L 19 R 453/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 987/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 453/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Beschränkung der Rentenversicherungspflicht in § 2 S 1 Nr 8 SGB VI auf Handwerker, die ein eintragungspflichtiges Handwerksgewerbe ausüben.
2. Der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 GG) ist durch die Anordnung einer Pflichtversicherung in § 2 S 1 Nr 8 SGB VI nicht berührt.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.03.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 19.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.07.2008, mit dem eine Beitragspflicht des Klägers als Handwerker nach § 2 Satz 1 Nr. 8 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - ab dem 09.09.2005 festgestellt wurde.

Der 1954 geborene Kläger hat eine Ausbildung als Maurer absolviert und war bei der Beklagten seit 1977 pflichtversichert. Am 27.08.1981 wurde der Kläger in die Handwerksrolle mit dem Maurerhandwerk eingetragen und erhielt eine Handwerkskarte (Einzelbetrieb) nach § 119 Handwerksordnung (HwO). Aus der Handwerksrolle wurde er am 04.11.1991 wieder gelöscht. In der Folgezeit ermittelte die Beklagte wegen unterschiedlicher Eintragungen bzw. Löschungen in der Handwerksrolle mit Unternehmenssitz des Klägers in N-Stadt und A-Stadt. Mit Bescheid vom 15.12.1993 stellte die Beklagte rückwirkend zum 01.05.1984 die Versicherungspflicht als Handwerker fest und erhob die ab 01.01.1989 entstandenen, noch nicht verjährten Beiträge nach. Die offene Beitragsforderung belief sich damals bereits auf 36.094,75 DM, weiterhin wurden laufende Beiträge ab dem 01.12.1993 in Höhe von 649,25 DM monatlich festgestellt.

Hiergegen legte der Kläger am 10.01.1994 bei der Beklagten persönlich Widerspruch ein und legte hierzu die Bibel vor. Er bekenne sich zu Jesus Christus und sein Wort und verwirkliche es (vgl. Matthäus 6, V 24 - 34 + M. 7, V. 24/25). In dem Gesprächsvermerk ist festgehalten, dass der Versicherte auf dieser Formulierung bestanden habe, er wolle im Übrigen überhaupt keine Rentenversicherung. Der Widerspruch des Klägers wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.1994 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 23.05.1994 wies der Kläger darauf hin, dass die Beklagte lediglich rein formal anhand des Handwerkerversicherungsgesetzes über seine Versicherungspflicht entschieden habe. Darum gehe es ihm aber nicht, er berufe sich auf Art. 4 des Grundgesetzes (GG). Er und seine Ehefrau würden sich zum Semitisch-Israelisch-Messianischen Glauben bekennen. Das Handwerkerversicherungsgesetz greife nicht die Bibel auf. Er lebe nach den Worten der Propheten und der Bergpredigt. Er wolle keine Versicherung, habe auch keine Krankenversicherung und verzichte auf staatliche Unterstützungsleistungen, z.B. auf das Kindergeld. Seine bisher angesammelten 100 Monate Pflichtbeitragszeiten sollten an bedürftige LVA-Mitglieder ausbezahlt werden. In der Folgezeit kam es immer wieder zu Schriftwechsel zwischen der Beklagten und dem Kläger, bis schließlich am 24.01.1996 eine "letzte Zahlungsaufforderung" über die offenen Beitragsforderungen von der Beklagten erfolgte. Diese beliefen sich zwischenzeitlich auf 60.013,10 DM. Mit Schreiben vom 28.01.1996 antwortete der Kläger, dass sich die Beklagte seinen Anspruch auf Kindergeld auszahlen lassen könne. Eine eidesstattliche Versicherung gebe er nicht ab, da er aus religiösen Gründen keinen Eid schwören könne. Anschließend von der Beklagten unternommene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen waren erfolglos.

Am 15.09.1997 wurde der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger aus der Handwerksrolle gelöscht worden sei, weil er die Beiträge zur Handwerkskammer nicht mehr habe zahlen wollen. Eine Gewerbeabmeldung sei zum 15.09.1997 erfolgt. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 22.01.1998 das Ende der Versicherungspflicht des Klägers nach § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI mit Ablauf des 14.09.1997 fest und stellte mit Bescheid vom 23.03.1998 nochmals die Beitragsschuld des Klägers für die Zeit von November 1995 bis 14.09.1997 fest. Insgesamt beliefen sich die offenen Beiträge für die Zeit ab dem 01.01.1989 auf 87.949,21 DM. In der Folgezeit von der Beklagten veranlasste Zwangsvollstreckungsmaßnahmen liefen wiederum ins Leere. Ein Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wurde vom Kläger zwar wahrgenommen, ein Schuldnerverzeichnis auch ausgefüllt, ein Eid aber aus religiösen Gründen verweigert. Im August 2000 belief sich die Gesamtschuld schließlich auf 104.716,71 DM. In einem Vermerk vom 28.10.2002 hatte die Beklagte festgehalten, dass sich die Beitragsschuld des Klägers zwischenzeitlich auf 53.540,89 Euro (einschließlich Nebenkosten) belaufe. Die Schuld sei in die Liste "C" eingetragen. Die letzte Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse habe von der A- und B-Stelle nicht durchgeführt werden können, da der Versicherte ein "angespanntes Verhältnis zu Behörden habe". Die Beklagte sandte dem Kläger mit Datum 02.10.2003 eine weitere Zahlungsaufforderung zu, auf die der Kläger am 22.11.2003 nochmals schriftlich reagierte und seine aktuelle Lebens- und Einkommenssituation schilderte.

Am 09.11.2005 erhielt die Beklagte von der Handwerkskammer für Oberfranken die Mitteilung, dass der Kläger erneut in die Handwerksrolle eingetragen worden sei. Auf Nachfrage bei der Verwaltungsgemeinschaft - VG - B-Stadt wurde der Beklagten mitgeteilt, dass dem Kläger am 12.02.1997 eine Reisegewerbekarte mit dem Gewerbe "Feilbieten von und Aufnahme von Bestellungen auf Handwerkzeuge, Anbieten von Maurer- und Verputzarbeiten" vom Landratsamt B-Stadt ausgestellt worden sei.

Mit Schreiben vom 17.10.2007 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Fragebogen zur Beurteilung der Versicherungspflicht und eventueller Beitragszahlungen. Mit Schreiben vom 25.11.2007 teilte der Kläger mit, dass er zwar als einzelner Handwerker arbeite, er habe aber seinem Sohn einen Ausbildungsplatz eingerichtet. Hierzu sei er gezwungen, sich in die Handwerksrolle einzutragen. Er müsse den Lohn des Sohnes praktisch mitverdienen, das Kindergeld sei für den Sohn ab dem 18. Lebensjahr (August 2007) gestrichen worden, da dieser zu viel verdiene. Des Weiteren hätte er Verbindlichkeiten für sein Haus und er habe noch 3 Kinder unter 18 Jahren zu ernähren. Er habe kein Geld übrig um eine Rente zu bezahlen. Wie die Beklagte sicher wisse, habe das Naziregime seinerzeit das Gesetz gemacht und selbstständige Handwerksmeister verpflichtet in die Arbeitnehmerkassen zu zahlen. Es könne nicht sein, dass diese Gesetze heute bestätigt würden. Wenn sein Sohn im Juni 2008 ausgelernt habe, würde er seine Firma bei der Handwerksrolle wieder abmelden.

Nachdem die Beklagte vom Finanzamt B-Stadt eine Auskunft über die Höhe der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit bzw. Gewerbebetrieb für das Jahr 2005 angefordert hatte, stellte sie mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19.12.2007 fest, dass der Kläger ab dem 09.09.2005 aufgrund der Eintragung in die Handwerksrolle der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI unterliege. Außerdem bestehe aus der Veranlagung zur Handwerkerversicherungspflicht für die Zeit vom 01.01.1989 bis 14.09.1997 noch eine Beitragsschuld in Höhe von 53.540,89 Euro (einschließlich Säumniszuschläge und Nebenkosten).

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 14.01.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung wies er darauf hin, dass das Nazigesetz die Existenz seiner Familie bedrohe, da er für seine Frau und 6 Kinder die letzten 25 Jahre ein Haus gebaut habe und dieses abbezahle. Eine Rentenversicherung könne er sich nicht leisten und die Forderung nicht bezahlen. Zum anderen sei im Dezember 2003 auf Druck der Europäischen Union - EU - die Bundesregierung gezwungen worden, Handwerksberufe zur Selbstständigmachung auch ohne Meistertitel freizugeben. Diese Handwerksberufe müssten nun nicht mehr in die Handwerksrolle eingetragen sein und unterlägen damit nicht mehr der Versicherungspflicht in der Arbeitnehmerversicherung. Somit liege ganz klar eine Ungleichbehandlung vor. Für lediglich 41 Handwerksberufe gelte noch der von den Nazis eingeführte Versicherungszwang wegen Eintragung in die Handwerksrolle. Er lehne hiermit die Zwangsversicherung in die Arbeitnehmerrentenversicherung ab.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2008 als unbegründet zurück. Der Kläger sei nach § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI versicherungspflichtig. Diese Versicherungspflicht gelte ab dem 01.01.2004 zwar nur für zulassungspflichtige Handwerker wie den Kläger. Dies sei aber verfassungsgemäß (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 26.06.2007, Az: 1 BvR 2204/00 und 1 BvR 1355/03).

Die hiergegen am 18.08.2008 zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobene Klage, die wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 15.09.2008 an das SG Bayreuth verwiesen wurde, wurde nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 29.03.2011 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI eindeutig sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen seien erfüllt. Hierüber werde nicht gestritten. Der Kläger halte die Regelung für verfassungswidrig. Dies sei jedoch nicht der Fall. Das LSG Baden Württemberg habe in seinem Urteil vom 11.06.2008 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG festgestellt, dass die Regelung des § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI nicht gegen Verfassungsrecht verstoße (Az: L 7 R 1989/07). Im Einzelnen habe das Gericht ausgeführt, dass die Regelung nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verstoße und auch Art. 12 GG und Art. 3 GG nicht tangiert seien. Nämlich bestehe für Inhaber von Handwerksbetrieben ein besonderes Schutzbedürfnis, welches sich daraus ergebe, dass ihre selbstständige Tätigkeit typischerweise auf dem Einsatz der eigenen Arbeitskraft beruhe. Dies stelle ein von hinreichenden sachlichen Erwägungen getragenes Differenzierungskriterium im Verhältnis zu anderen selbstständigen Berufsgruppen dar, für die keine Versicherungspflicht normiert sei. Im Hinblick auf die vom Kläger vorgetragene historisch-politische Argumentationslinie sei auszuführen, dass eine ganze Reihe von Gesetzen auf Gesetzgebungsakten aus der Zeit von 1933 bis 1945 beruhten und noch immer in Kraft seien, wenn nicht sogar breite Zustimmung erfahren würden. Zum Beispiel beruhe der 1. Mai als Feiertag auf dem Gesetz über die Einführung eines Feiertages der nationalen Arbeit vom 10.04.1933. Diese Fortgeltung beruhe auf Art. 123 Abs. 1 GG.

Zur Begründung der hiergegen am 29.04.2011 zur Niederschrift des SG Bayreuth eingelegten Berufung, die am 09.05.2011 an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet wurde, wiederholt der Kläger im Wesentlichen die Begründung aus dem Widerspruchsverfahren. Eine Anfrage des Senats wegen einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG wurde vom Kläger nicht beantwortet.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.03.2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.03.2011 zurückzuweisen.

Mit Bescheid vom 29.08.2008 hatte die Beklagte das Ende der Versicherungspflicht mit Ablauf des 30.06.2008 festgestellt, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt aus der Handwerksrolle wieder gelöscht worden war. Die Beitragsschuld für den kompletten Zeitraum vom 09.09.2005 bis 30.06.2008 ist auf 8.154,53 Euro beziffert.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2008 für rechtmäßig erachtet.

Gemäß § 2 S 1 Nr. 8 SGB VI (in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung) sind versicherungspflichtig selbständig tätige Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, wobei Handwerksbetriebe im Sinne der §§ 2 und 3 der Handwerksordnung sowie Betriebsfortführungen aufgrund von § 4 der Handwerksordnung außer Betracht bleiben; ist eine Personengesellschaft in die Handwerksordnung eingetragen, gilt als Gewerbetreibender, wer als Gesellschafter in seiner Person die Voraussetzungen für die Eintragung in der Handwerksrolle erfüllt.

Der Kläger ist ausgebildeter Maurermeister und hat nach den vorliegenden Eintragungen in der Handwerksrolle ab dem 09.09.2005 wieder ein eintragungspflichtiges Handwerk als Maurer und Stukkateur ausgeübt. Dieses Handwerk ist nach der Neuregelung der Handwerksordnung zum 01.01.2004 (BGBl I, 2003, 2945 - 2946) ein in der Anlage A zur Handwerksordnung genanntes zulassungspflichtiges Handwerk, das in die Handwerksrolle einzutragen ist. Der Kläger hat das Handwerk auch tatsächlich ausgeübt, so dass die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht nach dem Wortlaut des § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI gegeben sind. Der Kläger hat dieses Gewerbe erst zum 30.06.2008 wieder abgemeldet, so dass er zu diesem Zeitpunkt wieder aus der Handwerksrolle gelöscht wurde. Gleichzeitig endete auch die Versicherungspflicht nach § 2 S 1 Nr. 8 SGB VI, was die Beklagte mit Bescheid vom 29.08.2008 auch festgestellt hatte. Gemäß § 169 Nr. 1 SGB VI hat der Kläger als selbständig tätiger Handwerksmeister seine Beiträge auch selbst in der festgesetzten Höhe zu tragen. Für den hier streitigen Zeitraum vom 09.09.2005 bis 30.06.2008 sind Beiträge in Höhe von 8.154,53 EUR angefallen, die der Kläger noch nicht entrichtet hat.

Die nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vorgesehene Befreiungsmöglichkeit für Handwerksbetriebe kommt für den Kläger für den hier streitigen Zeitraum nicht in Betracht, da er offensichtlich noch nicht 18 Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt hat. Die Befreiungsmöglichkeit knüpft an die tatsächliche Entrichtung der Beiträge an (Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl. 2013, § 6 Rdnr. 65). Der Kläger hat für die gesamte Zeit von 1989 bis September 1997 tatsächlich keinerlei Beiträge entrichtet. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Beklagten waren ins Leere gelaufen. Die Aufnahme der offenen Beitragsforderung in das sog. Verzeichnis "C" bedeutet noch keine Niederschlagung der Forderung, sondern das weitere Bestehen der Forderung, deren Beitreibung wegen gegenwärtig bestehender fehlender Erfolgsaussichten nicht betrieben wird.

Die Vorschrift des § 2 S 1 Nr. 8 SGB VI in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung ist auch nicht verfassungswidrig. Der Kläger kann sich weder auf eine Verletzung der Art. 14, 12, 2, 3 GG noch auf eine Verletzung seiner durch Art. 4 GG geschützten Religionsfreiheit berufen.

Das SG hat bereits zutreffend auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Baden Württemberg vom 11.06.2008 (Az: L 7 R 1989/07) verwiesen. Das Gericht hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG festgestellt, dass die Anordnung einer Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie die Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen für bestimmte Gruppen von Selbstständigen nicht verfassungswidrig ist. Der Gesetzgeber sehe in bestimmten Gruppen von Selbständigen eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit wie für abhängig Beschäftigte, die aufgrund ihrer persönlichen (und meist auch wirtschaftlichen) Abhängigkeit von einem Dritten (idR Arbeitgeber) dem besonderen Schutz der Sozialversicherung allgemein, und damit aber auch dem besonderen Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung zur Vermeidung erheblicher Notlagen bei Erwerbsminderung, Alter oder Tod unterstellt wurden. Die besondere Schutzbedürftigkeit der Inhaber von Handwerksbetrieben folge daraus, dass ihre selbstständige Tätigkeit typischerweise auf dem Einsatz der eigenen Arbeitskraft beruhe. Dies stelle ein von hinreichenden sachlichen Erwägungen getragenes Differenzierungskriterium im Verhältnis zu anderen selbstständigen Berufsgruppen dar, für die keine Versicherungspflicht normiert sei. Die Eintragung in die Handwerksrolle stelle dabei ein geeignetes - typisierendes - Abgrenzungskriterium dar (LSG Baden Württemberg, aaO, Rdnr. 38 - 40, veröffentlicht bei juris).

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in einer Entscheidung vom 05.07.2006 grundlegend ausgeführt, dass die Anordnung von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich verfassungsgemäß ist (Urteil vom 05.07.2006, Az: B 12 KR 20/04 R, veröffentlicht bei juris; die hiergegen eingelegte Beschwerde zum BVerfG wurde mit Beschluss vom 05.01.2010 nicht zur Entscheidung angenommen, Az: 1 BvR 3039/06, veröffentlicht bei juris). Auf die Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 05.07.2006 wird ausdrücklich Bezug genommen. Das BSG hat dabei entscheidend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber im sozial- und gesellschaftspolitischen Bereich einen weiten Raum zur freien Gestaltung habe. Wenn sich dort eine Zielsetzung nur unter Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit erreichen lasse, habe der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Anforderungen einer sozialstaatlichen Ordnung zu lösen (BVerfG vom 25.02.1960, 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354, 370 f). Bei der Bestimmung des Versichertenkreises der Sozialversicherung liege es im Blick hierauf in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Versichertenkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich sei (unter Bezugnahme auf einen Beschluss des BVerfG vom 09.02.1977, BVerfGE 44, 70, 90). Auch hinsichtlich der Bestimmung des Kreises der Versicherungspflichtigen sei es dem Gesetzgeber überlassen, diejenigen Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen seien, um sie gleich zu regeln (Beschluss des BVerfG vom 09.02.1977, aaO). Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung seien entweder unter gesetzlicher Begrenzung ihres Grundrechts auf Vorsorgefreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nach Maßgabe ihrer jeweils typisierend unterstellten Schutzbedürftigkeit zwangsweise in das System einbezogen oder erhielten im Rahmen des Gesetzes aufgrund einer - ebenfalls typisierend - vergleichbaren Situation die Möglichkeit, nach Maßgabe eigener Entscheidung, innerhalb des Systems u.a. für den Fall des Alters vorzusorgen. Die Einbeziehung sei in beiden Fällen seit jeher durch die Bedingungen von Erwerbstätigkeit in Zeiten der industriellen Produktion und einer arbeitsteiligen Wirtschaft und des Angewiesenseins auf laufendes Erwerbseinkommen zur Sicherung des Lebensunterhalts geprägt. Sie solle den Ausgleich für den Entfall von Erwerbseinkommen und einer arbeitsteiligen Wirtschaft u.a. bei Unfähigkeit zur weiteren Ausübung von Erwerbsarbeit bzw. bei Unzumutbarkeit der weiteren Ausübung von Erwerbsarbeit im Alter gewährleisten. Unter den in dieser Weise spezifisch Schutzbedürftigen finde ein sozialer Ausgleich bereits auf dieser Ebene u.a. in der Weise statt, dass trotz unterschiedlicher Gefahr des Eintritts einer Erwerbsminderung vor Erreichen von Altersgrenzen eine einheitliche Risikogemeinschaft gebildet und diese ebenfalls unabhängig von der individuellen Situation und in solidarischer Verantwortung aller Versicherten auch die Versorgung von Hinterbliebenen zugeordnet werde (BVerfG vom 18.02.1998, BVerfGE 97, 271, 251), (BSG vom 05.07.2006, aaO, Rdnr. 33).

Aus diesen Überlegungen des BVerfG sowie des BSG und auch des LSG Baden-Württemberg geht hervor, dass die Frage des Eingriffs in individuelle Grundrechte, z.B. Art. 2, Art. 12, Art. 14 oder auch Art. 3 GG, sich letztlich an der Frage orientiert, ob eine entsprechende Schutzbedürftigkeit vergleichbar einem Arbeitnehmer gegeben ist und ob der Eingriff in das individuelle Grundrecht hinzunehmen ist, um unter Beachtung des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 GG die Funktionsfähigkeit des solidarisch geprägten Sicherungssystems der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten zu können. Dies impliziert bereits, dass es dem einzelnen grundsätzlich nicht freistehen kann, ob und wenn ja aus welchen Gründen auch immer er diesem solidarischen System der Alterssicherung nicht angehören will, zumindest soweit und solange der Gesetzgeber hierzu eine Wertung der zu berücksichtigenden Individualinteressen und den Interessen der Solidargemeinschaft vornimmt bzw. vorgenommen hat und besondere Ausgleichsmechanismen zur Verfügung stehen (z. B. Befreiungstatbestände, Beitragshöhen etc.). Bei dieser Wertung kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der gerichtlich nicht bzw. nur begrenzt überprüfbar ist (Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, Henke, GG Kommentar 13. Aufl. 2014, Art. 20 GG, Rdnr 27 ff. m.w.N.).

Der Kläger kann sich insoweit auch nicht auf sein Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG berufen. Nach Art. 4 GG ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Der Kläger macht geltend, dass er nach den Worten der Bergpredigt lebt und das System der gesetzlichen Rentenversicherung für ihn Sünde ist. Sein Glaube verbietet ihm finanzielle Vorsorge, sodass er an dem System der gesetzlichen Rentenversicherung nicht teilnehmen möchte. Er möchte daraus auch keine Leistungen erhalten und er verzichtet auch im Übrigen auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Letzteres ist durchaus fraglich. Der Kläger hatte in seinem Schreiben vom 25.11.2007 der Beklagten mitgeteilt, dass das Kindergeld für seinen Sohn gestrichen worden sei, weil dieser zu viel verdiene. Gleichzeitig betreibt der Kläger durchaus für sich und seine Familie Vorsorge, er hat ein Haus gebaut, dieses finanziert und bezahlt das Darlehen ab. Er ist grundsätzlich auch überzeugt, dass die Entrichtung von Steuern und deren Verwendung für das Gemeinwesen in Ordnung ist.

Art. 4 GG schützt jedoch nicht davor, zu Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen zu werden. Art. 4 GG schützt vielmehr die Glaubens- und die Gewissensfreiheit sowie die Religionsübungsfreiheit. Der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit ist durch die Anordnung einer Pflichtversicherung in § 2 S 1 Nr. 8 SGB VI nicht tangiert, sie hat mit Religionsausübung nichts zu tun und greift nicht in diese ein. Der Kläger kann seinen Glauben ohne jegliche staatliche Einschränkung ausüben. Soweit er sich auf den Schutz der Gewissensfreiheit berufen würde, wird diese im Rahmen einer Kollision mit Grundrechten Dritter eingeschränkt. Sie bezieht sich nur auf Entscheidungen im persönlichen Verantwortungsbereich des Betroffenen, sodass beispielsweise die Verwendung von Steuergeldern oder Sozialbeiträgen nicht unter den Schutz der Gewissensfreiheit fällt (vgl. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, Henneke, a.a.O., Art. 4 GG Rdnr. 8). Vorliegend wird weder die individuelle Glaubensfreiheit noch die Ausübung der individuellen Religion des Klägers durch die Versicherungspflicht als Handwerker in der gesetzlichen Rentenversicherung eingeschränkt.

Auch ein Verstoß gegen Art. 3 GG ist trotz der Änderung der Handwerksordnung im Jahr 2004 in Richtung einer Differenzierung zwischen eintragungspflichtigen genehmigungspflichtigen Handwerken und eintragungsfreien Handwerken nach Überzeugung des Senats nicht eingetreten. Durch die sog. große Handwerksnovelle vom 01.01.2004 wurde zum einen für die Führung einer Reihe von Handwerksgewerben das Erfordernis des Nachweises besonderer Qualifikationen (insbesondere Meisterprüfung) aufgegeben. Inhaber solcher Betriebe sind nicht mehr in die Handwerksrolle einzutragen, sondern in ein neues Verzeichnis sog. zulassungsfreier Handwerksgewerbe (Anlage B zur Handwerksordnung). Zum anderen wurde das sog. Inhaberprinzip aufgegeben, wonach der Inhaber auch die erforderliche handwerksrechtliche Qualifikation nachweisen müsse. Dies kann jetzt auch durch einen im Betrieb beschäftigten Betriebsleiter erfolgen (Hauck/Noftz SGB VI, Stand 05/07, § 2 SGB VI Rdnr. 62 ff). In der sog. Anlage A zur Handwerksordnung sind Handwerkstätigkeiten aufgelistet, die besondere Fachkenntnisse erfordern und deren Nichtbeachtung letztlich immanent mit einer Gefährdung unbeteiligter Dritter einhergehen würden. Der Gesetzgeber will auf diese Art und Weise sicherstellen, dass der Nachweis der entsprechend hohen Qualifikation Schäden Dritter für Leib und Leben weitgehend ausschließt und auch die erheblichen Schadensbeträge in einem solchen Schadensfall durch Berücksichtigung der handwerklichen Kunst möglichst minimiert werden. Gleichzeitig geht der Gesetzgeber wohl aber von einer weiterhin bestehenden Schutzbedürftigkeit gerade dieses Personenkreises aus, weil die Art der Tätigkeit den Einsatz der eigenen Arbeitskraft erfordert und in der Regel nicht arbeitsteilig und auch nicht stellvertretend erledigt werden kann. Zum anderen soll wenigstens eine Absicherung für den Fall der Erwerbsminderung und des Alters bestehen, auch wenn sich Haftungsrisiken aus der Art der Tätigkeit ergeben könnten. Die in Anlage B aufgeführten Handwerke sind demgegenüber Tätigkeiten, die zum einen nicht mit erheblichen Gefahren für Dritte und daraus folgenden erheblichen Haftungsrisiken belastet sind (wobei sich sicherlich die Frage der Sinnhaftigkeit dieses Argumentes für die Frage der individuellen Schutzbedürftigkeit des Handwerkers stellt) und im Zweifel auch arbeitsteilig erledigt werden könnten. Die Beeinträchtigung der persönlichen Arbeitskraft würde sich bei diesem Personenkreis als nicht so entscheidend darstellen wie bei den Handwerksberufen, die in der Anlage A aufgelistet sind.

Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung rügt, wäre ergänzend darauf hinzuweisen, dass aus dem Umstand der Differenzierung des Gesetzgebers zwischen den einzelnen Gewerken nicht ein Anspruch des Klägers auf Befreiung bzw. Nichteinbeziehung in die Versicherungspflicht resultiert, sondern allenfalls die Frage aufzuwerfen wäre, ob die Handwerker der Anlage B nicht vergleichbar schutzbedürftig sind und ebenfalls der Pflichtversicherung zu unterstellen wären, wie dies der Gesetzgeber ursprünglich durch Gesetz vom 24.12.2003 (BGBl I, 2003, 2934) auch vorgesehen hatte und erst mit dem 5. -SGB VI- ÄndG vom 04.12.2004 (BGBl I, 3183) wieder geändert hatte. Zudem weist der Senat darauf hin, dass ein wesentliches Element für die Anordnung von Versicherungspflicht auch das Kriterium der Funktionsfähigkeit einer Solidargemeinschaft ist, das im Zweifel das Interesse des einzelnen an seiner persönlichen Freiheit zugunsten eines funktionsfähigen Sicherungssystems für einen Großteil der Bevölkerung überlagert. Nachdem von der Anlage A zur Handwerksordnung bislang ca. 90% der Handwerker in der Bundesrepublik Deutschland erfasst werden und diese der Versicherungspflicht unterstellt sind (vgl. Hauck/Noftz, SGB VI, § 2 Rdnr. 63 ff. m. w. N.), sieht der Senat auch insoweit keine Möglichkeit zur Beanstandung der streitrelevanten gesetzgeberischen Entscheidungen.

Soweit der Kläger auf den Ursprung der Versicherungspflicht als "Nazigesetz" hinweist, hat das SG in seinem Gerichtsbescheid bereits zutreffend auf Art. 123 GG hingewiesen.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 29.03.2011 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil es sich vorliegend um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG handelt. Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Differenzierung zwischen eintragungspflichtigen und eintragungsfreien Handwerken und ihre unterschiedliche Auswirkung auf die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung durch Anknüpfung an die Eintragung eines Gewerkes in die Handwerksrolle auf der Grundlage des § 2 S 1 Nr. 8 SGB VI liegt bislang noch nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved