L 13 R 4090/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 160/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4090/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. August 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1981 geborene Klägerin absolvierte nach schulischen Ausbildungen (Hauptschule, ein Jahr Hauswirtschaftsschule, zwei Jahre Schule für Bürotechnik) und einem einjährigen Praktikum von September 2003 bis Januar 2007 am Berufsbildungswerk N. eine Ausbildung zur Technischen Zeichnerin und war danach arbeitslos. Nach Januar 2007 war sie arbeitslos bzw. arbeitsunfähig und hat zeitweise geringfügige Beschäftigungen ausgeübt. Wegen ihrer rentenrechtlichen Zeiten wird auf die Kontoübersicht vom 22. Juli 2011 in den Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Den Rentenantrag der Klägerin vom 31. Januar 2011, die im Wesentlichen unter einem angeborenen Faktor-VII-Mangel, Hämophiler Arthropathie des rechten oberen Sprunggelenks (OSG), Kniegelenksbeschwerden, Wirbelsäulen (WS)-Beschwerden, chronischer Pansinusitis und einer leichten depressiven Anpassungsstörung leidet und bei der ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt ist, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2011 und Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2011 ab, da die Klägerin mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Grundlage der Entscheidung war - neben Berichten und Äußerungen behandelnder Ärzte (u.a. Heilverfahren-Entlassungsbericht [HV-EB] der T.klinik Bad K. vom 27. Dezember 2010) - ein orthopädisches Gutachten von Dr. No. (Diagnosen [D]: OSG-Arthrose rechts bei rezidivierenden Einblutungen, Z.n. subchondraler Knochenzystenauffüllung rechte distale Tibia, Gonalgie bei Innenmeniskusteilresektion links, akutes HWS- und BWS-Syndrom bei Haltungsschwäche, Adipositas, Faktor-VII-Mangel (Hämophilie A); leichte Arbeiten - ohne Heben und Tragen von Lasten über fünf kg, überwiegendes Stehen, bücken, Einnahme von Zwangshaltungen, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, regelmäßiges Klettern oder Treppensteigen unter Zusatzlast, Tätigkeiten in Kälte, Nässe und im Freien - seien sechs Stunden und mehr arbeitstäglich möglich, die Wegefähigkeit sei vorhanden, betriebsunübliche Pausen seien nicht einzuhalten). Weitere Grundlagen waren ein internistisches Gutachten des Dr. Ba. vom 19. April 2011 (D: Faktor-VII-Mangel mit Restaktivität von weniger als 1% der Norm, chronische polypöse Pansinusitis beidseits mit Status nach operativer Nasennebenhöhlenrevision und allergische Rhinopathie, Adipositas, im Übrigen Verweis auf die Diagnosen im orthopädischen Gutachten; der Faktor-VII-Mangel werde durch Immuseven substituiert, so dass anscheinend in letzter Zeit keine Blutungen aufgetreten seien; Tätigkeiten einer technischen Zeichnerin und leichte Tätigkeiten, vorwiegend im Sitzen - ohne gehende und stehende Tätigkeiten, schweres Heben und Tragen, Tätigkeiten im Knien und Hocken sowie Ersteigen von Leitern - seien vollschichtig möglich) und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. Hi. vom 16. Juni 2011 (D: auf nervenärztlichem Fachgebiet: leichte depressive Anpassungsstörung, keine zusätzlichen neurologischen Krankheitszeichen; unter Berücksichtigung auch der sonstigen Diagnosen ergäben sich Einschränkungen allein auf orthopädischem Gebiet, von psychischer Seite bestehe keine Einschränkung für eine Tätigkeit von sechs Stunden und mehr). Ferner war der Internist und Sozialmediziner Dr. Co. am 2. Juli 2011 zum Ergebnis gelangt, leichte, überwiegend sitzende Arbeiten ohne Verletzungsrisiko seien sechs Stunden und mehr zumutbar. Im Widerspruchsverfahren war Dr. Rie. in der Stellungnahme vom 25. Oktober 2011 unter Berücksichtigung eines Befundberichtes des Orthopäden Dr. Eck. vom 15. September 2011 und weiterer ärztlicher Äußerungen sowie der Angaben der Klägerin, sie sei auf ein Auto angewiesen und verfüge über eine Fahrerlaubnis sowie ein Kfz zum Ergebnis gelangt, die Klägerin könne eine Gehstrecke bis 500 m unter Zuhilfenahme von Gehstützen zurücklegen und sei auch in der Lage, das eigene Kfz zu führen. Sie könne damit leichte Tätigkeiten mit den bereits genannten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr verrichten.

Wegen der die Gewährung von Rente versagenden Entscheidungen hat die Klägerin am 10. Januar 2012 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und geltend gemacht, die Entscheidung der Beklagten könne nicht akzeptiert werden. Nach dem HV-EB vom 27. Dezember 2010 könne sie nur noch weniger als drei Stunden täglich arbeiten und im Übrigen auch keine 500 m mehr zweimal täglich laufen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Über die von ihnen erhobenen Befunde und ihre Einschätzung des Leistungsvermögens haben der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Dan. am 16. März 2012 (zwei Untersuchungen im November und Dezember 2011, an die von ihm empfohlene medikamentöse Behandlung habe sich die Klägerin nicht gehalten, eine andere habe sie abgelehnt), der Allgemeinmediziner Kl. am 4. April 2012 ("gegenwärtig scheint die körperliche Belastbarkeit für" leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes "nicht ausreichend zu sein [Befund Sprunggelenk]"), Prof. Dr. Wir., Universitätsklinikum B. (auf Grund der Befunde und der aktuell beklagten Beschwerdesymptomatik des rechten OSG halte er eine sechsstündige Arbeitszeit nur im Sitzen für akzeptabel), Prof. Dr. Old. am 30. März 2012 (die Diagnose der Arthropathie des rechten OSG bedinge, dass die Klägerin nur ca. sechs Stunden eines allgemeinen Arbeitstages im Sitzen verrichten könne) und der Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. Schu. am 15. April 2012 (regelmäßige Behandlung seit April 2011, die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten) berichtet.

Ferner hat das SG ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Prof. Dr. Bec. vom 20. Juli 2012 mit ergänzender Stellungnahme vom 22. November 2012 eingeholt. Der Sachverständige hat die Diagnosen Hämophile Arthropathie des rechten OSG mit beginnenden sekundär-arthrotischen Veränderungen im medialen Abschnitt, Belastungsschmerz, endgradiger Bewegungseinschränkung und leichter Minderung der Muskulatur des rechten Beines, Knick-Senkfuß rechts mit Valgusfehlbelastung des rechten Kniegelenks, Z.n. Resektion des linken Außenmeniskus mit diskreten Hinweisen auf eine beginnende laterale Arthrose, Chondropathia patellae links bei Fehlstellung, reizlose OP-Narbe im linken Mittelbauch über dem rechten Beckenkamm und dem rechten OSG sowie deutliches Übergewicht mit Hyperlordose der LWS gestellt. Nicht erklärbar seien die geklagten starken anhaltenden Schmerzen auch in Ruhe, da das rechte OSG vollkommen reizlos, nicht geschwollen und nicht überwärmt sei. Unter Berücksichtigung der Erkrankungen könne die Klägerin einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Leichte körperliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Aufstehen und Umhergehen in geschlossenen, erwärmten Räumen könnten mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Mit korrigierenden entlastenden Maßnahmen durch Einlagen, spezielle Schuhzurichtung, am besten auch in Form eines orthopädischen Schuhes, könne die Klägerin mit Hilfe einer normalen Stockstütze sicher 500 m und mehr mit zumutbarem Zeitraufwand zurücklegen. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sollte ein Sitzplatz gewährleistet sein. Ihren PKW könne die Klägerin uneingeschränkt führen. Seine Beurteilung entspreche im Wesentlichen den Einschätzungen der Dres. Ba., No. und Hi. Auf Nachfrage des SG zur Wegefähigkeit hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, die Klägerin könne mit einer normalen Stockstütze und den von ihm bereits angegebenen einfachen Maßnahmen sicher viermal 500 m und mehr jeweils in bis zu 20 Minuten zurücklegen. Der HV-EB vom 27. Dezember 2010 habe auf dem damals erhobenen ungünstigeren Befund beruht.

Mit Urteil vom 15. August 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Durch den Faktor-VII-Mangel sei die Erwerbsfähigkeit nicht quantitativ eingeschränkt. Er mache nur dreimal täglich eine intravenöse Substitution von Gerinnungsfaktoren erforderlich, die die Klägerin selbst durchführe. Im Übrigen bestünden insofern nur qualitative Einschränkungen, insofern als die Klägerin keine Tätigkeiten mit Verletzungsgefahr ausüben könne. Die Arthrosen im rechten OSG und im linken Knie führten zu Schmerzen beim Gehen und - zumindest nach Angaben der Klägerin - auch in Ruhe, weswegen sie auf die Benutzung von Gehstützen angewiesen sei. Dies führe zu Einschränkungen im Hinblick auf Tätigkeiten im Gehen oder Stehen, allerdings erachteten alle befragten Ärzte auch noch Tätigkeiten im Sitzen von mindestens sechs Stunden täglich für möglich. Ferner könne die Klägerin auch eine Arbeitsstätte erreichen. Soweit die Ärzte im HV-EB im Jahr 2010 die Wegefähigkeit angezweifelt hätten, habe dies auf dem damals vorliegenden akuten Krankheitsbild des rechten Fußes beruht, was sich aus den Gutachten von Dr. No. und Prof. Dr. Bec. ergebe. Soweit die Klägerin noch vorgetragen habe, zur Behandlung der Dauerschmerzen Morphium zu benötigen, habe sie dies in der mündlichen Verhandlung als vorübergehenden Zustand, bis sie die richtige operative Therapie für ihre Beschwerden gefunden habe, angegeben. Eine dauernde Einschränkung bestehe insofern nicht. Die Depression werde mit Psychotherapie und Medikamenten behandelt und sei eine Reaktion auf die Grunderkrankung und die Schmerzen sowie die fehlende Möglichkeit auf dem Arbeitsmarkt, Fuß zu fassen. Einer vollschichtigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stehe sie nicht entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Urteil verwiesen.

Gegen das am 23. August 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. September 2013 Berufung eingelegt. Das SG habe die Hämophilie A nicht auf die Frage, ob sie bereits das Restleistungsvermögen aufhebe, untersucht. Die Bluterkrankheit könne bei Verletzungen je nach Schweregrad zum Verbluten führen. Diese seit Geburt bestehende Erkrankung sei ernst zu nehmen. Eingriffe seien wegen bestehender erheblicher Verblutungsgefahr abgelehnt worden. Eine Verletzung sei bei jeder Tätigkeit am Arbeitsmarkt denkbar. Demnach müsste in jeder Sekunde ein Mitarbeiter ein Auge auf sie werfen, damit im Falle einer Verletzung mit blutenden Wunden unverzüglich, spätestens innerhalb der Reaktionszeit von maximal fünf bis sechs Minuten ein Gerinnungsmittel gespritzt werden könne. Dass in den Betrieben entsprechend ausgebildetes Personal vorgehalten werde oder zur Verfügung stehe, sei höchst unwahrscheinlich. Damit sei ihr der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen. Wie Prof. Dr. Bec. angegeben habe, benötige sie auch bestimmte Hilfsmittel für die Annahme einer Wegefähigkeit. Die Krankenversicherung habe ihr entsprechende Hilfen in Form der Kostenübernahme für orthopädische Maßschuhe abgelehnt. Dass sie einen PKW besitze, begründe keine Wegefähigkeit, denn diesen könne sie angesichts der Schäden im Sprunggelenk gar nicht fahren. Im Übrigen müsse mit einer Versteifung des Sprunggelenks gerechnet werden und mit einem versteiften Sprunggelenk sei das Führen eines PKW erst recht nicht denkbar. Sie sei auch in Behandlung bei Dr. Gri. im Schmerztherapiezentrum Bad S ... Hierzu hat die Klägerin noch eine Bescheinigung des Prof. Dr. Old. vom 26. September 2013 vorgelegt.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurochirurgie, Spezielle Schmerztherapie, Dr. We. vom 17. Juni 2014 eingeholt. Er hat u.a. ausgeführt, die Klägerin benütze seit einer ersten Operation im Jahr 2007 einen Gehstock und seit der Re-Operation 2010 sogenannte Unterarmstockstützen, womit sie sich relativ gut bewegen könne. Im Vordergrund stünden angeblich seit 2010 jetzt zum Teil stechende, teilweise brennende Schmerzen, die unter Belastung massiv zunähmen und ein freies Gehen nicht mehr ermöglichten. Seit 2012 sei die Klägerin auf retardiertes Morphin, 10 mg achtstündlich, eingestellt worden, das nach ihren Angaben in den letzten Monaten in seiner Wirkung deutlich nachgelassen habe. Wegen erheblicher Schlafstörungen nehme sie abends 10 mg Amitrypthylin, gleichwohl jedoch zwei- bis dreimal pro Nacht aufwache, meist wegen eines Harndrangs, aber auch nach Überbelastungen im Tagesverlauf durch die massiven stechenden, brennenden Schmerzen im rechten Sprunggelenk. Der Klägerin seien vielfältige Behandlungsvorschläge in den letzten Jahren gemacht worden, die sie weitestgehend unzureichend oder nicht umgesetzt habe. Außerdem erkläre sie sehr dezidiert, dass viele Medikamente keine Wirkung mehr bei ihr hätten und andere Medikamente, insbesondere Opiate, sei sie nicht bereit, weiter zu nehmen. Die Klägerin lebe allein und versorge sich weitgehend selbst. Bei belastenden haushaltlichen Tätigkeiten habe sie Unterstützung aus der Familie. Sie fahre selbst Auto und habe sich damit einen ausreichenden Aktivitätsradius erhalten können. Psychisch bestehe eine leichte bis mittelgradige depressive Anpassungsstörung, die durch den gerichtlichen Rentenstreit negativ beeinflusst werde. Im Laufe des Gesprächs trete deutlich zutage, dass die Klägerin für eine konsequente, strukturierte Behandlung nur eine sehr geringe Complience biete, sodass bislang anscheinend eine leitlinienkonforme, komplexe Schmerztherapie nicht habe erfolgen können. Außerdem schienen begleitende Maßnahmen im Rahmen der sogenannten Schmerzbewältigung aber auch einer psychopharmakologischen Basistherapie nicht konsequent umgesetzt worden zu sein. Zusammenfassend biete die Klägerin unterschiedliche Defizite. Körperlich bestünden eine Arthrose des rechten OSG nach rezidivierenden Einblutungen, eine operativ korrigierte Knochenzyste in der distalen Tibia rechts, Kniegelenksbeschwerden nach Innenmeniskusteilresektion links, muskulär ausgedehnte Verspannungen im Bereich des Schultergürtels und des Nackens bei konsequentem Einsatz von Unterarmgehhilfen, eine erhebliche Adipositas sowie chronifizierte Schmerzen mit deutlicher psychischer meist depressiver Komponente. Im Vordergrund stünden die chronischen Schmerzen, die zu reaktiven depressiven Zuständen führten. Daraus ergebe sich eine mittelgradige Anpassungsstörung. Wesentliche somatische Defizite lägen im Bereich der beiden Beine. Die Klägerin sei sehr wohl in der Lage, im Sitzen einer Tätigkeit nachzukommen, und auch sehr kurze Gehstrecken mit Unterstützung der Gehhilfe zurückzulegen. Arbeiten mit großen klimatischen Schwankungen oder aber erheblichen Lärm- und Staubbelastungen seien ebenfalls nicht zumutbar. Vermehrtes Gehen, Stehen, Treppensteigen, häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern oder an Maschinen sei nicht möglich. Arbeiten in Früh- oder Spätschicht sowie mit begrenztem Publikumsverkehr seien zumutbar. Bei ausreichender und konsequenter komplexer Schmerztherapie sei die Klägerin in der Lage, in sitzender Tätigkeit eine verantwortungsvolle Aufgabe auch im Beruf als Bauzeichnerin am Computer zu übernehmen. In einem ruhigen Arbeitsfeld seien der Klägerin mindestens sechs Stunden täglich Tätigkeiten, anfänglich mit Pausen alle zwei Stunden von 15 bis 30 Minuten, absolut zumutbar. Da die Klägerin ein eigenes Fahrzeug fahre, sollte ihr am Arbeitsplatz ein Parkplatz zur Verfügung stehen und die erforderliche "Gehsteige" (wohl: Gehstrecke) nicht mehr als 500 m betragen, was aus seiner Sicht als zumutbar anzusehen sei. Die Klägerin verfüge über einen eigenen PKW, den sie seit Jahren benutze und nach ihren Aussagen auch voll beherrsche. Anzumerken sei, dass die Klägerin Behandlungsvorschläge oder -versuche nicht angenommen oder kurzfristig wieder abgebrochen habe, sodass eine Besserung auf Grund der Einstellung der Klägerin zu empfohlenen therapeutischen Maßnahmen, welche eindeutig eine Besserung der Situation herbeiführen könnten, nicht habe eintreten können. Den Ausführungen von Dr. No. und Dr. Ba. in deren Gutachten könne er nichts entgegensetzen. Die von Dr. Hi. angesprochene leichte Anpassungsstörung habe sich in eine mittelgradige depressive Situation verstärkt, was unbehandelt die Leistungsfähigkeit unverändert beeinträchtige. Eine spezifische konsequente Behandlung würde die Leistungsfähigkeit sicherlich deutlich verbessern, soweit eine Bereitschaft der Klägerin dazu bestehe. Dr. Co. könne er nur zustimmen, insbesondere dann, wenn die therapeutischen Voraussetzungen endlich erfüllt würden. Auch die Einschätzung des Beratungsarztes Dr. Rie. könne er nachvollziehen und voll unterstützen, insbesondere unter dem Aspekt, dass die Klägerin ihr eigenes Auto fahren könne. Prof. Dr. Bec. könne er ebenfalls folgen. Auch ohne ausreichende Schmerzbeeinflussung als der Einstellung der Klägerin halte er sie für fähig, bis zu sechs Stunden täglich eine sitzende Tätigkeit auszuüben, da dies durch die verpflichtende Konzentration einen günstigen Einfluss auf die Besserung der Schmerzproblematik haben werde. Voraussetzung sei jedoch der Wille der Klägerin, an ihrer Situation aktiv etwas zu ändern.

Hierauf hat die Klägerin geltend gemacht, Dr. We. sehe sie als teilweise erwerbsgemindert an, da er sie für fähig erachte, "bis zu sechs Stunden täglich eine sitzende Tätigkeit auszuüben". Soweit er ausgeführt habe, sie fahre ein eigenes Auto, sei zu beachten, dass sie gar kein Auto fahre. Dies sei Folge der starken Medikamente, die sie dauernd schläfrig machten und ihr im Übrigen die Reaktionsschnelligkeit raubten. Unter diesen Umständen sei ihr das Führen eines PKW unmöglich. Ergänzend hat die Klägerin eine Äußerung der Dipl.-Psych. Mü. vom 7. August 2014 vorgelegt, die ausführt, sie halte die Klägerin "aktuell und seit Januar 2014 nicht für erwerbsfähig". Es sei der Klägerin wegen der Einnahme von Schmerzmedikamenten aktuell nicht möglich, mit einem Auto zu fahren. Der von Dr. We. beschriebene ausreichende Aktivitätsradius sei somit nicht mehr gegeben. Ihres Erachtens sollte es nicht darum gehen, dass die Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer benötige, jedoch zumindest für den aktuellen Zeitraum im Rahmen einer "befristeten Berufsunfähigkeit". Auch sie denke, dass ein strukturiertes Arbeitsleben einen eher positiven Einfluss haben könnte, ein Einstieg zum jetzigen Zeitpunkt sehe sie jedoch nicht.

Auf Anfrage des Senats, bei welchem Arzt für Neurologie und Psychiatrie die Klägerin seit 1. Januar 2013 in Behandlung bzw. untersucht worden sei, hat diese Dr. Dor. benannt. Dieser hat am 12. November 2014 auf Anfrage mitgeteilt, er habe die Klägerin einmalig am 19. November 2012 untersucht, nach dem 1. Januar 2013 nicht mehr.

Auf Anfrage des Senats, welche Medikamente sie seit 1. Januar 2014 in welcher Dosierung eingenommen habe und welcher Arzt sie verordnet habe und ob eine regelmäßige Medikamenteneinnahme durch Untersuchungen kontrolliert worden sei, hat die Klägerin am 9. Dezember 2014 mitteilen lassen, sie habe "im genannten Zeitraum" Morphin AL 10 retard, Lyrica 25 mg Pregabalin, Chlomipramin-Neurax 10 mg, Amineurin 10 mg, Paracetamol comp. Stada 500 mg, Blutgerinnungsmittel Immuseven, 600 I.E. VII (ab September 2014 Immuseven 1200 I.E. VII) eingenommen, die die die Dres. Gri., We., Dor. und Kl. verordnet hätten. Im Übrigen sei sie am 20. November 2014 notfallmäßig zu Dr. Dor. gefahren worden, der sie nochmals am 5. Dezember 2014 zur Kontrolle behandelt habe. Hierzu hat sie einen "Medikamentenplan" von Dr. We. vom 22. Mai 2014 (Norspan 10 Mikrogramm/h, Lyrica 25 mg, Chlomepramin-Neurax 10 mg, Amineurin 10, Immuseven 600 I.E. VII), eine "Medikamentenverordnung" mit "Einnahmeplan" der Dres. Ge./Dor./Glo. vom 20. November 2014 (Lyrica 25 mg, Amineurin 10 mg, Chlomipramin 10 mg ["ab Aug. 14 abge"]) sowie die "Medikamentenverordnung" mit "Einnahmeplan" vom 20. November 2014, handschriftlich geändert in "05.12.2014" der Dres. Ge./Dor./Prof. Glo. (Lyrica 25 mg, Amineurin 10 mg, Chlomipramin 10 mg) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. August 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2011 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, auch das Gutachten von Dr. We. bestätige im Wesentlichen die bisherige Einschätzung. Eine schlüssige Begründung, warum anfänglich alle zwei Stunden eine Pause von 15 bis 30 Minuten erfolgen solle, habe der Sachverständige für die Anfangszeit allerdings nicht angegeben. Im Übrigen fahre die Klägerin auch Auto, weswegen sich die Frage der Wegebeschränkung erübrige. Eine Wegeunfähigkeit sei im Übrigen auch nicht durch entsprechende Befunde belegt. Soweit die Dipl.-Psych. Mü. die Klägerin nicht mehr in der Lage sehe, Auto zu fahren wegen chronischer Schmerzen und der erfolgten Schmerzmedikation (Aussage vom 7. August 2014), ergäbe sich auch aus den von der Klägerin aufgelisteten Medikamenten keine überdauernde Fahruntüchtigkeit. Nach einer Einstellungsphase sei eine Fahrtüchtigkeit durchaus gegeben. Befunde, die zu einer Standpunktänderung führen würden, lägen nicht vor.

Der Senat hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg, denn sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGBVI) - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat, weil sie in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten und auch in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu erreichen. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin, auch im Berufungsverfahren, einschließlich von ihr vorgelegter Unterlagen sowie der weiteren Ermittlungen - Sachverständigengutachten Dr. We. nach § 109 SGG und Zeugenaussage des Dr. Dor. - uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend ist festzustellen, dass sich bereits aus den Ermittlungen des SG und insbesondere der von diesem berücksichtigten Gutachten der Dres. No., Ba. und Hi. sowie den vom SG gehörten sachverständigen Zeugen und dem vom SG ferner eingeholten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Bec. schlüssig und nachvollziehbar ergibt, dass die Klägerin in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Sitzen ohne Verletzungsgefahr sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. We., der sich insofern den Vorgutachtern im Wesentlichen angeschlossen hat. Soweit hiervon abweichend die Dipl.-Psych. Mü. in der von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 7. August 2014 ausgeführt hat, sie "halte die Klägerin für nicht erwerbsfähig", mangelt es dieser an einer schlüssigen und nachvollziehbaren Begründung für eine relevante qualitative oder eine gar quantitative Leistungsminderung. Konkrete Befunde enthalten diese Äußerung nicht. Sie stützt sich im Wesentlichen auf Angaben der Klägerin, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Damit ist diese Äußerung zur Widerlegung der Einschätzungen der Gutachter völlig ungeeignet.

Soweit die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung damit begründet, dass sie nicht in der Lage sei, einen Arbeitsplatz zu erreichen, vermag sich der Senat hiervon ebenfalls nicht zu überzeugen.

Zunächst ist festzustellen, dass nach den Verwaltungsgutachten und dem Gutachten von Prof. Dr. Bec. für den Senat nicht feststellbar ist, dass die Klägerin nicht in der Lage wäre, wenigstens 500 m arbeitstäglich, auch unter Zuhilfenahme einer Gehhilfe, bis zu 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und diese Strecken auf dem Weg zur Arbeit während der Hauptverkehrszeit zu bewältigen. Dass sie gehindert wäre, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, ist ebenfalls nicht feststellbar.

Im Übrigen ist es auch nicht nachgewiesen, dass die Klägerin, wie von der Dipl.-Psych. Mü. und ihr selbst behauptet, ihren PKW, dessen Besitz sie weiterhin nicht bestreitet, nicht mehr für Wege zu und von der Arbeit benutzen könnte. Soweit sie hierzu auf die Einnahme von Medikamenten hinweist, ist schon zweifelhaft, ob sie diese in Anbetracht dessen, dass sie über Jahre empfohlene Medikationen nicht durchgeführt bzw. nach eigenem Gutdünken wieder abgebrochen hat, überhaupt regelmäßig nimmt. Zum anderen kann es insofern allenfalls in der Anfangsphase bis zur Einstellung zu Beeinträchtigungen führen. Dass die Klägerin - wie von ihr behauptet - die Medikamente überhaupt einnimmt, wurde und wird nicht kontrolliert. Angesichts ihres früheren Verhaltens bestehen insofern für den Senat auch ganz erhebliche Zweifel. Im Übrigen hat die Klägerin auf Anfrage des Senats, bei welchem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sie seit 1. Januar 2013 in Behandlung sei, am 3. November 2014 mitteilen lassen, sie sei bei Dr. Dor. seit 1. Januar 2013 in Behandlung gewesen, könne sich allerdings an die genauen Daten nicht mehr erinnern. Auf Anfrage des Senats hat Dr. Dor. dann am 12. November 2014 als sachverständiger Zeuge ausgesagt, er habe die Klägerin nur einmalig am 19. November 2012 und somit nach dem 1. Januar 2013 überhaupt nicht untersucht. Soweit sich die Klägerin für die behauptete Unfähigkeit, ein Kfz zu führen, auf die von ihr vorgelegte Kopie eines Medikamentenplans von Dr. We. vom 22. Mai 2014 beruft, ist festzustellen, dass gerade Dr. We. die Benutzung eines PKW für zumutbar und möglich erachtet hat. Auch die Pläne der Dres. Ge., Dor. und Prof. Glo. vom 20. November bzw. überschrieben vom 5. Dezember 2014 in Kopie vorgelegt hat, ergeben im Übrigen auch keinen Nachweis einer Einnahme von Medikamenten, die der Benutzung eines PKW entgegenstünden. Damit sieht der Senat die Behauptungen und Angaben der Klägerin, auf die sie die geltend gemachte Einschränkung der Wegefähigkeit stützt, weder als belegt noch nachvollziehbar. Ob diverse Behauptungen in Täuschungsabsicht gemacht wurden, auch im Hinblick darauf, dass behauptet wurde, sie sei bei Dr. Dor. in Behandlung, was sich nach dessen Aussage als unrichtig erwiesen hat, kann dahingestellt bleiben.

Damit ist die Klägerin zur Überzeugung des Senats jedenfalls derzeit durchaus noch in der Lage, einen Arbeitsplatz zu erreichen und insofern eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes, die auszuüben sie für sechs Stunden arbeitstäglich in der Lage ist, zu verrichten. Im Übrigen ergibt sich aus den qualitativen Einschränkungen der Klägerin weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung. Insbesondere steht die Bluterkrankheit der Klägerin einer Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Verletzungsgefahr nicht entgegen. Die Behauptung ihres Bevollmächtigten, auf sie müsste in jeder Sekunde ein Mitarbeiter ein Auge werfen, damit im Falle einer Verletzung mit blutenden Wunden unverzüglich das Gerinnungsmittel gespritzt werden könne, stellt insofern schon kein erhöhtes Risiko dar, als die Klägerin auch in der Lage ist, allein zu leben und ihren Haushalt zu bewältigen, ohne dass "jede Sekunde" ein Angehöriger oder sonstiger Dritter anwesend sein müsste. Ein erhöhtes Risiko an einem Arbeitsplatz, an welchem keine gesteigerte Verletzungsgefahr besteht, ist insofern nicht ersichtlich.

Da die Klägerin somit keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung hat, weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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