Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 185/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3931/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 6. September 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege der Neufeststellung einen Grad der Behinderung (GdB) von 50.
Bei dem am 03.09.1954 geborenen Kläger wurde mit letztem bindenden Bescheid vom 23.10.2008 (Bl 23 Verwaltungsvorgang - VV) ein GdB von 30 wegen Polyneuropathie festgestellt. Neufeststellungsanträge vom 16.04.2009 (Bl 25 VV) und 06.04.2010 (Bl 40 VV) wurden abgelehnt (Bescheide vom 26.6.2009 und 20.05.2010, Bl 38, 59 VV).
Der erneute Änderungsantrag vom 04.10.2011 (Bl 61 VV) wurde nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Dr. E. vom 28.11.2011 (Bl 71 f VV) mit Bescheid vom 01.12.2011 (Bl 74 VV) abgelehnt, nachdem der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. eine Progredienz der Polyneuropathie als nicht objektivierbar erachtete. Die Polyneuropathie war weiterhin die einzige festgestellte Behinderung. Der ausdrücklich nicht begründete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2012 zurückgewiesen.
Der Kläger hat hiergegen am 23.01.2012 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die vom Kläger angegebenen Fachärzte schriftlich als sachverständige Zeugen schriftlich gehört und im Zuge des Antrages auf Rente wegen Erwerbsminderung angefallene Unterlagen aus den Akten der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg beigezogen. Neurologe und Psychiater Dr. H. hat angegeben, den Kläger zuletzt am 29.06.2010 untersucht zu haben. Damals habe er eine taktile Hypästhesie in der distalen Unterschenkelhälfte und an beiden Füßen, ein reduziertes Vibrationsempfinden im Bereich der Malleolen bds. auf 5/8 der Stimmgabelmarke, Erkennen von Zahlenschrift auf dem Fußrücken nicht möglich, im Beckengürtelbereich und an den unteren Extremitäten keine isolierten Muskelatrophien und keine Paresen, Zehen- und Fersengang möglich, Gang leicht ataktisch, Muskeleigenreflexe der oberen und unteren Extremitäten seitengleich schwach lebhaft auslösbar, Babinski bds. negativ, keine Ausfallerscheinungen im Bereich der Hirnnerven befundet. Neurografisch sei die motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus (N) peronaeus rechts mit 37 m/sec und links mit 39 m/sec verlangsamt, gegenüber früheren Untersuchungen sei jedoch keine Progredienz erkennbar. Dr. H. hat die Diagnosen chronische sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten, symptomatisches Restless-legs-Syndrom; unveränderte Schmerzmedikation Tilidin 150 1-0-1, Lyrica 150 1-0-1 und Levopar 125 0-0-1 gestellt (Arztbrief vom 30.06.2010, Bl 11 SG-Akte). Bei vorangegangenen Untersuchungen hat Dr. H. chronische sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten, Verdacht auf symptomatisches Restless-legs-Syndrom diagnostiziert eine leichte Minderung der oberflächlichen Berührungsempfindung an beiden Beinen distal der Knie mit herabgesetzter Spitz-Stumpf-Diskrimination, aber unvermindertem Vibrationsempfinden im Bereich der Malleolen, symmetrisch abgeschwächte Achillessehnenreflexe, bds. eingeschränktes monopedales Hüpfen befundet. Ein Therapieversuch mit Levopar 100 sei angeraten (Arztbrief vom 05.02.2009, Bl 47 SG-Akte); 2008 hat er die Diagnose sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten ungeklärter Ätiologie mit leichter Progredienz gestellt und eine leichte sensible Hyp- und Parästhesie in der Fußsohle und im Bereich der Zehen, etwas unsicheres Erkennen von Zahlenschrift auf dem Fußrücken, nur leichte Minderung des Vibrationsempfindens im Bereich der Malleolen auf 6/8 der Stimmgabelmarke, Patellar- und Achillessehnenreflex symmetrisch abgeschwächt, Lasegue bds. negativ befundet. Neurografisch sei die Nervenleitgeschwindigkeit des N. peronaeus rechts wie links mit jeweils 35 m/sec verlangsamt, bei der nadelelektromyographischen Untersuchung am 28.09.2007 habe sich in der Unterschenkelmuskulatur und der kleinen Fußmuskulatur kein Hinweis auf eine peripher-neurogene Schädigung ergeben (Arztbrief vom 19.05.2008, Bl 51 SG-Akte). 2007 hat Dr. H. über vom Kläger angegebene Schmerzen seit längerer Zeit in beiden Füßen mit Ausstrahlung bis unterhalb der Kniekehlen, stechend, mit Schwellungsgefühl in den Füßen, daneben Kribbeln und Ameisenlaufen berichtet. Der Achillessehnenreflex sei im Vergleich zum übrigen Reflexniveau symmetrisch abgeschwächt, keine eindeutigen Sensibilitätsstörungen, oberflächliche Berührungsempfindung nicht herabgesetzt. Vibrations¬empfinden nicht gemindert, Erkennen der Zahlenschrift auf dem Fußrücken ungestört, Zehen- und Fersengang möglich, monopedales Hüfen erschwert. Die motorische Nervenleit¬geschwindigkeit des N. peronaeus sei bds. verlangsamt, links 38 m/sec, rechts 37 m/sec (Arztbrief vom 01.10.2007, Bl 58 SG-Akte). Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. hat in seiner Auskunft vom 01.04.2012 über die durchgehende Behandlung seit 01/2008 berichtet, die Beschwerden seien nach Schilderung des Klägers progredient bei Verschlechterung der Schmerzsymptomatik und sehr eingeschränkter Belastungsfähigkeit, er beurteile dies mit einem GdB von 50.
Im Gutachten für die Rentenversicherung hat Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. am 21.02.2011 die Diagnosen sensomotorische symmetrische Polyneuropathie, am ehesten äthyltoxischer Genese, beginnend degeneratives Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom, gut eingestelltes Restless-legs-Syndrom gestellt. Motorisch bestünden keine Paresen im Bereich der Extremitäten, Gang und Stand seien frei, es bestehe keine Muskelatrophie; Tonus und Tropik seien unauffällig, die grobe Kraft ungestört, in den Vorhalteversuchen bestehe keine Absinktendenz, der Achillessehnenreflex sei bds. nicht auslösbar, sonstige Reflexe seien seiten-gleich mittellebhaft auslösbar, der Strichgang sei etwas unsicher, sonstige Koordinations-prüfungen unauffällig, Zeigeversuche zielsicher, Eudiadochokinese, Hypästhesie und Hypalgesie im Fußbereich bds. symmetrisch, Vibrationsempfinden bds. an den Malleolen auf 5/8 reduziert. Im psychiatrischen Befund habe kein Hinweis auf ein kognitives Defizit bestanden, keine psychomotorische Verlangsamung, keine Tagesmüdigkeit. Die somatosensibel evozierbaren Potentiale (SEP) ergaben eine fehlende Reproduzierbarkeit der L 5- und S 1-Antwort, die Elektromyographie (EMG) eine distale Latenz des N. medianus links motorisch 3,9 Millisekunden (ms), rechts 4,3 ms. Bei der Psychometrie habe der Aufmerksamkeits-belastungstest d2 bei fehlender Mitarbeit eine Verlangsamung bei normaler Fehlerhaftigkeit, der Zahlenverbindungstest (ZVT) einen unauffälligen Befund ergeben. Im Ergebnis fand die Gutachterin den Kläger vollschichtig leistungsfähig für sämtliche mittelschweren und zeitweilig schweren Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Nachtarbeit, ohne Absturzgefahr, auch für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arbeiter in einer Zahnradfabrik.
Die Entlassungsdiagnosen des Reha-Entlassungsberichts der S.-Klinik B. vom 22.12.2009 (Bl 39/46 SG-Akte) sind ebenfalls symmetrische, primär axonale sensomotorische Polyneuropathie mit Verdacht auf äthyltoxische Genese und Restless-legs-Syndrom bei Polyneuropathie gewesen. Es fänden sich distal betonte Gefühlsstörungen an beiden Beinen und eine dadurch bedingte Gangunsicherheit, vom Kläger würden Schmerzen angegeben. Die Patellarsehnenreflexe seien bds. abgeschwächt, es bestehe eine leichte Minderung des Berührungsempfindens an den Beinen distal, das Vibrationsempfinden über den Malleolen 4/8, im Arm- und Beinhalteversuch bestehe keine Absinktendenz, der Kläger weise ein gut ausgeprägtes Muskelrelief und gute Kraftentwicklung auf. Der Arztbrief der Universitäts- und Rehabilitationskliniken U. (RKU), Neurologische Klinik, vom 28.10.2008 berichtet, der Kläger habe sich mit seit mehreren Jahren bestehenden schmerzhaften Missempfindungen beider Füße, mittlerweile rückseitig aufsteigend bis in die Kniekehle, vorgestellt sowie gelegentlichen Kalt-/ Heißmissempfindungen der Hände, häufig bei Kontakt mit Wasser. Der elektrophysiologische Befund ergebe eine ausgeprägte symmetrische, primär axonale sensomotorische Polyneuropathie stechend-ziehend mit intermittierendem Taubheitsgefühl. Die Oberflächensensibilität sei distal stark eingeschränkt, "stumme Sohle" ab dem Oberschenkel normal, Pallästhesie, Processus styloideus radii (Griffelfortsatz der Speiche) bds. 6/8, Patella 6/8, Malleolus lat. bds. 5/8, Großzehe 0/8. Der Romberg-Stehversuch sei ohne gerichtete oder ungerichtete Fall- oder Drehtendenz, Zehengang und Stehen bei geschlossenen Augen leicht unsicher, im Reflex- und Stellversuch leichter Ausfallschritt nach rechts nötig. Lyrica wurde auf tgl. 600 mg erhöht. Der Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. vom 14.01.2008 (Bl. 53/57 SG-Akte) hat die Diagnosen inkomplettes metabolisches Syndrom, sensible periphere Polyneuropathie, psychophysische Erschöpfung. Schmerzen in den Unterschenkeln und Füßen habe er zunehmend seit zehn Jahren, ständig, belastungsunabhängig gestellt. Das Feingefühl in den Fingern sei herabgesetzt. Des Weiteren leide er unter Konzentrationsmangel, Ruhelosigkeit, rascher Ermüdbarkeit. Neurologisch seien der Achillessehnenreflex bds. nicht, die anderen Muskeleigenreflexe schwach auslösbar, Lasegue negativ, keine fassbaren sensomotorischen Defizite, Zehenstand und -gang sowie Großzehenhebung und -senkung bds. kraftvoll. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS ergab keine relevanten Auffälligkeiten (Arztbrief Dr. S. vom 03.08.2010, Bl 84 SG-Akte). Die Neurologin Dr. B. hat bei Untersuchung am 26.08.2010 im Vergleich zum Vorbefund vom Juli 2008 keine wesentliche Verschlechterung der leichten sensomotorischen Polyneuropathie der Beine mit Burning-feet-Syndrom gefunden. Bei der neurologischen Untersuchung seien die Eigenreflexe an den Beinen nicht auslösbar, die Sensibilität für Schmerz- und Berührungsreize an den Füßen bis zur Mitte der Unterschenkel werde als hypästhetisch angegeben, das Vibrationsempfinden an den Zehen sei auf 4/8 der Stimmgabelmarke herabgesetzt, Atrophien und Paresen lägen nicht vor. Die sensible Nervenleitgeschwindigkeit des N suralis sei rechts mit 41, links mit 43 m/sec leicht pathologisch verlängert, ebenso die motorische bds. mit 33 m/sec.
Der Beklagte hat hierzu versorgungsärztlich Stellung genommen. Die hausärztlich vermerkte Verschlechterung der Schmerzsymptomatik ergebe keine neue nervenärztliche Diagnostik. Das gut eingestellte Restless-legs-Syndrom begründe keinen GdB von 10, ein solcher wirke aber ohnehin nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB.
Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligen mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2012 abgewiesen. Eine wesentliche Verschlimmerung der Polyneuropathie sei nicht nachgewiesen. Diese sei medikamentös gut eingestellt. Die Tagesaktivitäten inklusive Hobbies und Freizeitaktivitäten ließen keine Probleme der Alltagsgestaltung erkennen.
Der Kläger hat am 14.09.2012 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt, mit der er geltend macht, seine Polyneuropathie, die sich eben nicht gut medikamentös einstellen lasse, habe sich so verschlimmert, dass er nachts nicht schlafen könne.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 6. September 2012 und den Bescheid vom 1. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 23. Oktober 2008 abzuändern und bei ihm einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung in Anbetracht der versorgungsärztlichen Stellungnahme aus 2012 für richtig.
Der Senat hat Unterlagen aus dem Rentenklage- und -berufungsverfahren S 9 R 2315/11 und L 13 R 4434/12 sowie neben den bereits genannten das Gutachten Dr. H. vom 15.06.2012 und die Auskünfte der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. W. beigezogen. Dr. H. hat am 15.06.2012 eine weitgehend freie Beweglichkeit der LWS befundet, weiter freie Beweglichkeit der Halswirbel¬säule (HWS), neurologisch nirgends beeinträchtigte grobe Kraft. Hinsichtlich des Reflexstatus sei Chovstek bds. negativ, Bizepssehnenreflex, Radiusperiostreflex und Trizepssehnenreflex seien seitengleich gut auslösbar, Trömner bds. negativ, der Bauchhautreflex in allen drei Etagen seitengleich ausreichend gut zu erhalten, der Patellarsehnenreflex bds. schwach auslösbar, der Achillessehnenreflex bds. nicht zu erhalten, die Pyramidenbahnzeichen Babinski, Oppenheim und Gordon bds. negativ. Hinsichtlich der Koordination seien Finger-Nase-Versuch und Finger-Finger-Versuch bds. zielsicher, Knie-Hacken-Versuch bds. leicht unsicher, es bestehe Eudiadochokinese, kein Tremor, ein negatives Reboundphänomen; hinsichtlich der Sensibilität im Bereich des Stammes und der oberen Extremitäten liege keinerlei Minderung der Gefühlsempfindung für alle Qualitäten vor. Im Bereich der unteren Extremitäten bestehe eine sockenförmig abgrenzbare Hypästhesie links kaudal des proximalen Unterschenkeldrittels, rechts abgeschwächte Berührungs- und Schmerzreize, das Vibrations-empfinden im Bereich der Innenknöchel sei bds. mit 4/8 gemindert. Der Gang sei zunächst nicht neurogen behindert, Fersen- und Fußspitzengang bds. kräftig. Im Romberg-Versuch bestehe kein wesentliches Schwanken und keine Absinktendenz eines Armes beim Vorhalteversuch. Der Unterberger´sche Tretversuch sei etwas breitbeinig und unsicher ohne Drehungstendenz und ohne Fallneigung. Im Strichgang sei der Kläger schon mit offenen Augen unsicher, deutlich verstärkt mit geschlossenen Augen ohne konstante Ausweichtendenz oder Fallneigung nach einer Seite, im Einbeinstand bds. leicht unsicher. Im psychischen Befund bestehe kein Nachweis einer tiefergehenden depressiven Verstimmung. Das EMG mit Nervenleitgeschwindigkeit habe eine verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit für den rechten und linken N. peronaeus mit 30 und 37 m/s gezeigt. Die sensible Nervenleitgeschwindigkeit sei mit 32 und 36 m/s ebenfalls verlangsamt, sehr niedrige Antwortpotentiale. Die sensomotorisch evozierten Potentiale ergäben eine Latenz N-35 rechts und links mit 37,2 und 34,2 ms und damit im Normbereich. Die Latenz P 40 mit 44,8 und 39,4 ms sei ebenfalls noch im Normbereich. Der Kläger beklage zunehmend schmerzhafte Missempfindungen in den Füßen, mittlerweile bis zu den Knien, verstärkt nach längerem Sitzen, Kreuzschmerzen beim Aufstehen aus dem Sitzen, keine sonstigen wesentlichen Beschwerden. Er werde hausärztlich mit Lyrica und dem Analgetikum Palexia, Levopar wegen des Restless-legs-Syndroms und Doxepin behandelt, die letzte Untersuchung beim Nervenarzt sei vor 1 ½ Jahren gewesen. Dr. H. hat die Diagnosen einer überwiegend sensiblen Polyneuropathie beider Beine mit chronischem Schmerzsyndrom und symptomatischem Restless-legs-Syndrom gestellt.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 27.02.2013 der Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Umweltmedizin und Verkehrsmedizin Dr. L. mit der Erstattung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt worden. Dieser hat bereits im Juni 2013 ein Gutachten im Berufungsverfahren L 13 R 4434/12 erstellt (Bl 71/95 Senatsakte), das er vorgelegt hat. Darin hat er angegeben, von den Vorbefunden und Vorgutachten nicht wesentlich abzuweichen. Allenfalls sei eine in letzter Zeit aufgetretene erschöpfungsdepressive Verstimmung aufgetreten, das Karpaltunnelsyndrom habe sich parallel zur progredienten Polyneuropathie entwickelt. Er hat sein Gutachten vom 27.07.2013 (Bl 60/70 Senatsakte) erstellt und am 23.11.2013 zu den Einwendungen des Beklagten ergänzend Stellung genommen (Bl 111/114 Senatsakte). Der Kläger arbeite nach wie vor als Arbeiter einer Zahnradfabrik vollschichtig im Drei-Schicht-Betrieb und sei nicht krankgeschrieben. Bis heute bestehe trotz der nervenärztlichen Gesundheitsstörungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen für diese Tätigkeit. Langfristig seien wegen der weiteren Progredienz der Polyneuropathie und des Karpaltunnelsyndroms Abstriche zu erwarten. Er sei zuletzt vor einer Woche beim Nervenarzt gewesen. Er nehme morgens, mittags und abends Gabapentin 400 ein, Palexia 100 morgens und abends, Levodopa 100 am Abend, zusätzlich 100 mg Trazodon am Abend, 50 mg Doxepin am Mittag. Der Kläger gebe an, gegenüber der Untersuchung im Mai 2013 (für das Rentengutachten) sei die Situation unverändert. Er leide unter zunehmenden Kreuzschmerzen; Missempfindungen und Schmerzen an den unteren Extremitäten hätten in den letzten Monaten dazu geführt, dass bei Belastung, beim längeren Gehen und Stehen die Wirbelsäulen-beschwerden, vornehmlich der LWS stärker ausgeprägt seien. Es komme dann zu ausstrahlenden Beschwerden in die Beine. Daneben lägen die bekannten Schmerzen im Bereich der Kniegelenke und Schmerzen an den Sprunggelenken vor. Unverändert bestehe ein brennendes Missempfinden an beiden unteren Extremitäten, betont im Bereich der Fußsohlen, zwischenzeitlich auch an den Händen, an den Fingerspitzen. Feinmotorische Tätigkeiten seien nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr möglich (in erster Linie der Modellbau, den der Kläger lange Jahre als Hobby betrieben habe), ein nächtliches und frühmorgendliches Missempfinden an den Händen sei durch Schütteln und Bewegen der Hände zu lindern. Er habe Probleme mit ruhelosen Beinen, ein ständiges Ziehen und Spannen in Ruhe, den ständigen Zwang, die Beine zu bewegen, zu reiben oder kalt zu duschen bzw. umherzulaufen. Der Sachverständige hat eine verspannte paravertebrale Muskulatur, schwerpunktmäßig im Bereich der LWS mit positiver Kibler-Falte, trophischen Störungen an den unteren Extremitäten, eine Verschmächtigung der Wadenmuskulatur und der Fußmuskulatur bds. befundet. Das Stehen und Gehen sei weiter-gehend frei, die Haut trocken, motorisch sei eine kraniokaudale Reflexabschwächung zu bestätigen, der Achillessehnenreflex sei bds. ausgefallen, ohne weitere Paresen. Sensibel reproduzierbar sei eine Hypästhesie und Hypalgesie, teilweise hyperästhetische Zonen, strumpf- und handschuhförmig an den oberen und unteren Extremitäten mit Betonung einer Gefühlsstörung im Medianusgebiet bds., beim rechtshändigen Kläger rechtsbetont. Das Vibrations- und Lageempfinden sei distal weiterhin auf 4/8 reproduzierbar herabgemindert. Unter den erschwerten Gangproben, beim Stehen und Gehen unter Ausschluss optischer Kontrolle sei der Kläger extrem unsicher. Die Elektromyographie der L 5- und S 1-versorgten, peroneal- und tibialversorgten Unterschenkel- und Fußmuskulatur habe vermehrt polyphasische Potentiale mit Schwerpunkt im Bereich der kleinen Fußmuskulatur als Korrelat einer chronischen neurogenen axonalen Schädigung ergeben. Frische Denervierungszeichen, Fibrillationen oder positive Wellen lägen nicht vor. Die motorische Leitgeschwindigkeit des N. peronaeus links sei mit 36 m/s im pathologischen Bereich. Das Peronaeus-SEP habe bds. einen Hinweis auf Läsion aufsteigender Bahnen bzw. auf eine PNP nachgewiesen. Das Tibialis-SEP habe einen Hinweis auf eine Läsion aufsteigender Bahnen sowie verzögerte Amplituden und Latenzen ergeben. In Zusammenschau mit den Vorbefunden zeige sich die Nervenleit¬geschwindigkeit über Jahre gemessen, kontinuierlich pathologisch, fraglich progredient (unter¬schiedliche Messungen könnten durch Temperaturunterschiede entstehen).
Das Medianus-SEP habe bei Segmentreizung des Hauptstammes des N. Medianus in Höhe des Handgelenks bds. keine Läsion aufsteigender Bahnen nachgewiesen, Amplituden und Latenzen seien im Normbereich. Das Ulnaris-SEP bei Segmentreizung des Hauptstammes des N. ulnaris weise keine Läsion aufsteigender Bahnen nach, Amplituden und Latenzen lägen im Normbereich. Bei Beurteilung von Tonus, Tropik und Mobilität sei eine verspannte paravertebrale Muskulatur, schwerpunktmäßig im Bereich der LWS festzustellen. Stehen und Gehen seien frei, die Handbeschwielung seitengleich, allenfalls zeige sich eine leicht distal betonte trophische Störung an den unteren Extremitäten, eine Verschmächtigung vornehmlich der Fußmuskulatur. Paresen lägen nicht vor.
Im psychiatrischen Befund bestünden eine Hemmung im formalen Denken und Durchschlafstörungen im Sinne einer depressiven Erschöpfung. Die Stimmung sei depressiv herabgemindert, der Kläger sei affektiv reduziert schwingungsfähig, psychomotorisch anhaltend gebunden. Das Beck-Depressions-Inventar zeige eine minimale Depression (9 von 63 Punkten). Auf der Zung-Depressionsskala liege der Kläger mit 44 Punkten, entsprechend einem SDS-Index von 0,45 nicht im depressiven Bereich. Auf der v. Zerssen-Skala (Beschwerden-, Befindlichkeitsliste) liege er im Bereich einer Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden, auf der Befindlichkeitsliste mit 20 Punkten im Bereich einer subdepressiven, bedrückten Stimmung (17 - 26 Punkte). Er sei in den letzten drei Jahren zermürbt, ausgehöhlt, erschöpft, könne nicht mehr richtig durchschlafen. Er sei blockiert, lustlos, freudlos, selbst das Modell¬bauen mit seiner Familie sei nicht mehr befriedigend.
Für das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom, gekennzeichnet durch eine verspannte paravertebrale Muskulatur mit belastungsabhängigen ausstrahlenden Beschwerden, jedoch ohne anhaltende Reizerscheinungen einzelner Nervenwurzeln, sei ein GdB von 20 zu vergeben. Bei der Polyneuropathie handele es sich um ein schweres polyneuropathisches Syndrom mit Störungen des Gleichgewichts auf unebenem Gelände oder bei Einschränkung der optischen Kontrolle sowie schmerzhaften Reizerscheinungen und trophischen Veränderungen, einer Verschmächtigung der Unterschenkel- und Fußmuskulatur und trockener Haut. Die Funktionsbeeinträchtigungen ergäben sich aufgrund motorischer Ausfälle mit Muskelatrophien, sensibler Störungen oder einer Kombination von beidem. Der GdB motorischer Ausfälle sei in Analogien zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen sei zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen, z.B. bei Feinbewegungen, führen könnten. Ein kompletter Ausfall des N. ischiadicus wäre mit einem GdB von 50 zu beurteilen, des N. peronaeus communis oder profundis mit 30, des N. tibialis ebenfalls mit 30. Berücksichtige man nicht nur Atrophie und Schwäche, sondern auch die schmerzhaften sensiblen Reizerscheinungen, die die Lebens- und Gestaltungsfähigkeit erheblich beeinträchtigten, sei vor dem Hintergrund eines schweren und schmerzhaften neuropathischen Geschehens (selbst die hochwirksame Behandlung der neuropathischen Schmerzen mit Gabapentin sei nicht ausreichend) ein GdB von 40 gerechtfertigt. Das Karpaltunnelsyndrom bestehe weitergehend und schränke die Gebrauchsfähigkeit der Hände ein. Mit Sicherheit sei die Polyneuropathie eine Teilursache. Ein GdB von 20 sei gerechtfertigt, wobei Überlagerungen mit den neuropathischen Missempfindungen bestünden. Bei den ruhelosen Beinen sei die Polyneuropathie ebenfalls eine Teilursache. Das ständige Gefühl, die Beine bewegen zu müssen und der dadurch beeinträchtigte Nachtschlaf müssten gesondert beurteilt werden, zumal hier auch eine subdepressive Verstimmung bestehe. Durchschlafstörungen, Wachliegen, ein tagsüber auffälliges Gefühl der Mattigkeit und Abgeschlagenheit seien die Folge. Der GdB für die ruhelosen Beine unter Einschluss einer leichten erschöpfungsdepressiven Verstimmung sei mit einem GdB von 20 zu beurteilen. In der Gesamtschau sei, da sich die Beschwerden in ungünstiger Weise gegenseitig beeinflussten, ein Gesamt-GdB von 60 (niedrig bewertet) anzunehmen.
Der Beklagte hat zu dem Gutachten die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. W. vom 29.10.2013 vorgelegt (21.08.2013, Bl 103/104 Senatsakte). Ein GdB von 40 für die Polyneuropathie könne nicht begründet werden, weil nach dem Gutachten keine Paresen bestünden, Stehen und Gehen weitgehend frei seien. Die beschriebene Unsicherheit bei den erschwerten Gangproben unter Ausschluss der optischen Kontrolle sei ein mitarbeitsabhängiger Befund. Der angegebene GdB von 20 für die Wirbelsäule entspreche mittelgradigen Funktionseinschränkungen in einem Abschnitt. Im Gutachten Dr. H. vom 15.06.2012 werde die Wirbelsäule als völlig frei beweglich angegeben. Hier ergebe sich kein GdB von wenigstens 10. Der angegebene GdB von 20 für das Karpaltunnelsyndrom könne nicht nachvollzogen werden. Auch hier bestünden keine Paresen, allenfalls sensible Störungen, für die keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung feststellbar sei. Hinsichtlich des Restless-legs-Syndrom habe Dr. H. ausgeführt, dies gehe im Beschwerdekomplex der Polyneuropathie auf. Die Befunde des Dr. L. brächten keine objektiven Gesichtspunkte, von dieser Bewertung abzuweichen. Jedenfalls sei der angegebene GdB von 20 nicht nachzuvollziehen. Für die von Dr. L. angegebene leichte depressive Verstimmung lasse sich ebenfalls keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung nachweisen. Dr. H. habe psychisch keinen Befund von Krankheitswert festgestellt. An der bisherigen Beurteilung sei daher festzuhalten.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die SG-Akten und den Verwaltungs-vorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen statthafte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Beklagte hat zu Recht die Neufeststellung eines höheren GdB als den mit dem bindenden Bescheid vom 23.10.2008 festgestellten Gesamt-GdB von 30 abgelehnt.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hier der Bescheid vom 23.10.2008 - für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen ist. Die Änderung muss sich mithin nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Wesentlich ist eine Änderung im Hinblick auf die Feststellung des GdB dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Dagegen ergibt sich aus der Änderung oder dem Hinzutreten weiterer Behinderungen allein keine wesentliche Änderung des ursprünglichen Bescheids. Denn weder die einzelnen Behinderungen noch die hierfür angesetzten Teil-GdB-Sätze gehören zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides und erwachsen daher nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50). Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Das Vorliegen einer oder mehrerer neuer Behinderungen begründet einen Anspruch auf Abänderung des ursprünglichen Bescheids daher nur dann, wenn sich hieraus eine Erhöhung des Gesamt-GdB ergibt. Maßgeblich für die Prüfung einer wesentlichen Änderung ist der letzte Feststellungsbescheid, hier der Bescheid vom 23.10.2008, mit dem festgestellt worden ist, dass ab 16.09.2008 der GdB 30 beträgt.
Ausgehend hiervon hat das SG zu Recht festgestellt, dass keine Änderung hinsichtlich des GdB seit dem Antrag auf Neufeststellung am 04.10.2011 eingetreten ist. Denn die Feststellung eines über 30 hinaus gehenden GdB lässt sich weiterhin nicht begründen.
Der Anspruch des Klägers auf Feststellung des GdB richtet sich nach § 69 Abs. 1, 3 und 4 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 01.01.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412) erlassen und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird wie zuvor in den AHP der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e; so auch BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 6/06 R - juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeein-trächtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktions-beeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (vgl. Teil A Nr. 7 a Satz 1 der VG). Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern unter Beachtung der VG auf Grund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (BSG, Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeein-trächtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind (st. Rspr., vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris). Bei dem auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- bzw. Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesell¬schaftlichem Gebiet zu berücksichtigen.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers keinen höheren GdB als 30 rechtfertigen. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens und der Ermittlungen im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des SG nicht die Anhebung des GdB auf über 30 gerechtfertigt.
Beim Kläger liegt nach allen vorliegenden Befunden eine Polyneuropathie unklarer Ätiologie vor. Bei den Polyneuropathien ergeben sich nach VG, Teil B, Nr. 3.11 die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle (mit Muskelatrophien), sensibler Störungen oder der Kombination von beidem. Der GdB motorischer Ausfälle ist in Analogie zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen ist zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen - z.B. bei Feinbe¬wegungen - führen können. Beim Kläger ist nach den übereinstimmenden Bekundungen der Fachärzte der N. peronaeus beeinträchtigt, Dr. L. hat darüber hinaus den N. tibialis beeinträchtigt gefunden, obwohl er ebenso wie alle Vorgutachter noch eine Hyperästhesie und Hyperalgesie reproduzieren konnte. Eine Lähmung des N. peronaeus (untere Ischiadikus¬schädigung) führt zu Lähmung von Fuß- und Zehenheber, Hängefuß, am Boden schleppender Fußspitze, sog. Steppergang (Knie muss beim Gehen höher angehoben werden), insgesamt zu einer unangenehmen Gangstörung. Die Lähmung des N. tibialis (Schienbeinnerv) begründet eine Lähmung der Fuß- und Zehenflexoren sowie die Aufhebung der Sensibilität der Fußsohlen. Die Lähmung des N. ischiadicus (Hüftnerv) führt zur Fußlähmung, sensibel und motorisch, instabilem Hängefuß, trophischen Störungen am Fuß bei erhaltener Gehfähigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 226).
Beim Kläger liegen brennende Missempfindungen, insbesondere an den Fußsohlen, Hyperästhesie und Hyperalgesie vor. Das Stehen und Gehen ist frei, der Achillessehnenreflex ist ausgefallen. Es bestehen keine weiteren Paresen. Unter den erschwerten Gangproben, beim Gehen und Stehen unter Ausschluss optischer Kontrolle ist der Kläger extrem unsicher. Dies folgt aus den Gutachten des Dr. L ... Allerdings vermag der Senat dem Sachverständigen nicht zu folgen, soweit dieser im Gutachten vom Juli 2013 über eine Verschmächtigung der Waden- und Fußmuskulatur berichtete. Diese kann jedenfalls nicht erheblich sein, denn im Rentengutachten vom Vormonat bestand nach den Ausführungen desselben Sachverständigen allenfalls eine leichte distal betonte trophische Störung an den unteren Extremitäten, eine Verschmächtigung vornehmlich der Fußmuskulatur. Eine deutliche Verschmächtigung innerhalb dieses kurzen Zeitraumes ist nicht plausibel und nicht mit dem geschilderten freien Gang und Stand zu vereinbaren. Der Senat vermag der GdB-Bewertung durch Dr. L. nicht zu folgen, dass unter Zugrundelegung des GdB für die komplette Lähmung des N. ischiadicus mit einem GdB von 50, des N. peronaeus und des N. tibialis mit einem GdB von jeweils 30 unter Berücksichtigung der Schmerzen und trophischen Störungen ein GdB von 40 niedrig geschätzt sei. Nach VG, Teil B, Nr. 18.14 ist der komplette Ausfall des N. ischiadicus distal mit einem GdB von 50 zu bewerten, des N. peronaeus communis oder profundus mit 30, des N. tibialis mit 30. Da der distale N. ischiadicus sich in den N. peronaeus und den N. tibialis aufteilt, sind nicht alle drei Werte heranzuziehen. Es ist nur von einem Wert auszugehen, hier von einem GdB von 50 bei kompletter Lähmung des N. ischiadicus distal (Ausfall der Nn. peronaeus communis und tibialis). Eine komplette Lähmung liegt allerdings nicht vor. In Anbetracht der vorliegenden Funktionsstörungen erscheint eine Bewertung mit einem GdB von 30 weiterhin leidensgerecht. Eine Progredienz zwischen 2008 und 2010 lag nach den Befundberichten der behandelnden Fachärzte Dr. H. und Dr. B. nicht vor. Dr. L. stellte in seinem Gutachten 2013 eine Progredienz ebenfalls nicht fest, sondern wies sogar darauf hin, dass die unterschiedlichen Messergebnisse der Nervenleitgeschwindigkeit durch Temperaturunterschiede entstehen könnten.
Das beim Kläger bestehende Restless-legs-Syndrom führt nicht zu einem eigenständigen GdB. Zum einen ist es zum Teil durch die Polyneuropathie verursacht, wie Dr. L. in seinem Gutachten dargelegt hat, zum anderen teilt der Senat die Auffassung von Dr. H., dass das Beschwerdebild, vornehmlich Missempfindungen an den unteren Extremitäten, aufgrund der Überschneidungen in der Polyneuropathie aufgeht. Auch wird eine relevante Tagesmüdigkeit oder psychomotorische Verlangsamung ebenso wenig wie ein kognitives Defizit beschrieben.
Das beginnende Karpaltunnelsyndrom ist nach VG, Teil B, Nr. 18.13 nicht mit einem GdB zu bewerten. Der vollständige Ausfall des N. medianus bewirkt einen Sensibilitätsverlust an den vier radialen Fingern mit schwerer Beeinträchtigung der Handfunktion (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.) und führt bei Ausfall des N. medianus distal zu einem GdB von 30. Der Kläger klagte bei der Untersuchung durch Dr. L. über Pelzigkeit an den Fingerspitzen und Handinnenflächen, was beim Modellbauen lästig und störend sei. Funktionsstörungen bei Alltagsaktivitäten hat er hingegen nicht vorgetragen und ist auch an seiner Tätigkeit als Arbeiter in einer Zahnradfabrik (lt. Gutachten Dr. M., S. 5, mit Bohren, Fräsen, Drehen, Walzen, Maschinen bestücken) nicht gehindert. Die Untersuchung durch Dr. L. hat ein unauffälliges Medianus-SEP ergeben, eine Läsion aufsteigender Bahnen war nicht nachweisbar, Amplituden und Latenzen lagen im Normbereich. Die Handbeschwielung war seitengleich. Damit ist eine GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung nicht erkennbar. Der Bewertung durch Dr. L. in seinem Gutachten mit einem GdB von 20 kann der Senat daher nicht folgen.
Eine GdB-relevante Funktionsbehinderung der Wirbelsäule i. S. der VG, Teil B, Nr. 18.9 liegt ebenfalls nicht vor. Dr. Lang hat in seiner Untersuchung eine verspannte paravertebrale Muskulatur vorgefunden und die geklagten Beschwerden belastungsabhängiger Schmerzen mit Ausstrahlung in die Beine für glaubhaft befunden. Er hat keine anhaltenden Nervenwurzelreizerscheinungen vorgefunden. Seine Bewertung mit einem GdB von 20 im Sinne mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit häufig rezidivierenden und anhaltenden Bewegungseinschränkungen, mit häufig rezidivierenden, über Tage anhaltenden Wirbelsäulenschmerzen konnte der Senat weder den von Dr. L. berichteten Befunden noch der von ihm wiedergegebenen Beschwerdeschilderung des Klägers entnehmen.
Psychische Störungen von Krankheitswert, die zu einem GdB nach VG, Teil B, Nr. 3.7 führen, konnte der Senat der Beweisaufnahme in beiden Instanzen nicht entnehmen. Die behandelnden Ärzte haben keine entsprechenden Befunde erhoben, Dr. M. und Dr. H. haben in ihren nervenärztlichen Gutachten das Vorliegen psychischer Krankheiten verneint. Der Bewertung durch Dr. L. vermochte der Senat nicht zu folgen. Dr. L. hat eine leichte erschöpfungsdepressive Verstimmung infolge des Restless-legs-Syndroms diagnostiziert. Die dieser Diagnose zugrunde liegenden Befunde, Durchschlafstörungen, Hemmung im formalen Denken, depressive herabgeminderte Stimmung, deutlich reduzierte affektive Schwingungsfähigkeit, psychomotorisch anhaltende Gebundenheit, bestanden nach Angaben des Klägers bereits in den letzten drei Jahren, also seit Mitte 2010. Die nervenärztlichen Begutachtungen 2011 (Dr. M.) und 2012 (Dr. Hausotter) führten jedoch nicht zu entsprechenden Befunden. Die Gutachten von Dr. L. sind insoweit nicht widerspruchsfrei, denn auf der Zung-Depressionsskala erreichte der Kläger eine Punktzahl im nichtdepressiven Bereich, auf der v.Zerssen-Skala einen hohen Punktwert in der Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden, aber in der Befindlichkeitsliste nur einen leicht erhöhten Wert von 20 für eine bedrückte Stimmung (bei 7-16 für ausgeglichene Stimmung, 17-26 bedrückte Stimmung) und das Beck-Depressions-Inventar ergab einen Punktwert von 9 auf einer Skala von 0-63, was einer minimalen Depression entspricht. Danach ist seine Diagnose nicht nachvollziehbar.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege der Neufeststellung einen Grad der Behinderung (GdB) von 50.
Bei dem am 03.09.1954 geborenen Kläger wurde mit letztem bindenden Bescheid vom 23.10.2008 (Bl 23 Verwaltungsvorgang - VV) ein GdB von 30 wegen Polyneuropathie festgestellt. Neufeststellungsanträge vom 16.04.2009 (Bl 25 VV) und 06.04.2010 (Bl 40 VV) wurden abgelehnt (Bescheide vom 26.6.2009 und 20.05.2010, Bl 38, 59 VV).
Der erneute Änderungsantrag vom 04.10.2011 (Bl 61 VV) wurde nach versorgungsärztlicher Stellungnahme des Dr. E. vom 28.11.2011 (Bl 71 f VV) mit Bescheid vom 01.12.2011 (Bl 74 VV) abgelehnt, nachdem der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. eine Progredienz der Polyneuropathie als nicht objektivierbar erachtete. Die Polyneuropathie war weiterhin die einzige festgestellte Behinderung. Der ausdrücklich nicht begründete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2012 zurückgewiesen.
Der Kläger hat hiergegen am 23.01.2012 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die vom Kläger angegebenen Fachärzte schriftlich als sachverständige Zeugen schriftlich gehört und im Zuge des Antrages auf Rente wegen Erwerbsminderung angefallene Unterlagen aus den Akten der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg beigezogen. Neurologe und Psychiater Dr. H. hat angegeben, den Kläger zuletzt am 29.06.2010 untersucht zu haben. Damals habe er eine taktile Hypästhesie in der distalen Unterschenkelhälfte und an beiden Füßen, ein reduziertes Vibrationsempfinden im Bereich der Malleolen bds. auf 5/8 der Stimmgabelmarke, Erkennen von Zahlenschrift auf dem Fußrücken nicht möglich, im Beckengürtelbereich und an den unteren Extremitäten keine isolierten Muskelatrophien und keine Paresen, Zehen- und Fersengang möglich, Gang leicht ataktisch, Muskeleigenreflexe der oberen und unteren Extremitäten seitengleich schwach lebhaft auslösbar, Babinski bds. negativ, keine Ausfallerscheinungen im Bereich der Hirnnerven befundet. Neurografisch sei die motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus (N) peronaeus rechts mit 37 m/sec und links mit 39 m/sec verlangsamt, gegenüber früheren Untersuchungen sei jedoch keine Progredienz erkennbar. Dr. H. hat die Diagnosen chronische sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten, symptomatisches Restless-legs-Syndrom; unveränderte Schmerzmedikation Tilidin 150 1-0-1, Lyrica 150 1-0-1 und Levopar 125 0-0-1 gestellt (Arztbrief vom 30.06.2010, Bl 11 SG-Akte). Bei vorangegangenen Untersuchungen hat Dr. H. chronische sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten, Verdacht auf symptomatisches Restless-legs-Syndrom diagnostiziert eine leichte Minderung der oberflächlichen Berührungsempfindung an beiden Beinen distal der Knie mit herabgesetzter Spitz-Stumpf-Diskrimination, aber unvermindertem Vibrationsempfinden im Bereich der Malleolen, symmetrisch abgeschwächte Achillessehnenreflexe, bds. eingeschränktes monopedales Hüpfen befundet. Ein Therapieversuch mit Levopar 100 sei angeraten (Arztbrief vom 05.02.2009, Bl 47 SG-Akte); 2008 hat er die Diagnose sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten ungeklärter Ätiologie mit leichter Progredienz gestellt und eine leichte sensible Hyp- und Parästhesie in der Fußsohle und im Bereich der Zehen, etwas unsicheres Erkennen von Zahlenschrift auf dem Fußrücken, nur leichte Minderung des Vibrationsempfindens im Bereich der Malleolen auf 6/8 der Stimmgabelmarke, Patellar- und Achillessehnenreflex symmetrisch abgeschwächt, Lasegue bds. negativ befundet. Neurografisch sei die Nervenleitgeschwindigkeit des N. peronaeus rechts wie links mit jeweils 35 m/sec verlangsamt, bei der nadelelektromyographischen Untersuchung am 28.09.2007 habe sich in der Unterschenkelmuskulatur und der kleinen Fußmuskulatur kein Hinweis auf eine peripher-neurogene Schädigung ergeben (Arztbrief vom 19.05.2008, Bl 51 SG-Akte). 2007 hat Dr. H. über vom Kläger angegebene Schmerzen seit längerer Zeit in beiden Füßen mit Ausstrahlung bis unterhalb der Kniekehlen, stechend, mit Schwellungsgefühl in den Füßen, daneben Kribbeln und Ameisenlaufen berichtet. Der Achillessehnenreflex sei im Vergleich zum übrigen Reflexniveau symmetrisch abgeschwächt, keine eindeutigen Sensibilitätsstörungen, oberflächliche Berührungsempfindung nicht herabgesetzt. Vibrations¬empfinden nicht gemindert, Erkennen der Zahlenschrift auf dem Fußrücken ungestört, Zehen- und Fersengang möglich, monopedales Hüfen erschwert. Die motorische Nervenleit¬geschwindigkeit des N. peronaeus sei bds. verlangsamt, links 38 m/sec, rechts 37 m/sec (Arztbrief vom 01.10.2007, Bl 58 SG-Akte). Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. hat in seiner Auskunft vom 01.04.2012 über die durchgehende Behandlung seit 01/2008 berichtet, die Beschwerden seien nach Schilderung des Klägers progredient bei Verschlechterung der Schmerzsymptomatik und sehr eingeschränkter Belastungsfähigkeit, er beurteile dies mit einem GdB von 50.
Im Gutachten für die Rentenversicherung hat Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. am 21.02.2011 die Diagnosen sensomotorische symmetrische Polyneuropathie, am ehesten äthyltoxischer Genese, beginnend degeneratives Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom, gut eingestelltes Restless-legs-Syndrom gestellt. Motorisch bestünden keine Paresen im Bereich der Extremitäten, Gang und Stand seien frei, es bestehe keine Muskelatrophie; Tonus und Tropik seien unauffällig, die grobe Kraft ungestört, in den Vorhalteversuchen bestehe keine Absinktendenz, der Achillessehnenreflex sei bds. nicht auslösbar, sonstige Reflexe seien seiten-gleich mittellebhaft auslösbar, der Strichgang sei etwas unsicher, sonstige Koordinations-prüfungen unauffällig, Zeigeversuche zielsicher, Eudiadochokinese, Hypästhesie und Hypalgesie im Fußbereich bds. symmetrisch, Vibrationsempfinden bds. an den Malleolen auf 5/8 reduziert. Im psychiatrischen Befund habe kein Hinweis auf ein kognitives Defizit bestanden, keine psychomotorische Verlangsamung, keine Tagesmüdigkeit. Die somatosensibel evozierbaren Potentiale (SEP) ergaben eine fehlende Reproduzierbarkeit der L 5- und S 1-Antwort, die Elektromyographie (EMG) eine distale Latenz des N. medianus links motorisch 3,9 Millisekunden (ms), rechts 4,3 ms. Bei der Psychometrie habe der Aufmerksamkeits-belastungstest d2 bei fehlender Mitarbeit eine Verlangsamung bei normaler Fehlerhaftigkeit, der Zahlenverbindungstest (ZVT) einen unauffälligen Befund ergeben. Im Ergebnis fand die Gutachterin den Kläger vollschichtig leistungsfähig für sämtliche mittelschweren und zeitweilig schweren Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Nachtarbeit, ohne Absturzgefahr, auch für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arbeiter in einer Zahnradfabrik.
Die Entlassungsdiagnosen des Reha-Entlassungsberichts der S.-Klinik B. vom 22.12.2009 (Bl 39/46 SG-Akte) sind ebenfalls symmetrische, primär axonale sensomotorische Polyneuropathie mit Verdacht auf äthyltoxische Genese und Restless-legs-Syndrom bei Polyneuropathie gewesen. Es fänden sich distal betonte Gefühlsstörungen an beiden Beinen und eine dadurch bedingte Gangunsicherheit, vom Kläger würden Schmerzen angegeben. Die Patellarsehnenreflexe seien bds. abgeschwächt, es bestehe eine leichte Minderung des Berührungsempfindens an den Beinen distal, das Vibrationsempfinden über den Malleolen 4/8, im Arm- und Beinhalteversuch bestehe keine Absinktendenz, der Kläger weise ein gut ausgeprägtes Muskelrelief und gute Kraftentwicklung auf. Der Arztbrief der Universitäts- und Rehabilitationskliniken U. (RKU), Neurologische Klinik, vom 28.10.2008 berichtet, der Kläger habe sich mit seit mehreren Jahren bestehenden schmerzhaften Missempfindungen beider Füße, mittlerweile rückseitig aufsteigend bis in die Kniekehle, vorgestellt sowie gelegentlichen Kalt-/ Heißmissempfindungen der Hände, häufig bei Kontakt mit Wasser. Der elektrophysiologische Befund ergebe eine ausgeprägte symmetrische, primär axonale sensomotorische Polyneuropathie stechend-ziehend mit intermittierendem Taubheitsgefühl. Die Oberflächensensibilität sei distal stark eingeschränkt, "stumme Sohle" ab dem Oberschenkel normal, Pallästhesie, Processus styloideus radii (Griffelfortsatz der Speiche) bds. 6/8, Patella 6/8, Malleolus lat. bds. 5/8, Großzehe 0/8. Der Romberg-Stehversuch sei ohne gerichtete oder ungerichtete Fall- oder Drehtendenz, Zehengang und Stehen bei geschlossenen Augen leicht unsicher, im Reflex- und Stellversuch leichter Ausfallschritt nach rechts nötig. Lyrica wurde auf tgl. 600 mg erhöht. Der Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik Ü. vom 14.01.2008 (Bl. 53/57 SG-Akte) hat die Diagnosen inkomplettes metabolisches Syndrom, sensible periphere Polyneuropathie, psychophysische Erschöpfung. Schmerzen in den Unterschenkeln und Füßen habe er zunehmend seit zehn Jahren, ständig, belastungsunabhängig gestellt. Das Feingefühl in den Fingern sei herabgesetzt. Des Weiteren leide er unter Konzentrationsmangel, Ruhelosigkeit, rascher Ermüdbarkeit. Neurologisch seien der Achillessehnenreflex bds. nicht, die anderen Muskeleigenreflexe schwach auslösbar, Lasegue negativ, keine fassbaren sensomotorischen Defizite, Zehenstand und -gang sowie Großzehenhebung und -senkung bds. kraftvoll. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS ergab keine relevanten Auffälligkeiten (Arztbrief Dr. S. vom 03.08.2010, Bl 84 SG-Akte). Die Neurologin Dr. B. hat bei Untersuchung am 26.08.2010 im Vergleich zum Vorbefund vom Juli 2008 keine wesentliche Verschlechterung der leichten sensomotorischen Polyneuropathie der Beine mit Burning-feet-Syndrom gefunden. Bei der neurologischen Untersuchung seien die Eigenreflexe an den Beinen nicht auslösbar, die Sensibilität für Schmerz- und Berührungsreize an den Füßen bis zur Mitte der Unterschenkel werde als hypästhetisch angegeben, das Vibrationsempfinden an den Zehen sei auf 4/8 der Stimmgabelmarke herabgesetzt, Atrophien und Paresen lägen nicht vor. Die sensible Nervenleitgeschwindigkeit des N suralis sei rechts mit 41, links mit 43 m/sec leicht pathologisch verlängert, ebenso die motorische bds. mit 33 m/sec.
Der Beklagte hat hierzu versorgungsärztlich Stellung genommen. Die hausärztlich vermerkte Verschlechterung der Schmerzsymptomatik ergebe keine neue nervenärztliche Diagnostik. Das gut eingestellte Restless-legs-Syndrom begründe keinen GdB von 10, ein solcher wirke aber ohnehin nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB.
Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligen mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2012 abgewiesen. Eine wesentliche Verschlimmerung der Polyneuropathie sei nicht nachgewiesen. Diese sei medikamentös gut eingestellt. Die Tagesaktivitäten inklusive Hobbies und Freizeitaktivitäten ließen keine Probleme der Alltagsgestaltung erkennen.
Der Kläger hat am 14.09.2012 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt, mit der er geltend macht, seine Polyneuropathie, die sich eben nicht gut medikamentös einstellen lasse, habe sich so verschlimmert, dass er nachts nicht schlafen könne.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 6. September 2012 und den Bescheid vom 1. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 23. Oktober 2008 abzuändern und bei ihm einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung in Anbetracht der versorgungsärztlichen Stellungnahme aus 2012 für richtig.
Der Senat hat Unterlagen aus dem Rentenklage- und -berufungsverfahren S 9 R 2315/11 und L 13 R 4434/12 sowie neben den bereits genannten das Gutachten Dr. H. vom 15.06.2012 und die Auskünfte der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. W. beigezogen. Dr. H. hat am 15.06.2012 eine weitgehend freie Beweglichkeit der LWS befundet, weiter freie Beweglichkeit der Halswirbel¬säule (HWS), neurologisch nirgends beeinträchtigte grobe Kraft. Hinsichtlich des Reflexstatus sei Chovstek bds. negativ, Bizepssehnenreflex, Radiusperiostreflex und Trizepssehnenreflex seien seitengleich gut auslösbar, Trömner bds. negativ, der Bauchhautreflex in allen drei Etagen seitengleich ausreichend gut zu erhalten, der Patellarsehnenreflex bds. schwach auslösbar, der Achillessehnenreflex bds. nicht zu erhalten, die Pyramidenbahnzeichen Babinski, Oppenheim und Gordon bds. negativ. Hinsichtlich der Koordination seien Finger-Nase-Versuch und Finger-Finger-Versuch bds. zielsicher, Knie-Hacken-Versuch bds. leicht unsicher, es bestehe Eudiadochokinese, kein Tremor, ein negatives Reboundphänomen; hinsichtlich der Sensibilität im Bereich des Stammes und der oberen Extremitäten liege keinerlei Minderung der Gefühlsempfindung für alle Qualitäten vor. Im Bereich der unteren Extremitäten bestehe eine sockenförmig abgrenzbare Hypästhesie links kaudal des proximalen Unterschenkeldrittels, rechts abgeschwächte Berührungs- und Schmerzreize, das Vibrations-empfinden im Bereich der Innenknöchel sei bds. mit 4/8 gemindert. Der Gang sei zunächst nicht neurogen behindert, Fersen- und Fußspitzengang bds. kräftig. Im Romberg-Versuch bestehe kein wesentliches Schwanken und keine Absinktendenz eines Armes beim Vorhalteversuch. Der Unterberger´sche Tretversuch sei etwas breitbeinig und unsicher ohne Drehungstendenz und ohne Fallneigung. Im Strichgang sei der Kläger schon mit offenen Augen unsicher, deutlich verstärkt mit geschlossenen Augen ohne konstante Ausweichtendenz oder Fallneigung nach einer Seite, im Einbeinstand bds. leicht unsicher. Im psychischen Befund bestehe kein Nachweis einer tiefergehenden depressiven Verstimmung. Das EMG mit Nervenleitgeschwindigkeit habe eine verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit für den rechten und linken N. peronaeus mit 30 und 37 m/s gezeigt. Die sensible Nervenleitgeschwindigkeit sei mit 32 und 36 m/s ebenfalls verlangsamt, sehr niedrige Antwortpotentiale. Die sensomotorisch evozierten Potentiale ergäben eine Latenz N-35 rechts und links mit 37,2 und 34,2 ms und damit im Normbereich. Die Latenz P 40 mit 44,8 und 39,4 ms sei ebenfalls noch im Normbereich. Der Kläger beklage zunehmend schmerzhafte Missempfindungen in den Füßen, mittlerweile bis zu den Knien, verstärkt nach längerem Sitzen, Kreuzschmerzen beim Aufstehen aus dem Sitzen, keine sonstigen wesentlichen Beschwerden. Er werde hausärztlich mit Lyrica und dem Analgetikum Palexia, Levopar wegen des Restless-legs-Syndroms und Doxepin behandelt, die letzte Untersuchung beim Nervenarzt sei vor 1 ½ Jahren gewesen. Dr. H. hat die Diagnosen einer überwiegend sensiblen Polyneuropathie beider Beine mit chronischem Schmerzsyndrom und symptomatischem Restless-legs-Syndrom gestellt.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 27.02.2013 der Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Umweltmedizin und Verkehrsmedizin Dr. L. mit der Erstattung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt worden. Dieser hat bereits im Juni 2013 ein Gutachten im Berufungsverfahren L 13 R 4434/12 erstellt (Bl 71/95 Senatsakte), das er vorgelegt hat. Darin hat er angegeben, von den Vorbefunden und Vorgutachten nicht wesentlich abzuweichen. Allenfalls sei eine in letzter Zeit aufgetretene erschöpfungsdepressive Verstimmung aufgetreten, das Karpaltunnelsyndrom habe sich parallel zur progredienten Polyneuropathie entwickelt. Er hat sein Gutachten vom 27.07.2013 (Bl 60/70 Senatsakte) erstellt und am 23.11.2013 zu den Einwendungen des Beklagten ergänzend Stellung genommen (Bl 111/114 Senatsakte). Der Kläger arbeite nach wie vor als Arbeiter einer Zahnradfabrik vollschichtig im Drei-Schicht-Betrieb und sei nicht krankgeschrieben. Bis heute bestehe trotz der nervenärztlichen Gesundheitsstörungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen für diese Tätigkeit. Langfristig seien wegen der weiteren Progredienz der Polyneuropathie und des Karpaltunnelsyndroms Abstriche zu erwarten. Er sei zuletzt vor einer Woche beim Nervenarzt gewesen. Er nehme morgens, mittags und abends Gabapentin 400 ein, Palexia 100 morgens und abends, Levodopa 100 am Abend, zusätzlich 100 mg Trazodon am Abend, 50 mg Doxepin am Mittag. Der Kläger gebe an, gegenüber der Untersuchung im Mai 2013 (für das Rentengutachten) sei die Situation unverändert. Er leide unter zunehmenden Kreuzschmerzen; Missempfindungen und Schmerzen an den unteren Extremitäten hätten in den letzten Monaten dazu geführt, dass bei Belastung, beim längeren Gehen und Stehen die Wirbelsäulen-beschwerden, vornehmlich der LWS stärker ausgeprägt seien. Es komme dann zu ausstrahlenden Beschwerden in die Beine. Daneben lägen die bekannten Schmerzen im Bereich der Kniegelenke und Schmerzen an den Sprunggelenken vor. Unverändert bestehe ein brennendes Missempfinden an beiden unteren Extremitäten, betont im Bereich der Fußsohlen, zwischenzeitlich auch an den Händen, an den Fingerspitzen. Feinmotorische Tätigkeiten seien nur noch mit Mühe oder gar nicht mehr möglich (in erster Linie der Modellbau, den der Kläger lange Jahre als Hobby betrieben habe), ein nächtliches und frühmorgendliches Missempfinden an den Händen sei durch Schütteln und Bewegen der Hände zu lindern. Er habe Probleme mit ruhelosen Beinen, ein ständiges Ziehen und Spannen in Ruhe, den ständigen Zwang, die Beine zu bewegen, zu reiben oder kalt zu duschen bzw. umherzulaufen. Der Sachverständige hat eine verspannte paravertebrale Muskulatur, schwerpunktmäßig im Bereich der LWS mit positiver Kibler-Falte, trophischen Störungen an den unteren Extremitäten, eine Verschmächtigung der Wadenmuskulatur und der Fußmuskulatur bds. befundet. Das Stehen und Gehen sei weiter-gehend frei, die Haut trocken, motorisch sei eine kraniokaudale Reflexabschwächung zu bestätigen, der Achillessehnenreflex sei bds. ausgefallen, ohne weitere Paresen. Sensibel reproduzierbar sei eine Hypästhesie und Hypalgesie, teilweise hyperästhetische Zonen, strumpf- und handschuhförmig an den oberen und unteren Extremitäten mit Betonung einer Gefühlsstörung im Medianusgebiet bds., beim rechtshändigen Kläger rechtsbetont. Das Vibrations- und Lageempfinden sei distal weiterhin auf 4/8 reproduzierbar herabgemindert. Unter den erschwerten Gangproben, beim Stehen und Gehen unter Ausschluss optischer Kontrolle sei der Kläger extrem unsicher. Die Elektromyographie der L 5- und S 1-versorgten, peroneal- und tibialversorgten Unterschenkel- und Fußmuskulatur habe vermehrt polyphasische Potentiale mit Schwerpunkt im Bereich der kleinen Fußmuskulatur als Korrelat einer chronischen neurogenen axonalen Schädigung ergeben. Frische Denervierungszeichen, Fibrillationen oder positive Wellen lägen nicht vor. Die motorische Leitgeschwindigkeit des N. peronaeus links sei mit 36 m/s im pathologischen Bereich. Das Peronaeus-SEP habe bds. einen Hinweis auf Läsion aufsteigender Bahnen bzw. auf eine PNP nachgewiesen. Das Tibialis-SEP habe einen Hinweis auf eine Läsion aufsteigender Bahnen sowie verzögerte Amplituden und Latenzen ergeben. In Zusammenschau mit den Vorbefunden zeige sich die Nervenleit¬geschwindigkeit über Jahre gemessen, kontinuierlich pathologisch, fraglich progredient (unter¬schiedliche Messungen könnten durch Temperaturunterschiede entstehen).
Das Medianus-SEP habe bei Segmentreizung des Hauptstammes des N. Medianus in Höhe des Handgelenks bds. keine Läsion aufsteigender Bahnen nachgewiesen, Amplituden und Latenzen seien im Normbereich. Das Ulnaris-SEP bei Segmentreizung des Hauptstammes des N. ulnaris weise keine Läsion aufsteigender Bahnen nach, Amplituden und Latenzen lägen im Normbereich. Bei Beurteilung von Tonus, Tropik und Mobilität sei eine verspannte paravertebrale Muskulatur, schwerpunktmäßig im Bereich der LWS festzustellen. Stehen und Gehen seien frei, die Handbeschwielung seitengleich, allenfalls zeige sich eine leicht distal betonte trophische Störung an den unteren Extremitäten, eine Verschmächtigung vornehmlich der Fußmuskulatur. Paresen lägen nicht vor.
Im psychiatrischen Befund bestünden eine Hemmung im formalen Denken und Durchschlafstörungen im Sinne einer depressiven Erschöpfung. Die Stimmung sei depressiv herabgemindert, der Kläger sei affektiv reduziert schwingungsfähig, psychomotorisch anhaltend gebunden. Das Beck-Depressions-Inventar zeige eine minimale Depression (9 von 63 Punkten). Auf der Zung-Depressionsskala liege der Kläger mit 44 Punkten, entsprechend einem SDS-Index von 0,45 nicht im depressiven Bereich. Auf der v. Zerssen-Skala (Beschwerden-, Befindlichkeitsliste) liege er im Bereich einer Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden, auf der Befindlichkeitsliste mit 20 Punkten im Bereich einer subdepressiven, bedrückten Stimmung (17 - 26 Punkte). Er sei in den letzten drei Jahren zermürbt, ausgehöhlt, erschöpft, könne nicht mehr richtig durchschlafen. Er sei blockiert, lustlos, freudlos, selbst das Modell¬bauen mit seiner Familie sei nicht mehr befriedigend.
Für das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom, gekennzeichnet durch eine verspannte paravertebrale Muskulatur mit belastungsabhängigen ausstrahlenden Beschwerden, jedoch ohne anhaltende Reizerscheinungen einzelner Nervenwurzeln, sei ein GdB von 20 zu vergeben. Bei der Polyneuropathie handele es sich um ein schweres polyneuropathisches Syndrom mit Störungen des Gleichgewichts auf unebenem Gelände oder bei Einschränkung der optischen Kontrolle sowie schmerzhaften Reizerscheinungen und trophischen Veränderungen, einer Verschmächtigung der Unterschenkel- und Fußmuskulatur und trockener Haut. Die Funktionsbeeinträchtigungen ergäben sich aufgrund motorischer Ausfälle mit Muskelatrophien, sensibler Störungen oder einer Kombination von beidem. Der GdB motorischer Ausfälle sei in Analogien zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen sei zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen, z.B. bei Feinbewegungen, führen könnten. Ein kompletter Ausfall des N. ischiadicus wäre mit einem GdB von 50 zu beurteilen, des N. peronaeus communis oder profundis mit 30, des N. tibialis ebenfalls mit 30. Berücksichtige man nicht nur Atrophie und Schwäche, sondern auch die schmerzhaften sensiblen Reizerscheinungen, die die Lebens- und Gestaltungsfähigkeit erheblich beeinträchtigten, sei vor dem Hintergrund eines schweren und schmerzhaften neuropathischen Geschehens (selbst die hochwirksame Behandlung der neuropathischen Schmerzen mit Gabapentin sei nicht ausreichend) ein GdB von 40 gerechtfertigt. Das Karpaltunnelsyndrom bestehe weitergehend und schränke die Gebrauchsfähigkeit der Hände ein. Mit Sicherheit sei die Polyneuropathie eine Teilursache. Ein GdB von 20 sei gerechtfertigt, wobei Überlagerungen mit den neuropathischen Missempfindungen bestünden. Bei den ruhelosen Beinen sei die Polyneuropathie ebenfalls eine Teilursache. Das ständige Gefühl, die Beine bewegen zu müssen und der dadurch beeinträchtigte Nachtschlaf müssten gesondert beurteilt werden, zumal hier auch eine subdepressive Verstimmung bestehe. Durchschlafstörungen, Wachliegen, ein tagsüber auffälliges Gefühl der Mattigkeit und Abgeschlagenheit seien die Folge. Der GdB für die ruhelosen Beine unter Einschluss einer leichten erschöpfungsdepressiven Verstimmung sei mit einem GdB von 20 zu beurteilen. In der Gesamtschau sei, da sich die Beschwerden in ungünstiger Weise gegenseitig beeinflussten, ein Gesamt-GdB von 60 (niedrig bewertet) anzunehmen.
Der Beklagte hat zu dem Gutachten die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. W. vom 29.10.2013 vorgelegt (21.08.2013, Bl 103/104 Senatsakte). Ein GdB von 40 für die Polyneuropathie könne nicht begründet werden, weil nach dem Gutachten keine Paresen bestünden, Stehen und Gehen weitgehend frei seien. Die beschriebene Unsicherheit bei den erschwerten Gangproben unter Ausschluss der optischen Kontrolle sei ein mitarbeitsabhängiger Befund. Der angegebene GdB von 20 für die Wirbelsäule entspreche mittelgradigen Funktionseinschränkungen in einem Abschnitt. Im Gutachten Dr. H. vom 15.06.2012 werde die Wirbelsäule als völlig frei beweglich angegeben. Hier ergebe sich kein GdB von wenigstens 10. Der angegebene GdB von 20 für das Karpaltunnelsyndrom könne nicht nachvollzogen werden. Auch hier bestünden keine Paresen, allenfalls sensible Störungen, für die keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung feststellbar sei. Hinsichtlich des Restless-legs-Syndrom habe Dr. H. ausgeführt, dies gehe im Beschwerdekomplex der Polyneuropathie auf. Die Befunde des Dr. L. brächten keine objektiven Gesichtspunkte, von dieser Bewertung abzuweichen. Jedenfalls sei der angegebene GdB von 20 nicht nachzuvollziehen. Für die von Dr. L. angegebene leichte depressive Verstimmung lasse sich ebenfalls keine den Gesamt-GdB beeinflussende Funktionseinschränkung nachweisen. Dr. H. habe psychisch keinen Befund von Krankheitswert festgestellt. An der bisherigen Beurteilung sei daher festzuhalten.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Senatsakte, die SG-Akten und den Verwaltungs-vorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen statthafte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Beklagte hat zu Recht die Neufeststellung eines höheren GdB als den mit dem bindenden Bescheid vom 23.10.2008 festgestellten Gesamt-GdB von 30 abgelehnt.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hier der Bescheid vom 23.10.2008 - für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen ist. Die Änderung muss sich mithin nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Wesentlich ist eine Änderung im Hinblick auf die Feststellung des GdB dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Dagegen ergibt sich aus der Änderung oder dem Hinzutreten weiterer Behinderungen allein keine wesentliche Änderung des ursprünglichen Bescheids. Denn weder die einzelnen Behinderungen noch die hierfür angesetzten Teil-GdB-Sätze gehören zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides und erwachsen daher nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50). Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Das Vorliegen einer oder mehrerer neuer Behinderungen begründet einen Anspruch auf Abänderung des ursprünglichen Bescheids daher nur dann, wenn sich hieraus eine Erhöhung des Gesamt-GdB ergibt. Maßgeblich für die Prüfung einer wesentlichen Änderung ist der letzte Feststellungsbescheid, hier der Bescheid vom 23.10.2008, mit dem festgestellt worden ist, dass ab 16.09.2008 der GdB 30 beträgt.
Ausgehend hiervon hat das SG zu Recht festgestellt, dass keine Änderung hinsichtlich des GdB seit dem Antrag auf Neufeststellung am 04.10.2011 eingetreten ist. Denn die Feststellung eines über 30 hinaus gehenden GdB lässt sich weiterhin nicht begründen.
Der Anspruch des Klägers auf Feststellung des GdB richtet sich nach § 69 Abs. 1, 3 und 4 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 01.01.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412) erlassen und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird wie zuvor in den AHP der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e; so auch BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 6/06 R - juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeein-trächtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktions-beeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (vgl. Teil A Nr. 7 a Satz 1 der VG). Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern unter Beachtung der VG auf Grund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (BSG, Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeein-trächtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind (st. Rspr., vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris). Bei dem auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- bzw. Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesell¬schaftlichem Gebiet zu berücksichtigen.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers keinen höheren GdB als 30 rechtfertigen. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens und der Ermittlungen im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des SG nicht die Anhebung des GdB auf über 30 gerechtfertigt.
Beim Kläger liegt nach allen vorliegenden Befunden eine Polyneuropathie unklarer Ätiologie vor. Bei den Polyneuropathien ergeben sich nach VG, Teil B, Nr. 3.11 die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle (mit Muskelatrophien), sensibler Störungen oder der Kombination von beidem. Der GdB motorischer Ausfälle ist in Analogie zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen ist zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen - z.B. bei Feinbe¬wegungen - führen können. Beim Kläger ist nach den übereinstimmenden Bekundungen der Fachärzte der N. peronaeus beeinträchtigt, Dr. L. hat darüber hinaus den N. tibialis beeinträchtigt gefunden, obwohl er ebenso wie alle Vorgutachter noch eine Hyperästhesie und Hyperalgesie reproduzieren konnte. Eine Lähmung des N. peronaeus (untere Ischiadikus¬schädigung) führt zu Lähmung von Fuß- und Zehenheber, Hängefuß, am Boden schleppender Fußspitze, sog. Steppergang (Knie muss beim Gehen höher angehoben werden), insgesamt zu einer unangenehmen Gangstörung. Die Lähmung des N. tibialis (Schienbeinnerv) begründet eine Lähmung der Fuß- und Zehenflexoren sowie die Aufhebung der Sensibilität der Fußsohlen. Die Lähmung des N. ischiadicus (Hüftnerv) führt zur Fußlähmung, sensibel und motorisch, instabilem Hängefuß, trophischen Störungen am Fuß bei erhaltener Gehfähigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 226).
Beim Kläger liegen brennende Missempfindungen, insbesondere an den Fußsohlen, Hyperästhesie und Hyperalgesie vor. Das Stehen und Gehen ist frei, der Achillessehnenreflex ist ausgefallen. Es bestehen keine weiteren Paresen. Unter den erschwerten Gangproben, beim Gehen und Stehen unter Ausschluss optischer Kontrolle ist der Kläger extrem unsicher. Dies folgt aus den Gutachten des Dr. L ... Allerdings vermag der Senat dem Sachverständigen nicht zu folgen, soweit dieser im Gutachten vom Juli 2013 über eine Verschmächtigung der Waden- und Fußmuskulatur berichtete. Diese kann jedenfalls nicht erheblich sein, denn im Rentengutachten vom Vormonat bestand nach den Ausführungen desselben Sachverständigen allenfalls eine leichte distal betonte trophische Störung an den unteren Extremitäten, eine Verschmächtigung vornehmlich der Fußmuskulatur. Eine deutliche Verschmächtigung innerhalb dieses kurzen Zeitraumes ist nicht plausibel und nicht mit dem geschilderten freien Gang und Stand zu vereinbaren. Der Senat vermag der GdB-Bewertung durch Dr. L. nicht zu folgen, dass unter Zugrundelegung des GdB für die komplette Lähmung des N. ischiadicus mit einem GdB von 50, des N. peronaeus und des N. tibialis mit einem GdB von jeweils 30 unter Berücksichtigung der Schmerzen und trophischen Störungen ein GdB von 40 niedrig geschätzt sei. Nach VG, Teil B, Nr. 18.14 ist der komplette Ausfall des N. ischiadicus distal mit einem GdB von 50 zu bewerten, des N. peronaeus communis oder profundus mit 30, des N. tibialis mit 30. Da der distale N. ischiadicus sich in den N. peronaeus und den N. tibialis aufteilt, sind nicht alle drei Werte heranzuziehen. Es ist nur von einem Wert auszugehen, hier von einem GdB von 50 bei kompletter Lähmung des N. ischiadicus distal (Ausfall der Nn. peronaeus communis und tibialis). Eine komplette Lähmung liegt allerdings nicht vor. In Anbetracht der vorliegenden Funktionsstörungen erscheint eine Bewertung mit einem GdB von 30 weiterhin leidensgerecht. Eine Progredienz zwischen 2008 und 2010 lag nach den Befundberichten der behandelnden Fachärzte Dr. H. und Dr. B. nicht vor. Dr. L. stellte in seinem Gutachten 2013 eine Progredienz ebenfalls nicht fest, sondern wies sogar darauf hin, dass die unterschiedlichen Messergebnisse der Nervenleitgeschwindigkeit durch Temperaturunterschiede entstehen könnten.
Das beim Kläger bestehende Restless-legs-Syndrom führt nicht zu einem eigenständigen GdB. Zum einen ist es zum Teil durch die Polyneuropathie verursacht, wie Dr. L. in seinem Gutachten dargelegt hat, zum anderen teilt der Senat die Auffassung von Dr. H., dass das Beschwerdebild, vornehmlich Missempfindungen an den unteren Extremitäten, aufgrund der Überschneidungen in der Polyneuropathie aufgeht. Auch wird eine relevante Tagesmüdigkeit oder psychomotorische Verlangsamung ebenso wenig wie ein kognitives Defizit beschrieben.
Das beginnende Karpaltunnelsyndrom ist nach VG, Teil B, Nr. 18.13 nicht mit einem GdB zu bewerten. Der vollständige Ausfall des N. medianus bewirkt einen Sensibilitätsverlust an den vier radialen Fingern mit schwerer Beeinträchtigung der Handfunktion (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.) und führt bei Ausfall des N. medianus distal zu einem GdB von 30. Der Kläger klagte bei der Untersuchung durch Dr. L. über Pelzigkeit an den Fingerspitzen und Handinnenflächen, was beim Modellbauen lästig und störend sei. Funktionsstörungen bei Alltagsaktivitäten hat er hingegen nicht vorgetragen und ist auch an seiner Tätigkeit als Arbeiter in einer Zahnradfabrik (lt. Gutachten Dr. M., S. 5, mit Bohren, Fräsen, Drehen, Walzen, Maschinen bestücken) nicht gehindert. Die Untersuchung durch Dr. L. hat ein unauffälliges Medianus-SEP ergeben, eine Läsion aufsteigender Bahnen war nicht nachweisbar, Amplituden und Latenzen lagen im Normbereich. Die Handbeschwielung war seitengleich. Damit ist eine GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung nicht erkennbar. Der Bewertung durch Dr. L. in seinem Gutachten mit einem GdB von 20 kann der Senat daher nicht folgen.
Eine GdB-relevante Funktionsbehinderung der Wirbelsäule i. S. der VG, Teil B, Nr. 18.9 liegt ebenfalls nicht vor. Dr. Lang hat in seiner Untersuchung eine verspannte paravertebrale Muskulatur vorgefunden und die geklagten Beschwerden belastungsabhängiger Schmerzen mit Ausstrahlung in die Beine für glaubhaft befunden. Er hat keine anhaltenden Nervenwurzelreizerscheinungen vorgefunden. Seine Bewertung mit einem GdB von 20 im Sinne mittelgradiger funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit häufig rezidivierenden und anhaltenden Bewegungseinschränkungen, mit häufig rezidivierenden, über Tage anhaltenden Wirbelsäulenschmerzen konnte der Senat weder den von Dr. L. berichteten Befunden noch der von ihm wiedergegebenen Beschwerdeschilderung des Klägers entnehmen.
Psychische Störungen von Krankheitswert, die zu einem GdB nach VG, Teil B, Nr. 3.7 führen, konnte der Senat der Beweisaufnahme in beiden Instanzen nicht entnehmen. Die behandelnden Ärzte haben keine entsprechenden Befunde erhoben, Dr. M. und Dr. H. haben in ihren nervenärztlichen Gutachten das Vorliegen psychischer Krankheiten verneint. Der Bewertung durch Dr. L. vermochte der Senat nicht zu folgen. Dr. L. hat eine leichte erschöpfungsdepressive Verstimmung infolge des Restless-legs-Syndroms diagnostiziert. Die dieser Diagnose zugrunde liegenden Befunde, Durchschlafstörungen, Hemmung im formalen Denken, depressive herabgeminderte Stimmung, deutlich reduzierte affektive Schwingungsfähigkeit, psychomotorisch anhaltende Gebundenheit, bestanden nach Angaben des Klägers bereits in den letzten drei Jahren, also seit Mitte 2010. Die nervenärztlichen Begutachtungen 2011 (Dr. M.) und 2012 (Dr. Hausotter) führten jedoch nicht zu entsprechenden Befunden. Die Gutachten von Dr. L. sind insoweit nicht widerspruchsfrei, denn auf der Zung-Depressionsskala erreichte der Kläger eine Punktzahl im nichtdepressiven Bereich, auf der v.Zerssen-Skala einen hohen Punktwert in der Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden, aber in der Befindlichkeitsliste nur einen leicht erhöhten Wert von 20 für eine bedrückte Stimmung (bei 7-16 für ausgeglichene Stimmung, 17-26 bedrückte Stimmung) und das Beck-Depressions-Inventar ergab einen Punktwert von 9 auf einer Skala von 0-63, was einer minimalen Depression entspricht. Danach ist seine Diagnose nicht nachvollziehbar.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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