L 4 KA 13/12

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 16 KA 97/09
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 13/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 45/14 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 20012 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 144.308,66 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein gegen den Kläger festgesetzter Regress im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln nach Richtgrößen für die Kalenderjahre 2003 bis 2005 in Höhe von insgesamt 144.308,66 EUR.

Der Kläger war in L als niedergelassener Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Dabei war er der Fachgruppe der hausärztlichen Internisten zugeordnet. Seine vertragsärztliche Tätigkeit gab er zum Ende des III. Quartals 2006 aus Altersgründen auf.

Bereits für die Kalenderjahre 2001 und 2002 stellte die Gemeinsame Prüfeinrichtung der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig-Holstein – Kammer Prüfung Arznei – eine Überschreitung der Richtgrößen für die Arzneimittelverordnungskosten durch den Kläger fest und informierte den Kläger darüber mit Schreiben von August und Dezember 2004. Zu weiteren Maßnahmen ist es, soweit ersichtlich, nicht gekommen. Im Herbst 2006 erhielt der Kläger durch die Kammer Prüfung Arznei die Mitteilung, dass die Richtgrößen auch für das Kalenderjahr 2003 überschritten seien. Dagegen erhob er mit Schreiben vom 28. November 2006 Einwendungen. Er wandte sich gegen die Berücksichtigung von 23 anonymen Rezepten und wies darauf hin, dass sein Patientenstamm einen hohen Anteil von Rentnern und Diabetikern aufweise und dass er einige namentlich genannte teure Fälle behandele. Nachdem er mit Schreiben vom 11. Juli 2007 und 21. August 2007 über eine rechnerische Überschreitung der Richtgrößensumme auch für die Kalenderjahre 2004 und 2005 informiert worden war, nahm er mit Schreiben vom 6. September 2007 auf sein Schreiben vom 28. November 2006 Bezug und hielt die entsprechenden Einwendungen aufrecht.

Mit Bescheiden vom 14. Dezember 2007 entschied die Kammer Prüfung Arznei für die Kalenderjahre 2003 bis 2005, dass gegen den Kläger keine Maßnahme festgesetzt werde. Die Kammer Prüfung Arznei stellte dabei unter Herausrechnung der in der Anlage 2 zu der jeweiligen Richtgrößenvereinbarung aufgezählten Wirkstoffe und der in der Anlage 3 zu der jeweiligen Richtgrößenvereinbarung aufgezählten Indikationen sowie weiterer Minderungsfaktoren eine bereinigte Abweichung von den Richtgrößen für 2003 im Umfang von 109,72 %, für 2004 im Umfang von 59,34 % und für 2005 im Umfang von 70,39 % fest. Auch unter Berücksichtigung individueller Praxisbesonderheiten, insbesondere einzelner teurer Patienten, ergäbe sich ein rechnerischer Nettoregress für 2003 in Höhe von 40.309,84 EUR, für 2004 in Höhe von 45.596,30 EUR und für 2005 in Höhe von 58.402,52 EUR. Es würden aber keine Maßnahmen festgesetzt, denn die Kammerprüfung Arznei vertrete die Auffassung, dass die im Rahmen der Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs. 5a bis 5d Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) vorgesehenen Maßnahmen grundsätzlich nur gegenüber zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch als Vertragsärzte tätigen Ärzten eingeleitet werden dürften. Zu berücksichtigen sei, dass aktive Ärzte nach § 106 Abs. 5d SGB V die Möglichkeit hätten, durch eine zukunftsgerichtete individuelle Richtgrößenvereinbarung und deren Einhaltung die Erstattung des unwirtschaftlichen Mehraufwandes zu vermeiden. Es sei aus Gleichbehandlungsgründen nicht vertretbar, dass für zwischenzeitlich ausgeschiedene Ärzte keine vergleichbaren Folgeregelungen getroffen worden seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die zuvor von dem Kläger versorgten Patienten mittlerweile wirtschaftlich versorgt würden, denn bei nur 2,6 % der geprüften Arztpraxen sei eine relevante Überschreitung der Richtgrößen festzustellen gewesen. Auch die in § 106 Abs. 5c SGB V vorgesehene Stundungsmöglichkeit bei nachgewiesener Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz beinhalte ein Verfahren für praktizierende Vertragsärzte. Dies bestätige, dass Maßnahmen nach § 106 Abs. 5a ff. SGB V nur gegen praktizierende Ärzte eingeleitet werden dürften.

Gegen die Bescheide vom 14. Dezember 2007 legten die Beigeladenen zu 1) bis 4) und 6) bzw. ihre jeweiligen Vorgängerorganisationen am 11./12. Januar 2008 Widerspruch ein. Zur Begründung widersprachen sie der Rechtsansicht der Kammer Prüfung Arznei. Aus ihrer Sicht sei ein Regress nur dann nicht festzusetzen, wenn eine individuelle Richtgröße vereinbart werde. Sollte ein Arzt, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage sein, eine individuelle Richtgröße zu vereinbaren, sei dem SGB V in diesen Fällen nicht zu entnehmen, warum kein Schaden festzusetzen sei. Es sei daher aus rechtlicher Sicht nicht nachvollziehbar, warum im vorliegenden Fall keine Maßnahme festgesetzt worden sei.

Im Widerspruchsverfahren nahm der Kläger nochmals Stellung. Dabei wies er darauf hin, dass seine Praxis von seinem Großvater gegründet worden sei und er sie von seinem Vater übernommen habe. Einen Großteil seines Patientenklientels habe er noch von seinem Vater übernommen. Es seien alte bzw. mit ihm alt gewordene treue Seelen gewesen. Sein Verhalten hinsichtlich der Medikamentenverschreibung habe er nicht verändert. Er habe einen hohen Anteil an über 60 jährigen Versicherten, viele seiner Patienten litten an Diabetes Typ II und seine Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, HIV sowie Herztransplantation seien als Besonderheit zu berücksichtigen. Ferner beantragte der Kläger während des laufenden Widerspruchsverfahrens gegenüber der Beigeladenen zu 5.) den Erlass der Regressbeträge.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2009 gab der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen statt und setzte Regresse in Höhe von 40.309,84 EUR für 2003, in Höhe von 45.596,30 EUR für 2004 und in Höhe von 58.402,52 EUR für 2005 fest. Zur Begründung führte er aus, aus den gesetzlichen Vorgaben des § 106 Abs. 5a bis 5d SGB V könne nicht gefolgert werden, dass eine Regressfestsetzung gegen einen nicht mehr vertragsärztlich tätigen Arzt ausgeschlossen sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hiermit das Verfahren für den Regelfall festgelegt habe, wobei unter Regelfall zu verstehen sei, dass der Vertragsarzt auch weiterhin als solcher tätig sei. Ein Anspruch der Krankenkassen auf Erstattung des festgesetzten Mehraufwandes entfalle nicht, denn dieser Betrag sei von der seitens der Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichtenden Gesamtvergütung abzuziehen. Diese habe die Rückforderungsansprüche gegen den jeweiligen Vertragsarzt zu realisieren. Davon könne sie absehen, wenn die Rückforderung den Vertragsarzt wirtschaftlich gefährden würde. Gleiches gelte für den Fall, dass ein Arzt seine vertragsärztliche Tätigkeit aufgegeben habe oder aus welchen Gründen auch immer eine Aufrechnung wegen des Wegfalls von Honorarforderungen nicht mehr möglich sei. Eine andere Auslegung liefe der Intention des Gesetzgebers hinsichtlich einer effektiven Überwachung der Wirtschaftlichkeit ärztlich verordneter Leistungen entgegen. Weitere Praxisbesonderheiten seien nicht zu berücksichtigen. Der Prüfungsausschuss habe eine Reihe besonderer Arzneimittel und Behandlungsfälle als Praxisbesonderheiten anerkannt. Damit sei den individuellen Gegebenheiten ausreichend Rechnung getragen. Soweit ein erhöhter Anteil älterer Patienten geltend gemacht werde, sei darauf hinzuweisen, dass diesem Umstand dadurch Rechnung getragen werde, dass für Rentner höhere Richtgrößen gelten würden. Darüber hinaus werde bereits von Gesetzes wegen regelmäßig eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 25 % zugestanden. Der dadurch geschaffene Spielraum werde als ausreichend angesehen, um gegebenenfalls entstehenden Mehraufwand abzudecken. Die Behandlung altersspezifischer Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus und chronisch obstruktive Lungenkrankheit sei mit dem höheren Richtgrößenwert abgegolten und stelle auch im Vergleich zur Fachgruppe keinen Sachverhalt dar, der die Praxis des Klägers von anderen Praxen dieser Fachgruppe abhebe. Die Kosten eines Patienten mit der Diagnose Mundbodenkarzinom seien kostenmindernd berücksichtigt worden, ebenso die Kosten eines Patienten mit einer HIV-Erkrankung sowie zweier weiterer Patienten mit schwerwiegenden Diagnosen und hohen Verordnungskosten. Auch die vom Kläger angezweifelten Methadon-Verordnungen sowie die anonymen Rezepte seien herausgerechnet worden. Insofern seien keine neuen Sachverhalte vorgetragen worden, die mindernd bei den Verordnungskosten zu berücksichtigen gewesen wären.

Mit der am 4. November 2009 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er auf seine schlechte wirtschaftliche Situation und seine Belastung durch die Rückforderung hingewiesen. Bemühungen mit der Beigeladenen zu 5) um einen Erlass oder eine Minderung des Rückforderungsanspruchs seien gescheitert. Diese habe mit Bescheid vom 29. April 2011 ihm gegenüber einen Rückforderungsanspruch in Höhe von 144.308,66 EUR geltend gemacht. Ferner hat er vorgetragen, seines Erachtens sei der Bescheid vom 7. Oktober 2009 bereits verfristet, denn § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V verlange eine Festsetzung des Regresses innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des geprüften Verordnungszeitraums. Für das Kalenderjahr 2005 hätte der Regress daher spätestens zum 31. Dezember 2007 festgesetzt werden müssen. Die entsprechende Neufassung des § 106 SGB V sei zum 1. Januar 2008 ohne Übergangsregelung in Kraft getreten, so dass die Ausschlussfrist ohne Ausnahmen bestehe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass für Prüfzeiträume vor dem 1. Januar 2008 noch die zuvor angewendete Ausschlussfrist von vier Jahren gelte, sei jedenfalls die Festsetzung eines Regresses für 2003 und 2004 verfristet. Zu beanstanden sei ferner, dass weder der Prüfungsausschuss noch der Beklagte auf einen Vergleichsschluss zur Minderung der Erstattungssumme hingewirkt hätten. Ein Abschluss einer solchen Vereinbarung hätte aber unabhängig vom Umstand, ob der Kläger noch vertragsärztlich tätig gewesen sei, angestrebt werden müssen. Anders verhalte es sich mit der Möglichkeit des Abschlusses einer individuellen Richtgrößenvereinbarung. Diese habe nur ein noch aktiver Vertragsarzt, es sei aber aus Gründen der Gleichbehandlung nicht hinnehmbar, ausgeschiedene Ärzte gegenüber aktiven Vertragsärzten schlechter zu behandeln. Die Vorschrift des § 106 Abs. 5d Satz 1 SGB V müsse daher jedenfalls teleologisch dahingehend reduziert werden, dass in den Fällen der Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit ein Regress nicht festgesetzt werde. Die gegenteilige Auffassung der Krankenkassen und des Beklagten überzeuge nicht. Die Regressfestsetzung verstoße auch gegen den Grundsatz Beratung vor Regress und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ausdruck der Verhältnismäßigkeit seien die gesetzlichen Änderungen des § 106 Abs. 5c SGB V zum 1. Januar 2011, nach denen geprüfte Ärzte in den ersten beiden Jahren einer Überschreitung nicht die festgestellten Mehrkosten, sondern lediglich einen pauschalen Höchstbeitrag zurückzahlen sollten. Zudem sehe § 106 SGB V in Abs. 5e seit 1. Januar 2012 vor, dass bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung statt der Festsetzung eines Regresses erfolge. Ein Erstattungsbetrag könne erstmals für den Zeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Auch hierbei handele es sich um eine Verfahrensvorschrift, die auf noch nicht bestandskräftige Regressbescheide anzuwenden sei. Schließlich seien über das zugestandene Ausmaß hinaus noch weitere individuelle Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2009 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Mit Urteil vom 9. Mai 2012 hat das Sozialgericht Kiel die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Verordnungsregresse für die Jahre 2003 bis 2005 seien rechtmäßig. Die wegen Überschreitung der Richtgrößen jeweils durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfungen seien nicht zu beanstanden. Insbesondere habe der Beklagte die Richtgrößenvereinbarungen für 2003, 2004 und 2005 zu Recht angewandt. Der festgesetzte Regress sei nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil der Kläger seine Tätigkeit zum 1. April 2006 (gemeint: 1. Oktober 2006) aufgegeben habe. Aus der Funktion der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei nicht abzuleiten, dass eine Festsetzung von Regressen nur an noch weiterhin vertragsärztlich tätige Ärzte gerichtet werden dürfe. Dies würde anderenfalls die Möglichkeit eröffnen, in den letzten Quartalen vor Aufgabe einer Praxis ein Abrechnungsverhalten zu zeigen, das ohne Risiko einer nachfolgenden Wirtschaftlichkeitsprüfung grenzenlos ausgeübt werden könne, um dadurch das Abrechnungsvolumen der Praxis und letztlich den Verkaufserlös des Praxissitzes steigern zu können. Dadurch würde eine nicht hinnehmbare Situation eintreten. Zudem sei die Kammer überzeugt, dass Richtgrößenprüfungen jedenfalls bis zum 31. Dezember 2007 grundsätzlich innerhalb der nachfolgenden Frist von vier Jahren durchgeführt werden dürften. Die nunmehr verkürzte Festsetzungsfrist nach § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V gelte erst zum 1. Januar 2008 und damit noch nicht in dem zur Entscheidung stehenden Zeitraum der Prüfung. Es sei unerheblich, dass das Regelungswerk des § 106 SGB V besondere Möglichkeiten nur für noch tätige Vertragsärzte vorsehe. Auch die Bemessung der für den Kläger maßgeblichen Richtgröße nach der Arztgruppe der hausärztlichen Internisten sei zutreffend. Art und Umfang der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten seien nicht zu beanstanden. Praxisbesonderheiten seien anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen würden. Zutreffend habe der Beklagte danach zunächst Indikationsgebiete und Arzneimittel nach Anlage 2 und 3 der Richtgrößenempfehlung heraus-gerechnet sowie auch Fälle von teuren Patienten als individuelle Praxisbesonderheiten berücksichtigt. Die gelte insbesondere für Patienten mit Morbus Crohn, Mundbodenkarzinom, PCP und CREST, aber auch HIV und Sondennahrung. Die vom Kläger genannte schwerpunktmäßige Behandlung älterer Patienten werde dadurch berücksichtigt, dass für Rentner deutlich höhere Richtgrößen gelten würden. Damit sei auch dem höheren Aufwand für die Behandlung altersspezifischer Erkrankungen wie Diabetes, koronare Herzkrankheit oder Atemwegserkrankungen Rechnung getragen. Auch die übrigen hausärztlichen Internisten hätten typischerweise einen erhöhten Anteil von älteren Patienten behandelt. Einem etwaigen darüber noch hinausgehenden Anteil des Klägers werde durch die im Gesetz vorgesehene 25%ige Toleranzschwelle Rechnung getragen.

Aus Sicht des Gerichts sei der Kläger jedoch durch die Höhe der insgesamt festgesetzten Regresssumme nach Aufgabe seiner vertragsärztlichen Tätigkeit und Eintritt in den Ruhestand wirtschaftlich schwer belastet. Trotz der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Durchführung des Prüfungsverfahrens sei dies im Rahmen des gegenüber der Beigeladenen zu 5) geführten Verfahrens um Stundung bzw. Erlass des Regressbetrages aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, insbesondere vor dem Hintergrund der in den späteren Neuregelungen des § 106 SGB V enthaltenen Erleichterungen für später geprüfte Vertragsärzte.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 4. Oktober 2012 zugestellte Urteil richtet sich die beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers vom 1. November 2012. Der Kläger hält zur Begründung seiner Berufung an der Auffassung fest, wonach ein Regress gegenüber aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Ärzten im Hinblick auf die in § 106 SGB V vorgesehenen Erleichterungen für noch aktive Vertragsärzte nicht festgesetzt werden könne. Die vom Sozialgericht geäußerte Befürchtung der Manipulation des Abrechnungsverhaltens vor Praxisaufgabe sei wenig nachvollziehbar und nicht überzeugend. Einem solchen Verhalten könne ohne Weiteres begegnet werden, da "Ausreißer" vor Praxisaufgabe ebenso problemlos wie deutlich feststellbar wären. Darüber hinaus rüge er weiterhin, dass die verkürzte Feststellungsfrist des § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V keine Anwendung gefunden habe. Durch diese Vorschrift sei die Möglichkeit von Regressen erheblich eingeschränkt worden. Das Fehlen einer Übergangsregelung führe zur Anwendbarkeit der Norm auch auf den vorliegenden Sachverhalt. Schließlich verstoße die Festsetzung des Regresses gegen das Gebot einer Beratung vor Festsetzung eines Regresses. Dies sei jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen. Er weist auf die Regelung des § 106 Abs. 5e Satz 7 SGB V hin, die nach ihrem Wortlaut für alle Verfahren gelte, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen seien. Da das vorliegende Verfahren noch rechtshängig sei, sei es nicht abgeschlossen. Ein Erstattungsbetrag hätte ihm gegenüber nur dann geltend gemacht werden dürfen, wenn er vorher beraten worden wäre. Die Empfehlung, diese Neuregelung nur für noch nicht abgeschlossene Widerspruchsverfahren gelten zu lassen, finde sich im Gesetzestext nicht. Der Wortlaut sei insoweit eindeutig. Die Regelung gelte für alle Verfahren, egal, in welchem Verfahrensstadium sie sich befänden. Eine Differenzierung wäre auch unbillig, denn es sei völlig willkürlich, wann ein Widerspruchsverfahren abgeschlossen werde und wann nicht. Diese Willkür könne nicht zu seinen Lasten gehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich der Auffassung des Beigeladenen zu 5) an und macht keine eigenen schriftlichen Ausführungen.

Die Beigeladene zu 5) stellt keinen Antrag, trägt aber zur Sache vor. Für die Regressfestsetzung nach § 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V sei es ohne Bedeutung, ob der Vertragsarzt zu einem späteren Zeitpunkt, sei es auch während eines laufenden Prüfverfahrens, seine vertragsärztliche Tätigkeit aufgebe. Auch der Umstand, dass ein Arzt, der seine Praxis aufgegeben habe, nicht mehr die Vorteile einer individuellen Richtgrößenvereinbarung nutzen könne, könne keinesfalls dazu führen, dass in derartigen Fällen die Festsetzung von Regressen gänzlich ausgeschlossen sei. Die in § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V neu geregelte Zwei-Jahres-Frist komme vorliegend nicht zur Anwendung. Die Vorschrift sei erst zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Sowohl die für die Prüfung der zugrundeliegenden Regresse durchgeführten Sitzungen der Kammer Prüfung Arznei als auch die durch diese Kammer abgesetzten Bescheide datierten aus dem Jahr 2007 und lägen damit zeitlich vor Inkrafttreten der Zwei-Jahres-Regelung. Soweit der Kläger eine Verletzung des Gebotes der Beratung vor Regressen rüge, sei anzumerken, dass die Vorschrift des § 106 Abs. 5 Satz 2 SGB V nicht so zu verstehen sei, dass jeder Honorarkürzung eine gezielte Beratung vorausgehen müsse. Die Anwendung der zum 1. Januar 2012 geänderten Regelungen erscheine zweifelhaft.

Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag und äußern sich nicht zur Sache.

Der Senat hat den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung eine vergleichsweise Einigung durch Reduktion der Regresssumme durch den Beklagten vorgeschlagen. Dieser war dazu indessen nicht bereit.

Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Die genannten Akten lagen dem Senat zur Entscheidungsfindung vor und waren Gegenstand der Urteilsberatung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 9. Mai 2012 ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), gerechnet ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an seine Bevollmächtigten, eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 9. Oktober 2009 ist rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Grundlage der streitigen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen ist § 106 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung in Verbindung mit § 7 der zwischen den Kassenverbänden und der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Hol¬stein geschlossenen Prüfvereinbarung vom 5. Januar 2006 (vgl. § 17 Abs. 2 der Prüfvereinbarung). § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V sah dabei die Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung) vor. Gemäß § 84 Abs. 1 SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit der kassenärztlichen Vereinbarung zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung mit Arzneimitteln zum 30. November für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Arzneimittelvereinbarung. Gemäß § 84 Abs. 6 SGB V vereinbaren die genannten Vertragspartner zum 15. November für das jeweils folgende Kalenderjahr zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Leistungen nach § 31 SGB V (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Abs. 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung. Zusätzlich sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen. Die Richtgrößen leiten den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Arzneimitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Überschreitung des Richtgrößenvolumens löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus.

Die Vertragsparteien in Schleswig-Holstein haben die Richtgrößen für die Arznei- und Verbandmittelverordnung für die Kalenderjahre 2003 bis 2005 durch Richtgrößenvereinbarungen vom 18. Juni 2002, 28. Juni 2004 und 26. Mai 2005 differenziert nach ärztlichen Fachgruppen und Patientenstruktur geregelt. Die Vereinbarungen sehen dabei unterschiedliche Richtgrößen für versicherte Mitglieder, Familienangehörige und Rentner vor. Für hausärztlich tätige Internisten war dabei für 2003 für Mitglieder eine Richtgröße von 53,06 EUR, für Familienangehörige in Höhe von 39,11 EUR und für Rentner in Höhe von 121,29 EUR vereinbart. Für 2004 galten für Mitglieder Richtgrößen in Höhe von 48,30 EUR, für Familienmitglieder in Höhe von 33,05 EUR und für Rentner in Höhe von 113,82 EUR und für 2005 für Mitglieder in Höhe von 54,68 EUR, für Familienangehörige in Höhe von 36,80 EUR und für Rentner in Höhe von 120,00 EUR. § 106 Abs. 5 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung (im Folgenden alter Fassung – a. F. –) sieht vor, dass bei einem Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot durch den Prüfungsausschuss zu entscheiden ist, welche Maßnahmen zu treffen sind. Dabei sollen gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses können sowohl die Ärzte als auch die Verbände der Krankenkassen den Beklagten anrufen. Die Regelungen des sozialgerichtlichen Vorverfahrens sind insoweit entsprechend anzuwenden. Gemäß § 106 Abs. 5a SGB V werden Beratungen durchgeführt, wenn das Verordnungsvolumen eines Arztes das maßgebliche Richtgrößenvolumen in einem Kalenderjahr um mehr als 15 % übersteigt. Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr al 25 % hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Der Prüfungsausschuss soll vor seinen Entscheidungen und Festsetzung auf eine entsprechende Vereinbarung mit dem Vertragsarzt hinwirken, die eine Minderung des Erstattungsbetrages um bis zu einem Fünftel zum Inhalt haben kann. Gemäß § 106 Abs. 5c SGB V a. F. setzt der Prüfungsausschuss den den Krankenkassen zustehenden Betrag nach Abs. 5a fest. Die nach Maßgabe der Gesamtverträge zu entrichtende Vergütung verringert sich um diesen Betrag. Die Kassenärztliche Vereinigung hat in der jeweiligen Höhe Rückforderungsansprüche gegen den Vertragsarzt, die der an die Kassenärztliche Vereinigung zu entrichtenden Vergütung zugerechnet werden. Soweit der Vertragsarzt nachweist, dass ihn die Rückforderung wirtschaftlich gefährden würde, kann die Kassenärztliche Vereinigung sie entsprechend § 76 Abs. 2 Nr. 1 und 3 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) stunden oder erlassen. Gemäß § 106 Abs. 5d SGB V a. F. wird ein zu erstattender Mehraufwand nicht festgesetzt, soweit der Prüfungsausschuss mit dem Arzt eine individuelle Richtgröße vereinbart, die eine wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes unter Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten gewährleistet. Die Richtgröße ist für den Zeitraum von vier Quartalen zu vereinbaren und für den folgenden Zeitraum zu überprüfen.

§ 106 SGB V hat in den Folgejahren einige Änderungen erhalten. So ist durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007 (BGBl. I S. 378) mit Wirkung zum 1. Januar 2008 in Abs. 2 Satz 7 SGB V eine Ausschlussfrist von zwei Jahren eingeführt worden. Danach muss die Festsetzung eines den Krankenkassen zu erstattenden Mehraufwandes nach Abs. 5a innerhalb von zwei Jahren nach Ende des geprüften Verordnungszeitraums erfolgen. Zum 1. Januar 2012 ist zudem durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983) ein neuer Absatz 5e dem § 106 SGB V angefügt worden. Danach erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % vor Festsetzung eines Erstattungsbetrages eine individuelle Beratung. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. § 106 Abs. 5e SGB V ist zudem durch das Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012 (BGBl. I S. 2192) mit Wirkung zum 26. Ok¬tober 2012 ein Satz 7 angefügt worden, nach dem die Regelungen des § 106 Abs.5e SGB V auch für Verfahren gelten, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren.

Die Regelungen des § 106 SGB V werden ergänzt durch die zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein und den für Schleswig-Holstein zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen geschlossene Prüfvereinbarung vom 6. Januar 2006. Deren § 7 regelt die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen. Nach dessen Abs. 3 ist das für den Vertragsarzt geltende Richtgrößenvolumen aus der Summe der Produkte der fachgruppenspezifischen Richtgrößen für mindestens vier Quartale zu ermitteln. Zu einer Prüfung werden alle vier Quartale eines Kalenderjahres herangezogen, die sich im Hinblick auf Über- bzw. Unterschreitung der Richtgrößen insofern gegenseitig wieder ausgleichen können. Von der Arzneimittel-Richtgrößenprüfung sind gemäß § 7 Abs. 5 Prüfvereinbarung (PV) ausgenommen die Kosten der Arzneimittel zur Ausnahme von Richtgrößenregelungen gemäß der jeweiligen Richtgrößenvereinbarung (Anlage 2 zur jeweiligen Richtgrößenvereinbarung) der Impfstoffe zur Prävention, des Sprechstundenbedarfs sowie solcher Therapien bzw. Indikationsgebiete, die regelmäßig Praxisbesonderheiten gemäß der Richtgrößenvereinbarung (Anlage 3 zu den jeweiligen Richtgrößenvereinbarungen) begründen. Sofern sich weitere, nicht im Rahmen der jeweiligen Richtgrößenvereinbarung vereinbarte Wirkstoffe oder Indikationsgruppen als therapeutisch relevant und unverzichtbar erweisen, sind die Prüfgremien nach § 7 Abs. 6 PV gehalten, die Vor¬aussetzungen für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu prüfen. Ein Regress ist gemäß § 7 Abs. 10 PV festzusetzen, wenn nach Prüfung, Anerkennung und Herausrechnung der Praxisbesonderheiten das verbleibende Verordnungsvolumen das Richtgrößenvolumen um mehr als 25 % überschreitet.

Anders als der Kläger und das erstinstanzliche Prüfgremium meinen, ist die Festsetzung eines Regresses nicht durch die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit ausgeschlossen. Die Möglichkeit der regressvermeidenden Vereinbarung einer individuellen Richtgröße gemäß § 106 Abs.5d SGB V steht zwar nur aktiven Vertragsärzten offen. Es handelt sich aber um eine Ausnahme zur Grundregelung des § 106 Abs. 5a SGB V, die ausdrücklich nicht auf noch aktive Vertragsärzte abstellt. So hat das Bundessozialgericht auch bei aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Ärzten die Festsetzung eines Regresses durch die Prüfgremien im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch als einzige Möglichkeit zur Sanktionierung des ärztlichen Verordnungsverhaltens angesehen und direkte Schadenersatzklagen der Krankenkassen gegen ausgeschiedene Ärzte für unzulässig erachtet. (Vgl. Urteil des BSG vom 20. März 2013, B 6 KA 17/12 R, zitiert nach juris). Dem folgt der Senat.

Die Festsetzung eines Regresses nach § 106 Abs. 5a SGB V ist vorliegend nicht schon wegen des Ablaufs der Zwei-Jahres-Frist aus § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V in der Fassung zum 1. Januar 2008 verfristet. Zwar spricht dafür zunächst der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Festsetzung eines den Krankenkassen zu erstattenden Mehraufwandes abstellt. Vorliegend hatte die Kammer Prüfung Arznei die Höhe des Mehraufwandes für die Jahre 2003, 2004 und 2005 in ihren Bescheiden vom 14. Dezember 2007 zwar bereits errechnet, jedoch entschieden, dass gerade keine Maßnahme festgesetzt werde, also die Erstattung dieses Betrages an die Krankenkassen gerade nicht angeordnet. Die Festsetzung eines zu erstattenden Betrages erfolgte streng genommen erst mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 durch den Beklagten, also zu einem Zeitpunkt, als § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V n. F. bereits in Kraft war. Eine wortlautgetreue Anwendung des § 106 Abs.2 Satz 7 SGB V n.F. spricht daher dafür, dass die Festsetzung eines Regresses für die Kalenderjahre 2003 – 2005 nicht fristgerecht erfolgt ist, weil im vorliegenden Fall allein auf die tatsächliche Regressfestsetzung im Oktober 2009 abzustellen wäre.

Gleichwohl ist zur Überzeugung des Senats eine Verfristung der Regressfestsetzung für den gesamten Zeitraum nicht anzunehmen. Es ist zu berücksichtigen, dass § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V n. F. für die Richtgrößenprüfung die zuvor richterrechtlich entwickelte vierjährige Ausschlussfrist ersetzt. Die vom BSG entwickelten Maßstäbe zur Anwendung der vierjährigen Ausschlussfrist, denen der Senat folgt, sind daher auch auf die nunmehr gesetzlich geregelte zweijährige Ausschlussfrist anzuwenden. Bereits mit Urteil vom 16. Juni 1993 im Verfahren B 6 RKa 37/91 (zitiert nach juris)hat das Bundessozialgericht eine vierjährige Ausschlussfrist für Rückforderungen und Regresse aufgrund von Wirtschaftlichkeitsprüfungen entwickelt. Dort hat es für die auch hier vorliegende Konstellation divergierender Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beschwerdeausschusses entschieden, dass der Prüfungsbescheid auch dann die Frist wahrt, wenn er die Festsetzung eines Regresses ablehnt. Zu berücksichtigen sei die Beschwerdemöglichkeit der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. Der betroffene Arzt könne deshalb auch nach einem für ihn positiven Prüfungsbescheid noch nicht davon ausgehen, dass er das Honorar in der ursprünglich festgesetzten Höhe endgültig behalten dürfe und seine Behandlungsweise nicht als unwirtschaftlich angesehen werde. Auch wenn der Beschluss des Beschwerdeausschusses vom Gericht aufgehoben werde und der Beschwerdeausschuss erneut über die Beschwerde zu entscheiden habe, behalte der zugrundeliegende Beschluss des Prüfungsausschusses seine fristwahrende Wirkung (BSG, a.a.O.). Diese Vier-Jahres-Frist hat das BSG auch auf Regresse wegen unwirtschaftlicher Arzneimittelverordnungen angewandt (vgl. Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09 R und Beschluss vom 20. Oktober 2010, B 6 KA 26/10 B, beide zitiert nach juris). Danach ist maßgebend für die Einhaltung der Ausschlussfrist nicht die tatsächliche Festsetzung eines Regresses durch den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2009, sondern bereits die begründete Ablehnung der Regressfestsetzung durch die Bescheide der Kammer Prüfung Arznei vom 14. Dezember 2007.

Zum Beginn der Vier-Jahres-Frist hat das Bundessozialgericht entschieden, dass diese nach Ende des geprüften Verordnungs¬zeitraums beginnt, wobei der Verordnungszeitraum im Allgemeinen ein Quartal betrifft, in Sonderfällen aber mehrere Quartale umfassen kann, so z. B. beim Sprechstundenbedarf (vgl. Urteil des BSG vom 18. August 2010, B 6 KA 14/09 R, und Urteil des BSG vom 15. April 2014, B 6 KA 13/13 R). Stellte man nach der Grundregel auf die Beendigung des jeweils mitgeprüften Quartals ab, wäre eine Regressfestsetzung bei Erlass des Bescheides vom 14. Dezember 2007 für die Quartale I/03 bis III/03 bereits wegen Ablaufs der Vier-Jahres-Frist ausgeschlossen. Zur Überzeugung des Senats ist aber entsprechend der o.g. Entscheidung des BSG zum Sprechstundenbedarf auf ein volles Kalenderjahr als Verordnungszeitraum abzustellen, denn § 106 Abs. 2 Satz 5 SGB V a. F. (ebenso die aktuelle Fassung vom 19.12.2012, a. a. O.) sah vor, dass die Prüfung bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina regelmäßig für den Zeitraum eines Jahres durchzuführen sind und dies ist in § 7 Abs. 3 PV dahingehend spezifiziert worden, dass auf alle vier Quartale eines Kalenderjahres abzustellen ist. Auf das einzelne Quartal kann abgestellt werden, wenn dadurch die Wirksamkeit der Prüfung zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit erhöht und das Prüfverfahren vereinfacht wird. Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Ist normativ somit eine kalenderjährliche Prüfung vorgesehen, endete der maßgebliche Verordnungszeitraum auch am 31.Dezember eines jeden Jahres. Daher waren alle Bescheide des Prüfungsausschusses vom Dezember 2007 noch fristgerecht ergangen, weil auch hinsichtlich des Prüfzeitraums 2003 auf das Ende des IV. Quartales 2003, also den 31. Dezember 2003, abzustellen war.

Das erst zum 1. Januar 2012 in Kraft getretene Regelungswerk des § 106 Abs. 5e SGB V ("Beratung vor Regress") hindert die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Regresse nicht. Insbesondere die nachträgliche Anfügung des Satzes 7 an diese Vorschrift führt nicht dazu, dass § 106 Abs.5e SGB V auf Verfahren wie dem vorliegenden, bei denen ein Widerspruchsverfahren schon vor dem 31.12.2011 abgeschlossen war, sich jedoch ein Gerichtsverfahren angeschlossen hat, anzuwenden ist. Die systematische Stellung dieser Vorschrift innerhalb der Regelungen des Prüfverfahrens und die Verwendung des Begriffes "Verfahren", und nicht etwa ein Abstellen auf die Rechts- oder Bestandskraft einer Entscheidung sprechen nämlich dafür, dass unter Verfahren nur das Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, nicht aber ein anschließendes Gerichtsverfahren zu verstehen ist (so auch LSG Baden Württemberg, Beschluss v. 19.2.13, L5 KA 222/13 ER; SG Düsseldorf, Urteil v 3.4.13, S 2 KA 281/12, beide zitiert nach juris). Dieses Verständnis wird auch durch die Gesetzesbegründung bestätigt, in der klargestellt wird, dass die Regelung für vor dem 31.12.2011 abgeschlossene Widerspruchsverfahren nicht gilt, auch wenn eine Klage noch anhängig ist. (siehe BtDrs 17/10156 S.95)

Auch die Begrenzung eines Richtgrößenregresses auf maximal 25.000 EUR im Falle einer erstmaligen Überschreitung um mehr 25% gemäß § 106 Abs.5c S.7 SGB V begünstigt den Kläger nicht, denn sie ist erst zum 1.1.2011 in Kraft getreten.

Den Praxisbesonderheiten des Klägers hat der Beklagte durch Berücksichtigung der Wirkstoffe und Indikationen der Anlagen 2 und 3 zu den jeweiligen Richtgrößenvereinbarungen sowie der kostenmindernden Berücksichtigung einzelner "teurer" Patienten (HIV, Mundboden CA, Morbus Crohn, Niereninsuffizienz, PCP, CREST) hinreichend Rechnung getragen. Dem vom Kläger vorgetragenen hohen Altersdurchschnitt seiner Patienten wird bereits durch die nach Patientengruppen gewichtete Ermittlung der Richtgrößen Rechnung getragen, wobei der Richtwert für Rentner deutlich höher liegt als der für Mitglieder und Angehörige. Auch die Behandlung altersspezifischer Krankheiten wie Koronare Herzkrankheit, Diabetes Typ II oder Lungenerkrankungen ist daher nicht gesondert als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen, zumal nach Einschätzung des Senats insofern kein Unterschied zu anderen hausärztlichen Internisten bestehen dürfte. Die Versorgung eines herztransplantierten Patienten hat der Beklagte zwar nicht gesondert berücksichtigt. Allerdings werden die spezifischen Kosten dieses Patienten bereits dadurch berücksichtigt, dass die nach Transplantationen zum Einsatz kommenden Immunsuppressiva in der Anlage 2 zu den jeweiligen Richtgrößenvereinbarungen aufgeführt werden und so verordnungskostenmindernd wirken. Zu berücksichtigen ist auch, dass nicht jedes Abweichen in der Praxisstruktur vom statistischen Normalfall kostenmindernd berücksichtigt werden muss, weil § 106 Abs.5a S.3 SGB V die Festsetzung eines Regresses erst ab einem Überschreiten der Richtgrößen um mehr als 25% vorsieht und somit ein gesetzliche Sicherheitspuffer besteht.

Die Prüfung der Verordnungen des Klägers ist daher entsprechend den geltenden Gesetzes- und Vereinbarungsregelungen durchgeführt. Nicht zu verkennen ist, dass der Kläger durch die Regressfestsetzung und die Rückforderung durch die Beigeladene zu 5) stark belastet wird. Durch die oben einzeln aufgeführten gesetzlichen Änderungen (Fristverkürzung, Deckelung des Erstregresses, Beratung vor Erstregress) ist auch zu erkennen, dass der Gesetzgeber zukunftsgerichtet derartige Belastungen vermeiden bzw. der Höhe nach deutlich einschränken wollte. Aufgrund der oben dargelegten Anwendbarkeit der Rechtslage bis zum 31.12.2007 war der Senat aber gehindert, diesen gesetzgeberischen Willen im Fall des Klägers bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Die weitere gesetzliche Entwicklung und die Höhe der Belastung hätten allenfalls im Rahmen eines freiwilligen Nachgebens durch den Beklagten berücksichtigt werden können. Diese Umstände können allenfalls im Rahmen der Entscheidung der Beilgeladenen zu 5) nach § 76 SGB IV berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 SGG i.V.m. § 154 VwGO

Die Revision war gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zuzulassen. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anwendung der 2-Jahresfrist des § 106 Abs2 S.7 SGB V, insbesondere zur Anwendung der in der Rechtsprechung zuvor für die richterrechtliche 4-Jahresfrist entwickelten Grundsätze auf diese gesetzliche Frist, fehlt bisher. Insofern hat die Rechtssache eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs.1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs.2 , 52 Abs.1 GKG.

Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe

I. Rechtsmittelbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Revision angefochten werden.

Die Revision ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundessozialgericht einzulegen. Sie muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein und die angefochtene Entscheidung bezeichnen.

Die Revision in schriftlicher Form ist zu richten an das Bundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel bzw. das Bundessozialgericht, 34114 Kassel. (nur Brief und Postkarte)

Die elektronische Form wird nur durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der "Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundessozialgericht" in das elektronische Gerichtspostfach des Bundessozialgerichts zu übermitteln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (www.egvp.de) lizenzfrei heruntergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.

Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen

1. Rechtsanwälte,

2. Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,

3. selbstständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,

4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,

5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,

7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nrn. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Die Organisationen zu Nrn. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nrn. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe

Für die Revision vor dem Bundessozialgericht kann ein Beteiligter Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.

Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder in elektronischer Form (s.o.) einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.

Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck ist kostenfrei bei allen Gerichten erhältlich. Er kann auch über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) heruntergeladen und ausgedruckt werden.

Im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs ist der Vordruck in Papierform auszufüllen, zu unterzeichnen, einzuscannen, qualifiziert zu signieren und dann in das elektronische Gerichtspostfach des Bundessozialgerichts zu übermitteln (s.o.).

Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Revision begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den Belegen innerhalb der Frist für die Einlegung der Revision beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.

III. Ergänzende Hinweise

Der Revisionsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um zwei weitere Abschriften. Dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
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