Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 4288/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4292/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. August 2014 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 30.
Der Kläger ist am 05.03.1965 geboren und wohnt im I ... Erstmals mit Eingang am 12.11.2012 beantragte er die Feststellung eines GdB. Er machte geltend, er leide an einer Funktionsstörung der Halswirbelsäule (HWS) bei Bandscheibenvorfall an dem Segment C5/6, chronischen Zervicobrachialgien links, an einer Kyphose der Brustwirbelsäule (BWS) mit muskulärer Dysbalance und an einer Lungenfunktionsstörung.
Das angegangene Landratsamt B. als Versorgungsamt (LRA) zog ärztliche Unterlagen bei. Nach dem Arztbrief des Lungen- und Bronchialheilkundlers Dr. S. vom 20.12.2010 bestanden eine Überblähung der Lungen und eine leichte periphere obstruktive Ventilationsstörung mit noch normalen dynamischen Lungenvolumina bei fortgesetztem Nikotinkonsum (FEV1 [Einsekundenkapazität] 103,1 %, VC [Vitalkapazität] 120,6 %, Sauerstoffsättigung Blut 99 %). Neurologe und Psychiater Dr. S. hatte in dem Arztbrief vom 03.08.2012 Cervico-Brachialgien links mit Sensibilitätsstörungen bei C8, einen rechtsbetonten Bandscheibenvorfall bei C5/6 und eine mediale Bandscheibenprotusion C6/7 angegeben. Nach dem Entlassungsbericht der Regio-Tagesklinik Freiburg, Dr. S., vom 20.11.2012 über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 23.10. bis 19.11.2012 litt der Kläger an einer komplexen Fehlstatik der Wirbelsäule bei fortgeschrittener BWS-Kyphose und Haltungsinsuffizienz, dem genannten Zervikobrachialsyndrom C5/6 und einer Interkostalneuropathie (Nervenschmerz in der Brust).
Gestützt auf diese Unterlagen schlug Dr. D. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.01.2013 Einzel-GdB von 20 für eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom und WS-Verformung und von 10 für chronische Bronchitis und Lungenblähung sowie einen Gesamt-GdB von 20 vor. Diesen GdB stellte sodann das LRA mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.01.2013 ab dem 12.11.2012 fest.
Im Vorverfahren trug der Kläger vor, er habe immer wieder Probleme und Schmerzen im Rücken, vor allem bei Wetterwechsel und in Kälte. Er legte das (verordnete) Ambulante Stabilisierungs-Programm der R.-Klinik vom 28.02.2013 vor. Auf Anforderung des LRA teilte Orthopäde Dr. W. unter dem 12.05.2013 mit, der Kläger klage seit einem halben Jahr über chronische Schmerzen an der BWS, und legte den Arztbrief der Radiologin Dr. W. vom 10.07.2012 (multietagere degenerative HWS-Veränderungen mit Diskushernie C5/6 und Tangieren bzw. leichter Kompression der C6-Wurzel rechts foraminal, Chondrosen sowie Uncovertebralarthrosen der HWS mit Diskusprotusion C6/7) vor. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. F. vom 14.07.2013, der den ärztlichen Unterlagen eine Besserung entnommen hatte, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 25.09.2013 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Aussagen des Radiologen Dr. P. vom 20.12.2013 und von Dr. W. vom 14.01.2014 verwiesen. Danach hat das SG auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers den Orthopäden Dr. B. mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 30.04.2014 mitgeteilt, der Kläger arbeite nach längerer Arbeitsunfähigkeit wieder vollschichtig im Lager. Er sei sehr schlank, aber ausreichend muskelkräftig. Am Untersuchungstage habe er keine orthopädischen Hilfsmittel benutzt. Er habe eine ausgeprägte fixierte Hyperkyphose der BWS mit beginnenden degenerativen Veränderungen und lokalen schmerzhaften Muskelhärten ohne radikuläre Irritationen, eine mäßige degenerative Veränderung der HWS in Form eines Bandscheibenschadens und eine Spondylarthrose ohne Bewegungseinschränkungen und ohne radikuläre Irritationen sowie eine leichte Varusfehlstellung der Beine. Die früheren Beschwerden durch das seinerzeit diagnostizierte zervikale Radikulärsyndrom links seien sowohl objektiv als auch subjektiv vollständig abgeklungen. Als Beeinträchtigung benenne der Kläger inzwischen kälteabhängig auftretende Schmerzen im mittleren Rücken verbunden mit einem Spannungsgefühl. Röntgenologisch und klinisch zeige sich ein typischer Z.n. (Zustand nach) Morbus Scheuermann, einer juvenilen (jugendlichen) Wirbelaufbaustörung in Form eines fixierten Rundrückens mit typischer Wirbelabflachung. Daher könne die schon physiologisch wenig bewegliche BWS nicht rekliniert werden. Die durch die Dauerfehlstellung überforderte Rückenmuskulatur zeige druckempfindliche Verhärtungen, die unter dem Einfluss von Kälte zunähmen und vorübergehend zu örtlichen schmerzhaften Reizzuständen führten. Die nachvollziehbar geschilderten Beschwerden seien mittelschwer. Auf orthopädischem Gebiet betrage der GdB, so der Vorschlag Dr. B., 20.
Der Kläger hat zu diesen Feststellungen und Vorschlägen eingewandt, der Schaden an der BWS sei ihm am 23.10.2012 in der Rehabilitationsmaßnahme zugefügt worden, er gehe sei März 2013 regelmäßig zum Training ins Fitness-Studio, die Verspannungen an der BWS am Untersuchungstag beruhten auf dem Dauerregen; ferner sei eine psychische Belastung (Schlafstörungen, schlechte Laune, Konzentrationsstörungen) nicht berücksichtigt worden.
Das SG hat die Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 27.08.2014 abgewiesen. Es hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB und die Vorgaben zur Ermittlung der relevanten Einzel-GdB sowie des Gesamt-GdB dargelegt. Zur Sache hat es ausgeführt, die Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Wirbelsäule seien zutreffend mit einem GdB von 20 bewertet. Insoweit hat sich das SG im Wesentlichen auf die Feststellungen und Vorschläge des Wahlgutachters bezogen und darauf hingewiesen, dass nach dem Rückgang der Beschwerden an der HWS lediglich ein WS-Abschnitt, die BWS, betroffen sei. Das Lungenleiden des Klägers bei Nikotinabusus stehe nicht im Vordergrund, außer einer Nikotinabstinenz sei keine Therapie vorgeschlagen worden, weitere Einschränkungen seien nicht ersichtlich, sodass die Bewertung mit einem GdB von 10 ausreiche. Andere Behinderungen seien nicht erkenntlich. Der Gesamt-GdB sei mit 20 anzunehmen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.09.2014 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, die Beschwerden an seiner Rückenmuskulatur träten nicht nur selten, sondern – seit zwei Jahren – mehrmals täglich auf. Die Muskeln reagierten bei Wetterwechsel, fehlender Bettwärme, in gekühlten Räumen im Sommer, beim Einkaufen an Kühltheken, beim Kochen und auf kalten Autositzen im Winter.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. August 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 17. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2013 zu verurteilen, bei ihm seit Oktober 2012 einen Grad der Behinderung von wenigstens 30 (dreißig) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Der Berichterstatter des Senats hat unter dem 17.11.2014 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) auf Zuerkennung eines GdB von 30 oder mehr abgewiesen. Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht zu.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Ansprüche auf Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Gleiche gilt für die konkreten, insbesondere medizinischen Voraussetzungen an die Einzel-GdB für bestimmte Behinderungen und an die Bildung des Gesamt-GdB nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), die nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i.V.m. § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassen worden ist. Die VG gelten seit dem 01.01.2009 und damit für den gesamten hier streitigen Zeitraum.
b) Hiernach kann für das Funktionssystem Rumpf (vgl. zu den einzelnen Funktionssystemen Teil A Nr. 2 lit. e Satz 2 VG), also insbesondere für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule, ein Einzel-GdB von 20 angenommen werden. Insoweit folgt der Senat der Beurteilung des Versorgungsarztes Dr. D ... Aus dem Gutachten des Dr. B. ergeben sich keine weiteren den GdB erhöhenden Funktionsbeeinträchtigungen.
Bei dem Kläger bestehen Beeinträchtigungen der BWS. Dort liegt eine (Hpyer-)Kyphose vor, die auf einen in früheren Jahren durchgemachten Morbus Scheuermann beruht (und nicht auf Eingriffen während der Rehabilitation des Klägers in den R.-Kliniken Ende 2012). Die zeitweise vorhanden Beeinträchtigungen an der HWS, die anscheinend mit einem Bandscheibenvorfall bei dem Segment C5/6 zusammenhingen, waren zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B. dagegen abgeklungen.
Wenn demnach nur noch ein Abschnitt der Wirbelsäule des Klägers – die BWS – eingeschränkt ist, dann müssen diese Beeinträchtigungen nach Nr. 18.9 VG mittelgradig sein, um einen GdB von 20 zu bedingen. Dafür sind z.B. häufige oder über Tage andauernde Syndrome nötig. Dies kann zu Gunsten des Klägers angenommen werden, der – auch erneut in seiner Berufungsbegründung – angibt, die Rückenbeschwerden – die grundsätzlich auch Dr. B. für glaubhaft gehalten hat – träten nahezu jeden Tag auf. Diese Beeinträchtigungen beruhen mittelbar auf dem Wirbelsäulenschaden, nämlich auf der muskulären Dysbalance (Insuffizienz): durch die verkrümmte Haltung wird die Muskulatur im Bereich der BWS stärker belastet als üblich, dieser Belastung ist sie anscheinend nicht vollständig gewachsen. Es können jedoch keine schweren Funktionsbeeinträchtigungen angenommen werden, die für einen GdB von 30 notwendig wären. Hierbei ist vor allem relevant, dass die Rückenschmerzen des Klägers belastungsabhängig sind, nämlich nach seinen Angaben im Wesentlichen bei Kälte auftreten. Hinzu kommt, dass nennenswerte Bewegungseinschränkungen mit Auswirkungen auf den Alltag nicht dokumentiert sind. Die BWS ist ohnehin nur wenig beweglich, sodass sich die fehlende Reklination nicht negativ auswirkt. Insoweit hat Dr. B. nur von einer endgradigen Einschränkung der Seitwärtsneigung des Rumpfs nach rechts gesprochen, während er die Seitwärtsneigung zur anderen Seite und die Drehung (40°) für unbeeinträchtigt gehalten hat.
c) Für das Funktionssystem Atmung kann kein GdB von wenigstens 10 angenommen werden.
Eine Krankheit der Atemorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion nach Teil B Nr. 8.3 VG besteht nicht. Eine solche Erkrankung bedingt einen GdB von 20 bis 40, wenn – unter anderem – Atemnot bei mittelschwerer Belastung besteht und die statischen und dynamischen Messwerte der Lungenfunktionsprüfung um mindestens ein Drittel erniedrigt sind. Nach dem Arztbrief von Dr. S. vom 20.12.2010 ist eine Atemnot nicht erkennbar und sowohl die Vital- als auch die Einsekundenkapazität waren nicht erniedrigt, sondern – leicht – erhöht.
Eine andere Lungenerkrankung als eine – leichte – chronisch obstruktive Einschränkung hat kein Arzt diagnostiziert, insbesondere liegen keine chronische Bronchitis und kein Bronchialasthma vor (vgl. Teil B Nrn. 8.2, 8.5 VG).
d) Weitere Behinderungen hat der Kläger nicht geltend gemacht, sie sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.
e) Der Gesamt-GdB kann demnach nicht höher als mit 20 angesetzt werden (vgl. Teil A Nr. 3 lit. d VG).
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 30.
Der Kläger ist am 05.03.1965 geboren und wohnt im I ... Erstmals mit Eingang am 12.11.2012 beantragte er die Feststellung eines GdB. Er machte geltend, er leide an einer Funktionsstörung der Halswirbelsäule (HWS) bei Bandscheibenvorfall an dem Segment C5/6, chronischen Zervicobrachialgien links, an einer Kyphose der Brustwirbelsäule (BWS) mit muskulärer Dysbalance und an einer Lungenfunktionsstörung.
Das angegangene Landratsamt B. als Versorgungsamt (LRA) zog ärztliche Unterlagen bei. Nach dem Arztbrief des Lungen- und Bronchialheilkundlers Dr. S. vom 20.12.2010 bestanden eine Überblähung der Lungen und eine leichte periphere obstruktive Ventilationsstörung mit noch normalen dynamischen Lungenvolumina bei fortgesetztem Nikotinkonsum (FEV1 [Einsekundenkapazität] 103,1 %, VC [Vitalkapazität] 120,6 %, Sauerstoffsättigung Blut 99 %). Neurologe und Psychiater Dr. S. hatte in dem Arztbrief vom 03.08.2012 Cervico-Brachialgien links mit Sensibilitätsstörungen bei C8, einen rechtsbetonten Bandscheibenvorfall bei C5/6 und eine mediale Bandscheibenprotusion C6/7 angegeben. Nach dem Entlassungsbericht der Regio-Tagesklinik Freiburg, Dr. S., vom 20.11.2012 über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 23.10. bis 19.11.2012 litt der Kläger an einer komplexen Fehlstatik der Wirbelsäule bei fortgeschrittener BWS-Kyphose und Haltungsinsuffizienz, dem genannten Zervikobrachialsyndrom C5/6 und einer Interkostalneuropathie (Nervenschmerz in der Brust).
Gestützt auf diese Unterlagen schlug Dr. D. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.01.2013 Einzel-GdB von 20 für eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom und WS-Verformung und von 10 für chronische Bronchitis und Lungenblähung sowie einen Gesamt-GdB von 20 vor. Diesen GdB stellte sodann das LRA mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 17.01.2013 ab dem 12.11.2012 fest.
Im Vorverfahren trug der Kläger vor, er habe immer wieder Probleme und Schmerzen im Rücken, vor allem bei Wetterwechsel und in Kälte. Er legte das (verordnete) Ambulante Stabilisierungs-Programm der R.-Klinik vom 28.02.2013 vor. Auf Anforderung des LRA teilte Orthopäde Dr. W. unter dem 12.05.2013 mit, der Kläger klage seit einem halben Jahr über chronische Schmerzen an der BWS, und legte den Arztbrief der Radiologin Dr. W. vom 10.07.2012 (multietagere degenerative HWS-Veränderungen mit Diskushernie C5/6 und Tangieren bzw. leichter Kompression der C6-Wurzel rechts foraminal, Chondrosen sowie Uncovertebralarthrosen der HWS mit Diskusprotusion C6/7) vor. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. F. vom 14.07.2013, der den ärztlichen Unterlagen eine Besserung entnommen hatte, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 25.09.2013 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Aussagen des Radiologen Dr. P. vom 20.12.2013 und von Dr. W. vom 14.01.2014 verwiesen. Danach hat das SG auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers den Orthopäden Dr. B. mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 30.04.2014 mitgeteilt, der Kläger arbeite nach längerer Arbeitsunfähigkeit wieder vollschichtig im Lager. Er sei sehr schlank, aber ausreichend muskelkräftig. Am Untersuchungstage habe er keine orthopädischen Hilfsmittel benutzt. Er habe eine ausgeprägte fixierte Hyperkyphose der BWS mit beginnenden degenerativen Veränderungen und lokalen schmerzhaften Muskelhärten ohne radikuläre Irritationen, eine mäßige degenerative Veränderung der HWS in Form eines Bandscheibenschadens und eine Spondylarthrose ohne Bewegungseinschränkungen und ohne radikuläre Irritationen sowie eine leichte Varusfehlstellung der Beine. Die früheren Beschwerden durch das seinerzeit diagnostizierte zervikale Radikulärsyndrom links seien sowohl objektiv als auch subjektiv vollständig abgeklungen. Als Beeinträchtigung benenne der Kläger inzwischen kälteabhängig auftretende Schmerzen im mittleren Rücken verbunden mit einem Spannungsgefühl. Röntgenologisch und klinisch zeige sich ein typischer Z.n. (Zustand nach) Morbus Scheuermann, einer juvenilen (jugendlichen) Wirbelaufbaustörung in Form eines fixierten Rundrückens mit typischer Wirbelabflachung. Daher könne die schon physiologisch wenig bewegliche BWS nicht rekliniert werden. Die durch die Dauerfehlstellung überforderte Rückenmuskulatur zeige druckempfindliche Verhärtungen, die unter dem Einfluss von Kälte zunähmen und vorübergehend zu örtlichen schmerzhaften Reizzuständen führten. Die nachvollziehbar geschilderten Beschwerden seien mittelschwer. Auf orthopädischem Gebiet betrage der GdB, so der Vorschlag Dr. B., 20.
Der Kläger hat zu diesen Feststellungen und Vorschlägen eingewandt, der Schaden an der BWS sei ihm am 23.10.2012 in der Rehabilitationsmaßnahme zugefügt worden, er gehe sei März 2013 regelmäßig zum Training ins Fitness-Studio, die Verspannungen an der BWS am Untersuchungstag beruhten auf dem Dauerregen; ferner sei eine psychische Belastung (Schlafstörungen, schlechte Laune, Konzentrationsstörungen) nicht berücksichtigt worden.
Das SG hat die Klage mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 27.08.2014 abgewiesen. Es hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB und die Vorgaben zur Ermittlung der relevanten Einzel-GdB sowie des Gesamt-GdB dargelegt. Zur Sache hat es ausgeführt, die Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der Wirbelsäule seien zutreffend mit einem GdB von 20 bewertet. Insoweit hat sich das SG im Wesentlichen auf die Feststellungen und Vorschläge des Wahlgutachters bezogen und darauf hingewiesen, dass nach dem Rückgang der Beschwerden an der HWS lediglich ein WS-Abschnitt, die BWS, betroffen sei. Das Lungenleiden des Klägers bei Nikotinabusus stehe nicht im Vordergrund, außer einer Nikotinabstinenz sei keine Therapie vorgeschlagen worden, weitere Einschränkungen seien nicht ersichtlich, sodass die Bewertung mit einem GdB von 10 ausreiche. Andere Behinderungen seien nicht erkenntlich. Der Gesamt-GdB sei mit 20 anzunehmen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.09.2014 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, die Beschwerden an seiner Rückenmuskulatur träten nicht nur selten, sondern – seit zwei Jahren – mehrmals täglich auf. Die Muskeln reagierten bei Wetterwechsel, fehlender Bettwärme, in gekühlten Räumen im Sommer, beim Einkaufen an Kühltheken, beim Kochen und auf kalten Autositzen im Winter.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. August 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 17. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2013 zu verurteilen, bei ihm seit Oktober 2012 einen Grad der Behinderung von wenigstens 30 (dreißig) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Der Berichterstatter des Senats hat unter dem 17.11.2014 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) auf Zuerkennung eines GdB von 30 oder mehr abgewiesen. Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht zu.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Ansprüche auf Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) hat das SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Gleiche gilt für die konkreten, insbesondere medizinischen Voraussetzungen an die Einzel-GdB für bestimmte Behinderungen und an die Bildung des Gesamt-GdB nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), die nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i.V.m. § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassen worden ist. Die VG gelten seit dem 01.01.2009 und damit für den gesamten hier streitigen Zeitraum.
b) Hiernach kann für das Funktionssystem Rumpf (vgl. zu den einzelnen Funktionssystemen Teil A Nr. 2 lit. e Satz 2 VG), also insbesondere für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule, ein Einzel-GdB von 20 angenommen werden. Insoweit folgt der Senat der Beurteilung des Versorgungsarztes Dr. D ... Aus dem Gutachten des Dr. B. ergeben sich keine weiteren den GdB erhöhenden Funktionsbeeinträchtigungen.
Bei dem Kläger bestehen Beeinträchtigungen der BWS. Dort liegt eine (Hpyer-)Kyphose vor, die auf einen in früheren Jahren durchgemachten Morbus Scheuermann beruht (und nicht auf Eingriffen während der Rehabilitation des Klägers in den R.-Kliniken Ende 2012). Die zeitweise vorhanden Beeinträchtigungen an der HWS, die anscheinend mit einem Bandscheibenvorfall bei dem Segment C5/6 zusammenhingen, waren zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B. dagegen abgeklungen.
Wenn demnach nur noch ein Abschnitt der Wirbelsäule des Klägers – die BWS – eingeschränkt ist, dann müssen diese Beeinträchtigungen nach Nr. 18.9 VG mittelgradig sein, um einen GdB von 20 zu bedingen. Dafür sind z.B. häufige oder über Tage andauernde Syndrome nötig. Dies kann zu Gunsten des Klägers angenommen werden, der – auch erneut in seiner Berufungsbegründung – angibt, die Rückenbeschwerden – die grundsätzlich auch Dr. B. für glaubhaft gehalten hat – träten nahezu jeden Tag auf. Diese Beeinträchtigungen beruhen mittelbar auf dem Wirbelsäulenschaden, nämlich auf der muskulären Dysbalance (Insuffizienz): durch die verkrümmte Haltung wird die Muskulatur im Bereich der BWS stärker belastet als üblich, dieser Belastung ist sie anscheinend nicht vollständig gewachsen. Es können jedoch keine schweren Funktionsbeeinträchtigungen angenommen werden, die für einen GdB von 30 notwendig wären. Hierbei ist vor allem relevant, dass die Rückenschmerzen des Klägers belastungsabhängig sind, nämlich nach seinen Angaben im Wesentlichen bei Kälte auftreten. Hinzu kommt, dass nennenswerte Bewegungseinschränkungen mit Auswirkungen auf den Alltag nicht dokumentiert sind. Die BWS ist ohnehin nur wenig beweglich, sodass sich die fehlende Reklination nicht negativ auswirkt. Insoweit hat Dr. B. nur von einer endgradigen Einschränkung der Seitwärtsneigung des Rumpfs nach rechts gesprochen, während er die Seitwärtsneigung zur anderen Seite und die Drehung (40°) für unbeeinträchtigt gehalten hat.
c) Für das Funktionssystem Atmung kann kein GdB von wenigstens 10 angenommen werden.
Eine Krankheit der Atemorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion nach Teil B Nr. 8.3 VG besteht nicht. Eine solche Erkrankung bedingt einen GdB von 20 bis 40, wenn – unter anderem – Atemnot bei mittelschwerer Belastung besteht und die statischen und dynamischen Messwerte der Lungenfunktionsprüfung um mindestens ein Drittel erniedrigt sind. Nach dem Arztbrief von Dr. S. vom 20.12.2010 ist eine Atemnot nicht erkennbar und sowohl die Vital- als auch die Einsekundenkapazität waren nicht erniedrigt, sondern – leicht – erhöht.
Eine andere Lungenerkrankung als eine – leichte – chronisch obstruktive Einschränkung hat kein Arzt diagnostiziert, insbesondere liegen keine chronische Bronchitis und kein Bronchialasthma vor (vgl. Teil B Nrn. 8.2, 8.5 VG).
d) Weitere Behinderungen hat der Kläger nicht geltend gemacht, sie sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.
e) Der Gesamt-GdB kann demnach nicht höher als mit 20 angesetzt werden (vgl. Teil A Nr. 3 lit. d VG).
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
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