L 5 KA 18/02

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KA 18/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 08.05.2002 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat der Beklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung für das Quartal III/98.

Der Kläger ist in L als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Aufgrund Urkunde vom 1.9.1989 ist er berechtigt, die Zusatzbezeichnung Psychotherapie zu führen.

Die Beklagte setzte mit Honorarbescheid vom 11.2.1999 das Gesamthonorar des Klägers für das Quartal III/98 auf 63.172,01 DM fest. Mit Bescheid vom 15.4.1999 strich sie nachträglich vier Behandlungsfälle von männlichen Patienten der insgesamt 290 vom Kläger abgerechneten Fälle mit der Begründung, da es sich nicht um die Versorgung im Notfall oder von Familienangehörigen gehandelt habe, sei die Behandlung für den Kläger als Frauenarzt fachfremd gewesen. Die Honorarminderung betrug 1.028,27 DM (525,75 EUR). Den Widerspruch des Klägers, in dem dieser auf die geführte Zusatzbezeichnung verwies, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.7.1999 zurück.

Die Klage hat das Sozialgericht Mainz (SG) durch Urteil vom 8.5.2002 abgewiesen. Es hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 18.10.1995 - 6 RKa 52/94, SozR 3-2500 § 95 Nr 7) die Rechtsauffassung der Beklagten bestätigt, dass der als Frauenarzt zugelassene Kläger im Hinblick auf die Regelungen der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz (WBO) männliche Patienten trotz der Zusatzbezeichnung Psychotherapie nicht behandeln dürfe, weil er auch bei überschießender fachlicher Qualifikation die Grenzen des Gebietes, für das er zugelassen sei, einhalten müsse.

Gegen das am 21.5.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.6.2002 Berufung eingelegt.

Zur Begründung macht er geltend, berufsrechtlich habe er die Zusatzbezeichnung Psychotherapie für die Behandlung von Frauen und Männern erlangt, an dieser berufsrechtlichen Möglichkeit knüpfe aber das Vertragsarztrecht an, weshalb die psychotherapeutische Behandlung auch von Männern für ihn nicht fachfremd sei. Selbst wenn man eine fachfremde Tätigkeit annehmen wollte, erfolge diese jedenfalls nicht systematisch und bewege sich innerhalb der üblicherweise geduldeten Spanne von bis zu 5 vH fachfremder Leistungen. Jedenfalls dürften nach einem Vorstandsbeschluss der Beklagten 1 vH der pro Quartal erbrachten Leistungen fachfremd sein. Die Frage sei für ihn gleichwohl von erheblicher Bedeutung, weil auch die Folgequartale betroffen seien mit einem streitigen Honoraranspruch in Höhe von zwischen 8.000 und 10.000 EUR.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 8.5.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 15.4.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.7.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein genereller Anspruch des Klägers, auch Männer psychotherapeutisch behandeln zu dürfen, sei mit dem Gebot der Gebietsbindung nicht vereinbar. Die streitigen Abrechnungsfälle seien auch nicht im Rahmen der vom Kläger hilfsweise geltend gemachten 5%igen Toleranz zu vergüten, weil eine solche Toleranzgröße für fachfremde Leistungen im Weiterbildungs- und Berufsrecht sowie im Honorarverteilungsmaßstab (HVM) keine Grundlage finde. Eine entsprechende Toleranzmenge habe sie, die Beklagte, auch nie eingeräumt. Ebensowenig existiere ein Vorstandsbeschluss des vom Kläger behaupteten Inhalts.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung [§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)].

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Die von der Beklagten mit Bescheid vom 15.4.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.7.1999 durchgeführte sachlich-rechnerische Berichtigung ist zu Recht erfolgt.

Die Berechtigung der Beklagten, die Honorarabrechnungen der Vertragsärzte auf sachliche und rechnerische Richtigkeit zu überprüfen und ggf. die Honorarabrechnungen zu berichtigen, ergibt sich aus § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 Abs 4 des Arzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV-Ä), die auf der Grundlage des § 82 Abs 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vereinbart worden sind. Nach diesen Bestimmungen obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Dies gilt insbesondere für die Anwendung des Regelwerkes. Eine entsprechende Regelung enthält der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten idF vom 24.6.1998, der erstmals für das hier streitbefangene Quartal III/98 Anwendung findet (§ 14 HVM). Gemäß § 8 Abs 1 HVM werden die Abrechnungen der Ärzte von der Beklagten rechnerisch und sachlich geprüft.

Eine rechtmäßige Honorarkürzung setzt demnach voraus, dass der Vertragsarzt die von ihm erbrachten vertragsärztlichen Leistungen fehlerhaft bzw. zu Unrecht zur Abrechnung gebracht hat. Dies ist vorliegend hinsichtlich der streitbefangenen Behandlung von männlichen Patienten durch den Kläger der Fall. Gemäß § 4 Abs 2 Satz 2 HVM werden Leistungen eines Arztes außerhalb seines Gebietes in der Regel nicht honoriert. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, wonach Vertragsärzte nicht in ihr Fachgebiet fallende Leistungen grundsätzlich nicht abrechnen dürfen, auch ohne dass es dazu einer ausdrücklichen Regelung bedarf (vgl nur BSG 12.9.2001 - B 6 KA 89/00 R, SozR 3-2500 § 95 Nr 33 mwN). Dieser Vergütungsausschluss soll - in Anbetracht des Umstandes, dass die fachärztliche Versorgung (vgl § 73 Abs 1 Satz 1 SGB V) in verschiedene Fachdisziplinen aufgeteilt ist, die einer sachgerechten und klaren Abgrenzung bedürfen - sicherstellen, dass Vertragsärzte nur Leistungen aus dem Fachgebiet erbringen, für das sie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind. Der über die Frage der Fachfremdheit von konkreten Behandlungsmaßnahmen entscheidende Tätigkeitsrahmen eines Gebietsarztes wird durch die auf landesrechtlicher Grundlage beruhende Fachgebietsbezeichnung begrenzt; dieses gilt auch, soweit es in der Eigenschaft als Vertragsarzt erbrachte Leistungen anbelangt (BSG 29.9.1999 - B 6 KA 38/98 R, SozR 3-2500 § 95 Nr 21; BSG 18.10.1995 - 6 RKa 52/94, SozR 3-2500 § 95 Nr 7). Die Berufsordnungen der Länder normieren auf der Grundlage von Ermächtigungen in den Heilberufs- bzw. Kammergesetzen die Verpflichtung derjenigen Ärzte, die Gebietsbezeichnungen führen, ihre Tätigkeit auf dieses Fachgebiet zu beschränken.

In Rheinland-Pfalz ergibt sich diese Verpflichtung aus § 34 Abs 1 des Heilberufsgesetzes (HeilBG). Nach dieser Bestimmung darf, wer eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in diesem Gebiet tätig werden. Eine entsprechende Verpflichtung sieht auch § 22 Satz 1 der auf der Grundlage der §§ 24, 32 HeilBG von der Landesärztekammer erlassenen Weiterbildungsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz (WBO) vor. Da der Kläger die Gebietsbezeichnung als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (§ 2 Abs 1 Nr 9, § 6 Abs 1 Nr 9 WBO) führt, hat er mithin seine Tätigkeit auf dieses Fachgebiet zu beschränken.

Das Gebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe umfasst nach Maßgabe des Abschnittes I Nr. 9 WBO die Erkennung, Verhütung, konservative und operative Behandlung einschließlich der psychosomatischen Aspekte der Erkrankung sowie die Nachsorge der Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane und der Brustdrüsen, die gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, sowie die Überwachung normaler und pathologischer Schwangerschaften sowie die Vorbereitung, Durchführung und Nachbehandlung normaler und pathologischer Geburten, einschließlich der erforderlichen Operationen. Angesichts dieser Umschreibung der Zuständigkeit des Frauenarztes ist die psychotherapeutische Behandlung von Männern für den Kläger fachfremd.

Eine Befugnis zur psychotherapeutischen Behandlung von männlichen Patienten lässt sich auch nicht aus der vom Kläger geführten Zusatzbezeichnung Psychotherapie herleiten. Zwar erfasst diese gemäß Abschnitt II Nr. 17 WBO die Erkennung, psychotherapeutische Behandlung, Prävention und Rehabilitation von Erkrankungen, an deren Verursachung psychosoziale Faktoren einen wesentlichen Anteil haben, sowie von Belastungsreaktionen infolge körperlicher Erkrankungen, und lässt damit keine Einschränkungen hinsichtlich des Geschlechts der Patienten erkennen. Die Beklagte weist jedoch zu Recht daraufhin, dass angesichts der zulassungs- und bedarfsplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 18 Abs 1 Satz 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), 24 Abs 3 Ärzte-ZV, 101 Abs 1 Satz 4 SGB V, 102 Satz 2 SGB V und 103 Abs 2 Satz 3 SGB V der Gesetzgeber von der klaren Vorstellung einer nach einzelnen ärztlichen Fachgebieten gegliederten ambulanten vertragsärztlichen Tätigkeit ausgegangen ist, was eine ergänzende Bestimmung des Tätigkeitsbereichs eines Vertragsarztes über Zusatzbezeichnungen und den von diesen umfassten Bereich ausschließt. Angesichts der Notwendigkeit, die einzelnen ärztlichen Disziplinen sachgerecht und klar, unabhängig von individuellen Besonderheiten des betroffenen Arztes abgrenzen zu müssen, ist die berufsrechtliche Berechtigung zur Führung von Zusatzbezeichnungen für die Beurteilung der Fachfremdheit von Leistungen ebenso ohne Belang wie die persönliche Qualifikation für ein anderes Fachgebiet oder der Nachweis der fachlichen Qualifikation zur Abrechnung besonderer vertragsärztlicher Leistungen (BSG 29.9.1999 - B 6 KA 38/98 R, SozR 3-2500 § 95 Nr 21 mwN). Die Begrenzung der vertragsärztlichen Abrechnungsbefugnis des Klägers auf Leistungen aus dem Gebiet der Frauenheilkunde und Geburtshilfe wird deshalb nicht dadurch in Frage gestellt, dass er berechtigt ist, die Zusatzbezeichnung Psychotherapie zu führen. Die psychotherapeutische Behandlung von männlichen Patienten in den vorliegend streitigen vier Abrechnungsfällen lässt sich bei genereller Fachfremdheit auch nicht ausnahmsweise aus besonderen Gründen rechtfertigen. Es hat sich weder um die Versorgung von Patienten im Notfall noch um ggf. ausnahmsweise mit zu behandelnde Familienangehörige von vom Kläger zu Recht behandelten weiblichen Patienten gehandelt. Eine vom Kläger behauptete Toleranzregelung, wonach bis zu 5 vH fachgebietsfremder Leistungen toleriert würden, existiert nach der Aussage der Beklagten und ausweislich der Regelungen des vorliegend maßgeblichen HVM nicht. Im Übrigen treten entsprechende Fälle beim Kläger nicht nur gelegentlich auf; er selbst verweist darauf, dass die psychotherapeutische Behandlung von Männern sämtliche Folgequartale mit einem Honorarvolumen von zwischen 8.000 und 10.000 EUR betrifft. Eine solche regelmäßige Erbringung von Fremdleistungen müsste die Beklagte auch im Rahmen einer etwaigen Toleranz nicht hinnehmen. Auch die Existenz eines Vorstandsbeschlusses, dass generell bis zu 1 vH der abgerechneten Leistungen der Vertragsärzte fachfremd sein dürfen, hat die Beklagte bestritten.

Der Vergütungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht etwa aus einem zu beachtenden Vertrauensschutz. Dieser Gesichtspunkt könnte nach der Rechtsprechung des BSG nur Bedeutung erlangen, wenn die Beklagte für einen längeren Zeitraum die systematisch fachfremde Tätigkeit des Vertragsarztes wissentlich geduldet hätte (BSG 29.9.1999 - B 6 KA 38/98 R, aaO). Ein Vertrauensschutz kommt von vornherein jedoch nur in Frage, wenn die Kassenärztliche Vereinigung Kenntnis davon hatte, dass ein Arzt bestimmte Leistungen nicht nur beiläufig und in Einzelfällen, sondern systematisch abrechnete, und der Arzt aus der langjährigen unbeanstandeten Abrechnung der entsprechenden Leistungen den Schluss ziehen durfte, diese stelle die Fachgebietszugehörigkeit nicht in Frage. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die Frage der gebietsmäßigen Zuordnung einer bestimmten Leistung Gegenstand von Gesprächen oder Schriftwechseln zwischen dem Arzt oder seinem Berufsverband und der Kassenärztlichen Vereinigung gewesen ist und/oder wenn die Fachgebietszuordnung einer bestimmten Leistung Gegenstand von Auseinandersetzungen über den jeweiligen Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung hinaus ist, so dass von der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigung erwartet werden kann, dass sie gegenüber ihren Mitgliedern ihren eigenen Standpunkt rechtzeitig offen legt. Ausgehend hiervon reicht es für einen Vertrauensschutz nicht aus, dass die Beklagte möglicherweise in vorangegangenen Quartalen die Leistungen für die psychotherapeutische Behandlung männlicher Patienten vergütet hat. Einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand hat sie nicht gesetzt. Sie hat dem Kläger nie mitgeteilt, die Behandlung männlicher Patienten würde vergütet. Auch ist weder ersichtlich noch vom Kläger behauptet, dass die Frage der Behandlung von männlichen Patienten durch Frauenärzte Gegenstand von (insbesondere berufsrechtlichen) Auseinandersetzungen ist oder war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG aF.

Gründe im Sinne des § 160 Abs 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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