L 2 U 369/00

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 U 369/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 13.11.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16.4.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.2.1999 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger aus Anlass seines Arbeitsunfalls vom 14.1.1998 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob der Unfall des Klägers vom 14.1.1998 einen versicherten Arbeitsunfall darstellt.

Der 1959 geborene Kläger ist selbständiger Vermögensberater. Er ist bei der Beklagten freiwillig gegen Arbeitsunfall versichert.

Ab 14.1.1998 nahm der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau an einem von der D V AG veranstalteten Vermögensberaterseminar ("Klausur-Tagung mit Lebenspartner") in B K (Österreich) teil, das bis 18.1.1998 dauern sollte. Der Seminarplan sah für den 14.1.1998 folgenden Ablauf vor: "9.00 Uhr bis 16.00 Uhr: "Ski- und Hüttenwanderung; 17.00 Uhr bis 19.00 Uhr: persönliche Vorstellung der Teilnehmer". Die "Ski- und Hüttenwanderung" sollte den Angaben des Klägers zufolge der "Einstimmung zum Seminar" und der "Förderung des Gruppenbewusstseins" dienen. Das Ziel der "Ski- und Hüttenwanderung" war die Seilbahn-Bergstation K, wo das Seminarprogramm besprochen wurde und von welcher aus die Teilnehmer etwa gegen 14.30 Uhr per Ski oder Seilbahn zurück in das Tal fuhren.

Alle Teilnehmer starteten am 14.1.1998 um 9.00 Uhr mit dem Bus vom Hotelparkplatz aus. Sie erreichten die Lifte, wo die Tour begann, kurz vor 10.00 Uhr. Der Teilnehmerkreis unterteilte sich dann in eine Gruppe Skifahrer und eine Gruppe Wanderer. Der Kläger schloss sich der Gruppe der Skifahrer an. Kurz nachdem sich diese von der Gruppe der Fußgänger getrennt hatte, zog sich der Kläger beim Griff nach dem Bügel eines Skilifts eine Schultergelenksluxation rechts zu.

Durch Bescheid vom 16.4.1998 lehnte es die Beklagte ab, das Ereignis vom 14.1.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen, da der Kläger im Rahmen einer Freizeitveranstaltung verunglückt sei.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Auskunft des Seminarveranstalters vom Dezember 1998 ein. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.4.1998 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 18.2.1999 zurückgewiesen.

Der Kläger hat im Klageverfahren vorgetragen: Die Teilnahme an dem Vermögensberaterseminar sei dem versicherten Tätigkeitsbereich zuzurechnen. Auch die "Ski- und Hüttenwanderung" zu Beginn des Seminars habe wesentlich betrieblichen Interessen gedient. Dies folge aus dem vom Veranstalter mit diesem Programmpunkt verfolgten Zweck und der Verpflichtung der Teilnehmer, an der "Ski- und Hüttenwanderung" teilzunehmen.

Das Sozialgericht (SG) hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.11.2000 persönlich angehört. Dieser hat ua erklärt: Er sei ein mittelmäßiger Skifahrer. Seinerzeit habe er die Gelegenheit nutzen wollen, "wieder Ski zu fahren"; deshalb habe er seine Skier mitgenommen.

Durch Urteil vom 13.11.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Voraussetzungen eines versicherten Arbeitsunfalls seien nicht erfüllt. Es bedürfe keine Entscheidung, ob der Programmteil "Ski- und Hüttenwanderung" als reine Freizeitveranstaltung zu betrachten sei. Es habe sich jedenfalls nicht um eine versicherte gemischte Tätigkeit gehandelt. Entscheidendes Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine versicherte Tätigkeit wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt gewesen sei, sei, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Dies sei vorliegend in Bezug auf die zum Unfall führende Tätigkeit nicht der Fall gewesen.

Gegen dieses ihm am 22.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.12.2000 beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung des Klägers.

Der Kläger trägt vor: Er habe den Unfall im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit erlitten, da "die private Sphäre" letztlich in den Hintergrund getreten sei. Es könne nicht angehen, dass diejenigen, welche den Weg zu der Hütte zu Fuß zurückgelegt hätten, unter Versicherungsschutz gestanden hätten, er demgegenüber unversichert gewesen sei. Die Art und Weise, wie man die Hütte erreicht habe, sei den Seminarteilnehmern freigestellt gewesen; entscheidend sei gewesen, dass das Ziel im Vordergrund gestanden habe, die Hütte, in welcher die Besprechung stattgefunden habe, zu erreichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Trier vom 13.11.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.4.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.2.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen wegen des Arbeitsunfalls vom 14.1.1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f., 151 SGG zulässige Berufung hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des SG ist die Klage begründet. Der Unfall des Klägers stellt einen versicherten Arbeitsunfall (§ 8 des 7. Buchs des Sozialgesetzbuchs -SGB VII-) dar.

Der Kläger war als Unternehmer gemäß § 6 SGB VII freiwillig versichert. Eine solche Person genießt bei Tätigkeiten Versicherungsschutz, die wesentlich dem Unternehmen dienen (vgl. Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8, RdNr 164). Dazu zählt auch die Teilnahme an einem der betrieblichen Tätigkeit dienenden Seminar. Um ein solches handelte es sich bei der hier in Rede stehenden Fortbildungsveranstaltung.

Während einer Dienstreise besteht nicht bei allen Tätigkeiten Versicherungsschutz. Bei rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht wesentlich beeinflussten Handlungen, zBidR bei der Freizeitgestaltung, ist dieser zu verneinen. Eine solche private Tätigkeit hat der Kläger indes im Unfallzeitpunkt nicht ausgeführt, weil er den Weg zur Skihütte zurücklegte, wo eine für die Durchführung des Seminars wesentliche Besprechung stattfand. Der Kläger ist auf dem unmittelbaren Weg dorthin -auf der Liftfahrt- verunglückt. Aus diesem Grund war er versichert, unabhängig davon, dass die "Ski- und Hüttenwanderung" nach Angaben des Klägers der "Einstimmung zum Seminar" und der "Förderung des Gruppenbewusstseins" dienen sollte.

Ob neben der auf den versicherten Tätigkeitsbereich bezogenen Handlungstendenz zusätzlich von einer auf nicht versicherte Belange ausgerichteten Handlungstendenz ausgehen ist, wenn die Wahl der konkreten Fortbewegung durch die Freude an einer bestimmten Fortbewegungsart -hier: Skifahren- bestimmt ist, mit der Folge, dass eine sog gemischte Tätigkeit vorliegt, ist fraglich. Eine Verrichtung, die sowohl dem versicherten Tätigkeitsbereich zuzurechnenden Belangen als auch privaten Interessen dient, wird als sog gemischte Tätigkeit bezeichnet (vgl dazu Kasseler Kommentar - Ricke, § 8, RdNr 44). Eine solche gemischte Tätigkeit kann zB anzunehmen sein, wenn es dem Betroffenen, losgelöst vom eigentlichen Zweck der Fahrt, um eine schnelle, risikoreiche Fortbewegung geht (vgl BSG, Urt v 27.6.2000, Az B 2 U 23/99 R = SozR 3-2200 § 548 Nr 39 = NZA 2000, S 1326 = HVBG-Info 2000, S 2499 ff.). Ob Entsprechendes für den vorliegenden Fall gilt, kann offen bleiben. Auch wenn man im Hinblick auf die Freude des Klägers an der Skifahrt von einer gemischten Tätigkeit ausgehen würde, müsste Versicherungsschutz bejaht werden.

Bei gemischten Tätigkeiten besteht Versicherungsschutz, wenn sie wesentlich dem versicherten Tätigkeitsbereich dienen (st Rspr, zB BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19). Als entscheidendes Abgrenzungskriterium wird darauf abgestellt, ob die Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (vgl BSG, aaO). Ausgehend davon war der Kläger bei der zum Unfall führenden Fahrt versichert. Ohne den privaten Zweck, die Freude am Skifahren, hätte er nämlich den Weg zur Hütte ebenfalls zurücklegen müssen. Er hätte dies zwar auf andere Art (zu Fuß) tun können. Dieser Umstand schließt jedoch den Versicherungsschutz nicht aus (vgl BSG SozR 2200 § 550 Nr 62). In diesem Zusammenhang ist zum einen zu berücksichtigen, dass es dem Versicherten regelmäßig frei steht, mit welchen Verkehrsmitteln er im Rahmen des versicherten Tätigkeitsbereichs erforderliche Wege zurücklegt (vgl Kasseler Kommentar –Ricke, aaO, RdNr 180). Hinzu kommt, dass die Art der Zurücklegung der Strecke mit Skiern eine vom Veranstalter konkret vorgesehene Fortbewegungsart war, wobei die eine Gruppe den Weg zu Fuß und die andere Gruppe den Weg mit Skiern angetreten hat. Bei einer solchen Sachlage muss -auch wenn, was der Senat offen lässt, von einer gemischten Tätigkeit auszugehen wäre- Versicherungsschutz bejaht werden, da die versicherte Tätigkeit für die Absolvierung des Weges wesentlich war.

Die Fälle, in welchen die Rechtsprechung Versicherungsschutz bei gemischten Tätigkeiten mit der Erwägung verneint hat, die Tätigkeit wäre hypothetisch nicht vorgenommen worden, wenn der private Zweck entfallen wäre (vgl BSG SozR 2200 § 550 Nr 62; SozR 3-2200 § 548 Nr 19), unterscheiden sich wesentlich vom vorliegenden Sachverhalt. Sie waren vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Versicherten den Weg zu dem betreffenden Ziel (unabhängig von der konkreten Art der Zurücklegung und der konkreten Wegstrecke) ohne den privaten Zweck nicht angetreten hätten. So ist die Sachlage im vorliegenden Fall jedoch nicht, weil der Kläger in jedem Fall zu der Skihütte gelangen musste, um an der dort stattfindenden Seminarveranstaltung teilzunehmen.

Die Grundsätze des Urteils des BSG vom 19.3.1996 (SozR 3-2200 § 548 Nr 27) greifen nicht zu Lasten des Klägers ein. Das BSG hat in diesem Urteil entschieden, Versicherungsschutz scheide aus, wenn bei einer gemischten Tätigkeit die zum Unfall führende Verrichtung ausschließlich betriebsfremden Zwecken zu dienen bestimmt ist und die zum Unfall führende besondere Gefahr wesentlich allein in der von den privaten Zwecken geprägten Verrichtung entspringt. Der Sachverhalt dieses Urteils des BSG war dadurch gekennzeichnet, dass ein Missionar in Afrika verunglückt war, als er den Rückweg zur Missionsstation nicht zusammen mit seiner Gruppe mit einem Boot, sondern aus "Konditionsgründen" schwimmend allein absolvierte. Das BSG ist davon ausgegangen, dass die zum Unfall führende Verrichtung allein wesentlich privaten Zwecken entsprang; der Kläger als Teilnehmer einer "Gruppenveranstaltung" habe, nachdem er sich von der Gruppe getrennt hatte, nicht mehr davon ausgehen können, das Zurückschwimmen habe wesentlich betrieblichen Interessen gedient. Demgegenüber weist der vorliegende Sachverhalt insoweit einen entscheidenden Unterschied auf, als der Seminarveranstalter gleichwertig die Zurücklegung des Weges zur Hütte zu Fuß und mit Skiern vorgesehen hatte und der Kläger daher annehmen durfte, der unfallbringende Weg habe wesentlich Zwecken gedient, die dem versicherten Tätigkeitsbereich zuzurechnen sind.

Der Senat macht von seiner Befugnis zum Erlass eines Grundurteils (§ 130 SGG) Gebrauch, weil es wahrscheinlich ist, dass dem Kläger Leistungen aus Anlass seines Unfalls zustehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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