L 2 U 119/03

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 U 119/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10.2.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich der Berufskrankheit Nr 4110 als unzulässig abgewiesen wird.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob die Lungenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) Nr 4104 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) bzw wie eine BK nach § 9 Abs 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB VII - anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der 1940 geborene Kläger war insgesamt 41 Jahre als Arbeiter in verschiedenen Betrieben tätig. Von August 1954 bis April 1971 war er beim G - und A werk in K (Mitgliedsfirma der Beklagten) als Maschinenformer beschäftigt. Er war dort in der Gießerei, Formerei und Kernerei eingesetzt. Die Arbeit umfasste die Herstellung von Formkästen, das Abgießen der Sandkästen und das anschließende Ausleeren und Auskernen der Rohre. Der Kläger hatte Umgang mit quarzhaltigem Formsand, dem verschiedene Chemikalien sowie Öl als Zusätze beigefügt wurden. Beim Ausnehmen von Teilen, zB von Abflussrohren aller Art und Gussdeckeln, trug der Kläger asbesthaltige Handschuhe. Der Kläger führte regelmäßig Reinigungsarbeiten an den Förderbändern, die unterirdisch verliefen und in regelmäßigen Abständen von Sand befreit werden mussten, durch. Von 1967 bis 1970 war er außerdem im Bereich der Standbahn 3 beschäftigt, wo der Sand automatisch gemischt wurde. Zur Reinigung musste der Kläger in die Mischtrommeln hineinkriechen und die darin verschmutzten Wände abkratzen.

Von Mai 1971 bis Oktober 1975 war der Kläger in der Stahlbaufirma P in W beschäftigt (Mitglied der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft – BG -). Er war dort als Medialbohrer im Hallenbau eingesetzt, wo er an einer Bohrmaschine Stahlteile fertigte.

Von Oktober 1975 bis Dezember 1977 arbeitete der Kläger bei der Firma M D in Z (Mitgliedsfirma der Beklagten). Als Radialbohrer musste er Gewinde und Löcher in Kranbauteile einarbeiten.

Von Januar 1978 bis Juni 1995 war der Kläger in der Firma W in B (Mitgliedsbetrieb der Beigeladenen) beschäftigt. Er war dort Schmelzer am Tunnelofen und musste Dekore in einen Korb einsetzen und nach dem Brennen wieder entnehmen. Es handelte sich um einen elektrisch betriebenen Ofen, bei dem das Dekor bei einer Temperatur von 830 Grad in das Porzellan gebrannt wurde. Einmal im Jahr musste der Ofen gereinigt werden; dazu musste sich der Kläger auf einen Rollenwagen legen und in den Ofen hineingleiten; er musste die Restbestände, die sich an der Innenwand des Ofens abgelagert hatten, abkratzen und absaugen.

Bei einer arbeitsmedizinischen Untersuchung am 16.4.1999 wurde der Verdacht auf ein rechtsseitiges Oberlappenbronchialkarzinom geäußert. Am 20.4.1999 wurde eine Oberlappenresektion rechts mit systematischer Lymphknotenentfernung durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 5.5.1999 wurden als Diagnosen angeführt: "Raumforderung rechter Lungenlappen; histologische Schnellschnittuntersuchung: Adenokarzinom des rechten Lungenoberlappens".

Der Kläger gab an, von 1954 bis 1999 ca 20 Zigaretten pro Tag geraucht zu haben.

In einer Stellungnahme vom Juni 1999 führte die Präventionsabteilung der Verwaltungsgemeinschaft Maschinenbau- und Metall-BG und Hütten- und Walzwerks-BG aus, aufgrund der Angaben des Klägers sei für die Firma P eine "Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen im Sinne des § 9 Abs 2 SGB VII" auszuschließen. Der TAD der Beigeladenen hielt in seinem Schreiben vom Juni 1999 fest, hinsichtlich der Firma W lägen keine Hinweise dafür vor, dass eine Exposition gegenüber Asbeststäuben, Quarzfeinstäuben sowie polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffverbindungen bestanden habe. In einer Stellungnahme vom Juli 1999 legte der TAD der Beklagten dar, eine inhalative Belastung gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen im G - und A K sei möglich; quantitative Angaben seien nicht zu tätigen.

Der Staatliche Gewerbearzt A gelangte in einer Stellungnahme vom August 1999 zu dem Ergebnis, die Anerkennung einer BK oder einer Quasi-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) könne unter Würdigung der Ermittlungen des TAD nicht empfohlen werden.

In einer Stellungnahme vom Oktober 1999 führte der TAD der Beklagten aus, aufgrund der Asbestbelastung durch das Tragen asbesthaltiger Schutzhandschuhe sei beim Kläger von einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von 10,7 Faserjahren auszugehen, wobei die Tätigkeiten als Eisenkipper (1954 bis 1956), als Maschinenformer (1956 bis 1968) und als Abnehmer (1968 bis 1971) berücksichtigt wurden.

Mit Bescheid vom 25.11.1999 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr 4104 sowie einer Quasi-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) ab. Zur Begründung führte sie aus: Nach den Ermittlungen des TAD bestehe lediglich eine Asbestfaserstaubdosis von 10,7 Faserjahren, die sich aus der ersten Tätigkeit des Klägers ergebe. Für die übrigen Tätigkeiten sei eine Asbestgefährdung nicht zu ermitteln. Damit sei die erforderliche kumulative Asbestfaserstaub-Dosis von 25 Faserjahren nicht erreicht. Eine Quasi-BK komme nicht wegen der Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in Betracht, weil der erforderliche Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren (BaP)-Jahren nicht erbracht sei.

Der behandelnde Arzt des Klägers in der Poliklinik H Dr Z regte im anschließenden Widerspruchsverfahren in einer Stellungnahme vom Februar 2000 eine Überprüfung der BaP-Jahre an; es müsse diskutiert werden, inwieweit die errechnete Asbestfaserstaubexposition im Zusammenhang mit der festgestellten BaP-Exposition auch unterhalb der Grenzwerte zu einer Verursachung des Bronchialkarzinoms beigetragen haben könne. Quarzstaub sei mittlerweile in die Kategorie 1 der krebserzeugenden Arbeitsstoffe aufgenommen worden, was grundlegende Neubeurteilungen solcher Fälle zur Folge habe.

Die Beklage veranlasste weitere Ermittlungen zur Exposition. In seiner Stellungnahme vom März 2000 teilte ihr TAD mit: Wegen des Konkursverfahrens des G - und A K seien keine Unterlagen über eingesetzte Gefahrstoffe, deren Zusammensetzung sowie Arbeitseinsatzaufzeichnungen vorhanden. Bei einer theoretisch angenommenen Belastung nach dem BK-Report 2/99 "BaP-Jahre" für den Zeitraum als Eisenkipper und Maschinenformer während der Tätigkeit des Klägers im G - und A K sei für insgesamt 14 Jahre ein Wert von 61 BaP-Jahren anzunehmen. Der Grenzwert von 100 BaP-Jahren werde nicht erreicht.

Auf Nachfrage des TAD der Beklagten gab der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften an: Es gebe noch keine medizinisch-wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse zu der Frage, ob ein Lungenkrebs durch Quarzfeinstaub verursacht werden könne.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12.7.2000 zurück, da weder die Voraussetzungen der BK Nr 4104 noch diejenigen des § 9 Abs 2 SGB VII erfüllt seien.

Im Klageverfahren hat ProfDr B (Institut und Poliklinik der Universität H ) im November 2000 eine Stellungnahme erstattet: Eine überadditivesynkanzerogene Wirkung von Asbestfaserstaub und BaP-reichen Abgasen sei in tierexperimentellen Untersuchungen gesichert. Da beim Kläger 43 % der für eine BK Nr 4104 notwendigen Asbestfaserdosis sowie 61 % der erforderlichen BaP-Dosis erreicht seien, seien insgesamt "mehr als 100 % der addierten Dosisanteile für die Entstehung eines Bronchialkarzinoms" vorhanden. Quarzstaub sei als für den Menschen krebserzeugend eingestuft worden. Damit seien neue wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vorhanden.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts (SG) hat der TAD der Beklagten unter Zuhilfenahme des BK-Reports 2/99 für die Tätigkeit als Eisenkipper und Maschinenformer von 1956 bis 1971 eine "Worst-case-Berechnung" durchgeführt. Er hat in seinem Schreiben vom November 2000 eine Belastung von 64,7 BaP-Jahren als oberste Grenze angegeben.

Dr B vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat im April 2001 mitgeteilt: In Bezug auf ein Zusammentreffen von Listenstoffen mit Nichtlistenstoffen im Sinne einer Synkanzerogenese seien zur Zeit keine Informationen über neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse einer weitaus erhöhten Gefährdung vorhanden. Die in der arbeitsmedizinischen Wissenschaft vorgeschlagenen Lösungsansätze und die vorhandene Kasuistik reichten für eine Bejahung der generellen Geeignetheit iSd § 9 Abs 2 SGB VII nicht aus.

ProfDr W (Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G ) hat dem SG in einem Schreiben vom April 2001 verschiedene Fragen beantwortet.

Das SG hat von Amts wegen ein Gutachten der Fachärztin für Arbeitsmedizin, Innere Medizin und Nephrologie – Umweltmedizin – Dr W aus M vom Oktober 2001 eingeholt. Diese hat weitere Nachermittlungen in Bezug auf die Höhe der schädigenden Exposition empfohlen.

Die beigeladene BG der keramischen und Glasindustrie hat einen Bericht ihres TAD vom Januar 2002 vorgelegt. Darin heißt es: Der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei der Firma W keiner Asbestgefährdung ausgesetzt gewesen; hinsichtlich der BaP-Exposition ergäben sich in Bezug auf diese Tätigkeit im Sinne einer Worst-case-Betrachtung 20 BaP-Jahre. Mit Bericht vom Juni 2002 hat der TAD der Beigeladenen darauf hingewiesen, dass bei der Worst-case-Betrachtung die nach Annahme des TAD vom Kläger bei der Firma W ausgeführte Ofenreinigung berücksichtigt worden sei, weshalb von den ungünstigsten Expositionsbedingungen ausgegangen worden sei.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres TAD vom Mai 2002 in das Verfahren eingebracht, worin festgehalten ist: Hinsichtlich der Asbestfaserstaub-Dosis erhöhe sich die Dosis auf 18,6 Faserjahre. Es sei jedoch entgegen früheren Annahmen nur von 47,7 BaP-Jahren auszugehen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom Oktober 2002 hat die Ärztin Dr W ausgeführt: Unter Berücksichtigung der jetzt ermittelten kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis sowie der BaP-Dosis ergebe sich synergistisch eine Überschreitung der für eine Bejahung des wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der Lungenkrebserkrankung erforderlichen "Verdoppelungsdosis". Die Quarzstaubexposition habe keine Berücksichtigung gefunden, da beim Kläger keine Silikose nachgewiesen sei. Rein monokausal seien die Voraussetzungen der BKen Nrn 4104 und 4110 nicht gegeben. Die Diskussion um die Verursachung berufsbedingter Kanzerogenesen durch synergistisches Zusammenwirken mehrerer schädigender Einwirkungen sei noch offen. Epidemiologisch gebe es Anhaltspunkte, die von einem überadditiven Lungenkrebsrisiko nach Asbest- und BaP-Exposition sowie Rauchen ausgingen. Im Falle des Klägers könne der außerberufliche Risikofaktor Rauchen außer Acht gelassen werden, da bereits in einer rein additivsynergistischen Betrachtung das Krebsrisiko die erforderliche Verdoppelungsdosis überschreite.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger angegeben, der Ofen bei der Firma W sei elektrisch beheizt und nicht mit Steinkohle befeuert worden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.2.2003 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Eine BK im Sinne der Anlage zur BKV liege beim Kläger nicht vor, da die Voraussetzungen der BK Nr 4104, insbesondere in Anbetracht des Fehlens einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von 25 Faserjahren, nicht erfüllt seien. Die Erkrankung des Klägers könne aber auch nicht wie eine BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) entschädigt werden. Zwar habe der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) empfohlen, Lungenkrebserkrankungen durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei einer Einwirkung von mindestens 100 BaP-Jahren in die BKV aufzunehmen; bis dies geschehen sei, sei in solchen Fällen eine Anerkennung nach § 9 Abs 2 SGB VII möglich. Beim Kläger könne jedoch nicht von 100 BaP-Jahren ausgegangen werden. Auch eine Anerkennung als Quasi-BK wegen des Zusammenwirkens mehrerer kanzerogener Noxen sei nicht möglich. Zur Überzeugung der Kammer sei der Synergismuseffekt noch nicht in dem Sinne anerkannt, dass bereits von einer überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft ausgegangen werden könne.

Gegen dieses ihm am 24.3.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 8.4.2003 beim Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung des Klägers.

Der Kläger trägt vor: Es werde darauf hingewiesen, dass die Berechnung der schädigenden Exposition in der Firma G - und A K infolge der Insolvenz dieser Firma rein theoretischer bzw hypothetischer Natur gewesen sei und nicht den tatsächlichen Verhältnissen des Arbeitsplatzes entsprochen habe. Wie das Gutachten der Ärztin Dr W ergeben habe, sei bei ihm, dem Kläger, eine berufsbedingte Verursachung des Lungenkrebsleidens durch ein Zusammenwirken verschiedener Schadstoffe wahrscheinlich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Speyer vom 10.2.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.7.2000 aufzuheben, eine BK Nr 4104 bzw 4110 iVm § 9 Abs 2 SGB VII festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen zu gewähren, hilfsweise ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Soweit der Kläger darauf hingewiesen habe, die Annahmen des TAD seien hypothetischer Natur, verkenne er, dass die Stellungnahmen des Präventionsdienstes auf einer Worst-case-Betrachtung beruhten.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Begründung verweist der Senat auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs 2 SGG), wobei er Folgendes ergänzt:

Soweit der Kläger die Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr 4110 begehrt, ist die Klage unzulässig, da es an einer angefochtenen Verwaltungsentscheidung der Beklagten hierüber fehlt. Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid nur über eine Anerkennung und Entschädigung als BK Nr 4104 und eine Quasi-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) entschieden. Unabhängig davon kommt die BK Nr 4110 beim Kläger ersichtlich nicht in Betracht, weil er, der nicht als Kokerei- bzw Ofenblockarbeiter tätig war (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl, S 1192), keinen Kokereirohgasen iS dieser BK ausgesetzt war.

Die Voraussetzungen der BK Nr 4104 liegen nicht vor. Anhaltspunkte für eine Asbestose oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura sind nicht ersichtlich. Auch fehlt es an dem Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von mindestens 25 Faserjahren. Ausgehend von den Ermittlungen der TAD´e der BGen, in deren Mitgliedsbetrieben der Kläger gearbeitet hat, kann nur von höchstens 18,6 Faserjahren ausgegangen werden.

Soweit der Kläger beanstandet, dass die Faserjahrberechnung des TAD der Beklagten auf einer Schätzung beruht, hat dieses Vorbringen bereits deshalb keinen Erfolg, weil der TAD der Beklagten seiner Berechnung die ungünstigsten in Betracht kommenden Arbeitsverhältnisse zugrunde gelegt hat (worst-case-Betrachtung).

Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII nicht erfüllt. Diese Vorschrift zielt nicht auf eine lückenlose Entschädigung aller wahrscheinlich berufsbedingten Erkrankungen ab, die nicht auf eine Listenkrankheit iSd Anlage zur BKV zurückgehen (st Rspr; für die Vorgängervorschrift des § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung – RVO: Bundessozialgericht - BSG - SozR 2200 § 551 Nr 27). Eine Heranziehung des § 9 Abs 2 SGB VII scheidet in bestimmten Fällen aus, wenn der Verordnungsgeber bereits geprüft hat, ob – und unter welchen Voraussetzungen – die betreffende Krankheit in die Anlage zur BKV aufzunehmen ist (BSG aaO). Letzteres ist vorliegend der Fall; der Verordnungsgeber hat die BK Nr 4104, sofern keine Asbestose oder asbestbedingtePleuraerkrankung vorliegt, ausdrücklich an das Vorliegen von 25 Faserjahren angeknüpft; Anhaltspunkte dafür, dass sich seither neue gesicherte Erkenntnisse ergeben haben, welche auch unterhalb der Grenze von 25 Faserjahren eine Entschädigung als BK ermöglichen würden, sind nicht ersichtlich; dies hat der Kläger auch nicht behauptet, und dafür geht auch aus dem Gutachten der Ärztin Dr W nichts hervor. In Anbetracht der ausdrücklichen Grenzziehung in Form der 25 Faserjahre kann § 9 Abs 2 SGB VII im Hinblick auf die Asbesteinwirkungen auch nicht mit der Begründung angewandt werden, außer Asbest hätten noch andere schädigende Einwirkungen in Form von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen und des Zigarettenrauchens vorgelegen (Koch in "Arbeitsmedizinisches Kolloquium Bad Reichenhall 2001", S 35, 45).

Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass berufliche Einwirkungen durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bestanden. Der ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMA hat zwar 1998 (BArbBl 1998 H 4 S 54; vgl Mehrtens/Perlebach, BKV, 4110/1) empfohlen, Lungenkrebsleiden unter der Voraussetzung von 100 BaP-Jahren in die Liste der BKen aufzunehmen; dieser Empfehlung hat der Verordnungsgeber bisher nicht Rechnung getragen. Bis dahin ist, was auch die Beklagte einräumt, eine Anerkennung als Quasi-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen der Empfehlung des BMA – 100 BaP-Jahre – vorliegen. Dies ist indes beim Kläger nicht der Fall. Vielmehr errechnen sich bei ihm nur 47,7 BaP-Jahre; bei der Firma W lag eine Belastung durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe nicht vor, weil die Öfen elektrisch beheizt wurden. Eine Anerkennung nach § 9 Abs 2 SGB VII im Hinblick auf die Einwirkungen von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen scheidet bei dieser Sachlage aus. Da der ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMA eine Aufnahme von Lungenkrebsleiden unterhalb der Grenze von 100 BaP-Jahren ausdrücklich abgelehnt hat und Anhaltspunkte für neue Erkenntnisse, die diesbezüglich seit der Prüfung des Sachverständigenbeirats gewonnen wurden, nicht ersichtlich sind – auch der Kläger behauptet nicht, dass solche vorhanden sind - scheidet nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG (aaO) eine Entschädigung nach § 9 Abs 2 SGB VII im Hinblick auf die Einwirkung der polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe aus.

Die Festlegung der Grenzwerte von 25 Faserjahren in der BK Nr 4104 und von 100 BaP-Jahren in der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats verbietet daher beim Kläger eine Entschädigung nach § 9 Abs 2 SGB VII. Wenn sich der Verordnungsgeber (bzw der ärztliche Sachverständigenbeirat) für einen bestimmten Dosiswert entschieden hat, kann diese Entscheidung nicht auf dem Wege über § 9 Abs 2 SGB VII dadurch unterlaufen werden, dass im Hinblick auf das synergistische Zusammenwirken beider Noxen im Einzelfall der ursächliche Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung wahrscheinlich sei (vgl Koch in Lauterbach, SGB VII, § 9, Rz 236 a; derselbe in "Arbeitsmedizinisches Kolloquium Bad Reichenhall", aaO zu Vorschlägen, wie zukünftig rechtspolitisch verfahren werden könnte).

Den beruflichen Einwirkungen von Quarz kommt vorliegend keine entscheidende Bedeutung zu. Ein Antrag auf Entschädigung als BK Nr 4112 im vorliegenden Gerichtsverfahren wäre unzulässig, da es diesbezüglich an einer Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehlt. Unabhängig davon fehlt es hinsichtlich der BK Nr 4112 an dem Vorliegen einer Silikose beim Kläger. Eine Entschädigung nach § 9 Abs 2 SGB VII im Hinblick auf die Quarzeinwirkungen scheidet aus. Der Verordnungsgeber hat in der Nr 4112 die Anerkennung und Entschädigung ausdrücklich an das Vorliegen einer Silikose geknüpft, die beim Kläger nicht vorhanden ist. Nach dem Gutachten der Ärztin Dr W bestehen bisher keine gesicherten Erkenntnisse über eine gehäufte Verursachung von Lungenkrebsleiden durch Quarzeinwirkungen ohne Vorhandensein einer Silikose.

Der Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen bedarf es nicht, weil der Sachverhalt ausreichend geklärt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved