Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SB 951/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1536/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 und damit die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch.
Die Klägerin ist am 08.07.1949 geboren und in Deutschland ansässig. Zurzeit ist bei ihr auf Grund des Teil-Abhilfe-Bescheids des Landratsamts A. als Versorgungsamt (LRA) vom 15.02.2006 ein GdB von 40 festgestellt. Der damaligen Feststellung lagen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen und ein chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) sowie eine depressive Verstimmung und ein Tinnitus (20) zu Grunde, daneben bestanden eine Funktionsbehinderung beider Handgelenke, Arthrose (10) und eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenks (10). Erhöhungsanträge in den folgenden Jahren blieben ohne Erfolg.
Am 26.09.2011 beantragte die Klägerin erneut Neufeststellung. Sie legte den Entlassungsbericht der Klinik Bad B. vom 07.09.2011 (in Auszügen) sowie einen radiologischen Arztbrief vom 17.10.2011 vor. Nach einer versorgungsärztlichen Auswertung dieser Unterlagen lehnte das LRA den Antrag mit Bescheid vom 11.11.2011 ab.
Im Vorverfahren reichte die Klägerin ferner den Bericht der Rheumatologin Dr. C. vom 11.01.2012 ein (Ganzkörperschmerz, endgradiger Bewegungsschmerz rechte Schulter und linkes Handgelenk [Beweglichkeit dort 30-0-30°], Schober 2,5 cm, FBA 10 cm). Daraufhin wies das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den Widerspruch mit Bescheid vom 23.02.2012 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.03.2012 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Sie hat dort vorgetragen, sie sei wegen Schwindels zweimal gefallen und sich dabei einmal drei Rippen gebrochen. Zu ihren vorbestehenden Behinderungen sei nunmehr ein Fibromyalgie-Syndrom hinzugekommen. Ferner sei sie schwerhörig.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Aussagen des Orthopäden Dr. D. vom 07.05.2012, des HNO-Arztes Dr. Gaerisch vom 14.05.2012, des Allgemeinmediziners Dr. E. vom 13.07.2012 und der Rheumatologin Dr. C. vom 31.08.2013 Bezug genommen.
Sodann hat das SG auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin das orthopädische Gutachten des Dr. F. vom 27.01.2013 erhoben. Dieser Sachverständige hat bekundet, bei der Klägerin bestehe auf orthopädischem Fachgebiet ein degenerativ bedingtes Schmerzbild in der Hals- und der Lendenwirbelsäule, wobei sich der Schmerz aus den verschleißbedingten Veränderungen, den chronischen muskulären Verspannungen und zunehmenden funktionellen Einschränkungen zusammensetze, ferner sei die Funktion des rechten Schultergelenks mit einer Armhebung von nur 100 bis 120 Grad eingeschränkt bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Es liege auch eine Radiocarpalgelenksarthrose mit leichten Auswirkungen vor. Daneben bestehe eine anhaltende Schmerzstörung mit fibromyalgischer Verarbeitungsstörung. Fachfremd hat der Sachverständige eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, einen Tinnitus beidseits und eine "depressive Verstimmung" übernommen. Die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule hat Dr. F. mit einem GdB von 30 bewertet, das chronische Schmerzsyndrom ebenfalls mit 30, die funktionellen Einschränkungen der rechten Schulter mit 10 und die Radiocarpalgelenksarthrose ebenfalls mit 10. Unter Würdigung der fachfremden Diagnosen sei ein GdB von 50 angemessen.
Der Beklagte ist diesem Gutachten unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 14.03.2013 entgegengetreten. Bei Ausklammerung und gesonderter Tenorierung der Schmerzerkrankung im Rahmen der psychischen Erkrankung bedinge die Wirbelsäule allein an Hand der Restbeweglichkeiten einen GdB von nur 20. Die Hörminderung könne, nachdem kein Sprachaudiogramm vorliege, nur einen GdB von 10 (abgerundet von 15) bedingen.
Die Klägerin hat - auch als Reaktion auf Dr. G.s Ausführungen zu der Hörminderung - das Sprachaudiogramm des HNO-Arztes Dr. H. vom 18.04.2013 vorgelegt. Ferner hat auf ihren Antrag hin Dr. F. unter dem 17.06.2013 an seiner Einschätzung, das Wirbelsäulenleiden allein bedinge einen GdB von 30, festgehalten, der durch die am Untersuchungstag erhobenen Befunde gerechtfertigt sei.
Zu dem Sprachaudiogramm hat der Beklagte die Stellungnahme von Dr. G. vom 07.02.2014 vorgelegt, wonach bei einem prozentualen Hörverlust von 0 % links und 20 % rechts nur unter Berücksichtigung des schlechteren Tonaudiogramms (überhaupt) ein GdB von 10 festgestellt werden könne.
Mit Urteil vom 12.02.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der relevanten rechtlichen Grundlagen hat es ausgeführt, es sei - zwar - für die Wirbelsäule ein GdB von 30 zu Grunde zu legen, nachdem - festgemacht auch an den Beweglichkeitsmaßen aus dem Gutachten Dr. F. - an der HWS mittel- bis schwergradige und an der BWS und der LWS jeweils mittelgradige Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen. Ferner sei die psychische Erkrankung unter Einbeziehung des Schmerzsyndroms und der Auswirkungen des Schwindels und des Ohrenpfeifens mit einem GdB von 30 zu bewerten. Im Übrigen lägen GdB-Werte von höchstens 10 vor, so für die Radiokarpalgelenksarthrose und die Hörminderung. Insgesamt, so das SG, sei auch nach dem Eindruck von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ein GdB von 50 nicht zu rechtfertigen, vielmehr sei nur ein solcher von 40 zu bilden. Die durch die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule bedingten Schmerzen überschnitten sich in erheblichem Umfang mit den Auswirkungen des Fibromyalgie-Syndroms. Wegen der weiteren Ausführungen des SG wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.
Gegen dieses Urteil, ihrem Prozessbevollmächtigten am 06.03.2014 zugestellt, hat die Klägerin am 02.04.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie trägt vor, ausweislich eines Berichts von Dr. K. vom 20.03.2014 seien die Schmerzen vor allem an Ellenbogen, Knie und LWS deutlich schlimmer geworden. Die Beweglichkeit sei nach einer Untersuchung am 28.04.2014 um ein Drittel eingeschränkt. Die Handgelenksbeweglichkeit links betrage 30-0-30°. Die Klägerin verweist darauf, dass sie den linken Kleinfinger nicht beugen könne, es bestehe ein Fingerhohlhandabstand von 4 cm. Die Klägerin legt den genannten Bericht von Dr. C. sowie Attest von Dr. D. vom 29.04.2014 vor.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. Februar 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2012 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 seit dem 27. Januar 2013 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 28.05.2014 vor, die jetzt von Dr. K. genannte Beweglichkeit des Handgelenks sei undeutlich. Im Übrigen ergäben sich keine abweichenden Einschätzungen.
Der Senat hat Dr. K. und Dr. D. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. K. hat unter dem 23.06.2014 bekundet, der KSA (Kinn-Brustbein-Abstand) betrage 4/13 cm, die Rotation der HWS bds. 35° bei Seitneigung bis 20°, das Ott’sche Zeichen betrage 30/31 cm, das Schober’sche 10/14 cm, der FBA (Finger-Boden-Abstand 44 cm). Schmerzbedingt sei die LWS am meisten betroffen. Ein Aufrichten aus gebückter Position sei nur mit äußerster Mühe und regelmäßig starken Schmerzen möglich. Die Extension/Flexion (Streckung/Beugung) des linken Handgelenks betrage 50/0/40°. Die Versteifung des PIP-Gelenks am linken Kleinfinger sei unfallbedingt, seine Extension/Flexion betrage 0/30/60°, der Finger-Hohlhand-Abstand 5 cm. Dr. K. hat unter dem 23.07.2014 mitgeteilt, er habe die Diagnose M79.70 nach der ICD-10 GM gestellt, die Symptome hätten sich insgesamt verschlechtert im Sinne einer zunehmenden Schmerzquantität bei gleichbleibender Schmerzqualität. Wegen der Aussagen im Einzelnen wird auf die genannten Schreiben und die beigefügten ärztlichen Unterlagen der Zeugen Bezug genommen.
Der Berichterstatter hat die Klägerin persönlich angehört und z.T. in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 06.03.2015 sowie auf den Arztbrief des Radiologen Dr. L. vom 24.02.2015, den die Klägerin im Termin zur Akte gegeben hat, verwiesen.
Der Beklagte hat sich unter dem 12.05.2015, die Klägerin mit Schriftsatz vom 27.05.2015 mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichters ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
1. Über die Berufung des Klägers entscheidet im Einvernehmen mit den Parteien der Berichterstatter als Einzelrichter an Stelle des gesamten Senats (§ 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), weswegen die ehrenamtlichen Richter nicht hinzuziehen waren (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 155 Rn. 11). Auf die mündliche Verhandlung haben die Parteien nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG verzichtet.
2. Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Verurteilung zur Zuerkennung eines GdB von 50 abgewiesen. Der auf § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gestützte Anspruch der Klägerin besteht nicht.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach jener Norm und die medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Sie beruhen auf den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV). Diese gilt auch nach den Neuregelungen in den §§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX durch das Gesetz vom 07.01.2015 (BGBl II S. 15) für die Bemessung des GdB vorläufig weiter. Ebenso hat das SG die Voraussetzungen einer Abänderung bereits bindend festgestellten GdB (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Hiernach besteht bei der Klägerin weiterhin der zuerkannte GdB von 40.
Die Beeinträchtigungen für das Funktionssystem Rumpf (vgl. zur Zusammenfassung verschiedener Gesundheitsbeeinträchtigungen in Funktionssystemen Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG) hat das SG zutreffend mit 30 bewertet. Wie auch der Senat hat es damit die Einschätzung des Gutachters Dr. F. übernommen. Es kann von mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigungen in allen drei Wirbelsäulenabschnitten ausgegangen werden. Für solche ist nach Teil B Nr. 18.9 VG ein GdB von 30 bis 40 zu vergeben. Dr. F. hatte nennenswerte Beweglichkeitseinschränkungen in allen drei Abschnitten ermittelt. Die Vor- und Rückneige der HWS z.B. war auf 20-0-10° (nach der Neutral-Null-Methode, Normwerte 40-0-60°) eingeschränkt. An der BWS war vor allem die Drehfähigkeit beschränkt, auch die Entfaltbarkeit ist betroffen, nachdem das Ott’sche Zeichen nur 30:31 cm betrug. Womöglich ein wenig geringer waren die - reinen - Beweglichkeitseinschränkungen an der LWS mit einem Schober’schen Zeichen von 10:13 (Normwerte 10:14 oder 10:15) cm und einem FBA, der damals noch - nur - 20 cm betrug und das Aufrichten mühelos gelang (S. 7 Gutachten). Leicht verändert zeigen sich demgegenüber die Werte nach der aktuellen Zeugenaussage von Dr. D. vom 23.06.2014: der FBA ist auf 44 cm gewachsen, das Schober’sche Zeichen beträgt allerdings nunmehr 10:14 cm und nähert sich damit Normwerten. Jedenfalls unter Berücksichtigung, dass die LWS die stärksten Schmerzen zeitigt, kann aber auch hier eine mittelgradige Funktionsbeeinträchtigung angenommen werden. Gleichwohl kommt eine Bewertung mit einem GdB von 40 allein für die Wirbelsäule nicht in Betracht. Ähnlich wie das SG stützt der Senat dies auf die Beschreibung der allgemeinen Beweglichkeit in dem Gutachten Dr. F. und den Eindruck von der Klägerin, den der Senat in dem Erörterungstermin am 06.03.2015 gewonnen hat. Das Stehen, Gehen und Laufen ist nicht nennenswert eingeschränkt. Nach Dr. F.s Beobachtungen zieht sich die Klägerin z.B. ohne fremde Hilfe und ohne große Mühen selbst an. Bei der Begutachtung hatte sie angegeben, sie mache (Wasser)gymnastik und versuche regelmäßig zu walken. Nennenswerte Schwierigkeiten im Bewegungsablauf schildert auch die Klägerin selbst immer wieder nur in Bezug auf das Aufrichten aus dem Bücken in die Senkrechte. Die Funktionsbeeinträchtigungen gerade im Alltag, die für die GdB-Bewertung relevant sind, erscheinen daher trotz mittelgradiger Schädigungen in der WS nicht so gravierend, dass ein GdB von 40 zu vergeben wäre. Im Vordergrund scheinen die Schmerzen zu stehen, die aber behandelbar sind und die die Klägerin auch behandelt.
Ebenso gut vertretbar hat das SG für die Schmerzerkrankung (vgl. Teil B Nr. 18.4 VG in der Fassung der 1. VersMedV-ÄndV vom 01.03.2010, BGBl I S. 249) einen GdB von 30 angenommen. Angesichts der starken Schmerzen vor allem im Bereich der LWS schließt sich der Senat dem an. Dr. K. hat in seinem Bericht vom 20.03.2014 ausgeführt, es seien sämtliche - und nicht nur mindestens 11 - Tenderpoints positiv (druckschmerzhaftig). Dies spricht für ein stärkeres Ausmaß der Schmerzerkrankung; zumindest hat Dr. K. in seiner Zeugenaussage vom 23.07.2014 eine Verschlimmerung beschrieben. Zumindest unter Einbeziehung des Tinnitus bzw. seiner psychischen Belastungen kann daher bereits - analog Teil B Nr. 3.7 VG - eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit angenommen werden. Eine höhere Bewertung der Schmerzerkrankung, z.B. mit einem GdB von 40, scheidet dagegen aus. Dafür wäre im Rahmen der stärker behindernden Störung nach Teil B Nr. 3.7 VG bereits ein Übergang zu schweren Störungen mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten erforderlich. Dafür ist bei der Klägerin nichts ersichtlich. Sie hat bis Mitte 2012 gearbeitet und bezieht seitdem Altersrente. Nach ihren Angaben im Erörterungstermin am 06.03.2015 macht sie den Haushalt, kocht für sich und den Ehemann, besucht Kinder und Enkel und geht in die Stadt. Nachdem ihr Ehemann nicht mehr auswärts berufstätig ist, geht sie auch mit ihm zusammen aus, auch hat sie von Urlauben berichtet, so in einigen Wochen (allein) in der Türkei. Daraus lassen sich erste Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen oder der Gesellschaft insgesamt nicht erkennen.
Die Bewertung der Hörminderung mit einem GdB von (höchstens) 10 nach der Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG bei Hörverlusten von einseitig 20 % ist nicht zu bestanden, zumal der Tinnitus (Teil B Nr. 5.3 VG) nicht hier mitberücksichtigt wird.
Die Beeinträchtigungen an der Schulter rechts (Funktionssystem obere Gliedmaßen) bedingen einen GdB von 10. Die Einschränkung der Beweglichkeit dort auf Armhebungen seitwärts von 100° und vorwärts von 120°, wie sie Dr. F. gemessen hat, erreicht nicht das Ausmaß, das nach Teil B Nr. 18.13 für einen GdB von 20 notwendig wäre, nämlich eine Einschränkung auf bis zu 90°
Weitere GdB-Werte sind nicht zu vergeben. Das gilt zunächst für die geltend gemachte Beweglichkeitseinschränkung des linken Kleinfingers. Nach Teil B Nr. 18.13 VG bedingt - erst - der Verlust eines gesamten (Klein)fingers einen GdB von 10. Dem kommt eine (bei der Klägerin inkomplette) Versteifung, wie sie die Klägerin auch in dem Erörterungstermin demonstriert hat, nicht gleich. Ebenso ist die restliche Streck- und Beugefähigkeit des Handgelenks mit 50/0/40° nach Dr. D.‘ Zeugenaussage vom 23.06.2014 besser als jene 30-0-40°, die nach Teil B Nr. 18.13 VG überhaupt erst einen GdB (von 0 bis 10) bedingen. Eine Beeinträchtigung des Sprunggelenks ist im Verfahren nicht weiter erörtert worden; auch Dr. F. hat insoweit keine GdB-relevanten Feststellungen getroffen.
Abschließend kommt auch der Senat zu der Ansicht, dass aus den insoweit relevanten Teil-GdB-Werten von je 30 (die Werte von 10 bleiben unberücksichtigt, Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG) ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden ist. Selbst bei einer weiteren Behinderung mit einem GdB von 20 ist nach Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 2 VG der GdB dann nicht (um 10 Punkte) zu erhöhen, wenn er das Ausmaß der Behinderung nicht "wesentlich" steigert. Entsprechend kann ein weiterer GdB von 30 zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte (vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe c VG) nur dann führen, wenn eine solche wesentliche Zunahme vorliegt. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Bereits in die Bewertung der WS-Schäden sind, vor allem in Bezug auf die LWS, die Schmerzen einbezogen worden. Diese Schmerzen sind auch die wesentliche Ausprägung des Fibromyalgie-Syndroms. Eine solche Erkrankung betrifft per definitionem primär die physische Leidensebene. Wie ausgeführt, sind dagegen die psychische und vor allem die soziale Ebene bei der Klägerin deutlich weniger betroffen. Die Beeinträchtigungen überschneiden sich daher sehr stark im Sinne von Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe cc VG.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 und damit die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch.
Die Klägerin ist am 08.07.1949 geboren und in Deutschland ansässig. Zurzeit ist bei ihr auf Grund des Teil-Abhilfe-Bescheids des Landratsamts A. als Versorgungsamt (LRA) vom 15.02.2006 ein GdB von 40 festgestellt. Der damaligen Feststellung lagen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen und ein chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) sowie eine depressive Verstimmung und ein Tinnitus (20) zu Grunde, daneben bestanden eine Funktionsbehinderung beider Handgelenke, Arthrose (10) und eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenks (10). Erhöhungsanträge in den folgenden Jahren blieben ohne Erfolg.
Am 26.09.2011 beantragte die Klägerin erneut Neufeststellung. Sie legte den Entlassungsbericht der Klinik Bad B. vom 07.09.2011 (in Auszügen) sowie einen radiologischen Arztbrief vom 17.10.2011 vor. Nach einer versorgungsärztlichen Auswertung dieser Unterlagen lehnte das LRA den Antrag mit Bescheid vom 11.11.2011 ab.
Im Vorverfahren reichte die Klägerin ferner den Bericht der Rheumatologin Dr. C. vom 11.01.2012 ein (Ganzkörperschmerz, endgradiger Bewegungsschmerz rechte Schulter und linkes Handgelenk [Beweglichkeit dort 30-0-30°], Schober 2,5 cm, FBA 10 cm). Daraufhin wies das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den Widerspruch mit Bescheid vom 23.02.2012 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.03.2012 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Sie hat dort vorgetragen, sie sei wegen Schwindels zweimal gefallen und sich dabei einmal drei Rippen gebrochen. Zu ihren vorbestehenden Behinderungen sei nunmehr ein Fibromyalgie-Syndrom hinzugekommen. Ferner sei sie schwerhörig.
Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf die Aussagen des Orthopäden Dr. D. vom 07.05.2012, des HNO-Arztes Dr. Gaerisch vom 14.05.2012, des Allgemeinmediziners Dr. E. vom 13.07.2012 und der Rheumatologin Dr. C. vom 31.08.2013 Bezug genommen.
Sodann hat das SG auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin das orthopädische Gutachten des Dr. F. vom 27.01.2013 erhoben. Dieser Sachverständige hat bekundet, bei der Klägerin bestehe auf orthopädischem Fachgebiet ein degenerativ bedingtes Schmerzbild in der Hals- und der Lendenwirbelsäule, wobei sich der Schmerz aus den verschleißbedingten Veränderungen, den chronischen muskulären Verspannungen und zunehmenden funktionellen Einschränkungen zusammensetze, ferner sei die Funktion des rechten Schultergelenks mit einer Armhebung von nur 100 bis 120 Grad eingeschränkt bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Es liege auch eine Radiocarpalgelenksarthrose mit leichten Auswirkungen vor. Daneben bestehe eine anhaltende Schmerzstörung mit fibromyalgischer Verarbeitungsstörung. Fachfremd hat der Sachverständige eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, einen Tinnitus beidseits und eine "depressive Verstimmung" übernommen. Die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule hat Dr. F. mit einem GdB von 30 bewertet, das chronische Schmerzsyndrom ebenfalls mit 30, die funktionellen Einschränkungen der rechten Schulter mit 10 und die Radiocarpalgelenksarthrose ebenfalls mit 10. Unter Würdigung der fachfremden Diagnosen sei ein GdB von 50 angemessen.
Der Beklagte ist diesem Gutachten unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 14.03.2013 entgegengetreten. Bei Ausklammerung und gesonderter Tenorierung der Schmerzerkrankung im Rahmen der psychischen Erkrankung bedinge die Wirbelsäule allein an Hand der Restbeweglichkeiten einen GdB von nur 20. Die Hörminderung könne, nachdem kein Sprachaudiogramm vorliege, nur einen GdB von 10 (abgerundet von 15) bedingen.
Die Klägerin hat - auch als Reaktion auf Dr. G.s Ausführungen zu der Hörminderung - das Sprachaudiogramm des HNO-Arztes Dr. H. vom 18.04.2013 vorgelegt. Ferner hat auf ihren Antrag hin Dr. F. unter dem 17.06.2013 an seiner Einschätzung, das Wirbelsäulenleiden allein bedinge einen GdB von 30, festgehalten, der durch die am Untersuchungstag erhobenen Befunde gerechtfertigt sei.
Zu dem Sprachaudiogramm hat der Beklagte die Stellungnahme von Dr. G. vom 07.02.2014 vorgelegt, wonach bei einem prozentualen Hörverlust von 0 % links und 20 % rechts nur unter Berücksichtigung des schlechteren Tonaudiogramms (überhaupt) ein GdB von 10 festgestellt werden könne.
Mit Urteil vom 12.02.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der relevanten rechtlichen Grundlagen hat es ausgeführt, es sei - zwar - für die Wirbelsäule ein GdB von 30 zu Grunde zu legen, nachdem - festgemacht auch an den Beweglichkeitsmaßen aus dem Gutachten Dr. F. - an der HWS mittel- bis schwergradige und an der BWS und der LWS jeweils mittelgradige Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen. Ferner sei die psychische Erkrankung unter Einbeziehung des Schmerzsyndroms und der Auswirkungen des Schwindels und des Ohrenpfeifens mit einem GdB von 30 zu bewerten. Im Übrigen lägen GdB-Werte von höchstens 10 vor, so für die Radiokarpalgelenksarthrose und die Hörminderung. Insgesamt, so das SG, sei auch nach dem Eindruck von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ein GdB von 50 nicht zu rechtfertigen, vielmehr sei nur ein solcher von 40 zu bilden. Die durch die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule bedingten Schmerzen überschnitten sich in erheblichem Umfang mit den Auswirkungen des Fibromyalgie-Syndroms. Wegen der weiteren Ausführungen des SG wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.
Gegen dieses Urteil, ihrem Prozessbevollmächtigten am 06.03.2014 zugestellt, hat die Klägerin am 02.04.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Sie trägt vor, ausweislich eines Berichts von Dr. K. vom 20.03.2014 seien die Schmerzen vor allem an Ellenbogen, Knie und LWS deutlich schlimmer geworden. Die Beweglichkeit sei nach einer Untersuchung am 28.04.2014 um ein Drittel eingeschränkt. Die Handgelenksbeweglichkeit links betrage 30-0-30°. Die Klägerin verweist darauf, dass sie den linken Kleinfinger nicht beugen könne, es bestehe ein Fingerhohlhandabstand von 4 cm. Die Klägerin legt den genannten Bericht von Dr. C. sowie Attest von Dr. D. vom 29.04.2014 vor.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 12. Februar 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2012 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 seit dem 27. Januar 2013 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 28.05.2014 vor, die jetzt von Dr. K. genannte Beweglichkeit des Handgelenks sei undeutlich. Im Übrigen ergäben sich keine abweichenden Einschätzungen.
Der Senat hat Dr. K. und Dr. D. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. K. hat unter dem 23.06.2014 bekundet, der KSA (Kinn-Brustbein-Abstand) betrage 4/13 cm, die Rotation der HWS bds. 35° bei Seitneigung bis 20°, das Ott’sche Zeichen betrage 30/31 cm, das Schober’sche 10/14 cm, der FBA (Finger-Boden-Abstand 44 cm). Schmerzbedingt sei die LWS am meisten betroffen. Ein Aufrichten aus gebückter Position sei nur mit äußerster Mühe und regelmäßig starken Schmerzen möglich. Die Extension/Flexion (Streckung/Beugung) des linken Handgelenks betrage 50/0/40°. Die Versteifung des PIP-Gelenks am linken Kleinfinger sei unfallbedingt, seine Extension/Flexion betrage 0/30/60°, der Finger-Hohlhand-Abstand 5 cm. Dr. K. hat unter dem 23.07.2014 mitgeteilt, er habe die Diagnose M79.70 nach der ICD-10 GM gestellt, die Symptome hätten sich insgesamt verschlechtert im Sinne einer zunehmenden Schmerzquantität bei gleichbleibender Schmerzqualität. Wegen der Aussagen im Einzelnen wird auf die genannten Schreiben und die beigefügten ärztlichen Unterlagen der Zeugen Bezug genommen.
Der Berichterstatter hat die Klägerin persönlich angehört und z.T. in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 06.03.2015 sowie auf den Arztbrief des Radiologen Dr. L. vom 24.02.2015, den die Klägerin im Termin zur Akte gegeben hat, verwiesen.
Der Beklagte hat sich unter dem 12.05.2015, die Klägerin mit Schriftsatz vom 27.05.2015 mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichters ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
1. Über die Berufung des Klägers entscheidet im Einvernehmen mit den Parteien der Berichterstatter als Einzelrichter an Stelle des gesamten Senats (§ 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), weswegen die ehrenamtlichen Richter nicht hinzuziehen waren (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 155 Rn. 11). Auf die mündliche Verhandlung haben die Parteien nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG verzichtet.
2. Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Verurteilung zur Zuerkennung eines GdB von 50 abgewiesen. Der auf § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) gestützte Anspruch der Klägerin besteht nicht.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach jener Norm und die medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Sie beruhen auf den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV). Diese gilt auch nach den Neuregelungen in den §§ 69 Abs. 1, 70 Abs. 2, 159 Abs. 7 SGB IX durch das Gesetz vom 07.01.2015 (BGBl II S. 15) für die Bemessung des GdB vorläufig weiter. Ebenso hat das SG die Voraussetzungen einer Abänderung bereits bindend festgestellten GdB (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die Ausführungen des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
b) Hiernach besteht bei der Klägerin weiterhin der zuerkannte GdB von 40.
Die Beeinträchtigungen für das Funktionssystem Rumpf (vgl. zur Zusammenfassung verschiedener Gesundheitsbeeinträchtigungen in Funktionssystemen Teil A Nr. 2 Buchstabe e Satz 2 VG) hat das SG zutreffend mit 30 bewertet. Wie auch der Senat hat es damit die Einschätzung des Gutachters Dr. F. übernommen. Es kann von mittelgradigen Funktionsbeeinträchtigungen in allen drei Wirbelsäulenabschnitten ausgegangen werden. Für solche ist nach Teil B Nr. 18.9 VG ein GdB von 30 bis 40 zu vergeben. Dr. F. hatte nennenswerte Beweglichkeitseinschränkungen in allen drei Abschnitten ermittelt. Die Vor- und Rückneige der HWS z.B. war auf 20-0-10° (nach der Neutral-Null-Methode, Normwerte 40-0-60°) eingeschränkt. An der BWS war vor allem die Drehfähigkeit beschränkt, auch die Entfaltbarkeit ist betroffen, nachdem das Ott’sche Zeichen nur 30:31 cm betrug. Womöglich ein wenig geringer waren die - reinen - Beweglichkeitseinschränkungen an der LWS mit einem Schober’schen Zeichen von 10:13 (Normwerte 10:14 oder 10:15) cm und einem FBA, der damals noch - nur - 20 cm betrug und das Aufrichten mühelos gelang (S. 7 Gutachten). Leicht verändert zeigen sich demgegenüber die Werte nach der aktuellen Zeugenaussage von Dr. D. vom 23.06.2014: der FBA ist auf 44 cm gewachsen, das Schober’sche Zeichen beträgt allerdings nunmehr 10:14 cm und nähert sich damit Normwerten. Jedenfalls unter Berücksichtigung, dass die LWS die stärksten Schmerzen zeitigt, kann aber auch hier eine mittelgradige Funktionsbeeinträchtigung angenommen werden. Gleichwohl kommt eine Bewertung mit einem GdB von 40 allein für die Wirbelsäule nicht in Betracht. Ähnlich wie das SG stützt der Senat dies auf die Beschreibung der allgemeinen Beweglichkeit in dem Gutachten Dr. F. und den Eindruck von der Klägerin, den der Senat in dem Erörterungstermin am 06.03.2015 gewonnen hat. Das Stehen, Gehen und Laufen ist nicht nennenswert eingeschränkt. Nach Dr. F.s Beobachtungen zieht sich die Klägerin z.B. ohne fremde Hilfe und ohne große Mühen selbst an. Bei der Begutachtung hatte sie angegeben, sie mache (Wasser)gymnastik und versuche regelmäßig zu walken. Nennenswerte Schwierigkeiten im Bewegungsablauf schildert auch die Klägerin selbst immer wieder nur in Bezug auf das Aufrichten aus dem Bücken in die Senkrechte. Die Funktionsbeeinträchtigungen gerade im Alltag, die für die GdB-Bewertung relevant sind, erscheinen daher trotz mittelgradiger Schädigungen in der WS nicht so gravierend, dass ein GdB von 40 zu vergeben wäre. Im Vordergrund scheinen die Schmerzen zu stehen, die aber behandelbar sind und die die Klägerin auch behandelt.
Ebenso gut vertretbar hat das SG für die Schmerzerkrankung (vgl. Teil B Nr. 18.4 VG in der Fassung der 1. VersMedV-ÄndV vom 01.03.2010, BGBl I S. 249) einen GdB von 30 angenommen. Angesichts der starken Schmerzen vor allem im Bereich der LWS schließt sich der Senat dem an. Dr. K. hat in seinem Bericht vom 20.03.2014 ausgeführt, es seien sämtliche - und nicht nur mindestens 11 - Tenderpoints positiv (druckschmerzhaftig). Dies spricht für ein stärkeres Ausmaß der Schmerzerkrankung; zumindest hat Dr. K. in seiner Zeugenaussage vom 23.07.2014 eine Verschlimmerung beschrieben. Zumindest unter Einbeziehung des Tinnitus bzw. seiner psychischen Belastungen kann daher bereits - analog Teil B Nr. 3.7 VG - eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit angenommen werden. Eine höhere Bewertung der Schmerzerkrankung, z.B. mit einem GdB von 40, scheidet dagegen aus. Dafür wäre im Rahmen der stärker behindernden Störung nach Teil B Nr. 3.7 VG bereits ein Übergang zu schweren Störungen mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten erforderlich. Dafür ist bei der Klägerin nichts ersichtlich. Sie hat bis Mitte 2012 gearbeitet und bezieht seitdem Altersrente. Nach ihren Angaben im Erörterungstermin am 06.03.2015 macht sie den Haushalt, kocht für sich und den Ehemann, besucht Kinder und Enkel und geht in die Stadt. Nachdem ihr Ehemann nicht mehr auswärts berufstätig ist, geht sie auch mit ihm zusammen aus, auch hat sie von Urlauben berichtet, so in einigen Wochen (allein) in der Türkei. Daraus lassen sich erste Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen oder der Gesellschaft insgesamt nicht erkennen.
Die Bewertung der Hörminderung mit einem GdB von (höchstens) 10 nach der Tabelle bei Teil B Nr. 5.2.4 VG bei Hörverlusten von einseitig 20 % ist nicht zu bestanden, zumal der Tinnitus (Teil B Nr. 5.3 VG) nicht hier mitberücksichtigt wird.
Die Beeinträchtigungen an der Schulter rechts (Funktionssystem obere Gliedmaßen) bedingen einen GdB von 10. Die Einschränkung der Beweglichkeit dort auf Armhebungen seitwärts von 100° und vorwärts von 120°, wie sie Dr. F. gemessen hat, erreicht nicht das Ausmaß, das nach Teil B Nr. 18.13 für einen GdB von 20 notwendig wäre, nämlich eine Einschränkung auf bis zu 90°
Weitere GdB-Werte sind nicht zu vergeben. Das gilt zunächst für die geltend gemachte Beweglichkeitseinschränkung des linken Kleinfingers. Nach Teil B Nr. 18.13 VG bedingt - erst - der Verlust eines gesamten (Klein)fingers einen GdB von 10. Dem kommt eine (bei der Klägerin inkomplette) Versteifung, wie sie die Klägerin auch in dem Erörterungstermin demonstriert hat, nicht gleich. Ebenso ist die restliche Streck- und Beugefähigkeit des Handgelenks mit 50/0/40° nach Dr. D.‘ Zeugenaussage vom 23.06.2014 besser als jene 30-0-40°, die nach Teil B Nr. 18.13 VG überhaupt erst einen GdB (von 0 bis 10) bedingen. Eine Beeinträchtigung des Sprunggelenks ist im Verfahren nicht weiter erörtert worden; auch Dr. F. hat insoweit keine GdB-relevanten Feststellungen getroffen.
Abschließend kommt auch der Senat zu der Ansicht, dass aus den insoweit relevanten Teil-GdB-Werten von je 30 (die Werte von 10 bleiben unberücksichtigt, Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG) ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden ist. Selbst bei einer weiteren Behinderung mit einem GdB von 20 ist nach Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 2 VG der GdB dann nicht (um 10 Punkte) zu erhöhen, wenn er das Ausmaß der Behinderung nicht "wesentlich" steigert. Entsprechend kann ein weiterer GdB von 30 zu einer Erhöhung um 20 und nicht nur um 10 Punkte (vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe c VG) nur dann führen, wenn eine solche wesentliche Zunahme vorliegt. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Bereits in die Bewertung der WS-Schäden sind, vor allem in Bezug auf die LWS, die Schmerzen einbezogen worden. Diese Schmerzen sind auch die wesentliche Ausprägung des Fibromyalgie-Syndroms. Eine solche Erkrankung betrifft per definitionem primär die physische Leidensebene. Wie ausgeführt, sind dagegen die psychische und vor allem die soziale Ebene bei der Klägerin deutlich weniger betroffen. Die Beeinträchtigungen überschneiden sich daher sehr stark im Sinne von Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe cc VG.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
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