Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 121/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 13.02.2003 (Bescheid vom 13.05.2003) wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Arzneiregressen für die Quartale I, III und IV/99 in Höhe von insgesamt 98.284,36 EURO.
Der Kläger nimmt als in L der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die Beigeladenen schlossen im Jahre 1998 eine Vereinbarung über das Arznei-, Verband- und Heilmittelbudget 1998 sowie über Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel (im Folgenden: Vereinbarung 1998), welche im Rheinischen Ärzteblatt 8/98, Seite 57 ff. mit einer Anlage A veröffentlicht wurde. In der veröffentlichten Anlage A sind 4 Zahlen durchgestrichen. Für das Jahr 1999 haben die Beigeladenen eine unter dem Datum des 00.00.0000 unterschriebene Folgevereinbarung (im Folgenden: Vereinbarung 1999) vorgelegt, mit welcher die Budgetobergrenze erhöht wurde, die Anlagen A und B der Vereinbarung 1998 jedoch unverändert weiter gelten sollten. Diese Vereinbarung 1999 wurde nicht veröffentlicht.
Mit Schreiben vom 26.06. und 09.10.2000 sowie 18.01. und 18.04.2001 wurde der Kläger darüber informiert, dass die Beigeladenen in seinem Fall Anträge auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgrößen für die 4 Quartale 1999 gestellt hätten. In der Folgezeit wurde der Kläger darüber informiert, dass er folgende Unterlagen einsehen könne: Liste der verordneten Arzneimittel -nach ATC sortiert- sowie die Arzneipatienten-Tabelle. Übersandt wurden ihm die Übersicht "Indikation nach ATC" sowie für die Quartale I und II/99 korrigierte Quartalsbilanzen sowie Prüfberichte. In seiner Sitzung vom 00.00.0000 verhängte der Prüfungsausschuss schließlich folgende Arzneiregresse gegen den Kläger (Bescheid vom 00.00.0000):
I/99 32.943,72 EURO
III/99 11.715,08 EURO
IV/99 43.006,49 EURO
Festgestellt wurde, dass der Kläger die Richtgrößen wie folgt überschritten habe: in I/99 um 133,35 %, in II/99 um 92,89 %, in III/99 um 125,69 % sowie in IV/99 um 172,98 %. Nach Abzug von Praxisbesonderheiten sowie Apothekenrabatt und Patientenzuzahlungen seien in den Quartalen I, III und IV/99 die Beträge oberhalb von 40 % gegenüber der Richtgrößensumme regressiert worden. Für II/99 sei keine Maßnahme ergriffen worden, weil die Überschreitung nach Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten nur 34,73 % betragen habe.
Hiergegen haben sowohl der Kläger als auch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung im Rheinland Widerspruch erhoben. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, Prüfungen bei Überschreitung der Richtgrößen seien immer für den Zeitraum eines gesamten Kalenderjahres durchzuführen, was vorliegend nicht geschehen sei. Außerdem stehe die erforderliche Datenmenge nach der Prüfvereinbarung nicht zur Verfügung. Es müssten die Originalunterlagen vorgelegt werden. Der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Rheinland hat ausgeführt, es sei nicht plausibel, weshalb die Kosten für den "keine-Angaben"-Bereich abgezogen worden seien. Bei den Verordnungen mit der Kennzeichnung "keine Angaben" handele es sich vorwiegend um solche Arzneimittel, die zum therapeutischen Erscheinungsbild einer allgemeinmedizinisch ausgerichteten Praxis gehörten. Verordnet worden seien im Wesentlichen Omeprazol sowie weitere Magen- und Darmmittel in unterschiedlichen Packungsgrößen, vorwiegend Großpackungen, neben vereinzelten Rezepturen, Venenpräparate und niedermolekulares Heparin (Clexane) sowie diverse Hilfsmittel, wie Blutdruckmessgeräte, Lanzetten, Insulinspritzen und Materialien der Inkontinenzversorgung. Entsprechend müssten die verhängten Regresse erhöht bzw. für das Quartal II/99 ein entsprechender Regress festgesetzt werden.
In seiner Sitzung vom 00.00.0000 (Bescheid vom 13.05.2003) hat der Beklagte schließlich die Regresse für I, III und IV/99 auf 35.924,59 EURO, 15.718,09 EURO sowie 46.641,68 EURO erhöht sowie den Widerspruch der Kassen zum Quartal II/99 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Verordnungen mit der Kennzeichnung "keine Angaben" seien in den von den Kassen nachgewiesenen Fällen in die Regressierung mit einbezogen worden. Von Amts wegen seien als Praxisbesonderheiten Antidiabetika, Analgetika, Immunstimulantien sowie antivirale Pharmaka anerkannt worden. Abgezogen worden seien ferner Verordnungen aus bereits abgeschlossenen Verfahren wegen der Feststellung von unzulässigen Arzneiverordnungen. Unter Berücksichtigung der jeweils günstigsten Nettokostenindexe von 83,06 % (I/99), 84,77 % (III/99) sowie 84,21 % (IV/99) und der Überschreitung der Richtgröße ab 40 % ergäben sich die jeweiligen Regresssummen. Da im Quartal II/99 nach Abzug der Praxisbesonderheiten nur noch eine Restüberschreitung unterhalb von 40 % vorliege, sei für dieses Quartal der Kassenwiderspruch zurückgewiesen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er sei Staatsangehöriger und behandele überwiegend multimorbide Patienten aus seinem Heimatstaat. Im Übrigen liege eine den gesetzlichen Vorschriften genügende Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 1999 nicht vor. Eine solche Vereinbarung sei zwar angeblich am 29.09.1999 getroffen, jedoch nicht veröffentlicht worden. Nach Art. 17 GKV-SolG seien Richtgrößenvereinbarungen für das Jahr 1999 von den von dem Gesetz vorgesehenen Vertragspartnern bis zum 31.03.1999 zu vereinbaren. Sofern sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht zustande gekommen seien, habe das Schiedsamt den Vertragsinhalt bis zum 30.06.1999 festsetzen müssen. Nach § 84 Abs. 4 SGB V a.F. hätten Richtgrößen bis zum Inkrafttreten von Folgevereinbarungen noch weiter gelten können. Hier sei es aber weder für 1998 noch für 1999 zu einer wirksamen Richtgrößenvereinbarung gekommen. Auch die Vereinbarung 1998 sei jedoch unwirksam, weil zum einen die Anlage mit den arztgruppenspezifischen Richtgrößen fehle, zum anderen die Vereinbarung kein Datum erkennen lasse und auch nicht rechtswirksam von den Vertragspartnern unterzeichnet worden sei. Die Richtgrößenprüfung sei hier in einem absolut rechtsfreien Raum durchgeführt worden. Informationen über die Richtgrößen 1999 habe der Kläger erstmals mit Schreiben der Beigeladenen zu 8) aus dem Jahre 2000 im Wege sogenannter Quartalsbilanzen über seine Arzneimittelverordnungen erhalten. Eine Steuerung seines Arzneimittelverordnungsverhaltens sei ihm jedenfalls für den hier im Streit stehenden Zeitraum nicht mehr möglich gewesen. Der präventive und steuernde Charakter der Festlegung von Richtgrößen sei jedoch bereits durch die Gesetzesbegründung zum GKV-Solidaritäts-Stärkungsgesetz vom 01.01.1999 bestätigt worden. Der Festlegung von Richtgrößen komme kein sanktionierender, sondern vielmehr ein präventiver und steuernder Charakter zu. Dem Arzt solle es ermöglicht werden, vor der eigentlichen Leistungserbringung durch Reflektion der ihm bekannten Richtgrößen seiner Arztgruppe Einsparpotentiale in seiner Verordnungspraxis auszuschöpfen. Dieses gesetzgeberische Ziel könne jedoch nicht erreicht werden, wenn dem betroffenen Vertragsarzt im gesamten Jahr 1999 weder die Richtgröße noch die entsprechende Vereinbarung auf Landesebene bekannt sei. Im Übrigen habe sich die Richtgrößenvereinbarung 1999 auf das gesamte Jahr zu beziehen. Ferner hätten valide Verordnungsdaten zum Arzneimittelverordnungsverhalten des Klägers im Kalenderjahr 1999 nicht vorgelegen. Eine Schätzung oder Hochrechnung sei nicht zulässig.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 00.00.0000 in der Gestalt des Bescheides vom 00.00.0000 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sowohl der Beklagte als auch die Beigeladene zu 1) haben auf ihren Vortrag und den der Beigeladenen zu 8) in den Parallelverfahren S 00 KA 000/00 sowie S 00 KA 000/00 ER Bezug genommen. Dort haben sie im Wesentlichen folgendes vorgetragen: Das Unterschriftenverfahren hinsichtlich der Vereinbarung 1998 sei ausweislich eines Schreibens der Beigeladenen zu 8) zumindest am 18.06.1998 abgeschlossen gewesen. In der Anlage A der Vereinbarung 1998 seien -abweichend von der Veröffentlichung- keine Zahlen durchgestrichen worden; der Strich habe lediglich auf eine Differenz des zweiten zum ersten Betrages hinweisen sollen.
Die Vereinbarung 1998 habe hinsichtlich der Richtgrößen über das Jahr 1998 hinaus gegolten, bis sie durch eine neue Richtgrößenvereinbarung abgelöst worden sei. Dies ergebe sich sowohl aus der Bezeichnung des Vertrages als auch aus dem Vertragstext. Die in § 84 SGB V vorgesehenen Richtgrößenvereinbarungen hätten im Hinblick auf die Regelung in § 106 SGB V das Ziel, die Prüfgremien bei der Festsetzung von Maßnahmen bei Überschreitung der Richtgrößen in ihren Entscheidungen zu binden. Demgemäß richteten sie sich nicht an den ohnehin zur wirtschaftlichen Verordnungsweise verpflichteten Arzt, sondern an die Prüfgremien. Die Richtgrößen bedürften deshalb zu ihrer Wirksamkeit keiner förmlichen Veröffentlichung, da Rechte und Pflichten der Mitglieder durch diese nicht begründet würden. Im Übrigen hätten sich die Vertragsärzte von Beginn an auch ohne eine Veröffentlichung auf die Richtgrößen einstellen können. Frühinformationen seien von der Beigeladenen zu 8) bereits in den Jahren 1998 und 1999 an die Vertragsärzte verschickt worden. Die Beigeladenen seien sich im Übrigen bereits bis Ende März 1999 über die wesentlichen Punkte der Arznei- und Heilmittelbudget- bzw. Richtgrößenvereinbarung 1999 einig gewesen, so dass die Einschaltung des Schiedsamts nicht nötig gewesen sei. Im Übrigen sei das im Fall des Klägers vorliegende Datenmaterial für die Richtgrößenprüfung 1999 ausreichend gewesen.
Die Beigeladenen zu 1), 3) bis 5) und 8) haben in der mündlichen Verhandlung S 00 KA 000/00, an der auch der Kläger-Bevollmächtigte teilgenommen hat, Einsicht in ihre Exemplare der Vereinbarung 1998 gewährt: Diese waren jeweils von Vertretern aller Vertragspartner unterschrieben, ohne Datumsangabe. Die Anlage A 1998 enthielt keine durchgestrichenen Zahlen (abweichend von der veröffentlichten Form). Die von der Beigeladenen zu 8) vorgelegte Vereinbarung 1999 wies das Datum des 00.00.0000 und Unterschriften von Vertretern aller Vertragspartner aus.
Die Beigeladenen zu 2) bis 8) sind zu der mündlichen Verhandlung des 00.00.0000 rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden, wurden dort jedoch nicht vertreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie der beigezogenen Gerichtsakten S 00 KA 000/00 sowie S 00 KA 000/00 ER verwiesen. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist Gelegenheit gegeben worden, in die von den Beigeladenen übersandten Unterlagen zu den Vereinbarungen 1998 und 1999 sowie zum Prüfverfahren Einsicht zu nehmen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl für die Beigeladenen zu 2) bis 8) niemand in der mündlichen Verhandlung erschienen ist, konnte die Kammer verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit sind alle Beteiligten mit der rechtzeitig und ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch im vollen Umfang begründet. Denn der angefochtene Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 00.00.0000 (Bescheid vom 00.00.0000) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Nach § 106 Abs. 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Versorgung. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung kann u.a. geprüft werden durch die arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V in der hier maßgeblichen, im Jahre 1999, geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SolG) vom 19.12.1998. Zum Zwecke solcher Richtgrößenprüfungen haben die Beigeladenen ein Budget als Obergrenze für die insgesamt von den Vertragsärzten veranlassten Ausgaben für Arznei-, Verband- und Heilmittel zu vereinbaren. Dieses Budget ist für das jeweils folgende Kalenderjahr zu vereinbaren (§ 84 Abs. 1 SGB V in der in den Jahren 1998 und 1999 gültigen Fassung). Mithin war das Budget für das Jahr 1998 grundsätzlich bereits 1997 zu vereinbaren bzw. das Budget für 1999 noch im Jahre 1998. Nach § 84 Abs. 3 SGB V in der im Jahre 1998 und 1999 gültigen Fassung haben die Beigeladenen für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln zu vereinbaren. Nach § 84 Abs. 5 SGB V (Fassung von Juli bis Dezember 1998) bzw. § 84 Abs. 4 SGB V (Fassung 1999) gelten das Budget nach Abs. 1 und die Richtgrößen nach Abs. 3 bis zum Inkrafttreten von Folgevereinbarungen.
Ergänzend hierzu war speziell für das Jahr 1999 Folgendes in Artikel 17 GKV-SolG geregelt:
Kommen für das Jahr 1999 Vereinbarungen nach § 84 Abs. 3, § 85 Abs. 2 und 3 und § 106 SGB V bis zum 31.03.1999 ganz oder teilweise nicht zustande, setzt das Schiedsamt (§ 89 SGB V) den Vertragsinhalt bis zum 30.06.1999 fest. Der Vorsitzende des Schiedsamts stellt unverzüglich nach Ablauf der Frist fest, ob die in Satz 1 genannten Voraussetzungen für die Festsetzung des Vertragsinhalts durch das Schiedsamt vorliegen. Die Vertragsparteien teilen dem Vorsitzenden des Schiedsamts unverzüglich nach Ablauf der Frist mit, ob ein Vertrag nach Satz 1 zustande gekommen ist.
Dieses Regelungsgefüge interpretiert die Kammer angesichts des Zwecks der Richtgrößen (dazu nachfolgend) dahingehend, dass Richtgrößenvereinbarungen aus 1998 längstens bis 31.03.1999 fortgelten konnten, sofern sich die Vertragsparteien bis dahin nicht vollständig in Bezug auf die für 1999 zu treffende Vereinbarung geeinigt hatten. Danach sollte das Schiedsverfahren unverzüglich in Gang gesetzt werden, welches mindestens bis zum 30.06.1999 durch Festsetzung des Vertragsinhalts beendet sein musste. Nach Ablauf des 30.06.1999 konnte nach Auffassung der Kammer eine Richtgrößenvereinbarung 1999 nicht mehr geschlossen werden. Hingegen blieb es den Vertragsparteien unbenommen, stattdessen für 1999 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten durchzuführen (§ 106 Abs. 2 Satz 1, Nr. 1, 1. Alternative SGB V 1999). Richtgrößen sollen zum einen Maßstäbe für eine Auffälligkeitsprüfung im Rahmen des § 106 Abs. 2 Satz 1, Nr. 1, 2. Alternative SGB V liefern (vgl. Ausschussbericht zum 2. GKV-NOG, BT-Drucksache 13/7264, S. 55), zum anderen die Vertragsärzte bei ihren Entscheidungen über die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot leiten (vgl. § 84 Abs. 6, Satz 3 und 4 SGB V in der seit 2002 geltenden Fassung). Bei den Richtgrößen handelt es sich im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V um eine Sollvorgabe, an der sich das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes auszurichten hat. Sofern nämlich eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt ist, führt diese ab einer bestimmten Größenordnung zu Sanktionen in Form von Verordnungsregressen. Dass den Richtgrößen eine präventive Steuerungsfunktion zukommt, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. z. B. LSG Berlin, Beschluss vom 15.05.2003 -L 7 B 309/02 KA-; SG Berlin, Beschluss vom 08.05.2002 -S 71 KA 76/02 ER-; SG Dresden, Beschluss vom 15.07.2002 -S 11 KA 594/02 ER-; Peters-Hencke, KV-SGB V, § 84 Rdnr. 13; Hauck-Engelhard, § 106 SGB V, Rdnr. 97 h und i). Abweichend vom Vortrag der Beigeladenen zu 8) im Parallelverfahren sind ersichtlich auch alle Beigeladenen bislang von der steuernden Funktion der Richtgrößen ausgegangen. Dies ergibt sich bereits aus Teil C der Vereinbarung 1998. Danach sollte die Anlage 2 zur Prüfvereinbarung ab April 1998 folgende Fassung erhalten:
§ 2 Information der Vertragsärzte
(3) Die Daten nach Absatz 1 dienen in erster Linie dazu, den Vertragsärzten Informationen über das Kostenvolumen ihrer Verordnungstätigkeit im Vergleich zur Richtgrößensumme zu geben ... Die Informationen sollen den Vertragsärzten Orientierung in dem Bemühen geben, Überschreitungen der Richtgrößen zu vermeiden bzw. auszugleichen. Die Vertrag-partner verständigen sich auf eine standardisierte Informationsunterlage für die nordrheinischen Vertragsärzte.
Diese steuernde Funktion konnten das Budget und die Richtgrößen 1999 aber nur dann entfalten, wenn sie bestenfalls bereits für das folgende Kalenderjahr, spätestens aber bis zum ersten Halbjahr 1999 durch das Schiedsamt festgelegt waren. Dies war hier unstreitig nicht der Fall. Die Vereinbarung 1999 ist vielmehr erst Ende September 1999 geschlossen und zudem nicht veröffentlicht worden. Die Richtgrößenvereinbarung 1999 ist nicht nur wegen des Verstoßes gegen Artikel 17 GKV-SolG, sondern auch wegen der fehlenden Veröffentlichung unwirksam. Richtgrößenvereinbarungen sind -ebenso wie Prüfvereinbarungen- öffentlich-rechtliche Verträge mit Rechtsnormcharakter im Range untergesetzlichen Landesrechts (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2001 -B 6 KA 66/00 R- zu Prüfvereinbarungen), weil sie gegenüber den am Vertragsschluss nicht beteiligten Vertragsärzten unmittelbar rechtliche Außenwirkung entfalten und Sanktionen -hier: Arzneiregresse- rechtfertigen. Richtgrößenvereinbarungen werden deshalb erst dann wirksam, wenn die betroffenen Ärzte durch die in der Satzung vorgesehenen Form, insbesondere durch Veröffentlichung in den jeweiligen Ärzteblättern, hiervon Kenntnis erhalten (vgl. Hauck-Engelhard, § 84 SGB V, Rdnr. 34, 119). Warum die Vereinbarung 1998 (allerdings mit einem unklaren Inhalt der Anlage A und ohne die Anlage B -also die Richtgrößen-) im Rheinischen Ärzteblatt veröffentlicht worden ist, die Vereinbarung 1999 dagegen nicht, ist von den Beigeladenen nicht dargelegt worden. Dass die Veröffentlichung der relativ umfangreichen Richtgrößenvereinbarung drucktechnisch zu bewerkstelligen ist, belegt die Publikation der Richtgrößenvereinbarung 2001 im Rheinischen Ärzteblatt 6 /01.
Selbst wenn Art. 17 GKV-SolG hier einer Weitergeltung der Richtgrößenvereinbarung 1998 auch im Jahr 1999 nach § 84 Abs. 4 SGB V 1999 nicht entgegengestanden haben sollte, so scheitert die Fortgeltung bereits daran, dass auch die Richtgrößen 1998 (Anlage B der Vereinbarung 1998) nicht veröffentlicht worden sind. Die förmliche Veröffentlichung von untergesetzlichen Normen kann im Übrigen nicht durch das Übersenden sogenannter Trend-Infos oder anderer "Frühinformationen" an die Vertragsärzte durch die Beigeladene zu 8) ersetzt werden, zumal der Kläger - wie viele andere Vertragsärzte - bestreitet, derartige Informationen vor dem Jahr 2000 erhalten zu haben. Für die Richtigkeit dieser Ausführungen des Klägers spricht die Veröffentlichung der Beigeladenen zu 8) in ihrer Zeitschrift KVNO aktuell 6/99 (Juli 1999), Seite 23. Dort wird folgendes ausgeführt:
"Mit zwei neuen Informationen werden die nordrheinischen Ärzte künftig über ihre Arzneiverordnungskosten informiert: die "Quartalsbilanz" und die "Trend-Info". Die Trend-Info bietet arzt- und quartalsbezogen eine Frühinformation über die Arzneiverordnungskosten. Darin wird zudem das Verordnungsvolumen der Richtgrößensumme gegenübergestellt ... Die Trend-Info soll helfen, die Verordnungstätigkeit zu beobachten und Richtgrößenüberschreitungen zu vermeiden ..."
Mangels Wirksamkeit der Richtgrößenvereinbarung 1998 und 1999 entbehrte der Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 00.00.0000 (Bescheid vom 13.05.2003) mithin einer rechtlichen Grundlage und war schon deshalb aufzuheben. Da die Prüfanträge ausdrücklich auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgrößen gerichtet war, kam eine Verurteilung zur Neubescheidung nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Arzneiregressen für die Quartale I, III und IV/99 in Höhe von insgesamt 98.284,36 EURO.
Der Kläger nimmt als in L der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die Beigeladenen schlossen im Jahre 1998 eine Vereinbarung über das Arznei-, Verband- und Heilmittelbudget 1998 sowie über Richtgrößen für Arznei- und Verbandmittel (im Folgenden: Vereinbarung 1998), welche im Rheinischen Ärzteblatt 8/98, Seite 57 ff. mit einer Anlage A veröffentlicht wurde. In der veröffentlichten Anlage A sind 4 Zahlen durchgestrichen. Für das Jahr 1999 haben die Beigeladenen eine unter dem Datum des 00.00.0000 unterschriebene Folgevereinbarung (im Folgenden: Vereinbarung 1999) vorgelegt, mit welcher die Budgetobergrenze erhöht wurde, die Anlagen A und B der Vereinbarung 1998 jedoch unverändert weiter gelten sollten. Diese Vereinbarung 1999 wurde nicht veröffentlicht.
Mit Schreiben vom 26.06. und 09.10.2000 sowie 18.01. und 18.04.2001 wurde der Kläger darüber informiert, dass die Beigeladenen in seinem Fall Anträge auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgrößen für die 4 Quartale 1999 gestellt hätten. In der Folgezeit wurde der Kläger darüber informiert, dass er folgende Unterlagen einsehen könne: Liste der verordneten Arzneimittel -nach ATC sortiert- sowie die Arzneipatienten-Tabelle. Übersandt wurden ihm die Übersicht "Indikation nach ATC" sowie für die Quartale I und II/99 korrigierte Quartalsbilanzen sowie Prüfberichte. In seiner Sitzung vom 00.00.0000 verhängte der Prüfungsausschuss schließlich folgende Arzneiregresse gegen den Kläger (Bescheid vom 00.00.0000):
I/99 32.943,72 EURO
III/99 11.715,08 EURO
IV/99 43.006,49 EURO
Festgestellt wurde, dass der Kläger die Richtgrößen wie folgt überschritten habe: in I/99 um 133,35 %, in II/99 um 92,89 %, in III/99 um 125,69 % sowie in IV/99 um 172,98 %. Nach Abzug von Praxisbesonderheiten sowie Apothekenrabatt und Patientenzuzahlungen seien in den Quartalen I, III und IV/99 die Beträge oberhalb von 40 % gegenüber der Richtgrößensumme regressiert worden. Für II/99 sei keine Maßnahme ergriffen worden, weil die Überschreitung nach Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten nur 34,73 % betragen habe.
Hiergegen haben sowohl der Kläger als auch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung im Rheinland Widerspruch erhoben. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, Prüfungen bei Überschreitung der Richtgrößen seien immer für den Zeitraum eines gesamten Kalenderjahres durchzuführen, was vorliegend nicht geschehen sei. Außerdem stehe die erforderliche Datenmenge nach der Prüfvereinbarung nicht zur Verfügung. Es müssten die Originalunterlagen vorgelegt werden. Der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Rheinland hat ausgeführt, es sei nicht plausibel, weshalb die Kosten für den "keine-Angaben"-Bereich abgezogen worden seien. Bei den Verordnungen mit der Kennzeichnung "keine Angaben" handele es sich vorwiegend um solche Arzneimittel, die zum therapeutischen Erscheinungsbild einer allgemeinmedizinisch ausgerichteten Praxis gehörten. Verordnet worden seien im Wesentlichen Omeprazol sowie weitere Magen- und Darmmittel in unterschiedlichen Packungsgrößen, vorwiegend Großpackungen, neben vereinzelten Rezepturen, Venenpräparate und niedermolekulares Heparin (Clexane) sowie diverse Hilfsmittel, wie Blutdruckmessgeräte, Lanzetten, Insulinspritzen und Materialien der Inkontinenzversorgung. Entsprechend müssten die verhängten Regresse erhöht bzw. für das Quartal II/99 ein entsprechender Regress festgesetzt werden.
In seiner Sitzung vom 00.00.0000 (Bescheid vom 13.05.2003) hat der Beklagte schließlich die Regresse für I, III und IV/99 auf 35.924,59 EURO, 15.718,09 EURO sowie 46.641,68 EURO erhöht sowie den Widerspruch der Kassen zum Quartal II/99 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Verordnungen mit der Kennzeichnung "keine Angaben" seien in den von den Kassen nachgewiesenen Fällen in die Regressierung mit einbezogen worden. Von Amts wegen seien als Praxisbesonderheiten Antidiabetika, Analgetika, Immunstimulantien sowie antivirale Pharmaka anerkannt worden. Abgezogen worden seien ferner Verordnungen aus bereits abgeschlossenen Verfahren wegen der Feststellung von unzulässigen Arzneiverordnungen. Unter Berücksichtigung der jeweils günstigsten Nettokostenindexe von 83,06 % (I/99), 84,77 % (III/99) sowie 84,21 % (IV/99) und der Überschreitung der Richtgröße ab 40 % ergäben sich die jeweiligen Regresssummen. Da im Quartal II/99 nach Abzug der Praxisbesonderheiten nur noch eine Restüberschreitung unterhalb von 40 % vorliege, sei für dieses Quartal der Kassenwiderspruch zurückgewiesen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er sei Staatsangehöriger und behandele überwiegend multimorbide Patienten aus seinem Heimatstaat. Im Übrigen liege eine den gesetzlichen Vorschriften genügende Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 1999 nicht vor. Eine solche Vereinbarung sei zwar angeblich am 29.09.1999 getroffen, jedoch nicht veröffentlicht worden. Nach Art. 17 GKV-SolG seien Richtgrößenvereinbarungen für das Jahr 1999 von den von dem Gesetz vorgesehenen Vertragspartnern bis zum 31.03.1999 zu vereinbaren. Sofern sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht zustande gekommen seien, habe das Schiedsamt den Vertragsinhalt bis zum 30.06.1999 festsetzen müssen. Nach § 84 Abs. 4 SGB V a.F. hätten Richtgrößen bis zum Inkrafttreten von Folgevereinbarungen noch weiter gelten können. Hier sei es aber weder für 1998 noch für 1999 zu einer wirksamen Richtgrößenvereinbarung gekommen. Auch die Vereinbarung 1998 sei jedoch unwirksam, weil zum einen die Anlage mit den arztgruppenspezifischen Richtgrößen fehle, zum anderen die Vereinbarung kein Datum erkennen lasse und auch nicht rechtswirksam von den Vertragspartnern unterzeichnet worden sei. Die Richtgrößenprüfung sei hier in einem absolut rechtsfreien Raum durchgeführt worden. Informationen über die Richtgrößen 1999 habe der Kläger erstmals mit Schreiben der Beigeladenen zu 8) aus dem Jahre 2000 im Wege sogenannter Quartalsbilanzen über seine Arzneimittelverordnungen erhalten. Eine Steuerung seines Arzneimittelverordnungsverhaltens sei ihm jedenfalls für den hier im Streit stehenden Zeitraum nicht mehr möglich gewesen. Der präventive und steuernde Charakter der Festlegung von Richtgrößen sei jedoch bereits durch die Gesetzesbegründung zum GKV-Solidaritäts-Stärkungsgesetz vom 01.01.1999 bestätigt worden. Der Festlegung von Richtgrößen komme kein sanktionierender, sondern vielmehr ein präventiver und steuernder Charakter zu. Dem Arzt solle es ermöglicht werden, vor der eigentlichen Leistungserbringung durch Reflektion der ihm bekannten Richtgrößen seiner Arztgruppe Einsparpotentiale in seiner Verordnungspraxis auszuschöpfen. Dieses gesetzgeberische Ziel könne jedoch nicht erreicht werden, wenn dem betroffenen Vertragsarzt im gesamten Jahr 1999 weder die Richtgröße noch die entsprechende Vereinbarung auf Landesebene bekannt sei. Im Übrigen habe sich die Richtgrößenvereinbarung 1999 auf das gesamte Jahr zu beziehen. Ferner hätten valide Verordnungsdaten zum Arzneimittelverordnungsverhalten des Klägers im Kalenderjahr 1999 nicht vorgelegen. Eine Schätzung oder Hochrechnung sei nicht zulässig.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 00.00.0000 in der Gestalt des Bescheides vom 00.00.0000 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sowohl der Beklagte als auch die Beigeladene zu 1) haben auf ihren Vortrag und den der Beigeladenen zu 8) in den Parallelverfahren S 00 KA 000/00 sowie S 00 KA 000/00 ER Bezug genommen. Dort haben sie im Wesentlichen folgendes vorgetragen: Das Unterschriftenverfahren hinsichtlich der Vereinbarung 1998 sei ausweislich eines Schreibens der Beigeladenen zu 8) zumindest am 18.06.1998 abgeschlossen gewesen. In der Anlage A der Vereinbarung 1998 seien -abweichend von der Veröffentlichung- keine Zahlen durchgestrichen worden; der Strich habe lediglich auf eine Differenz des zweiten zum ersten Betrages hinweisen sollen.
Die Vereinbarung 1998 habe hinsichtlich der Richtgrößen über das Jahr 1998 hinaus gegolten, bis sie durch eine neue Richtgrößenvereinbarung abgelöst worden sei. Dies ergebe sich sowohl aus der Bezeichnung des Vertrages als auch aus dem Vertragstext. Die in § 84 SGB V vorgesehenen Richtgrößenvereinbarungen hätten im Hinblick auf die Regelung in § 106 SGB V das Ziel, die Prüfgremien bei der Festsetzung von Maßnahmen bei Überschreitung der Richtgrößen in ihren Entscheidungen zu binden. Demgemäß richteten sie sich nicht an den ohnehin zur wirtschaftlichen Verordnungsweise verpflichteten Arzt, sondern an die Prüfgremien. Die Richtgrößen bedürften deshalb zu ihrer Wirksamkeit keiner förmlichen Veröffentlichung, da Rechte und Pflichten der Mitglieder durch diese nicht begründet würden. Im Übrigen hätten sich die Vertragsärzte von Beginn an auch ohne eine Veröffentlichung auf die Richtgrößen einstellen können. Frühinformationen seien von der Beigeladenen zu 8) bereits in den Jahren 1998 und 1999 an die Vertragsärzte verschickt worden. Die Beigeladenen seien sich im Übrigen bereits bis Ende März 1999 über die wesentlichen Punkte der Arznei- und Heilmittelbudget- bzw. Richtgrößenvereinbarung 1999 einig gewesen, so dass die Einschaltung des Schiedsamts nicht nötig gewesen sei. Im Übrigen sei das im Fall des Klägers vorliegende Datenmaterial für die Richtgrößenprüfung 1999 ausreichend gewesen.
Die Beigeladenen zu 1), 3) bis 5) und 8) haben in der mündlichen Verhandlung S 00 KA 000/00, an der auch der Kläger-Bevollmächtigte teilgenommen hat, Einsicht in ihre Exemplare der Vereinbarung 1998 gewährt: Diese waren jeweils von Vertretern aller Vertragspartner unterschrieben, ohne Datumsangabe. Die Anlage A 1998 enthielt keine durchgestrichenen Zahlen (abweichend von der veröffentlichten Form). Die von der Beigeladenen zu 8) vorgelegte Vereinbarung 1999 wies das Datum des 00.00.0000 und Unterschriften von Vertretern aller Vertragspartner aus.
Die Beigeladenen zu 2) bis 8) sind zu der mündlichen Verhandlung des 00.00.0000 rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden, wurden dort jedoch nicht vertreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie der beigezogenen Gerichtsakten S 00 KA 000/00 sowie S 00 KA 000/00 ER verwiesen. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist Gelegenheit gegeben worden, in die von den Beigeladenen übersandten Unterlagen zu den Vereinbarungen 1998 und 1999 sowie zum Prüfverfahren Einsicht zu nehmen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl für die Beigeladenen zu 2) bis 8) niemand in der mündlichen Verhandlung erschienen ist, konnte die Kammer verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit sind alle Beteiligten mit der rechtzeitig und ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch im vollen Umfang begründet. Denn der angefochtene Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 00.00.0000 (Bescheid vom 00.00.0000) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Nach § 106 Abs. 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Versorgung. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung kann u.a. geprüft werden durch die arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V in der hier maßgeblichen, im Jahre 1999, geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SolG) vom 19.12.1998. Zum Zwecke solcher Richtgrößenprüfungen haben die Beigeladenen ein Budget als Obergrenze für die insgesamt von den Vertragsärzten veranlassten Ausgaben für Arznei-, Verband- und Heilmittel zu vereinbaren. Dieses Budget ist für das jeweils folgende Kalenderjahr zu vereinbaren (§ 84 Abs. 1 SGB V in der in den Jahren 1998 und 1999 gültigen Fassung). Mithin war das Budget für das Jahr 1998 grundsätzlich bereits 1997 zu vereinbaren bzw. das Budget für 1999 noch im Jahre 1998. Nach § 84 Abs. 3 SGB V in der im Jahre 1998 und 1999 gültigen Fassung haben die Beigeladenen für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln zu vereinbaren. Nach § 84 Abs. 5 SGB V (Fassung von Juli bis Dezember 1998) bzw. § 84 Abs. 4 SGB V (Fassung 1999) gelten das Budget nach Abs. 1 und die Richtgrößen nach Abs. 3 bis zum Inkrafttreten von Folgevereinbarungen.
Ergänzend hierzu war speziell für das Jahr 1999 Folgendes in Artikel 17 GKV-SolG geregelt:
Kommen für das Jahr 1999 Vereinbarungen nach § 84 Abs. 3, § 85 Abs. 2 und 3 und § 106 SGB V bis zum 31.03.1999 ganz oder teilweise nicht zustande, setzt das Schiedsamt (§ 89 SGB V) den Vertragsinhalt bis zum 30.06.1999 fest. Der Vorsitzende des Schiedsamts stellt unverzüglich nach Ablauf der Frist fest, ob die in Satz 1 genannten Voraussetzungen für die Festsetzung des Vertragsinhalts durch das Schiedsamt vorliegen. Die Vertragsparteien teilen dem Vorsitzenden des Schiedsamts unverzüglich nach Ablauf der Frist mit, ob ein Vertrag nach Satz 1 zustande gekommen ist.
Dieses Regelungsgefüge interpretiert die Kammer angesichts des Zwecks der Richtgrößen (dazu nachfolgend) dahingehend, dass Richtgrößenvereinbarungen aus 1998 längstens bis 31.03.1999 fortgelten konnten, sofern sich die Vertragsparteien bis dahin nicht vollständig in Bezug auf die für 1999 zu treffende Vereinbarung geeinigt hatten. Danach sollte das Schiedsverfahren unverzüglich in Gang gesetzt werden, welches mindestens bis zum 30.06.1999 durch Festsetzung des Vertragsinhalts beendet sein musste. Nach Ablauf des 30.06.1999 konnte nach Auffassung der Kammer eine Richtgrößenvereinbarung 1999 nicht mehr geschlossen werden. Hingegen blieb es den Vertragsparteien unbenommen, stattdessen für 1999 eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten durchzuführen (§ 106 Abs. 2 Satz 1, Nr. 1, 1. Alternative SGB V 1999). Richtgrößen sollen zum einen Maßstäbe für eine Auffälligkeitsprüfung im Rahmen des § 106 Abs. 2 Satz 1, Nr. 1, 2. Alternative SGB V liefern (vgl. Ausschussbericht zum 2. GKV-NOG, BT-Drucksache 13/7264, S. 55), zum anderen die Vertragsärzte bei ihren Entscheidungen über die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot leiten (vgl. § 84 Abs. 6, Satz 3 und 4 SGB V in der seit 2002 geltenden Fassung). Bei den Richtgrößen handelt es sich im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V um eine Sollvorgabe, an der sich das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes auszurichten hat. Sofern nämlich eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt ist, führt diese ab einer bestimmten Größenordnung zu Sanktionen in Form von Verordnungsregressen. Dass den Richtgrößen eine präventive Steuerungsfunktion zukommt, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. z. B. LSG Berlin, Beschluss vom 15.05.2003 -L 7 B 309/02 KA-; SG Berlin, Beschluss vom 08.05.2002 -S 71 KA 76/02 ER-; SG Dresden, Beschluss vom 15.07.2002 -S 11 KA 594/02 ER-; Peters-Hencke, KV-SGB V, § 84 Rdnr. 13; Hauck-Engelhard, § 106 SGB V, Rdnr. 97 h und i). Abweichend vom Vortrag der Beigeladenen zu 8) im Parallelverfahren sind ersichtlich auch alle Beigeladenen bislang von der steuernden Funktion der Richtgrößen ausgegangen. Dies ergibt sich bereits aus Teil C der Vereinbarung 1998. Danach sollte die Anlage 2 zur Prüfvereinbarung ab April 1998 folgende Fassung erhalten:
§ 2 Information der Vertragsärzte
(3) Die Daten nach Absatz 1 dienen in erster Linie dazu, den Vertragsärzten Informationen über das Kostenvolumen ihrer Verordnungstätigkeit im Vergleich zur Richtgrößensumme zu geben ... Die Informationen sollen den Vertragsärzten Orientierung in dem Bemühen geben, Überschreitungen der Richtgrößen zu vermeiden bzw. auszugleichen. Die Vertrag-partner verständigen sich auf eine standardisierte Informationsunterlage für die nordrheinischen Vertragsärzte.
Diese steuernde Funktion konnten das Budget und die Richtgrößen 1999 aber nur dann entfalten, wenn sie bestenfalls bereits für das folgende Kalenderjahr, spätestens aber bis zum ersten Halbjahr 1999 durch das Schiedsamt festgelegt waren. Dies war hier unstreitig nicht der Fall. Die Vereinbarung 1999 ist vielmehr erst Ende September 1999 geschlossen und zudem nicht veröffentlicht worden. Die Richtgrößenvereinbarung 1999 ist nicht nur wegen des Verstoßes gegen Artikel 17 GKV-SolG, sondern auch wegen der fehlenden Veröffentlichung unwirksam. Richtgrößenvereinbarungen sind -ebenso wie Prüfvereinbarungen- öffentlich-rechtliche Verträge mit Rechtsnormcharakter im Range untergesetzlichen Landesrechts (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2001 -B 6 KA 66/00 R- zu Prüfvereinbarungen), weil sie gegenüber den am Vertragsschluss nicht beteiligten Vertragsärzten unmittelbar rechtliche Außenwirkung entfalten und Sanktionen -hier: Arzneiregresse- rechtfertigen. Richtgrößenvereinbarungen werden deshalb erst dann wirksam, wenn die betroffenen Ärzte durch die in der Satzung vorgesehenen Form, insbesondere durch Veröffentlichung in den jeweiligen Ärzteblättern, hiervon Kenntnis erhalten (vgl. Hauck-Engelhard, § 84 SGB V, Rdnr. 34, 119). Warum die Vereinbarung 1998 (allerdings mit einem unklaren Inhalt der Anlage A und ohne die Anlage B -also die Richtgrößen-) im Rheinischen Ärzteblatt veröffentlicht worden ist, die Vereinbarung 1999 dagegen nicht, ist von den Beigeladenen nicht dargelegt worden. Dass die Veröffentlichung der relativ umfangreichen Richtgrößenvereinbarung drucktechnisch zu bewerkstelligen ist, belegt die Publikation der Richtgrößenvereinbarung 2001 im Rheinischen Ärzteblatt 6 /01.
Selbst wenn Art. 17 GKV-SolG hier einer Weitergeltung der Richtgrößenvereinbarung 1998 auch im Jahr 1999 nach § 84 Abs. 4 SGB V 1999 nicht entgegengestanden haben sollte, so scheitert die Fortgeltung bereits daran, dass auch die Richtgrößen 1998 (Anlage B der Vereinbarung 1998) nicht veröffentlicht worden sind. Die förmliche Veröffentlichung von untergesetzlichen Normen kann im Übrigen nicht durch das Übersenden sogenannter Trend-Infos oder anderer "Frühinformationen" an die Vertragsärzte durch die Beigeladene zu 8) ersetzt werden, zumal der Kläger - wie viele andere Vertragsärzte - bestreitet, derartige Informationen vor dem Jahr 2000 erhalten zu haben. Für die Richtigkeit dieser Ausführungen des Klägers spricht die Veröffentlichung der Beigeladenen zu 8) in ihrer Zeitschrift KVNO aktuell 6/99 (Juli 1999), Seite 23. Dort wird folgendes ausgeführt:
"Mit zwei neuen Informationen werden die nordrheinischen Ärzte künftig über ihre Arzneiverordnungskosten informiert: die "Quartalsbilanz" und die "Trend-Info". Die Trend-Info bietet arzt- und quartalsbezogen eine Frühinformation über die Arzneiverordnungskosten. Darin wird zudem das Verordnungsvolumen der Richtgrößensumme gegenübergestellt ... Die Trend-Info soll helfen, die Verordnungstätigkeit zu beobachten und Richtgrößenüberschreitungen zu vermeiden ..."
Mangels Wirksamkeit der Richtgrößenvereinbarung 1998 und 1999 entbehrte der Beschluss des Beklagten aus der Sitzung vom 00.00.0000 (Bescheid vom 13.05.2003) mithin einer rechtlichen Grundlage und war schon deshalb aufzuheben. Da die Prüfanträge ausdrücklich auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungsweise nach Maßgabe des Prüfverfahrens bei Überschreiten der Arzneimittelrichtgrößen gerichtet war, kam eine Verurteilung zur Neubescheidung nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved