Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 333/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2019/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist im Berufungsverfahren zuletzt noch, ob die Beklagte der Klägerin die Kosten für die Beschaffung des Arzneimittels Iscador M in Höhe von EUR 1.062,38 zu erstatten hat.
Die am 1956 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie leidet an einem malignen spinozellulären Zungengrundkarzinom. Im September 2009 wurde sie zunächst erfolgreich operiert und anschließend in einer Reha-Klinik u.a mit dem Präparat. Iscador M nachbehandelt. Iscador M ist ein Mistelpräparat und nicht verschreibungspflichtig.
Unter dem 18. März 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten gestützt auf ein ärztliches Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 12. März 2010 eine Kostenübernahme für eine Misteltherapie. Dr. L. führte aus, nach erfolgreicher Operation sei die Klägerin in der Klinik mit Iscador M nachbehandelt worden. Zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes und aufgrund des guten Erfolges dieser Behandlung solle die Misteltherapie mit Iscador M unbedingt fortgeführt werden. Die zu diesem Zeitpunkt behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin N. gab auf Anfrage der Beklagten an (Bericht vom 4. Oktober 2010), es werde zweimal eine Ampulle pro Woche Iscador M cum Cu subkutan verabreicht. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage. Dr. S.-N. führte unter dem 26. Oktober 2010 aus, genaue Angaben zur Krankheitssituation lägen nicht vor. Es werde bis auf Weiteres unterstellt, dass nach erfolgreicher Operation kein palliatives Krankheitsstadium vorliege, dass also die Erkrankung nicht metastiere und damit nicht mehr wirksam behandelbar sei. Es fehle an einer plausiblen Begründung, woran der gute Behandlungserfolg der Misteltherapie gemessen werde, wenn die Erkrankung mit den Methoden der Vertragsmedizin bereits erfolgreich behandelt worden sei. Zusammenfassend sei weder eine überzeugende medizinische Begründung noch eine Rechtsgrundlage für die beantragte Erstattung von Iscador M erkennbar. Das Mistelpräparat Iscador M sei im Rahmen der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AM-RL) nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das Arzneimittel Iscador M im Rahmen einer Misteltherapie ab. Mistelpräparate seien im Rahmen der AM-RL nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig. Ein palliatives Krankheitsstadium liege nicht vor. Vielmehr diene Iscador M lediglich zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes und solle aufgrund des guten Erfolges der Behandlung weiter eingesetzt werden. Somit fehle es an einer plausiblen Begründung, woran der gute Behandlungserfolg der Misteltherapie gemessen werde, da die Erkrankung mit den Methoden der Vertragsmedizin bereits erfolgreich behandelt worden sei. Weder eine medizinische Begründung noch eine Rechtsgrundlage seien zu erkennen, die zu einer Kostenübernahme führten.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 11. November 2010 Widerspruch unter Bezugnahme auf einen "Mandantenbrief" der die Klägerin später vertretenden Rechtsanwaltskanzlei zum Thema Mistelpräparate in der gesetzlichen Krankenversicherung vom Mai 2010. Mistelpräparate würden nicht nur in der palliativen Therapie, sondern auch in der kurativen und adjuvanten Therapie angewandt. Im Übrigen befürworte ihre Ärztin die Versorgung mit Iscador M. Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2010 zurück. Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK und die der Dr. L. führte er aus, den ärztlichen Unterlagen sei zu entnehmen, dass kein palliatives Krankheitsstadium vorliege. Da Mistelpräparate nach der AM-RL nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig seien, sei eine Kostenübernahme nicht möglich.
Daraufhin beschaffte sich die Klägerin das streitgegenständliche Arzneimittel Iscador M selbst. Die ärztlichen Verordnungen vom 22. September 2011 bis 17. Juni 2013 erfolgten durch Ärztin N. und die ärztliche Verordnung vom 10. Oktober 2013 durch Arzt für Allgemeinmedizin Ma., jeweils mit dem Vermerk "privat". Die ärztlichen Verordnungen vom 3. Dezember 2013 bis 2. April 2015 erfolgten durch Arzt für Innere Medizin Dr. He., der auf den Verordnungsblättern die Rechtsvorgängerin der Beklagten angab. Die Klägerin wandte ab dem 26. September 2011 folgende Beträge auf:
Ärztliche Verordnung vom Apothekenrechnung vom Betrag 22. September 2011 26. September 2011 EUR 122,96 15. Dezember 2011 16. Dezember 2011 EUR 104,52 3. Januar 2012 7. Januar 2012 EUR 104,52 18. September 2012 4. Oktober 2012 EUR 116,81 3. Dezember 2012 28. Dezember 2012 EUR 122,96 1. März.2013 4. März 2013 EUR 175,39 17. Juni 2013 27. Juni 2013 EUR 117,82 10. Oktober 2013 4. Dezember 2013 EUR 65,80 3. Dezember 2013 4. Dezember 2013 EUR 65,80 26. Mai 2014 5. September 2014 EUR 65,80 2. April 2015 28. Mai 2015 EUR 65,80
Gegen den der Klägerin am 22. Dezember 2010 zugestellten Widerspruch erhob sie am 21. Januar 2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung führte sie aus, Iscador M sei für die adjuvante und palliatve Therapie zugelassen. In der gesetzlichen Krankenversicherung seien anthroposophische Mistelpräparate, zu denen auch Iscador M gehöre, bei der Behandlung maligner Tumoren zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Dies gelte nicht nur in Fällen der sogenannten palliativen Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch dann, wenn mit der Therapie eine Heilung angestrebt werde, wenn sie also kurativ oder adjuvant erfolge. Diese Rechtsauffassung zur uneingeschränkten Verordnungsfähigkeit von anthrosophischen Mistelpräparaten bei malignen Tumoren sei durch eine Reihe von Urteilen der Sozialgerichte bestätigt worden. Der Ausschluss in Anlage 1 Nr. 32 AM-RL gelte nur für phytotherapeutische Mistelpräparate. Die Klägerin legte unter anderem das Gutachten der Dres. Kienle und Kiene, Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie, vom 21. März 2007 ("Wirksamkeit und Wissenschaftlichkeit der anthroposophischen Misteltherapie mit besonderer Berücksichtigung der Kriterien evidenzbasierter Medizin") vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Mai 2011 (B 6 KA 25/10 R, in juris). Darin habe das BSG grundsätzlich erklärt, dass für die Verordnungsfähigkeit von Mistelpräparaten der Abschnitt F der AM-RL maßgebend sei. Danach seien Mistelpräparate in Ausnahmefällen nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig.
Die Klägerin erwiderte, das Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) stelle ihren Anspruch und die bisherige Klagebegründung nicht in Frage, denn es beziehe sich erstens auf die Änderung der früheren Fassung der streitgegenständlichen Norm der AM-RL, die nie in Kraft getreten und durch die Neufassung der AM-RL von 2008 auch überholt sei, und zweitens lasse sich das Urteil auch nicht im Sinne eines Präjudizes auf den vorliegenden Fall übertragen. Aus den Urteilsgründen ließen sich keine Schlussfolgerungen herleiten, die eine Änderung der etablierten sozialgerichtlichen Rechtsprechung zur Auslegung des § 12 Abs. 6 AM-RL (Nr. 16.5 AM-RL a.F.) zu rechtfertigen vermöge. Unter Bezugnahme auf ein von Ärztin N. erstelltes ärztliches Gutachten über die Notwendigkeit der Therapie mit dem Präparat Iscador M vom 14. Dezember 2011, sei Therapieziel der durchgeführten Behandlung mit Iscador M eine Verbesserung der hochgradig eingeschränkten Thermoregulation und der endogenen Wärmebildung als zentralem Baustein einer verbesserten Imunantwort. Dieses Ziel werde durch die Injektionen mit Iscador M erreicht. Es habe eine Leistungssteigerung der berufstätigen Klägerin und eine Schlafverbesserung erzielt werden können. Die Verordnung von Iscador M erfolge also bei Vorliegen eines malignen Tumors auch bei adjuvantem Therapieziel in Übereinstimmung mit dem Therapiestandard innerhalb der Therapierichtung der anthroposophischen Medizin.
Mit Urteil vom 12. März 2013 wies das SG die Klage ab. Die Berufung ließ es nicht zu. Der Klägerin stehe der begehrte Anspruch nicht zu. Rechtsgrundlage für den (zunächst) geltend gemachten Erstattungsanspruch (in Höhe von EUR 747,16) sei § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Ein Kostenerstattungsanspruch scheide allerdings aus, wenn Kosten für Arzneimittel begehrt würden, die vom Sachleistungssystem ausgeschlossen seien. Denn ein Anspruch auf Kostenerstattung reiche nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Einen solchen habe die Klägerin nicht. Nach § 31 Abs. 1 SGB V stehe Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien. Hieran orientiert lasse sich keine Leistungs- und Kostenerstattungspflicht der Beklagten für die Behandlung mit Iscador M, einem nicht verschreibungspflichtigen Mistelpräparat, begründen. Der Gesetzgeber habe Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig seien, aus der Leistungsverpflichtung der Beklagten herausgenommen, soweit nicht eine entsprechende Ausnahmeregelung greife. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei für den Leistungsanspruch im Rahmen der anthroposophischen Behandlung nicht ausreichend, wenn die Verordnung auf die Indikation maligner Tumor erfolgt sei und eine Binnenanerkennung dieser Therapie vorliege. Denn nach dem Wortlaut der Nr. 32 der Anlage 1 zum Abschnitt F der AM-RL seien Mistelpräparate, parenteral, auf Mistelektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität zugelassen. Diese Einschränkung gelte nicht nur für fototherapeutische Mistelpräparate, sondern auch für Arzneimittel der anthroposophischen Medizin. Die Vorschrift des Abschnitts F § 12 Abs. 6 AM-RL (insoweit wortgleich der Abschnitt F Nr. 16.5 AM-RL a.F.) rechtfertige kein davon abweichendes Ergebnis. Nach Abschnitt F § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL könne für die in der Anlage 1 aufgeführten Indikationsgebiete die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei. Zwar werde in der von der Klägerin vorgelegten erstinstanzlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, eine enge Auslegung der gleichlautenden Vorgängerregelung des Abschnitts F § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL (Abschnitt F Nr. 16.5 AM-RL a.F.) lasse mit dem Begriff "Indikationsgebiete" keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob die zur Verweisung nur auf die im Abschnitt F aufgeführten Krankheitsbegriffe im Sinne von Diagnosen erfolge oder auch die Verwendung des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zur palliativen Therapie als weitere Anspruchsvoraussetzung umfasse. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben des § 34 Abs. 1 SGB V könne die Verweisung in Nr. 16.5 AM-RL nur dahingehend ausgelegt werden, dass sie sich auf die Gesundheitsstörung "maligner Tumor", nicht hingegen auf die palliative Behandlung beziehe. Dieser Auslegung könne jedoch nach dem Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) nicht mehr gefolgt werden. Insoweit habe das BSG ausgeführt, aus § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V könne nicht abgeleitet werden, der GBA müsse im Rahmen der anthroposophischen und homöopathischen Therapierichtungen Arzneimittel wie z.B. Mistelpräparate sowohl für die kurativ-adjuvante als auch für die palliative Therapie für verordnungsfähig erklären, während entsprechende allopathische Präparate nur für die palliative Therapie verordnungsfähig seien. Dies ergäbe eine im Gesetz so nicht angelegte Begünstigung für die anthroposophischen und homöopathischen Arzneimittel gegenüber den allopathischen. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V sollten in der OTC (= over the counter = über den Tresen)-Ausnahmeliste schwerwiegende Erkrankungen aufgeführt werden, für deren Behandlung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Therapiestandard zur Verfügung stünden. Komme der GBA in diesem Rahmen zum Ergebnis, einen Behandlungsstandard gebe es bei einer bestimmten schwerwiegenden Erkrankung nur in der palliativen Therapie, so beschränke er die Verordnungsfähigkeit in der Weise, wie er es in Nr. 16.4.27 AM-RL (a.F.) bezogen auf Mistelpräparate getan habe. Dies sei dann der Rahmen, dessen Grenzen der GBA dann auch für die besonderen Therapieeinrichtungen gelten lassen könne. Würde der GBA diesen Rahmen allein für die Arzneimittel besonderer Therapierichtungen lockern, wie (die Beklagte jenes Rechtsstreits) das für erforderlich erachte, so ergäbe sich insoweit eine - jedenfalls nicht gebotene - Begünstigung für diese Arzneimittel. Eine Auslegung, die der besonderen Therapierichtungen der Anthroposophie und der Homöopathie weitgehend Rechnung trage, indem sie die Einschränkung, wie sie für Mistelpräparate bestehe (Anwendung nur in der palliativen Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität), nicht auch für anthroposophische und homöopathische Arzneimittel gelten lasse, gehe daher über das Verhältnis des § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V zu § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V hinaus, wonach der therapeutischen Vielfalt nur im Rahmen der Vorgaben des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V Rechnung zu tragen sei. Der 6. Senat des BSG habe in seinem Urteil vom 11. Mai 2011 zudem klargestellt, dass die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" bereits von der früheren Fassung des Abschnitts F Nr. 16.5 AM-RL a.F. durch dessen Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst gewesen sei. Der Umstand, dass das BSG lediglich im Rahmen eines obiter dictums entschieden habe, stehe der Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall nicht entgegen, zumal diese Anmerkung ausdrücklich im Hinblick auf künftige Verfahren erfolgt sei. Die Klägerin könne auch nicht so gestellt werden, als habe der GBA eine Therapie mit Iscador M, die kurativ und/oder adjuvant erfolge, in die Versorgungspflicht einbezogen. Denn ein Fall des Systemversagens durch Untätigkeit sei nicht nachgewiesen. Anlass, die Berufung bei einem Beschwerdewert von EUR 747,16 zuzulassen, habe nicht bestanden, da die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorgelegen hätten.
Gegen das der Klägerin am 10. April 2013 zugestellte Urteil hat diese am 10. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) und zugleich Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung, die sie unter dem 22. Oktober 2013 zurückgenommen hat, eingelegt. Sie hat weitere Kosten für die Beschaffung von Iscador M in Höhe von (letztlich) EUR 315,22 (Verordnung vom 17. Juni 2013 bis 26. Mai 2014) geltend gemacht und zur Begründung ausgeführt, sie habe ursprünglich einen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit dem Mistelpräparat Iscador M nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1, 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 6 AM-RL und Nr. 32 der Anlage 1 der AM-RL gehabt. Die Beklagte habe diese Leistung zu Unrecht abgelehnt. Ihr stehe deshalb ein Anspruch auf Kostenerstattung für das Arzneimittel Iscador M gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V zu. Sie leide an einem malignen Zungengrundkarzinom. Hierbei handele es sich um eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Dies werde durch diverse erstinstanzliche Sozialgerichtsurteile bestätigt. Die Anwendung von Iscador M bei der Behandlung maligner Tumore sei auch in der adjuvanten Therapie Therapiestandard innerhalb der anthroposophischen Therapierichtung. Dies werde durch zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen belegt sowie durch das (vorgelegte) Gutachten des Prof. Dr. Heusser vom 8. August 2014, das dieser im Rechtsstreit bei dem Sozialgericht Dortmund (S 40 KR 682/12) erstattet habe, unabhängig davon dass dieser Rechtsstreit ein anderes Arzneimittel und eine andere Tumorart (Mamakarzinom) betreffe. Dies habe auch das BSG in seinem Urteil vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) nicht bestritten. Für die Frage des Therapiestandard komme es nicht auf den (allgemeinen) Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Schulmedizin an, sondern auf den Erkenntnisstand innerhalb der jeweiligen Therapierichtung. Die Frage, ob anthroposophische Mistelpräparate auch in der adjuvanten Therapie verordnungsfähig seien, sei nach der Rechtslage bis zum 20. Juni 2012 und dem anschließenden Zeitraum zu unterscheiden. Zur Rechtslage bis zum 20. Juni 2012 könne auch aus dem Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 nichts Abschließendes hergeleitet werden. Bis zu diesem Zeitraum habe die Generalklausel des § 12 Abs. 6 AM-RL ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzung" gegolten. Zwar habe das BSG in seinem obiter dictum im Urteil vom 11. Mai 2011 auch zur hier streitgegenständlichen bis zum 20. Juni 2012 gültigen Fassung der AM-RL (§ 12 Abs. 6 a.F. - ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen") seine "Tendenz" zu erkennen gegeben, nach welcher die einschränkende Anwendungsvoraussetzung (nur in der palliativen Therapie) der Nr. 32 der Anlage 1 auch vom Begriff der "Indikationsgebiete" in § 12 Abs. 6 AM-RL mit umfasst sein sollte. Diese lediglich am Rande und nicht in den tragenden Urteilsgründen geäußerte Auffassung des BSG sei nicht bindend und vermöge in seiner apodiktischen Kürze die etablierte und breit abgestützte bisherige Rechtsprechung der Sozialgerichte zu dieser Frage nicht zu erschüttern. Insoweit seien die Urteile der Sozialgerichte Dresden (vom 29. Juni 2006 - S 18 KR 534/05 -) und Speyer (vom 11. Juni 2007 - S 7 KR 283/06 -, beide in juris) wegweisend. Für die ab dem 21. Juni 2012 verordneten und bezogenen Arzneimittel sei der Anspruch nach Bekanntgabe des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012 zur Änderung der Generalklausel des § 12 Abs. 6 AM-RL im Bundesanzeiger unter Einbeziehung des Änderungsbeschlusses zur Änderung des § 12 Abs. 6 AM-RL zu prüfen. Ihr Anspruch entfalle nicht aufgrund dieses Beschlusses. Denn der Beschluss des GBA vom 19. April 2012 sei nichtig, jedenfalls rechtswidrig. Mit diesem Beschluss habe der GBA in § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL nach den Wörtern "für diese Indikationsgebiete" die Wörter "und Anwendungsvoraussetzungen" eingefügt. Allerdings liege dem Änderungsbeschluss ein schwerwiegender Verfahrensfehler zugrunde. Zum einen habe der Beschluss des GBA ausdrücklich an einen bereits erledigten Beschluss des GBA aus dem Jahre 2004 angeknüpft. Zum anderen sei das nach § 92 Abs. 3a SGB V gesetzlich vorgeschriebene Stellungnahmeverfahren unterblieben, an dem u.a. die Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) als maßgeblichen Dachverband und Ärztegesellschaft der besonderen Therapierichtung zu beteiligen gewesen sei. Der schwerwiegende Verfahrensfehler führe zur Nichtigkeit des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012, weshalb § 12 Abs. 6 AM-RL mit dem bisherigen Wortlaut ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen" fortgelte. Zur Frage dieser formellen Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012 treffe das Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 naturgemäß keine Aussage. Auch verstoße der Beschluss des GBA vom 19. April 2012 gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V, weshalb er materiell rechtswidrig sei. Mit dem Gebot der Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt nach § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei es nicht vereinbar, die ganze Gruppe der Arzneimittel der anthroposophischen Medizin und der Homöopathie unter die (zusätzlichen) Anwendungsvoraussetzungen der konventionellen Arzneimittel in der Anlage 1 AM-RL, die zum Teil präparatespezifisch aus diesem abgeleitet seien und für die Frage der Verordnungsfähigkeit anthroposophischer Arzneimittel überwiegend sinnwidrig und überwiegend gar nicht erfüllbar seien, zu unterwerfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2010 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr die seit September 2011 entstandenen Kosten für die Behandlung mit Iscador M in Höhe von EUR 1.062,38 zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Anspruch der Klägerin liege außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs der Beklagten. Die Klägerin begehre die Erstattung von Kosten für ein Arzneimittel, das nicht verschreibungspflichtig und gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen sei. Von der Ausnahmevorschrift gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V sei das Arzneimittel nicht erfasst. Dazu habe das anthroposophische Mistelpräparat, für das die Klägerin eine Kostenerstattung begehre, von den AM-RL für die gegebenen Umstände zur Anwendung festgelegt werden müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Entgegen der klägerischen Einschätzung habe das SG eine schwerwiegende Erkrankung nicht anerkannt. Eine solche bleibe hier zweifelhaft. Nach § 12 Abs. 3 AM-RL sei eine Krankheit schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich sei oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. In der Phase der Heilungsbewährung sei eine solche Schwere nicht mehr gegeben. Auch der Gesetzgeber führe insoweit die Nachsorge onkologischer Behandlungen nicht auf. Ob für das Mistelpräparat ein Therapiestandard gemäß § 12 Abs. 4 AM-RL i.V.m. Anlage 1 zur AM-RL anzunehmen sei, sei nicht belegt. Dies werde auch durch die vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums herausgegebenen Informationen bestätigt. Die Klägerin könne ihren Anspruch nicht auf die AM-RL stützen. Diese bestimme ausdrücklich, dass Mistelpräparate "nur" in der "palliativen" Therapie verordnungsfähig seien. Die Bemühungen der Klägerin, eine Auslegung über den Wortlaut hinaus vorzunehmen, könnten rechtlich nicht überzeugen. Im Übrigen dürfte dies mit dem Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) hinreichend geklärt sein. Die Beurteilung, ob der GBA-Beschluss vom 19. April 2012 rechtswidrig oder gar nichtig sei, werde nicht vorgenommen. Da es sich bei dem Beschluss ausdrücklich um eine Klarstellung handele, komme es auf die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung jedoch nicht an. Vielmehr gebe der GBA damit eine weitere Interpretationshilfe, dass die Misteltherapie nur in der palliativen Therapie verordnungsfähig sein solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft. Die Klägerin ist mit ihrer Berufung insoweit nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil ihr bereits beim SG gestellter Antrag zugleich auch auf laufende Versorgung mit Iscador M in die Zukunft für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr gerichtet war (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2011, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Erstattung der ihr entstandenen Kosten in Höhe von EUR 1.062,38 für die Versorgung mit dem Arzneimittel Iscador M nicht zu.
Da die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die bereits erfolgte Selbstbeschaffung von Iscador M in Höhe von EUR 1.062,38 nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistungen nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden (Alternative 2), sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Regelung setzt voraus, dass die Beklagte der Klägerin die Versorgung mit Iscador M als Sach- oder Dienstleistung schuldete und sie nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erfüllt bzw. rechtzeitig zu erfüllen abgelehnt hat. Nach ständiger Rechtsprechung reicht der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 -, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R -; Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - , Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 8/12 R -, alle in juris). Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann daher die Grenzen des Leistungssystems nicht erweitern, sondern setzt einen Leistungsanspruch voraus. Dies hat das BSG unabhängig davon entschieden, auf welche Grundlage ein Sachleistungsanspruch gestützt wurde.
Ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Versorgung mit Iscador M bestand jedoch nicht.
a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der GBA legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Der seit 1. Januar 2004 geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verstößt weder gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG oder gegen die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 oder Abs. 2 GG, jeweils i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), noch gegen Europarecht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Dezember 2012 – 1 BvR 69/09 –, in juris). In jedem Falle kommt eine Arzneimittelversorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur dann in Betracht, wenn eine vertragsärztliche Verordnung (deren Erfordernis sich im Übrigen auch aus § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V ergibt) vorliegt (st.Rspr. des BSG, vgl. ausführlich Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R -, in juris).
Das Arzneimittel Iscador M war und ist vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst. Denn Iscador M ist ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Die Verordnung von Iscador M ist auch nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig. Die nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V dem GBA aufgegebene Umsetzung zur Bestimmung ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähiger Arzneimittel, die nicht zu beanstanden ist (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - B 6 KA 34/13 R - in juris), ist durch die AM-RL erfolgt. Nach § 12 AM-RL sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen (Abs. 1). Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2). Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs. 3). Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Abs. 4). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage I aufgeführt (Abs. 5). Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen (die Wörter "und Anwendungsvoraussetzungen" eingefügt durch Beschluss des GBA vom 19. April 2012, verkündet im Bundesanzeiger am 20. Juni 2012) nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist (Abs. 6 Satz 1). Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt hat zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen (Abs. 6 Satz 2). Nach Anlage 1 (Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V [OTC-Übersicht]) Nr. 32 AM-RL sind schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität.
Die Voraussetzungen der Anlage 1 Nr. 32 AM-RL sind nicht gegeben. Denn die Therapie des bei der Klägerin vorliegenden malignen spinozellulären Zungengrundkarzinoms mit Iscador M erfolgt nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht als palliatve Therapie, sondern als kurativ-adjuvante Therapie.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Iscador M ergibt sich nicht aus § 12 Abs. 6 AM-RL. Dort ist zwar die Möglichkeit der Verschreibung von Arzneimitteln der Anthroposophie und Homöopathie vorgesehen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist, dies allerdings auch wiederum nur, soweit sie bezogen auf "im Abschnitt F aufgeführte Indikationsgebiete" verschrieben werden. Dies aber trifft, wie ausgeführt, auf die bei der Klägerin diagnostizierte Erkrankung gerade nicht zu. Denn Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, sind danach nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig. In den AM-RL erfolgt damit dem strengen Wortlaut der Vorschrift nach ausdrücklich eine Beschränkung der Verordnung auf die "palliative" Therapie maligner Tumore.
Im Gegensatz zur klägerischen Auffassung sind die AM-RL nicht erweiternd dahingehend auszulegen, dass auch im Rahmen der kurativ-adjuvanten Therapie von einer Verordnungsfähigkeit von Iscador M auszugehen ist. Dass auch der GBA eine solche Erweiterung nicht für sinnvoll erachtete, ergibt sich aus dem sich durch die vom GBA vorgenommene Einfügung des Passus "und Anwendungsvoraussetzungen" an das Wort "Indikationsgebiete" (in die frühere geltende Vorschrift der Nr. 16.5. AM-RL) entfachten Rechtsstreit des GBA mit dem Bundesministerium für Gesundheit (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 - B 6 KA 25/10 -, a.a.O.). Für Mistelpräparate entstand ein Streit, da vor allem anthroposophische Ärzte die Indikation nur auf die "malignen Tumoren" bezogen und Mistelpräparate auch für die kurative-adjuvante Therapie maligner Tumoren verordneten. Der GBA fühlte sich missverstanden und wollte Ende 2004 Mistel-Verordnungen jenseits der palliativen Therapie durch eine für die gesamte Ausnahmeliste gültige Klarstellung ausschließen, wovon auch das BSG in diesem Urteil ausging, wie der Terminbericht Nr. 23/11 vom 12. Mai 2011 zeigt, in welchem das Wort "klarstellen" verwendet wurde. Es drückt aus, dass der GBA die kurativ-adjuvante Mistel-Therapie von Beginn an ausschließen wollte und auch ausgeschlossen hat und damit nur missverstanden worden ist. Letztlich kann der Auslegung durch die anthroposophischen Ärzte und damit auch derjenigen der Klägerin nach diesem Urteil des BSG nicht gefolgt werden. Das BSG hat hierzu ausgeführt (Rn. 41): "Aus § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V kann nicht abgeleitet werden, der GBA müsse im Rahmen der anthroposophischen und homöopathischen Therapierichtungen Arzneimittel wie z.B. Mistel-Präparate sowohl für die kurativ-adjuvante als auch für die palliative Therapie für verordnungsfähig erklären, während entsprechende allopathische Präparate nur für die palliative Therapie verordnungsfähig sind. Dies ergäbe eine im Gesetz so nicht angelegte Begünstigung für die anthroposophischen und die homöopathischen Arzneimittel gegenüber den allopathischen. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V sollen in der OTC-Ausnahmeliste schwerwiegende Erkrankungen aufgeführt werden, für deren Behandlung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Therapiestandard zur Verfügung stehen. Kommt der GBA in diesem Rahmen zum Ergebnis, einen Behandlungsstandard gebe es bei einer bestimmten schwerwiegenden Erkrankung nur in der palliativen Therapie, so beschränkt er die Verordnungsfähigkeit in der Weise, wie er es in Nr. 16.4.27 AMRL [nunmehr Anlage 1 Nr. 32 AM-RL] bezogen auf Mistel-Präparate getan hat. Dies ist dann der Rahmen, dessen Grenzen der GBA dann auch für die besonderen Therapierichtungen gelten lassen kann. Würde der GBA diesen Rahmen allein für die Arzneimittel besonderer Therapierichtungen lockern, wie die Beklagte das für erforderlich erachtet, so ergäbe sich insoweit eine - jedenfalls nicht gebotene - Begünstigung für diese Arzneimittel.".
Insbesondere hat das BSG in diesem Urteil weiter folgendes formuliert (Rn. 43): "Keiner näheren Erörterung bedarf es auch an dieser Stelle (vgl bereits oben RdNr. 32), ob die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" schon von der früheren Fassung der Nr. 16.5 AMRL durch dessen Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst war oder ob sie erst von deren späterer - von der Beklagten beanstandeten - Fassung aufgrund der kumulativen Begriffe "Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen" erfasst wurde. Mit Blick auf etwaige künftige ähnliche Streitfälle weist der Senat aber darauf hin, dass er dazu neigt, dass bereits der Begriff "Indikationsgebiete" die Anwendungsbeschränkung mitumfasst hat. Hierfür sprechen Andeutungen in der BSG-Rechtsprechung (vgl. BSGE 89, 184, 191: "Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen"; s auch z.B. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 RdNr 9 und BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 RdNr. 21 f, wonach die Zulassung das Indikationsgebiet umschreibt, in dem das Arzneimittel im konkreten Fall eingesetzt werden soll; ferner weitere Nachweise im Urteil des SG Dresden A&R 2007, 134, 136 f (unter 5.)) und lassen sich - allerdings nur mit Vorsicht - auch die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des § 34 SGB V anführen (vgl. BT-Drucks 15/1525 S 86: "In den Arzneimittelrichtlinien ist das Nähere zur Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insbesondere bezogen auf bestimmte Indikationen und Indikationsgebiete festzulegen.")."
Das BSG hat auch insoweit – entgegen der Auffassung der Klägerin – klargestellt, dass die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" bereits in der früheren Fassung (Nr. 16.5 AM-RL a.F.) durch den Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst war. Eine Übertragung dieser vom BSG geäußerten Rechtsansicht auf die heute gültige Norm ist im Hinblick auf die Wortidentität ohne Zweifel möglich.
Daraus folgt dann, dass die von der Klägerin für notwendig erachtete Differenzierung der Rechtslage für die Zeiträume vor und nach dem Inkrafttreten des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012 am 21. Juni 2012 nicht erforderlich ist. Er brachte klar zum Ausdruck, den ursprünglichen klaren Wortlaut der Norm weiter zu festigen.
Aus diesen Gründen vermag der Senat auch eine Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012, mit dem § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL um die Wörter "und Anwendungsvoraussetzungen" ergänzt wurde, nicht zu erkennen. Denn der Beschluss entspricht wie dargelegt materiell der Rechtslage. Eine Schlechterstellung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ergibt sich nicht aus § 12 Abs. 6 AM-RL (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - B 6 KA 34/13 R -, in juris). Soweit die Klägerin eine fehlende Beteiligung der maßgeblichen Dachverbände der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen (§ 92 Abs. 3a Satz 1 SGB V) rügt, greift dies nicht durch. Denn der GBA vollzog mit dem Beschluss vom 19. April 2012 nur die bereits früher in Nr. 16.5 AM-RL a.F. getroffene Regelung, die er bei Neufassung der AM-RL (Beschluss vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009) im Hinblick auf den damals noch anhängig gewesenen Rechtsstreit wegen der Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit unterlassen hatte.
b) Ein Leistungsanspruch der Klägerin lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -, in juris) sowie seit 1. Januar 2012 aufgrund des zu diesem Zeitpunkt mit Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 2011 (BGBl I, S. 2983) eingefügten § 2 Abs. 1a SGB V, mit dem der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerfG und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Urteile des BSG (z.B. Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R -; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R -, alle in juris) umgesetzt hat, begründen. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 70/12 R -; BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senat vom 26. März 2014 - 1 BvR 2415/13 -, beide in juris). Das BSG hat insoweit weiter ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des "Off-Label-Use" formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - siehe auch BSG, Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R -, beide in juris). Verneint hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.) z. B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R - in juris), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26. September 2006 - B 1 KR 16/06 B - nicht veröffentlicht) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreichschen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen (Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - a.a.O.). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - a.a.O.).
Eine solche notstandsähnliche Situation ist im vorliegenden Fall der Klägerin nicht gegeben. Dahinstehen kann, ob - wie von der Klägerin unter Vorlage zahlreicher erstinstanzlicher Sozialgerichtsurteile angenommen - im zeitlichen Rahmen der Heilungsbewährung nach erfolgreicher Operation ihres Zungengrundkarzinoms von einer Notstandssituation im vorstehend beschriebenen Sinn ausgegangen werden kann. Eine solche lag zwar im akuten Stadium der malignen Erkrankung vor, war nach erfolgreicher Operation jedoch nicht mehr gegeben. Jedenfalls scheitert ein Anspruch der Klägerin nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V aber daran, dass zur Behandlung des Zungengrundkarzinoms eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, von der die Klägerin auch profitierte. Der Klägerin ist es zuzumuten, die dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Leistungen auszuschöpfen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist im Berufungsverfahren zuletzt noch, ob die Beklagte der Klägerin die Kosten für die Beschaffung des Arzneimittels Iscador M in Höhe von EUR 1.062,38 zu erstatten hat.
Die am 1956 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie leidet an einem malignen spinozellulären Zungengrundkarzinom. Im September 2009 wurde sie zunächst erfolgreich operiert und anschließend in einer Reha-Klinik u.a mit dem Präparat. Iscador M nachbehandelt. Iscador M ist ein Mistelpräparat und nicht verschreibungspflichtig.
Unter dem 18. März 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten gestützt auf ein ärztliches Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 12. März 2010 eine Kostenübernahme für eine Misteltherapie. Dr. L. führte aus, nach erfolgreicher Operation sei die Klägerin in der Klinik mit Iscador M nachbehandelt worden. Zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes und aufgrund des guten Erfolges dieser Behandlung solle die Misteltherapie mit Iscador M unbedingt fortgeführt werden. Die zu diesem Zeitpunkt behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin N. gab auf Anfrage der Beklagten an (Bericht vom 4. Oktober 2010), es werde zweimal eine Ampulle pro Woche Iscador M cum Cu subkutan verabreicht. Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage. Dr. S.-N. führte unter dem 26. Oktober 2010 aus, genaue Angaben zur Krankheitssituation lägen nicht vor. Es werde bis auf Weiteres unterstellt, dass nach erfolgreicher Operation kein palliatives Krankheitsstadium vorliege, dass also die Erkrankung nicht metastiere und damit nicht mehr wirksam behandelbar sei. Es fehle an einer plausiblen Begründung, woran der gute Behandlungserfolg der Misteltherapie gemessen werde, wenn die Erkrankung mit den Methoden der Vertragsmedizin bereits erfolgreich behandelt worden sei. Zusammenfassend sei weder eine überzeugende medizinische Begründung noch eine Rechtsgrundlage für die beantragte Erstattung von Iscador M erkennbar. Das Mistelpräparat Iscador M sei im Rahmen der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AM-RL) nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das Arzneimittel Iscador M im Rahmen einer Misteltherapie ab. Mistelpräparate seien im Rahmen der AM-RL nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig. Ein palliatives Krankheitsstadium liege nicht vor. Vielmehr diene Iscador M lediglich zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes und solle aufgrund des guten Erfolges der Behandlung weiter eingesetzt werden. Somit fehle es an einer plausiblen Begründung, woran der gute Behandlungserfolg der Misteltherapie gemessen werde, da die Erkrankung mit den Methoden der Vertragsmedizin bereits erfolgreich behandelt worden sei. Weder eine medizinische Begründung noch eine Rechtsgrundlage seien zu erkennen, die zu einer Kostenübernahme führten.
Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 11. November 2010 Widerspruch unter Bezugnahme auf einen "Mandantenbrief" der die Klägerin später vertretenden Rechtsanwaltskanzlei zum Thema Mistelpräparate in der gesetzlichen Krankenversicherung vom Mai 2010. Mistelpräparate würden nicht nur in der palliativen Therapie, sondern auch in der kurativen und adjuvanten Therapie angewandt. Im Übrigen befürworte ihre Ärztin die Versorgung mit Iscador M. Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2010 zurück. Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK und die der Dr. L. führte er aus, den ärztlichen Unterlagen sei zu entnehmen, dass kein palliatives Krankheitsstadium vorliege. Da Mistelpräparate nach der AM-RL nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig seien, sei eine Kostenübernahme nicht möglich.
Daraufhin beschaffte sich die Klägerin das streitgegenständliche Arzneimittel Iscador M selbst. Die ärztlichen Verordnungen vom 22. September 2011 bis 17. Juni 2013 erfolgten durch Ärztin N. und die ärztliche Verordnung vom 10. Oktober 2013 durch Arzt für Allgemeinmedizin Ma., jeweils mit dem Vermerk "privat". Die ärztlichen Verordnungen vom 3. Dezember 2013 bis 2. April 2015 erfolgten durch Arzt für Innere Medizin Dr. He., der auf den Verordnungsblättern die Rechtsvorgängerin der Beklagten angab. Die Klägerin wandte ab dem 26. September 2011 folgende Beträge auf:
Ärztliche Verordnung vom Apothekenrechnung vom Betrag 22. September 2011 26. September 2011 EUR 122,96 15. Dezember 2011 16. Dezember 2011 EUR 104,52 3. Januar 2012 7. Januar 2012 EUR 104,52 18. September 2012 4. Oktober 2012 EUR 116,81 3. Dezember 2012 28. Dezember 2012 EUR 122,96 1. März.2013 4. März 2013 EUR 175,39 17. Juni 2013 27. Juni 2013 EUR 117,82 10. Oktober 2013 4. Dezember 2013 EUR 65,80 3. Dezember 2013 4. Dezember 2013 EUR 65,80 26. Mai 2014 5. September 2014 EUR 65,80 2. April 2015 28. Mai 2015 EUR 65,80
Gegen den der Klägerin am 22. Dezember 2010 zugestellten Widerspruch erhob sie am 21. Januar 2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung führte sie aus, Iscador M sei für die adjuvante und palliatve Therapie zugelassen. In der gesetzlichen Krankenversicherung seien anthroposophische Mistelpräparate, zu denen auch Iscador M gehöre, bei der Behandlung maligner Tumoren zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Dies gelte nicht nur in Fällen der sogenannten palliativen Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch dann, wenn mit der Therapie eine Heilung angestrebt werde, wenn sie also kurativ oder adjuvant erfolge. Diese Rechtsauffassung zur uneingeschränkten Verordnungsfähigkeit von anthrosophischen Mistelpräparaten bei malignen Tumoren sei durch eine Reihe von Urteilen der Sozialgerichte bestätigt worden. Der Ausschluss in Anlage 1 Nr. 32 AM-RL gelte nur für phytotherapeutische Mistelpräparate. Die Klägerin legte unter anderem das Gutachten der Dres. Kienle und Kiene, Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie, vom 21. März 2007 ("Wirksamkeit und Wissenschaftlichkeit der anthroposophischen Misteltherapie mit besonderer Berücksichtigung der Kriterien evidenzbasierter Medizin") vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Mai 2011 (B 6 KA 25/10 R, in juris). Darin habe das BSG grundsätzlich erklärt, dass für die Verordnungsfähigkeit von Mistelpräparaten der Abschnitt F der AM-RL maßgebend sei. Danach seien Mistelpräparate in Ausnahmefällen nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig.
Die Klägerin erwiderte, das Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) stelle ihren Anspruch und die bisherige Klagebegründung nicht in Frage, denn es beziehe sich erstens auf die Änderung der früheren Fassung der streitgegenständlichen Norm der AM-RL, die nie in Kraft getreten und durch die Neufassung der AM-RL von 2008 auch überholt sei, und zweitens lasse sich das Urteil auch nicht im Sinne eines Präjudizes auf den vorliegenden Fall übertragen. Aus den Urteilsgründen ließen sich keine Schlussfolgerungen herleiten, die eine Änderung der etablierten sozialgerichtlichen Rechtsprechung zur Auslegung des § 12 Abs. 6 AM-RL (Nr. 16.5 AM-RL a.F.) zu rechtfertigen vermöge. Unter Bezugnahme auf ein von Ärztin N. erstelltes ärztliches Gutachten über die Notwendigkeit der Therapie mit dem Präparat Iscador M vom 14. Dezember 2011, sei Therapieziel der durchgeführten Behandlung mit Iscador M eine Verbesserung der hochgradig eingeschränkten Thermoregulation und der endogenen Wärmebildung als zentralem Baustein einer verbesserten Imunantwort. Dieses Ziel werde durch die Injektionen mit Iscador M erreicht. Es habe eine Leistungssteigerung der berufstätigen Klägerin und eine Schlafverbesserung erzielt werden können. Die Verordnung von Iscador M erfolge also bei Vorliegen eines malignen Tumors auch bei adjuvantem Therapieziel in Übereinstimmung mit dem Therapiestandard innerhalb der Therapierichtung der anthroposophischen Medizin.
Mit Urteil vom 12. März 2013 wies das SG die Klage ab. Die Berufung ließ es nicht zu. Der Klägerin stehe der begehrte Anspruch nicht zu. Rechtsgrundlage für den (zunächst) geltend gemachten Erstattungsanspruch (in Höhe von EUR 747,16) sei § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Ein Kostenerstattungsanspruch scheide allerdings aus, wenn Kosten für Arzneimittel begehrt würden, die vom Sachleistungssystem ausgeschlossen seien. Denn ein Anspruch auf Kostenerstattung reiche nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Einen solchen habe die Klägerin nicht. Nach § 31 Abs. 1 SGB V stehe Versicherten ein Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien. Hieran orientiert lasse sich keine Leistungs- und Kostenerstattungspflicht der Beklagten für die Behandlung mit Iscador M, einem nicht verschreibungspflichtigen Mistelpräparat, begründen. Der Gesetzgeber habe Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig seien, aus der Leistungsverpflichtung der Beklagten herausgenommen, soweit nicht eine entsprechende Ausnahmeregelung greife. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei für den Leistungsanspruch im Rahmen der anthroposophischen Behandlung nicht ausreichend, wenn die Verordnung auf die Indikation maligner Tumor erfolgt sei und eine Binnenanerkennung dieser Therapie vorliege. Denn nach dem Wortlaut der Nr. 32 der Anlage 1 zum Abschnitt F der AM-RL seien Mistelpräparate, parenteral, auf Mistelektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität zugelassen. Diese Einschränkung gelte nicht nur für fototherapeutische Mistelpräparate, sondern auch für Arzneimittel der anthroposophischen Medizin. Die Vorschrift des Abschnitts F § 12 Abs. 6 AM-RL (insoweit wortgleich der Abschnitt F Nr. 16.5 AM-RL a.F.) rechtfertige kein davon abweichendes Ergebnis. Nach Abschnitt F § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL könne für die in der Anlage 1 aufgeführten Indikationsgebiete die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei. Zwar werde in der von der Klägerin vorgelegten erstinstanzlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, eine enge Auslegung der gleichlautenden Vorgängerregelung des Abschnitts F § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL (Abschnitt F Nr. 16.5 AM-RL a.F.) lasse mit dem Begriff "Indikationsgebiete" keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob die zur Verweisung nur auf die im Abschnitt F aufgeführten Krankheitsbegriffe im Sinne von Diagnosen erfolge oder auch die Verwendung des nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zur palliativen Therapie als weitere Anspruchsvoraussetzung umfasse. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben des § 34 Abs. 1 SGB V könne die Verweisung in Nr. 16.5 AM-RL nur dahingehend ausgelegt werden, dass sie sich auf die Gesundheitsstörung "maligner Tumor", nicht hingegen auf die palliative Behandlung beziehe. Dieser Auslegung könne jedoch nach dem Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) nicht mehr gefolgt werden. Insoweit habe das BSG ausgeführt, aus § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V könne nicht abgeleitet werden, der GBA müsse im Rahmen der anthroposophischen und homöopathischen Therapierichtungen Arzneimittel wie z.B. Mistelpräparate sowohl für die kurativ-adjuvante als auch für die palliative Therapie für verordnungsfähig erklären, während entsprechende allopathische Präparate nur für die palliative Therapie verordnungsfähig seien. Dies ergäbe eine im Gesetz so nicht angelegte Begünstigung für die anthroposophischen und homöopathischen Arzneimittel gegenüber den allopathischen. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V sollten in der OTC (= over the counter = über den Tresen)-Ausnahmeliste schwerwiegende Erkrankungen aufgeführt werden, für deren Behandlung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Therapiestandard zur Verfügung stünden. Komme der GBA in diesem Rahmen zum Ergebnis, einen Behandlungsstandard gebe es bei einer bestimmten schwerwiegenden Erkrankung nur in der palliativen Therapie, so beschränke er die Verordnungsfähigkeit in der Weise, wie er es in Nr. 16.4.27 AM-RL (a.F.) bezogen auf Mistelpräparate getan habe. Dies sei dann der Rahmen, dessen Grenzen der GBA dann auch für die besonderen Therapieeinrichtungen gelten lassen könne. Würde der GBA diesen Rahmen allein für die Arzneimittel besonderer Therapierichtungen lockern, wie (die Beklagte jenes Rechtsstreits) das für erforderlich erachte, so ergäbe sich insoweit eine - jedenfalls nicht gebotene - Begünstigung für diese Arzneimittel. Eine Auslegung, die der besonderen Therapierichtungen der Anthroposophie und der Homöopathie weitgehend Rechnung trage, indem sie die Einschränkung, wie sie für Mistelpräparate bestehe (Anwendung nur in der palliativen Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität), nicht auch für anthroposophische und homöopathische Arzneimittel gelten lasse, gehe daher über das Verhältnis des § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V zu § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V hinaus, wonach der therapeutischen Vielfalt nur im Rahmen der Vorgaben des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V Rechnung zu tragen sei. Der 6. Senat des BSG habe in seinem Urteil vom 11. Mai 2011 zudem klargestellt, dass die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" bereits von der früheren Fassung des Abschnitts F Nr. 16.5 AM-RL a.F. durch dessen Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst gewesen sei. Der Umstand, dass das BSG lediglich im Rahmen eines obiter dictums entschieden habe, stehe der Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall nicht entgegen, zumal diese Anmerkung ausdrücklich im Hinblick auf künftige Verfahren erfolgt sei. Die Klägerin könne auch nicht so gestellt werden, als habe der GBA eine Therapie mit Iscador M, die kurativ und/oder adjuvant erfolge, in die Versorgungspflicht einbezogen. Denn ein Fall des Systemversagens durch Untätigkeit sei nicht nachgewiesen. Anlass, die Berufung bei einem Beschwerdewert von EUR 747,16 zuzulassen, habe nicht bestanden, da die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorgelegen hätten.
Gegen das der Klägerin am 10. April 2013 zugestellte Urteil hat diese am 10. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) und zugleich Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung, die sie unter dem 22. Oktober 2013 zurückgenommen hat, eingelegt. Sie hat weitere Kosten für die Beschaffung von Iscador M in Höhe von (letztlich) EUR 315,22 (Verordnung vom 17. Juni 2013 bis 26. Mai 2014) geltend gemacht und zur Begründung ausgeführt, sie habe ursprünglich einen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit dem Mistelpräparat Iscador M nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1, 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 6 AM-RL und Nr. 32 der Anlage 1 der AM-RL gehabt. Die Beklagte habe diese Leistung zu Unrecht abgelehnt. Ihr stehe deshalb ein Anspruch auf Kostenerstattung für das Arzneimittel Iscador M gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V zu. Sie leide an einem malignen Zungengrundkarzinom. Hierbei handele es sich um eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Dies werde durch diverse erstinstanzliche Sozialgerichtsurteile bestätigt. Die Anwendung von Iscador M bei der Behandlung maligner Tumore sei auch in der adjuvanten Therapie Therapiestandard innerhalb der anthroposophischen Therapierichtung. Dies werde durch zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen belegt sowie durch das (vorgelegte) Gutachten des Prof. Dr. Heusser vom 8. August 2014, das dieser im Rechtsstreit bei dem Sozialgericht Dortmund (S 40 KR 682/12) erstattet habe, unabhängig davon dass dieser Rechtsstreit ein anderes Arzneimittel und eine andere Tumorart (Mamakarzinom) betreffe. Dies habe auch das BSG in seinem Urteil vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) nicht bestritten. Für die Frage des Therapiestandard komme es nicht auf den (allgemeinen) Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Schulmedizin an, sondern auf den Erkenntnisstand innerhalb der jeweiligen Therapierichtung. Die Frage, ob anthroposophische Mistelpräparate auch in der adjuvanten Therapie verordnungsfähig seien, sei nach der Rechtslage bis zum 20. Juni 2012 und dem anschließenden Zeitraum zu unterscheiden. Zur Rechtslage bis zum 20. Juni 2012 könne auch aus dem Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 nichts Abschließendes hergeleitet werden. Bis zu diesem Zeitraum habe die Generalklausel des § 12 Abs. 6 AM-RL ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzung" gegolten. Zwar habe das BSG in seinem obiter dictum im Urteil vom 11. Mai 2011 auch zur hier streitgegenständlichen bis zum 20. Juni 2012 gültigen Fassung der AM-RL (§ 12 Abs. 6 a.F. - ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen") seine "Tendenz" zu erkennen gegeben, nach welcher die einschränkende Anwendungsvoraussetzung (nur in der palliativen Therapie) der Nr. 32 der Anlage 1 auch vom Begriff der "Indikationsgebiete" in § 12 Abs. 6 AM-RL mit umfasst sein sollte. Diese lediglich am Rande und nicht in den tragenden Urteilsgründen geäußerte Auffassung des BSG sei nicht bindend und vermöge in seiner apodiktischen Kürze die etablierte und breit abgestützte bisherige Rechtsprechung der Sozialgerichte zu dieser Frage nicht zu erschüttern. Insoweit seien die Urteile der Sozialgerichte Dresden (vom 29. Juni 2006 - S 18 KR 534/05 -) und Speyer (vom 11. Juni 2007 - S 7 KR 283/06 -, beide in juris) wegweisend. Für die ab dem 21. Juni 2012 verordneten und bezogenen Arzneimittel sei der Anspruch nach Bekanntgabe des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012 zur Änderung der Generalklausel des § 12 Abs. 6 AM-RL im Bundesanzeiger unter Einbeziehung des Änderungsbeschlusses zur Änderung des § 12 Abs. 6 AM-RL zu prüfen. Ihr Anspruch entfalle nicht aufgrund dieses Beschlusses. Denn der Beschluss des GBA vom 19. April 2012 sei nichtig, jedenfalls rechtswidrig. Mit diesem Beschluss habe der GBA in § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL nach den Wörtern "für diese Indikationsgebiete" die Wörter "und Anwendungsvoraussetzungen" eingefügt. Allerdings liege dem Änderungsbeschluss ein schwerwiegender Verfahrensfehler zugrunde. Zum einen habe der Beschluss des GBA ausdrücklich an einen bereits erledigten Beschluss des GBA aus dem Jahre 2004 angeknüpft. Zum anderen sei das nach § 92 Abs. 3a SGB V gesetzlich vorgeschriebene Stellungnahmeverfahren unterblieben, an dem u.a. die Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) als maßgeblichen Dachverband und Ärztegesellschaft der besonderen Therapierichtung zu beteiligen gewesen sei. Der schwerwiegende Verfahrensfehler führe zur Nichtigkeit des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012, weshalb § 12 Abs. 6 AM-RL mit dem bisherigen Wortlaut ohne die Worte "und Anwendungsvoraussetzungen" fortgelte. Zur Frage dieser formellen Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012 treffe das Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 naturgemäß keine Aussage. Auch verstoße der Beschluss des GBA vom 19. April 2012 gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V, weshalb er materiell rechtswidrig sei. Mit dem Gebot der Berücksichtigung der therapeutischen Vielfalt nach § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei es nicht vereinbar, die ganze Gruppe der Arzneimittel der anthroposophischen Medizin und der Homöopathie unter die (zusätzlichen) Anwendungsvoraussetzungen der konventionellen Arzneimittel in der Anlage 1 AM-RL, die zum Teil präparatespezifisch aus diesem abgeleitet seien und für die Frage der Verordnungsfähigkeit anthroposophischer Arzneimittel überwiegend sinnwidrig und überwiegend gar nicht erfüllbar seien, zu unterwerfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Dezember 2010 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr die seit September 2011 entstandenen Kosten für die Behandlung mit Iscador M in Höhe von EUR 1.062,38 zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Anspruch der Klägerin liege außerhalb des gesetzlichen Leistungskatalogs der Beklagten. Die Klägerin begehre die Erstattung von Kosten für ein Arzneimittel, das nicht verschreibungspflichtig und gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen sei. Von der Ausnahmevorschrift gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V sei das Arzneimittel nicht erfasst. Dazu habe das anthroposophische Mistelpräparat, für das die Klägerin eine Kostenerstattung begehre, von den AM-RL für die gegebenen Umstände zur Anwendung festgelegt werden müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Entgegen der klägerischen Einschätzung habe das SG eine schwerwiegende Erkrankung nicht anerkannt. Eine solche bleibe hier zweifelhaft. Nach § 12 Abs. 3 AM-RL sei eine Krankheit schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich sei oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. In der Phase der Heilungsbewährung sei eine solche Schwere nicht mehr gegeben. Auch der Gesetzgeber führe insoweit die Nachsorge onkologischer Behandlungen nicht auf. Ob für das Mistelpräparat ein Therapiestandard gemäß § 12 Abs. 4 AM-RL i.V.m. Anlage 1 zur AM-RL anzunehmen sei, sei nicht belegt. Dies werde auch durch die vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums herausgegebenen Informationen bestätigt. Die Klägerin könne ihren Anspruch nicht auf die AM-RL stützen. Diese bestimme ausdrücklich, dass Mistelpräparate "nur" in der "palliativen" Therapie verordnungsfähig seien. Die Bemühungen der Klägerin, eine Auslegung über den Wortlaut hinaus vorzunehmen, könnten rechtlich nicht überzeugen. Im Übrigen dürfte dies mit dem Urteil des BSG vom 11. Mai 2011 (a.a.O.) hinreichend geklärt sein. Die Beurteilung, ob der GBA-Beschluss vom 19. April 2012 rechtswidrig oder gar nichtig sei, werde nicht vorgenommen. Da es sich bei dem Beschluss ausdrücklich um eine Klarstellung handele, komme es auf die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung jedoch nicht an. Vielmehr gebe der GBA damit eine weitere Interpretationshilfe, dass die Misteltherapie nur in der palliativen Therapie verordnungsfähig sein solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft. Die Klägerin ist mit ihrer Berufung insoweit nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil ihr bereits beim SG gestellter Antrag zugleich auch auf laufende Versorgung mit Iscador M in die Zukunft für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr gerichtet war (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2011, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Erstattung der ihr entstandenen Kosten in Höhe von EUR 1.062,38 für die Versorgung mit dem Arzneimittel Iscador M nicht zu.
Da die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hatte, kommt als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die bereits erfolgte Selbstbeschaffung von Iscador M in Höhe von EUR 1.062,38 nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistungen nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden (Alternative 2), sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Regelung setzt voraus, dass die Beklagte der Klägerin die Versorgung mit Iscador M als Sach- oder Dienstleistung schuldete und sie nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erfüllt bzw. rechtzeitig zu erfüllen abgelehnt hat. Nach ständiger Rechtsprechung reicht der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 -, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R -; Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - , Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 8/12 R -, alle in juris). Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann daher die Grenzen des Leistungssystems nicht erweitern, sondern setzt einen Leistungsanspruch voraus. Dies hat das BSG unabhängig davon entschieden, auf welche Grundlage ein Sachleistungsanspruch gestützt wurde.
Ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Versorgung mit Iscador M bestand jedoch nicht.
a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der GBA legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Der seit 1. Januar 2004 geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung verstößt weder gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG oder gegen die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 oder Abs. 2 GG, jeweils i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), noch gegen Europarecht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Dezember 2012 – 1 BvR 69/09 –, in juris). In jedem Falle kommt eine Arzneimittelversorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur dann in Betracht, wenn eine vertragsärztliche Verordnung (deren Erfordernis sich im Übrigen auch aus § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V ergibt) vorliegt (st.Rspr. des BSG, vgl. ausführlich Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R -, in juris).
Das Arzneimittel Iscador M war und ist vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst. Denn Iscador M ist ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Die Verordnung von Iscador M ist auch nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig. Die nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V dem GBA aufgegebene Umsetzung zur Bestimmung ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähiger Arzneimittel, die nicht zu beanstanden ist (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - B 6 KA 34/13 R - in juris), ist durch die AM-RL erfolgt. Nach § 12 AM-RL sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen (Abs. 1). Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2). Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs. 3). Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Abs. 4). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage I aufgeführt (Abs. 5). Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen (die Wörter "und Anwendungsvoraussetzungen" eingefügt durch Beschluss des GBA vom 19. April 2012, verkündet im Bundesanzeiger am 20. Juni 2012) nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist (Abs. 6 Satz 1). Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt hat zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen (Abs. 6 Satz 2). Nach Anlage 1 (Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V [OTC-Übersicht]) Nr. 32 AM-RL sind schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität.
Die Voraussetzungen der Anlage 1 Nr. 32 AM-RL sind nicht gegeben. Denn die Therapie des bei der Klägerin vorliegenden malignen spinozellulären Zungengrundkarzinoms mit Iscador M erfolgt nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht als palliatve Therapie, sondern als kurativ-adjuvante Therapie.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Iscador M ergibt sich nicht aus § 12 Abs. 6 AM-RL. Dort ist zwar die Möglichkeit der Verschreibung von Arzneimitteln der Anthroposophie und Homöopathie vorgesehen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist, dies allerdings auch wiederum nur, soweit sie bezogen auf "im Abschnitt F aufgeführte Indikationsgebiete" verschrieben werden. Dies aber trifft, wie ausgeführt, auf die bei der Klägerin diagnostizierte Erkrankung gerade nicht zu. Denn Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, sind danach nur in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität verordnungsfähig. In den AM-RL erfolgt damit dem strengen Wortlaut der Vorschrift nach ausdrücklich eine Beschränkung der Verordnung auf die "palliative" Therapie maligner Tumore.
Im Gegensatz zur klägerischen Auffassung sind die AM-RL nicht erweiternd dahingehend auszulegen, dass auch im Rahmen der kurativ-adjuvanten Therapie von einer Verordnungsfähigkeit von Iscador M auszugehen ist. Dass auch der GBA eine solche Erweiterung nicht für sinnvoll erachtete, ergibt sich aus dem sich durch die vom GBA vorgenommene Einfügung des Passus "und Anwendungsvoraussetzungen" an das Wort "Indikationsgebiete" (in die frühere geltende Vorschrift der Nr. 16.5. AM-RL) entfachten Rechtsstreit des GBA mit dem Bundesministerium für Gesundheit (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 - B 6 KA 25/10 -, a.a.O.). Für Mistelpräparate entstand ein Streit, da vor allem anthroposophische Ärzte die Indikation nur auf die "malignen Tumoren" bezogen und Mistelpräparate auch für die kurative-adjuvante Therapie maligner Tumoren verordneten. Der GBA fühlte sich missverstanden und wollte Ende 2004 Mistel-Verordnungen jenseits der palliativen Therapie durch eine für die gesamte Ausnahmeliste gültige Klarstellung ausschließen, wovon auch das BSG in diesem Urteil ausging, wie der Terminbericht Nr. 23/11 vom 12. Mai 2011 zeigt, in welchem das Wort "klarstellen" verwendet wurde. Es drückt aus, dass der GBA die kurativ-adjuvante Mistel-Therapie von Beginn an ausschließen wollte und auch ausgeschlossen hat und damit nur missverstanden worden ist. Letztlich kann der Auslegung durch die anthroposophischen Ärzte und damit auch derjenigen der Klägerin nach diesem Urteil des BSG nicht gefolgt werden. Das BSG hat hierzu ausgeführt (Rn. 41): "Aus § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V kann nicht abgeleitet werden, der GBA müsse im Rahmen der anthroposophischen und homöopathischen Therapierichtungen Arzneimittel wie z.B. Mistel-Präparate sowohl für die kurativ-adjuvante als auch für die palliative Therapie für verordnungsfähig erklären, während entsprechende allopathische Präparate nur für die palliative Therapie verordnungsfähig sind. Dies ergäbe eine im Gesetz so nicht angelegte Begünstigung für die anthroposophischen und die homöopathischen Arzneimittel gegenüber den allopathischen. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V sollen in der OTC-Ausnahmeliste schwerwiegende Erkrankungen aufgeführt werden, für deren Behandlung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Therapiestandard zur Verfügung stehen. Kommt der GBA in diesem Rahmen zum Ergebnis, einen Behandlungsstandard gebe es bei einer bestimmten schwerwiegenden Erkrankung nur in der palliativen Therapie, so beschränkt er die Verordnungsfähigkeit in der Weise, wie er es in Nr. 16.4.27 AMRL [nunmehr Anlage 1 Nr. 32 AM-RL] bezogen auf Mistel-Präparate getan hat. Dies ist dann der Rahmen, dessen Grenzen der GBA dann auch für die besonderen Therapierichtungen gelten lassen kann. Würde der GBA diesen Rahmen allein für die Arzneimittel besonderer Therapierichtungen lockern, wie die Beklagte das für erforderlich erachtet, so ergäbe sich insoweit eine - jedenfalls nicht gebotene - Begünstigung für diese Arzneimittel.".
Insbesondere hat das BSG in diesem Urteil weiter folgendes formuliert (Rn. 43): "Keiner näheren Erörterung bedarf es auch an dieser Stelle (vgl bereits oben RdNr. 32), ob die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" schon von der früheren Fassung der Nr. 16.5 AMRL durch dessen Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst war oder ob sie erst von deren späterer - von der Beklagten beanstandeten - Fassung aufgrund der kumulativen Begriffe "Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen" erfasst wurde. Mit Blick auf etwaige künftige ähnliche Streitfälle weist der Senat aber darauf hin, dass er dazu neigt, dass bereits der Begriff "Indikationsgebiete" die Anwendungsbeschränkung mitumfasst hat. Hierfür sprechen Andeutungen in der BSG-Rechtsprechung (vgl. BSGE 89, 184, 191: "Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Arzneimittels auf weitere Indikationen"; s auch z.B. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 6 RdNr 9 und BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 15 RdNr. 21 f, wonach die Zulassung das Indikationsgebiet umschreibt, in dem das Arzneimittel im konkreten Fall eingesetzt werden soll; ferner weitere Nachweise im Urteil des SG Dresden A&R 2007, 134, 136 f (unter 5.)) und lassen sich - allerdings nur mit Vorsicht - auch die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des § 34 SGB V anführen (vgl. BT-Drucks 15/1525 S 86: "In den Arzneimittelrichtlinien ist das Nähere zur Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insbesondere bezogen auf bestimmte Indikationen und Indikationsgebiete festzulegen.")."
Das BSG hat auch insoweit – entgegen der Auffassung der Klägerin – klargestellt, dass die Anwendungsbeschränkung "nur in der palliativen Therapie" bereits in der früheren Fassung (Nr. 16.5 AM-RL a.F.) durch den Begriff "Indikationsgebiete" miterfasst war. Eine Übertragung dieser vom BSG geäußerten Rechtsansicht auf die heute gültige Norm ist im Hinblick auf die Wortidentität ohne Zweifel möglich.
Daraus folgt dann, dass die von der Klägerin für notwendig erachtete Differenzierung der Rechtslage für die Zeiträume vor und nach dem Inkrafttreten des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012 am 21. Juni 2012 nicht erforderlich ist. Er brachte klar zum Ausdruck, den ursprünglichen klaren Wortlaut der Norm weiter zu festigen.
Aus diesen Gründen vermag der Senat auch eine Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit des Beschlusses des GBA vom 19. April 2012, mit dem § 12 Abs. 6 Satz 1 AM-RL um die Wörter "und Anwendungsvoraussetzungen" ergänzt wurde, nicht zu erkennen. Denn der Beschluss entspricht wie dargelegt materiell der Rechtslage. Eine Schlechterstellung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ergibt sich nicht aus § 12 Abs. 6 AM-RL (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 - B 6 KA 34/13 R -, in juris). Soweit die Klägerin eine fehlende Beteiligung der maßgeblichen Dachverbände der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen (§ 92 Abs. 3a Satz 1 SGB V) rügt, greift dies nicht durch. Denn der GBA vollzog mit dem Beschluss vom 19. April 2012 nur die bereits früher in Nr. 16.5 AM-RL a.F. getroffene Regelung, die er bei Neufassung der AM-RL (Beschluss vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009) im Hinblick auf den damals noch anhängig gewesenen Rechtsstreit wegen der Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit unterlassen hatte.
b) Ein Leistungsanspruch der Klägerin lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -, in juris) sowie seit 1. Januar 2012 aufgrund des zu diesem Zeitpunkt mit Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 2011 (BGBl I, S. 2983) eingefügten § 2 Abs. 1a SGB V, mit dem der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerfG und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Urteile des BSG (z.B. Urteile vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R -; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R -, alle in juris) umgesetzt hat, begründen. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - B 1 KR 70/12 R -; BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senat vom 26. März 2014 - 1 BvR 2415/13 -, beide in juris). Das BSG hat insoweit weiter ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des "Off-Label-Use" formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - siehe auch BSG, Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R -, beide in juris). Verneint hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (a.a.O.) z. B. bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium (Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/05 R - in juris), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung (Beschluss vom 26. September 2006 - B 1 KR 16/06 B - nicht veröffentlicht) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreichschen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen (Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R - a.a.O.). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R - a.a.O.).
Eine solche notstandsähnliche Situation ist im vorliegenden Fall der Klägerin nicht gegeben. Dahinstehen kann, ob - wie von der Klägerin unter Vorlage zahlreicher erstinstanzlicher Sozialgerichtsurteile angenommen - im zeitlichen Rahmen der Heilungsbewährung nach erfolgreicher Operation ihres Zungengrundkarzinoms von einer Notstandssituation im vorstehend beschriebenen Sinn ausgegangen werden kann. Eine solche lag zwar im akuten Stadium der malignen Erkrankung vor, war nach erfolgreicher Operation jedoch nicht mehr gegeben. Jedenfalls scheitert ein Anspruch der Klägerin nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V aber daran, dass zur Behandlung des Zungengrundkarzinoms eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, von der die Klägerin auch profitierte. Der Klägerin ist es zuzumuten, die dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Leistungen auszuschöpfen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
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