sowie ohne Überkopfarbeiten verrichten. Auf internistischem Gebiet hätten sich, wie das von der Beklagten eingeholte Gutachten des Dr.von R. und die ärztlichen Unterlagen über stationäre und ambulante Behandlungen zeigten, keine wesentlichen Erkrankungen ergeben. Auf nervenärztlichem Gebiet folgte das Gericht den Ausführungen des Dr.M. im Gutachten vom 17.10.2000, der als erfahrener und bewährter Gerichtsgutachter bekannt sei. Der Leistungsbeurteilung im Gutachten des Dr.B. , der keine eigentlichen Abweichungen von den Vorbefunden festgestellt und auch keine psychopathologischen Auffälligkeiten festgehalten habe, schloss sich das SG dementsprechend nicht an.

Mit der Berufung verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter und berief sich auf das ihres Erachtens überzeugende Gutachten des Dr.B. , der zu Recht ein Zusammenwirken zwischen den von ihm dargestellten psychodynamischen Faktoren und den gravierenden somatischen Faktoren insbesondere auf orthopädischem Gebiet sehe, ferner auf die Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung über bestehende Arbeitsunfähigkeit auf Dauer. Sie vertritt die Auffassung, dass es angesichts der gegenteiligen Ergebnisse in den nervenärztlichen Gutachten der ersten Instanz zu weiterer Sachaufklärung hätte kommen müssen.

Die Beklagte verwies darauf, dass Dr.B. weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Gebiet abweichende Befunde habe feststellen können, auf die es im Rentenrecht ankomme. Die neurosenpsychologische Sichtweise des Gutachters und die das Persönlichkeitsbild der Klägern prägende Psychodynamik sei nachvollziehbar, daraus lasse sich aber nicht ableiten, dass diese nicht die psychische Kraft besitze, ihre Einschränkungen zurückzudrängen und sich einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zuzuwenden, wie ihr das bis zur Krankschreibung bei gleicher biografischer Entwicklungsgrundlage gelungen sei. Auch das Freizeitverhalten der Klägerin lasse im Übrigen keine gravierende Beeinträchtigung erkennen, wie Angaben im Gutachten Dr.M. zeigten.

Der Senat zog die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamts Regensburg (GdB 60) und Befundberichte und ärztliche Unterlagen des Dr.G. vom 19.12.2002 (Diagnosen u.a.: schwer einstellbarer, zu Entgleisung neigender Diabetes mellitus Typ II, insulinpflichtig; arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung und Herzmuskelinsuffizienz, Harninkontinenz, diabetische Neuropathien; kontinuierliche Befundverschlechterung seit 2000) und des Orthopäden Dr.M. vom 05.02.2003 ("Beschwerden seit Jahren im Wesentlichen unverändert") bei. Er beauftragte wegen der von Dr.G. dargelegten Verschlechterung den Internisten Prof.Dr.E. mit der erneuten Begutachtung der Klägerin. Im Gutachten vom 24.03.2003 gibt die Klägerin anamnestisch Insulinbehandlung nach Messwert (viermal tägliche Injektionen) bei wiederkehrenden Unterzuckerungszuständen an, ferner eine inzwischen erfolgte Laserung beider Augen nach Einrissen der Netzhaut und Gallenoperation im Februar 2003. Der Gutachter erhob ein metabolisches Syndrom (massive Übergewichtigkeit, Bluthochdruck und Diabetes mellitus) sowie eine hypertensive Herzerkrankung mit guter Pumpfunktion des Herzens. Diabetische Spätschäden fanden sich angesichts konsequenter Insulinbehandlung (täglich viermalige Insulininjektion) bei unvermeidbaren gelegentlichen Unterzuckerzuständen nicht. Auch der Bluthochdruck war unter entsprechender medikamentöser Behandlung weitgehend ausgeglichen. Folgeschäden bestehen insoweit in Form einer Verdickung der linken Herzwandmuskulatur und einer daraus resultierenden Relaxationsstörung (diastolische Funktionsstörung), nicht aber weitere Störungen. Die angegebene chronische Müdigkeit war als Somatisierungsstörung der von Dr.M. diagnostizierten Neurasthenie zuzuordnen.

Auf Grund des bei der Klägerin seit Antragstellung bestehenden metabolischen Syndroms ohne bisher erhebliche Folgeschäden am Herz-Kreislaufsystem oder den von diabetischen Spätfolgen üblicherweise betroffenen Organen hielt der Gutachter noch leichte körperliche Arbeiten, z.B. Büroarbeiten, acht Stunden täglich für zumutbar, wobei lediglich gefahrgeneigte Tätigkeiten, längeres Stehen sowie Akkord- und Schichtarbeiten auszuschließen seien. Allerdings müsse am Arbeitsplatz die Möglichkeit zu drei bis vier kleineren Zwischenmahlzeiten (Dauer jeweils fünf bis zehn Minuten) während einer achtstündigen Arbeitsschicht eingeräumt- drastische Gewichtsreduzierung - vorrangiges Ziel bei der Behandlung des metabolischen Syndroms - sei nach dem bisherigen Verlauf wahrscheinlich nicht zu erwarten.

Die Beklagte vertrat in ihrer Stellungnahme zu diesem Gutachten die Auffassung, es bestätige die bisherige Leistungsbeurteilung einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit. Im Vordergrund stehe wohl das erhebliche Übergewicht, ein Fehlverhalten, das von der Klägerin selbst behandelt werden oder in entsprechenden Selbsthilfegruppen bearbeitet werden könne.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.09.2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr ab Rentenantragstellung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogene Rentenakte der Beklagten und die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung, Außenstelle Regensburg, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und zulässige Berufung (§§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist nicht begründet.

Das angefochtene Urteil ist - auch bei Berücksichtigung der- beanstanden. Anspruch auf die beantragte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit besteht nicht.

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten gesunken ist; der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2 Satz 1, 2 und 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der hier noch anzuwendenden bis 31.12.2000 geltenden Fassung).

Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder -einkommen zu erzielen, das monatlich 630,00 DM übersteigt; ... erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung).

Teilweise erwerbsgemindert ist der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbsfähig zu sein, und voll erwerbsgemindert der Versicherte, der unter den gleichen Voraussetzungen außer Stande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.1 Satz 2 und Abs.2 Satz 2 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung).

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht gegeben. Es liegen bei ihr Gesundheitsstörungen auf orthopädischem, nervenärztlichem und internistischem Gebiet vor, nämlich im Wesentlichen ein HWS-Syndrom mit Spannungskopfschmerz ohne neurologisch bedeutsame Ausfälle, ein LWS-Syndrom ohne neurologisch bedeutsame Ausfälle, eine Migräne und eine Neurasthenie (festgestellt vom nervenärztlichen Gutachter Dr.M. im erstinstanzlichen Verfahren) sowie ein metabolisches Syndrom mit massiver Übergewichtigkeit, ein Bluthochdruck und ein Diabetes mellitus (keine diabetischen Spätschäden) und eine hypertensive Herzerkrankung mit noch guter Pumpfunktion des Herzens (festgestellt durch Prof.Dr.E. im Gutachten vom 24.03.2003). Die darauf beruhenden Leistungseinschränkungen haben beide Gutachter nachvollziehbar dargelegt: In Übereinstimmung mit den Vorgutachtern im Rentenverfahren, Dr.von R. (Internist) und Dr.H. (Orthopäde) sahen sie leichte und kurzfristig mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten, Bücken, längeres Stehen, ohne andauernde Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten und gefahrgeneigte Arbeiten - ausdrücklich auch Arbeiten an Büromaschinen und am Bildschirm - als vollschichtig möglich an. Dieses Leistungsbild setzt allerdings nach den Ausführungen des Prof.E. voraus, dass die Klägerin am Arbeitsplatz für nötige diätetische Maßnahmen die Möglichkeit von drei bis vier kleinen Zwischenmahlzeiten während einer achtstündigen Arbeitsschicht und die Möglichkeit zur Blutzuckerkontrolle hat. Diese erstmals im Berufungsverfahren gutachtlich aufgeführte Arbeitsbedingung erscheint ohne weiteres nachvollziehbar, da aus den ärztlichen Unterlagen seit 1996 ersichtlich ist, dass es seit der Neueinstellung der Klägerin auf Insulin Anfang 1996 und erneuter Neueinstellung während eines Klinikaufenthalts im November 1999 (nunmehr offenbar viermaliges Spritzen täglich) zu wiederkehrenden präsynkopalen Zuständen (Zustände erheblicher vegetativer Dysregulation), auch mit Bewusstseinsverlust, gekommen ist - vermutet wurden- behandelnde Arzt Dr.G. in seinem Befundbericht vom 19.12.2002 noch von einem schwer einstellbaren, zu Entgleisung neigenden Diabetes mellitus Typ II spricht.

Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an. Einer weiteren orthopädischen Begutachtung bedarf es nach seiner Auffassung nicht. Dies entspricht auch den Aussagen der Gutachter Dr.M. und Prof.Dr.E., obwohl andererseits zu sehen ist, dass die Klägerin vom MDK 1998 wegen der Schulterproblematik als auf Dauer arbeitsunfähig bezeichnet wurde und die Entlassung aus dem im Frühjahr 1998 durchgeführten Heilverfahren mit der Beurteilung einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgte, als Phonotypistin aber wegen der damit verbundenen "lang dauernden Zwangshaltungen vor allem des Schultergürtels" eine Einschränkung auf halb- bis untervollschichtig gemacht wurde. Dies mag an der zeitlichen Nähe zu der Anfang 1998 erfolgten Arthroskopie, Bursektomie und subacromialen Dekompression der linken Schulter gelegen haben, die sich nach längerer Nachbehandlung durch Infiltrationsbehandlung und Krankengymnastik gebessert hat. Bei der Begutachtung durch Prof.Dr.E. werden in den anamnestischen Angaben der Klägerin nur mehr Beschwerden der unteren Wirbelsäule und der Kniegelenke auf orthopädischem Gebiet aufgeführt.

Ein weiteres nervenärztliches Gutachten im Hinblick auf die Diskrepanzen zwischen den beiden nervenärztlichen Gutachten des Dr.M. und Dr.B. im erstinstanzlichen Verfahren ist ebenfalls nicht notwendig. Insoweit ist mit dem Erstgericht den Ausführungen des Dr.M. zu folgen, während die Leistungsbeurteilung des Dr.B. nicht vollständig nachvollziehbar erscheint. Dessen nach tiefenpsychologischen bzw. psychodynamischen Aspekten aufgebautes Gutachten erbringt zwar interessante neue Gesichtspunkte hinsichtlich des Persönlichkeitsbildes der Klägerin, jedoch keine gegenüber der Begutachtung durch Dr.M. wesentlichen abweichenden "harten" objektiven Befunde. Zu Recht führt die Beklagte dagegen an, dass im Rentenrecht phänomenologisch deskriptive Aspekte gelten, erforderlich sei die objektive Feststellung von Funktionseinschränkungen. So ist nicht wirklich erkennbar, warum die "Bewältigungsstrategien" der Klägerin erschöpft sein sollten, sodass eine vollschichtige Erwerbstätigkeit nicht mehr zumutbar ist.

Nach alledem ist von einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin mit den genannten Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen, auch für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Phonotypistin. Ausgehend von diesem "bisherigen Beruf", der nach dem Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts dem ungelernten bzw. (unteren) angelernten Bereich zuzuordnen ist, ist die Klägerin auch auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, wo sie z.B. Bürohilfstätigkeiten oder auch Tätigkeiten einer Postabfertigerin (im öffentlichen Dienst) verrichten könnte. Es handelt sich dabei ebenfalls um eine leichtere körperliche Tätigkeit, die dem Leistungsvermögen der Klägerin entspricht. Der Arbeitsmarkt kann für die Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt als verschlossen angesehen werden, dass sie wegen der Notwendigkeit der Einnahme von drei bis vier kleineren Zwischenmahlzeiten während einer achtstündigen Arbeitsschicht und der Möglichkeit einer Blutzuckerkontrolle nur mehr unter nicht betriebsüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten könne. Es bedarf dazu keiner im Arbeitszeitgesetz nicht vorgesehener zusätzlicher Arbeitspausen, vielmehr kann die Klägerin die jeweils notwendigen Maßnahmen im Rahmen ihrer persönlichen Verteilzeit treffen. Zu diesen sog. Verteilzeiten, die den Arbeitnehmern üblicherweise zugestanden werden (z.B. für Vorbereiten bzw. Aufräumen des Arbeitsplatzes, Aufsuchen der Toilette, Unterbrechungen oder Störungen durch Dritte usw.) ist im Handbuch der sozialmedizinischen Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung (5. Auflage), herausgegeben vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger, aufgeführt, dass es sich um Kurzpausen handle, die für den Bürobereich üblicherweise mit sieben Minuten pro Stunde kalkuliert würden. Hinzu kommt im Übrigen, dass speziell für Bildschirmarbeitsplätze in den Tarifvereinbarungen eine kurze Pause bereits nach einer Stunde vorgesehen ist. Die Klägerin, deren Bedarf an entsprechenden Arbeitsunterbrechungen vom Gutachter mit drei bis vier kleineren Zwischenmahlzeiten von jeweils fünf bis zehn Minuten während einer achtstündigen Arbeitsschicht angegeben wird, kann dies im Rahmen der persönlichen Verteilzeit erledigen, da z.B. das Essen eines Apfels keine zehn Minuten erfordert und offenbar auch nicht jedes Mal eine Blutzuckerkontrolle notwendig ist. Insoweit muss aber die Möglichkeit dazu bestehen, ebenso wie für das wohl etwa zweimal während der Arbeitszeit erforderliche Injizieren von Insulin, das bei täglicher Handhabung zur Routine wird. Zwar ist eine Eigenbestimmung des jeweiligen Zeitpunktes entsprechend den gesundheitlichen Erfordernissen im Rahmen der persönlichen Verteilzeit nicht immer gewährleistet, Unterbrechungen als Verteilzeiten sind vielmehr abhängig vom Arbeitsablauf, also von betrieblichen Zwängen. Bei Schreibtätigkeiten, wie sie die Klägerin ihr Leben lang ausgeführt hat, dürfte insoweit jedoch kein größeres Problem entstehen. Auch die erforderliche gewisse Rücksichtnahme bzw. Akzeptanz durch den Arbeitgeber etwa bezüglich der Einnahme kleinerer Mahlzeiten am Arbeitsplatz mag zwar im allgemeinen Arbeitsleben nicht immer gegeben sein. Gesichtspunkte dieser Art treten jedoch hinsichtlich der Art der bisherigen Tätigkeit der Klägerin und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis vorliegend zurück.

Bei dieser Sachlage hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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