Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 22/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 195/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Juni 2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung der bei ihr vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002.
Die 1966 geborene Klägerin war in ihrer Kindheit vom 3. bis zum 11. Lebensjahr sexuellen Übergriffen ihres alkoholkranken und gewalttätigen Vaters ausgesetzt. Seit einer Vergewaltigung durch den Vater im 11. Lebensjahr leidet sie an heftigen Migräneattacken, die bereits in der Jugend zu Schmerzmittelmissbrauch/-sucht führten sowie später zu Unterleibsschmerzen. Zudem kam es schon im Kindheits- und Jugendalter zu depressiven Verstimmungen und ersten Suizidversuchen. 18-jährig wurde sie erneut Opfer einer (versuchten) Vergewaltigung. Von 1986 bis Dezember 2002 lebte die Klägerin mit einer kurzen Unterbrechung mit ihrem früheren Ehemann zusammen. Die Ehe, aus der 1987 eine Tochter hervorging, war geprägt durch gewalttätige und sexuelle Übergriffe (Vergewaltigungen) seitens des alkoholsüchtigen Ehemannes.
Die Klägerin befand sich u.a. im Jahr 1999 wegen Endometriosebeschwerden, einer Migräne und einer akuten Belastungsreaktion und im Jahr 2001 wegen einer Migräne, einem lokalen zervikalen Schmerzsyndrom mit Spannungskopfschmerz sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung mit instabilen Persönlichkeitszügen" in medizinischen Rehabilitations(Reha-)maßnahmen. Nach einem Suizidversuch im Jahr 1999 nahm sie im Juni 2000 eine Langzeitpsychotherapie bei der ärztlichen Psychotherapeutin Dr. L auf mit den Behandlungsdiagnosen: "Depressive Neurose als Autonomie-Abhängigkeits- und Selbstwertkonflikt, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Somatisierungsstörung, depressiv-abhängige-hysterische Neurosestruktur mit deutlicher Beeinträchtigung des Selbstsystems und deutlicher Beeinträchtigung des Selbstwerterlebens bei mäßig intakter Ich-Funktion" (vgl. Bericht zum Umwandlungsantrag in eine Langzeittherapie vom 20. Juli 2001) bzw. zusätzlich hierzu "Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung" bei sexueller Traumatisierung in der Kindheit" (Bericht zum Fortführungsantrag der Therapie vom 11. Januar 2003). Die Therapie endete letztlich im Januar 2004 aufgrund des Umzuges von Dr. Lampe.
Bei der Klägerin bestand wiederholt Arbeitsunfähigkeit wegen Migräne und Unterleibsbeschwerden bei Endometriose, aber auch wegen der Diagnosen "Neurose/akute reaktive Depression" vom 03. bis zum 08. Mai 1998, "psychogene Reaktion/akute Belastungsreaktion" vom 11. März bis zum 01. April 1999, "depressive Episode" vom 16. Juni bis zum 12. Juli 2000 sowie "Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen" und "psychogene Beschwerdekomplexe" vom 04. bis zum 25. Januar 2001 (vgl. Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 25. August 2003).
Vom 01. August 1999 bis zum 30. April 2003 war die Klägerin als Fachkraft "Servicemitarbeiter" bei der S M "W K KG bzw. dem Hafendorf M "W" K KG in K beschäftigt. An Christi Himmelfahrt, dem 09. Mai 2002 nahm die Klägerin um 15:00 Uhr ihre Tätigkeit in der dortigen Gastronomie auf und beendete diese um 2:00 Uhr morgens am 10. Mai 2002. Sie begab sich dann auf den ca. 5 Minuten vom Arbeitsort entfernten unbeleuchteten Parkplatz, wo nur noch ihr Auto stand. Dort wurde sie von zwei unbekannten alkoholisierten Männern von hinten angefallen und vergewaltigt. Nachdem die Männer sich entfernt hatten, fuhr sie mit ihrem Pkw nach Hause. Nach ihren Schilderungen verspürte sie heftige Schmerzen im Unterleib, Ekel und Scham. Zu Hause wusch sie sich und begab sich zu Bett. Aus Scham redete sie mit keinem darüber, erst Ende 2003 erzählte sie ihrer Freundin A S von dem Vorfall, jedoch nicht im Detail (vgl. Angaben der Klägerin bei der Beklagten im Schreiben vom 13. April 2005 und Fragebogen vom 25. April 2005 sowie bei Stellung der Strafanzeige bei der Polizeiwache N am 15. Mai 2006).
In der Folgezeit setzte die Klägerin ihre Arbeitstätigkeit fort, unterbrochen durch kurze Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis zum 19. Juli 2002 wegen einer akuten Infektion der oberen Atemwege, vom 29. bis zum 30. Juli 2002 wegen Rückenschmerzen/Lumboischialgie, am 28. August 2002 wegen Migräne und am 04. Oktober 2002 wegen einer Synovitis/Tendovaginitis stenosans (vgl. Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 25. August 2003). Gegen eine erste betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2002 wehrte sich die Klägerin erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage.
Vom 17. bis zum 27. Februar 2003 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der II. Psychiatrischen Klinik der R Kliniken in N mit den Diagnosen: "Anpassungsstörung mit kurzer depressiver Reaktion bei Zuspitzung der familiären Konfliktsituation (F43.20) vor dem Hintergrund einer histrionischen und abhängigen Persönlichkeitsstörung (F60.4, F60.7), vgl. Epikrise vom 23. Mai 2003. Dem vorausgegangen war ein Suizidversuch mit Tabletten, nachdem die Klägerin Weihnachten 2002 ihren Ehemann, Kind und Haus verlassen hatte und zu ihrem neuen Freund gezogen war, der nunmehr die Beziehung beenden wollte. Während des Aufenthaltes erstellte die Klägerin am 19. Februar 2003 einen Lebensbericht, in dem der Überfall vom Mai 2002 keine Erwähnung fand. Im Rahmen eines in der Klinik geführten psychotherapeutischen Gesprächs gab sie neben den Missbrauchserfahrungen in der Kindheit u. a. an, vor zwei Jahren nach dem Spätdienst vergewaltigt worden zu sein (vgl. ärztlicher Verlaufsbericht vom 18. Februar 2003).
Vom 28. Oktober bis zum 09. Dezember 2003 befand sich die Klägerin in einer stationären Reha-Maßnahme in der V in G mit den Diagnosen: "Posttraumatische Belastungsstörung (nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit und im Erwachsenalter), rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelschwere Episode, Migräne, Endometriose" (vgl. Entlassungsbericht vom 10. Dezember 2003). Das Leistungsvermögen der Klägerin wurde wegen der durch die eingeschränkte posttraumatische Symptomatik bedingten Einschränkung der seelischen Belastbarkeit, der Konzentrationsfähigkeit und des Umstellungs- und Anpassungsvermögens als aufgehoben beurteilt. Eine ambulante Psychotherapie mit traumaspezifischem Schwerpunkt wurde dringend empfohlen.
Ab dem 16. Dezember 2003 befand sich die Klägerin in Behandlung des psychologischen Psychotherapeuten Dr. phil. Dipl.-Psych. F wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Rahmen einer komplexen Traumatisierung (Typ II), d. h. bei Vorliegen mehrerer traumatischer Ereignisse über einen langen Zeitraum hinweg (vgl. Befundbericht vom 31. August 2004).
Der Rentenversicherungsträger gewährte der Klägerin rückwirkend ab dem 01. September 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nach wiederholter Befristung (vgl. Bescheid vom 14. Juni 2005) nunmehr auf Dauer gewährt wird.
Vom 12. Oktober bis zum 23. November 2004 befand sich die Klägerin in einer stationären Reha-Maßnahme in der Klinik F in B S mit den Diagnosen: "Komplexe posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störung, Migräne, anhaltende somatoforme Schmerzstörung" (vgl. Entlassungsbericht vom 29. November 2004).
Am 04. April 2005 zeigte der behandelnde Traumatherapeut Dipl.-Psych. F telefonisch bei der Beklagten die von der Klägerin im Jahr 2002 auf dem Weg zur Arbeitsstelle nach Hause erlebte Vergewaltigung als Arbeitsunfall an. Die Beklagte nahm daraufhin ihre Ermittlungen auf und befragte zunächst die Klägerin schriftlich (Schreiben der Klägerin vom 13. April 2005, ausgefüllter Fragebogen vom 25. April 2005) sowie persönlich bei einem Hausbesuch am 13. Juni 2005 (vgl. Beratungsvermerk vom gleichen Tage). Hierbei gab die Klägerin an, damals wie in Trance nach Hause gefahren zu sein, Ekel und nur noch das Verlangen verspürt zu haben, sich zu waschen. Eine Meldung bei der Polizei oder dem Arbeitgeber sei nicht erfolgt. Sie habe sich zu sehr geschämt. Auch habe sie in ihrem damaligen Ehemann keinen Zuhörer gehabt. Nur einmal habe sie ihrer damaligen Schichtleiterin mitgeteilt, was passiert sei, und zwar als sie einen Gast als einen der Täter wieder erkannt habe. Diese habe das abgetan und gemeint "Nein, das glaube ich nicht, dass ist so ein netter Kerl, du musst dich irren." Es sei ihr nicht mehr möglich, innerhalb ihrer Tätigkeit als Kellnerin einem Mann eine Flasche Bier zu servieren, der Alkoholgeruch erinnere sie daran. Einen erneuten Arbeitsversuch im Februar 2003 habe sie wegen eines Zusammenbruchs auf der Arbeit abbrechen müssen.
Auf Anforderung der Beklagten legte die Klägerin u. a. Nachweise über das Beschäftigungsverhältnis (Anstellungsvertrag vom 27. Juli 1999, Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vom 30. Oktober 2002 und 28. März 2003, Kündigungsschutzklage vom 13. November 2002, Zeitungsannonce über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der M "W" K KG vom 01. April 2003, ein nachträglicher Computerausdruck eines "Stundenberichts Tag (9)" vom 26. August 2009 (laut Klägerin, der ihr auf Anfrage übersandte Dienstplan vom 09. Mai 2002) sowie eine schriftliche Bestätigung über die Beschäftigung der Klägerin in der Hotelanlage von der ehemaligen Schichtleiterin U L vom August 2005 vor.
Die Beklagte holte eine schriftliche Erklärung der Zeugin A S vom 05. Juli 2005 ein, die angab, dass ihr die Klägerin erst nach langem Zögern in einem Gespräch von dem Vorfall berichtet habe. Die Hausärztin der Klägerin, die Allgemeinmedizinerin Dipl.-Med. S teilte unter dem 08. Juli 2005 mit, dass sich die Klägerin wegen des genannten Ereignisses (Überfall mit Vergewaltigung) nicht in ihrer Sprechstunde vorgestellt und sie erst vor kurzem hierüber eine Information erhalten habe. Zudem zog die Beklagte neben weiteren medizinischen Unterlagen auch das im Auftrag des Rentenversicherungsträgers erstellte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 13. Mai 2005 bei, der die Klägerin mit den Diagnosen: "Persönlichkeitsstörung seit früher Kindheit, erlebnisreaktiv geprägt mit Zügen des Histrionischen, Abhängigen, auch emotional Instabilen, komplexe posttraumatische Belastungsstörung, Migräne, zerebrale Anfälle mit Bewusstlosigkeit, Verdacht auf vegetativ-vagale Auslösung" als weiterhin nur unter 3 Stunden leistungsfähig einschätzte.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2005 lehnte die Beklagte eine Entschädigung für das Ereignis, von dem die Klägerin nach ihren Angaben am 09. Mai 2002 als versicherte Person des Unternehmens M W GmbH, H mit Hotel, Kl, betroffen worden sei, ab. Zur Begründung führte sie aus, es lägen keine beweiserheblichen Unterlagen vor, die die Tätigkeit der Klägerin am Tag des angezeigten Ereignisses bestätigten. Der vorliegende Stundenzettel trage kein Datum und sei somit als Nachweis nicht verwendbar. Ebenso wenig sei ein zeitnaher Arztbesuch oder eine polizeiliche Meldung erfolgt. Weitere Belege, wie die Unfallanzeige des Hotels, die für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sprächen, existierten nicht. Den Aussagen von Personen wie Frau S oder der Hausärztin S könne nur eine geringe Bedeutung zukommen, da sie von dem Ereignis erst viel später durch die Klägerin in Kenntnis gesetzt worden seien. Abgesehen davon, wäre auch der Zusammenhang zwischen dem Ereignis und den erhobenen Befunden bzw. der aktuellen Behandlungsbedürftigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich, da sich bei der Klägerin nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen erhebliche Beschwerden auf psychologischem Gebiet wie in Form von Depressionen seit der Jugend bemerkbar gemacht hätten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 01. November 2005 Widerspruch. Zur Begründung führte sie u. a. aus, ihr könne nicht zu Last gelegt werden, dass sie das Ereignis erst so viel später gemeldet habe. Schließlich habe sie sich danach nur geschämt und beschmutzt gefühlt. Auch sei ihr nicht bewusst gewesen, dass es sich hierbei um einen Arbeitsunfall habe handeln können. Dies habe sie erst durch ihren behandelnden Psychotherapeuten Dipl.-.Psych. F erfahren. Auch fehle es nicht an einem Ursachenzusammenhang zwischen der erlebten Vergewaltigung vom 09. Mai 2002 und den bei ihr bestehenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Aus dem für die Rentenversicherung erstellten Gutachten von Dipl. Med. H werde deutlich, dass die schon teilweise verarbeiteten Vorkommnisse in ihrer Jugend durch die Vergewaltigung wieder belebt und somit die Wirkung des letzten Ereignisses lediglich verstärkt hätten. Dies sehe auch der behandelnde Psychotherapeut F so, sonst hätte er keine entsprechende Meldung an die Berufsgenossenschaft getätigt. Wie nachhaltig sich die Vergewaltigung auf die Psyche und das Beschwerdebild auswirke, werde durch die langandauernde Arbeitsunfähigkeit seit September 2003 und das Vorliegen von voller Erwerbsminderung bestätigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, das angeschuldigte Ereignis beruhe einzig auf den eigenen Angaben der Klägerin und sei somit nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.
Zwischenzeitlich war die Klägerin im Rahmen des Ehescheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtsstreit beim Amtsgericht Neuruppin ( und durch Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K von der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der C begutachtet worden, die die Diagnosen "Posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelschwere Episode, ich-strukturelle Störung, emotional instabil, Zwangshandlung, Migräne, Endometriose mit Zustand nach Hysterektomie 2/2002" stellten (Gutachten vom 02. Februar 2005).
Des Weiteren hatte die Klägerin auf der Polizeiwache N am 15. Mai 2005 unter Schilderung der Ereignisse in der Nacht zum 10. Mai 2002 Strafanzeige wegen sexueller Nötigung/Vergewaltigung nach § 177 Strafgesetzbuch (StGB) gestellt. Die Staatsanwaltschaft (Sta) N (Az. ) stellte die Ermittlungen mangels weiterer Ermittlungsmöglichkeiten im Februar 2007 ein.
Am 28. Februar 2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht N (SG) Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 zu verurteilen, ihr wegen des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002 Verletztenrente zu gewähren. Dass sie sich das Ereignis nicht ausgedacht habe, um eine Unfallentschädigung zu erlangen, ergebe sich aus dem Umstand, dass das Ereignis schon im Reha-Abschlussbericht vom 09. Dezember 2003 dokumentiert worden sei. Als Zeugin dafür, dass sie am 09./10. Mai 2002 tatsächlich gearbeitet habe, hat sie eine weitere Mitarbeiterin, Frau H B benannt. Sie hat u. a. Befundberichte des sie behandelnden Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 20. März 2006 und 14. April 2008, ein Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 31. März 2006 für den Zeitraum von Juli 2002 bis Januar 2005 sowie ein für den Rentenversicherungsträger erstelltes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. K vom 01. Februar 2009, in dem ihr mit den Diagnosen: "Posttraumatische Belastungsstörung und chronifizierte depressive Störung" weiterhin ein auf unter 3 Stunden eingeschränktes Leistungsvermögen bescheinigt wird, vorgelegt.
Das SG hat die Ermittlungsakte der Sta Neuruppin zum Az. beigezogen und hiervon Kopien zur Akte gefertigt (siehe Beiheft).
In der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2012 hat das SG als Zeugen die die Strafanzeige aufnehmenden Polizisten, KOK R und KHM N, vernommen; insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Durch Urteil vom gleichen Tage hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin am 10. Mai 2002 einen Arbeitsunfall erlitten habe, sowie im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, zwar habe niemand den Geschehensablauf gesehen und die Klägerin habe erst sehr viel später ärztliche Behandlungen in Anspruch genommen, jedoch sei die Kammer im Ergebnis der Beweiserhebung und der Ermittlungen im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit am 10. Mai 2002 gegen 2:00 Uhr morgens einen Wegeunfall erlitten habe, welcher als Arbeitsunfall festzustellen sei. Die Klägerin habe auf dem Weg zum Parkplatz nach Beendigung der Spätschicht im Unternehmen M "W GmbH, H mit Hotel, K gegen 2:00 Uhr morgens am 10. Mai 2002 unter Versicherungsschutz gestanden, als sie von zwei Unbekannten überwältigt und vergewaltigt worden sei. Dafür sprächen die glaubhaften Vorträge der Klägerin, die glaubhaften Bekundungen der Zeugin S vom 05. Juli 2005 und insbesondere die im Termin am 28. Juni 2012 von der Kammer gehörten Zeugen KOK R und KHM N. Allerdings stehe der Anerkennung von Folgen aus dem versicherten Ereignis vom 10. Mai 2002 die Nichterweislichkeit des "Gesundheitserstschadens", d. h. des durch das Ereignis vom 10. Mai 2002 eingetretenen Gesundheitsschadens entgegen. Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und ggf. die Entschädigung durch Zahlung einer Verletztenrente setze jedoch voraus, dass die Gesundheitsstörungen auch Folge des versicherten Ereignisses seien. Vorliegend gehe die Nichterweislichkeit der Feststellung eines "Erstschadens" zu Lasten der Klägerin.
Gegen das ihr am 23. August 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Klägerin mit ihrer am 24. September 2012 (Montag) eingelegten Berufung, mit der sie nach richterlichem Hinweis auf die Unzulässigkeit der Leistungsklage nur noch die Feststellung der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankungen als Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002 begehrt. Das SG sei fehlerhaft von einer Unerweislichkeit eines unfallbedingten Gesundheitsschadens ausgegangen. Hierzu hätte es insbesondere der Einholung eines Zusammenhangsgutachtens bedurft. Sie leide in der zeitlichen Nachfolge des Ereignisses vom 10. Mai 2002 an einer erheblichen, insbesondere psychischen Erkrankung mit auch vorliegenden psychosomatischen Störungen. Auch wenn bei ihr psychische Vorbelastungen vorgelegen hätten, so sei dies jedoch nicht entscheidend für die nunmehr nach dem schädigenden Ereignis vorliegenden gesundheitlichen Störungen. So sei sie vor dem Arbeitsunfall in vollem Umfang arbeitsfähig und zu keinem Zeitpunkt zuvor in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Juni 2012 zu ändern und festzustellen, dass die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen "chronisch- komplexe posttraumatische Belastungsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung" Folgen des Arbeits- unfalls vom 10. Mai 2002 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht eine wesentliche Verursachung der bei der Klägerin bestehenden psychischen Störungen durch den Arbeitsunfall nicht als hinreichend wahrscheinlich an.
Der Senat hat zunächst die Reha-Entlassungsberichte des E B S GmbH vom 29. April 1999, der M Klinik für Orthopädie und Psychosomatik B vom 08. Februar 2001, der V vom 10. Dezember 2003 und der Klinik F vom 29. November 2004 sowie das von Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K für das Amtsgericht Neuruppin ( und erstellte Gutachten vom 02. Februar 2005 beigezogen und Befundberichte der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. C vom 04. Oktober 2013 sowie der ärztlichen Psychotherapeutin Dr. L vom 19. November 2013 nebst der von ihr für die Krankenkasse erstellten Berichte vom 20. Juli 2001 und 11. Januar 2003 angefordert. Des Weiteren hat der Senat von den R Kliniken den Entlassungsbericht der Frauenklinik vom 02. Februar 2002 in Kopie zur Akte genommen und die Patientenunterlagen über die stationäre Behandlung vom 17. Februar bis zum 27. Februar 2003 in der II. Psychiatrischen Klinik beigezogen und hiervon Kopien zur Akte gefertigt (u.a. die Epikrise vom 23. Mai 2003). Zudem sind die Reha- und Rentenakten der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) beigezogen und hieraus Kopien für die Akte gefertigt worden (u. a. Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 25. August 2003 für den Zeitraum von Dezember 1996 bis August 2003, Befundbericht des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 31. August 2004, Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 08. September 2006 mit den Diagnosen: "Chronische komplexe posttraumatische Belastungsstörung (Neurose) bei Persönlichkeitsstörung, anhaltende depressive Störung" sowie der Einschätzung eines auch weiterhin aufgehobenen Leistungsvermögens, Bericht der Klinik S – Fachklinik für psychosomatische Medizin – in P vom 18. August 2006 über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 26. Juni bis zum 18. August 2006).
Sodann hat aufgrund Beweisanordnung des Senats vom 25. Februar 2014 die Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. F am 29. April 2014 ein Sachverständigengutachten nach Untersuchung der Klägerin am 23. April 2014 erstattet. Dr. F hat nach ausführlicher Exploration der Klägerin, Erhebung eines psychopathologischen Befundes und intensiver Auseinandersetzung mit den in den Akten dokumentierten medizinischen, psychiatrischen und psychologischen Befunden sowie dem Lebenslauf der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: - Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F33.0) - Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) - Generalisierte Angststörung (F41.1) - Vorwiegend Zwangshandlungen im Sinne eines Waschzwangs (F42.1) - Schädlicher Gebrauch opioidhaltiger Analgetika (F11.1), differentialdiagnostisch Abhängigkeitssyndrom (F11.2) - Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F603.1) - Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4). Sie hat ausgeführt, bei der Klägerin habe bei dem Ereignis vom 10. Mai 2002 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits eine psychische Erkrankung auf der Grundlage einer kombinierten Persönlichkeitsstörung in Folge kumulativ-traumatischer Kindheitserfahrungen und einer aktuellen traumatischen Ehesituation bestanden. Deshalb habe sich die Klägerin bereits in stationärer und ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befunden. Nach der Aktenlage könne nicht nachgewiesen werden, dass es bei oder unmittelbar nach dem Ereignis vom 10. Mai 2002 zur Verschlechterung der ohnehin schon vorhandenen seelischen Reaktion der Klägerin gekommen sei. Insbesondere in den gutachterlichen Befundberichten der ambulanten Psychotherapeutin Dr. L werde eher eine Befundbesserung beschrieben. Warum die Klägerin ihrer Vertrauenspsychotherapeutin über Jahre nicht von dem Ereignis erzählt haben will, könne von ihr selbst nicht begründet werden. Es könne kein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bestätigender Nachweis geführt werden, dass es durch das von der Klägerin berichtete Überfallereignis vom 10. Mai 2002 zur erstmaligen Entstehung oder zur wesentlichen Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens gekommen sei. Für das chronische Krankheitsbild der Klägerin seien folgende sonstige Faktoren ausschlaggebend: - Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der Grundlage der kumulativ- traumatischen Kindheitsentwicklung. - Eine berufliche Überforderungssituation mit resultierender kränkender Kündigung im November 2002. - Ein chronischer Ehekonflikt mit einem gewalttätigen, alkoholkranken Ehemann und Trennung im Dezember 2002 mit nachfolgendem vierjährigen Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikt. Soweit es nach Aktenlage nachvollzogen werden könne, seien die zuvor genannten Faktoren die wesentliche Ursache für die jetzige Erkrankung. Anhaltende unfallbedingte Gesundheitsstörungen könnten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Objektivierbar begründet werden könne, dass die Klägerin sich zum Unfallzeitpunkt bereits wegen psychischer Erkrankungen in stationärer und ambulanter Behandlung befunden habe. Hier sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass es von Mai 2002 bis April 2014 trotz intensiver ambulanter und stationärer Behandlung zu einer steten Verschlimmerung und Chronifizierung der Erkrankung gekommen sei. Diese Progredienz sei schon vom behandelnden Psychologen Dr. F nicht einem Singulärereignis, sondern den kumulativ wirksamen Traumatisierungen in Kindheit und Erwachsenenalter zugeordnet worden. Nach Sichtung der Patientenakte der R Kliniken über die stationäre Behandlung vom 17. bis zum 27. Februar 2003 könne noch einmal bestätigt werden, dass in dem von der Klägerin schriftlich verfassten Bericht vom 19. Februar 2003 die Vergewaltigung nicht als auslösend für ihre vielfältigen Sorgen und Konflikte benannt werde. In den in den Akten dokumentierten Befundberichten würden beinahe alle möglichen psychiatrischen Diagnosecluster entsprechend der ICD-10 und DSM-IV erfasst mit Ausnahme von organischen Hirnerkrankungen und psychotischen Erkrankungen. Hierbei deuteten sich erhebliche differentialdiagnostische Schwierigkeiten an, die auch dem Umstand geschuldet seien, dass in den Berichten nicht entsprechend ICD-10 und DSM-IV klassifiziert worden sei. Eine posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) könne unabhängig vom Alter sofort oder nach einer Latenz von mehreren Monaten nach einem Singulärereignis einsetzen und subakut oder chronisch verlaufen. Da die Klägerin jedoch schon zuvor in ihrer Kindheit und im Erwachsenalter kumulativ traumatischen Erfahrungen ausgesetzt gewesen sei, müsste dann von einer chronisch verlaufenden PTSD ausgegangen werden. Eine seit Kindheit respektive Adoleszenz bestehende Störung werde dann jedoch im Sinne einer Persönlichkeitsstörung erfasst, z. B. wie bei der Klägerin als eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. Nach ICD-10 könne auch eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung (F62.0) codiert werden. Dann müssten aber bestimmte zuvor nicht beobachtete Merkmale vorliegen, d. h. diese Persönlichkeitsänderung dürfe nicht auf eine vorher bestehende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sein. Daher sei auch diese Diagnose bei der Klägerin auszuschließen. Dagegen seien bei der Klägerin sämtliche in der ICD-10 geforderten Merkmale einer kombinierten Persönlichkeitsstörung im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F60.31) mit histrionischen und abhängigen Anteilen zu objektivieren.
Dem Gutachten beigefügt waren von der Klägerin vorgelegte Berichte der Psychotherapeutin Dipl.-Psych. H vom 31. Januar 2013 über eine Behandlung im Zeitraum vom 23. Mai 2011 bis zum 13. September 2012 sowie ein Bericht des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Prof. Dr. D vom 16. Mai 2012 zur Prüfung einer multimodalen stationären Schmerzbehandlung (Diagnosen: Anamnestisch angegebene Migräne, anamnestisch angegebenes Binch-eating, major depressives Syndrom, Verdacht auf ich-strukturelle Störung).
Die Beigeladene hat unter Bezugnahme auf eine dem Schriftsatz vom 26. Juni 2014 beigefügte Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. W vom 24. Juni 2014 die Auffassung vertreten, dass Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002 nicht anzuerkennen seien.
Die Klägerin hat durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 08. Juli 2014, auf den Bezug genommen wird, umfänglich Kritik an dem Gutachten geübt.
Die Sachverständige Dr. F ist nach detaillierter Auseinandersetzung mit der von der Klägerin erhobenen Kritik in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2014, auf deren Inhalt verwiesen wird, bei ihrer Beurteilung geblieben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten nebst Beiheften sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer psychischen Erkrankungen, insbesondere einer "chronisch-komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung" als Folgen des vom SG Neuruppin durch insoweit rechtskräftiges Urteil vom 28. Juni 2012 festgestellten Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2012.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Versicherte Tätigkeit ist u.a. auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a. a. O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).
Der Unfallbegriff i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfasst nicht nur organische Verletzungen, sondern auch psychische Gesundheitsstörungen als unmittelbare Reaktion auf ein äußeres Ereignis (gesundheitlicher Erstschaden). Daraus folgt, dass, auch wenn sich die Schädigung nur im psychischen Bereich bei gleichzeitig erhaltener körperlicher Integrität auswirkt, ein Unfallereignis vorliegen kann (vgl. Dr. Benz "Psyche und Trauma aus der Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung" in NZS 2002, S. 8 ff, S. 10; Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Kap. 5.1.10, S. 147 f.). Ob ein Gesundheitsschaden i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegt, beurteilt sich nach dem Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist eine Krankheit ein "regelwidriger Körper- und Geisteszustand", worunter auch eine psychische Störung fällt (vgl. Dr. Benz, a. a. O., S. 10). Es muss sich daher um eine seelische Reaktion mit Krankheitswert handeln (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, a.a.O., S. 148). Der individuelle seelische Erstschaden muss durch objektive Umstände zeitnah zum Unfallereignis beweisbar sein, so dass sich die richterliche Überzeugung darauf stützen und eine Ursachenzusammenhang begründet werden kann (s. hierzu S. Bultmann/M. Fabra "War es überhaupt ein Unfall? Erstschadensbeurteilung bei psychogenen Störungen in der gesetzlichen Unfallversicherung" in MED SACH 105 5/2009, S. 172 ff., 174). Ist eine initiale seelische Reaktion auf das Ereignis oder eine unmittelbare Behandlung nach dem Ereignis nicht dokumentiert, aber im Nachhinein von dem Betroffenen oder von Zeugen geschildert, obliegt es der juristischen Beweiswürdigung, ob der Vollbeweis des Gesundheits(erst)schadens erbracht ist (vgl. S. Bultmann/M. Fabra, a.a.O., S. 175).
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ist laut ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, in SozR 4 -2700 § 8 Nr. 17) zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei der oder dem Verletzten vorliegen und die Erwerbsfähigkeit mindern. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV-TR = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung - Textrevision, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 1. Aufl. 2003). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.
Sodann ist zu prüfen, welche Ursachen für die festgestellte psychische Gesundheitsstörung nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und in einem zweiten Schritt, ob die versicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstörungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, a. a. O.). Basis dieser Beurteilung müssen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Erkrankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen sein. Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind wie die Psychiatrie und Psychologie, schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z. B. Mehrhoff/Ekkerkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Aufl. 2012; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen (hier insbesondere "Posttraumatische Belastungsstörung" AWMF-Leitlinien-Register 051/010 von Januar 2011, veröffentlicht unter www.awmf.org). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen. Eine bloße Literaturauswertung seitens des Gerichts genügt zur Feststellung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes allerdings in der Regel nicht, weil dessen Beurteilung zumeist medizinische Fachkunde voraussetzt. Vielmehr ist die Klärung des der Ursachenbeurteilung zugrunde zu legenden, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in der Regel im Rahmen eines Sachverständigengutachtens durchzuführen. Andererseits wird, wenn eine bestimmte Diagnose ein Ereignis einer bestimmten Schwere voraussetzt, von einem entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auszugehen sein.
Vorliegend kann mit dem SG davon ausgegangen werden, dass die Klägerin am 10. Mai 2002 gegen 2:00 morgens bei ihrem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten unmittelbaren Weg von dem Ort ihrer nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG VII versicherten Tätigkeit als Servicemitarbeiterin in der Gastronomie der M "W" K AG von einem Unfallereignis betroffen war, als sie beim Aufsuchen ihres PKW auf dem hinteren Parkplatz der Marina von 2 unbekannten alkoholisierten Männern von hinten angefallen und vergewaltigt worden war.
Zwar sind hier weder ein organischer regelwidriger Körperzustand noch eine unmittelbare seelische Reaktion mit Krankheitswert bei der Klägerin durch entsprechende medizinische Befunde oder Beobachtungen von Zeugen unmittelbar nach dem Überfallereignis vom 10. Mai 2002 bzw. zeitnah zum Ereignis objektivierbar bzw. nachweisbar, da die Klägerin weder ihre sie damals behandelnden Ärzte deswegen aufgesucht noch ihnen oder anderen Personen zeitnah von dem Ereignis berichtet oder eine polizeiliche Anzeige vorgenommen hatte. In diesem Sinne weist auch die vom Senat gehörte Sachverständige Dr. F in ihrem Gutachten vom 29. April 2014 zutreffend darauf hin, dass ein so genannter Erst- oder primärer Schaden, ob körperlich oder seelisch, vorliegend nicht objektiviert und diagnostisch eingeordnet werden kann. Im Hinblick darauf, dass das Überfallereignis einen massiven Angriff auf die körperliche und seelische Integrität der Klägerin darstellte, und auf die späteren, für den Senat glaubhaften Schilderungen der Klägerin hierzu ist zumindest ein (vorübergehender) Gesundheitserstschaden festzustellen. Schließlich hatte die Klägerin glaubhaft angegeben, bei bzw. nach der Vergewaltigung heftige Schmerzen im Unterleib (= regelwidriger Körperzustand) sowie Ekel und Scham verspürt, wie in "Trance" nach Hause gefahren zu sein und sich stundenlang habe waschen müssen bzw. unter "Schock" (= regelwidriger Geisteszustand) gestanden zu haben, vgl. ihre Angaben im Schreiben vom 13. April 2005 und Fragebogen vom 25. April 2005, bei der Vernehmung auf der Polizeiwache N am 15. Mai 2005, bei der Begutachtung durch Dr. Frommhold am 23. April 2014).
Über die Anerkennung des Ereignisses vom 10. Mai 2002 als Arbeitsunfall hinaus sind jedoch zur Überzeugung des Senats (§ 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) keine dauerhaften Unfallfolgen festzustellen. Dies beruht auf dem fachkundigen Gutachten der Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. F vom 29. April 2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 10. September 2014. Die Sachverständige hat ihr Gutachten nach ausführlicher Exploration der Klägerin, Erhebung eines eigenen psychopathologischen Befundes und nach intensiver Auseinandersetzung mit den in den Akten dokumentierten medizinischen, psychiatrischen und psychologischen Befunden sowie dem Lebenslauf der Klägerin erstellt. Insbesondere hat sie, wie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefordert, die bei der Klägerin vor und nach dem Überfallereignis bestehenden psychischen Störungen differentialdiagnostisch anhand der gültigen Diagnosekriterien ICD-10 konkret festgestellt, das maßgebliche Ereignis vom 10. Mai 2002 in Bezug auf das äußere Gesamtgeschehen verdeutlicht und in seinen grundsätzlichen Auswirkungen auf die einzelnen Störungen bewertet sowie die anderen, als unfallunabhängige, konkurrierende Ursachen in Erwägung zu ziehenden Umstände und Faktoren (Primärpersönlichkeit, Vorerkrankungen etc.) konkretisiert und analysiert. Nicht zu beanstanden ist, dass die Sachverständige die Klägerin auf deren Wunsch im Beisein ihres Ehemannes exploriert hat. Denn die Klägerin hatte auch nach umfassender Erörterung der Problematik einer psychiatrischen Exploration in Anwesenheit von Dritten durch die Sachverständige auf das Beisein ihres Partners bestanden. Ebenso entsprach die vorsichtige Exploration der eigentlichen Überfallsituation in der Nacht vom 09. zum 10. Mai 2002 den gegenüber der Sachverständigen geäußerten Wünschen der Klägerin.
Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen bestehen bei der Klägerin folgende psychische Gesundheitsstörungen: - rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F33.0), - Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01), generalisierte Angststörung (F41.1), - vorwiegend Zwangshandlungen im Sinne eines Waschzwangs (F42.1), - schädlicher Gebrauch opioidhaltiger Analgetika (F11.1), differentialdiagnostisch Abhängigkeitssyndrom (F11.2), - emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F603.1), - Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4).
Wie die Sachverständige anhand der ICD-10 und DSM-IV-Kriterien nachvollziehbar dargelegt hat, kann bei der Klägerin eine (chronisch-komplexe) posttraumatische Belastungsstörung nicht festgestellt werden. Soweit diese Diagnose wiederholt in Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte bzw. Psychotherapeuten aufgeführt wird, z.B. Reha-Entlassungsberichte der V vom 10. Dezember 2003 und der Klinik F vom 29. November 2004, Gutachten von Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K von der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der C vom 02. Februar 2005, Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 13. Mai 2005 sowie Bericht des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 14. April 2006, lassen diese eine Auseinandersetzung mit den gültigen Diagnosekriterien vermissen.
Zum einen lassen sich vorliegend bezogen auf das Überfallereignis vom 10. Mai 2002 die Diagnosekriterien einer PTBS nicht objektivieren.
Laut ICD-10 F43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV TR Nr. 309.81 der PTBS lauten: A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die bei- den folgenden Kriterien vorhanden waren: 1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen konfrontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Per- sonen beinhalteten. 2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses auf mindestens eine der folgenden Weisen: 1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bildern, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können. 2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis. 3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wieder zu erleben, Illusionen, Halluzinationen und disso- ziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikation auftreten). 4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder extern- len Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. 5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hin- weisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen. 3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern. 4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivi- täten. 5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen. 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden). 7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft. D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (d. h. Erregung) (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen. 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche. 3. Konzentrationsschwierigkeiten. 4. Hypervigilanz (übermäßige Wachsamkeit). 5. Übertriebene Schreckreaktionen. E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat. F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beein- trächtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Ausgehend von diesen Kriterien hat Dr. Fanhand ihrer Exploration der Klägerin und Auswertung der in den Akten dokumentierten psychopathologischen Befunde der behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht objektivieren lässt. Zwar erfüllt eine Vergewaltigung durch zwei alkoholisierte Männer zwangsläufig das A1-Kriterium, jedoch ist der Nachweis des A2-Kriteriums bei der Klägerin problematisch. Dies erfordert, dass die betroffene geschädigte Person auf das Ereignis unmittelbar mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder einem Entsetzen reagiert haben muss. Ein so genannter Erst- oder primärer Schaden, ob körperlich oder seelisch, kann nach Auffassung der Sachverständigen vorliegend nicht objektiviert werden, da die Klägerin sich überfallbezogen nicht in ärztliche Behandlung begeben und auch in der zum Überfallzeitpunkt laufenden Psychotherapie nicht über das Überfallereignis berichtet hatte. Vielmehr wurde von der die Klägerin zu dieser Zeit ambulant behandelnden Psychotherapeutin Dr. L im Bericht zum Fortführungsantrag vom 11. Januar 2003 auf eine sukzessive Besserung und Stabilisierung im Befinden der Klägerin hingewiesen. Abgesehen davon, sah die Sachverständige auch das C- und F-Kriterium als nicht erfüllt an. Nach dem C-Kriterium ist die Vermeidung ereignisbezogener Reize oder Verleugnung des seelischen Traumas bzw. einzelner Aspekte, davon auch zumindest 3 von 7 definierten Bedingungen, erforderlich. Gegen das Vorliegen des C-Kriteriums spricht hier der Umstand, dass die Klägerin ihre Tätigkeit in der Gastronomie, die mit dem Servieren von alkoholischen Getränken an Männer und Aufsuchen des Unfallortes verbunden ist, noch von Mai bis November 2002 fortgesetzt hatte und der Abbruch der beruflichen Tätigkeit erst durch die (betriebsbedingte) Kündigung des Arbeitgebers im November 2002 bzw. nach erfolgreichem Kündigungsschutzverfahren erneut im März 2003 erfolgt war. Das F-Kriterium betrifft die Lebensbeeinträchtigungen, d. h. das Störungsbild muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen. Hier wurde jedoch von der behandelnden Psychotherapeutin Dr. L eher eine Besserung im psychischen Befinden bestätigt, denn nach deren Ausführungen im Bericht zum Fortführungsantrag vom 11. Januar 2003 hatte sich die Klägerin im Sommer 2002 eine Affäre erlaubt, im Herbst 2002 neu verliebt und sich in der neuen Beziehung endlich die Trennung vom gewalttätigen Ehemann zugetraut. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die beschriebene Minderung der Symptome sich als Ausdruck einer schwerwiegenden seelischen Erschütterung in Form der Abspaltung und damit einer nach jahrelangem sexuellen Missbrauch in der Kindheit tief verankerten Überlebensstrategie der Dissoziation darstellt. Die Sachverständige weist hierzu in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2014 nachvollzierbar darauf hin, dass, so man ein dissoziatives Verhalten annimmt, unfallassoziierte Trigger gemieden werden müssten, da sonst eine Überflutung mit dem abgespaltenen (dissoziierten) affektiven Material mit erheblichen Panikzuständen droht. Die Klägerin hatte jedoch genau um den Überfallzeitraum herum neue sexuelle Erfahrungen versucht. Hierbei würde es sich zwangsläufig um überfallassoziierte Trigger handeln, die bei einer bestätigten dissoziativen Störung vermieden werden müssten. Soweit nach Darlegung von Dr. F zwar die anderen Kriterien (B, D, E) ca. 10 Monate nach dem berichteten Ereignis in Ansätzen in dem psychopathologischen Befundbericht von Dr. L bestätigt werden, können diese aber auch Folgen der schweren depressiven Erkrankung auf dem Hintergrund der Persönlichkeitsstörung sein, wie in der erstbehandelnden Klinik (vgl. Epikrise der II. Psychiatrischen Klinik der R Kliniken vom 23. Mai 2003) attestiert.
Zum anderen entspricht die vor dem Hintergrund der kumulativ-traumatischen Kindheitsentwicklung mit sexueller und körperlicher Gewalterfahrungen durch die Übergriffe des Vaters und den daraus folgenden psychopathologischen Auffälligkeiten im Sinne einer Enuresis, einer schweren Migräne mit Schmerzmittelabhängigkeit, von Depressionen mit Suizidalität, Waschzwängen, impulsiven Essen und eines Schmerzsyndroms (Unterleibsschmerzen) sowie den anhaltenden Gewalterfahrungen in der Ehe in Form körperlicher und sexueller Gewalt durch den alkoholkranken Ehemann wiederholt in Befundberichten (z.B. Reha-Entlassungsberichte der V vom 10. Dezember 2003 und der Klinik F vom 29. November 2004, Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 13. Mai 2005 sowie Bericht des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 14. April 2006) gestellte Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung nicht den gültigen Diagnoseschlüsseln nach dem ICD-10 bzw. DSM-IV. Zwar kann nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. F eine posttraumatische Belastungsstörung auch chronisch verlaufen, jedoch wird eine seit Kindheit respektive Adoleszenz bestehende (posttraumatische Belastungs-)Störung nach den geltenden Diagnosekriterien im Sinne einer Persönlichkeitsstörung erfasst. Soweit nach ICD-10 auch eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung (F62.0) codiert werden kann, müssen aber bestimmte zuvor nicht beobachtete Merkmale vorliegen, d. h. diese Persönlichkeitsänderung darf nicht auf eine vorher bestehende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sein. Bei der Klägerin sind dagegen, wie von der Sachverständigen im Gutachten vom 29. April 2014 im Einzelnen überzeugend ausgeführt wird, sämtliche in der ICD-10 geforderten Merkmale einer kombinierten Persönlichkeitsstörung im Sinne einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F60.31) mit histrionischen und abhängigen Anteilen zu objektivieren, wie bereits im Entlassungsbericht des Eisenmoorbades Bad S-Kur-GmbH vom 29. April 1999 und in der Epikrise der der II. Psychiatrischen Klinik der R Kliniken vom 23. Mai 2003 beschrieben. Wegen der bei der Klägerin bestehenden Persönlichkeitsstörung war bereits von den behandelnden Ärzten des Eisenmoorbades Bad S-Kur-GmbH eine weiterführende Psychotherapie im Hinblick auf die nicht verarbeiteten traumatisierenden Erlebnisse in der Jugend und nachfolgender Lebensereignisse empfohlen worden (vgl. Entlassungsbericht vom 29. April 1999).
Des Weiteren können, wie Dr. Fin ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2014 überzeugend dargelegt hat, die von ihr im psychopathologischen Befund beschriebenen kognitiven Einschränkungen der Klägerin nicht Einwirkungen auf deren Schädel i. S. eines "Verhämmerungs-Syndroms" zugeordnet werden. Das bei Boxern untersuchte "Verhämmerungs-Syndrom" entspricht nach ICD-10 und DSM IV einem "organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma". Ein schweres Schädelhirntrauma bzw. Würgetrauma mit daraus resultierender hypoxischer und struktureller Hirnschädigung ist zu keinem Zeitpunkt von der Klägerin bezogen auf den Überfall vom 10. Mai 2002 oder den sexuellen Übergriffen des Vaters und des Ehemannes geschildert oder von fachkundiger ärztlicher Seite objektiviert worden.
Die von der Sachverständigen Dr. F festgestellten psychischen Gesundheitsstörungen, die bei der Klägerin seit September 2003 eine volle Erwerbsminderung im Sinne des Rentenrechts begründen, sind nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne der erstmaligen Entstehung oder im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung einer vorbestehenden psychischen Gesundheitsstörung durch den Überfall mit Vergewaltigung am 10. Mai 2002 wesentlich verursacht worden.
So ist von der Sachverständigen unter Auswertung der beigezogenen medizinischen Befunde aus der Zeit vor und unmittelbar nach dem Ereignis vom 10. Mai 2002 überzeugend dargelegt worden, dass bei der Klägerin bereits in der Zeit vor bzw. bei dem Überfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine psychische Erkrankung auf der Grundlage einer kombinierten Persönlichkeitsstörung in Folge kumulativ-traumatischer Kindheitserfahrungen und einer aktuellen traumatischen Ehesituation bestanden hatte. Deshalb hatte sich die Klägerin bereits in stationärer und ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befunden. Der Nachweis, dass es bei oder unmittelbar nach dem Ereignis vom 10. Mai 2002 zu einer wesentlichen Verschlechterung der ohnehin schon vorhandenen seelischen Reaktion bei der Klägerin gekommen war, lässt sich nicht führen. Insbesondere in den gutachterlichen Befundberichten der ambulanten Psychotherapeutin Frau Dr. L wird für diesen Zeitraum eher eine Befundbesserung beschrieben. Nach Auffassung der Sachverständigen können anhaltende unfallbedingte Gesundheitsstörungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Wesentliche Ursache für das chronische Krankheitsbild der Klägerin sind nach ihren Feststellungen folgende sonstige Faktoren: - Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der Grundlage der kumulativ- traumatischen Kindheitsentwicklung. - Eine berufliche Überforderungssituation mit resultierender kränkender Kündigung im November 2002. - Ein chronischer Ehekonflikt mit einem gewalttätigen, alkoholkranken Ehemann und Trennung im Dezember 2002 mit nachfolgendem vierjährigen Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikt. Nachvollziehbar wird dies von Dr. F anhand der in den Akten dokumentierten Befunde und seelischen Belastungen der Klägerin begründet. Danach war es in der Zeit nach dem Unfall zunächst zu einer von der ambulanten Psychotherapeutin beschriebenen Stabilisierung und später bis April 2014 trotz intensiver ambulanter und stationärer Behandlung zu einer steten Verschlimmerung und Chronifizierung der Erkrankung gekommen. Diese Progredienz war schon vom behandelnden Psychologen Dr. F nicht einem Singulärereignis, sondern den kumulativ wirksamen Traumatisierungen in Kindheit und Erwachsenenalter zugeordnet worden. Zwar wurde das Vergewaltigungsereignis erstmals am 18. Februar 2003 in einem Explorationsgespräch während des stationären Aufenthaltes in den R Kliniken vom 17. bis zum 27. Februar 2003, also 9 Monate nach dem Ereignis in einer persönlichen Lebenskrise, aktenkundig dokumentiert. Jedoch hatte die Klägerin das Vergewaltigungsereignis in dem dort am 19. Februar 2003 von ihr schriftlich verfassten umfassenden Lebensbericht nicht als auslösend für ihre vielfältigen Sorgen und Konflikte, sondern die negative Lebensbilanz und die vielen unfallfremden Konflikte benannt. Auch hatten die dort erstbehandelnden Ärzte eine histrionische und abhängige Persönlichkeitsstörung und eine Anpassungsstörung mit kurzer depressiver Reaktion bei Zuspitzung einer familiären Konfliktsituation attestiert, einen Unfall(Ereignis-)Zusammenhang dagegen nicht bestätigt. Zudem wurde nach Entlassung aus der Psychiatrie Ende Februar 2003 von der Klägerin und ihrer ambulanten Psychotherapeutin eine psychophysische Konsolidierung beschrieben. Die Klägerin konnte eigenen Wohnraum beziehen und sich über eine Annonce eine neue Partnerschaft mit dem aktuellen Ehemann aufbauen. Zudem hatte die Klägerin nach ihren Schilderungen bei der Exploration durch die Sachverständige im Sommer 2003 einen beruflichen Reintegrationsversuch in einer kleinen Ortschaft in einer Hotelanlage in der Nähe von Kärnten versucht, hier jedoch die große Entfernung vom Heimatort nicht aushalten können. In der Folgezeit hatte sich jedoch nach den Schilderungen der Klägerin der familiäre Konflikt zugespitzt, was auch durch ihre Angaben bei der Begutachtung im familiengerichtlichen Verfahren durch Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K von der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der C (vgl. Gutachten vom 02. Februar 2005) bestätigt wird. Dort hatte die Klägerin u. a. über Grübelzwang seit der endgültigen Trennung vom Ehemann im Dezember 2002, erhebliche Schuldgefühle gegenüber der zurückgelassenen Tochter, finanzielle Sorgen sowie Ängste, ihrem Ex-Ehemann zu begegnen oder diesen am Telefon zu haben, berichtet. Auch bei der Exploration durch die Sachverständige Dr. F hatte die Klägerin dargelegt, dass es für sie extrem belastend gewesen sei, dass ihre Tochter beim Vater geblieben sei. Den langjährigen Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikt hatte sie dahingehend beschrieben, dass ihr früherer Ehemann versucht habe, ihr Leben zu vernichten.
Bei dieser Sachlage sah sich der Senat auch nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision war mangels Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung der bei ihr vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002.
Die 1966 geborene Klägerin war in ihrer Kindheit vom 3. bis zum 11. Lebensjahr sexuellen Übergriffen ihres alkoholkranken und gewalttätigen Vaters ausgesetzt. Seit einer Vergewaltigung durch den Vater im 11. Lebensjahr leidet sie an heftigen Migräneattacken, die bereits in der Jugend zu Schmerzmittelmissbrauch/-sucht führten sowie später zu Unterleibsschmerzen. Zudem kam es schon im Kindheits- und Jugendalter zu depressiven Verstimmungen und ersten Suizidversuchen. 18-jährig wurde sie erneut Opfer einer (versuchten) Vergewaltigung. Von 1986 bis Dezember 2002 lebte die Klägerin mit einer kurzen Unterbrechung mit ihrem früheren Ehemann zusammen. Die Ehe, aus der 1987 eine Tochter hervorging, war geprägt durch gewalttätige und sexuelle Übergriffe (Vergewaltigungen) seitens des alkoholsüchtigen Ehemannes.
Die Klägerin befand sich u.a. im Jahr 1999 wegen Endometriosebeschwerden, einer Migräne und einer akuten Belastungsreaktion und im Jahr 2001 wegen einer Migräne, einem lokalen zervikalen Schmerzsyndrom mit Spannungskopfschmerz sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung mit instabilen Persönlichkeitszügen" in medizinischen Rehabilitations(Reha-)maßnahmen. Nach einem Suizidversuch im Jahr 1999 nahm sie im Juni 2000 eine Langzeitpsychotherapie bei der ärztlichen Psychotherapeutin Dr. L auf mit den Behandlungsdiagnosen: "Depressive Neurose als Autonomie-Abhängigkeits- und Selbstwertkonflikt, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Somatisierungsstörung, depressiv-abhängige-hysterische Neurosestruktur mit deutlicher Beeinträchtigung des Selbstsystems und deutlicher Beeinträchtigung des Selbstwerterlebens bei mäßig intakter Ich-Funktion" (vgl. Bericht zum Umwandlungsantrag in eine Langzeittherapie vom 20. Juli 2001) bzw. zusätzlich hierzu "Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung" bei sexueller Traumatisierung in der Kindheit" (Bericht zum Fortführungsantrag der Therapie vom 11. Januar 2003). Die Therapie endete letztlich im Januar 2004 aufgrund des Umzuges von Dr. Lampe.
Bei der Klägerin bestand wiederholt Arbeitsunfähigkeit wegen Migräne und Unterleibsbeschwerden bei Endometriose, aber auch wegen der Diagnosen "Neurose/akute reaktive Depression" vom 03. bis zum 08. Mai 1998, "psychogene Reaktion/akute Belastungsreaktion" vom 11. März bis zum 01. April 1999, "depressive Episode" vom 16. Juni bis zum 12. Juli 2000 sowie "Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen" und "psychogene Beschwerdekomplexe" vom 04. bis zum 25. Januar 2001 (vgl. Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 25. August 2003).
Vom 01. August 1999 bis zum 30. April 2003 war die Klägerin als Fachkraft "Servicemitarbeiter" bei der S M "W K KG bzw. dem Hafendorf M "W" K KG in K beschäftigt. An Christi Himmelfahrt, dem 09. Mai 2002 nahm die Klägerin um 15:00 Uhr ihre Tätigkeit in der dortigen Gastronomie auf und beendete diese um 2:00 Uhr morgens am 10. Mai 2002. Sie begab sich dann auf den ca. 5 Minuten vom Arbeitsort entfernten unbeleuchteten Parkplatz, wo nur noch ihr Auto stand. Dort wurde sie von zwei unbekannten alkoholisierten Männern von hinten angefallen und vergewaltigt. Nachdem die Männer sich entfernt hatten, fuhr sie mit ihrem Pkw nach Hause. Nach ihren Schilderungen verspürte sie heftige Schmerzen im Unterleib, Ekel und Scham. Zu Hause wusch sie sich und begab sich zu Bett. Aus Scham redete sie mit keinem darüber, erst Ende 2003 erzählte sie ihrer Freundin A S von dem Vorfall, jedoch nicht im Detail (vgl. Angaben der Klägerin bei der Beklagten im Schreiben vom 13. April 2005 und Fragebogen vom 25. April 2005 sowie bei Stellung der Strafanzeige bei der Polizeiwache N am 15. Mai 2006).
In der Folgezeit setzte die Klägerin ihre Arbeitstätigkeit fort, unterbrochen durch kurze Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vom 17. bis zum 19. Juli 2002 wegen einer akuten Infektion der oberen Atemwege, vom 29. bis zum 30. Juli 2002 wegen Rückenschmerzen/Lumboischialgie, am 28. August 2002 wegen Migräne und am 04. Oktober 2002 wegen einer Synovitis/Tendovaginitis stenosans (vgl. Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 25. August 2003). Gegen eine erste betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2002 wehrte sich die Klägerin erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage.
Vom 17. bis zum 27. Februar 2003 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der II. Psychiatrischen Klinik der R Kliniken in N mit den Diagnosen: "Anpassungsstörung mit kurzer depressiver Reaktion bei Zuspitzung der familiären Konfliktsituation (F43.20) vor dem Hintergrund einer histrionischen und abhängigen Persönlichkeitsstörung (F60.4, F60.7), vgl. Epikrise vom 23. Mai 2003. Dem vorausgegangen war ein Suizidversuch mit Tabletten, nachdem die Klägerin Weihnachten 2002 ihren Ehemann, Kind und Haus verlassen hatte und zu ihrem neuen Freund gezogen war, der nunmehr die Beziehung beenden wollte. Während des Aufenthaltes erstellte die Klägerin am 19. Februar 2003 einen Lebensbericht, in dem der Überfall vom Mai 2002 keine Erwähnung fand. Im Rahmen eines in der Klinik geführten psychotherapeutischen Gesprächs gab sie neben den Missbrauchserfahrungen in der Kindheit u. a. an, vor zwei Jahren nach dem Spätdienst vergewaltigt worden zu sein (vgl. ärztlicher Verlaufsbericht vom 18. Februar 2003).
Vom 28. Oktober bis zum 09. Dezember 2003 befand sich die Klägerin in einer stationären Reha-Maßnahme in der V in G mit den Diagnosen: "Posttraumatische Belastungsstörung (nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit und im Erwachsenalter), rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelschwere Episode, Migräne, Endometriose" (vgl. Entlassungsbericht vom 10. Dezember 2003). Das Leistungsvermögen der Klägerin wurde wegen der durch die eingeschränkte posttraumatische Symptomatik bedingten Einschränkung der seelischen Belastbarkeit, der Konzentrationsfähigkeit und des Umstellungs- und Anpassungsvermögens als aufgehoben beurteilt. Eine ambulante Psychotherapie mit traumaspezifischem Schwerpunkt wurde dringend empfohlen.
Ab dem 16. Dezember 2003 befand sich die Klägerin in Behandlung des psychologischen Psychotherapeuten Dr. phil. Dipl.-Psych. F wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Rahmen einer komplexen Traumatisierung (Typ II), d. h. bei Vorliegen mehrerer traumatischer Ereignisse über einen langen Zeitraum hinweg (vgl. Befundbericht vom 31. August 2004).
Der Rentenversicherungsträger gewährte der Klägerin rückwirkend ab dem 01. September 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, die nach wiederholter Befristung (vgl. Bescheid vom 14. Juni 2005) nunmehr auf Dauer gewährt wird.
Vom 12. Oktober bis zum 23. November 2004 befand sich die Klägerin in einer stationären Reha-Maßnahme in der Klinik F in B S mit den Diagnosen: "Komplexe posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störung, Migräne, anhaltende somatoforme Schmerzstörung" (vgl. Entlassungsbericht vom 29. November 2004).
Am 04. April 2005 zeigte der behandelnde Traumatherapeut Dipl.-Psych. F telefonisch bei der Beklagten die von der Klägerin im Jahr 2002 auf dem Weg zur Arbeitsstelle nach Hause erlebte Vergewaltigung als Arbeitsunfall an. Die Beklagte nahm daraufhin ihre Ermittlungen auf und befragte zunächst die Klägerin schriftlich (Schreiben der Klägerin vom 13. April 2005, ausgefüllter Fragebogen vom 25. April 2005) sowie persönlich bei einem Hausbesuch am 13. Juni 2005 (vgl. Beratungsvermerk vom gleichen Tage). Hierbei gab die Klägerin an, damals wie in Trance nach Hause gefahren zu sein, Ekel und nur noch das Verlangen verspürt zu haben, sich zu waschen. Eine Meldung bei der Polizei oder dem Arbeitgeber sei nicht erfolgt. Sie habe sich zu sehr geschämt. Auch habe sie in ihrem damaligen Ehemann keinen Zuhörer gehabt. Nur einmal habe sie ihrer damaligen Schichtleiterin mitgeteilt, was passiert sei, und zwar als sie einen Gast als einen der Täter wieder erkannt habe. Diese habe das abgetan und gemeint "Nein, das glaube ich nicht, dass ist so ein netter Kerl, du musst dich irren." Es sei ihr nicht mehr möglich, innerhalb ihrer Tätigkeit als Kellnerin einem Mann eine Flasche Bier zu servieren, der Alkoholgeruch erinnere sie daran. Einen erneuten Arbeitsversuch im Februar 2003 habe sie wegen eines Zusammenbruchs auf der Arbeit abbrechen müssen.
Auf Anforderung der Beklagten legte die Klägerin u. a. Nachweise über das Beschäftigungsverhältnis (Anstellungsvertrag vom 27. Juli 1999, Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vom 30. Oktober 2002 und 28. März 2003, Kündigungsschutzklage vom 13. November 2002, Zeitungsannonce über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der M "W" K KG vom 01. April 2003, ein nachträglicher Computerausdruck eines "Stundenberichts Tag (9)" vom 26. August 2009 (laut Klägerin, der ihr auf Anfrage übersandte Dienstplan vom 09. Mai 2002) sowie eine schriftliche Bestätigung über die Beschäftigung der Klägerin in der Hotelanlage von der ehemaligen Schichtleiterin U L vom August 2005 vor.
Die Beklagte holte eine schriftliche Erklärung der Zeugin A S vom 05. Juli 2005 ein, die angab, dass ihr die Klägerin erst nach langem Zögern in einem Gespräch von dem Vorfall berichtet habe. Die Hausärztin der Klägerin, die Allgemeinmedizinerin Dipl.-Med. S teilte unter dem 08. Juli 2005 mit, dass sich die Klägerin wegen des genannten Ereignisses (Überfall mit Vergewaltigung) nicht in ihrer Sprechstunde vorgestellt und sie erst vor kurzem hierüber eine Information erhalten habe. Zudem zog die Beklagte neben weiteren medizinischen Unterlagen auch das im Auftrag des Rentenversicherungsträgers erstellte Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 13. Mai 2005 bei, der die Klägerin mit den Diagnosen: "Persönlichkeitsstörung seit früher Kindheit, erlebnisreaktiv geprägt mit Zügen des Histrionischen, Abhängigen, auch emotional Instabilen, komplexe posttraumatische Belastungsstörung, Migräne, zerebrale Anfälle mit Bewusstlosigkeit, Verdacht auf vegetativ-vagale Auslösung" als weiterhin nur unter 3 Stunden leistungsfähig einschätzte.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2005 lehnte die Beklagte eine Entschädigung für das Ereignis, von dem die Klägerin nach ihren Angaben am 09. Mai 2002 als versicherte Person des Unternehmens M W GmbH, H mit Hotel, Kl, betroffen worden sei, ab. Zur Begründung führte sie aus, es lägen keine beweiserheblichen Unterlagen vor, die die Tätigkeit der Klägerin am Tag des angezeigten Ereignisses bestätigten. Der vorliegende Stundenzettel trage kein Datum und sei somit als Nachweis nicht verwendbar. Ebenso wenig sei ein zeitnaher Arztbesuch oder eine polizeiliche Meldung erfolgt. Weitere Belege, wie die Unfallanzeige des Hotels, die für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sprächen, existierten nicht. Den Aussagen von Personen wie Frau S oder der Hausärztin S könne nur eine geringe Bedeutung zukommen, da sie von dem Ereignis erst viel später durch die Klägerin in Kenntnis gesetzt worden seien. Abgesehen davon, wäre auch der Zusammenhang zwischen dem Ereignis und den erhobenen Befunden bzw. der aktuellen Behandlungsbedürftigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich, da sich bei der Klägerin nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen erhebliche Beschwerden auf psychologischem Gebiet wie in Form von Depressionen seit der Jugend bemerkbar gemacht hätten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 01. November 2005 Widerspruch. Zur Begründung führte sie u. a. aus, ihr könne nicht zu Last gelegt werden, dass sie das Ereignis erst so viel später gemeldet habe. Schließlich habe sie sich danach nur geschämt und beschmutzt gefühlt. Auch sei ihr nicht bewusst gewesen, dass es sich hierbei um einen Arbeitsunfall habe handeln können. Dies habe sie erst durch ihren behandelnden Psychotherapeuten Dipl.-.Psych. F erfahren. Auch fehle es nicht an einem Ursachenzusammenhang zwischen der erlebten Vergewaltigung vom 09. Mai 2002 und den bei ihr bestehenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Aus dem für die Rentenversicherung erstellten Gutachten von Dipl. Med. H werde deutlich, dass die schon teilweise verarbeiteten Vorkommnisse in ihrer Jugend durch die Vergewaltigung wieder belebt und somit die Wirkung des letzten Ereignisses lediglich verstärkt hätten. Dies sehe auch der behandelnde Psychotherapeut F so, sonst hätte er keine entsprechende Meldung an die Berufsgenossenschaft getätigt. Wie nachhaltig sich die Vergewaltigung auf die Psyche und das Beschwerdebild auswirke, werde durch die langandauernde Arbeitsunfähigkeit seit September 2003 und das Vorliegen von voller Erwerbsminderung bestätigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, das angeschuldigte Ereignis beruhe einzig auf den eigenen Angaben der Klägerin und sei somit nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.
Zwischenzeitlich war die Klägerin im Rahmen des Ehescheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtsstreit beim Amtsgericht Neuruppin ( und durch Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K von der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der C begutachtet worden, die die Diagnosen "Posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelschwere Episode, ich-strukturelle Störung, emotional instabil, Zwangshandlung, Migräne, Endometriose mit Zustand nach Hysterektomie 2/2002" stellten (Gutachten vom 02. Februar 2005).
Des Weiteren hatte die Klägerin auf der Polizeiwache N am 15. Mai 2005 unter Schilderung der Ereignisse in der Nacht zum 10. Mai 2002 Strafanzeige wegen sexueller Nötigung/Vergewaltigung nach § 177 Strafgesetzbuch (StGB) gestellt. Die Staatsanwaltschaft (Sta) N (Az. ) stellte die Ermittlungen mangels weiterer Ermittlungsmöglichkeiten im Februar 2007 ein.
Am 28. Februar 2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht N (SG) Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 zu verurteilen, ihr wegen des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002 Verletztenrente zu gewähren. Dass sie sich das Ereignis nicht ausgedacht habe, um eine Unfallentschädigung zu erlangen, ergebe sich aus dem Umstand, dass das Ereignis schon im Reha-Abschlussbericht vom 09. Dezember 2003 dokumentiert worden sei. Als Zeugin dafür, dass sie am 09./10. Mai 2002 tatsächlich gearbeitet habe, hat sie eine weitere Mitarbeiterin, Frau H B benannt. Sie hat u. a. Befundberichte des sie behandelnden Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 20. März 2006 und 14. April 2008, ein Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 31. März 2006 für den Zeitraum von Juli 2002 bis Januar 2005 sowie ein für den Rentenversicherungsträger erstelltes Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. K vom 01. Februar 2009, in dem ihr mit den Diagnosen: "Posttraumatische Belastungsstörung und chronifizierte depressive Störung" weiterhin ein auf unter 3 Stunden eingeschränktes Leistungsvermögen bescheinigt wird, vorgelegt.
Das SG hat die Ermittlungsakte der Sta Neuruppin zum Az. beigezogen und hiervon Kopien zur Akte gefertigt (siehe Beiheft).
In der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2012 hat das SG als Zeugen die die Strafanzeige aufnehmenden Polizisten, KOK R und KHM N, vernommen; insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Durch Urteil vom gleichen Tage hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2006 aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin am 10. Mai 2002 einen Arbeitsunfall erlitten habe, sowie im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, zwar habe niemand den Geschehensablauf gesehen und die Klägerin habe erst sehr viel später ärztliche Behandlungen in Anspruch genommen, jedoch sei die Kammer im Ergebnis der Beweiserhebung und der Ermittlungen im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit am 10. Mai 2002 gegen 2:00 Uhr morgens einen Wegeunfall erlitten habe, welcher als Arbeitsunfall festzustellen sei. Die Klägerin habe auf dem Weg zum Parkplatz nach Beendigung der Spätschicht im Unternehmen M "W GmbH, H mit Hotel, K gegen 2:00 Uhr morgens am 10. Mai 2002 unter Versicherungsschutz gestanden, als sie von zwei Unbekannten überwältigt und vergewaltigt worden sei. Dafür sprächen die glaubhaften Vorträge der Klägerin, die glaubhaften Bekundungen der Zeugin S vom 05. Juli 2005 und insbesondere die im Termin am 28. Juni 2012 von der Kammer gehörten Zeugen KOK R und KHM N. Allerdings stehe der Anerkennung von Folgen aus dem versicherten Ereignis vom 10. Mai 2002 die Nichterweislichkeit des "Gesundheitserstschadens", d. h. des durch das Ereignis vom 10. Mai 2002 eingetretenen Gesundheitsschadens entgegen. Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und ggf. die Entschädigung durch Zahlung einer Verletztenrente setze jedoch voraus, dass die Gesundheitsstörungen auch Folge des versicherten Ereignisses seien. Vorliegend gehe die Nichterweislichkeit der Feststellung eines "Erstschadens" zu Lasten der Klägerin.
Gegen das ihr am 23. August 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Klägerin mit ihrer am 24. September 2012 (Montag) eingelegten Berufung, mit der sie nach richterlichem Hinweis auf die Unzulässigkeit der Leistungsklage nur noch die Feststellung der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankungen als Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002 begehrt. Das SG sei fehlerhaft von einer Unerweislichkeit eines unfallbedingten Gesundheitsschadens ausgegangen. Hierzu hätte es insbesondere der Einholung eines Zusammenhangsgutachtens bedurft. Sie leide in der zeitlichen Nachfolge des Ereignisses vom 10. Mai 2002 an einer erheblichen, insbesondere psychischen Erkrankung mit auch vorliegenden psychosomatischen Störungen. Auch wenn bei ihr psychische Vorbelastungen vorgelegen hätten, so sei dies jedoch nicht entscheidend für die nunmehr nach dem schädigenden Ereignis vorliegenden gesundheitlichen Störungen. So sei sie vor dem Arbeitsunfall in vollem Umfang arbeitsfähig und zu keinem Zeitpunkt zuvor in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Juni 2012 zu ändern und festzustellen, dass die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen "chronisch- komplexe posttraumatische Belastungsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung" Folgen des Arbeits- unfalls vom 10. Mai 2002 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht eine wesentliche Verursachung der bei der Klägerin bestehenden psychischen Störungen durch den Arbeitsunfall nicht als hinreichend wahrscheinlich an.
Der Senat hat zunächst die Reha-Entlassungsberichte des E B S GmbH vom 29. April 1999, der M Klinik für Orthopädie und Psychosomatik B vom 08. Februar 2001, der V vom 10. Dezember 2003 und der Klinik F vom 29. November 2004 sowie das von Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K für das Amtsgericht Neuruppin ( und erstellte Gutachten vom 02. Februar 2005 beigezogen und Befundberichte der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. C vom 04. Oktober 2013 sowie der ärztlichen Psychotherapeutin Dr. L vom 19. November 2013 nebst der von ihr für die Krankenkasse erstellten Berichte vom 20. Juli 2001 und 11. Januar 2003 angefordert. Des Weiteren hat der Senat von den R Kliniken den Entlassungsbericht der Frauenklinik vom 02. Februar 2002 in Kopie zur Akte genommen und die Patientenunterlagen über die stationäre Behandlung vom 17. Februar bis zum 27. Februar 2003 in der II. Psychiatrischen Klinik beigezogen und hiervon Kopien zur Akte gefertigt (u.a. die Epikrise vom 23. Mai 2003). Zudem sind die Reha- und Rentenakten der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) beigezogen und hieraus Kopien für die Akte gefertigt worden (u. a. Vorerkrankungsverzeichnis der D vom 25. August 2003 für den Zeitraum von Dezember 1996 bis August 2003, Befundbericht des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 31. August 2004, Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 08. September 2006 mit den Diagnosen: "Chronische komplexe posttraumatische Belastungsstörung (Neurose) bei Persönlichkeitsstörung, anhaltende depressive Störung" sowie der Einschätzung eines auch weiterhin aufgehobenen Leistungsvermögens, Bericht der Klinik S – Fachklinik für psychosomatische Medizin – in P vom 18. August 2006 über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 26. Juni bis zum 18. August 2006).
Sodann hat aufgrund Beweisanordnung des Senats vom 25. Februar 2014 die Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. F am 29. April 2014 ein Sachverständigengutachten nach Untersuchung der Klägerin am 23. April 2014 erstattet. Dr. F hat nach ausführlicher Exploration der Klägerin, Erhebung eines psychopathologischen Befundes und intensiver Auseinandersetzung mit den in den Akten dokumentierten medizinischen, psychiatrischen und psychologischen Befunden sowie dem Lebenslauf der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: - Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F33.0) - Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) - Generalisierte Angststörung (F41.1) - Vorwiegend Zwangshandlungen im Sinne eines Waschzwangs (F42.1) - Schädlicher Gebrauch opioidhaltiger Analgetika (F11.1), differentialdiagnostisch Abhängigkeitssyndrom (F11.2) - Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F603.1) - Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4). Sie hat ausgeführt, bei der Klägerin habe bei dem Ereignis vom 10. Mai 2002 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits eine psychische Erkrankung auf der Grundlage einer kombinierten Persönlichkeitsstörung in Folge kumulativ-traumatischer Kindheitserfahrungen und einer aktuellen traumatischen Ehesituation bestanden. Deshalb habe sich die Klägerin bereits in stationärer und ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befunden. Nach der Aktenlage könne nicht nachgewiesen werden, dass es bei oder unmittelbar nach dem Ereignis vom 10. Mai 2002 zur Verschlechterung der ohnehin schon vorhandenen seelischen Reaktion der Klägerin gekommen sei. Insbesondere in den gutachterlichen Befundberichten der ambulanten Psychotherapeutin Dr. L werde eher eine Befundbesserung beschrieben. Warum die Klägerin ihrer Vertrauenspsychotherapeutin über Jahre nicht von dem Ereignis erzählt haben will, könne von ihr selbst nicht begründet werden. Es könne kein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bestätigender Nachweis geführt werden, dass es durch das von der Klägerin berichtete Überfallereignis vom 10. Mai 2002 zur erstmaligen Entstehung oder zur wesentlichen Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens gekommen sei. Für das chronische Krankheitsbild der Klägerin seien folgende sonstige Faktoren ausschlaggebend: - Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der Grundlage der kumulativ- traumatischen Kindheitsentwicklung. - Eine berufliche Überforderungssituation mit resultierender kränkender Kündigung im November 2002. - Ein chronischer Ehekonflikt mit einem gewalttätigen, alkoholkranken Ehemann und Trennung im Dezember 2002 mit nachfolgendem vierjährigen Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikt. Soweit es nach Aktenlage nachvollzogen werden könne, seien die zuvor genannten Faktoren die wesentliche Ursache für die jetzige Erkrankung. Anhaltende unfallbedingte Gesundheitsstörungen könnten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Objektivierbar begründet werden könne, dass die Klägerin sich zum Unfallzeitpunkt bereits wegen psychischer Erkrankungen in stationärer und ambulanter Behandlung befunden habe. Hier sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass es von Mai 2002 bis April 2014 trotz intensiver ambulanter und stationärer Behandlung zu einer steten Verschlimmerung und Chronifizierung der Erkrankung gekommen sei. Diese Progredienz sei schon vom behandelnden Psychologen Dr. F nicht einem Singulärereignis, sondern den kumulativ wirksamen Traumatisierungen in Kindheit und Erwachsenenalter zugeordnet worden. Nach Sichtung der Patientenakte der R Kliniken über die stationäre Behandlung vom 17. bis zum 27. Februar 2003 könne noch einmal bestätigt werden, dass in dem von der Klägerin schriftlich verfassten Bericht vom 19. Februar 2003 die Vergewaltigung nicht als auslösend für ihre vielfältigen Sorgen und Konflikte benannt werde. In den in den Akten dokumentierten Befundberichten würden beinahe alle möglichen psychiatrischen Diagnosecluster entsprechend der ICD-10 und DSM-IV erfasst mit Ausnahme von organischen Hirnerkrankungen und psychotischen Erkrankungen. Hierbei deuteten sich erhebliche differentialdiagnostische Schwierigkeiten an, die auch dem Umstand geschuldet seien, dass in den Berichten nicht entsprechend ICD-10 und DSM-IV klassifiziert worden sei. Eine posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) könne unabhängig vom Alter sofort oder nach einer Latenz von mehreren Monaten nach einem Singulärereignis einsetzen und subakut oder chronisch verlaufen. Da die Klägerin jedoch schon zuvor in ihrer Kindheit und im Erwachsenalter kumulativ traumatischen Erfahrungen ausgesetzt gewesen sei, müsste dann von einer chronisch verlaufenden PTSD ausgegangen werden. Eine seit Kindheit respektive Adoleszenz bestehende Störung werde dann jedoch im Sinne einer Persönlichkeitsstörung erfasst, z. B. wie bei der Klägerin als eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. Nach ICD-10 könne auch eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung (F62.0) codiert werden. Dann müssten aber bestimmte zuvor nicht beobachtete Merkmale vorliegen, d. h. diese Persönlichkeitsänderung dürfe nicht auf eine vorher bestehende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sein. Daher sei auch diese Diagnose bei der Klägerin auszuschließen. Dagegen seien bei der Klägerin sämtliche in der ICD-10 geforderten Merkmale einer kombinierten Persönlichkeitsstörung im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F60.31) mit histrionischen und abhängigen Anteilen zu objektivieren.
Dem Gutachten beigefügt waren von der Klägerin vorgelegte Berichte der Psychotherapeutin Dipl.-Psych. H vom 31. Januar 2013 über eine Behandlung im Zeitraum vom 23. Mai 2011 bis zum 13. September 2012 sowie ein Bericht des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Prof. Dr. D vom 16. Mai 2012 zur Prüfung einer multimodalen stationären Schmerzbehandlung (Diagnosen: Anamnestisch angegebene Migräne, anamnestisch angegebenes Binch-eating, major depressives Syndrom, Verdacht auf ich-strukturelle Störung).
Die Beigeladene hat unter Bezugnahme auf eine dem Schriftsatz vom 26. Juni 2014 beigefügte Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. W vom 24. Juni 2014 die Auffassung vertreten, dass Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2002 nicht anzuerkennen seien.
Die Klägerin hat durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 08. Juli 2014, auf den Bezug genommen wird, umfänglich Kritik an dem Gutachten geübt.
Die Sachverständige Dr. F ist nach detaillierter Auseinandersetzung mit der von der Klägerin erhobenen Kritik in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2014, auf deren Inhalt verwiesen wird, bei ihrer Beurteilung geblieben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten nebst Beiheften sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer psychischen Erkrankungen, insbesondere einer "chronisch-komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung" als Folgen des vom SG Neuruppin durch insoweit rechtskräftiges Urteil vom 28. Juni 2012 festgestellten Arbeitsunfalls vom 10. Mai 2012.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Versicherte Tätigkeit ist u.a. auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a. a. O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).
Der Unfallbegriff i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfasst nicht nur organische Verletzungen, sondern auch psychische Gesundheitsstörungen als unmittelbare Reaktion auf ein äußeres Ereignis (gesundheitlicher Erstschaden). Daraus folgt, dass, auch wenn sich die Schädigung nur im psychischen Bereich bei gleichzeitig erhaltener körperlicher Integrität auswirkt, ein Unfallereignis vorliegen kann (vgl. Dr. Benz "Psyche und Trauma aus der Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung" in NZS 2002, S. 8 ff, S. 10; Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Kap. 5.1.10, S. 147 f.). Ob ein Gesundheitsschaden i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegt, beurteilt sich nach dem Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist eine Krankheit ein "regelwidriger Körper- und Geisteszustand", worunter auch eine psychische Störung fällt (vgl. Dr. Benz, a. a. O., S. 10). Es muss sich daher um eine seelische Reaktion mit Krankheitswert handeln (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, a.a.O., S. 148). Der individuelle seelische Erstschaden muss durch objektive Umstände zeitnah zum Unfallereignis beweisbar sein, so dass sich die richterliche Überzeugung darauf stützen und eine Ursachenzusammenhang begründet werden kann (s. hierzu S. Bultmann/M. Fabra "War es überhaupt ein Unfall? Erstschadensbeurteilung bei psychogenen Störungen in der gesetzlichen Unfallversicherung" in MED SACH 105 5/2009, S. 172 ff., 174). Ist eine initiale seelische Reaktion auf das Ereignis oder eine unmittelbare Behandlung nach dem Ereignis nicht dokumentiert, aber im Nachhinein von dem Betroffenen oder von Zeugen geschildert, obliegt es der juristischen Beweiswürdigung, ob der Vollbeweis des Gesundheits(erst)schadens erbracht ist (vgl. S. Bultmann/M. Fabra, a.a.O., S. 175).
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ist laut ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, in SozR 4 -2700 § 8 Nr. 17) zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei der oder dem Verletzten vorliegen und die Erwerbsfähigkeit mindern. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV-TR = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung - Textrevision, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 1. Aufl. 2003). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.
Sodann ist zu prüfen, welche Ursachen für die festgestellte psychische Gesundheitsstörung nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und in einem zweiten Schritt, ob die versicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstörungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, a. a. O.). Basis dieser Beurteilung müssen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Erkrankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen sein. Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind wie die Psychiatrie und Psychologie, schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z. B. Mehrhoff/Ekkerkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Aufl. 2012; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen (hier insbesondere "Posttraumatische Belastungsstörung" AWMF-Leitlinien-Register 051/010 von Januar 2011, veröffentlicht unter www.awmf.org). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen. Eine bloße Literaturauswertung seitens des Gerichts genügt zur Feststellung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes allerdings in der Regel nicht, weil dessen Beurteilung zumeist medizinische Fachkunde voraussetzt. Vielmehr ist die Klärung des der Ursachenbeurteilung zugrunde zu legenden, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in der Regel im Rahmen eines Sachverständigengutachtens durchzuführen. Andererseits wird, wenn eine bestimmte Diagnose ein Ereignis einer bestimmten Schwere voraussetzt, von einem entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auszugehen sein.
Vorliegend kann mit dem SG davon ausgegangen werden, dass die Klägerin am 10. Mai 2002 gegen 2:00 morgens bei ihrem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten unmittelbaren Weg von dem Ort ihrer nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SBG VII versicherten Tätigkeit als Servicemitarbeiterin in der Gastronomie der M "W" K AG von einem Unfallereignis betroffen war, als sie beim Aufsuchen ihres PKW auf dem hinteren Parkplatz der Marina von 2 unbekannten alkoholisierten Männern von hinten angefallen und vergewaltigt worden war.
Zwar sind hier weder ein organischer regelwidriger Körperzustand noch eine unmittelbare seelische Reaktion mit Krankheitswert bei der Klägerin durch entsprechende medizinische Befunde oder Beobachtungen von Zeugen unmittelbar nach dem Überfallereignis vom 10. Mai 2002 bzw. zeitnah zum Ereignis objektivierbar bzw. nachweisbar, da die Klägerin weder ihre sie damals behandelnden Ärzte deswegen aufgesucht noch ihnen oder anderen Personen zeitnah von dem Ereignis berichtet oder eine polizeiliche Anzeige vorgenommen hatte. In diesem Sinne weist auch die vom Senat gehörte Sachverständige Dr. F in ihrem Gutachten vom 29. April 2014 zutreffend darauf hin, dass ein so genannter Erst- oder primärer Schaden, ob körperlich oder seelisch, vorliegend nicht objektiviert und diagnostisch eingeordnet werden kann. Im Hinblick darauf, dass das Überfallereignis einen massiven Angriff auf die körperliche und seelische Integrität der Klägerin darstellte, und auf die späteren, für den Senat glaubhaften Schilderungen der Klägerin hierzu ist zumindest ein (vorübergehender) Gesundheitserstschaden festzustellen. Schließlich hatte die Klägerin glaubhaft angegeben, bei bzw. nach der Vergewaltigung heftige Schmerzen im Unterleib (= regelwidriger Körperzustand) sowie Ekel und Scham verspürt, wie in "Trance" nach Hause gefahren zu sein und sich stundenlang habe waschen müssen bzw. unter "Schock" (= regelwidriger Geisteszustand) gestanden zu haben, vgl. ihre Angaben im Schreiben vom 13. April 2005 und Fragebogen vom 25. April 2005, bei der Vernehmung auf der Polizeiwache N am 15. Mai 2005, bei der Begutachtung durch Dr. Frommhold am 23. April 2014).
Über die Anerkennung des Ereignisses vom 10. Mai 2002 als Arbeitsunfall hinaus sind jedoch zur Überzeugung des Senats (§ 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) keine dauerhaften Unfallfolgen festzustellen. Dies beruht auf dem fachkundigen Gutachten der Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. F vom 29. April 2014 nebst ergänzender Stellungnahme vom 10. September 2014. Die Sachverständige hat ihr Gutachten nach ausführlicher Exploration der Klägerin, Erhebung eines eigenen psychopathologischen Befundes und nach intensiver Auseinandersetzung mit den in den Akten dokumentierten medizinischen, psychiatrischen und psychologischen Befunden sowie dem Lebenslauf der Klägerin erstellt. Insbesondere hat sie, wie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefordert, die bei der Klägerin vor und nach dem Überfallereignis bestehenden psychischen Störungen differentialdiagnostisch anhand der gültigen Diagnosekriterien ICD-10 konkret festgestellt, das maßgebliche Ereignis vom 10. Mai 2002 in Bezug auf das äußere Gesamtgeschehen verdeutlicht und in seinen grundsätzlichen Auswirkungen auf die einzelnen Störungen bewertet sowie die anderen, als unfallunabhängige, konkurrierende Ursachen in Erwägung zu ziehenden Umstände und Faktoren (Primärpersönlichkeit, Vorerkrankungen etc.) konkretisiert und analysiert. Nicht zu beanstanden ist, dass die Sachverständige die Klägerin auf deren Wunsch im Beisein ihres Ehemannes exploriert hat. Denn die Klägerin hatte auch nach umfassender Erörterung der Problematik einer psychiatrischen Exploration in Anwesenheit von Dritten durch die Sachverständige auf das Beisein ihres Partners bestanden. Ebenso entsprach die vorsichtige Exploration der eigentlichen Überfallsituation in der Nacht vom 09. zum 10. Mai 2002 den gegenüber der Sachverständigen geäußerten Wünschen der Klägerin.
Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen bestehen bei der Klägerin folgende psychische Gesundheitsstörungen: - rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (F33.0), - Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01), generalisierte Angststörung (F41.1), - vorwiegend Zwangshandlungen im Sinne eines Waschzwangs (F42.1), - schädlicher Gebrauch opioidhaltiger Analgetika (F11.1), differentialdiagnostisch Abhängigkeitssyndrom (F11.2), - emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F603.1), - Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.4).
Wie die Sachverständige anhand der ICD-10 und DSM-IV-Kriterien nachvollziehbar dargelegt hat, kann bei der Klägerin eine (chronisch-komplexe) posttraumatische Belastungsstörung nicht festgestellt werden. Soweit diese Diagnose wiederholt in Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte bzw. Psychotherapeuten aufgeführt wird, z.B. Reha-Entlassungsberichte der V vom 10. Dezember 2003 und der Klinik F vom 29. November 2004, Gutachten von Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K von der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der C vom 02. Februar 2005, Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 13. Mai 2005 sowie Bericht des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 14. April 2006, lassen diese eine Auseinandersetzung mit den gültigen Diagnosekriterien vermissen.
Zum einen lassen sich vorliegend bezogen auf das Überfallereignis vom 10. Mai 2002 die Diagnosekriterien einer PTBS nicht objektivieren.
Laut ICD-10 F43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV TR Nr. 309.81 der PTBS lauten: A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die bei- den folgenden Kriterien vorhanden waren: 1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen konfrontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Per- sonen beinhalteten. 2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses auf mindestens eine der folgenden Weisen: 1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bildern, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können. 2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis. 3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wieder zu erleben, Illusionen, Halluzinationen und disso- ziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikation auftreten). 4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder extern- len Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. 5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hin- weisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen. 3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern. 4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivi- täten. 5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen. 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden). 7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft. D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (d. h. Erregung) (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen. 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche. 3. Konzentrationsschwierigkeiten. 4. Hypervigilanz (übermäßige Wachsamkeit). 5. Übertriebene Schreckreaktionen. E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat. F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beein- trächtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Ausgehend von diesen Kriterien hat Dr. Fanhand ihrer Exploration der Klägerin und Auswertung der in den Akten dokumentierten psychopathologischen Befunde der behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht objektivieren lässt. Zwar erfüllt eine Vergewaltigung durch zwei alkoholisierte Männer zwangsläufig das A1-Kriterium, jedoch ist der Nachweis des A2-Kriteriums bei der Klägerin problematisch. Dies erfordert, dass die betroffene geschädigte Person auf das Ereignis unmittelbar mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder einem Entsetzen reagiert haben muss. Ein so genannter Erst- oder primärer Schaden, ob körperlich oder seelisch, kann nach Auffassung der Sachverständigen vorliegend nicht objektiviert werden, da die Klägerin sich überfallbezogen nicht in ärztliche Behandlung begeben und auch in der zum Überfallzeitpunkt laufenden Psychotherapie nicht über das Überfallereignis berichtet hatte. Vielmehr wurde von der die Klägerin zu dieser Zeit ambulant behandelnden Psychotherapeutin Dr. L im Bericht zum Fortführungsantrag vom 11. Januar 2003 auf eine sukzessive Besserung und Stabilisierung im Befinden der Klägerin hingewiesen. Abgesehen davon, sah die Sachverständige auch das C- und F-Kriterium als nicht erfüllt an. Nach dem C-Kriterium ist die Vermeidung ereignisbezogener Reize oder Verleugnung des seelischen Traumas bzw. einzelner Aspekte, davon auch zumindest 3 von 7 definierten Bedingungen, erforderlich. Gegen das Vorliegen des C-Kriteriums spricht hier der Umstand, dass die Klägerin ihre Tätigkeit in der Gastronomie, die mit dem Servieren von alkoholischen Getränken an Männer und Aufsuchen des Unfallortes verbunden ist, noch von Mai bis November 2002 fortgesetzt hatte und der Abbruch der beruflichen Tätigkeit erst durch die (betriebsbedingte) Kündigung des Arbeitgebers im November 2002 bzw. nach erfolgreichem Kündigungsschutzverfahren erneut im März 2003 erfolgt war. Das F-Kriterium betrifft die Lebensbeeinträchtigungen, d. h. das Störungsbild muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen. Hier wurde jedoch von der behandelnden Psychotherapeutin Dr. L eher eine Besserung im psychischen Befinden bestätigt, denn nach deren Ausführungen im Bericht zum Fortführungsantrag vom 11. Januar 2003 hatte sich die Klägerin im Sommer 2002 eine Affäre erlaubt, im Herbst 2002 neu verliebt und sich in der neuen Beziehung endlich die Trennung vom gewalttätigen Ehemann zugetraut. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die beschriebene Minderung der Symptome sich als Ausdruck einer schwerwiegenden seelischen Erschütterung in Form der Abspaltung und damit einer nach jahrelangem sexuellen Missbrauch in der Kindheit tief verankerten Überlebensstrategie der Dissoziation darstellt. Die Sachverständige weist hierzu in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2014 nachvollzierbar darauf hin, dass, so man ein dissoziatives Verhalten annimmt, unfallassoziierte Trigger gemieden werden müssten, da sonst eine Überflutung mit dem abgespaltenen (dissoziierten) affektiven Material mit erheblichen Panikzuständen droht. Die Klägerin hatte jedoch genau um den Überfallzeitraum herum neue sexuelle Erfahrungen versucht. Hierbei würde es sich zwangsläufig um überfallassoziierte Trigger handeln, die bei einer bestätigten dissoziativen Störung vermieden werden müssten. Soweit nach Darlegung von Dr. F zwar die anderen Kriterien (B, D, E) ca. 10 Monate nach dem berichteten Ereignis in Ansätzen in dem psychopathologischen Befundbericht von Dr. L bestätigt werden, können diese aber auch Folgen der schweren depressiven Erkrankung auf dem Hintergrund der Persönlichkeitsstörung sein, wie in der erstbehandelnden Klinik (vgl. Epikrise der II. Psychiatrischen Klinik der R Kliniken vom 23. Mai 2003) attestiert.
Zum anderen entspricht die vor dem Hintergrund der kumulativ-traumatischen Kindheitsentwicklung mit sexueller und körperlicher Gewalterfahrungen durch die Übergriffe des Vaters und den daraus folgenden psychopathologischen Auffälligkeiten im Sinne einer Enuresis, einer schweren Migräne mit Schmerzmittelabhängigkeit, von Depressionen mit Suizidalität, Waschzwängen, impulsiven Essen und eines Schmerzsyndroms (Unterleibsschmerzen) sowie den anhaltenden Gewalterfahrungen in der Ehe in Form körperlicher und sexueller Gewalt durch den alkoholkranken Ehemann wiederholt in Befundberichten (z.B. Reha-Entlassungsberichte der V vom 10. Dezember 2003 und der Klinik F vom 29. November 2004, Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. H vom 13. Mai 2005 sowie Bericht des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. F vom 14. April 2006) gestellte Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung nicht den gültigen Diagnoseschlüsseln nach dem ICD-10 bzw. DSM-IV. Zwar kann nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. F eine posttraumatische Belastungsstörung auch chronisch verlaufen, jedoch wird eine seit Kindheit respektive Adoleszenz bestehende (posttraumatische Belastungs-)Störung nach den geltenden Diagnosekriterien im Sinne einer Persönlichkeitsstörung erfasst. Soweit nach ICD-10 auch eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung (F62.0) codiert werden kann, müssen aber bestimmte zuvor nicht beobachtete Merkmale vorliegen, d. h. diese Persönlichkeitsänderung darf nicht auf eine vorher bestehende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen sein. Bei der Klägerin sind dagegen, wie von der Sachverständigen im Gutachten vom 29. April 2014 im Einzelnen überzeugend ausgeführt wird, sämtliche in der ICD-10 geforderten Merkmale einer kombinierten Persönlichkeitsstörung im Sinne einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (F60.31) mit histrionischen und abhängigen Anteilen zu objektivieren, wie bereits im Entlassungsbericht des Eisenmoorbades Bad S-Kur-GmbH vom 29. April 1999 und in der Epikrise der der II. Psychiatrischen Klinik der R Kliniken vom 23. Mai 2003 beschrieben. Wegen der bei der Klägerin bestehenden Persönlichkeitsstörung war bereits von den behandelnden Ärzten des Eisenmoorbades Bad S-Kur-GmbH eine weiterführende Psychotherapie im Hinblick auf die nicht verarbeiteten traumatisierenden Erlebnisse in der Jugend und nachfolgender Lebensereignisse empfohlen worden (vgl. Entlassungsbericht vom 29. April 1999).
Des Weiteren können, wie Dr. Fin ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2014 überzeugend dargelegt hat, die von ihr im psychopathologischen Befund beschriebenen kognitiven Einschränkungen der Klägerin nicht Einwirkungen auf deren Schädel i. S. eines "Verhämmerungs-Syndroms" zugeordnet werden. Das bei Boxern untersuchte "Verhämmerungs-Syndrom" entspricht nach ICD-10 und DSM IV einem "organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma". Ein schweres Schädelhirntrauma bzw. Würgetrauma mit daraus resultierender hypoxischer und struktureller Hirnschädigung ist zu keinem Zeitpunkt von der Klägerin bezogen auf den Überfall vom 10. Mai 2002 oder den sexuellen Übergriffen des Vaters und des Ehemannes geschildert oder von fachkundiger ärztlicher Seite objektiviert worden.
Die von der Sachverständigen Dr. F festgestellten psychischen Gesundheitsstörungen, die bei der Klägerin seit September 2003 eine volle Erwerbsminderung im Sinne des Rentenrechts begründen, sind nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne der erstmaligen Entstehung oder im Sinne einer wesentlichen Verschlimmerung einer vorbestehenden psychischen Gesundheitsstörung durch den Überfall mit Vergewaltigung am 10. Mai 2002 wesentlich verursacht worden.
So ist von der Sachverständigen unter Auswertung der beigezogenen medizinischen Befunde aus der Zeit vor und unmittelbar nach dem Ereignis vom 10. Mai 2002 überzeugend dargelegt worden, dass bei der Klägerin bereits in der Zeit vor bzw. bei dem Überfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine psychische Erkrankung auf der Grundlage einer kombinierten Persönlichkeitsstörung in Folge kumulativ-traumatischer Kindheitserfahrungen und einer aktuellen traumatischen Ehesituation bestanden hatte. Deshalb hatte sich die Klägerin bereits in stationärer und ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befunden. Der Nachweis, dass es bei oder unmittelbar nach dem Ereignis vom 10. Mai 2002 zu einer wesentlichen Verschlechterung der ohnehin schon vorhandenen seelischen Reaktion bei der Klägerin gekommen war, lässt sich nicht führen. Insbesondere in den gutachterlichen Befundberichten der ambulanten Psychotherapeutin Frau Dr. L wird für diesen Zeitraum eher eine Befundbesserung beschrieben. Nach Auffassung der Sachverständigen können anhaltende unfallbedingte Gesundheitsstörungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Wesentliche Ursache für das chronische Krankheitsbild der Klägerin sind nach ihren Feststellungen folgende sonstige Faktoren: - Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der Grundlage der kumulativ- traumatischen Kindheitsentwicklung. - Eine berufliche Überforderungssituation mit resultierender kränkender Kündigung im November 2002. - Ein chronischer Ehekonflikt mit einem gewalttätigen, alkoholkranken Ehemann und Trennung im Dezember 2002 mit nachfolgendem vierjährigen Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikt. Nachvollziehbar wird dies von Dr. F anhand der in den Akten dokumentierten Befunde und seelischen Belastungen der Klägerin begründet. Danach war es in der Zeit nach dem Unfall zunächst zu einer von der ambulanten Psychotherapeutin beschriebenen Stabilisierung und später bis April 2014 trotz intensiver ambulanter und stationärer Behandlung zu einer steten Verschlimmerung und Chronifizierung der Erkrankung gekommen. Diese Progredienz war schon vom behandelnden Psychologen Dr. F nicht einem Singulärereignis, sondern den kumulativ wirksamen Traumatisierungen in Kindheit und Erwachsenenalter zugeordnet worden. Zwar wurde das Vergewaltigungsereignis erstmals am 18. Februar 2003 in einem Explorationsgespräch während des stationären Aufenthaltes in den R Kliniken vom 17. bis zum 27. Februar 2003, also 9 Monate nach dem Ereignis in einer persönlichen Lebenskrise, aktenkundig dokumentiert. Jedoch hatte die Klägerin das Vergewaltigungsereignis in dem dort am 19. Februar 2003 von ihr schriftlich verfassten umfassenden Lebensbericht nicht als auslösend für ihre vielfältigen Sorgen und Konflikte, sondern die negative Lebensbilanz und die vielen unfallfremden Konflikte benannt. Auch hatten die dort erstbehandelnden Ärzte eine histrionische und abhängige Persönlichkeitsstörung und eine Anpassungsstörung mit kurzer depressiver Reaktion bei Zuspitzung einer familiären Konfliktsituation attestiert, einen Unfall(Ereignis-)Zusammenhang dagegen nicht bestätigt. Zudem wurde nach Entlassung aus der Psychiatrie Ende Februar 2003 von der Klägerin und ihrer ambulanten Psychotherapeutin eine psychophysische Konsolidierung beschrieben. Die Klägerin konnte eigenen Wohnraum beziehen und sich über eine Annonce eine neue Partnerschaft mit dem aktuellen Ehemann aufbauen. Zudem hatte die Klägerin nach ihren Schilderungen bei der Exploration durch die Sachverständige im Sommer 2003 einen beruflichen Reintegrationsversuch in einer kleinen Ortschaft in einer Hotelanlage in der Nähe von Kärnten versucht, hier jedoch die große Entfernung vom Heimatort nicht aushalten können. In der Folgezeit hatte sich jedoch nach den Schilderungen der Klägerin der familiäre Konflikt zugespitzt, was auch durch ihre Angaben bei der Begutachtung im familiengerichtlichen Verfahren durch Dr. med. Z, Dr. med. M und Prof. Dr. med. K von der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der C (vgl. Gutachten vom 02. Februar 2005) bestätigt wird. Dort hatte die Klägerin u. a. über Grübelzwang seit der endgültigen Trennung vom Ehemann im Dezember 2002, erhebliche Schuldgefühle gegenüber der zurückgelassenen Tochter, finanzielle Sorgen sowie Ängste, ihrem Ex-Ehemann zu begegnen oder diesen am Telefon zu haben, berichtet. Auch bei der Exploration durch die Sachverständige Dr. F hatte die Klägerin dargelegt, dass es für sie extrem belastend gewesen sei, dass ihre Tochter beim Vater geblieben sei. Den langjährigen Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtskonflikt hatte sie dahingehend beschrieben, dass ihr früherer Ehemann versucht habe, ihr Leben zu vernichten.
Bei dieser Sachlage sah sich der Senat auch nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision war mangels Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
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