L 11 KR 3364/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 4740/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3364/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht der bei der Klägerin festzustellende Grad der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Die am 11.08.1969 geborene Klägerin, die bis 2011 als Altenpflege-Helferin im D.-Ambulanz-Dienst in Teilzeit berufstätig und anschließend, abgesehen von geringfügigen Beschäftigungen nicht mehr erwerbstätig war sowie derzeit arbeitslos ohne Sozialleistungen ist (LSG-Akte, Bl. 3), stellte am 01.10.2010 den hier streitgegenständlichen Erstantrag nach § 69 SGB IX. Dem vorausgegangen war ein stationärer Aufenthalt vom 09. bis 29.09.2010 in den A.-Kliniken B. (Entlassungsbericht vom 07.10.2010: Fibromyalgie-Syndrom, HWS-Syndrom, mittelgradige depressive Episode, normochrome normozytäre Anämie, Gastritis, Übergewicht, Harnwegs-infektion).

In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme berücksichtigte Dr. K. als Funktionsbeeinträchti-gungen das Fibromyalgie-Syndrom, die Depression (Teil-GdB 20) und die Funktionsbehinde¬rung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 20.

Hierauf gestützt stellte der Beklagte mit Bescheid vom 20.12.2010 den GdB mit 20 seit 01.10.2010 fest. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies zur Begründung auf ein weiteres Rehabilitationsverfahren im Reha-Zentrum B ... Der Beklagte zog den Entlassungs-bericht vom 25.02.2011 über den stationären Aufenthalt vom 25.01. bis 22.02.2011 bei (rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Panikstörung, Fibromyalgie, Migräne ohne Aura, Cervicobrachialgie beidseits bei hypermobiler HWS). Dr. P. bewertete in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme wie zuvor das Fibromyalgie-Syndrom, die Depression, die seelische Störung sowie die depressive Verstimmung mit einem Teil-GdB von 20, die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und zusätzlich die Migräne jeweils mit einem Teil-GdB von 10 und schätzte den Gesamt-GdB mit 20 weiterhin ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2011 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin daher zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 13.05.2011 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen.

Der Psychiater Dr. G. hat mit Schreiben vom 06.07.2011 mitgeteilt, bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung mittelschwerer Ausprägung diagnostiziert zu haben.

Der Neurologe Dr. G. hat mit Schreiben vom 12.07.2011 seine Diagnosen einer somatoformen Schmerzstörung, psychogene Anfälle sowie eine Migräne ohne Aura angegeben; die Schmerz-störung sei als mittelgradig bis schwer und die Migräne als mittelgradig einzuordnen, die psychogenen Anfälle sistierten in den letzten 6 Wochen vollständig.

Der Orthopäde und Chirurg Dr. K. hat mit Schreiben vom 16.07.2011 von einer mittelschweren Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit beider Füße bei Pes Metatarsus mit Hallux valgus-Bildung, einem leichten Sulcus ulnaris-Syndrom links mit dadurch hervorgerufenen Dysästhesien im Bereich der Finger D 4 und D 5 links, einer leichten Epicondylitis humeri ulnaris links mit dadurch bedingten Schmerzhaftigkeiten mit eingeschränkter Belastbarkeit im Bereich des linken Ellenbogengelenkes, einer mittelschweren Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) sowie einer sehr schweren Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit der rechten Schulter bei bestehendem Impingement-Syndrom rechts und Partialruptur der Musculus-Supraspinatussehne sowie einer Tendinitis calcarea berichtet.

Die Allgemeinärztin Dr. K. hat mit Schreiben vom 08.07.2011 mitgeteilt, die Klägerin leide an einer chronischen somatoformen Schmerzstörung sowie einer Migraine accompagnee. Es handle sich um schwere Behinderungen, die sich seit Oktober 2010 nicht gebessert hätten. Bei starker Fixierung auf den somatischen Teil des depressiv-chronischen Schmerzsyndroms habe die Klägerin bisher keinen Zugang zu einem psychologischen Therapieansatz finden können.

Dr. W., Chefarzt des Zentrums für Traumatologie und Orthopädische Chirurgie, S.-Klinik G., hat mit Schreiben vom 11.08.2011 von einem nach Aktenlage ausgeheilten Epicondylus humeri ulnaris links, einer ebenfalls ausgeheilten Marschfraktur Metatarsale III, einer Pseudo-Exostose bei geringer Hallux valgus Deformität links nach operativer Resektion der Pseudo-Exostose, am 30.03.2011 noch mit leichten Restbeschwerden, beginnender Arthrose im Großzehen¬grundgelenk sowie einem noch in Behandlung stehenden Impingement-Syndrom der rechten Schulter berichtet, das er als mittelschwer einordnete. Den beigefügten Unterlagen ist zu entnehmen, dass im Rahmen des stationären Aufenthaltes vom 08. bis 14.09.2011 in der S.-Klinik G. dort am 09.09.2011 die offene Dekompression im Bereich der rechten Schulter erfolgt ist und hierbei eine Rotatorenmanschettenläsion sowie ein Tendinitis calcarea-Herd ausgeschlossen werden konnte.

Die Anschluss-Heilbehandlung hat in der Argentalklinik I. vom 19.09. bis 10.10.2011 stattgefunden (Entlassungsbericht vom 11.10.2011).

Auf Antrag der Klägerin hat das SG sodann Dr. H., C. G., mit der Erstattung des psychiatrischen Fachgutachtens vom 20.03.2012 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Im Rahmen der ambulanten Untersuchung am 22.03.2012 hat die Klägerin zu ihrem Tagesablauf ausgeführt, morgens gegen 5.30 Uhr aufzustehen und das Frühstück zu richten. Dann würden ihre jüngere Tochter, die noch im Haushalt wohne, und ihr Ehemann aufstehen. Anschließend versorge sie den Haushalt, erledige Arztbesuche oder Behördengänge, gehe auch einmal eine Stunde zum Nordic Walking und gegen 23.00 Uhr zu Bett. Hinsichtlich des psychischen Befundes hat Dr. H. in seinem Gutachten angegeben, es imponiere eine leicht gedrückte Stimmungslage mit reduzierter normaler affektiver Schwingungsfähigkeit, der Antrieb sei als mäßig reduziert zu bezeichnen, es hätten sich während der Exploration und der testpsychologischen Untersuchung keine Störungen der Konzentration, der Auffassung und der Merkfähigkeit gezeigt. Nach Durchführung verschiedener testpsychologischer Untersuchungen hat der Sachverständige eine mittelschwere depressive Episode (ICD-10 F 31.1), eine mittelschwere Somatisierungsstörung (ICD-10 F 44.8) sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und zwanghaften Anteilen (ICD-10 F 61) diagnostiziert, hierfür jeweils Teil-GdB-Werte von 50, 30 und 30 angegeben und den Gesamt-GdB mit 80 eingeschätzt. Wegen der nicht unerheblichen orthopädischen Problematik sei zur Einschätzung des Gesamt-GdB eine orthopädische Begutachtung dringend erforderlich.

Auf Nachfrage des SG, ob sich im Bereich der Schulter eine Veränderung ergeben habe, hat Dr. K. mit Schreiben vom 14.09.2012 mitgeteilt, dass die Klägerin bei der letzten Vorstellung am 03.09.2012 bei ihrem Kollegen Dr. K. Schmerzen im Bereich des linken und rechten Schultergelenkes geklagt habe und eine chronische Periarthropathia humeroscapularis links bei eingeschränkter Beweglichkeit diagnostiziert worden sei. Im von der Klägerin übersandten MRT-Bericht vom 29.10.2012 hat der Radiologe W. eine Insertions-Tendinopathie der Supraspinatus- und Subscapularissehne mit Peritendinitis und Impingement subacromial beschrieben.

Mit Urteil vom 18.02.2013 hat das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 seit 01.10.2010 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass auf psychiatrischem Fachgebiet der Beklagte zu Recht einen Einzel-GdB von 30 angesetzt habe. Soweit Dr. H. den GdB für die mittelgradige depressive Episode auf 50 sowie für die mittelgradige Somatisierungsstörung und die kombinierte Persönlichkeitsstörung den GdB jeweils auf 30 eingeschätzt habe, sei dies nicht nachvollziehbar. Aus der Beschreibung des Tagesablaufs der Klägerin ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie bei der Gestaltung ihres Alltags wesentlich eingeschränkt sei. Auch der erhobene psychische Befund spreche nicht für eine besonders starke Ausprägung der psychischen Beeinträchtigung. Demnach sei für die depressive Episode ein Einzel-GdB von 20, entsprechend einer leichteren psychischen Beeinträchtigung, ausreichend. Aufgrund der Schmerzsymptomatik und der Fibromyalgie lasse sich eine Erhöhung des Einzel-GdB auf psychiatrischem Gebiet auf 30 rechtfertigen. Weitere Funktionseinschränkungen, die sich aus der von Dr. H. angeführten kombinierten Persönlich-keitsstörung ergäben, seien dem Gutachten nicht zu entnehmen. Ein höherer Einzel-GdB als 30 für die psychische Beeinträchtigung komme wegen der Überschneidungen zwischen der Schmerzsymptomatik und der Depression nicht in Betracht. Für die Migräne sei der vom Beklagten angesetzte Einzel-GdB von 20 angemessen, denn nach Auskunft des Dr. G. handele es sich um eine mittelgradige Ausprägung bei ca. zwei- bis dreimal monatlich auftretenden Anfällen. Die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigten. Da sich sowohl aus dem Bericht der A.-Kliniken vom 07.10.2010 als auch aus dem Reha-Entlassungsbericht des Reha-Zentrums B. vom 25.02.2011 nur leichtgradige Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule ergäben, sei der vom Beklagten hier angesetzte Einzel-GdB angemessen. Sowohl die Epicondylitis humeri ulnaris als auch die Metatarsale III sowie die Pseudoexostose seien ausgeheilt und daher nicht mehr mit einer dauerhaften Funktionseinschränkung verbunden, die mit einem Einzel-GdB von wenigstens 10 zu berücksichtigen wären. Für die Impingement-Problematik der rechten Schulter mit Bewegungseinschränkung könne allenfalls ein Einzel-GdB von 20 angesetzt werden, nachdem bei der Abschluss-Untersuchung in der Argentalklinik eine Abduktion von aktiv 85 Grad und passiv 100 Grad möglich gewesen sei und die Ante-/Retroversion aktiv 100/0/30 Grad und passiv 130/0/35 Grad betragen habe. Es sei daher anzunehmen, dass nach der Operation keine dauerhafte Bewegungseinschränkung vorgelegen habe. Der Einzel-GdB von 30 für die Depression inklusive der Schmerzstörung könne aufgrund des Einzel-GdB von 20 für die Migräne angemessen auf 40 erhöht werden. Eine weitere Anhebung des Gesamt-GdB sei nicht möglich. Dies gelte selbst dann, wenn für die Funktionseinschränkung der rechten Schulter ein weiterer Einzel-GdB von 10 bis 20 anzunehmen wäre, da sich hierdurch keine wesentliche Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung ergebe, zumal Überschneidungen mit der bereits berücksichtigten Schmerzsymptomatik bestünden.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 04.03.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.03.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt (L 6 SB 1280/13) und die fehlende fachorthopädische Aufklärung des Sachverhalts gerügt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18. Februar 2013 sowie den Bescheid vom 20. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2011 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 seit 1. Oktober 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat zur Begründung unter Bezugnahme auf die eingeholte versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G. vom 10.12.2014 ausgeführt, dass ein höherer GdB als 40 auch bei Berücksichtigung des Entlassungsberichts des O.-Klinikums nicht zu begründen sei.

Der Senat hat von Amts wegen den Oberarzt Dr. D., Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie, M. Stuttgart, mit der Erstattung des orthopädischen Gutachtens vom 09.09.2013 beauftragt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 26.08.2013 den klinischen Verdacht auf ein beidseitiges "Engpass-Syndrom" in den Schultergelenken ohne Bewegungseinschränkungen geäußert und eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit im rechten Handgelenk befundet, beiden Gesundheitsstörungen einen leichten bzw. geringfügigen Schweregrad zugeordnet und die Schulterproblematik mit einem Teil-GdB von 10 bewertet, die Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit jedoch nicht für GdB-relevant gehalten. Unter Zugrundelegung eines Teil-GdB von 30 für die seelische Störung und die Somatisierungsstörung sowie eines Teil-GdB von 20 für die Migräne hat er den Gesamt-GdB seit 01.10.2010 mit 40 eingeschätzt.

Am 18.11.2013 hat sich die Klägerin zu einem explorativen Erstgespräch in der Psychosomatischen Klinik-Ambulanz des O.-Klinikums vorgestellt. Im Arztbrief vom 19.11.2013 wird zusammenfassend ausgeführt, dass bei laufendem sozialrechtlichen Verfahren wegen des GdB ein psychotherapeutisches Vorgehen durch Zielkonflikt wenig erfolg¬versprechend wäre, so dass die Aufnahme der Klägerin erst nach Abklärung des laufenden Verfahrens erfolgen würde. Der Anregung des Senats, das Berufungsverfahren zu beenden, die stationäre Schmerztherapie dann durchzuführen und im Falle einer Gesundheitsverschlechterung bzw. eines dauerhaften GdB von 50 bei Chronifizierung des Schmerzgeschehens einen Neufeststellungs-Antrag zu stellen, ist die Klägerin nicht gefolgt, sondern hat die Berufung aufrechterhalten. Das sodann auf Antrag der Beteiligten durch Beschluss vom 16.01.2014 zum Ruhen gebrachte Verfahren hat die Klägerin am 11.08.2014 wieder angerufen und den Entlassungsbericht des O.-Klinikums vom 08.05.2014 über die 6-wöchige stationäre Behandlung (chronisches Schmerz-Syndrom mit psychischen und somatischen Faktoren, Fibromyalgie-Syndrom, Migräne mit Aura mehr als viermal pro Monat, Impingement-Syndrom rechte Schulter, LWS-Syndrom, HWS-Syndrom, rezidivierend depressive Störung, aktuell mittel- bis schwergradig, Adipositas), den Befundbericht von Dr. G. (schwerst ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung, mittelgradige depressive Störung, Migräne mit Aura in hoher Frequenz) sowie die ärztliche Stellungnahme von Dr. R. vom 14.01.2015 (insgesamt 23 angeblich gesicherte Diagnosen) vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) ist unbegründet. Das SG hat die als kombinierte (Teil-)Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässige Klage zu Recht abgewiesen, soweit die Klägerin einen höheren GdB als 40 begehrt. Denn sie hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50).

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 69 Abs. 1, 3 und 4 SGB IX. Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Menschen sind nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 01.01.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412) erlassen, um u.a. die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellten und fortentwickelten, Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR. 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und alten Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, d. h. für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, d. h. Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (z. B. "Altersdiabetes", "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen - wie im Falle der Klägerin - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktions-beeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchti¬gungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktions-beeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchti¬gungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktions-beeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Aus-maßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern auf Grund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigen-Gutachten in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (BSG, Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - (juris)). Dabei ist zu berücksichti-gen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließ-lich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind (st. Rspr., vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - (juris)). Bei dem auf zweiter und dritter Stufe festzu-stellenden Teil- bzw. Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen.

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeein-trächtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungser-heblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beein-flusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin keinen höheren GdB als 40 rechtfertigen. Das SG hat daher den Bescheid des Beklagten vom 20.12.2010, mit dem dieser den GdB mit 20 festgestellt hat, zu Recht aufgehoben und den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 verpflichtet.

Die im Vordergrund stehende Funktionseinschränkung der Klägerin besteht auf psychiatrischem Fachgebiet. Bereits im Entlassungsbericht vom 07.10.2010 wird eine mittelgradige depressive Episode der Klägerin erwähnt, die auch von Seiten des behandelnden Psychiaters Dr. G. diagnostiziert und von dem Sachverständigen Dr. H. in seinem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten vom 20.03.2012 bestätigt worden ist. Der aktuellste Befund ergibt sich insoweit aus dem Entlassungsbericht des O.-Klinikums vom 08.05.2014, wo die diagnostizierte rezidivierende Störung als mittel- bis schwergradig eingestuft worden ist. Diese Einschätzung wird allerdings dadurch relativiert, dass schon vor Aufnahme zur stationären Behandlung im Arztbrief vom 19.11.2013 darauf hingewiesen worden ist, dass bei dem laufenden sozialrechtlichen Schwerbehindertenverfahren ein psychotherapeutisches Vorgehen aufgrund des Zielkonfliktes wenig erfolgversprechend sei. Hinzu kommt ein krankhaftes Schmerzempfinden, das in den verschiedenen Arztberichten entweder als Fibromyalgie-Syndrom oder als somato-forme Schmerzstörung bzw. Somatisierungsstörung oder auch als chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren bezeichnet worden ist. Darüber hinaus hat der Sachverständige Dr. H. bei der Klägerin eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und zwanghaften Anteilen diagnostiziert. Der Senat hält den Nachweis für eine solche Erkrankung allerdings durch das Gutachten nicht für erbracht, da sie durch keinen der behandelnden Ärzte in ähnlicher oder gleicher Weise diagnostiziert worden ist, insbesondere die längeren stationären Behandlungen der Klägerin nicht zu entsprechenden Diagnosen geführt haben, und auch im Gutachten von Dr. H. selbst weder die Diagnosevoraussetzungen nach ICD-10 F 61 genannt noch unter diese das Krankheitsbild der Klägerin subsumiert worden ist.

Sowohl die depressive als auch die Schmerzerkrankung sind nach VG, Teil B, Nr. 3. 7 zu bewerten. Danach sind Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen mit einem GdB von 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungs-fähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten. Da nach VG, Teil B, Nr. 18.4 die Fibromyalgie und ähnliche Somatisierungs-Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen sind, berücksichtigt der Senat diese regelmäßig ebenfalls im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche, sodass insoweit ein einheitlicher Teil-GdB zu bilden ist. Die von Dr. H. vorgenommene Vergabe von drei Teil-GdB-Werten innerhalb eines Funktionssystems ist mit den in VG, Teil A, Nr. 2e genannten Grundsätzen nicht zu vereinbaren.

Insgesamt ist bei integrierender Berücksichtigung des Schmerzsyndroms von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen, die mit einem Teil-GdB von 30 angemessen, aber auch ausreichend bewertet ist. Weder ist der für stärker behindernde Störungen geltende Bewertungsrahmen von 30 bis 40 jedoch voll auszuschöpfen, noch kann eine schwere Störung angenommen werden, die in keinem der aktenkundigen Arztberichte festgestellt worden ist. Dass die ausgeprägtere depressive Stö-rung, die aus Sicht des Senats durchaus anzunehmen ist, verbunden mit der Somatisie-rungsstörung keinen höheren Teil-GdB als 30 bedingt, ergibt sich zum einen aus der Tagesstruktur der Klägerin, wie sie sie anlässlich der Untersuchung durch Dr. H. angegeben hat. Danach ist die Klägerin in der Lage, einen geregelten Tagesablauf einzuhalten. Sie steht morgens bereits gegen 05.30 Uhr noch vor ihrem Ehemann und ihrer Tochter auf, was deutlich gegen eine depressionsbedingte Antriebsschwäche spricht, und bereitet das Frühstück für die Familie vor. Nachdem Ehemann und Tochter das Haus verlassen haben, versorgt die Klägerin den Drei-Personen-Haushalt, was ebenfalls auf eine nicht geringe Leistungsfähigkeit hindeutet. Erhebliche Rückzugstendenzen hat die Klägerin nicht geschildert, vielmehr verlässt sie das Haus, um Arztbesuche oder Behördengänge zu erledigen, aber auch um sich sportlich zu betätigen und Nordic Walking zu betreiben. Wenn sie dann gegen 23.00 Uhr zu Bett geht, spricht auch dies nicht für eine erhebliche Antriebsminderung, sondern eher für einige Ausdauer. Gegen eine höhere GdB-Bewertung spricht zum anderen, dass die Klägerin psychotherapeutische Behandlung lediglich während ihres Aufenthaltes im O.-Klinikum vom 05.03. bis 30.04.2014 in Anspruch genommen, wie schon zuvor die empfohlene ambulante Einzelpsychotherapie indes nicht für vordringlich erachtet hat, sondern zunächst eine gemeinsame Paartherapie mit ihrem Ehemann machen wollte. Auch der Umstand, dass im explorativen Vorgespräch ein Zielkonflikt zwischen einer psychotherapeutischen Behandlung und dem Klage- bzw. Berufungsbegehren der Klägerin auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gesehen worden und eine stationäre Behandlung daher zunächst nicht für sinnvoll erachtet worden ist, spricht gegen einen massiven Leidensdruck der Klägerin. Andererseits verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin mit Cymbalta (Duloxetin) ein zur Behandlung von depressiven Erkrankungen, generalisierten Angststörungen und Schmerzen zugelassenes Medikament einnimmt, was die Annahme einer ausgeprägteren depressiven Störung stützt. Einer über 30 hinausgehenden GdB-Bewertung steht schließlich der von Dr. H. beschriebene psychische Befund entgegen, wonach während der Untersuchung lediglich eine leicht gedrückte Simmungslage mit reduzierter normaler affektiver Schwingungsfähigkeit imponierte. Der anfangs leise sprachliche Rapport wurde im Verlauf lebendiger. Der Antrieb war nur mäßig reduziert, was mit der geschilderten Tagesstruktur in Einklang steht. Während der Exploration und der umfangreichen testpsychologischen Untersuchung haben sich keine Störungen der Konzentration, der Auffassung und der Merkfähigkeit gezeigt und auch das Altgedächtnis wirkte unbeeinträchtigt. Die Testergebnisse sind dagegen nur von geringer Aussagekraft, denn die Untersuchungen beruhten im Wesentlichen auf den eigenen Angaben der Klägerin und kamen auch zu widersprüchlichen Ergebnissen. So ergab das Beck-Depressionsinventar eine leichte bis mittelschwere depressive Symptomatik, während die Symptom-Check-Liste, revidiert, mit dem die individuelle psychische Symptombelastung der vergangenen sieben Tage erfasst werden kann, für die Faktoren Depressivität, Zwanghaftigkeit und Somatisierung mit die höchsten Scores ergab und deutliche Hinweise für eine relevante depressive Symptomatik mit somatischen Symptomen zeigte. Der Senat verkennt nicht, dass im Entlassungsbericht des O.-Klinikums vom 08.05.2014 der psychische Status der Klägerin bei Aufnahme über den von Dr. H. erhobenen psychischen Befund hinausgeht, hier von einer Beeinträchtigung der Konzentration und Merkfähigkeit, deutlich auf den negativen Skalenbereich begrenzter Schwingungsfähigkeit, niedergeschlagener Stimmungslage, starker Antriebslosigkeit, deutlich verminderter Psychomotorik und starkem sozialen Rückzug berichtet wird. Ob dieser Eindruck allerdings im Zusammenhang mit dem zuvor geschilderten Zielkonflikt steht und daher nur eingeschränkt objektivierbar ist, wird indes im Entlassungsbericht nicht näher dargelegt. Da im Rahmen des Behandlungsverlaufs deutlich geworden ist, dass die psychische Problematik der Klägerin ganz wesentlich auf einem Paarkonflikt beruht, was auch durch den von der Klägerin beabsichtigten Beginn einer Paartherapie bestätigt wird, ist von einer dauerhaften, über sechs Monate hinausgehenden Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes, wie sie nach VG, Teil A, Nr. 2f für eine Berücksichtigung im Schwerbehindertenverfahren erforderlich ist, derzeit nicht auszugehen. Mithin ist der in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 21.06.2012 ver-tretenen Einschätzung eines Teil-GdB von 30 für die seelische Störung und die Somati-sierungsstörung nach wie vor zu folgen.

Desweiteren ist die bei der Klägerin gesicherte Migräne als Funktionsbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Nach VG, Teil B, Nr. 2.3 ist der GdB bei einer echten Migräne je nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle und Ausprägung der Begleiterscheinungen mit einem GdB von 0 bis 10 bei leichter Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich), von 20 bis 40 bei mittelgradiger Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) sowie von 50 bis 60 bei schwerer Verlaufsform (lang andauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen, Anfallspausen von nur wenigen Tagen) zu bewerten. Der Neurologe Dr. G. hat in seiner Zeugenauskunft gegenüber dem SG die Migräne als mittelgradig eingestuft. Dies widerspricht nicht seiner Diagnose einer Migräne mit Aura in hoher Frequenz im Befundbericht vom 16.12.2014, da er hier von 3 bis 4 Anfällen im Monat ausgegangen ist, was lediglich einer mittelgradigen Migräne entspricht. Dagegen haben die Allgemeinärztinnen Dr. K. bzw. Dr. R. u. a. die Migräne als schwer bzw. stark ausgeprägt bezeichnet. Diese Einschätzung lässt sich anhand der angegebenen Häufigkeit der Anfälle jedoch nicht begründen. Im Rahmen des vierwöchigen stationären Aufenthalts im Reha-Zentrum B. wurde nur ein Migräneanfall zu Beginn dokumentiert (vgl. Entlassungsbericht vom 25.02.2011). Im Entlassungsbericht der A.-Klinik vom 11.10.2011 findet sich für die gesamte Behandlungsdauer vom 19.09. bis 10.10.2011 keinerlei Hinweis auf einen Migräneanfall, angegeben wird stattdessen, dass die Klägerin sämtliche Maßnahmen, die mit dem vorgestellten Behandlungskonzept verbunden waren, durchführen konnte. Im Widerspruch hierzu steht die Angabe der Klägerin anlässlich der Untersuchung durch Dr. H. am 22.03.2012, einmal wöchentlich eine Migräneattacke zu bekommen, besonders in belastenden Situationen, z. B. bei großen Menschenansammlungen oder bei dauernder psychophysischer Belastung, die Schmerzen würden unbehandelt bis zu drei Tage andauern. Bei der Untersuchung durch Dr. D. am 26.08.2013 hat die Klägerin zwar über Fibromyalgie, nicht aber über Migränebeschwerden geklagt, wobei sich insoweit nicht ausschließen lässt, dass die Exploration ausschließlich auf mit orthopädischen Gesundheitsstörungen verbundene Beschwerden bezogen war. Nach dem Entlassungsbericht des O.-Klinikums vom 08.05.2014 hat die Klägerin vor allem zu Beginn unter häufigen Migräneattacken gelitten, wobei die genaue Frequenz ebensowenig wie die Dauer der Anfälle angegeben wird. Nachdem Amitriptylin ausgeschlichen und durch Topiramat ersetzt worden war, zeigte sich eine leichte Reduktion der häufigen Migräneattacken. Zur Entlassung hin verstärkte sich wieder die Anzahl der Migräneattacken, wobei die Klägerin selbst einen Zusammenhang mit den Abschiedsängsten herstellen konnte. Hieraus ergibt sich, dass zwar von einer mittelgradigen Verlaufsform der Migräne auszugehen ist, aufgrund der äußerst schwankenden Häufigkeit sowie der medikamentösen Behandelbarkeit und der offensichtlichen Abhängigkeit von äußeren, durch die Klägerin steuerbaren Einflüssen (Fernhalten von großen Menschenansammlungen, Vermeidung ausdauernder psychophysischer Belastung) hingegen lediglich der unterste Wert des eröffneten Bewertungsrahmens von 20 bis 40 angesetzt werden kann. Dies gilt umso mehr, als bereits im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche eine Schmerzstörung berücksichtigt worden ist, die zumindest teilweise auch die durch die Migräne verursachten Kopfschmerzen erfasst.

Die auf orthopädischem Fachgebiet geltend gemachten Beschwerden sind lediglich im Funktionssystem Arme GdB-relevant. Hierbei stützt sich der Senat auf die überzeugenden und gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. D., der zwar eine freie Schultergelenksbeweglichkeit beidseits anlässlich seiner Untersuchung am 26.08.2013 festgestellt, zugleich aber den Verdacht auf eine Irritation beider Supraspinatussehnen im Sinne einer Impingement-Symptomatik geäußert hat. Der Senat hält diesen Verdacht für begründet, nachdem rechts die Teilzerreißung der Supraspinatussehne operativ behandelt worden ist und links ein sog. Engpaß-Syndrom, d. h. eine Einengung zwischen Oberarm und Schulterhöhe mit daraus resultierender mechanischer Irritation der Supraspinatussehne durch das Kernspintomo-gramm vom 29.10.2012 objektiviert ist. Ob allerdings der Auffassung des Sachverständigen, wonach aufgrund gesicherter orthopädischer Erfahrung die Belastbarkeit eines Schultergelenkes bei Überkopfarbeiten herabgesetzt wird, wenn eine entsprechende Impingement-Symptomatik besteht, und deshalb bei der Klägerin hierfür ein Teil-GdB von 10 anzunehmen ist, gefolgt werden kann, erscheint im Hinblick darauf, dass die verbindlichen Festlegungen nach VG, Teil B, Nr. 18.13 im Funktionssystem Arme nur Bewegungseinschränkungen und Instabilitäten des Schultergelenkes mit GdB-Werten erfassen, Minderungen der Belastbarkeit hingegen nicht berücksichtigt werden, eher zweifelhaft. Dies bedarf letztlich aber keiner Entscheidung, da selbst bei Berücksichtigung des von Dr. D. vergebenen Teil-GdB von 10 dies aufgrund der oben dargestellten Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB nicht zu dessen Anhebung führen würde. Weitere Funktionseinschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet, die mindestens mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten wären, bestehen nicht. Insbesondere ist im Funktionssystem Rumpf kein Teil-GdB festzustellen, da Dr. D. in Übereinstimmung mit dem Befund des O.-Klinikums (WS = ohne pathologischen Befund) in allen Wirbelsäulenabschnitten eine freie Beweglichkeit in sämtlichen Bewegungsrichtungen befundet hat und nach VG, Teil B, Nr. 18.9 Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mit einem GdB von 0 zu bewerten sind. Die dem widersprechende Einlassung des behandelnden Orthopäden Dr. K., der über eine mittelschwere Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit der HWS und LWS berichtet hat, hält der Senat mangels jedweder konkreter Messwerte nicht für nachvollziehbar, zumal die Hausärztin der Klägerin Dr. K. zwar von Schmerzen im Schulter- und Beckengürtel, nicht aber über Rumpfbeschwerden berichtet hat. Auch die weiteren von Dr. K. genannten Gesundheitsstörungen rechtfertigen aufgrund der von Dr. D. mitgeteilten Untersuchungsergebnisse nicht die Annahme eines Teil-GdB. Denn wiederum anders als von Dr. K. angegeben, zeigten sich bei der Untersuchung durch Dr. D. sämtliche relevanten Gelenke der unteren Extremitäten bei regelrecht entwickelter, seitengleich ausgeprägter Muskel-bemantelung frei beweglich. Zwar hat die Klägerin auch bei seiner Untersuchung über eine Schmerzsymptomatik in beiden Füßen respektive im linken Großzehengrundgelenk geklagt, dies führte jedoch zu keiner erkennbaren Funktionseinbuße und ist daher nach VG, Teil B, Nr. 18.14 nicht GdB-relevant. Auch die oberen Extremitäten zeigten bis auf eine endgradig eingeschränkte nach ellenwärts und speichenwärts geführte Beweglichkeit im rechten Handgelenk (35/0/15 Grad, Normalwert: 25-30/0/25-30 Grad), die nach VG, Teil B, Nr. 18.13 nicht GdB-relevant ist, bei regelrecht entwickelter Muskelbemantelung eine freie Beweglichkeit. Zu Recht ist das SG daher davon ausgegangen, dass sowohl die Epicondylitis humeri ulnaris als auch die Metatarsale III sowie die Pseudoexostose als ausgeheilt anzusehen sind.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Teil-GdB-Werte (Teil-GdB 30 für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche, Teil-GdB 20 für die Migräne, Teil-GdB 10 für das Funktions-system Arme, offen gelassen) beträgt der Gesamt-GdB nicht mehr als 40.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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