Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 109 AS 21368/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 AS 2731/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2014 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 bei dem Sozialgericht Berlin (Az. S 109 AS 21368/14) wird angeordnet. Dem Antragsgegner wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes aufgegeben, seinen bei der Deutschen Rentenversicherung Bund mit Schreiben vom 5. August 2014 gestellten Rentenantrag zurückzunehmen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten. Der Antrag des Antragstellers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Zu Unrecht hat es das Sozialgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 (bei dem in dem Widerspruchsbescheid in Bezug genommenen "Bescheid" vom 17. Juli 2014 handelt es sich um keinen eigenständig anfechtbaren Verwaltungsakt) anzuordnen, mit dem der Antragsgegner den Antragsteller dazu aufgefordert hat, eine vorgezogene Altersrente zu beantragen. Ebenfalls zu Unrecht abgelehnt hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zur Rücknahme seines mit Schreiben vom 5. August 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellten Rentenantrages zu verpflichten.
Der Antrag des Antragstellers ist in Bezug auf die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Denn abweichend vom Regelfall des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG hat die gegen den Bescheid vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 erhobene Klage gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung, weil es sich bei dem genannten Bescheid um einen Verwaltungsakt handelt, mit dem der Antragsteller im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert worden ist.
Für den Antrag fehlt es hier auch nicht etwa deshalb an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsteller aller Voraussicht nach keinen Anspruch auf vorgezogene Altersrente ab dem 1. Juli 2014 haben dürfte, da ausweislich der aktenkundigen Rentenauskunft vom 30. Mai 2014 etwa die nach § 36 Satz 1 Nr. 2 und § 236 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) hierfür vorausgesetzte Wartezeit von 420 Monaten offenbar nicht erfüllt ist und weil wohl auch die Anspruchsvoraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit nach summarischer Prüfung des Versicherungsverlaufs des Antragstellers nicht vorliegen dürften. Denn wenn auch vieles dafür sprechen dürfte, dass es aufgrund des jetzt von dem Antragsgegner gestellten Rentenantrags zu keiner Rentenbewilligung kommen dürfte, aus der Folgen für den Antragsteller resultieren könnten, so ist doch nicht auszuschließen, dass die allein zur Entscheidung über den Rentenantrag berufene Deutsche Rentenversicherung Bund zu einem anderen Ergebnis gelangt, zumal die Rentenauskunft ausweislich ihrer Seite 3 nicht rechtsverbindlich ist und etwa der Versicherungsverlauf ausweislich der Erklärungen auf Seite 1 der Rentenauskunft unter dem Vorbehalt der Prüfung des Antragstellers steht.
Der demnach zulässige Antrag ist auch begründet. Inhalt der Begründetheitsprüfung ist eine – auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – vorzunehmende Interessenabwägung, bei der unter Beachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung abweichend von dem in § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Grundsatz nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG gerade auszuschließen, die jeweiligen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Ergibt diese Abwägung, dass das private Interesse des jeweiligen Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel anzuordnen. Dies wiederum ist der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist und dies mit einer subjektiven Rechtsverletzung des Belasteten einhergeht, weil an der sofortigen Vollziehung eines mit der Rechtsordnung nicht im Einklang stehenden Bescheides kein öffentliches Interesse besteht. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs, wenn gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides offensichtlich keine Bedenken bestehen. In diesem Fall ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel nicht anzuordnen. Lässt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides indes nicht hinreichend sicher beantworten, kommt es unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Begründetheit des Antrags entscheidend auf die sonstigen Interessen der Beteiligten an. Grundsätzlich hat hierbei zu gelten, dass die an das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu stellenden Anforderungen im Sinne einer dynamischen Betrachtung um so höher sein müssen, je geringer die Erfolgsaussichten des von ihm in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu bewerten sind. Die wechselseitig eintretenden Folgen, die jeweils entstünden, wenn sich die durch das Gericht getroffene Eilentscheidung im Hauptsacheverfahren als unzutreffend erweisen sollte, sind in die Betrachtung mit einzubeziehen. Hierbei ist insbesondere in den Verfahren, in denen existenzsichernde Leistungen in Rede stehen, in den Blick zu nehmen, ob und mit welcher Intensität dem Antragsteller bei einer Ablehnung seines Antrages eine endgültige Verletzung von Grundrechten droht, deren Eintritt zu vermeiden nach Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gerade Sinn und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist.
Die skizzierte Abwägung fällt hier zugunsten des Antragstellers aus, weil hier vieles dafür spricht, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist.
Gestützt ist der Bescheid auf § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach können die Leistungsträger, wenn Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II setzt eine Pflicht des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen - hier der Rente - voraus. Die Pflicht zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen wird durch § 12a SGB II konkretisiert. § 12a SGB II betrifft unter Berücksichtigung von § 65 Abs. 4 SGB II alle Leistungsberechtigten, die - wie der Antragsteller - nach dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet haben und damit nicht mehr in den Genuss der sogenannten 58er-Regelung kommen. Gemäß § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres gilt dies gemäß § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II aber nicht für eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente. Da der Kläger im Juni 2014 das 63. Lebensjahr vollendet hat, ist die grundsätzlich bestehende Pflicht des Antragstellers, zum 1. Juli 2014 eine Rente zu beantragen, nicht nach § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II ausgeschlossen.
Der Senat geht davon aus, dass bereits die Entscheidung darüber, ob die in § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II genannte Aufforderung an den Hilfebedürftigen ergeht, im pflichtgemäßen Ermessen des Grundsicherungsträgers steht (h. M.; vgl. nur Bieback in Gagel, SGB II / SGB III, § 5 SGB II, Rn. 84 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund wird sich der angefochtene Bescheid bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null aller Voraussicht nach als ermessensfehlerhaft erweisen und zwar ungeachtet der Frage, ob es sich bei den in der Unbilligkeitsverordnung vom 14. April 2008 (BGBl I S. 734) genannten Gesichtspunkten um negative Tatbestandsmerkmale oder Ermessenskriterien handelt.
Bei der Ermessensausübung sind etwa die voraussichtliche Dauer oder Höhe des Leistungsbezugs, absehbarer Einkommenszufluss oder dauerhafte Krankheit zu berücksichtigen. Insbesondere in Bezug auf die Stellung eines vorzeitigen Altersrentenantrags ist zu berücksichtigen, dass der Leistungsberechtigte als Altersrentner von Leistungen nach dem SGB II – und damit auch von solchen nach §§ 16 ff. SGB II – ausgeschlossen ist. Zudem ist die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente regelmäßig mit Abschlägen verbunden, was ebenfalls zu berücksichtigen ist (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 5 Rn. 35).
Von seinem Ermessen hat der Antragsgegner in dem Bescheid vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 jedenfalls nur unzureichend Gebrauch gemacht. Nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt hat er insbesondere den Umstand, dass der Antragsteller im Fall der Bewilligung einer vorgezogenen Altersrente gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II auch von Eingliederungsleistungen nach den §§ 16 ff. SGB II ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang hätte der Antragsgegner auch auf mögliche Eingliederungschancen des Antragstellers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingehen müssen, der ausweislich der Angaben im Briefkopf seiner Schriftsätze auch an den Senat Diplom-Ingenieur im Bereich Landschaftsplanung/Landschaftsarchitektur ist und dem es ausweislich auch des aktenkundigen Rentenversicherungsverlaufs auch in der jüngeren Vergangenheit wiederholt gelungen ist, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden (das letzte Arbeitsverhältnis mit der Waldorfschule endete nach Aktenlage im November 2011). Dass der Antragsgegner ausweislich seines Widerspruchsbescheides die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 der Unbilligkeitsverordnung geprüft und verneint hat, wonach unbillig die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente ist, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden, ersetzt diese knappe und schematisch vorgenommene Prüfung eine einzelfallbezogene Ermessensausübung im vorstehend dargestellten Zusammenhang erkennbar nicht.
Da die Entscheidung bereits nach Vorstehendem ermessensfehlerhaft ist, kann dahinstehen, ob hier weitere Ermessensfehler vorliegen. Der Senat merkt aber an, dass der Antragsgegner den Umstand, dass dem Antragsteller als Erbe seiner am 7. Februar 2014 verstorbenen Mutter möglicherweise alsbald Einkommen zufließen könnte, das dem Leistungsanspruch nach dem SGB II unter Umständen ganz oder teilweise als Einkommen oder als Vermögen entgegenstehen könnte, in erster Linie insoweit Rechnung getragen hat, als er die laufenden Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Erbschaft nur noch vorläufig bewilligt. Im Übrigen hat er in dem Widerspruchsbescheid vom 20. August 2014 insoweit zwar ausgeführt, dass wegen der Erbstreitigkeiten ein konkreter Vermögenszuwachs auch in naher Zukunft nicht abzusehen sei. Da dem Antragsgegner zu dem Erbe praktisch keine nennenswerten Erkenntnisse vorliegen, ist diese Vermutung aber rein spekulativ. Auch weitere für die Ermessensausübung wesentliche Gesichtspunkte, etwa die Höhe der derzeit nach dem SGB II bezogenen Leistungen sowie die voraussichtliche Höhe der Altersrente, hat der Antragsgegner ebenfalls nicht erkennbar in seine Ermessensausübung eingestellt. In Bezug auf die zu erwartende Höhe der Altersrente wäre dabei etwa zu berücksichtigen gewesen, dass die jeweiligen Rentenabschläge ausweislich der Rentenauskunft vom 30. Mai 2014 durchaus unterschiedlich sind und je nach Rente 7,2 Prozent (Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit), 8,7 Prozent (Altersrente für langjährig Versicherte) oder auch 10,8 Prozent (Altersrente für schwerbehinderte Menschen) betragen.
Der Antragsgegner hat demnach zwar erkannt, dass der Antragsteller Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens hat. Dieser Verpflichtung hat der Antragsgegner jedoch auch im Widerspruchsbescheid aus den genannten Gründen nicht hinreichend Rechnung getragen. In seinen Ausführungen bezieht er sich vorrangig auf die gesetzlichen Vorschriften sowie auf das (Nicht)Vorliegen der Voraussetzungen nach § 12a SGB II i. V. m. der Unbilligkeitsverordnung und schlussfolgert daraus, dass die Aufforderung zur Beantragung der Altersrente zu Recht erfolgt sei. Es werden zwar als Ermessenskriterien der vorzeitige Anspruch auf Rente, das Nichtvorliegen von Härtefall und Unbilligkeit der vorzeitigen Rentenbeantragung, der Vorrang von versicherungsfinanzierten Leistungen vor steuerfinanzierten Leistungen und die Möglichkeit der ergänzenden Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII, die denen des SGB II in diesem Fall vorzuziehen seien, aufgeführt (vgl. die Wiedergabe der wortgleichen Kriterien in dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. August 2014 - L 28 AS 1830/14 B ER, L 28 AS 1831/14 B ER PKH – juris). Eine einzelfallbezogene Abwägung dieser Kriterien findet aber nicht statt.
Darüber hinaus war dem Antragsgegner im Wege einstweiligen Rechtsschutzes aufgegeben, den von ihm mit Schreiben vom 5. August 2014 gestellten Rentenantrag zurückzunehmen. Hierbei kann dahinstehen, ob diese Anordnung auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG zu stützen ist, der für die Fälle, in denen – wie hier – grundsätzlich eine Anfechtungskonstellation vorliegt, die Rückgängigmachung von Vollziehungshandlungen und deren unmittelbaren Folgen betrifft, oder ob der originär auf Leistungsfälle zugeschnittene § 86b Abs. 2 SGG die richtige Rechtsgrundlage darstellt (vgl. auch Beschluss des Senats vom 5. September 2014 - L 25 AS 2135/14 B ER). Denn letztlich handelt es sich auch bei der auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG beruhenden Anordnung lediglich um eine spezielle Form der Regelungsanordnung, die hier losgelöst von ihrer rechtlichen Verankerung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes geboten ist, weil dem Antragsteller ohne sie unwiederbringliche Nachteile drohen. Denn die Ausschlusswirkung des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II kann spätestens nach bestandskräftiger Rentenbewilligung nicht mehr oder nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten beseitigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen, wird gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung abgelehnt, weil der Antragsteller mit Blick auf die getroffene Kostenentscheidung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht mehr bedarf.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Zu Unrecht hat es das Sozialgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 (bei dem in dem Widerspruchsbescheid in Bezug genommenen "Bescheid" vom 17. Juli 2014 handelt es sich um keinen eigenständig anfechtbaren Verwaltungsakt) anzuordnen, mit dem der Antragsgegner den Antragsteller dazu aufgefordert hat, eine vorgezogene Altersrente zu beantragen. Ebenfalls zu Unrecht abgelehnt hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zur Rücknahme seines mit Schreiben vom 5. August 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellten Rentenantrages zu verpflichten.
Der Antrag des Antragstellers ist in Bezug auf die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Denn abweichend vom Regelfall des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG hat die gegen den Bescheid vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 erhobene Klage gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung, weil es sich bei dem genannten Bescheid um einen Verwaltungsakt handelt, mit dem der Antragsteller im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert worden ist.
Für den Antrag fehlt es hier auch nicht etwa deshalb an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antragsteller aller Voraussicht nach keinen Anspruch auf vorgezogene Altersrente ab dem 1. Juli 2014 haben dürfte, da ausweislich der aktenkundigen Rentenauskunft vom 30. Mai 2014 etwa die nach § 36 Satz 1 Nr. 2 und § 236 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) hierfür vorausgesetzte Wartezeit von 420 Monaten offenbar nicht erfüllt ist und weil wohl auch die Anspruchsvoraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit nach summarischer Prüfung des Versicherungsverlaufs des Antragstellers nicht vorliegen dürften. Denn wenn auch vieles dafür sprechen dürfte, dass es aufgrund des jetzt von dem Antragsgegner gestellten Rentenantrags zu keiner Rentenbewilligung kommen dürfte, aus der Folgen für den Antragsteller resultieren könnten, so ist doch nicht auszuschließen, dass die allein zur Entscheidung über den Rentenantrag berufene Deutsche Rentenversicherung Bund zu einem anderen Ergebnis gelangt, zumal die Rentenauskunft ausweislich ihrer Seite 3 nicht rechtsverbindlich ist und etwa der Versicherungsverlauf ausweislich der Erklärungen auf Seite 1 der Rentenauskunft unter dem Vorbehalt der Prüfung des Antragstellers steht.
Der demnach zulässige Antrag ist auch begründet. Inhalt der Begründetheitsprüfung ist eine – auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – vorzunehmende Interessenabwägung, bei der unter Beachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung abweichend von dem in § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Grundsatz nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG gerade auszuschließen, die jeweiligen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Ergibt diese Abwägung, dass das private Interesse des jeweiligen Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel anzuordnen. Dies wiederum ist der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist und dies mit einer subjektiven Rechtsverletzung des Belasteten einhergeht, weil an der sofortigen Vollziehung eines mit der Rechtsordnung nicht im Einklang stehenden Bescheides kein öffentliches Interesse besteht. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs, wenn gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides offensichtlich keine Bedenken bestehen. In diesem Fall ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel nicht anzuordnen. Lässt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides indes nicht hinreichend sicher beantworten, kommt es unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Begründetheit des Antrags entscheidend auf die sonstigen Interessen der Beteiligten an. Grundsätzlich hat hierbei zu gelten, dass die an das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu stellenden Anforderungen im Sinne einer dynamischen Betrachtung um so höher sein müssen, je geringer die Erfolgsaussichten des von ihm in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu bewerten sind. Die wechselseitig eintretenden Folgen, die jeweils entstünden, wenn sich die durch das Gericht getroffene Eilentscheidung im Hauptsacheverfahren als unzutreffend erweisen sollte, sind in die Betrachtung mit einzubeziehen. Hierbei ist insbesondere in den Verfahren, in denen existenzsichernde Leistungen in Rede stehen, in den Blick zu nehmen, ob und mit welcher Intensität dem Antragsteller bei einer Ablehnung seines Antrages eine endgültige Verletzung von Grundrechten droht, deren Eintritt zu vermeiden nach Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gerade Sinn und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist.
Die skizzierte Abwägung fällt hier zugunsten des Antragstellers aus, weil hier vieles dafür spricht, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist.
Gestützt ist der Bescheid auf § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach können die Leistungsträger, wenn Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II setzt eine Pflicht des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen - hier der Rente - voraus. Die Pflicht zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen wird durch § 12a SGB II konkretisiert. § 12a SGB II betrifft unter Berücksichtigung von § 65 Abs. 4 SGB II alle Leistungsberechtigten, die - wie der Antragsteller - nach dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet haben und damit nicht mehr in den Genuss der sogenannten 58er-Regelung kommen. Gemäß § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres gilt dies gemäß § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II aber nicht für eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente. Da der Kläger im Juni 2014 das 63. Lebensjahr vollendet hat, ist die grundsätzlich bestehende Pflicht des Antragstellers, zum 1. Juli 2014 eine Rente zu beantragen, nicht nach § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II ausgeschlossen.
Der Senat geht davon aus, dass bereits die Entscheidung darüber, ob die in § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II genannte Aufforderung an den Hilfebedürftigen ergeht, im pflichtgemäßen Ermessen des Grundsicherungsträgers steht (h. M.; vgl. nur Bieback in Gagel, SGB II / SGB III, § 5 SGB II, Rn. 84 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund wird sich der angefochtene Bescheid bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null aller Voraussicht nach als ermessensfehlerhaft erweisen und zwar ungeachtet der Frage, ob es sich bei den in der Unbilligkeitsverordnung vom 14. April 2008 (BGBl I S. 734) genannten Gesichtspunkten um negative Tatbestandsmerkmale oder Ermessenskriterien handelt.
Bei der Ermessensausübung sind etwa die voraussichtliche Dauer oder Höhe des Leistungsbezugs, absehbarer Einkommenszufluss oder dauerhafte Krankheit zu berücksichtigen. Insbesondere in Bezug auf die Stellung eines vorzeitigen Altersrentenantrags ist zu berücksichtigen, dass der Leistungsberechtigte als Altersrentner von Leistungen nach dem SGB II – und damit auch von solchen nach §§ 16 ff. SGB II – ausgeschlossen ist. Zudem ist die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente regelmäßig mit Abschlägen verbunden, was ebenfalls zu berücksichtigen ist (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 5 Rn. 35).
Von seinem Ermessen hat der Antragsgegner in dem Bescheid vom 23. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2014 jedenfalls nur unzureichend Gebrauch gemacht. Nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt hat er insbesondere den Umstand, dass der Antragsteller im Fall der Bewilligung einer vorgezogenen Altersrente gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II auch von Eingliederungsleistungen nach den §§ 16 ff. SGB II ausgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang hätte der Antragsgegner auch auf mögliche Eingliederungschancen des Antragstellers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingehen müssen, der ausweislich der Angaben im Briefkopf seiner Schriftsätze auch an den Senat Diplom-Ingenieur im Bereich Landschaftsplanung/Landschaftsarchitektur ist und dem es ausweislich auch des aktenkundigen Rentenversicherungsverlaufs auch in der jüngeren Vergangenheit wiederholt gelungen ist, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden (das letzte Arbeitsverhältnis mit der Waldorfschule endete nach Aktenlage im November 2011). Dass der Antragsgegner ausweislich seines Widerspruchsbescheides die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 der Unbilligkeitsverordnung geprüft und verneint hat, wonach unbillig die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente ist, wenn Hilfebedürftige durch die Vorlage eines Arbeitsvertrages oder anderer ebenso verbindlicher, schriftlicher Zusagen glaubhaft machen, dass sie in nächster Zukunft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und nicht nur vorübergehend ausüben werden, ersetzt diese knappe und schematisch vorgenommene Prüfung eine einzelfallbezogene Ermessensausübung im vorstehend dargestellten Zusammenhang erkennbar nicht.
Da die Entscheidung bereits nach Vorstehendem ermessensfehlerhaft ist, kann dahinstehen, ob hier weitere Ermessensfehler vorliegen. Der Senat merkt aber an, dass der Antragsgegner den Umstand, dass dem Antragsteller als Erbe seiner am 7. Februar 2014 verstorbenen Mutter möglicherweise alsbald Einkommen zufließen könnte, das dem Leistungsanspruch nach dem SGB II unter Umständen ganz oder teilweise als Einkommen oder als Vermögen entgegenstehen könnte, in erster Linie insoweit Rechnung getragen hat, als er die laufenden Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Erbschaft nur noch vorläufig bewilligt. Im Übrigen hat er in dem Widerspruchsbescheid vom 20. August 2014 insoweit zwar ausgeführt, dass wegen der Erbstreitigkeiten ein konkreter Vermögenszuwachs auch in naher Zukunft nicht abzusehen sei. Da dem Antragsgegner zu dem Erbe praktisch keine nennenswerten Erkenntnisse vorliegen, ist diese Vermutung aber rein spekulativ. Auch weitere für die Ermessensausübung wesentliche Gesichtspunkte, etwa die Höhe der derzeit nach dem SGB II bezogenen Leistungen sowie die voraussichtliche Höhe der Altersrente, hat der Antragsgegner ebenfalls nicht erkennbar in seine Ermessensausübung eingestellt. In Bezug auf die zu erwartende Höhe der Altersrente wäre dabei etwa zu berücksichtigen gewesen, dass die jeweiligen Rentenabschläge ausweislich der Rentenauskunft vom 30. Mai 2014 durchaus unterschiedlich sind und je nach Rente 7,2 Prozent (Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit), 8,7 Prozent (Altersrente für langjährig Versicherte) oder auch 10,8 Prozent (Altersrente für schwerbehinderte Menschen) betragen.
Der Antragsgegner hat demnach zwar erkannt, dass der Antragsteller Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens hat. Dieser Verpflichtung hat der Antragsgegner jedoch auch im Widerspruchsbescheid aus den genannten Gründen nicht hinreichend Rechnung getragen. In seinen Ausführungen bezieht er sich vorrangig auf die gesetzlichen Vorschriften sowie auf das (Nicht)Vorliegen der Voraussetzungen nach § 12a SGB II i. V. m. der Unbilligkeitsverordnung und schlussfolgert daraus, dass die Aufforderung zur Beantragung der Altersrente zu Recht erfolgt sei. Es werden zwar als Ermessenskriterien der vorzeitige Anspruch auf Rente, das Nichtvorliegen von Härtefall und Unbilligkeit der vorzeitigen Rentenbeantragung, der Vorrang von versicherungsfinanzierten Leistungen vor steuerfinanzierten Leistungen und die Möglichkeit der ergänzenden Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII, die denen des SGB II in diesem Fall vorzuziehen seien, aufgeführt (vgl. die Wiedergabe der wortgleichen Kriterien in dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. August 2014 - L 28 AS 1830/14 B ER, L 28 AS 1831/14 B ER PKH – juris). Eine einzelfallbezogene Abwägung dieser Kriterien findet aber nicht statt.
Darüber hinaus war dem Antragsgegner im Wege einstweiligen Rechtsschutzes aufgegeben, den von ihm mit Schreiben vom 5. August 2014 gestellten Rentenantrag zurückzunehmen. Hierbei kann dahinstehen, ob diese Anordnung auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG zu stützen ist, der für die Fälle, in denen – wie hier – grundsätzlich eine Anfechtungskonstellation vorliegt, die Rückgängigmachung von Vollziehungshandlungen und deren unmittelbaren Folgen betrifft, oder ob der originär auf Leistungsfälle zugeschnittene § 86b Abs. 2 SGG die richtige Rechtsgrundlage darstellt (vgl. auch Beschluss des Senats vom 5. September 2014 - L 25 AS 2135/14 B ER). Denn letztlich handelt es sich auch bei der auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG beruhenden Anordnung lediglich um eine spezielle Form der Regelungsanordnung, die hier losgelöst von ihrer rechtlichen Verankerung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes geboten ist, weil dem Antragsteller ohne sie unwiederbringliche Nachteile drohen. Denn die Ausschlusswirkung des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II kann spätestens nach bestandskräftiger Rentenbewilligung nicht mehr oder nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten beseitigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen, wird gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung abgelehnt, weil der Antragsteller mit Blick auf die getroffene Kostenentscheidung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht mehr bedarf.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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