Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 U 39/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 6.1.2003 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger bei seinem Unfall vom 4.5.2002 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der am 1983 geborene Kläger nahm in der Zeit vom 1. bis 8.5.2002 als Schüler zusammen mit insgesamt 56 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 12 des G -Gymnasiums in D an einer Studienfahrt in die Toskana teil. Die Teilnahme war für die Schüler verpflichtend.
Der Kläger war im ersten Stock eines Hotels in M T in einem Doppelzimmer gemeinsam mit dem Mitschüler T B untergebracht. Daneben lag das Zimmer von vier Mitschülerinnen, daran angrenzend das Zimmer zweier Mitschüler. Vor den Fenstern der Zimmer im ersten Stock verläuft ein schmales Sims mit einer Breite zwischen 70 und 100 cm. Dorthin kann man nur gelangen, indem man aus dem Fenster klettert. Im Bericht über eine Befragung des Schulleiters, der an der Klassenfahrt teilnehmenden Lehrer und von Schülern der Jahrgangsstufe 12 vom 22.5.2002 ist nach Angaben von Lehrern von einer Breite des Simses von 70 cm (nach Angaben der Lehrerin Spies 70–80 cm), nach Angaben von Mitschülern von einer Breite von 70–100 cm die Rede.
Am 3.5.2002 machte die Gruppe einen Ausflug nach Pisa und Lucca. Sie kam gegen 20 Uhr zum Hotel zurück. Anschließend wurde gemeinsam bis gegen 21 Uhr das Abendessen eingenommen. Danach war es den Schülern freigestellt, was sie noch unternahmen. Die Schüler sollten bis 23 Uhr im Hotel zurück sein; spätestens um 23.30 Uhr sollten sie sich in ihren Zimmern befinden; sie sollten danach, aus Rücksicht auf die anderen Hotelgäste, möglichst ihre Zimmer nicht mehr verlassen. Die Lehrer führten gegen 23.30 Uhr eine Zimmerkontrolle durch.
Gegen 0.15 Uhr meldete eine Schülerin dem begleitenden Lehrpersonal, dass sich Schüler auf dem Sims befänden. Die Lehrerinnen L und S gingen daraufhin in das Zimmer von Frau S im 2. Stock und sahen aus dem Fenster, wobei sie zwei Schüler auf dem Sims wahrnahmen. Auf einen Zuruf der aufsichtsführenden Lehrerin, die Schüler sollten sich sofort in ihre Zimmer begeben, versuchte der Kläger schnellen Schrittes sein Zimmer auf der anderen Seite des Simses zu erreichen. In diesem Augenblick wurde ein bis dahin geschlossener Fensterladen im "Mädchenzimmer" geöffnet, so dass dem Kläger der weitere Weg plötzlich versperrt war. Um nicht gegen den Fensterladen zu stoßen, sprang der Kläger vom Sims ab. Beim Aufprall auf den Boden verletzte er sich erheblich. Er zog sich einen geschlossenen distalen (körperfernen) Unterschenkelbruch rechts im körperfernen Drittel, eine dislozierte (verschobene) distale Radiusfraktur (Speichenbruch) links mit Abbruch des Processus styloideus ulnae (Griffelfortsatz der Elle) links sowie einen Kompressionsbruch des ersten Lendenwirbelkörpers zu.
Der Schulleiter bestätigte, dass der Kläger über die altersentsprechende Reife und Einsichtsfähigkeit verfüge. Nach Angaben der Lehrer hatte der Kläger keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen. Seine Mitschüler sprachen davon, er habe 2-3 Dosen Bier getrunken. Mitschüler gaben an, bereits zuvor sei das Sims "ein- bis zweimal als Weg benutzt" worden. Der Kläger habe dabei eine Videokamera in der Hand gehabt, um eine Aufnahme zu machen.
Der Kläger gab an: Ihm sei bewusst gewesen, dass es nicht erlaubt gewesen sei, auf dem Sims zu gehen. Er habe jedoch noch gemeinsam mit T B zu seinen Mitschülern gewollt; da die Lehrer den Flur überwacht hätten, sei er über das Sims gegangen. Er sei, als der Fensterladen im "Mädchenzimmer" geschlossen worden sei, auf die Straße gesprungen, da er nicht mehr habe anhalten können und befürchtet habe, unkontrolliert zu stürzen.
Mit Bescheid vom 28.5.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Schulunfall ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zwar während der Klassenfahrt gegen Unfall versichert gewesen. Versicherungsschutz bestehe aber nicht während der gesamten Dauer einer Schulfahrt für jedwede Betätigung der Teilnehmer. Er entfalle dann, wenn sich der Schüler rein persönlichen, von der Schultätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen widme. Der Kläger sei im Unfallzeitpunkt bereits 18 Jahre und 8 Monate alt und damit kein Jugendlicher gewesen. Es hätten sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das zum Unfall führende Verhalten durch gruppendynamische Prozesse (zB Kabbeleien, Drohungen, Mutproben) herbeiführt worden sei. Das Verhalten des Klägers könne angesichts dessen Alters nicht mehr einem Spieltrieb oder sonstigen typischen Gruppenverhalten zugerechnet werden. Es gälten damit die für Erwachsene maßgebenden Kriterien zum Versicherungsschutz bei Dienst- und Geschäftsreisen. Danach habe der Kläger nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Selbst wenn das Sims nicht ordnungsgemäß abgesichert gewesen sein sollte, habe er sich bewusst der besonderen Gefahr ausgesetzt. Daher könne eine besondere Gefahrenquelle der Übernachtungsstätte als Ursache für den Unfall nicht angenommen werden.
Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, das Klettern auf dem Sims sei sehr wohl gruppentypisch und von einem besonders gesteigerten Spieltrieb motiviert gewesen. Gerade der Versuch, Aufnahmen mit der Videokamera zu machen, belege den Spieltrieb und das gruppendynamisch veranlasste unmotivierte Verhalten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 28.8.2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Im Klageverfahren hat der Kläger ua vorgetragen: Das Sims sei nicht nur aufgrund der vorhandenen Breite – ca ein Meter -, sondern auch aufgrund der Beleuchtung/Ausleuchtung problemlos zu begehen, wie durch eine Ortsbesichtigung festgestellt werden könne. Seiner Erinnerung nach seien die Fensterläden im "Mädchenzimmer" zuvor verschlossen gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 6.1.2003 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger aus Anlass des Unfalls vom 4.5.2002 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und zur Begründung ausgeführt: Der Unfall vom 4.5.2002 stelle einen versicherten Schulunfall dar. Ausgehend von den Grundsätzen des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7.11.2000 (Az B 2 U 40/99 R = NJW 2001, 2909) habe die zum Unfall führende Tätigkeit in innerem Zusammenhang mit der Klassenfahrt gestanden. Auch wenn der Kläger im Unfallzeitpunkt bereits 18 ¾ Jahre alt gewesen sei, sei das Verhalten als "schülertypisch" zu qualifizieren. Dies gelte insbesondere dann, wenn man in Gruppen auftrete und Personen des anderen Geschlechts in unmittelbarer Nähe seien. Schematische Altersbegrenzungen gebe es in diesem Kontext ohnehin nicht. Gruppendynamische Prozesse bestünden nicht nur in äußeren Handlungsabläufen, sondern lösten auch innere Vorgänge aus, die ihrerseits wieder zu einer Steigerung des äußeren Geschehens führen könnten. Vorliegend sei es geradezu evident, dass die unglückliche "Aktion" des Klägers mit der Videokamera auf der Balustrade vor dem Mädchenzimmer durchaus im gruppendynamischen Prozess des Spielens und "Jokemachens" auf einer Klassenfahrt zu sehen sei. Auch das "Flucht-Verhalten" vor der Lehrerin passe genau in diese Abläufe auf einer Klassenfahrt. Ein solches Verhalten sei keinesfalls "lebensfremd" oder schüleruntypisch. Hinzu komme, dass diese Art der Unterbringung in einem Hotel mit nicht abgesicherten Fenstersimsen solche "Nachtwanderungen" an "Mädchenzimmern" vorbei geradezu herausgefordert habe. Der Hinweis auf eine angebliche "selbstgeschaffene Gefahr", die einen Versicherungsschutz ausschließe, gehe an der Sache vorbei. Die nie überzeugend begründete Ausschlussfigur der "selbstgeschaffenen Gefahr" sei unter Geltung des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) nicht mehr anzuwenden. Sie gehöre auf die "Müllhalde" des Sozialrechts. Nicht entscheidungserheblich sei, ob das Sims 70 cm oder 100 cm breit gewesen und ob der Fensterladen im "Mädchenzimmer" gerade geöffnet oder geschlossen worden sei.
Gegen diesen ihr am 9.1.2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 31.1.2003 beim Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung der Beklagten.
Die Beklagte trägt vor: Die Ausführungen des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) seien nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Im Fall des BSG sei der im Urteil vom 7.11.2000 (aaO) geschilderte gruppendynamische Prozess dadurch geprägt gewesen, dass es unter den Schülern bereits vor dem Unfall zu erheblichen Konflikten gekommen gewesen sei. Eine solche Situation liege im hier zu beurteilenden Sachverhalt ersichtlich nicht vor. Gruppendynamische Prozesse wie Neckereien, Drohungen, Imponiergehabe oder "so genannte Hahnenkämpfe" seien für den Unfall nicht verantwortlich gewesen. Es sei nicht zu erkennen, dass solche gruppendynamischen Prozesse den Kläger dazu bewogen hätten, das Fenstersims zu besteigen und auf ihm herumzulaufen. Dabei sei von Bedeutung, dass es dem Kläger und seinem Mitschüler T B lediglich darum gegangen sei, unbeobachtet von ihrem Zimmer in das übernächste Zimmer ihrer Schulkameraden zu gelangen. Auf Grund seiner Breite sei das Sims so geschaffen gewesen, dass dies sogar ohne großen Aufwand habe gelingen können. Ferner sei auch zu berücksichtigen, dass der Schüler im Fall des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) im Unfallzeitpunkt erst 17 ¼ Jahre alt gewesen sei. Dagegen sei der Kläger bereits 18 ¾ Jahre alt gewesen. Wie das BSG ausgeführt habe, bedürften Jugendliche vor Vollendung des 18. Lebensjahres des besonderen Schutzes der Rechtsordnung. Dieser Gesichtspunkt könne dem Kläger nicht zugute kommen. Bei ihm habe es sich um einen fast 19jährigen und somit um einen im Sinne des Volljährigkeitsrechts erwachsenen jungen Mann gehandelt, der eine altersentsprechende Einsichtsfähigkeit gehabt habe. Selbst bei der weitestgehenden – vom Sachverhalt nicht gestützten – Annahme eines "gruppendynamischen Prozesses" im Form eines "Jokes-Machens" – was immer das sein möge – sei ein solcher Prozess spätestens mit der Aufforderung der Lehrerin, sofort das Sims zu verlassen, beendet gewesen. Das SG habe keinerlei Belege dafür angeführt, inwieweit die konkrete Situation als schülertypisch "unreifes Verhalten" zu bewerten sein könne.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Trier vom 6.1.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor: Das SG habe die Grundsätze des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) korrekt auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt. Zu beachten sei, dass er nicht allein sein Zimmer verlassen habe, sondern vielmehr zusammen mit dem Mitschüler T B auf dem Sims zu den Mitschülern im übernächsten Zimmer gegangen sei. Es sei keineswegs davon auszugehen, dass die Heranwachsenden im Alter von 18 bis 21 Jahren stets wie Erwachsene zu behandeln seien. Die Schüler wären nicht auf die Idee gekommen, ihr Zimmer des Nachts zu verlassen und über ein Sims zu klettern, wenn sie nicht gemeinsam mit anderen Klassenkameraden dort im Hotel untergebracht gewesen wären. Seinerzeit sei die Tür des Zimmers, in dem er, der Kläger, und T B untergebracht gewesen seien, öfter einen Spalt geöffnet worden, um nachzusehen, ob "die Flure noch von den Lehrern überwacht würden". Aus dieser Situation heraus habe man spontan den Beschluss gefasst, den Weg über das Sims zu nehmen. Solche Verhaltensweisen geschähen, weil man dadurch in den Augen der übrigen Mitschüler als etwas Besonderes angesehen werde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist begründet. Der Unfall vom 4.5.2002 erfüllt nicht die Voraussetzungen eines versicherten Schulunfalls.
Nach § 2 Abs 1 Nr 8b SGB VII sind Schüler während des Besuchs von allgemeinbildenden Schulen gegen Unfall versichert. Dies gilt auch während Klassenfahrten. Der Unfallversicherungsschutz ist aber nur bei Tätigkeiten gegeben, die in innerem Zusammenhang mit der Klassenfahrt stehen (ausführlich dazu BSG, Urteil v 7.11.2000, aaO).
Während privater Tätigkeiten, zB im Zusammenhang mit der Übernachtung, besteht auch während Klassenfahrten grundsätzlich kein Versicherungsschutz (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 34). Wie das BSG in seinem Urteil vom 7.11.2000 (aaO) ausführlich dargelegt hat, kann der Versicherungsschutz in solchen Fällen aber dadurch begründet sein, dass sich im Unfall ein besonderer schülerspezifischer gruppendynamischer Prozess verwirklicht.
Dem SG ist insoweit zu folgen, dass es zu dem Unfall durch einen solchen gruppendynamischen Prozess gekommen ist. Ein solcher kann auch dann vorliegen, wenn Neckereien, "Kabbeleien" und ähnliche Verhaltensweisen, durch welche der Sachverhalt des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) geprägt war, nicht vorliegen. Zwar ergibt sich aus dem Sachverhalt nichts Konkretes für die Annahme des SG, die Schüler, die sich auf das Sims begeben haben, hätten den an der Klassenfahrt teilnehmenden Mädchen imponieren wollen. Der gruppendynamische Prozess kann aber – insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger nicht der einzige Schüler war, der auf dem Sims gegangen ist - darin gesehen werden, dass die anwesenden männlichen Schüler einander durch solche Verhaltensweisen imponieren wollten.
Entgegen der Meinung der Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser gruppendynamische Prozess beendet war, nachdem die Lehrerin die Schüler aufgefordert hat, das Sims zu verlassen. Eine solche Betrachtungsweise würde verkennen, dass der Unfall letztlich als Folge der aus dem gruppendynamischen Prozess resultierenden selbstgefährdenden Verhaltensweise des Klägers entstand.
Dennoch bestand nach der Überzeugung des Senats kein Versicherungsschutz, weil der Kläger, dessen Verhalten zu seinem Unfall geführt hat, im Unfallzeitpunkt bereits – und zwar nicht unerheblich - das 18. Lebensjahr überschritten hatte und deshalb nicht mehr von einer altersbedingt eingeschränkten reduzierten Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden kann. Die Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz auf Klassenfahrten im Hinblick auf die Auswirkung eines gruppendynamischen Prozesses beruht wesentlich auf der Erwägung, bei unter 18jährigen sei davon auszugehen, dass ihnen die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen generell noch fehle. Dass es zu dem Unfall durch einen "schülertypischen" Vorfall gekommen ist, genügt für sich allein für die Annahme des Versicherungsschutzes nicht.
Die Auffassungen in der Literatur zur Rechtslage bei über 18jährigen sind nicht einheitlich. Ricke (in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII, Rz 103) und Bereiter-Hahn/Mehrtens (§ 8 SGB VII, Anm 7.4.2) sind der Ansicht, dass als Obergrenze für die Berücksichtigung gruppendynamischer Prozesse im Rahmen der Prüfung des § 8 SGB VII das vollendete 18. Lebensjahr anzusehen sei. Ricke begründet dies damit, für die ohnehin problematische Prüfung des individuellen Entwicklungsstandes sei nach diesem Alter kein Grund mehr erkennbar. Demgegenüber vertritt Krasney (in Brackmann, SGB VII, § 8, RdNr 164) die Meinung, eine allgemeine Altersbegrenzung sei nicht nur wegen der unterschiedlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in den verschiedenen Lebensbereichen, sondern vor allem auch im Hinblick auf die vielfältig möglichen Verrichtungen während des jahrelangen Schulbesuchs nicht zulässig. Nach Auffassung von Keller (in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8, Rz 146 im Anschluss an BSG, Urt v 25.3.1964, Az 2 RU 242/61 = SozR Nr 68 zu § 542 RVO aF) ist "im Regelfall" – mit der Möglichkeit von Ausnahmen - mit Vollendung des 18. Lebensjahres von genügender Einsichtsfähigkeit auszugehen.
Nach Auffassung des Senats kann offen bleiben, ob im Anschluss an Ricke (aaO) und Bereiter-Hahn/Mehrtens (aaO) nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Annahme des Versicherungsschutzes generell nicht mehr auf den Gesichtspunkt des altersbedingt eingeschränkten Einsichtsvermögens gestützt werden kann. Auch wenn im Einzelfall zu prüfen wäre, ob der Kläger trotz der Vollendung des 18. Lebensalters noch keine genügende Einsichtsfähigkeit hatte, käme der Senat zu keinem Ergebnis, das die Annahme des Versicherungsschutzes rechtfertigen würde. Dabei ist zu beachten, dass der Kläger, dessen eigene Handlung zum Unfall geführt hat, im Unfallzeitpunkt nach der Beurteilung des Schulleiters über die altersentsprechende Reife und Einsichtsfähigkeit verfügte, was auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt wird. Hinzu kommt, dass die zum Unfall führende Handlung, das Zurücklegen des Weges zwischen den einzelnen Zimmern auf einem ungesicherten Fenstersims, für den Kläger ersichtlich mit gravierenden Gefahren verbunden war. Der Hinweis des Klägers, das Sims sei "problemlos" begehbar gewesen, zumal die Fensterläden geschlossen gewesen seien, berücksichtigt nicht hinreichend die fehlende Absicherung des Simses. Darauf, ob das Sims 70 oder 100 cm breit war und ob die Fensterläden geschlossen waren, kommt es nicht entscheidend an.
Bei der gegebenen Sachlage kann der Unfallversicherungsschutz nicht – im Anschluss an die Rechtsprechung zu Dienstreisen - mit der Erwägung bejaht werden, zu dem Unfall habe die besondere Gefahr der Unfallstelle wesentlich beigetragen. Denn in Anbetracht des selbstgefährdenden Verhaltens des Klägers kann dem Vorhandensein des ungeschützten Simses nicht die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache des Unfalls beigemessen werden (vgl Keller, aaO, Rz 83).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen nach Überschreiten des 18. Lebensjahres noch Versicherungsschutz im Hinblick auf die Verwirklichung einer gruppenspezifischen, durch die Klassenfahrt bedingten, Gefahr besteht, noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger bei seinem Unfall vom 4.5.2002 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der am 1983 geborene Kläger nahm in der Zeit vom 1. bis 8.5.2002 als Schüler zusammen mit insgesamt 56 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 12 des G -Gymnasiums in D an einer Studienfahrt in die Toskana teil. Die Teilnahme war für die Schüler verpflichtend.
Der Kläger war im ersten Stock eines Hotels in M T in einem Doppelzimmer gemeinsam mit dem Mitschüler T B untergebracht. Daneben lag das Zimmer von vier Mitschülerinnen, daran angrenzend das Zimmer zweier Mitschüler. Vor den Fenstern der Zimmer im ersten Stock verläuft ein schmales Sims mit einer Breite zwischen 70 und 100 cm. Dorthin kann man nur gelangen, indem man aus dem Fenster klettert. Im Bericht über eine Befragung des Schulleiters, der an der Klassenfahrt teilnehmenden Lehrer und von Schülern der Jahrgangsstufe 12 vom 22.5.2002 ist nach Angaben von Lehrern von einer Breite des Simses von 70 cm (nach Angaben der Lehrerin Spies 70–80 cm), nach Angaben von Mitschülern von einer Breite von 70–100 cm die Rede.
Am 3.5.2002 machte die Gruppe einen Ausflug nach Pisa und Lucca. Sie kam gegen 20 Uhr zum Hotel zurück. Anschließend wurde gemeinsam bis gegen 21 Uhr das Abendessen eingenommen. Danach war es den Schülern freigestellt, was sie noch unternahmen. Die Schüler sollten bis 23 Uhr im Hotel zurück sein; spätestens um 23.30 Uhr sollten sie sich in ihren Zimmern befinden; sie sollten danach, aus Rücksicht auf die anderen Hotelgäste, möglichst ihre Zimmer nicht mehr verlassen. Die Lehrer führten gegen 23.30 Uhr eine Zimmerkontrolle durch.
Gegen 0.15 Uhr meldete eine Schülerin dem begleitenden Lehrpersonal, dass sich Schüler auf dem Sims befänden. Die Lehrerinnen L und S gingen daraufhin in das Zimmer von Frau S im 2. Stock und sahen aus dem Fenster, wobei sie zwei Schüler auf dem Sims wahrnahmen. Auf einen Zuruf der aufsichtsführenden Lehrerin, die Schüler sollten sich sofort in ihre Zimmer begeben, versuchte der Kläger schnellen Schrittes sein Zimmer auf der anderen Seite des Simses zu erreichen. In diesem Augenblick wurde ein bis dahin geschlossener Fensterladen im "Mädchenzimmer" geöffnet, so dass dem Kläger der weitere Weg plötzlich versperrt war. Um nicht gegen den Fensterladen zu stoßen, sprang der Kläger vom Sims ab. Beim Aufprall auf den Boden verletzte er sich erheblich. Er zog sich einen geschlossenen distalen (körperfernen) Unterschenkelbruch rechts im körperfernen Drittel, eine dislozierte (verschobene) distale Radiusfraktur (Speichenbruch) links mit Abbruch des Processus styloideus ulnae (Griffelfortsatz der Elle) links sowie einen Kompressionsbruch des ersten Lendenwirbelkörpers zu.
Der Schulleiter bestätigte, dass der Kläger über die altersentsprechende Reife und Einsichtsfähigkeit verfüge. Nach Angaben der Lehrer hatte der Kläger keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen. Seine Mitschüler sprachen davon, er habe 2-3 Dosen Bier getrunken. Mitschüler gaben an, bereits zuvor sei das Sims "ein- bis zweimal als Weg benutzt" worden. Der Kläger habe dabei eine Videokamera in der Hand gehabt, um eine Aufnahme zu machen.
Der Kläger gab an: Ihm sei bewusst gewesen, dass es nicht erlaubt gewesen sei, auf dem Sims zu gehen. Er habe jedoch noch gemeinsam mit T B zu seinen Mitschülern gewollt; da die Lehrer den Flur überwacht hätten, sei er über das Sims gegangen. Er sei, als der Fensterladen im "Mädchenzimmer" geschlossen worden sei, auf die Straße gesprungen, da er nicht mehr habe anhalten können und befürchtet habe, unkontrolliert zu stürzen.
Mit Bescheid vom 28.5.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Schulunfall ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zwar während der Klassenfahrt gegen Unfall versichert gewesen. Versicherungsschutz bestehe aber nicht während der gesamten Dauer einer Schulfahrt für jedwede Betätigung der Teilnehmer. Er entfalle dann, wenn sich der Schüler rein persönlichen, von der Schultätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen widme. Der Kläger sei im Unfallzeitpunkt bereits 18 Jahre und 8 Monate alt und damit kein Jugendlicher gewesen. Es hätten sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das zum Unfall führende Verhalten durch gruppendynamische Prozesse (zB Kabbeleien, Drohungen, Mutproben) herbeiführt worden sei. Das Verhalten des Klägers könne angesichts dessen Alters nicht mehr einem Spieltrieb oder sonstigen typischen Gruppenverhalten zugerechnet werden. Es gälten damit die für Erwachsene maßgebenden Kriterien zum Versicherungsschutz bei Dienst- und Geschäftsreisen. Danach habe der Kläger nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Selbst wenn das Sims nicht ordnungsgemäß abgesichert gewesen sein sollte, habe er sich bewusst der besonderen Gefahr ausgesetzt. Daher könne eine besondere Gefahrenquelle der Übernachtungsstätte als Ursache für den Unfall nicht angenommen werden.
Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, das Klettern auf dem Sims sei sehr wohl gruppentypisch und von einem besonders gesteigerten Spieltrieb motiviert gewesen. Gerade der Versuch, Aufnahmen mit der Videokamera zu machen, belege den Spieltrieb und das gruppendynamisch veranlasste unmotivierte Verhalten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 28.8.2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Im Klageverfahren hat der Kläger ua vorgetragen: Das Sims sei nicht nur aufgrund der vorhandenen Breite – ca ein Meter -, sondern auch aufgrund der Beleuchtung/Ausleuchtung problemlos zu begehen, wie durch eine Ortsbesichtigung festgestellt werden könne. Seiner Erinnerung nach seien die Fensterläden im "Mädchenzimmer" zuvor verschlossen gewesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 6.1.2003 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger aus Anlass des Unfalls vom 4.5.2002 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und zur Begründung ausgeführt: Der Unfall vom 4.5.2002 stelle einen versicherten Schulunfall dar. Ausgehend von den Grundsätzen des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7.11.2000 (Az B 2 U 40/99 R = NJW 2001, 2909) habe die zum Unfall führende Tätigkeit in innerem Zusammenhang mit der Klassenfahrt gestanden. Auch wenn der Kläger im Unfallzeitpunkt bereits 18 ¾ Jahre alt gewesen sei, sei das Verhalten als "schülertypisch" zu qualifizieren. Dies gelte insbesondere dann, wenn man in Gruppen auftrete und Personen des anderen Geschlechts in unmittelbarer Nähe seien. Schematische Altersbegrenzungen gebe es in diesem Kontext ohnehin nicht. Gruppendynamische Prozesse bestünden nicht nur in äußeren Handlungsabläufen, sondern lösten auch innere Vorgänge aus, die ihrerseits wieder zu einer Steigerung des äußeren Geschehens führen könnten. Vorliegend sei es geradezu evident, dass die unglückliche "Aktion" des Klägers mit der Videokamera auf der Balustrade vor dem Mädchenzimmer durchaus im gruppendynamischen Prozess des Spielens und "Jokemachens" auf einer Klassenfahrt zu sehen sei. Auch das "Flucht-Verhalten" vor der Lehrerin passe genau in diese Abläufe auf einer Klassenfahrt. Ein solches Verhalten sei keinesfalls "lebensfremd" oder schüleruntypisch. Hinzu komme, dass diese Art der Unterbringung in einem Hotel mit nicht abgesicherten Fenstersimsen solche "Nachtwanderungen" an "Mädchenzimmern" vorbei geradezu herausgefordert habe. Der Hinweis auf eine angebliche "selbstgeschaffene Gefahr", die einen Versicherungsschutz ausschließe, gehe an der Sache vorbei. Die nie überzeugend begründete Ausschlussfigur der "selbstgeschaffenen Gefahr" sei unter Geltung des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) nicht mehr anzuwenden. Sie gehöre auf die "Müllhalde" des Sozialrechts. Nicht entscheidungserheblich sei, ob das Sims 70 cm oder 100 cm breit gewesen und ob der Fensterladen im "Mädchenzimmer" gerade geöffnet oder geschlossen worden sei.
Gegen diesen ihr am 9.1.2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 31.1.2003 beim Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung der Beklagten.
Die Beklagte trägt vor: Die Ausführungen des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) seien nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Im Fall des BSG sei der im Urteil vom 7.11.2000 (aaO) geschilderte gruppendynamische Prozess dadurch geprägt gewesen, dass es unter den Schülern bereits vor dem Unfall zu erheblichen Konflikten gekommen gewesen sei. Eine solche Situation liege im hier zu beurteilenden Sachverhalt ersichtlich nicht vor. Gruppendynamische Prozesse wie Neckereien, Drohungen, Imponiergehabe oder "so genannte Hahnenkämpfe" seien für den Unfall nicht verantwortlich gewesen. Es sei nicht zu erkennen, dass solche gruppendynamischen Prozesse den Kläger dazu bewogen hätten, das Fenstersims zu besteigen und auf ihm herumzulaufen. Dabei sei von Bedeutung, dass es dem Kläger und seinem Mitschüler T B lediglich darum gegangen sei, unbeobachtet von ihrem Zimmer in das übernächste Zimmer ihrer Schulkameraden zu gelangen. Auf Grund seiner Breite sei das Sims so geschaffen gewesen, dass dies sogar ohne großen Aufwand habe gelingen können. Ferner sei auch zu berücksichtigen, dass der Schüler im Fall des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) im Unfallzeitpunkt erst 17 ¼ Jahre alt gewesen sei. Dagegen sei der Kläger bereits 18 ¾ Jahre alt gewesen. Wie das BSG ausgeführt habe, bedürften Jugendliche vor Vollendung des 18. Lebensjahres des besonderen Schutzes der Rechtsordnung. Dieser Gesichtspunkt könne dem Kläger nicht zugute kommen. Bei ihm habe es sich um einen fast 19jährigen und somit um einen im Sinne des Volljährigkeitsrechts erwachsenen jungen Mann gehandelt, der eine altersentsprechende Einsichtsfähigkeit gehabt habe. Selbst bei der weitestgehenden – vom Sachverhalt nicht gestützten – Annahme eines "gruppendynamischen Prozesses" im Form eines "Jokes-Machens" – was immer das sein möge – sei ein solcher Prozess spätestens mit der Aufforderung der Lehrerin, sofort das Sims zu verlassen, beendet gewesen. Das SG habe keinerlei Belege dafür angeführt, inwieweit die konkrete Situation als schülertypisch "unreifes Verhalten" zu bewerten sein könne.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Trier vom 6.1.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor: Das SG habe die Grundsätze des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) korrekt auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt. Zu beachten sei, dass er nicht allein sein Zimmer verlassen habe, sondern vielmehr zusammen mit dem Mitschüler T B auf dem Sims zu den Mitschülern im übernächsten Zimmer gegangen sei. Es sei keineswegs davon auszugehen, dass die Heranwachsenden im Alter von 18 bis 21 Jahren stets wie Erwachsene zu behandeln seien. Die Schüler wären nicht auf die Idee gekommen, ihr Zimmer des Nachts zu verlassen und über ein Sims zu klettern, wenn sie nicht gemeinsam mit anderen Klassenkameraden dort im Hotel untergebracht gewesen wären. Seinerzeit sei die Tür des Zimmers, in dem er, der Kläger, und T B untergebracht gewesen seien, öfter einen Spalt geöffnet worden, um nachzusehen, ob "die Flure noch von den Lehrern überwacht würden". Aus dieser Situation heraus habe man spontan den Beschluss gefasst, den Weg über das Sims zu nehmen. Solche Verhaltensweisen geschähen, weil man dadurch in den Augen der übrigen Mitschüler als etwas Besonderes angesehen werde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist begründet. Der Unfall vom 4.5.2002 erfüllt nicht die Voraussetzungen eines versicherten Schulunfalls.
Nach § 2 Abs 1 Nr 8b SGB VII sind Schüler während des Besuchs von allgemeinbildenden Schulen gegen Unfall versichert. Dies gilt auch während Klassenfahrten. Der Unfallversicherungsschutz ist aber nur bei Tätigkeiten gegeben, die in innerem Zusammenhang mit der Klassenfahrt stehen (ausführlich dazu BSG, Urteil v 7.11.2000, aaO).
Während privater Tätigkeiten, zB im Zusammenhang mit der Übernachtung, besteht auch während Klassenfahrten grundsätzlich kein Versicherungsschutz (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 34). Wie das BSG in seinem Urteil vom 7.11.2000 (aaO) ausführlich dargelegt hat, kann der Versicherungsschutz in solchen Fällen aber dadurch begründet sein, dass sich im Unfall ein besonderer schülerspezifischer gruppendynamischer Prozess verwirklicht.
Dem SG ist insoweit zu folgen, dass es zu dem Unfall durch einen solchen gruppendynamischen Prozess gekommen ist. Ein solcher kann auch dann vorliegen, wenn Neckereien, "Kabbeleien" und ähnliche Verhaltensweisen, durch welche der Sachverhalt des Urteils des BSG vom 7.11.2000 (aaO) geprägt war, nicht vorliegen. Zwar ergibt sich aus dem Sachverhalt nichts Konkretes für die Annahme des SG, die Schüler, die sich auf das Sims begeben haben, hätten den an der Klassenfahrt teilnehmenden Mädchen imponieren wollen. Der gruppendynamische Prozess kann aber – insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger nicht der einzige Schüler war, der auf dem Sims gegangen ist - darin gesehen werden, dass die anwesenden männlichen Schüler einander durch solche Verhaltensweisen imponieren wollten.
Entgegen der Meinung der Beklagten kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser gruppendynamische Prozess beendet war, nachdem die Lehrerin die Schüler aufgefordert hat, das Sims zu verlassen. Eine solche Betrachtungsweise würde verkennen, dass der Unfall letztlich als Folge der aus dem gruppendynamischen Prozess resultierenden selbstgefährdenden Verhaltensweise des Klägers entstand.
Dennoch bestand nach der Überzeugung des Senats kein Versicherungsschutz, weil der Kläger, dessen Verhalten zu seinem Unfall geführt hat, im Unfallzeitpunkt bereits – und zwar nicht unerheblich - das 18. Lebensjahr überschritten hatte und deshalb nicht mehr von einer altersbedingt eingeschränkten reduzierten Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden kann. Die Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz auf Klassenfahrten im Hinblick auf die Auswirkung eines gruppendynamischen Prozesses beruht wesentlich auf der Erwägung, bei unter 18jährigen sei davon auszugehen, dass ihnen die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen generell noch fehle. Dass es zu dem Unfall durch einen "schülertypischen" Vorfall gekommen ist, genügt für sich allein für die Annahme des Versicherungsschutzes nicht.
Die Auffassungen in der Literatur zur Rechtslage bei über 18jährigen sind nicht einheitlich. Ricke (in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII, Rz 103) und Bereiter-Hahn/Mehrtens (§ 8 SGB VII, Anm 7.4.2) sind der Ansicht, dass als Obergrenze für die Berücksichtigung gruppendynamischer Prozesse im Rahmen der Prüfung des § 8 SGB VII das vollendete 18. Lebensjahr anzusehen sei. Ricke begründet dies damit, für die ohnehin problematische Prüfung des individuellen Entwicklungsstandes sei nach diesem Alter kein Grund mehr erkennbar. Demgegenüber vertritt Krasney (in Brackmann, SGB VII, § 8, RdNr 164) die Meinung, eine allgemeine Altersbegrenzung sei nicht nur wegen der unterschiedlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in den verschiedenen Lebensbereichen, sondern vor allem auch im Hinblick auf die vielfältig möglichen Verrichtungen während des jahrelangen Schulbesuchs nicht zulässig. Nach Auffassung von Keller (in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8, Rz 146 im Anschluss an BSG, Urt v 25.3.1964, Az 2 RU 242/61 = SozR Nr 68 zu § 542 RVO aF) ist "im Regelfall" – mit der Möglichkeit von Ausnahmen - mit Vollendung des 18. Lebensjahres von genügender Einsichtsfähigkeit auszugehen.
Nach Auffassung des Senats kann offen bleiben, ob im Anschluss an Ricke (aaO) und Bereiter-Hahn/Mehrtens (aaO) nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Annahme des Versicherungsschutzes generell nicht mehr auf den Gesichtspunkt des altersbedingt eingeschränkten Einsichtsvermögens gestützt werden kann. Auch wenn im Einzelfall zu prüfen wäre, ob der Kläger trotz der Vollendung des 18. Lebensalters noch keine genügende Einsichtsfähigkeit hatte, käme der Senat zu keinem Ergebnis, das die Annahme des Versicherungsschutzes rechtfertigen würde. Dabei ist zu beachten, dass der Kläger, dessen eigene Handlung zum Unfall geführt hat, im Unfallzeitpunkt nach der Beurteilung des Schulleiters über die altersentsprechende Reife und Einsichtsfähigkeit verfügte, was auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt wird. Hinzu kommt, dass die zum Unfall führende Handlung, das Zurücklegen des Weges zwischen den einzelnen Zimmern auf einem ungesicherten Fenstersims, für den Kläger ersichtlich mit gravierenden Gefahren verbunden war. Der Hinweis des Klägers, das Sims sei "problemlos" begehbar gewesen, zumal die Fensterläden geschlossen gewesen seien, berücksichtigt nicht hinreichend die fehlende Absicherung des Simses. Darauf, ob das Sims 70 oder 100 cm breit war und ob die Fensterläden geschlossen waren, kommt es nicht entscheidend an.
Bei der gegebenen Sachlage kann der Unfallversicherungsschutz nicht – im Anschluss an die Rechtsprechung zu Dienstreisen - mit der Erwägung bejaht werden, zu dem Unfall habe die besondere Gefahr der Unfallstelle wesentlich beigetragen. Denn in Anbetracht des selbstgefährdenden Verhaltens des Klägers kann dem Vorhandensein des ungeschützten Simses nicht die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache des Unfalls beigemessen werden (vgl Keller, aaO, Rz 83).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen nach Überschreiten des 18. Lebensjahres noch Versicherungsschutz im Hinblick auf die Verwirklichung einer gruppenspezifischen, durch die Klassenfahrt bedingten, Gefahr besteht, noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde.
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