L 4 AS 242/15 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 356/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 242/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, dass er nicht zur Vorlage eines Nachweises für die Durchführung einer Statusfeststellung durch den Rentenversicherungsträger verpflichtet ist.

Der 1971 geborene Antragsteller steht beim Antrags- und Beschwerdegegner im ergänzenden Bezug von laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er ist seit dem Jahr 2009 als Immobilienmakler in D. selbständig tätig. Er hat einen Kooperationsvertrag mit der Firma "d." in M. abgeschlossen, der ihn berechtigt, das Gemeinschaftsbüro der Firma nutzen. Zugleich ist er verpflichtet, seine berufliche Tätigkeit ausschließlich unter dem Namen der Firma und unter Nutzung des Büros auszuüben. Dafür erhält der Firmeninhaber einen Anteil an den vom Antragsteller erwirtschafteten Provisionen.

Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 für den Bewilligungszeitraum von November 2014 bis April 2015 vorläufige monatliche Leistungen iHv 575,00 EUR. Dabei berücksichtigte er entsprechend der Ertragsvorschau des Antragstellers ein monatliches Einkommen von 270,00 EUR, von dem er nach Bereinigung 136,00 EUR monatlich auf den Bedarf anrechnete.

Mit Schreiben vom 15. Januar 2015 forderte der Antragsgegner den Antragsteller unter Hinweis auf die Folgen eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) auf, bis zum 30. Januar 2015 einen Nachweis der Statusfeststellung durch den Rentenversicherungsträger vorzulegen. Zur Begründung gab er an, ihm sei bekannt geworden, dass der Antragsteller bei Immobilienservice Dr. B. beschäftigt sei. Es bestehe der Verdacht der Scheinselbständigkeit. Darauf reagierte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner bis zum Ablauf der Frist nicht.

Am 24. Februar 2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Das SG solle im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes feststellen, dass er nicht verpflichtet sei, den geforderten Nachweis zu erbringen. Für die Aufforderung des Antragsgegners fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage. Bei Eintritt der vom Antragsgegner angedrohten Leistungsentziehung sei er nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Hieraus ergebe sich die besondere Eilbedürftigkeit.

Der Antragsgegner hat ausgeführt, ein Feststellungsantrag sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglich, wenn der Betroffene vor irreparablen Entscheidungen der Verwaltung geschützt werden müsse. Dem Antragsteller sei es zuzumuten, das weitere Vorgehen des Antragsgegners abzuwarten.

Mit Beschluss vom 20. März 2015 hat das SG den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es bestehe kein Rechtsschutzinteresse für den Feststellungsantrag. Soweit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine vorläufige Feststellung überhaupt möglich sei, müsse diese dazu dienen, zu verhindern, dass Rechtsschutz in der Hauptsache unzumutbar erschwert oder unmöglich werde. Vorläufiger Rechtsschutz werde nicht gewährt, um erwartete Rechtsbeeinträchtigungen zu verhindern. Die Mitwirkungsaufforderung des Antragsgegners habe keine unmittelbaren Rechtswirkungen. Die vom Antragsteller befürchtete zukünftige Leistungsentziehung setze einen Verwaltungsakt voraus. Gegen diesen könne sich der Antragsteller mit dem Rechtsbehelf des Widerspruchs sowie ggf. im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes wehren. Es bedürfe daher aktuell keines vorbeugenden Rechtsschutzes.

Am 20. April 2015 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt, seine Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und ergänzt, es sei ihm nicht zuzumuten, abzuwarten, bis der Antragsgegner die bewilligten Leistungen entziehe. Es verstoße gegen das Sozial- und das Rechtsstaatsprinzip, wenn er seine Rechte erst dann schützen könne, wenn der Antragsgegner einen Bescheid nach § 66 SGB I erlassen habe. Ihm drohe akut eine nachteilige Entscheidung des Antragsgegners.

Mit Schreiben vom 27. April 2015 hat die Berichterstatterin auf die gesetzliche Konzeption des nachgehenden Rechtsschutzes hingewiesen. Darauf hat der Antragsteller nicht reagiert.

Er beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 20. März 2015 aufzuheben und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, dem Antragsgegner einen Beleg über eine Statusfeststellung durch den Rentenversicherungsträger vorzulegen.

Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Beratungen des Senats gewesen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG vom 20. März 2015 ist nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG ausgeschlossen. Denn das Begehren des Antragstellers ist nicht auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung, sondern auf eine Feststellung gerichtet. Ihr kann ein konkreter wirtschaftlicher Wert nicht beigemessen werden.

Indes ist die Beschwerde unzulässig, denn dem Antragsteller fehlt das Rechtsschutzinteresse. Der Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses bedeutet, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens ein rechtlich schützenswertes Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat. Ein solches ist hier nicht gegeben.

Im derzeitigen Stand des Verwaltungsverfahrens bedarf der Antragsteller keines gerichtlichen Rechtsschutzes. Er wehrt sich gegen eine Aufforderung zur Mitwirkung, die keine Verwaltungsaktsqualität iSv § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) hat. Die Aufforderung zur Vorlage eines Belegs über die Durchführung eines Verfahrens zur Statusfeststellung bei dem Rentenversicherungsträger ist keine mit dem Mitteln der Verwaltungsvollstreckung erzwingbare Pflicht, sondern eine Obliegenheit des Antragstellers als SGB II-Leistungsberechtigter. Der Antragsgegner kann den Antragsteller nicht verpflichten, den geforderten Beleg vorzulegen und damit die gewünschte Mitwirkungshandlung zu erbringen, er kann dazu nur auffordern. Durch die Aufforderung wird nicht in Rechte des Antragstellers eingegriffen. Wenn der Antragsteller sie – wie hier – nicht befolgt, muss der Antragsgegner in einem weiteren Schritt des Verwaltungsverfahrens prüfen, ob das Verhalten als Verletzung der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, § 65 SGB I zu werten ist, und ob er ggf. berechtigt ist, aufgrund dieser Verletzung die Leistung zu versagen bzw. zu entziehen (§ 66 Abs. 1 SGB I). Erst die Versagung oder der Entzug der Leistung ist ein Verwaltungsakt, der eine belastende Regelung für den Antragsteller beinhaltet und gegen die er sich mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen (Widerspruch) wehren kann.

Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet einen Schutz gegen staatliche Eingriffe. Dies bedeutet, dass sich ein Bürger regelmäßig nicht gegen vorbereitendes Verwaltungshandeln wehren kann, das seine Rechte (noch) nicht beeinträchtigt. Ein Sozialleistungsberechtigter kann daher grundsätzlich gerichtlich nicht bereits gegen die Aufforderung zur Mitwirkung wehren kann, sondern muss erst einen ggf. darauf aufbauenden Bescheid abwarten, bevor er gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann.

Mit dem gestellten Feststellungsantrag im Rahmen einer einstweiligen Anordnung will der Antragsteller verhindern, dass der Antragsgegner künftig eine für ihn belastende Regelung nach § 65 SGB I erlässt. Er ist auf vorbeugenden Rechtsschutz gerichtet. Insoweit bedarf es nach den obigen Ausführungen eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 11. Aufl. 2014, § 55 RN 8c; Thüringer LSG, Beschluss vom 12. Januar 2015, Az.: L 4 AS 1231/14 B ER, juris RN 70), das über die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung hinausgeht.

Dieses besondere Zulässigkeitserfordernis bei vorbeugenden Unterlassungs- oder Feststellungsklagen ergibt sich daraus, dass das Rechtsschutzsystem des SGG auf dem nachträglich Überprüfung von Verwaltungshandeln ausgerichtet ist. Deshalb ist in der Hauptsache für eine vorbeugende Feststellungs- oder Unterlassungsklage nur dann Raum, wenn die Verweisung auf den nachträglichen Rechtsschutz unzumutbar ist, z.B. weil ansonsten vollendete Tatsachen geschaffen werden, die ggf. unumkehrbar sind. Da jedoch im einstweiligen Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden kann, als aufgrund einer Klage in der Hauptsache, gilt das Erfordernis des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses auch für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Soweit der Antragsteller die (vorläufige) Feststellung begehrt, dass er nicht verpflichtet ist, einen Beleg über die Statusfeststellung vorzulegen, ist ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse nicht erkennbar. Vielmehr ist der Antragsteller auf den oben beschriebenen allgemeinen Weg des nachträglichen Rechtsschutzes zu verweisen. Ihm entstehen durch die befürchtete Versagungsentscheidung nach § 66 SGB I keine unzumutbaren Nachteile, die im vorgesehen Rechtsschutz nicht mehr wirksam geltend gemacht werden könnten. Die Obliegenheit eines Betroffenen, gegen hoheitliche Maßnahmen nachträglich und anlassbezogen um (gerichtlichen) Rechtsschutz nachzusuchen, stellt nach den obigen Ausführungen keine Beeinträchtigung seines Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz dar. Die Beschwerde war daher zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg iSv § 73a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung hat.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved