Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 12 AS 136/15 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 138/15 B ER und L 6 AS 138/15 B ER PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 6. Juli 2015 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner erstattet den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht dazu verpflichtet, den Antragstellern ab dem 4. Juni bis zum 31. August 2015 vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Die 1960 und 1962 geborenen Antragsteller, die polnische Staatsangehörige sind und seit August 2014 in Deutschland leben, haben ab Eingang des Eilantrags beim Sozialgericht unter Berücksichtigung der Maßstäbe eines Eilverfahrens nach Folgenabwägung einen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Anrechnung der Renteneinkünfte (rund 270,00 EUR/ monatlich) aus Polen.
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) und verweist ergänzend auf seinen früheren Beschluss vom 1. März 2013 (L 6 AS 29/13 B ER, juris).
Soweit sich der Antragsgegner zur Begründung seiner Beschwerde lediglich auf die Rechtsprechung eines Senats des LSG Berlin-Brandenburg und einer Kammer eines Sozialgerichts in Hessen beruft, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Ob ein endgültiger Anspruch vorliegt, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend entschieden werden. Zumindest im Rahmen einer Folgenabwägung ist dem Sozialgericht Itzehoe angesichts der instanzgerichtlich und in der Literatur sehr umstrittenen und höchstrichterlich bislang nicht geklärten einfachrechtlichen und europarechtlichen Fragestellungen zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu folgen (zur vergleichbaren Argumentation: LSG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 – L 2 AS 368/15 B ER; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Juni 2015 – L 4 AS 375/15 B ER –, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2015 – L 25 AS 38/15 B ER –, jeweils juris). Im vorliegenden Verfahren spricht darüber hinaus viel dafür, dass der von den Antragstellern glaubhaft gemachte grundsätzliche Leistungsanspruch gem. § 20 SGB II nicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II generell ausgeschlossen ist und auch im Rahmen einer – hier vom Antragsgegner nicht durchgeführten – Einzelfallprüfung gewichtige Aspekte für eine Leistungsberechtigung sprechen.
Der Antragsteller zu 1) hält sich zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik auf und erfüllt damit als polnischer Staatsangehöriger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Es bestehen aber erhebliche Zweifel daran, dass der Leistungsausschluss in seinem Fall europarechtskonform ist, weil er durch die in der Vergangenheit von ihm ausgeübten Tätigkeiten eine Verbindung zum Arbeitsmarkt hergestellt hat. Der Antragsteller hat in der Zeit vom 24. August bis 28. November 2014 versicherungspflichtig als Helfer vollzeitig gearbeitet und Einkünfte in Höhe von rund 1.200,00 EUR monatlich erzielt. Auf die Arbeitnehmereigenschaft ihres Ehegatten kann sich auch die Antragstellerin zu 2) berufen. Der Beschwerdegegner hat die Arbeitnehmereigenschaft jedoch nur bis Ende Mai 2015 (also für ein weiteres halbes Jahr) anerkannt und der Bedarfsgemeinschaft Leistungen gewährt.
Die Antragsteller gehören jedoch zu einem Personenkreis, der mit dem den Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Dezember 2013 (EuGH-Vorlage - B 4 AS 9/13 R - juris) betreffenden Personenkreis vergleichbar ist. Auch die dortigen Klägerinnen waren in verschiedenen kürzeren Beschäftigungen von weniger als einem Jahr tätig und im Anschluss daran arbeitsuchend. Für diesen Personenkreis der EU-Ausländer, die bereits in den Arbeitsmarkt eingetreten sind und sich nunmehr (erneut) auf Arbeitsuche befinden, kann aber unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts in dem Verfahren B (EuGH, Schlussanträge vom 26. März 2015, C-67/14, Celex-Nr. 62014CC0067, juris) ein automatischer Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Unionsrecht verstoßen. Bei ihnen muss individuell geprüft werden, ob durch eine konkrete Beschäftigungssuche (weiterhin) eine Verbindung zu dem Aufnahmemitgliedstaat besteht. Dazu bestehen wegen des Zuzugs zu der in Deutschland lebenden Tochter und des Schwiegersohns, die beide erwerbstätig sind und der Betreuung des offenbar ernsthaft und längerfristig erkrankten Enkelkindes durch die Antragstellerin zu 2) auch besondere Ansatzpunkte.
Dem Hauptsacheverfahren bleibt ebenfalls die Prüfung vorbehalten, ob eine ernsthafte Arbeitsuche des Antragstellers zu 1) oder der Antragstellerin zu 2) vorliegt und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eigene Ansprüche auf Elternunterhalt gegenüber der Tochter bestehen könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war – ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller – abzulehnen, da wegen des vollen Kostenerstattungsanspruchs gegen den Antragsgegner keine Bedürftigkeit besteht.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht dazu verpflichtet, den Antragstellern ab dem 4. Juni bis zum 31. August 2015 vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Die 1960 und 1962 geborenen Antragsteller, die polnische Staatsangehörige sind und seit August 2014 in Deutschland leben, haben ab Eingang des Eilantrags beim Sozialgericht unter Berücksichtigung der Maßstäbe eines Eilverfahrens nach Folgenabwägung einen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Anrechnung der Renteneinkünfte (rund 270,00 EUR/ monatlich) aus Polen.
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) und verweist ergänzend auf seinen früheren Beschluss vom 1. März 2013 (L 6 AS 29/13 B ER, juris).
Soweit sich der Antragsgegner zur Begründung seiner Beschwerde lediglich auf die Rechtsprechung eines Senats des LSG Berlin-Brandenburg und einer Kammer eines Sozialgerichts in Hessen beruft, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Ob ein endgültiger Anspruch vorliegt, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend entschieden werden. Zumindest im Rahmen einer Folgenabwägung ist dem Sozialgericht Itzehoe angesichts der instanzgerichtlich und in der Literatur sehr umstrittenen und höchstrichterlich bislang nicht geklärten einfachrechtlichen und europarechtlichen Fragestellungen zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu folgen (zur vergleichbaren Argumentation: LSG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 – L 2 AS 368/15 B ER; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Juni 2015 – L 4 AS 375/15 B ER –, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2015 – L 25 AS 38/15 B ER –, jeweils juris). Im vorliegenden Verfahren spricht darüber hinaus viel dafür, dass der von den Antragstellern glaubhaft gemachte grundsätzliche Leistungsanspruch gem. § 20 SGB II nicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II generell ausgeschlossen ist und auch im Rahmen einer – hier vom Antragsgegner nicht durchgeführten – Einzelfallprüfung gewichtige Aspekte für eine Leistungsberechtigung sprechen.
Der Antragsteller zu 1) hält sich zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik auf und erfüllt damit als polnischer Staatsangehöriger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Es bestehen aber erhebliche Zweifel daran, dass der Leistungsausschluss in seinem Fall europarechtskonform ist, weil er durch die in der Vergangenheit von ihm ausgeübten Tätigkeiten eine Verbindung zum Arbeitsmarkt hergestellt hat. Der Antragsteller hat in der Zeit vom 24. August bis 28. November 2014 versicherungspflichtig als Helfer vollzeitig gearbeitet und Einkünfte in Höhe von rund 1.200,00 EUR monatlich erzielt. Auf die Arbeitnehmereigenschaft ihres Ehegatten kann sich auch die Antragstellerin zu 2) berufen. Der Beschwerdegegner hat die Arbeitnehmereigenschaft jedoch nur bis Ende Mai 2015 (also für ein weiteres halbes Jahr) anerkannt und der Bedarfsgemeinschaft Leistungen gewährt.
Die Antragsteller gehören jedoch zu einem Personenkreis, der mit dem den Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Dezember 2013 (EuGH-Vorlage - B 4 AS 9/13 R - juris) betreffenden Personenkreis vergleichbar ist. Auch die dortigen Klägerinnen waren in verschiedenen kürzeren Beschäftigungen von weniger als einem Jahr tätig und im Anschluss daran arbeitsuchend. Für diesen Personenkreis der EU-Ausländer, die bereits in den Arbeitsmarkt eingetreten sind und sich nunmehr (erneut) auf Arbeitsuche befinden, kann aber unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts in dem Verfahren B (EuGH, Schlussanträge vom 26. März 2015, C-67/14, Celex-Nr. 62014CC0067, juris) ein automatischer Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Unionsrecht verstoßen. Bei ihnen muss individuell geprüft werden, ob durch eine konkrete Beschäftigungssuche (weiterhin) eine Verbindung zu dem Aufnahmemitgliedstaat besteht. Dazu bestehen wegen des Zuzugs zu der in Deutschland lebenden Tochter und des Schwiegersohns, die beide erwerbstätig sind und der Betreuung des offenbar ernsthaft und längerfristig erkrankten Enkelkindes durch die Antragstellerin zu 2) auch besondere Ansatzpunkte.
Dem Hauptsacheverfahren bleibt ebenfalls die Prüfung vorbehalten, ob eine ernsthafte Arbeitsuche des Antragstellers zu 1) oder der Antragstellerin zu 2) vorliegt und ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eigene Ansprüche auf Elternunterhalt gegenüber der Tochter bestehen könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war – ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller – abzulehnen, da wegen des vollen Kostenerstattungsanspruchs gegen den Antragsgegner keine Bedürftigkeit besteht.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Login
SHS
Saved