L 9 U 2481/14 ZVW

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 1478/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2481/14 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Oktober 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.02.2003.

Der am 18.06.1968 geborene Kläger ist seit 1996 bei der Firma S. H. KG in der Abteilung Kraftwerk beschäftigt, seit 01.09.1997 als Schichtführer mit allen anfallenden Tätigkeiten. Bis 2009 arbeitete er als Heizer bzw. Kesselwärter im Kesselhaus des Kraftwerks. Nach in-nerbetrieblicher Umsetzung ist er - weiterhin in Vollzeit - als Schichtführer im Schichtbetrieb tätig.

Der Kläger erlitt am 23.02.2003 einen Arbeitsunfall, als sich bei Reinigungsarbeiten im Innern des Kessels ein großes Stück Schlacke von der Decke löste und ihm auf den Kopf fiel, wodurch sich der Sicherheitshelm vom Kopf löste. Kurze Zeit später fielen weitere größere Schlacketeile, insgesamt ca. 40 bis 50 kg, von der Decke und trafen den Klä¬ger im Bereich des Kopfes, der Halswirbelsäule und der linken Schulter. Der Kläger wurde in das Klinikum S., Chirurgische Klinik, R., gebracht, wo er vom 23.02.-26.02.2003 stationär behandelt wurde. Im Bereich der Clavikula links fand sich occipital eine vier Zentimeter lange Platzwunde sowie eine ein Zentimeter große Platzwunde frontal sowie eine Schürfwunde am Hals links. Die Hirnnerven waren intakt, auch lag kein peripheres neurologisches Defizit vor. Im Bereich der Clavikula links war ein deutlicher Druckschmerz bei klinischem Frakturverdacht vorhanden, im Bereich der Nackenmuskulatur war ein Hartspann vorhanden, der Bewegungsumfang war schmerzbedingt leicht reduziert. Es wurden Röntgenuntersuchungen des Kopfes und der Halswirbelsäule (HWS) durchgeführt. Im Röntgen des Schädels in zwei Ebenen zeigte sich keine Fraktur, im Röntgen der HWS in zwei Ebenen fand sich eine Steilstellung, kein Frakturhinweis. Es wurden ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades, eine Schlüsselbeinfraktur links, Kopf¬platzwunden, eine Schürfwunde am Hals links und eine Halswirbelsäulen-Distorsion di¬agnostiziert. Die Kopfplatzwunden wurden genäht. Wegen der Schlüsselbeinfraktur erhielt der Kläger einen Rucksackverband. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 17.03.2003 war der Kläger nach dem Unfall nicht bewusstlos, es bestand jedoch eine retrograde Amnesie (Gedächtnislücke) bezüglich des Unfalls. Der Kläger wurde am 26.02.2003 nach komplikationslosem Verlauf bei annähernder Beschwerdefreiheit entlassen.

Am 12.03.2013 erfolgte die Meldung des Arbeitsunfalls an die Beklagte durch die Arbeitgeberin.

Am 13.03.2003 stellte sich der Kläger ambulant in der S.-Klinik Z. in A. wegen bewegungsabhängiger Schmerzen mit dem Gefühl der Krepitation vor, wo er vom 23.03. bis 29.03.2003 stationär behandelt wurde. Dabei wurde eine Pseudarthrose im Bereich des Schlüsselbeines operativ osteosynthetisch versorgt (Rekonstruktionsplatte und Kleinfragmentschraube). Am 08.04.2003 diagnostizierte der Zahnarzt Dr. W. beim Kläger ein cranio-faciales Schmerzsyndrom durch multiple Verspannungen im Nacken-Schulter-Bereich nach dem Trauma. Der Kläger habe seit dem Unfall akute Beschwerden im Bereich der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke.

Am 12.05.2003 nahm der Kläger die Arbeit bei seinem Arbeitgeber wieder auf, stellte sich aber auch in der Folgezeit regelmäßig in der S.-Klinik A. wegen fortbestehender Beschwerden, insbesondere bei körperlicher Arbeit, vor. In einem Zwischenbericht vom 15.08.2003 gab Prof. Dr. G. (Ärztlicher Direktor S.-Klink) an, der Kläger habe noch über gelegentliche Schmerzen im Bereich des linken Schultergelenks bei starker körperlicher Arbeit berichtet. Das Liegen auf der linken Schulter werde ebenfalls noch als unangenehm empfunden. Der Kläger, der inzwischen wieder voll arbeitsfähig sei, werde sich nach einem Jahr postoperativ zur Entfernung des Osteosynthesematerials wieder vorstellen. Mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nicht zu rechnen.

Am 15.12.2003 gab der Kläger bei einer weiteren Untersuchung in der S.-Klinik Schmerzen im Bereich der linken Schulter bis in den Hals ausstrahlend mit Bewegungsstörung bei Linksdrehung sowie ab und zu ein be¬lastungsabhängiges Knacksen im Schultergelenk an, außerdem Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Kopfschmerzen. HWS, Clavikula und der Schädel wurden in zwei Ebenen geröntgt. Dabei wurden ausweislich des Zwischenberichts von Prof. Dr. G.-Z. vom 16.12.2003 unauffällige Röntgenverhältnisse vorgefunden, die HWS war leicht steil gestellt im seitlichen Strahlengang als Hinweis auf muskuläre Verspannungen; in der Clavikula fand sich ein reizlos einliegendes Metallimplantat bei knöchern fester Durchbauung, der Schädel war unauffällig. Es wurden eine Clavikulafraktur links osteosynthetisch versorgt, eine Schädelprellung mit Kopfplatzwunde sowie reaktive muskuläre Verspannungen im HWS-Schulterbereich links diagnostiziert. Die orientierende neurologische Untersuchung war unauffällig, es gab keine Paresen und keine sensiblen Ausfälle der Extremitäten. Es erfolgte eine Überweisung zur neurologischen Kontrolle. Eine neurologische Kontrolle beim Neurologen und Psychiater Dr. R. am 27.01.2004 erbrachte keinen krankhaften Befund. Dr. R. fand von Seiten der Neurologie keine Ursache für die geklagten kurzzeitigen Bewusstseinsstörungen mit Schwarzwerden vor den Augen, die er am ehesten auf Kreislaufschwankungen zurückführte.

Im Befundbericht vom 20.04.2004 berichtet der Neurologe und Psychiater Dr. M., der Kläger habe angegeben, anfänglich nach dem Unfall unter einem "Einschlafen" der linken unteren Ex- tremität vom Ellbogen an distal gelitten zu haben, was sich langsam zurückbilde. Aktuell komme er vor allem wegen rezidivierender Kopfschmerzen in drückender Form, vor allem bei längerem Aufsetzen eines Motorradhelmes, aber auch witterungsabhängig sowie wegen Schwindelattacken mit Schwarzwerden vor Augen. Dr. M. diagnostizierte postcommotionelle Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen, einen Zustand nach HWS-Trauma und äußerte den Verdacht auf eine leichte Armplexusirritation links im Rahmen einer Schlüsselbeinfraktur. Nach operativer Entfernung des einliegenden Osteosynthesematerials am 23.04.2004 stellte sich der Kläger erneut in der S.-Klinik A. vor wegen anhaltender Schmerzen im Bereich des Schultereckgelenks links.

Nachdem die konservative Behandlung keine Besserung erbrachte, wurde die linke Schulter aufgrund der Diagnosestellung subacromiales Impingement und AC-Gelenksarthrose am 21.01.2005 in der S.-Klinik A. operativ versorgt mit offener Acromioplastik und AC-Gelenkresektion links. In der Zeit vom 09.03. bis 13.04.2005 wurde der Kläger in der Reha-Klinik B. wegen eines subacromialen Impingements links, AC-Gelenkarthrose links und einem Zustand nach offener Acromioplastik und AC-Gelenkresektion links stationär behandelt. Im Entlassungsbericht vom 12.04.2005 berichten Prof. Dr. S., Dr. B. und Dr. R. von während des Aufenthalts unverändert anhaltenden Kopfschmerzen sowie stärkstem Ziehen im Bereich der HWS, zeitweise mit Pelzigkeitsgefühl der linken Hand. Eine Computertomographie am 17.03.2005 habe keinen Nachweis einer knöchernen Verletzungsfolge im Bereich der HWS ergeben. Bei der Abschlussuntersuchung wurden vereinzelt noch druckdolente Myogelosen beidseits der paravertebralen Muskulatur sowie ein zunehmender Schiefhals linksseitig bei eingeschränkter HWS-Rotation rechts/links (80-0-50°) festgestellt.

Bei der CT-Abklärung der HWS vom 17.03.2005 fand der Radiologe Dr. R. keinen Hinweis für knöcherne Verletzungen (Bericht vom 22.03.2005). Er stellte jedoch offenbar schon vorbestehende Retroosteophytenbildungen in Höhe C3 und C4 mit auch Neuroforameneinengungen in diesen Höhen links geringeren Grades fest, zudem eine leicht skoliotische Fehlhaltung der oberen Halswirbelsäule.

Bei einer kernspintomographischen Untersuchung der Halswirbelsäule am 16.04.2005 stellte der Radiologe Dr. S. linksbetonte degenerative Neuroforamenstenosen C3/4 bis C5/6 mit dorsalen Bandscheibenprotrusionen fest, außerdem eine geringe dorsale Bandscheibenprotrusion bei C6/C7 ohne wesentlichen Kompressionseffekt. Bei einer weiteren Untersuchung diagnostizierte Dr. M. am 02.05.2005 eine cervikogene Hemikranie sowie Cervikobrachialgie links ohne sonstige neurologische oder psychopathologische Auffälligkeiten und empfahl die Fortführung konservativer Therapiemaßnahmen im Bereich der HWS.

Im Zwischenbericht vom 06.06.2005 empfahl Prof. Dr. G. wegen der weiterhin bestehenden mittelgradigen Bewegungseinschränkung der linken Schulter die Einleitung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen. Am 27.06.2005 begann der Kläger eine Belastungserprobung an seinem alten Arbeitsplatz und arbeitete ab 25.07.2005 trotz fortbestehender Beschwerden dort wieder vollschichtig.

Die Beklagte holte sodann ein unfallchirurgisches und ein neurologisches Gutachten zur Abklärung der Folgen des Unfalls ein. Im unfallchi¬rurgischen Gutachten vom 12.09.2005 führten Prof. Dr. H. und Dr. L., K. S., aus, der Kläger habe von der Einnahme von Schmerzmitteln berichtet (3 mal in der Woche Ibuhexal sowie 30 Tropfen Tramal bei Bedarf gegen die Schmerzen sowie alle 2 bis 3 Tage Aspirin) und über ständige Nackenbeschwerden, Beschwerden im Bereich des linken Schultergelenkes und gelegentliche Kopfschmerzen geklagt. Prof. Dr. H. stellte bei der Untersuchung deutliche Verhärtungen im Bereich des Nackens, links mehr als rechts mit zum Teil Druckempfindlichkeit, ein posttraumatisches Impingement im Bereich der linken Schulter bei erhaltener aktiver Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke, im Bereich der linken Schulter unfallunabhängig gering degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette sowie ein Acromionform vom Typ Bigliani I-I, außerdem eine endgradige Bewe¬gungseinschränkung der HWS mit muskulären HWS-Verspannungen bei unfallunabhängigen degenerativen Neuroforamenstenosen C3/4 und C4/5 im Bereich der HWS mit dorsaler Bandscheibenprotrusion fest. Bei Überprüfung der Halswirbelsäule war diese für die Seitneigung nach rechts gegenüber links um 10 Grad eingeschränkt (30/0/40), sonst frei beweglich. Der Unfall sei alleinige Ursache der Veränderungen der linken Schulter bzw. im Bereich der linken Clavikula. Infolgedessen sei es auch notwendig geworden, eine AC-Gelenkresektion und subacromiale Dekompression vorzunehmen. Im Zeitpunkt der Nachuntersuchung habe sich bei freier Beweglichkeit der linken Schulter noch ein geringes Impingement bei Oberarmhochstand links sowie eine schmerzhafte Narbenbildung im Bereich des AC-Gelenkes und über der linken Clavikula gefunden. Die erlittene Distorsion der HWS vom Schweregrad II sei zwischenzeitlich folgenlos abgeheilt, die noch bestehenden Beschwerden im Bereich der HWS seien unfallunabhängig auf die degenerativen Leiden zurückzuführen. Es handle sich um eine vorübergehende Verschlimmerung einer vorbestehenden Schadensanlage. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab Eintritt der Arbeitsfähigkeit (04.08.2005) 10 v.H., ab 29.08.2005 für ein halbes Jahr vermutlich 10 v.H., auf Dauer vermutlich unter 10 v.H.

In einem auf Anforderung der Beklagten erstatteten neurologischen Gutachten berichtet der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. unter dem 14.10.2005, der Kläger habe bei dem Unfall kein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, welches über eine Commotio hinausging. Die vorgetragenen Kopfschmerzen seien im Sinne einer vertebragenen Cephalgie zu werten und durch die vorbestehenden degenerativen Veränderungen der HWS bedingt. Es bestünden keinerlei Hinweise für eine Läsion des oberen und unteren Armplexus links, auch sonst lägen keinerlei neurologische Ausfälle vor, die unfallbedingt sind. Die im Bereich der Sensibilität angegebenen Missempfindungen der drei medianen Finger links seien durch ein diskretes Karpaltunnensyndrom links bedingt und unfallunabhängig. Ein diskretes Carpaltunnelsyndrom links sei unfallunabhängig. Die MdE we¬gen des unfallabhängigen Supraspinatussyndroms im Bereich der linken Schulter sei auf unfall¬chirurgischem Gebiet einzuschätzen. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bestehe keine MdE.

Mit Bescheid vom 13.12.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente we¬gen der Folgen des Versicherungsfalles vom 23.02.2003 ab, da eine MdE im rentenbegründenden Umfang nicht vorliege. Als Folgen des Versiche¬rungsfalls wurden anerkannt: AC-Gelenkresektion und subacromiale Dekompression nach ope¬rativ versorgter Claviculafraktur links mit posttraumatischer AC-Gelenksveränderung, Impinge¬ment linke Schulter, folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion und folgenlos verheilte Gehirnerschüt¬terung. Nicht als Folgen des Versicherungsfalls wurden anerkannt: Degenerative Veränderun¬gen der Wirbelsäule insbesondere auf Höhe C3/4 und C4/5, endgradige Bewegungseinschränkung der HWS mit muskulären HWS-Verspannungen, Kopfschmerzen. Der vom Kläger dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2006 zu¬rückgewiesen.

Der Unfallchirurg Dr. E. stellte unter dem 12.01.2006 beim Kläger die Diagnosen Zustand nach Pseudarthrosenosteosynthese linke Clavikula, Zustand nach traumatischer AC-Sprengung Tossy 1-2 links mit persistierender Distraktion, Zustand nach Schulterarthroskopie links mit offener Neerplastik und Resektion der lateralen Clavikula und Humerushochstand.

Am 21.04.2006 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, die bestehenden Beschwerden seien auf den Unfall und nicht auf degenerative Veränderungen der HWS zurückzuführen. Er habe vor dem Unfall keinerlei Beschwerden im Bereich der HWS gehabt und sei deswegen auch nicht krankgeschrieben gewesen.

Der vom SG als sachverständiger Zeu¬ge gehörte Dr. E. hat unter dem 01.01.2007 beim Kläger die Diagnosen Zustand nach Pseudarthrosenosteosynthese linke Clavikula, Zustand nach traumatischer AC-Sprengung Tossy 1-2 links mit persistierender Distraktion, Zustand nach Schulterarthroskopie links mit offener Neerplastik und Resektion der lateralen Clavikula, Humerushochstand links und (unter anderem) "Verschüttungstrauma-Psyche?" gestellt und dazu ausgeführt, der Kläger habe Beschwerden im Schultergelenk links und ausstrahlende Beschwerden in Nacken und Schädelbasis mit Neigung zum Schiefhals. Wegen des nicht mehr geschlossenen Schultergürtels sei die Belastbarkeit des Armes und des gesamten Schulter¬gürtels unfallbedingt erheblich herabgesetzt. Eine MdE in Höhe von 20 v.H. liege in jedem Fall vor.

Das SG hat sodann ein unfallchirurgisches Gutachten bei Oberarzt Dr. S., Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirur¬gie, V., eingeholt. Im Gutachten vom 18.06.2007 hat dieser ausgeführt, der Kläger berichte über Schmerzen in der linken Schulter und sei in der Beweglichkeit eingeschränkt. Er könne den linken Arm zwar anheben, müsse sich dabei aber konzentrieren. Er verspüre außerdem ein "Krachen" in der linken Schulter. Er könne wegen seiner Kopfverletzungen auch keinen Druck um den Kopf haben. Als Motorradfahrer falle es ihm schwer, einen Helm zu tragen. Auch bei der Arbeit könne er nur mit Mühe einen Schutzhelm tolerieren. Er sei auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewie¬sen. Dr. S. hat weiter ausgeführt, bei Betrachtung von vorne und hinten falle eine Seitneigung des Kopfes nach links auf, die linke Schulter stehe höher als die rechte. Die Prüfung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule habe eine seitengleiche Beweglichkeit nach rechts und links (30/0/30) ergeben. Es lägen aber degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Osteophytenbildung, eine Einengung der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich C3 bis C5 vor. Die posttraumatisch aufgetretenen Veränderungen an der linken Schulter mit der Bewegungseinschränkung seien auf den Unfall zurückzuführen. Die hierbei ebenfalls erlittene Zerrung bzw. Distorsion der Halswirbelsäule sei folgenlos ausgeheilt. Die Veränderungen an der Halswirbelsäule in Form muskulärer Verspannung der Halsmuskulatur, geringer Bewegungs¬einschränkung der HWS und die Seitverbiegung seien auf die degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule mit Osteophytenbildung und nicht auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE betrage auf unfallchirurgischem Fachgebiet 10 v.H.; auf neurologischem Fachgebiet liege keine MdE vor.

Auf Antrag des Klägers hat das SG sodann nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gut¬achten bei Prof. Dr. G. eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 13.03.2008 ein ausgeprägtes Hals-Schulter-Arm-Syndrom linksseitig mit Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule (Seitneigung rechts/links 30/0/20) sowie der linken Schulter bei deutlichem Schulterhochstand auf der linken Seite und entsprechende Cervicocephal- und Cervicobrachialgien sowie einen Status nach Clavikulafraktur festgestellt, außerdem Degenerationen der Halswirbelsäule mit Bandscheibenprotrusion C5 bis C6 linksseitig sowie degenerative Neuroforamenstenosen C3/C4 und C5/C6 linksseitig. Die Schlüsselbeinfraktur sowie die Commotio cerebri und die HWS-Distorsion seien unmittelbare Unfallfolgen, die Folgeoperationen im Schulter- und Clavikulabereich auf der linken Seite seien die Folge davon und stünden im direkten Zusammenhang mit dem Unfall. Die degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule hätten sicherlich schon zum Unfallzeitpunkt bestanden und seien durch diesen nicht ausgelöst worden. Er gehe mit der Beurtei¬lung der Vorgutachter konform. Es müsse jedoch darauf hingewiesen werden, dass hier eine schwierige argumentatorische Kette vorliege. Aufgrund der degenerativen Veränderungen an der Halswirbelsäule sei zum einen davon auszugehen, dass die HWS-Beschwerden ebenfalls durch eine Gele¬genheitsursache hätten ausgelöst werden können. Hierdurch sei eine wesentliche Ursache nicht mehr gegeben. Gleichwohl seien die Beschwerden im konkreten Fall natürlich nicht durch eine Gelegenheitsursache verursacht worden. Der Grad der MdE sei auf unfallchirurgischem Fachgebiet nicht anders als mit 10 v.H. zu bewerten. Auf neurologischem Fachgebiet liege den entsprechenden Gutachten und Befundberichten folgend keine MdE vor. Unabhängig davon sei in je¬dem Fall die Intensivierung der konservativen Therapie angezeigt.

Der Kläger hat weiter den Bericht von PD Dr. S. (Neurologische Klinik des Universitätsklinikums T.) vom 24.10.2007 vorgelegt. Danach hat der Kläger von Beschwerden im Bereich der linken oberen Körperhälfte in Form von konstanten Schmerzen im Nackenbereich bis unter das linke Schulterblatt, manchmal auch mit Ausstrahlung in den linken Arm berichtet. Bei der Arbeit sei er eingeschränkt, da er als Heizer auch schwerere Dinge heben müsse. Es zeigte sich bei der Untersuchung eine auffällige deutliche Oberkörperschiefhaltung mit Schulterhochstand links und deutlichem Hartspann im Bereich oberhalb der Schulter. Neurologisch zeigte sich allerdings ein unauffälliger Befund. Es wurde zu einer nochmaligen stationären Rehabilitation mit intensiver Physiotherapie geraten.

Die Beklagte hat daraufhin die Vorstellung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Un¬fallklinik T. veranlasst. Nach dem ambulanten Untersuchungsbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 21.11.2008 hat Prof. Dr. W. eine erneute stationäre Aufnahme zur Ab-klärung von bestehenden Unfallfolgen mit intensiver psychologischer und psychotherapeutischer sowie spezieller schmerztherapeutischer Mitbehandlung empfohlen. Im Bericht wird eine deutliche Be¬schwerdesymptomatik, welche wahrscheinlich von dem Torticollis (Schiefhals) nach axialem Stauchungstrauma der HWS herrühre, beschrieben. Bei der Entlassung wurde mit dem Kläger die Vorstellung in der C.-Stiftung für Klinische Psychologie zur Bio-Feedback-Therapie sowie eine Fortführung der begonnenen Botox-Therapie in der Neurologischen Universitätsklinik T. vereinbart.

In der Zeit vom 09.12.2008 bis 27.01.2009 hat sich der Kläger zur stationären Rehabilitation mit schmerztherapeutischer Mitbehandlung und Medikamentenentzug in der BG Unfallklinik T. aufgehalten. Unter dem 19.01.2009 haben Prof. Dr. K. und Dr. F. (Abteilung Rehabilitation und Prävention) berichtet, eine CT-Diagnostik der HWS vom 12.12.2008 habe die Theorie der Vorgutachter nicht bestätigt, dass degenerative Veränderungen für die Schiefhaltung des Kopfes verantwortlich seien. Es habe sich ein altersentsprechender, regelgerechter Befund mit geringgradigen degenerativen Veränderungen gezeigt. In einer Narkoseuntersuchung am 12.01.2009 habe sich eine freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule gezeigt. Dabei seien die im Wachzustand des Patienten sonst typischen Anspannungen der Muskulatur nicht mehr tastbar gewesen. Trotz der massiven Sedierung sei jedoch eine persistierende Schmerzwahrnehmung des Patienten in Narkose aufgefallen. Nach dem bislang vorliegenden Befund liege ein posttraumatischer Torticollis mit Fehlkonditionierung und daraus resultierender Fehlhaltung des Halses und Kopfes vor. Es werde um eine Kostenzusage für eine weitere Botoxbehandlung gebeten.

Am 19.12.2008 hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. S. den Kläger untersucht. In seinem neurologisch-psychiatrischen Befundbericht vom 22.12.2008 wird unter Berücksichtigung der testpsychologischen Untersuchung durch Dipl.-Psychologin S. an 22.12.2008 ausgeführt, der Kläger habe angegeben, er habe den Schiefhals seit dem Unfall. Vor dem Unfall habe er diesbezüglich keine Beschwerden gehabt. Der Kläger habe den Schädel während der Exploration und der Untersuchung in wechselnder Ausprägung nach links schräg gehalten, dabei die linke Schulter hochgehalten. Bei Ablenkung stehe der Kopf gerade. Auf neurologischem Fachgebiet sei kein objektiv krankhafter Befund zu erheben. Eine Schädigung des Armnervengeflechts liege nicht vor, ebenso keine Dystonie, denn es lägen keine dystonen Bewegungsabläufe vor. Auch bestehe keine Muskelhypertrophie, wie dies bei einer andauernden unwillkürlichen Muskelkontraktion unweigerlich zu erwarten wäre. Ebenso bestehe keine krankhafte Muskelanspannung aufgrund einer peripheren Nervenschädigung, denn bei Ablenkung lasse die Anspannung des M. trapezius wie auch die Kopfschiefhaltung nach. Aufgrund des demonstrativen Charakters der dargebotenen Muskelverspannung sei die wahrscheinlichste Erklärung die einer willkürlich herbeigeführten Symptomatik. Zur weiteren Untersuchung habe er eine psychologische Untersuchung veranlasst. Im psychologischen Befundbericht vom 22.12.2008 hat die Diplom-Psychologin S. ausgeführt, der Kläger habe die am heutigen Tag durchgeführte neurologisch-psychiatrische Evaluation abgebrochen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 06.02.2009 hat Prof. Dr. S. berichtet, im Rahmen der psychologischen Diagnostik habe der Kläger im Wesentlichen unauffällige Leistungen gezeigt. Die persönlichkeits- und befindlichkeitsdiagnostischen Verfahren habe der Kläger allerdings nicht bearbeiten wollen und die Untersuchung abgebrochen. Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet krankhafte Befunde zu erheben waren. Die vom Kläger zeitweilig dargebotenen Verspannungen und Bewegungen im linken Schultergelenk seien medizinisch unerklärlich, bedürften aber auch keiner weiteren Therapie. Es handele sich am ehesten um eine demonstrative Darbietung von Krankheitszeichen, wobei objektiv keine Krankheit, insbesondere weder eine Dystonie noch eine Schädigung des Armnervengeflechts vorliege. Von einem Unfallzusammenhang sei nicht auszugehen.

Im Befundbericht vom 22.01.2009 hat Dr. A. (Universitätsklinik T., Neurologische Klinik) ausgeführt, der Kläger habe angegeben, nach dem Unfall habe nach initialen Schmerzen praktisch sofort eine Schulterelevation und eine schmerzhafte Kopfzwangshaltung mit Neigung nach links bestanden, die sich nach dem Unfall nicht gebessert habe. Klinisch-neurologisch habe sich ein altersentsprechender Normalbefund ergeben bis auf eine ausgeprägte, extrem schmerzhafte Schulterelevation links sowie eine Kopf/Halsneigung ebenfalls nach links. Es liege eine posttraumatische Dystonie nach Arbeitsunfall mit Trauma des Schädels sowie der linken Schulter vor. Therapie der Wahl sei hier eine Botulinumtoxin-Injektionstherapie, die durchgeführt worden sei. In der Zeit vom 09.12.2008 bis 27.01.2009 wurde der Kläger in der BG Unfallklinik T. stationär behandelt; es wurde unter anderem die Botox-Infiltration der Trapezius- und levatus scapulae-Muskulatur fortgesetzt. Im Befund- und Entlassbericht vom 27.01.2009 haben Prof. Dr. K., Dr. F. und Dr. O. ausgeführt, trotz Infiltrationen habe sich keine Besserung im Hinblick auf den zuvor bestehenden Schulterhochstand gefunden, begleitend habe sich eine Zunahme der Schiefhaltung des Kopfes nach linksseitig sowie eine vom Patienten angegebene erhöhte Schmerzsituation im Bereich der oberen HWS gezeigt. Der Kläger sei nach der Botox-Infiltration zur aktiven Ausgradung des Kopfes, wenngleich unter Schmerzzunahme, in der Lage gewesen. Bei Entlassung habe sich unverändert eine Schiefhaltung des Kopfes nach links gefunden, so dass von einer posttraumatischen Dystonie der linksseitigen Schultergürtelmuskulatur mit Fehlkonditionierung und daraus resultierender Fehlhaltung des Halses und Kopfes auszugehen sei. In einem weiteren Befundbericht hat Dr. A. unter dem 27.02.2009 berichtet, das Brennen in der Schulter habe mit einer Latenz von einer Woche sistiert, die unwillkürliche Schulterelevation sei nur geringfügig gebessert.

Auf Antrag des Klägers hat das SG ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG eingeholt. In dem von Prof. Dr. M. mitunterzeichneten neurologischen Gutachten vom 25.06.2009 hat Oberarzt Dr. H., Neurologische Klinik der Universitätsklinik T., ausgeführt, es lägen keine Unfall¬folgen auf neurologischem Fachgebiet vor. Die Kopfschmerzen seien unfallunabhängig auf die hohe Dosis von Schmerzmitteln zurückzuführen. Es bestehe insoweit auch eine positive Familienanamnese. Der aktuelle psychiatrische Befund sei ebenfalls re¬gelrecht gewesen. Eine Erklärung der Kopfschiefhaltung könne von neurologischer Seite nicht gegeben werden. Eine Dystonie sei bei fehlendem Ansprechen auf die Botulinumtoxin-Therapie nicht zu sichern. Eine Unfallabhängigkeit sei mit der in der gesetzlichen Unfallversicherung notwendigen Sicherheit in keinem Fall festzustellen, insbesondere bestehe kein zeitlicher Zu¬sammenhang. Diese Beschwerden seien erstmals im März 2005 aktenkundig geworden. Nach ei¬genen Angaben des Klägers habe der Schiefhals von Anfang an bestanden, verschlechtert sei die Situation seit Dezember 2008 seit der letzten Reha-Behandlung. Bis dahin ha¬be der Kläger auch gearbeitet. Soweit im neurologischen Befundbericht von Dr. A. vom 22.01.2009 von einer posttraumatischen Dystonie ausgegangen und eine Botulinumtoxin-Injektionstherapie begonnen worden sei, hätten die Vorunterlagen bei der Untersuchung offensichtlich nicht vorgelegen, sonst wäre der fehlende zeitliche Zusammenhang offensichtlich geworden. Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet seien die Läsion sensibler Hautäste an der linken Schultervorderseite mit subjektiven Beschwerden (Gefühlsstörungen). Unfallunabhängig bestünden eine Kreislauffehlregulation sowie die in den Akten beschriebenen degenerativen Veränderungen der HWS mit subjektiven Beschwerden (Schmerzen). Eine MdE auf neurologischem Gebiet aufgrund von Unfallfolgen bestehe nicht.

Mit Bescheid vom 01.09.2009 hat die Beklagte daraufhin die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen wegen der geltend gemachten Schiefhalsproblematik abgelehnt. Mit Bescheid vom 06.10.2009 hat sie zudem die Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf des 15.10.2009 eingestellt. Der Kläger hat daraufhin die Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber vollschichtig wieder aufgenom¬men.

Nach Vorlage weiterer Befundberichte (BG Unfallklinik T., Befundberichte vom 16.04.2009, 29.04.2009, 22.05.2009, 23.06.2009, 22.07.2009, 21.09.2009: unveränderte Beschwerdesymptomatik bei Verdacht auf posttraumatischen Torticollis, bspw. Dystonie nach stattgehabter Claviculafraktur links sowie Prellung des Schultergürtels links und Schädelprellung; C.-Stiftung für Klinische Psychologie, Befundbericht vom 28.05.2009: Diagnosen: ICD-10 S 42.00: Fehlhaltung Hals und Kopf bei posttraumatischer Dystonie der linksseitigen Schultergürtelmuskulatur mit Fehlkonditionierung bei Zustand nach stattgehabter Clavikulafraktur links sowie Prellung des Schultergürtels links und Schädelprellung; Befundbericht vom 24.09.2009: weitere Diagnose: ICD-10 F 45.8: Verdacht auf sonstige somatoforme Störungen (psychogener Schiefhals)) hat das SG von Amts wegen ein weiteres Gutachten bei Dr. G., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, V. P. Hospital R., eingeholt. Dr. G. hat im Gutachten vom 01.03.2010 berichtet, nach Auskunft des Klägers habe weder die Bio-Feedback-Therapie noch die Botulinumtoxin-Therapie zu einer nachhaltigen Besserung der Beschwerden geführt. Am meisten habe er von den durchgeführten therapeutischen Gesprä¬chen profitiert. Während der stationären Rehabilitation in T. sei durch den Schmerzmit¬telentzug eine Verschlimmerung der Symptomatik eingetreten. Inzwischen sei er in schmerzthe¬rapeutischer Behandlung bei Dr. Molnar. Vor dem Unfall sei er leidenschaftlicher Motorradfah¬rer gewesen, was er ebenso wie seine sonstigen sportlichen Betätigungen (Skifahren und Schwimmen) nicht mehr ausüben könne. Er wirke aber noch aktiv mit in einer Hexenzunft während der Fasnet. Er verspüre weiterhin Einschränkungen, beispielsweise auch beim Holzmachen im Wald, wo er wegen seiner Schmerzen im Schulter- und Halsbereich allenfalls noch Hilfstätigkeiten ausführen könne und ansonsten auf die Hilfe von Dritten angewiesen sei. Neurologisch hätten sich bis auf umschriebene Sensibilitätsstörungen im Bereich der linken Clavicula sowie einen erhöhten Blutdruck keine wesentlichen Auffälligkeiten bei mehreren reizlosen Narben im Bereich des Hinterkopfes sowie der linken Clavikula-Schulterregion links gefunden. Unter Berücksichti¬gung der Aktenlage und der Zusammenschau von Exploration, Untersuchung und Verhaltensbe-obachtung hätten vor dem Unfall keine wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen bestan-den, nach dem Unfall zunächst "übliche" Schmerzen, die jedoch nicht erwartungsgemäß nach Heilung der somatischen Ur¬sachen verschwanden, sondern persistierten und über die Jahre chronifizierten. Schließlich sei es zu einer funktionellen Fehlhaltung der Halswirbelsäule gekommen, die bereits im Dezember 2003 in einem Bericht der S.-Klinik angedeutet worden und in der Folgezeit mehr oder weniger stark ausgeprägt erschienen sei. Die abnorme ungünstige Entwicklung sei durch einen hohen Leidensdruck, her¬vorgerufen durch existenzielle Ängste, möglicherweise auch durch die Persönlichkeitsstruktur des Klägers mit einer hohen Leistungsmotivation begünstigt worden. Der Kläger sei nach relativ kurzer Zeit wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. Dies sei jedoch nur unter Einnahme gro¬ßer Mengen von Schmerzmitteln möglich gewesen. Zusätzlicher psychischer Druck sei erzeugt worden, als im Herbst 2009 Zahlungen seitens der Beklagten gestrichen worden seien. Dadurch habe sich eine somatoforme Störung entwickelt. Es gebe keinen Zweifel daran, dass die geklagten Beeinträchtigungen tatsächlich im geklagten Umfang bestünden. Es gebe keinen Anhalt für Simulation, bei der Präsentation der Beschwer¬den sei allerdings eine gewisse Aggravationstendenz bei der körperlichen Untersuchung zu ver¬muten. Gleichwohl gebe es wenig Anlass anzunehmen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen bewusst oder bewusstseinsnah zur Durchsetzung eigener Wünsche eingesetzt würden. Die somatoforme Schmerzstörung sei Folge des Unfalles vom 23.02.2003. Hierfür spreche der Umstand, dass sich die Störung erst durch die körperlichen Un¬fallfolgen entwickelt habe. Dies bedeute, dass den unfallbedingten Faktoren mindestens eine mit¬ursächliche Bedeutung zukomme, insbesondere da der Kläger im Vorfeld des Unfalles keine entsprechende Störung gehabt habe. Selbstverständlich könne eine gewisse Disposition dazu nicht ausgeschlossen werden. Dies sei jedoch bei einem hohen Anteil in der Bevölkerung der Fall. Auch der vorliegende Schmerzmittelmissbrauch sei Folge des Unfalles. Die MdE auf nervenärztlichem, speziell psychiatrischem Fachgebiet betrage 20 v.H. Die Abweichungen von den vorangegangenen neurologischen Gutachten resultierten daraus, dass dort der psychoreaktive Anteil der Gesamtsymptomatik bislang nicht gebührend berück¬sichtigt worden sei.

Dem Kläger sind am 15.03.2010 und 26.04.2010 Stimulationselektroden zur epiduralen Dauerstimulation und Schmerz¬reduzierung implantiert worden (Befundbericht der Oberschwabenklinik Wangen vom 25.04.2010).

Mit Urteil vom 28.10.2010 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 13.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2006 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer somatoformen Schmerzstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 23.02.2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu bewilligen. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass der Kläger unter Funktionseinschränkungen im Be¬reich des linken Schultergelenkes leide, die auf den Unfall zurückzuführen seien. Die bei dem Unfall erlittene Schlüsselbeinfraktur sei nicht komplikationslos verheilt, sondern habe wegen der festge¬stellten Falschgelenkbildung osteosynthetisch versorgt werden müssen. Durch die Verletzung und die anschließende Behandlung sei das Schultereckgelenk (AC-Gelenk) in Mitleidenschaft gezo¬gen worden, weshalb nach erfolgloser konservativer Behandlung am 21.01.2005 eine weitere Operation notwendig geworden sei. Auf unfallchirurgischem Fachgebiet sei daher die operativ versorgte Clavikulafraktur links mit posttraumatischer AC-Gelenksveränderung und Impingement der linken Schul¬ter, wie sie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid als Unfallfolge anerkannt habe, bei der Bemessung der MdE jedenfalls zu berücksichtigen. Insoweit liege eine MdE um 10 v.H. auf Dauer vor, wie sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. H. vom 12.09.2005 ergebe. Diese Bewer¬tung sei während des gerichtlichen Verfahrens sowohl durch den von Amts wegen bestellten Gutachter Dr. S. als auch durch den gemäß § 109 SGG gehörten Gutachter Prof. Dr. G. bestätigt worden. Sie stimme mit den sozialmedizinischen Erfahrungssätzen überein. Da¬nach führe ein Impingementsyndrom der Schulter in der Regel zu einer MdE um 10 v.H ... Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten seien jedoch auch die muskulären Verspannungen der Halsmuskulatur, die Bewegungseinschränkung der HWS mit Entwicklung eines Schiefhalses und die damit einhergehenden Beschwerden als Unfallfolgen anzuerkennen. Die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen seien zur Überzeugung des Gerichts zumindest eine wesentliche Teilursache für diese Befunde. Nachdem die Diagnose einer posttraumatischen Dystonie nicht gesi¬chert werden konnte, sei nach Überzeugung des Gerichts die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu stellen. Zu diesem Ergebnis komme das Gericht aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. Greber, dem auch in seiner Beurteilung zu folgen sei, dass diese Befunde - trotz der seit dem Unfall vergangenen langen Zeit - noch als rechtlich wesentlich durch den Unfall verursacht an¬zusehen seien. Es sei davon auszugehen, dass die anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit Schiefhals sich ohne den Unfall vom 23.02.2003 nicht entwickelt hätte und daher eine Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliege. Die HWS-Beschwerden und die ein-geschränkte Beweglichkeit der HWS seien seit dem Unfall mehr oder weniger ausgeprägt vor-handen. Dem Ereignis komme auch neben den in Betracht kommenden konkurrierenden Ursachen - den degenerativen HWS-Veränderungen sowie der Persönlichkeitsstruktur des Klägers - eine wesentliche Bedeutung zu.

Gegen das ihr am 22.12.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.01.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil des SG könne keinen Bestand haben. Der im Wesentlichen erst im Jahr 2008 aufgetretene Schiefhals könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf den Unfall vom 23.02.2003 zurückgeführt werden. Hierfür reiche es nicht aus, dass bei dem Unfall eine Torsion der Halswirbelsäule stattgefunden habe und vor diesem Unfall angeblich keine Halswirbelbeschwerden vorlagen.

Der Kläger ist der Berufung entgegen getreten.

Der Senat hat zunächst eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme bei Dr. S. eingeholt, der unter dem 28.06.2011 ausgeführt hat, er sehe auch unter Würdigung der seit seinem Gutachten erhobenen Befunde keine Veranlassung, an seiner damaligen Einschätzung nicht festzuhalten. Tatsache sei - und hier stimme er mit Prof. H. und Prof. G. überein -, dass die Beschwerden an der linken Schulter auf das Unfallereignis zurückzuführen seien. Die MdE hierfür sei übereinstimmend auf 10 v.H. eingeschätzt worden. Bezüglich des Schiefhalses bzw. der Beschwerden im Bereich der HWS habe er ebenso wie Prof. H. keine Verbindung zum Unfallereignis hergestellt. Vielmehr hätten sie beide die Ursache hierfür in den beschriebenen degenerativen Veränderungen der HWS gesehen. Auch Prof. G. habe keinen wirklichen Nachweis einer traumatischen Veränderung der HWS gesehen, sondern nur von einer möglichen Ursache gesprochen. Ein bereits 2005 von Dr. K. erstelltes neurologisches Gutachten habe keine neurologische Veränderung ergeben, und auch dieser habe die Beschwerden der HWS als degenerativ bedingt angesehen. In die gleiche Richtung weise auch das Gutachten von Dr. H. vom 25.06.2009, der ebenfalls keine neurologisch bedingten Unfallfolgen gesehen habe; der psychiatrische Befund sei ebenfalls regelgerecht gewesen. Demgegenüber habe Dr. G. in seinem Gutachten vom 01.03.2010 auf eine somatoforme Schmerzstörung und psychodynamische Vorgänge, auch aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Verletzten, abgestellt und diese psychiatrisch-neurologischen Veränderungen dem Unfallereignis angelastet. Insgesamt hätten sich auf orthopädisch-traumatologischem Gebiet und damit an der MdE auf diesem Gebiet keine Veränderungen ergeben, weshalb diese weiterhin 10 v.H. betrage. Die jetzt noch streitigen Veränderungen beträfen ausschließlich das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet und die hier entgegengesetzten Einschätzungen von Dr. H. und Dr. G ... Für dieses Sachgebiet fehle ihm die erforderliche Sachkunde.

Dr. H. hat auf eine Nachfrage des Gerichts unter dem 15.06.2011 darum gebeten, ihn von der Verpflichtung zur Erstellung einer weiteren Stellungnahme zu entbinden, da er demnächst die Klinik wechsle und auch an seiner neuen Arbeitsstelle die Sache nicht zeitnah bearbeiten könne.

Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. L., Neurologische Klinik der Universitäts- und Rehabilitationskliniken U ... Im gemeinsam mit Dr. R., Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, erstellten Gutachten vom 27.12.2011 wird ausgeführt, der Kläger habe berichtet, der Schiefhals habe seit der Entlassung aus dem stationären Aufenthalt im Krankenhaus R. nach dem Unfall bestanden. Der Kläger habe von einem Beginn innerhalb von Tagen nach dem Trauma und einer deutlichen Intensivierung über die Jahre gesprochen. Er habe seit dem Unfall kontinuierliche Schmerzen im Bereich des Kopfes und der Schulter, die sich erst nach der Implantation von zwei SCS-Sonden im Jahr 2010 gebessert hätten. Im Jahr 2011 sei es infolge eines häuslichen Sturzes zu einer Verschiebung der Sonden gekommen, was eine Revisionsoperation nach sich gezogen habe. Bei einer neurologischen Untersuchung haben Prof. Dr. L. und Dr. R. einen in etwa 40-Gradstellung gehaltenen Schiefhals festgestellt, bei dem unter Druck eine deutliche Verschlechterung eingetreten sei. Der Schiefhals habe während der Anamnese, Untersuchung und auch davor und danach in unbeobachteten Momenten bestanden. Beim passiven Geraderücken des Kopfes und auch beim willkürlichen Geradehalten des Kopfes habe ein sofortiges Anspannungszittern der beidseitigen Gesichts- und Halsmuskulatur eingesetzt; diese Haltung habe vom Kläger maximal zwei Sekunden eingenommen werden können. Es fänden sich im Bereich zweier reizlos verheilter Narben über der linken Clavikula und über dem Acromioclavikulargelenk zwei handtellergroße Hypästhesien, am ehesten dem Nervus suprascapularis zuzuordnen. Hiervon ausgehend haben Prof. Dr. L. und Dr. R. als Unfallfolgen (neben einer HWS-Distorsion, commotio cerebri, Clavikula-Fraktur und postoperativem Impingementsyndrom der linken Schulter) eine im weiteren Verlauf sensible Schädigung des N. suprascapularis links und eine posttraumatische cervikale Dystonie der linken Schulter-Hals-Region sowie ein posttraumatisches Kausalgie-Dystonie-Syndrom der linken Schulter-Hals-Region diagnostiziert und dazu ausgeführt, in keinem der bisherigen Gutachten auf chirurgischem oder neurologischem Gebiet sei (im Gegensatz zu den ausführlichen Befundberichten von Dr. A.) eine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem bekannten Krankheitsbild des posttraumatischen Kausalgie-Dystonie-Syndroms bzw. der posttraumatischen cervikalen Dystonie erfolgt. In der Wissenschaft gehe man davon aus, dass bei der posttraumatischen Dystonie eine Störung der sensomotorischen Integration zugrunde liege. Hinsichtlich der gutachterlichen Aspekte finde sich nur ein einziger Artikel (Hummel und Lücking 2001), der sich mit dem Krankheitsbild ausführlich auseinander setze. Hinsichtlich der Kausalität zum Unfall würden als diagnostische Kriterien gefordert, dass die Verletzung so schwer sein müsse, dass sie lokale Symptome wie Schmerzen, Schwellung, Hämatom für mindestens zwei Wochen nach sich ziehe, dass die Bewegungsstörung innerhalb von einigen Tagen oder Wochen bis zu einem Jahr nach der Verletzung beginne und die Lokalisation der Bewegungsstörung einen anatomischen Bezug zur verletzten Region haben müsse. Diese Kriterien seien beim Kläger erfüllt, er berichte sogar von einem Hämatom des gesamten Brust-Rückenbereichs nach dem Unfall und seither andauernden Schmerzen. Ob eine Prädisposition möglicherweise auch genetischer Art zur Entwicklung von Dystonien vorliege, sei für die Begutachtung irrelevant, da der Patient im Sozialrecht in dem Zustand versichert sei, wie er den Unfall erlitten habe. Die fehlende Dokumentation des Schiefhalses nach dem Trauma könne auf die anfänglich zusätzlich bestehende Bewegungseinschränkung der linken Schulter bis zur Operation am 21.01.2005 zurückgeführt werden, da die Symptomatik in der ersten Zeit immer einer Schulterverletzung zugeschrieben worden sei. Der Kläger berichte aber von einem Beginn innerhalb von Tagen nach dem Trauma und einer deutlichen Intensivierung über die Jahre. Dr. G. verschiebe die Krankheitsursache eher in den psychosomatischen Bereich, was als häufiges Phänomen bei solchen Störungen vorkomme, die als psychische Erkrankungen fehlinterpretiert würden. Eine somatoforme Schmerzstörung habe im Gegensatz zu Dr. G. nicht diagnostiziert werden können. Da keine eindeutig fassbaren diagnostischen Prozeduren wie Bildgebung etc. existierten und das Krankheitsbild auf der Annahme einer zentralen Regulationsstörung bei verändertem afferentem Eingangssignal in Form von Schmerzen beruhe, sei von einer neurologischen Störung auszugehen. Die von Prof. Dr. S. vorgebrachte willkürliche Aggravation bzw. Simulation könne nicht bestätigt werden. Auch das Nichtansprechen auf die Botox-Behandlung spreche nicht gegen das Krankheitsbild. Vielmehr sei bekannt, dass häufig bei den posttraumatischen Dystonie-Syndromen nach peripherem Trauma eine Botulinumtoxin-Therapie keine wesentliche Besserung erbringe. Von den neurologischen Gutachtern K., H. und S. werde dahingehend abgewichen, dass das fehlende neurologische Defizit bzw. die geringfügigen Sensibilitätsstörungen in der Nähe der Operationsnarben zwar auch von den Unterzeichnern anerkannt werde, darüber hinaus aber die Kriterien einer posttraumatischen Dystonie, teilweise auch die Kriterien einer Kausalgie, erfüllt seien. Diese Diagnosen seien von den Vorgutachtern nicht diskutiert bzw. die Beschwerden in den subjektiven oder vorgetäuschten Beschwerderahmen eingeordnet worden. Neben der aktenkundigen MdE von 10 v.H. auf chirurgischem Gebiet betrage die MdE auf neurologischem Gebiet 40 v. H., die Gesamt-MdE betrage 40 v.H.

Gegen das Gutachten von Prof. Dr. L. und Dr. R. hat die Beklagte Einwendungen erhoben, wonach die Gutachter ausgehend von der Aussage, dass ein Beginn der Gesundheitsstörung der posttraumatischen Dystonie innerhalb von einigen Tagen oder Monaten bis zu einem Jahr zu fordern sei, diesen zeitlichen Zusammenhang allein aufgrund der Angaben des Klägers, der von einem Beginn innerhalb von Tagen berichtet habe, als erfüllt angesehen hätten. Dem sei die Aktenlage gegenüberzustellen, wonach sich eine posttraumatische Dystonie nicht feststellen lasse. Im Einzelnen belegten dies folgende Untersuchungsergebnisse: Prof. Dr. H. und Dr. L. hätten bei ihrer Begutachtung vom 29.08.2005, also über zwei Jahre nach dem Unfall, eine Beweglichkeit der Halswirbelsäule des Klägers beim Seitneigen rechts/links von 65/0/65 Grad gemessen, ohne jegliche Anhaltspunkte für einen Schiefhals. Dr. K. habe in seinem neurologischen Gutachten vom 14.10.2005 keinerlei Befunde zu erheben vermocht, die eine Dystonie belegen würden. Der Gutachter Dr. S. habe bei seiner Untersuchung vom 02.05.2007 eine Beweglichkeit des Kopfes des Klägers beim Seitneigen rechts/links von 30/0/30 Grad festgehalten. Und am 19.02.2008 seien von Prof. Dr. G. fast identische Befunde für das Seitneigen rechts/links des Kopfes von 30/0/20 Grad erhoben worden. Der inzwischen vom Kläger demonstrierte Schiefhals sei bei der neurologischen Begutachtung von Prof. Dr. S. am 19.12.2008 bei Ablenkung nicht mehr vorhanden gewesen. Entgegen der Annahme von Prof. Dr. L. und Dr. R. lägen somit die zeitlichen Voraussetzungen für die Annahme einer posttraumatischen Dystonie gerade nicht vor. Hier sich allein auf die Angaben des Klägers - unter Ausblendung der objektiven Befunde - zu stützen, könne nicht akzeptiert werden. Ein wahrscheinlicher Kausalzusammenhang des Schiefhalses mit dem Unfall vom 23.02.2003 werde mit einer solchen Argumentation jedenfalls nicht begründet.

Hierauf hat der Kläger geltend gemacht, dass Röntgenbilder und CTs aus der Zeit nach dem Unfall vorliegen müssten, auf denen die Fehlstellung zu erkennen sein müsste. Der Senat hat daraufhin bei diversen behandelnden Kliniken und Ärzten Aufnahmen aus dem Zeitraum 2003 und 2005 angefordert und diese an Prof. Dr. L. und Dr. R. zur Berücksichtigung im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme weitergeleitet.

Unter Würdigung der ihnen übersandten Röntgen- und CT-Aufnahmen (2 CDs, 35 Röntgenaufnahmen) aus der Zeit zwischen März 2003 und Mai 2005 haben Prof. Dr. L. und Dr. R. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 14.05.2012 an ihren Diagnosen festgehalten und dazu ausgeführt, beim Kläger liege ein neurologisches Krankheitsbild vor, es seien sowohl die Kriterien eines chronisch regionalen Schmerzsyndroms Typ I als auch die eines - sich überschneidenden - Krankheitsbildes der posttraumatischen Dystonie erfüllt. Die Auflistung der durchgeführten orthopädischen Messungen zu den Bewegungsausmaßen der HWS seien für die Fragestellung nicht hilfreich, da unter Überwindung von Schmerzen der Bewegungsumfang zunehme. Ein objektives Maß der Fehlhaltung der Halswirbelsäule wie bei einer Dystonie könne daraus nicht abgeleitet werden. Die fehlende Dokumentation des Schiefhalses und des Schulterhochstands links nach dem Trauma über Jahre werde darauf zurückgeführt, dass die bestehende Bewegungseinschränkung bis 2005 zunächst auf die knöchernen Veränderungen und das Impingement-Syndrom an der linken Schulter zurückgeführt und deshalb nicht einem neurologischen Krankheitsbild zugeordnet worden sei. Des Weiteren müsse bedacht werden, dass vom Kläger kontinuierlich immer Schmerzen lokalisatorisch im linken Schulter-HWS-Bereich angegeben wurden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Fehlhaltung aus den Schmerzen heraus entwickelt habe. In den beigebrachten Röntgen- und CD-Bildern seien eine knöcherne Diagnostik und eine Überprüfung der epiduralen Schmerzsondenlage erfolgt. Eine ätiologisch dem Gehirn in seiner integrativen Funktionsweise zuzuordnende Störung mit zentraler Fehlwahrnehmung von Schmerz und Dystonie sei keinem knöchernen Prozess zuzuordnen. Die beigebrachten Röntgen- und CT-Bilder könnten deshalb keine Änderung an der neurologischen Einschätzung erbringen.

Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, sich zum Gutachten von Prof. Dr. L. und Dr. R. und deren ergänzender Stellungnahme zu äußern.

Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, die Berufung von Prof. Dr. L. und Dr. R. auf die identische Beurteilung der Sache durch die Ärzte der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. gehe fehl, weil in dem dortigen Bericht vom 22.01.2009 die Diagnose einer posttraumatischen Dystonie nur deshalb gestellt worden sei, weil der Kläger angegeben habe, dass sofort nach dem Unfall eine schmerzhafte Kopfzwangshaltung mit Neigung nach links bestanden habe, was nach der Aktenlage eindeutig nicht der Fall gewesen sei. Am bisherigen Antrag werde daher festgehalten. Hilfsweise werde beantragt, Dr. G. von der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. unter Bezugnahme auf den dortigen Bericht vom 22.01.2009 und das dortige Gutachten vom 25.06.2009 in einem weiteren Gutachten dazu Stellung nehmen zu lassen, welcher der beiden Auffassungen aus welchen Gründen zu folgen sei.

Unter dem 03.09.2002 hat der (damalige) Berichterstatter des Senats der Beklagten mitgeteilt, nach Prüfung der Sach- und Rechtslage seien weitere Ermittlungen nicht beabsichtigt. Falls Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht, werde um entsprechende Mitteilung gebeten. Hierauf hat die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Diesen Schriftsatz hat der Berichterstatter der Prozessbevollmächtigten des Klägers zugeleitet mit der Bitte um Mitteilung, ob ebenfalls Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht. Mit Schriftsatz vom 25.09.2012 hat diese mitgeteilt, um beurteilen zu können, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht, werde um eine kurze - selbstverständlich vorläufige - Einschätzung des Gerichts gebeten, um dann entscheiden zu können, ob weitere Beweisanträge gestellt werden. Hierauf hat der Berichterstatter des Senats mit Verfügung vom 27.09.2012 der Prozessbevollmächtigten des Klägers die - an die Beklagte adressierte - Verfügung vom 03.09.2012 übersandt, worauf diese unter dem 18.10.2012 ebenfalls ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Auf eine Sachstandsanfrage der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der (neue) Berichterstatter des Senats den Beteiligten unter dem 23.07.2013 mitgeteilt, dass im Dezember 2012 ein Berichterstatterwechsel stattgefunden habe. Die Sache sei weiterhin zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vorgemerkt, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise übereinstimmend einverstanden erklärt haben. Eine Reaktion der Beteiligten auf dieses Schreiben ist nicht erfolgt.

Durch Urteil vom 19.11.2013 (L 9 U 171/11), welches ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat der Senat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.10.2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, denn die durch den Arbeitsunfall vom 23.02.2003 bedingte MdE erreiche nicht den rentenberechtigenden Mindestgrad von 20 v.H. Der Senat teile die Auffassung des SG, soweit dieses die unfallbedingte MdE des Klägers auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet mit 10 v.H. beurteilt hat. Entgegen der Auffassung des SG habe der Senat allerdings nicht die Überzeugung zu gewinnen vermocht, dass sich beim Kläger auch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet eine relevante MdE und daraus folgend eine Gesamt-MdE von (mindestens) 20 v.H. ergebe.

Auf die Beschwerde der Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Senats hat das Bundessozialgericht (BSG) durch Beschluss vom 03.04.2014 (B 2 U 308/13 B) das Urteil vom 19.11.2013 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesssozialgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, das angefochtene Urteil könne auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen. Da das erstin-stanzliche Urteil des SG zugunsten des Klägers ausgefallen war und auch das Ergebnis der Beweisaufnahme durch das LSG zu einem für den Kläger positiven Sachverständigengutachten geführt hatte, habe dieser bei Erhalt des an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks da¬von ausgehen müssen, dass das LSG seine Entscheidung auf keine abweichende Beurteilung dieser Fragen gegenüber dem SG gründen werde. Für den Kläger habe sich die Prozesssituation so darstellen müssen, dass die Beklagte gerade deswegen weitere Sachverhaltsaufklärung beantragt hatte, weil sie nach der objektiven Sachlage befürchten musste, dass der Rechtsstreit zu ihren Un¬gunsten entschieden werde. Zwar sei eine Überraschungsentscheidung zu verneinen, wenn nur ein Mitglied des Spruchkörpers sich dahingehend äußert, dass die spätere Sachentscheidung zugunsten des Klägers ausfallen werde, da es sich dann nur um eine Einzelmeinung handelt, die für die nachfolgende Entscheidung des gesamten Spruchkörpers nicht bindend sein kann (s. BSG, Beschluss vom 21.06.2000 - B 5 RJ 24/00 B- SozR 3-1500 § 160 Nr. 30, abgedruckt unter SozR 3-1500 § 112 Nr. 2). Jedoch sei Anlass für die Übersendung des Vermerks die an das LSG und damit den gesamten Spruchkörper als zur Entscheidung befugten Institution gerichtete Anfrage des Klägers gewesen, weshalb die Übersendung des an die Beklagte gerichteten Aktenvermerks als Antwort des gesamten Senats erscheinen musste. Vom Empfängerhorizont des Klägers her betrachtet habe sich damit aufgrund der Auskunft des LSG der Eindruck auf-drängen müssen, dass das LSG beabsichtigte, nach dem Ergebnis des im Berufungsverfahren einge¬holten Gutachten des Prof. Dr. L. keine gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil abwei-chende Entscheidung zu fällen. Auf diesem durch das Verhalten des Gerichts erzeugten Ein-druck könne das Urteil des LSG auch beruhen. Denn es sei denkbar und werde vom Kläger auch schlüssig dargelegt, dass dieser bei Hinweis auf eine mögliche andere Rechtsauffassung des LSG weitere Beweisanträge gestellt hätte, denen zu folgen das LSG sich hätte gedrängt sehen müssen und diese weiteren Beweiserhebungen zu einer für den Kläger positiven Entscheidung hätten führen können. Dies gelte umso mehr, als das LSG ohne mündliche Verhandlung ent¬schieden habe und die erforderliche Zustimmung gemäß § 124 Abs. 2 SGG seitens des Klägers in Kenntnis einer möglichen abweichenden Beurteilung durch das LSG wohl nicht erteilt worden wäre.

Im fortgeführten Berufungsverfahren haben die Beteiligten ihre bisherigen Standpunkte wiederholt und vertieft. Der Kläger hat ausgeführt, soweit das Gericht sich nach neuerlicher Prüfung der vorliegenden umfangreichen Unterlagen nicht davon überzeugen könne, dass das von Prof. Dr. L. in seinem Gutachten vom 27.12.2011 diagnostizierte Kausalgie-Dystonie-Syndrom als Folge des Arbeitsunfalls vom 23.02.2003 mit einer dauerhaften MdE mit 40 v.H. anzuerkennen sei, sei unter Berücksichtigung sämtlicher bereits vorgelegter Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen im Anschluss an den Unfall in einem weiteren fachneurologischen Gutachten zu klären, dass bereits spätestens 2005 durch bildgebende Verfahren Symptome nachweisbar waren, die den überwiegenden Zusammenhang der cervikalen Dystonie bzw. des Kausalgie-Dystonie-Syndroms beim Kläger beweisen. Hierbei sollte der Gutachter sich mit den Ausführungen des Prof. Dr. L. kritisch im Einzelnen auseinandersetzen. Der Kläger habe immer wieder betont, den Schiefhals seit dem Unfall vom 23.02.2003 zu haben. Dies gehe auch aus dem Gutachten des Prof. Dr. S. vom 19.12.2008 hervor, der bekanntermaßen nicht den Ruf genieße, versichertenfreundlich zu sein und dem Kläger dann auch demonstrative Darbietung unterstellt habe. Dieser Vorwurf sei dem Kläger sicher nicht zu machen, der bereits seit Jahren unter stärksten Schmerzmitteln, sogar mit Hilfe einer implantierten Schmerzpumpe, seiner Arbeit vollschichtig nachgehe. Das Problem des Klägers sei, dass die Verletzungen nicht zeitnah nach dem Unfall richtig erkannt und zu spät behandelt worden seien, sodass sich die Schiefhaltung bedingt durch Schmerzen unter Hinzutreten einer psychischen Komponente manifestiert und verstärkt hat. Die neuerliche aktuelle Auswertung der Röntgenbilder der HWS ab 15.12.2003 sowie der MRT-Aufnahme der Halswirbelsäule ab 16.04.2005 würden bereits den Schiefhals erkennen lassen. Bereits das Schreiben der B. Unfallklinik vom 19.01.2009 beweise, dass die Halswirbelsäule am 12.12.2008 keine degenerativen Veränderungen aufwies und damit keine unfallfremde Erklärung der Schiefhaltung des Kopfes ergeben konnte. Der Kläger habe lediglich in Schlafphasen mit tiefer Entspannung den Hals gerade gehalten. Die weitere Behandlung des Schiefhalses sei dann auch auf Kosten der Beklagten erfolgt. Prof. Dr. L. gebe eine nachvollziehbare Erklärung, dass im Fall des Klägers die dann durchgeführte Muskelentspannungsbehandlung durch Botox-Spritzen bei seinen Beschwerden nicht erfolgreich war. Sämtliche Vorgutachter hätten den Zusammenhang, den Prof. Dr. L. eindrücklich darstelle, nicht richtig erkannt.

Der Senat hat 16.12.2014 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher der Kläger unter anderem den Antrag gestellt hat, eine ergänzende neurologische Begutachtung dazu einzuholen, dass die posttraumatische Dystonie aus dem Arbeitsunfall aus dem Jahr 2003 resultiert und der Verursachung durch den Arbeitsunfall die erst später erfolgte Diagnose nicht entgegen steht. Die Verhandlung ist auf Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers auf den 20.01.2015 vertagt und erneut mündlich verhandelt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt zuletzt (sachdienlich gefasst),

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und diese im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.10.2010 und des Bescheids der Beklagten vom 13.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.03.2006 wegen der Folgen des Unfalls vom 23.02.2002 unter Anerkennung einer sensiblen Schädigung des Nervus suprascapularis links, posttraumatischer cervikaler Dystonie der linken Schulter- und Halsregion und eines posttraumatischen Kausalgie-Dystonie-Syndroms eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. ab dem 1. November 2007 zu gewähren,

ferner ein ergänzendes neurologisches Gutachten einzuholen unter Auswertung aller bildgebenden und sonstigen Vorbefunde und Berücksichtigung aktueller medizinischer Erkenntnisse zu den Voraussetzungen einer posttraumatischen Dystonie zum Nachweis dafür, dass beim Kläger die im Antrag genannten neurologischen Folgen des Arbeitsunfalls im rentenberechtigenden Grad vorhanden sind, die sich - spätestens - aus der unfallbedingt durchgeführten Operation am Schultergelenk vom Januar 2005 entwickelt haben.

In einem aktuellen Gutachten sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der unmittelbar im Anschluss an die Schulteroperation (Januar 2005) wegen des traumatisch bedingten Schulterhochstands links aufgetretene Schiefhals in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Operation der Unfallfolgen links stehe und deshalb selbst Unfallfolge sei, was bisher außer Prof. L. keiner der Gutachter berücksichtigt habe. Ein weiteres neurologisches Gutachten sei auch deswegen einzuholen, weil zwar verschiedene Gutachten vorlägen, wonach beim Kläger keine unfallbedingten neurologischen Einschränkungen nach dem Unfall vom 23.02.2003 vorgelegen hätten. Hierfür seien von den Gutachtern aber verschiedene Begründungen gegeben worden (Dr. H.: vorbestehende Veränderungen der HWS, Prof. Dr. S.: demonstratives Darbieten nicht vorhandener Beschwerden, Prof. Dr. H.: fehlende Einschränkung der Beweglichkeit der HWS). Welche dieser Auffassungen zutreffe, sei in einem weiteren Gutachten zu klären. Nach der Fachliteratur (Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie) seien verschiedene Dystonieformen zu unterscheiden. Als klinische Kriterien würden nach Widder u.a. gelten: Lokale Gewebeveränderungen (die beim Kläger nachgewiesen seien, insbesondere auch nach der Operation an der Schulter), Schmerzen, die das normale Maß übersteigen (die ebenfalls nachgewiesen seien), eine Zeitlatenz zwischen Trauma und Entwicklung der Bewegungsstörung von weniger als einem Jahr, wobei hier insbesondere Streit bestehe und Widder von einer maximalen Zeitspanne von drei Monaten ausgehe sowie eine Übereinstimmung von Verletzungsart und der von der Dystonie betroffenen Körperregion. Zumindest was den linken Schultergürtel betreffe, sei dies nach Einengung nach Clavikulafraktur der Fall. Nach diesen Kriterien fehle es bisher an einer gründlichen und umfangreichen Begutachtung unter Einfluss älterer Befunde, die dem heutigen medizinischen Erkenntnisstand entspreche.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Die Anschlussberufung ist ebenfalls zulässig.

Die in der (unselbständigen) Anschlussberufung liegende Klageerweiterung (Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. anstatt wie erstinstanzlich beantragt 20 v.H. in Verbindung mit der Feststellung weiterer Unfallfolgen) ist gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG zulässig. Eine Anschlussberufung ist auch wie im vorliegenden Fall zulässig, wenn sie zum Zwecke der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz eingelegt wird (siehe auch Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.09.1993 - 4 AZR 693/92 -, NZA 1994, 761; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.01.2012 - 22 Sa 7/11 - (juris)). Dieses Begehren kann zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage verfolgt werden (s. zur Klageerweiterung hinsichtlich weiterer Gesundheitsstörungen BSG SozR 1500 § 99 Nr. 2). Dies gilt vorliegend allerdings nicht bezüglich der Unfallfolgen commotio cerebri, Clavikula-Fraktur und Impingement-Syndroms der linken Schulter, die bereits von der Beklagten im Bescheid vom 13.12.2005 als Unfallfolge festgestellt wurden, weswegen insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis an einer (nochmaligen) Feststellung bestehen würde. Der Kläger hat dem diesbezüglichen rechtlichen Hinweis des Senats durch die letzte Antragstellung Rechnung getragen.

Die Berufung der Beklagten ist begründet, die Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 23.02.2003 zu, da keine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H. besteht.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls, der hier am 23.02.2003 eingetreten und von der Beklagten auch anerkannt ist, und auch ihrer Berücksichtigung bei der Gewährung von Leistungen ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (Vollbeweis, siehe oben). Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, denn die durch den Arbeitsunfall vom 23.02.2003 bedingte MdE erreicht nicht den rentenberechtigenden Mindestgrad von 20 v.H.

Der Senat teilt die Auffassung des SG, soweit dieses die unfallbedingte MdE des Klägers auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet mit 10 v.H. beurteilt hat. Diese Einschätzung rechtfertigt sich auf der Grundlage des schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens von Prof. Dr. H. und Dr. L., welches urkundsbeweislich verwertbar ist und der hiermit übereinstimmenden gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. S. und Prof. Dr. G ... Danach bestehen als Unfallfolgen ein posttraumatisches Impingement im Bereich der linken Schulter, ein Zustand nach AC-Gelenkresektion und AC-Plastik, ein Zustand nach Clavikula-Fraktur sowie eine endgradige Bewe¬gungseinschränkung der HWS mit muskulären HWS-Verspannungen, was insgesamt zu einer MdE auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet von 10 v.H. führt. Demgegenüber sind die Neuroforamenstenosen C3/4 und C4/5 im Bereich der HWS mit dorsaler Bandscheibenprotrusionen, wie nachvollziehbar dargelegt wird, degenerativer Natur und somit unfallunabhängig. Dass beim Kläger unfallunabhängige degenerative Veränderungen im Bereich der HWS vorliegen, wird nicht nur durch die genannten Gutachten belegt, sondern auch durch die Berichte der Radiologen Dr. R. vom 22.03.2005 (kein Hinweis für knöcherne Verletzungen, offenbar schon vorbestehende Retroosteophytenbildungen in Höhe C3 und C4 mit auch Neuroforameneinengungen in diesen Höhen links geringeren Grades, zudem eine leicht skoliotische Fehlhaltung der HWS) und Dr. S. vom 16.04.2005 (linksbetonte degenerative Neuroforamenstenosen C3/4 bis C5/6 mit dorsalen Bandscheibenprotrusionen). Die Richtigkeit dieser Befundungen wird insbesondere nicht durch das Schreiben von Prof. Dr. K. und Dr. F. an die Beklagte vom 19.01.2009 in Frage gestellt, wonach eine CT-Diagnostik der HWS vom 12.12.2008 einen altersentsprechenden regelhaften Befund mit geringgradigen degenerativen Veränderungen gezeigt habe, die jedoch keinesfalls über das zu erwartende Maß hinausgingen. Denn zum einen haben sowohl Dr. R. als auch Dr. S. unabhängig voneinander detailliert die von ihnen festgestellten degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS beschrieben, weshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Befunde bestehen. Zum anderen wird das Vorhandensein degenerativer Veränderungen auch von Prof. Dr. K. und Dr. F. nicht prinzipiell in Abrede gestellt, diese gehen lediglich von altersgemäßer Degeneration im Bereich der HWS aus, was aber nicht notwendig ausschließt, dass darin die oder jedenfalls eine (wesentliche) Ursache für die Schiefhalsproblematik beim Kläger liegt. Soweit der vom SG als sachverständiger Zeuge befragte Chirurg Dr. E. die MdE aufgrund der infolge des nicht mehr geschlossenen Schultergürtels herabgesetzten Belastbarkeit des linken Armes und des gesamten Schulterbereichs als um 20 v.H. gemindert angesehen hat, ist dem nicht zu folgen. Hiergegen spricht schon die trotz des Unfalls erhalten gebliebene aktive Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke, wie sie unter anderem im Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. L. auf der Grundlage der dortigen Messergebnisse beschrieben wird.

Entgegen der Auffassung des SG vermag der Senat allerdings nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass sich beim Kläger auch auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet eine relevante MdE und daraus folgend eine Gesamt-MdE von (mindestens) 20 v.H. ergibt.

Der Senat stellt hierzu fest, dass beim Kläger nach dem Unfall bis zum Jahr 2009 keine neurologischen Ausfälle oder Unfallfolgen diagnostiziert wurden. Dies gilt sowohl für die direkt nach dem Unfall durchgeführten Untersuchungen (Klinkum S. vom 17.03.2003: kein peripheres neurologisches Defizit) als auch für spätere Untersuchungen (S.-Klink A. vom 16.12.2003: orientierende neurologische Untersuchung unauffällig; Dr. R., neurologischer Befundbericht vom 20.12.2004 aufgrund von Untersuchung vom 27.01.2004: kein neurologischer Befund; ebenso Dr. M. vom 19.04.2004 und 03.05.2005) und Begutachtungen. So haben sowohl der im Verwaltungsverfahren - nach der Schulteroperation vom 21.01.2005 - tätige Dr. K. (Gutachten vom 14.10.2005) als auch die vom SG nach § 109 SGG beauftragten Prof. Dr. G. (Gutachten vom 13.03.2008) und Dr. H. (Gutachten vom 25.06.2009) klinisch-neurologisch und psychiatrisch regelgerechte Befunde ohne krankhafte Veränderungen oder Auffälligkeiten erhoben, was sich mit dem Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. S. vom 22.12.2008 deckt, der ebenfalls keinen objektiv krankhaften Befund feststellte. Hiervon ausgehend ist auch die Schlussfolgerung der genannten Gutachter, wonach auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet keine MdE vorliegt, schlüssig und nachvollziehbar.

Demgegenüber begründen die in der Folgezeit und damit unfallferner eingeholten Gutachten nicht zur Überzeugung des Senats die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet aufgetretenen Erkrankungen des Klägers dem Unfallereignis vom 23.02.2003 als hierdurch wesentlich verursacht zugeordnet werden können. Dies gilt sowohl für die von Dr. G. im Gutachten vom 01.03.2010 diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung, die einhergehen soll mit einem funktionellen Torticollis spasmodicus (psychogener Schiefhals) als auch für die von Prof. Dr. L. und Dr. R. unter dem 27.12.2011 diagnostizierte posttraumatische cervikale Dystonie der linken Schulter-Hals-Region bzw. das posttraumatische Kausalgie-Dystonie-Syndrom. Gegen die Beurteilung von Dr. G. spricht schon, dass (allein) der Umstand, dass der Kläger im Vorfeld des Unfalls eine entsprechende Störung nicht hatte und auch keine Beschwerden in der Schulter-Nacken-Region, diese aber nach dem Unfall auftraten - was Dr. G. als wesentlichen Gesichtspunkt für die Kausalitätsbeurteilung heranzieht - die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verursachung nicht zu begründen vermag. Zudem kommen für die von Dr. Greber auf psychiatrischem Gebiet angenommene Schmerzstörung angesichts des Fehlens messbarer neurologischer Ausfälle durchaus unfallunabhängige Ursachen in Betracht. So hat der Neurologe Dr. K. die vorgetragenen Kopfschmerzen auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückgeführt, nach Auffassung von Dr. H. sind diese auf die hohe Dosis von Schmerzmitteln zurückzuführen, zudem bestehe insoweit eine positive Familienanamnese, und selbst Dr. G. - der zudem auch Aggravationstendenzen beim Kläger festgestellt hat - hat eingeräumt, dass für die Ausprägung der angenommenen Schmerzstörung anlagebedingte Faktoren, wie eine entsprechende Disposition des Patienten, eine Rolle spielen. Eine Wesentlichkeit des Unfalls für die somatoforme Schmerzstörung - die im Übrigen auch Prof. Dr. L. nicht bestätigen konnte - lässt sich daher nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sichern.

Auch die von Prof. Dr. L. und Dr. R. gestellte Diagnose einer posttraumatischen cervikalen Dystonie der linken Schulter-Hals-Region bzw. eines posttraumatischen, dem Unfallereignis vom 23.02.2003 zuzuordnenden Kausalgie-Dystonie-Syndroms, entbehrt einer schlüssigen Begründung und vermag den Senat daher nicht zu überzeugen. Hierbei bedarf es keiner abschließenden Beurteilung, ob bzw. ab welchem Zeitpunkt eine Dystonie in Form eines Schiefhalses (Torticollis) beim Kläger überhaupt objektivierbar ist, was etwa Prof. Dr. S. noch in seinem Befundbericht vom 22.12.2008 aufgrund der Beobachtung, wonach die Anspannung des oberen Anteiles des M. trapezius und des Schiefhalses bei Ablenkung nachlässt, was in Verbindung mit der von ihm festgestellten fehlenden Muskelhypertrophie für einen demonstrativen Charakter der dargebotenen Muskelverspannung und eine willkürlich herbeigeführte Symptomatik spricht, verneint hat. Denn die kausale Zuordnung der cervikalen Dystonie der linken Schulter-Hals-Region zu dem Unfall vom 23.02.2003 rechtfertigt sich schon nach den von Prof. Dr. L. und Dr. R. selbst aufgeführten Kriterien für dieses Krankheitsbild nicht. So soll nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft eine Kausalität zwischen peripherem Trauma und Dystonie (unter anderem) dann anzunehmen sein, wenn der zeitliche Abstand zwischen Trauma und Dystoniebeginn einige Tage oder Wochen bis (maximal) zu einem Jahr beträgt; nach der klägerseits zuletzt zitierten Fachliteratur (Widder/Gaidzik, a.a.O., 2. Aufl. 2011, Seite 457) soll die Latenz zwischen Schädigungsereignis und Beginn der dystonen Bewegungsstörung sogar maximal drei Monate betragen. Dieser Zeitraum ist vorliegend bei Weitem überschritten, da sich die Diagnose eines Schiefhalses bzw. eines Schulterhochstandes links erstmals im Entlassungsbericht der S.-Klinik vom 12.04.2005 findet. Allein die subjektive Beschwerdeschilderung des Klägers im Laufe des Verfahrens gegenüber einigen Gutachtern, wonach die Schmerz- und Schiefhalsproblematik schon unmittelbar nach dem Unfall begonnen habe, vermag eine dahingehende objektive Diagnosestellung nicht zu ersetzen. Unter dieser Anknüpfung (allein) an die subjektive Beschwerdeschilderung leidet auch die Diagnose einer posttraumatischen Dystonie durch Dr. A. vom 22.01.2009. Hinzu kommt, dass sich die Beschreibung eines Schiefhalses auch nicht von Anfang an in den ärztlichen Befundberichten über die Beschwerdeschilderungen des Klägers nach dem Unfall wiederfindet. So hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. G. (S.-Klinik), der ihn im Jahr 2003 mehrfach behandelt hat, ausweislich der vorliegenden Befundberichte zu diesem Zeitpunkt nicht von einem Schiefhals, sondern lediglich über Bewegungseinschränkungen und Schmerzen im Bereich der linken Schulter bis in den Hals ausstrahlend berichtet (Befundberichte vom 12.05.2003, 15.08.2003, 15.12.2003).

Nicht zu verfangen vermag auch das Argument von Prof. Dr. L. und Dr. R., die fehlende Dokumentation des Schiefhalses nach dem Trauma könne auf die anfänglich zusätzlich bestehende Bewegungseinschränkung der linken Schulter bis zur Operation am 21.01.2005 zurückgeführt werden, da die Symptomatik in der ersten Zeit immer einer Schulterverletzung zugeschrieben worden sei. Denn anhand der diversen engmaschigen Untersuchungen des Klägers nach dem Unfall auf verschiedenen Fachgebieten hätte die Diagnose einer Dystonie im Falle ihres (objektivierbar) früheren Auftretens vermutlich zeitnah gestellt werden können. Hinzu kommt, dass sich entsprechende einseitige Bewegungseinschränkungen des Klägers ausweislich der vorliegenden orthopädischen Gutachten nicht traumanah nachweisen lassen. Neben der im Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. L. vom 12.09.2005 beschriebenen aktiven Beweglichkeit im Bereich beider Schultergelenke sind dort auch keine relevanten Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule dokumentiert. Prof. Dr. H. und Dr. L. maßen bei ihrer Begutachtung eine seitengleiche Beweglichkeit der Halswirbelsäule beim Seitneigen des Kopfes rechts/links von 65-0-65 Grad, wobei insoweit kein Anhaltspunkt für einen Schiefhals beschrieben ist. Bei der Begutachtung durch Dr. S. am 02.05.2007 fiel diesem eine Seitneigung des Kopfes nach links auf, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule beim Seitneigen des Kopfes rechts/links war aber wiederum seitengleich bei (noch) 30-0-30 Grad. Hiervon nur geringfügig weicht der Befund von Prof. Dr. G. ab, der am 19.02.2008 einen ausgeprägten Schulterhochstand links bei einer Beweglichkeit der Halswirbelsäule beim Seitneigen des Kopfes rechts/links von 30-0-25 Grad beschrieb.

Unzutreffenderweise kritisiert der Kläger im Anschluss an Prof. Dr. L. und Dr. R. auch, die Vorgutachter hätten sich ausgehend vom fehlenden messbaren neurologischen Defizit beim Kläger nicht mit der Dystonie-Problematik befasst. So haben sich Prof. Dr. M. und Dr. H. im Gutachten vom 25.06.2009 explizit hiermit auseinandergesetzt, aufgrund des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs zwischen erstmaligem Auftreten der äußeren Symptomatik (März 2005) und dem Unfallereignis sowie dem Nichtansprechen des Klägers auf die Botulinum-Therapie die Unfallabhängigkeit aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen vermocht, was keinen Bedenken unterliegt. Auch Prof. Dr. S. hat eine mögliche Dystonie thematisiert, diese aber verneint, da nach seiner Einschätzung keine dystonen Bewegungsabläufe vorlagen und auch keine Muskeldystrophie, wie dies bei einer andauernden unwillkürlichen Muskelkontraktion zu erwarten wäre.

Soweit (zuletzt) unter Beweisantritt behauptet wird, die Dystonie-Symptomatik und die übrigen von Prof. Dr. L. und Dr. R. gesehenen Unfallfolgen hätten sich "- spätestens - aus der unfallbedingt durchgeführten Operation am Schultergelenk vom Januar 2005 entwickelt" und seien daher (mittelbare) Unfallfolge, so vermag allein die zeitliche Nähe zur Schulteroperation nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit für einen solchen Kausalzusammenhang zu begründen. Für einen irgendwie gearteten Verursachungsbeitrag der - nach allen ärztlichen Stellungnahmen ordnungsgemäß durchgeführten und folgenlos verheilten - Schulteroperation für das Auftreten der Dystonie ergeben sich aus dem gesamten Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte, auch nicht aus den "postoperativ" erstellten Gutachten von Prof. Dr. H. und Dr. L., Dr. K. und Prof. Dr. M. und Dr. H., die jeweils in Kenntnis und Würdigung der durchgeführten Schulter-OP erstellt wurden. So berichten Prof. Dr. H. und Dr. L., im Zeitpunkt der Nachuntersuchung hätten sich bei freier Beweglichkeit der linken Schulter noch ein geringes Impingement bei Oberarmhochstand links sowie schmerzhafte Narbenbildung im Bereich des AC-Gelenkes und über der linken Clavikula gefunden. Der Beweisantrag, mit dem ein entsprechender Kausalzusammenhang bewiesen werden soll, ist daher spekulativ und durch nichts belegt und schon aus diesem Grund abzulehnen. Zudem hat der Kläger selbst während des gesamten Verfahrens - und auch noch im Rahmen seiner persönlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 20.01.2015 - einen solchen Kontext, wie er mit dem Beweisantrag hergestellt werden soll, nicht behauptet, sondern stattdessen angegeben, der Schiefhals sei bereits kurz nach dem Unfall nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in Reutlingen aufgetreten und habe sich - wie er dies auch gegenüber Dr. H. und anderen Ärzten angegeben hat - (erst) seit Dezember 2008 nach der letzten Reha-Behandlung verschlechtert. Die - in Ermangelung von objektiven Nachweisen für das Vorliegen der Dystonie für die Zeit vor März 2005 - (zuletzt) aufgestellte Beweisbehauptung, die Dystonie habe sich "spätestens" aus der unfallbedingt durchgeführten Schulteroperation 2005 entwickelt, entbehrt daher nicht nur - wie ausgeführt - jeder Anknüpfung an objektive Befunde, sondern ist auch nicht schlüssig, weil im Widerspruch zum eigenen Sachvortrag stehend und gibt daher auch aus diesem Grund keine Veranlassung für eine nochmalige Begutachtung.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers lässt sich auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. L. und Dr. R. kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Dystonie deswegen Unfallfolge sein kann, weil sie in zeitlicher Nähe nach der Schulteroperation objektiviert wurde. Vielmehr haben auch Prof. Dr. L. und Dr. R. das Kriterium der zeitlichen Latenz von maximal einem Jahr zum Unfallereignis - nicht zur Schulteroperation - nicht in Abrede gestellt, dieses jedoch (allein) aufgrund der subjektiven Beschwerdeschilderungen des Klägers als erfüllt angesehen und die fehlende Dokumentation des Schiefhalses bzw. des Schulterhochstands nach dem Unfall auf die anfänglich zusätzlich bestehende Bewegungseinschränkung der linken Schulter bis zur Operation am 21.01.2005 zurückgeführt. Die Behauptung, der Schiefhals sei durch die Schulteroperation (mit-)verursacht und daher mittelbare Unfallfolge, wird daher auch durch dieses Gutachten weder gestützt noch sonst nahegelegt. Zudem verstellt das nunmehrige Abstellen auf die Zeitlatenz zur Schulteroperation den Blick auf die - auch vom Kläger selbst zitierte - aktuelle Fachliteratur, die einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Schädigungsereignis (Unfall) und Beginn der dystonen Bewegungsstörung von maximal einem Jahr fordert; nach Widder u.a. ist sogar ein Zeitraum von drei Monaten im Regelfall als Obergrenze anzusehen. Dystone Bewegungsstörungen beim Kläger sind aber - wie ausgeführt - in diesem Zeitrahmen ab dem Unfallereignis trotz engmaschiger Untersuchungen und Befundungen nicht objektiviert, es fehlt - wie ausgeführt - in der ersten Zeit nach dem Unfall schon an einer entsprechenden subjektiven Beschwerdeschilderung. Dies gilt sowohl für den HWS- als auch den Schulterbereich. Die zeitnah nach dem Unfall dokumentierten Schulterverletzungen (Bewegungseinschränkungen, Impingement-Syndrom etc.) stehen dystonen, mit unwillkürlichen Muskelanspannungen verbundenen Bewegungsstörungen als neurologischer Erkrankung in Form einer Verarbeitungsstörung nicht gleich.

Zu weitergehenden Ermittlungen besteht nach Auffassung des Senats nach den obigen Ausführungen keine Veranlassung, weder von Amts wegen noch auf den klägerseits gestellten Beweisantrag. Allein der Umstand, dass auf neurologischem Gebiet unterschiedliche Gutachtensergebnisse vorliegen, genügt dafür nicht. Denn die Würdigung von (auch unterschiedlichen) Gutachtensergebnissen gehört zur Beweiswürdigung (BSG, Urteil vom 22.10.2008 - B 5 KN 1/06 B - (Juris)), die dem Gericht vorbehalten ist. Insbesondere besteht auch keine Veranlassung dazu, die im Zeitraum zwischen März 2003 und Mai 2005 bzw. alle weiteren gefertigten und noch verfügbaren Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen einer - wie beantragt - nochmaligen neurologischen Begutachtung zuzuführen. Zum einen besteht, wie bereits in Bezug auf die Befundungen durch Dr. R. und Dr. S. ausgeführt, kein begründeter Zweifel an der Richtigkeit der Auswertungen ihrer CT- und Kernspintomografieaufnahmen der HWS. Hinzu kommt maßgeblich, dass jedenfalls die nachgereichten Röntgen- und CT-Aufnahmen (2 CDs, 35 Röntgenaufnahmen) aus der Zeit zwischen März 2003 und Mai 2005 bereits den zuletzt tätigen neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. L. und Dr. R. bei ihrer ergänzenden Stellungnahme vorlagen, diese aber hieraus gerade keine Belege für die von ihnen angenommene Kausalität zwischen Unfall und Dystonie herzuleiten vermocht und in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 14.05.2012 betont haben, beim Kläger liege ein neurologisches Krankheitsbild (chronisch regionales Schmerzsyndrom Typ I und posttraumatische Dystonie) vor. In den beigebrachten Röntgen- und CT-Bildern seien eine knöcherne Diagnostik und eine Überprüfung der epiduralen Schmerzsondenlage erfolgt. Eine ätiologisch dem Gehirn in seiner integrativen Funktionsweise zuzuordnende Störung mit zentraler Fehlwahrnehmung von Schmerz und Dystonie sei aber keinem knöchernen Prozess zuzuordnen, weshalb die beigebrachten Röntgen- und CT-Bilder aus dem Zeitraum 2003 bis 2005 keine Änderung an der neurologischen Einschätzung erbringen könnten. Wurden die genannten Aufnahmen somit bereits neurologischerseits (nochmals) gewürdigt mit der genannten Einschätzung in Bezug auf die mangelnde Aussagekraft der "knöchernen Diagnostik" für die angenommene neurologische Erkrankung, so besteht keine Veranlassung für eine nochmalige Analyse dieser oder später gefertigter Bilder. Die klägerseits im Verfahren aufgestellte Behauptung, die neuerliche Auswertung der Röntgenbilder der HWS ab 15.12.2003 sowie der MRT-Aufnahme der HWS ab 16.04.2005 werde bereits den Schiefhals erkennen lassen, ist unter diesen Umständen schon durch die Aussagen von Prof. Dr. L. und Dr. R. widerlegt. Für die beantragte nochmalige Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens sieht der Senat daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine Veranlassung, zumal auch nicht erkennbar ist, dass die vorliegenden Gutachten in Bezug auf die Erkenntnisse zur Dystonie dem aktuellen Stand der Wissenschaft nicht entsprechen würden.

Nach alledem vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass beim Kläger eine dem Trauma vom 23.02.2003 kausal zuzuordnende Dystonie, die vom SG angenommene somatoforme Schmerzstörung oder eine sonstige unfallbedingte Erkrankung vorliegt, die seine Erwerbsfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet in relevantem Umfang beeinträchtigt.

Schließlich besteht auch kein Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen. Hinsichtlich der posttraumatischen cervikalen Dystonie der linken Schulter- und Halsregion und des posttraumatischen Kausalgie-Dystonie-Syndroms - wie dies Prof. Dr. L. und Dr. R. diagnostiziert haben - ergibt sich dies bereits aus den obigen Ausführungen zum fehlenden Nachweis einer unfallbedingten Dystonie. Es fehlt aber auch für die Feststellung einer sensiblen Schädigung des Nervus suprascapularis links als Unfallfolge am Nachweis der kausalen Herbeiführung durch den Unfall aus dem Jahr 2003. Soweit Prof. Dr. L. und Dr. R. im Gutachten vom 27.12.2011 im Bereich zweier reizlos verheilter Narben über der linken Clavikula und über dem Acromioclavikulargelenk zwei handtellergroße Hypästhesien festgestellt und diese "am ehesten" dem Nervus suprascapularis zugeordnet haben, vermag dies mit Blick darauf nicht zu überzeugen, dass weder posttraumatisch noch zeitnah nach der Schulteroperation vom Januar 2005 eine entsprechende Sensibilitätsstörung im Schulter-Clavikula-Bereich dokumentiert ist. Im Gutachten von Dr. K. (14.10.2005) wird im Bereich der Sensibilität lediglich von Missempfindungen des Klägers im Bereich der drei medianen Finger links berichtet (die dieser einem unfallunabhängigen Karpaltunnelsyndrom zugeordnet hat), weitere Sensibilitätsstörungen sind nicht dokumentiert. Dr. H. hat dann vier Jahre später zwar die Läsion sensibler Hautäste an der linken Schultervorderseite mit subjektiven Beschwerden (Gefühlsstörungen) als Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet, wenngleich ohne Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit, festgestellt. Die übrige Oberflächen- und Tiefensensibilität stellte sich jedoch auch bei seiner Untersuchung als seitengleich dar. Die von Prof. Dr. L. und Dr. R. Ende 2011 (erstmals) festgestellte Schädigung des Nervus suprascapularis links kann unter diesen Umständen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Unfallereignis bzw. der unfallbedingten Schulteroperation zugeordnet werden.

Das zusprechende Urteil des SG konnte daher keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved