B 13 RJ 17/03 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 17/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger für die Dauer von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation zu gewährenden Übergangsgelds.

Der im September 1960 geborene und in R. (Deutschland) wohnhafte Kläger war bis Mai 1996 in Deutschland rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend arbeitete er bis zum Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am 7. August 1998 als Sattelschlepperfahrer für eine in B. (Luxemburg) ansässige Spedition. In dieser Zeit entrichtete er Rentenversicherungsbeiträge an den zuständigen Versicherungsträger in Luxemburg. Im Monat Juli 1998 erzielte der Kläger ausweislich einer Arbeitgeberbescheinigung zur Berechnung von Übergangsgeld einen vereinbarten Bruttolohn in Höhe von 69.289 luxemburgischen Franc (LuF) - entsprechend 56.949 LuF netto - für eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden bei tatsächlich geleisteten 32,18 Überstunden. Die Höhe des tatsächlich erzielten Bruttoverdienstes ist mit 4.451,00 DM angegeben (= 3.526,00 DM netto). Für die Monate Mai und Juni 1998 ist die Ableistung von 44,96 bzw 45,29 Überstunden vermerkt. In der Gehaltsabrechnung für den Monat Juli 1998 findet sich - von der Arbeitgeberbescheinigung abweichend - ein Bruttoverdienst in Höhe von 91.253 LuF.

Antragsgemäß bewilligte die Beklagte dem Kläger in der Zeit vom 1. August bis 30. September 1999 einen zweimonatigen Vorbereitungslehrgang für die berufliche Rehabilitation sowie vom 4. Oktober 1999 bis 30. Juni 2001 eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme in Form der Umschulung zum Industriekaufmann. Die Umschulung beendete der Kläger am 4. Juli 2001 mit Erfolg.

Für die Dauer dieser Maßnahmen bewilligte die Beklagte dem Kläger Übergangsgeld gemäß § 22 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Mit Bescheiden vom 26. August 1999 und 25. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 1999 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 2. August 1999 bzw 1. Oktober 1999 Übergangsgeld in Höhe von 41,78 DM täglich und legte dabei jeweils einen tariflichen Stundenlohn von 16,78 DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden zu Grunde. Zur Berechnung des Übergangsgelds zog die Beklagte den Tarifvertrag für das Güterverkehrsgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen bei und stufte den Kläger in die Lohngruppe 3 ein. Die Gewährung höheren Übergangsgelds unter Berücksichtigung des in Luxemburg erzielten Arbeitsentgelts lehnte sie ab, weil nach dem Wortlaut des § 22 Abs 1 SGB VI nur das Arbeitsentgelt berücksichtigt werden könne, das innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme durch eine in Deutschland versicherungspflichtige Tätigkeit erzielt worden sei. Auf Grund der in Luxemburg ausgeübten Tätigkeit sei der Kläger nicht in der deutschen, sondern in der luxemburgischen Sozialversicherung versicherungspflichtig gewesen. Es sei daher in dem maßgeblichen Drei-Jahres-Zeitraum kein - in der deutschen Sozialversicherung relevantes - Arbeitsentgelt erzielt worden, so dass für die Berechnung des Übergangsgelds das tarifliche Arbeitsentgelt am Wohnort des Klägers zu Grunde zu legen sei.

Durch Teilaufhebungsbescheide vom 4. und 18. Mai 2000 sowie vom 22. Februar, 26. Juni und 23. Juli 2001 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 25. Oktober 1999 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 1999) jeweils für einzelne Fehltage des Klägers auf. Durch weiteren Bescheid vom 28. September 2001, gegen den der Kläger entsprechend der ihm erteilten Rechtsbehelfsbelehrung am 23. Oktober 2001 Widerspruch eingelegt hat, gewährte die Beklagte im Anschluss an die Berufsförderungsmaßnahme für die Dauer der Arbeitslosigkeit Anschlussübergangsgeld in bisheriger Höhe.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 26. August 1999 und 25. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Dezember 1999 mit Urteil vom 20. November 2001 verurteilt, das Übergangsgeld neu zu berechnen und dabei das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das der Kläger in Luxemburg tatsächlich erzielt hat. Die nachträglich ergangenen weiteren Bescheide finden im Urteil des SG keine Berücksichtigung. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 24. Februar 2003 unter Einbeziehung auch der vorgenannten Teilaufhebungsbescheide und des Bescheids vom 28. September 2001 zurückgewiesen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe in dem maßgeblichen Zeitraum von drei Jahren vor Beginn der Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation ein Arbeitsentgelt für die Dauer von mindestens vier Wochen erzielt. Daher sei die Vorschrift des § 22 Abs 1 SGB VI idF bis 31. Dezember 2000 anzuwenden, wonach die Höhe des Übergangsgelds nach dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt entsprechend der Berechnung des Übergangsgelds bei medizinischen Leistungen zu ermitteln sei. Die Beklagte habe zu Unrecht die Vorschrift des § 22 Abs 2 Nr 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung angewandt und das Übergangsgeld zu Unrecht auf der Grundlage eines aus den tarifvertraglichen Regelungen ermittelten "fiktiven" Entgelts berechnet. Die maßgebliche Vorschrift des § 22 SGB VI sei europarechtskonform auszulegen. Zwar enthalte die Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Nr 1408/71 (EWGV 1408/71) keine besondere Regelung, wie Entgelte, die auf Grund ausländischer Rechtsvorschriften gezahlt würden, bei der Berechnung des Übergangsgelds als ergänzende Leistungen zur Rehabilitation zu berücksichtigen seien. Diese Regelungslücke sei jedoch unter Berücksichtigung von Art 42 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) zu schließen.

Die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation gehörten zu den Leistungen bei Invalidität, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt seien. Der Kläger gehöre, weil er in Deutschland und Luxemburg gearbeitet habe, zum Personenkreis der Wanderarbeitnehmer. Aus Art 39 und 42 EGVtr und der diese Vorschriften konkretisierenden EWGV 1408/71, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sicherten, sowie aus dem Diskriminierungsverbot ergebe sich, dass Wanderarbeitnehmer nicht gegenüber sesshaften Arbeitnehmern benachteiligt werden dürften. Eine solche Diskriminierung liege jedoch vor, wenn das Übergangsgeld des Klägers nach den (niedrigeren innerstaatlichen) Tarifbestimmungen berechnet werde und nicht nach dem zuletzt in Luxemburg erzielten Verdienst. Dadurch werde der Kläger schlechter gestellt, als wenn er ausschließlich in Deutschland gearbeitet hätte; denn für diesen Fall wäre sein im Juli 1998 erzielter Verdienst bei der Berechnung des Übergangsgelds zu berücksichtigen gewesen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 22 Abs 2 Nr 2 SGB VI aF). Sie ist der Auffassung, dass die EWGV 1408/71 keine Regelung enthalte, wie die in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Entgelte bei der Berechnung des Übergangsgelds als ergänzende Leistung zur Rehabilitation zu berücksichtigen seien. Da es mithin keine Vorschrift gebe, die im Ausland erzieltes Entgelt dem im Inland erzielten gleichstelle, sei für die Berechnung des Übergangsgelds das tarifliche bzw ortsübliche Entgelt zu Grunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 2003 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. November 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung nach § 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begründet.

Der Senat ist an einer Entscheidung in der Sache gehindert, weil es an Feststellungen des LSG für die Beantwortung der Frage mangelt, ob dem Kläger für sein Klagebegehren ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht. Ein Rechtsschutzinteresse bestünde nur dann, wenn der Kläger unter Zugrundelegung des zuletzt in Luxemburg erzielten Arbeitsentgelts höheres Übergangsgeld beanspruchen könnte als das, welches ihm die Beklagte unter Zugrundelegung des Tarifvertrags für das Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen zugesprochen hat. Auf Grund der vom LSG bisher getroffenen Feststellungen kann der Senat aber weder beurteilen, welches Tarifentgelt in Anwendung des § 22 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI aF zu Grunde zu legen ist, noch, wie hoch das vom Kläger zuletzt erzielte Arbeitsentgelt (Regelentgelt iS des § 21 Abs 1 Satz 1 SGB VI aF iVm § 47 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) gewesen ist.

Das LSG hat lediglich im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegeben, die Beklagte habe den Tarifvertrag für das Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen "beigezogen" und den Kläger in die Lohngruppe 3 eingestuft. Ausführungen dazu, ob dies vorliegend der maßgebende Tarifvertrag und die Gruppe 3 die einschlägige Tarifgruppe war - der Kläger behauptet die Maßgeblichkeit der Tarifgruppe 4 -, sind in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht enthalten; eine eigene Wertung nimmt das LSG insoweit nicht vor. Damit mangelt es zum einen an Feststellungen, dass und warum der Tarifvertrag für das Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen der maßgebliche Tarifvertrag für die Ermittlung des Regelentgelts ist. Zum anderen zeigt das LSG weder die Struktur des herangezogenen Tarifvertrags noch die Zugehörigkeit bestimmter Tätigkeiten zu bestimmten Tarifgruppen auf. Es hätte zumindest ausführen müssen, dass und warum der Kläger, ein gelernter Fahrschullehrer mit langjähriger Erfahrung im offenbar grenzüberschreitenden Güterverkehr mit Sattelschleppern, zu Recht in die Tarifgruppe 3 eingruppiert worden ist. Damit hat das LSG letztlich keinerlei Ausführungen dazu gemacht, ob das von der Beklagten ermittelte Übergangsgeld höhenmäßig richtig berechnet worden ist.

Hinsichtlich des vom Kläger zuletzt in Luxemburg erzielten Arbeitsentgelts ist das LSG im angefochtenen Urteil von einem Bruttoverdienst im Juli 1998 in Höhe von 4.459,00 DM und einem Nettoverdienst in Höhe von 3.526,00 DM ausgegangen, ohne anzugeben, worauf diese Beträge beruhen. Sie stimmen im Wesentlichen überein mit der in den Verwaltungsakten der Beklagten enthaltenen Arbeitgeberbescheinigung vom 12. Januar 1999 (Arbeitsentgelt im letzten abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum Juli 1998: 4.451,00 bzw 3526,00 DM); in der ebenfalls in den Beklagtenakten befindlichen Gehaltsabrechnung des Klägers für den Monat Juli 1998 findet sich indes ein abweichender - höherer - Bruttoverdienst (91.253 LuF). Unklar ist daher, welches Regelentgelt aus dem für den Kläger zuletzt vor seiner Arbeitsunfähigkeit in Luxemburg abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum resultiert.

Schließlich ist unklar, welche Überstunden des Klägers bei der Höhe des iS des § 22 Abs 1 SGB VI aF iVm § 21 Abs 1 Satz 1 SGB VI aF und § 47 Abs 2 SGB V tatsächlich erzielten Entgelts zu berücksichtigen wären. Das LSG hat die im Monat Juli 1998 vom Kläger geleisteten 32,18 Überstunden im Tatbestand erwähnt, jedoch keine Ausführungen dazu gemacht, inwieweit diese bei der Ermittlung des Regelentgelts zu berücksichtigen sind. Indes ist für die Feststellung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden (§ 47 Abs 2 Satz 2 SGB V) grundsätzlich von der wöchentlichen Arbeitszeit auszugehen, die tatsächlich geleistet wurde. Überstunden sind insoweit der regelmäßigen Arbeitszeit zuzurechnen, als der Arbeitnehmer sie auf Grund des Arbeitsverhältnisses mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch nicht ständig, gleichbleibend zu leisten hatte (BSGE 35, 126; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Stand September 1993, RdNr 15 zu § 21 SGB VI). Von einer gewissen Regelmäßigkeit ist auszugehen, wenn während der letzten drei Monate regelmäßig Überstunden geleistet oder vergütet worden sind (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, aaO, RdNr 16). Schwankt die Zahl der in den einzelnen Abrechnungszeiträumen angefallenen Überstunden, so ist von der durchschnittlichen Zahl der Überstunden in der Woche auszugehen (Zweng/Scheerer/ Buschmann/Dörr, aaO, RdNr 16 am Ende). Da für den Kläger in der Verdienstbescheinigung seines Arbeitgebers für den Monat Mai 1998 44,96 und für Juni 1998 45,29 Überstunden angegeben sind, könnte es sich hiernach anbieten, vom Mittel der drei Angaben (für Mai bis Juli 1998) auszugehen, so dass dann 40,81 Überstunden monatlich oder 9,42 Überstunden wöchentlich anzusetzen wären.

Anhand eines Vergleichs zwischen maßgeblichem tatsächlich erzielten Einkommen des Klägers und maßgeblichem Tarifentgelt wäre nunmehr zu ermitteln, ob das in Luxemburg erzielte Entgelt das bei zutreffender Einstufung in den einschlägigen Tarifvertrag maßgebliche Entgelt eindeutig übersteigt, damit ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers bejaht werden kann.

Da es dem Senat verwehrt ist, diese Feststellungen selbst zu treffen, war der Rechtsstreit an das LSG zurück zu verweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Rechtskraft
Aus
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