L 3 SB 1601/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3915/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1601/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. März 2013 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen unter Abänderung des Bescheides vom 18. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2009 mit einem GdB von 40 ab dem 07. Juli 2009 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig, insb. ob beim Kläger die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festzustellen ist.

Der am 02.06.1949 geborene Kläger beantragte am 07.07.2009 beim Landratsamt Reutlingen - Versorgungsamt - (LRA) seine Funktionsbeeinträchtigungen als Behinderung und den GdB ab dem 25.06.2009 festzustellen. Er führte an, er leide an einer psychosomatischen Erkrankung, einem Nierenleiden und an Hautkrebs. Mit seinem Antrag legte der Kläger u.a. ein nervenärztliches Gutachten von Dr. A., Arzt für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie -, vom 26.05.2009 vor, das zur Frage der Dienstfähigkeit des Klägers als Lehrer erstellt wurde. Dr. A. hatte anlässlich der Untersuchung des Klägers eine leichte bis mittelgradige depressive Episode, Phobien, Nephrolitiasis sowie eine arterielle Hypertonie diagnostiziert. Ferner legte der Kläger ein amtsärztliches Zeugnis von Dr. B. vom Gesundheitsamt Reutlingen vom 25.06.2009 sowie eine ärztliche Bescheinigung von Dr. C., Hautärztin/Allergologin, vom 23.03.2009, nach der es beim Kläger immer wieder zu Basaliomen (bösartigen Hauttumoren) gekommen sei, vor. Das LRA führte diese Unterlagen einer versorgungsärztlichen Überprüfung zu. Dr. D. bewertete unter dem 17.08.2009 eine "Seelische Störung" mit einem Einzel-GdB von 30 sowie "Bluthochdruck" und ein "Nierensteinleiden" jeweils mit einem solchen von 10. Die Basaliomentfernungen bedingten keinen GdB von mind. 10. Den GdB schätzte Dr. D. insg. mit 30 ein. Gestützt hierauf stellte das LRA den GdB des Klägers mit Bescheid vom 18.08.2009 mit 30 seit dem 25.06.2009 fest.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs brachte der Kläger vor, wegen der bösartigen Hauttumore sei er zwischenzeitlich mehr als 30 mal operiert worden. Er dürfe das Haus nicht ohne Kopfbedeckung und Ganzkörperkleidung verlassen. Auch die psychische Erkrankung sei nicht ausreichend bewertet, er befinde sich in therapeutischer Behandlung. Der GdB hierfür sei mit 30 - 40 anzusetzen, insg. liege bei ihm eine Schwerbehinderung vor.

Nach einer abermaligen versorgungsärztlichen Überprüfung durch Dr. E., in der dieser die bisherige Einschätzung als sachgerecht bewertete, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2009 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 25.11.2009 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Begründend hat er auf das Gutachten von Dr. A. verwiesen, in dem dieser bei ihm eine seelische Störung diagnostiziert habe. Diese wirke stärker behindernd und habe zu einer verminderten psychischen Belastbarkeit geführt. Er reagiere hierauf auch körperlich; es habe sich eine Stoffwechselerkrankung entwickelt. Er leide auch an einer schweren Nierensteinerkrankung, die zu Nierensteinen und einem Nierenhämatom geführt habe und die durch die Bluthochdruckerkrankung verstärkt werde. Die Basaliome, die bereits 35 mal operativ entfernt worden seien, beeinträchtigten seine Lebensqualität erheblich. Zudem leide er unter Fibromyalgie. Insg. sei bei ihm ein GdB von 50 festzustellen. Zuletzt hat er mitgeteilt, dass er sich seit August 2012 in Ruhestand befinde. Durch die Feststellung eines GdB von 50 vor diesem Zeitpunkt entfiele ein Abschlag auf die Pension von 3,6 % p.a.

Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. H. vom 02.02.2011 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Die ärztliche Psychotherapeutin Dr. F. hat in ihrer Aussage vom 26.02.2010 mitgeteilt, der Kläger leide unter starken Ängsten, die zu einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten geführt hätten. Die Symptomatik habe sich im Laufe der Therapie gebessert, es falle aber weiterhin auf, dass die seelische Stabilität sofort erschüttert werde, wenn die an den Kläger gestellten Anforderungen anstiegen. Der Arzt für Allgemeinmedizin Erdmann hat unter dem 13.07.2010 die von ihm beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen mitgeteilt. Im Laufe der Behandlung sei eine wesentliche Besserung der Nierensymptomatik eingetreten. In der Gesamtschau der Grunderkrankung, eines chronischen Weichteilrheumas mit Dauerschmerzsymptomatik, und der erheblichen sekundären Traumatisierung sei ein GdB von 80 vorzusehen. Dr. C. hat unter dem 01.03.2012 mitgeteilt, der Kläger befinde sich seit Dezember 1998 mit der Diagnose Basalzellkarzinom in ihrer Sprechstunde. Über die Jahre seien insgesamt ca. 20 Basaliome in örtlicher Betäubung entfernt worden. Angesichts der Tatsache, dass immer wieder Basalzellkarzinome aufträten, sei der Kläger psychisch sehr belastet. Bei entsprechender Therapie (Operation oder lokale Chemotherapie) könne von einer vollständigen Abheilung ausgegangen werden. Lediglich die psychische Komponente sollte in Betracht gezogen werden.

Das SG hat sodann Dr. G.-H., Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, zur gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachten beauftragt. In ihrem fachärztlich psychosomatisch-sozialmedizinischem Gutachten vom 27.05.2011 hat Dr. G.-IIg beim Kläger eine ausgeprägte generalisierte Angststörung bei phobischen Ängsten und Vermeidungsverhalten bei ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstörung sowie eine mittelgradige depressive Störung diagnostiziert. Auf anderen Fachgebieten lägen ein behandelter Bluthochdruck und ein rezidivierendes Nierensteinleiden vor. Die Angststörung mit Persönlichkeitsstörung sei ihrer Einschätzung nach mit einem GdB von 40, die Depression mit einem GdB von 30 zu bewerten. In der Gesamtbetrachtung sei es sinnvoll, den Gesamt-GdB auf 50 festzusetzen. Ergänzend hat sie unter dem 18.10.2011 ausgeführt, die beim Kläger bestehenden Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zeigten sich im beruflichen Kontext stärker ausgeprägt als im privaten Bereich.

Der Beklagte ist der gutachterlichen Einschätzung im Wege versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. Götz vom 31.08.2011 und vom 02.11.2011 entgegengetreten. Dieser hat u.a. ausgeführt, die GdB-Bewertung für das Funktionssystem Gehirn/Psyche sei zusammenfassend zu beurteilen. Ein GdB von 50 für die psychische Erkrankung sei nicht gerechtfertigt, da aus dem Gutachten keine mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen im privaten Bereich ersichtlich seien.

Mit Urteil vom 13.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen im Bereich der Psyche, der Nieren, der Haut und des Blutdrucks könnten allenfalls mit einem GdB von 40 bewertet werden. Beim Kläger bestehe eine stärker behindernde psychische Störung, die die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in wesentlichem Umfang einschränke. Diese sei mindestens mit einem Einzel-GdB von 30, vorliegend jedoch mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Übereinstimmend hätten Dr. A., Dr. F. und Dr. G.-H. beim Kläger starke Ängste festgestellt. Daneben bestehe beim Kläger eine depressive Störung, die von Dr. A. als leicht- bis mittelgradig, von Dr. G.-H. als mittelgradig eingeschätzt worden sei. Hierbei weise Dr. F. zwar darauf hin, dass sich die Symptomatik im Laufe der Therapie gebessert habe, jedoch könne von einer stabilen psychischen Situation nicht ausgegangen werden, da nach den Angaben von Dr. F. die Phobien unverändert fortbestünden. Entgegen der Einschätzung von Dr. G.-H. sei es nicht zulässig, die generalisierte Angststörung mit einem Einzel-GdB von 40 und die mittelgradige depressive Störung mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Vielmehr sei die beim Kläger vorliegende stärker behindernde psychische Störung zusammenfassend mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Die beim Kläger bestehende Bluthochdruckerkrankung sei in Ansehung der mitgeteilten Blutdruckwerte von 160/100 mmHg bei ansonsten nicht dokumentierten Leistungsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Auch für die Nierenerkrankung sei ein Einzel-GdB von 10 gerechtfertigt, da nach Aussage des Allgemeinarztes Erdmann eine Besserung eingetreten sei und daher eine Einschränkung der Nierenfunktion nicht belegt sei. Die beim Kläger bestehenden Basaliome rechtfertigten die Zuerkennung eines Einzel-GdB nicht, da bei diesen aufgrund eines nur geringen Metastasierungsrisikos keine Heilungsbewährung und somit kein GdB festzustellen sei. In Zusammenschau der bestehenden Beeinträchtigungen sei der Gesamt-GdB allenfalls mit 40 festzustellen.

Gegen das am 04.04.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.04.2013 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, er sei vom SG nicht darauf hingewiesen worden, dass es der nachvollziehbaren Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. G.-H. nicht zu folgen gedenke. Im Sinne von deren Einschätzung hätten sowohl Dr. C. als auch Dr. F. auf seine psychische Belastung hingewiesen. Auch Dr. A. sei vom SG nicht einvernommen worden. Er leide nunmehr auch an großflächigen Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte. Seine Bluthochdruckerkrankung zeige Werte bis 205/100 mmHG. Die Basaliome seien jedenfalls im Wege einer Heilungsbewährung zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. März 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 18. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2009 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 07. Juli 2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit sie über das Vergleichsangebot vom 12. Dezember 2013 hinausgeht.

Zur Begründung seines Antrages verweist der Beklagte auf die im Laufe des Berufungsverfahrens vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen, zuletzt die von Dr. Götz vom 07.10.2014.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. G., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie - zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 27.06.2013 hat Dr. G. beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode, eine generalisierte Angststörung mit Ängsten und Vermeidungsverhalten bei einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeit, eine Anpassungsstörung und Phobien diagnostiziert. Dr. G. hat sich bei der GdB-Bewertung der psychischen Erkrankungen der Einschätzung von Dr. G.-H. angeschlossen und ausgeführt, dass wegen der Krebsängste für die Anpassungsstörung ein GdB von 30 anzusetzen sei. Der GdB sei insg. mit 50 einzuschätzen.

Nachdem der Beklagte der gutachterlichen Einschätzung im Wege einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 22.10.2013 entgegen getreten ist, hat Dr. G. unter dem 21.11.2013 ergänzend dahingehend Stellung genommen, dass die bestehende Angststörung mit einem Einzel-GdB von 40 und die Depression mit einem solchen von 30 anzusetzen sei. Die Depression werde durch die Verarbeitung der Basaliome mitbedingt und führe zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität. Daneben sei als eigenständige Erkrankung eine Fibromyalgie zu berücksichtigen. Unter dem 12.12.2013 hat der Beklagte daraufhin, gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf vom 11.12.2013 einen Vergleichsvorschlag des Inhalts vorgelegt, die bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ab dem 07.07.2009 mit einem GdB von 40 festzustellen. Der Kläger ist dem Vergleichsangebot nicht beigetreten und hat hierzu eine Stellungnahme von des Arztes für Allgemeinmedizin Erdmann vom 25.02.2014 vorgelegt, in der dieser ausführt, der GdB für die Fibromyalgie als Einzelkrankheit sei mit 20 zu berücksichtigen. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 06.02.2014 hat Dr. G. ausgeführt, dass seine Einschätzung betreffend die GdB-Bewertung für psychische Erkrankungen die Fibromyalgie mitumfasse. Schließlich hat der Kläger Bestätigungen von Dr. I., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, vom 24.02.2014 und vom 13.05.2014 vorgelegt, nach denen beim Kläger eine aktivierte Coxarthrose rechts vorliege, die zu Bewegungseinschränkungen des Hüftgelenks in der Dimension Beugung/Streckung auf 90/0/0° führe.

Der Senat hat sodann Dr. I. schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. In seiner Stellungnahme vom 15.04.2014 hat Dr. I. ausgeführt, beim Kläger bestehe eine aktivierte Coxarthrose rechts, die zu einem leicht hinkenden Gangbild und konzentrischen Bewegungseinschränkungen führe. Ferner bestehe eine fortgeschrittene Arthrose des linken Kleinfingerendgelenks.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für den Kläger geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 geworden sind sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, führt jedoch für den Kläger inhaltlich nur teilweise zum Erfolg.

Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mit einem GdB von 40 zu bewerten. Das (insg.) klagabweisende Urteil des SG ist aufzuheben und der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.08.2009 (Widerspruchsbescheid vom 16.11.2009) zu verurteilen, den GdB des Klägers ab dem 07.07.2009 mit 40 festzustellen.

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Feststellung des GdB des Klägers ist § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX).

Bei der konkreten Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen ist die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die jeweilige Seitenangabe bezieht sich auf das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Printexemplar) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) heranzuziehen. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung, die ursprünglich in § 30 Abs. 17 des BVG, mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 20.06.2011 (BGBl. I 1114) seit dem 01.07.2011 in § 30 Abs. 16 BVG erteilt ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte - von wenigen Ausnahmen abgesehen - hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist.

In Anlegung dieser Maßstäbe können die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht mit einem höheren GdB als 40 bewertet werden.

Die beim Kläger bestehenden Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind mit einem Einzel-GdB vom 40 zu berücksichtigen. Nach Nr. 3.7 (S. 42) der VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 - 20, stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrisch, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Schmerzstörungen) mit einem solchen von 30 - 40, schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einem solchen von 50 - 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 80 - 100 zu bewerten. Nach den von den Gutachtern Dr. G.-H. und Dr. G. übereinstimmend benannten Gesundheitsstörungen leidet der Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet an einer mittelgradigen depressiven Episode sowie an einer generalisierten Angststörung. Diese führen zur Überzeugung des Senats zwar zu einer verminderten psychischen Belastbarkeit, der Senat vermag sich jedoch nicht davon zu überzeugen, dass beim Kläger eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen vorliegt, die eine höhere GdB-Bewertung als mit 40 eröffnet. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten sind durch psychische Veränderungen gekennzeichnet, die eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und auch im privaten Bereich zu erheblichen Problemen, insb. durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung, führen. Nicht erforderlich ist, dass es zu einer vollständigen Isolierung oder einem gänzlichen sozialen Rückzug gekommen ist (vgl. auch Wendler/Schillings, Kommentar zu den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, 5. Aufl., S. 126). Die von den Gutachtern erhobenen und mitgeteilten psychopathologischen Befunde benennen lediglich eine gedrückte, ängstliche Stimmungslage mit einem im Ausdruck gesteigerten Affekt. Beeinträchtigungen auf anderen psychischen Dimensionen wurden hingegen von den Gutachtern nicht benannt. So hat Dr. G. berichtet, dass der Kläger in der Untersuchungssituation aufmerksam konzentriert gewesen sei und sich kein Hinweis auf kognitive Beeinträchtigungen oder auf eine Antriebsstörung gezeigt habe. Dr. G.-H. hat mitgeteilt, dass Initiative und Entschlusskraft beim Kläger erhalten seien. Der Kläger sei bewusstseinsklar und orientiert, der Gedankengang sei nicht gestört. Die Aufmerksamkeit sei ausreichend gegeben, Hinweise auf Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistungen seien nicht eruiert worden. Ein Abgleich der sich so vermittelten psychischen Stabilität des Klägers mit der von diesem gegenüber Dr. G.-H. geschilderten Tagesstruktur zeigt, dass keine mittelgradige soziale Anpassungsstörung besteht. So ist der Kläger nach seinen eigenen Bekundungen in der Lage, Einkäufe zu tätigen, interessenspezifisch Zeitung zu lesen und die Enkelkinder zu hüten. Dass der Kläger unter Schlafstörungen und situationsbedingten Phobien (Höhenangst, Angst vor Tunnelfahrten, agoraphobische Ängste) leidet führt hingegen nicht dazu, dass die Gesundheitsstörungen derart schwerwiegend zu graduieren sind, dass eine schwere psychische Störung anzunehmen ist. In Zusammenschau der vorliegenden psychopathologischen Befunde und der anamnestischen Schilderungen des Klägers ist der Senat daher davon überzeugt, dass beim Kläger eine stärker behindernde, nicht jedoch eine schwere psychische Beeinträchtigung besteht, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten ist. Der Senat verkennt nicht, dass Dr. G.-H. und ihr folgend Dr. G. in ihren Gutachten jeweils für die Angststörungen einen Einzel-GdB von 40 und für die depressive Erkrankung einen solchen von 30 angenommen haben und in Zusammenschau den GdB für ihr Fachgebiet auf 50 eingeschätzt haben. Ungeachtet davon, dass, wie oben ausgeführt, keine hierzu korrelierenden Befunde mitgeteilt wurden, steht die systematische Vorgehensweise der Gutachter in Widerspruch zu den Vorgaben der VersMedV, die in ihren "Gemeinsamen Grundätzen" unter Teil A Nr. 2 Buchs. e vorgeben, dass der GdB für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche einheitlich, d.h. nicht bezogen auf einzelne Gesundheitsstörungen, zu ermitteln ist.

Die nach der schriftlichen Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Erdmann gegenüber dem SG beim Kläger bestehende Fibromyalgieerkrankung ist nach Nr. 18.4 (S. 104) der VG im Einzelfall anhand der funktionellen Auswirkungen zu bewerten. Soweit sich die Erkrankung auf die Depressivität des Klägers auswirkt, gehen die fibromyalgiebedingten Auswirkungen (vgl. Stellungnahme von Dr. G. vom 06.02.2014) im dortigen Einzel-GdB von 40 auf. Soweit der Kläger die körperlichen Auswirkungen zuvorderst im Bereich der Hüfte lokalisiert, ist eine Berücksichtigung der Beeinträchtigungen mit einem höheren GdB als 10 nicht möglich. Die von Dr. I. betreffend das rechte Hüftgelenk diagnostizierte aktivierte Coxarthrose führt nach den von Dr. I. erhobenen Funktionsparametern zu einem leicht hinkenden Gangbild und einer noch möglichen Beuge- bzw. Streckfähigkeit von 90/0/0°. Da gemäß Nr. 18.14 (S. 115) der VG bei einer einseitigen Bewegungseinschränkung von 0/10/90° ein GdB-Rahmen von 10 - 20 eröffnet wird, indes beim Kläger die Streckfähigkeit nicht beeinträchtigt ist, kann dieser Rahmen nicht ausgeschöpft werden, weswegen die Funktionsbeeinträchtigung des Hüftgelenks mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist.

Auch die Nierenerkrankung kann nach den Vorgaben der VG (Nr. 12.1; S. 80) nicht mit einem höheren Einzel-GdB als 10 Berücksichtigung finden. Nach Aussage des Arztes für Allgemeinmedizin Erdmann gegenüber dem SG ist im Laufe der Behandlung eine wesentliche Besserung der Nierensymptomatik eingetreten. Befunde, die eine Beeinträchtigung der Nierenfunktionsfähigkeit bzw. das Auftreten von Koliken belegen, sind den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht zu entnehmen, sie werden insb. vom behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Erdmann nicht benannt. I.d.S. hat dieser in der Aufstellung der Gesundheitsstörungen vielmehr einen Zustand nach Niereninsuffizienz, rekompensiert, benannt und ein tiefsitzendes Trauma als (aktuelle) Folge der Gesundheitsstörung mitgeteilt. Hieraus wird dem Senat deutlich, dass beim Kläger (aktuell) keine maßgeblichen organischen Beeinträchtigungen durch die Gesundheitsstörung bestehen, so dass eine weitergehende Berücksichtigung als mit einem Einzel-GdB von 10, bspw. wegen einer Beeinträchtigung der Nierenfunktionsfähigkeit (vgl. Nr. 12.1.2; S. 80 der VG) oder dem häufigen Auftreten von Koliken (vgl. Nr. 12.1.1; S. 80 der VG), nicht möglich ist.

Die Bewertung der Hypertonie-Erkrankung des Klägers bestimmt sich nach Nr. 9.3 (S. 67 f) der VG nach dem jeweiligen Schweregrad. Eine leichte Form ohne oder mit nur geringen Leistungsbeeinträchtigungen (höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen) ist mit einem Einzel-GdB von 0 - 10, eine mittelschwere Form mit Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I bis II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie, diastolischer Blutdruck mehrfach trotz Behandlung über 100 mmHg) je nach Leistungsbeeinträchtigung mit einem solchen von 20 - 40, schwere Formen mit Beteiligung mehrerer Organe (schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigungen der Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung sind mit einem Einzel-GdB von 50 - 100 und maligne Formen mit einem diastolischen Blutdruck konstant über 130 mmHg, Fundus Hypertonicus III bis IV (Papillenödem, Venenstauung, Exsudate, Blutungen, schwerste arterielle Gefäßveränderungen), unter Einschluss der Organbeteiligung (Herz, Nieren, Gehirn) mit einem Einzel-GdB von 100 zu bewerten. Aus dem vom Arzt für Allgemeinmedizin Erdmann vorgelegten Befundbericht des Internisten und Kardiologen Dr. K. vom 05.03.2010 ist ein Blutdruck von 160/100 mmHg bei regelmäßigem Puls zu ersehen. Dieser Blutdruckwert ist zwar erhöht, eine hierdurch bedingte Leistungsbeeinträchtigung lässt sich jedoch weder dem Befundbericht von Dr. K. noch den sonstigen medizinischen Unterlagen entnehmen. Eine weitergehende Berücksichtigung der Beeinträchtigungen als mit einem Einzel-GdB von 10 ist daher, worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat, nicht möglich.

Die beim Kläger rezidivierend auftretenden Basalzellkarzinome rechtfertigen die Zuerkennung eines Einzel-GdB nicht. Nach Nr. 17.13 (S. 101) VG ist zwar nach Entfernung eines malignen Tumors der Haut in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten, während deren Ablauf der GdB, abhängig vom Stadium, in dem das Melanom entfernt wird, mit 50 oder 80 zu bewerten ist, dies gilt jedoch nach dem Wortlaut von Nr. 17.13 der VG ausdrücklich nicht für Basalzellkarzinome. Hintergrund hiervon ist, dass bei diesen nur ein geringes Metastasierungsrisiko besteht (vgl. Wendler/Schillings, a.a.O., S. 283). Die Berücksichtigung der Gesundheitsstörung im Wege der Heilungsbewährung ist daher nicht möglich. Da Dr. C. überdies in ihrer Stellungnahme gegenüber dem SG vom 01.03.2012 in Zusammenhang mit der Gesundheitsstörung die psychische Komponente als Beeinträchtigung benannt und im Übrigen die (körperlichen) Beeinträchtigungen auf die operationsbedingte Narbenbildung beschränkt und als geringstfügig graduiert hat, ist die Berücksichtigung der Gesundheitsstörung mit einem Einzel-GdB nicht möglich.

Die zuletzt von Dr. I. mitgeteilte fortgeschrittene Arthrose des linken Kleinfingerendgelenks begründet gleichfalls keine GdB-pflichtige Beeinträchtigung, da ein Einzel-GdB von 10 nach Nr. 18.13 (S. 112) der VG erst beim Gesamtverlust des Fingers angenommen werden kann.

In Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 40, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berück¬sichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzu¬stellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. Nr. 3 [S. 22 f] Teil A der VG. In die beim Kläger bestehende Funktionsbeeinträchtigung der psychischen Belastbarkeit fließen die organischen Beeinträchtigungen, so diese überhaupt einen Einzel-GdB begründen, vollständig ein. Die behandelnden Ärzte haben insofern durchgängig die psychischen Auswirkungen der Erkrankungen in den Vordergrund gerückt und als führend erachtet. Eine Erhöhung des GdB von 40 für die psychische Beeinträchtigung ist daher nicht gerechtfertigt. Eine Zusammenschau der beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass diese mit funktionellen Einschränkungen, die bei dem Verlust eines Armes im Unterarm oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel auftreten, die jeweils einen GdB von 50 begründen, nicht vergleichbar sind.

Die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mithin mit einem GdB von 40 zu bewerten.

Das (insg.) klagabweisende Urteil des SG ist aufzuheben und der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.08.2009 (Widerspruchsbescheid vom 16.11.2009) zu verurteilen, den GdB des Klägers ab dem 07.07.2009 mit 40 festzustellen. Im Übrigen ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das hälftige Obsiegen des Klägers bei einem vorgerichtlich festgestellten GdB von 30 und der beantragten Feststellung eines GdB von 50.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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