L 8 SB 4687/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3879/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4687/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.10.2013 sowie der Bescheid der Beklagten vom 01.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2012 abgeändert und der Beklagte verurteilt, bei der Klägerin den GdB ab 08.12.2014 mit 50 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten auf höhere (Neu-)Feststellung ihres Grades der Behinderung (GdB; mindestens 50 statt 40) hat.

Bei der 1951 geborenen Klägerin, die aufgrund Bescheids der Deutschen Rentenversicherung vom 24.10.2011 eine Altersrente bezieht (vgl. Blatt 7/8 der Senatsakte), stellte das Versorgungsamt Heilbronn mit Bescheid vom 05.02.2003 (Blatt 14/15 der Beklagtenakte) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 30.05.2003 (Blatt 25/26 der Beklagtenakte) den GdB mit 30 seit 01.07.2000 fest (zum Antrag vgl. 1/2 der Beklagtenakte; zur versorgungsärztlichen Stellungnahme Dr. L. vom 18.01.2003 vgl. Blatt 12/13 der Beklagtenakte; zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Sehminderung (Einzel-GdB 20); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Polyarthrose (Einzel-GdB 20)). Auf den Antrag der Klägerin vom 17.05.2006 (Blatt 27/28 der Beklagtenakte, zu den vorgelegten ärztlichen Unterlagen vgl. Blatt 29/35 der Beklagtenakte) stellte das Landratsamt H. (LRA) mit Bescheid vom 13.07.2006 (Blatt 39/40 der Beklagtenakte) den GdB seit 17.05.2006 mit 40 fest (zur versorgungsärztlichen Stellungnahme Dr. H. vom 30.06.2006 vgl. Blatt 37/38 der Beklagtenakte; zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Sehminderung (Einzel-GdB 20); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Polyarthrose (Einzel-GdB 20); Depression (Einzel-GdB 20)). Der Antrag auf höhere (Neu-)Feststellung des GdB vom 29.05.2009 (Blatt 42/43 der Beklagtenakte; zu den vorgelegten ärztlichen Unterlagen vgl. 44/47 der Beklagtenakte) blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 28.07.2009, Blatt 51/52 der Beklagtenakte, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2009, Blatt 57/58 der Beklagtenakte).

Am 26.08.2011 beantragte die Klägerin beim LRA erneut die höhere (Neu-)Feststellung des GdB (Blatt 59/60 der Beklagtenakte). Zu diesem Antrag verwies sie auf eine essentielle Hypertonie, ein Fatigatio-Syndrom bei nächtlichen Blutdruckattacken und Apnoe-Syndrom, eine Sehverschlechterung links bei Amblyopie rechts seit Kindheit, eine chronische-Refluxkrankheit, eine chronische Gastritis mit Vitamin B- Mangel, eine Hypercholesterinämie, eine Polyarthrose, ein chronisches WS-Syndrom.(BWS,LWS,HWS), eine Varikosis, eine Depression, eine bronchiale Hyperreagibilität sowie eine Beinverkürzung links und Coxarthrose rechts. Die Klägerin legte ärztliche Unterlagen (Blatt 62/66 der Beklagtenakte) von Dr. H. (Diagnose: leichtgradiges SAS, nächtliche Blutdruckspitzen) und Dr. D. (Diagnosen: re.: Pseudophakie, Ambylopie, bds.: Hyperopie, Astigmatismus, Presbyopie, Anisometrie, li.: Cataracta incipiens, re.: Cataracta secundaria) und Dr. G. (Blutdruckmessungen) vor.

Das LRA zog einen Befundschein von Dr. L. bei, in dem dieser u.a. (Blatt 68 der Beklagtenakte) ein unteres Cervicalsyndrom mit mittlerer funktioneller Beeinträchtigung ohne Hinweis auf ein cervicales radikuläres Reizsyndrom, ein Impingementsyndrom der rechten Schulter sowie ein statisch myalgisches Wirbelsäulensyndrom bei Beckentiefstand und linkskonvexer LWS-Skoliose, eine Hüftgelenksarthrose im Initialstadium bei klinisch eingeschränkter Beuge- und Innenrotationsfähigkeit berichtet. Der ebenfalls befragte Arzt für Innere Medizin Dr. G. teilte dem LRA – nachdem das Sozialgericht (SG) Heilbronn gegen ihn ein Ordnungsgeld verhängt hatte (Blatt 78 der Beklagtenakte) – u.a. Blutdruckwerte von im Mittel 140/85 mmHg und eine erfolgreich behandelte B-Gastritis sowie eine Reflux-Ösophagitis bei kleiner Hiatushernie (Grad IV, zurückgebildet auf Grad I) mit (Blatt 80, 83/96 der Beklagtenakte).

Nachdem die Versorgungsärztin Dr. H. (Blatt 100/101 der Beklagtenakte) den GdB mit 40 bewertet hatte (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Sehminderung (Einzel-GdB 30); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Polyarthrose (Einzel-GdB 20); Depression (Einzel-GdB 20), Refluxkrankheit der Speiseröhre, chronische Magenschleimhautentzündung (Einzel-GdB 10)), lehnte das LRA mit Bescheid vom 01.08.2012 (Blatt 102/103 der Beklagtenakte) die höhere (Neu-)Feststellung des GdB ab. Den am 21.08.2012 eingelegten Widerspruch der Klägerin (Blatt 105, 109/110 der Beklagtenakte), mit dem sie u.a. geltend machte, ihre Erkrankungen seien höher zu bewerten, sie leide ferner an Krampfadern, Bluthochdruck und Hohl- und Spreizfüßen, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2012 (Blatt 116/118 der Beklagtenakte) zurück.

Mit ihrer beim SG am 26.11.2012 erhobenen Klage hat die Klägerin u.a. darauf hingewiesen, dass die beidseitige Amblyopie nicht ausreichend berücksichtigt sei, sie auf orthopädischem Gebiet chronische Schmerzen habe und alltägliche Abläufe nur noch mit Unterstützung durchführen könne, eine mittelgradige depressive Episode mit entsprechenden sozialen Anpassungsschwierigkeiten seit Jahren vorliege, die Refluxkrankheit der Speiseröhre bis Grad C attestiert und Auswirkungen auf Nachbarorgane habe. Die Funktionsbehinderung durch die Hohl- und Spreizfüße sei nicht berücksichtigt. Auch führten Krampfadern an beiden Beinen zu Ödemen und gelegentlichen Entzündungen, die zu Funktionseinschränkungen führten. Der Bluthochdruck sei außer Acht gelassen.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen der Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 19/21, 22 und 25/26 der SG-Akte Bezug genommen. Der Facharzt für Innere Medizin/Gastroenterologe Dr. F. hat dem SG am 26.02.2013 geschrieben, die Refluxkrankheit werde begünstigt durch eine Hiatushernie. Die Refluxkrankheit sei mit Säureblockern ausreichend gut eingestellt, die klinische Beschwerdesymptomatik sei eher mäßig ausgeprägt. Dr. F. stimmte hinsichtlich eines Fachgebietes der ihm überlassenen versorgungsärztlichen GdB-Bewertung zu. Der Orthopäde Dr. L. hat in seiner Antwort vom 27.02.2013 die Gesundheitsstörungen als leicht bis maximal mittelschwer eingestuft und ausgeführt, die ihm überlassenen versorgungsärztlichen Feststellungen deckten sich mit seinen Unterlagen, wobei eine Beinverkürzung nicht wirklich vorliege, sondern durch einen Beckenschiefstand bei vorhandener Skoliose vorgetäuscht werde. Der Arzt für Augenheilkunde Dr. D. hat dem SG am 13.05.2013 geschrieben, rechtsseitig bestehe seit Kindheit eine Amblyopie verbunden mit einer intraokularen Kunstlinse (Pseudophakie), linksseitig bestehe eine Weitsichtigkeit sowie eine Hornhautverkrümmung und bds. eine Altersweitsichtigkeit (Presbyopie). Dr. D. hat den ihm überlassenen versorgungsärztlichen Feststellungen zugestimmt und den GdB auf 20 geschätzt.

Das SG hat mit Urteil vom 01.10.2013 die Klage abgewiesen. Der GdB der Klägerin betrage unverändert 40. Der Teil-GdB für die Augenerkrankung betrage allenfalls 30. Zwar erscheine die Bewertung des GdB mit 20 durch Dr. D. vertretbar, man könne aber auch wie Dr. H. von einem GdB von 30 ausgehen. Auf orthopädischem Fachgebiet bestünden Erkrankungen an der Wirbelsäule und der Schulter, wofür ein GdB von 20 angemessen sei. Die Hüfterkrankungen zögen keinen GdB von 10 nach sich, denn die Bewegungsfähigkeit sei noch nicht so beeinträchtigt. Die initiale Arthrose an den Kniegelenken begründe ebenfalls keinen GdB von 10, da diese frei beweglich seien. Die psychischen Erkrankungen seien mit einem GdB von 20 bereits am oberen Rand bewertet. Die Klägerin habe erklärt, zuletzt nicht mehr in fachpsychiatrischer Behandlung zu sein, weshalb derzeit kein höherer GdB als 20 in Betracht komme. Die inneren Erkrankungen seien mit einem GdB von 10 zutreffend bewertet. Der Zwerchfellbruch und der Reflux seien jeweils mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Ein größerer Zwerchfellbruch bestehe bei der Klägerin nicht. Die übrigen vorgetragenen Erkrankungen seien von den befragten behandelnden Ärzten nicht bestätigt worden. Der Gesamt-GdB betrage 40.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 08.10.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.10.2013 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule nur mit einem GdB von 20 bewertet seien, zumal sie sich schon seit Jahren in Behandlung befinde und chronische Schmerzen habe. Aufgrund der Kalksalzminderung bestehe eine erhöhte Knochenbruchgefahr. Die Refluxkrankheit der Speiseröhre sei mit Grad C bewertet, der Zwerchfellbruch könne nur noch operativ behoben werden. Dr. F. habe Oberbauchbeschwerden beschrieben im Rahmen einer mittelgroßen Hernie. Nachweislich habe sie seit Jahren Hohl- und Spreizfüße. Die Gesundheitsstörungen an den Knien und der Hüfte seien nicht berücksichtigt.

Aus der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung des Orthopäden Dr. N. vom 17.12.2013 (Blatt 20 der Senatsakte), dessen Behandlung sie dem SG gegenüber nicht angegeben hatte (Blatt 5/8 der SG-Akte), ergibt sich eine seit 2006 stattfindende Behandlung wegen Varusgonarthrose und Retropatellararthrose bds., Trochantertendinose bds. bei Coxarthrose, Chron. Lumbalgie und Dorsalgie bei deg. Wirbelsäulenveränderungen mit Osteochondrosen der mittleren BWS und vermehrter Kyphosierung sowie Osteochondrosen und Spondyloarthrose L5/S1, chron. Cervikalgie bei deg. HWS-Veränderungen, Osteopenie bei positiver Familienanamnese und Skoliose bei Beinlängendifferenz. Aufgrund der Erkrankungen sei die Wirbelsäulenbeweglichkeit und Belastbarkeit eingeschränkt. Insbesondere Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in gebückter und in Wirbelsäulenzwangshaltung sowie Überkopftätigkeiten seien zu vermeiden. Aufgrund der Beschwerden im Bereich der Hüft- und Kniegelenke sei langes Gehen und Stehen sowie Treppensteigen erschwert und schmerzhaft eingeschränkt. Auch Arbeiten mit erhöhter Unfallgefahr seien zu vermeiden. Ebenso seien hockende und kniende Tätigkeiten schmerzhaft eingeschränkt. Aufgrund der Kalksalzminderung bestehe eine erhöhte Knochenbruchgefahr. Die Beeinträchtigung der Wirbelsäule sei mittelgradig bis deutlich, insbesondere im Bereich der Brustwirbelsäule. Die ganze Wirbelsäule sei von der Beeinträchtigung betroffen. Im Bereich der Hüft- und Kniegelenke seien die Beeinträchtigungen insgesamt als mittelschwer zu bezeichnen. Es sei zu berücksichtigen, dass Beschwerden und Einschränkungen aller vier großer Gelenke der unteren Extremitäten bestünden. Insgesamt sei die Klägerin in ihrer Lebensführung und Arbeitsfähigkeit aufgrund der multiplen Beschwerden des Bewegungsapparates deutlich eingeschränkt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.10.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 01.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den GdB seit 26.08.2011 mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, soweit die Feststellung eines GdB 50 vor dem 08.12.2014 begehrt wird.

Der Beklagte ist unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 03.02.2014 (Blatt 23/24 der Senatsakte) der Berufung entgegengetreten.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. H ... Der Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 12.06.2014 (Blatt 29/74 der Senatsakte) eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ein diskretes Cervicalsyndrom mit leichten Muskelspannungsstörungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder Ausfallssymptomatik, ein diskretes Lumbalsyndrom mit leichter Bewegungseinschränkung und leichten Muskelspannungsstörungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder Ausfallssymptomatik, eine Ansatztendopathie pelvitrochantäre Muskulatur am großen Rollhügel beider Hüftgelenke bei altersentsprechenden geringfügigen degenerativen Umbauvorgängen, ein femoro-patellares Schmerzsyndrom beide Kniegelenke ohne Reizzustand und ohne Funktionsbeeinträchtigung sowie ein diskretes Impingementsyndrom beide Schultergelenke ohne Funktionsdefizit diagnostiziert. Er hat ausgeführt, im Bescheid vom 13.07.2006 sei die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bereits erfasst, eine Polyarthrose, also Arthroseveränderungen an mehreren Extremitätengelenken könne er nicht erkennen, auch eine Depression sei bereits damals erfasst worden. Er könne weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung erkennen. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bewertete er mit einem Einzel-GdB von 20, den Gesamt-GdB mit 40.

Der Beklagte hat hierzu unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 08.10.2014 (Blatt 79/80 der Senatsakte) ausgeführt, ein höherer GdB als 40 sei nicht begründet.

Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten in einem nichtöffentlichen Termin am 05.12.2014 erörtert. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Termins wird auf die Niederschrift (Blatt 83/84 der Senatsakte) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 07.01.2015 hat die Klägerin (Blatt 87/88 der Senatsakte) ausgeführt, die Sehschärfe habe sich verschlechtert und einen Bericht von Dr. D. vom 09.12.2014 vorgelegt. Mit Schreiben vom 26.02.2015 (Blatt 90/91 der Senatsakte) hat die Klägerin einen Bericht von Dr. G., Arzt für Innere Medizin, vom 25.02.2015 vorgelegt, der angibt, es sei zweifellos, dass die Schwere der Organstörung außergewöhnlich sei. Ohne Einnahme von Medikamenten in extrem hoher Dosierung komme es zu anhaltenden Refluxbeschwerden. Er hat die Größe der axialen Hiatushernie mit 3 cm angegeben. Es sei ein Gesamt-GdB von 60 festzustellen.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 19.03.2015 (Blatt 92/95 der Senatsakte) vorgeschlagen, im Wege des Vergleichs ab 08.12.2014 einen GdB von 50 festzustellen. In der zugrundeliegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.03.2015 hat Dr. Wolf angegeben, gemäß den im Befundbericht von Dr. D. vom 09.12.2014 angegebenen Visuswerten ergebe sich ein GdB von 40 für die Sehbehinderung ab Untersuchungstag 08.12.2014.

Die Klägerin hat das Vergleichsangebot nicht angenommen (Blatt 96 der Senatsakte) und vorgeschlagen, den GdB seit 27.06.2011 mit 50 festzustellen. Dem ist wiederum der Beklagte entgegengetreten (Blatt 97 der Senatsakte), weil streitig lediglich der GdB ab 26.08.2011 sei und im letzten Bericht von Dr. D. vom 27.06.2011 ein besserer Visus mitgeteilt sei. Mit Schreiben vom 23.04.2015 (Blatt 98 der Senatsakte) hat die Klägerin vorgeschlagen, den GdB mit 50 vom 27.06.2011 bis zum 12.05.2013, mit 40 vom 13.05.2013 bis 08.12.2014 und mit 50 ab 09.12.2014 zu bemessen.

Die Klägerin hat nunmehr mit Schreiben vom 05.05.2015 (Blatt 100/103 der Senatsakte) einen Bericht des Gastroenterologen Dr. W. vom 23.09.2014 vorgelegt, in dem dieser über eine unter hochdosierter PPI-Therapie nicht ösophagitische gastroösophageale Säurerefluxkrankheit (NERD) bei kleiner axialer Hiatushernie ohne Barrett-Mucosa, den histologischen Nachweis einer mittelgradigen Typ C-Gastritis am ehesten durch Bedarfsanalgetika ohne H.p.-Nachweis und makroskopisch ohne peptische Läsionen, einen feingeweblichen Nachweis von harmlosen Magenkorpusdrüsenkörperzysten als indirekter Hinweis auf ein leicht erhöhtes kolorektales Adenomrisiko, den Ausschluss einer Zöliakie, einen Zustand nach erfolgreicher Eradikationstherapie einer Typ B-Gastritis vor Jahren, eine moderate Hepatomegalie und Steatosis hepatis bei leichtem Übergewicht (BMI 26 kg/m2) und medikamentös kompensierte arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie als Kriterien eines inkompletten metabolischen Syndroms berichtet.

Hierzu hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 21.05.2015 (Blatt 105/105 der Senatsakte) vorgelegt, in der dieser u.a. angibt, aus dem Befundbericht von Dr. W. ergäben sich keine zwingenden Gesichtspunkte, den bisherigen GdB von 10 für die Refluxkrankheit der Speiseröhre und die chronische Magenschleimhautentzündung zu erhöhen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 104, 107 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben dem zugestimmt und der Senat hält eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber nur teilweise begründet.

Gegenüber dem der GdB-Feststellung zuletzt zugrundeliegenden Bescheid des LRA vom 13.07.2006, mit dem das LRA bei der Klägerin einen GdB von 40 festgestellt hatte, ist eine rechtserhebliche wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 SGB X insoweit eingetreten, als der GdB seit 08.12.2014 mit 50 festzustellen war. Dem hat der Beklagte mit seinem Vergleichsangebot vom 19.03.2015 Rechnung getragen; da der Vergleich jedoch nicht umgesetzt wurde, war der Beklagte entsprechend zu verurteilen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf weitergehende Feststellung eines höheren GdB nicht zu. Der Senat konnte sich weder davon überzeugen, dass der Klägerin ein höherer GdB als 50 zusteht, noch dass dieser bereits vor dem 08.12.2014 festzustellen wäre.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die zunächst im Allgemeinen nach Funktionssystemen (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) getrennt, später nach § 69 Abs. 3 SGB IX in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Da-nach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die Funktions-behinderungen, die im Allgemeinen in den einzelnen Funktionssystemen (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) bewertet werden, in ihrer Gesamtschau erst ab 08.12.2014 einen Gesamt-GdB von 50 rechtfertigen.

Im Funktionssystem der Augen besteht bei der Klägerin beidseits eine Hyperopie, ein Astigmatismus, eine Presbyopie, rechts eine Amblyopie, eine Pseudophakie und links eine Cataracta incipiens sowie eine beginnende alterskorellierte Makuladegeneration. Dr. D. konnte in seinem Befundbericht vom 09.12.2014, der auf einer Untersuchung der Klägerin vom 08.12.2014 beruht, berichten, die Klägerin habe "Bds. Sehverschlechterung in den letzten Monaten bemerkt" und den Visus rechts c.c. mit 0,05, links c.c. mit 0,4 gemessen. Damit war nach B Nr. 4.3 VG ein Teil-GdB von 40 anzunehmen. Die links eingesetzte Kunstlinse (Visus 0,4) ist nach B Nr. 4.2 VG mit einem Teil-GdB von 10 zu bemessen, der bei integrativer Bewertung des Einzel-GdB im Funktionssystem der Augen nicht erhöhend wirkt, sodass der Einzel-GdB mit 40 ab der Feststellung des verschlechterten Visus am 08.12.2014 anzusetzen war. Der Senat konnte jedoch nicht feststellen, dass der Visus bereits vor dem 08.12.2014 objektiviert entsprechend schlecht gewesen wäre. Der letzte vorliegende augenärztliche Befund datiert vom 27.06.2011 (Blatt 63 der Beklagtenakte). Hierin ist ein Visus von 0,1 rechts und links 0,4 angegeben, was nach B Nr. 4.3 VG einem GdB von 30 entspricht. Die links bereits eingesetzte Kunstlinse bedingt bei einem gemessenen Visus von 0,4 ebenfalls nach B Nr. 4.2 VG lediglich einen GdB von 10, der wiederum nicht erhöhend auf den Einzel-GdB im Funktionssystem wirkt. Soweit Dr. D. unter dem 13.05.2013 dem SG (Blatt 25 der SG-Akte) einen Visus von 0,1 rechts und links 0,7 mitgeteilt hat, ergäbe sich ein Teil-GdB von 20 bis 25; insoweit wäre die Klägerin mit dem vom Beklagten zugestandenen Einzel-GdB 30 für diesen Zeitraum nicht beschwert. Ob es sich lediglich um eine Messungenauigkeit oder vorübergehende positive Veränderung gehandelt hat, denn im Dezember 2014 musste Dr. D. wieder einen Visus von 0,4 links bei implantierter Kunstlinse und 0,05 rechts angeben, kann dahinstehen. Damit konnte der Senat lediglich bis 07.12.2014 einen Einzel-GdB von 30, ab 08.12.2014 einen Einzel-GdB von 40 annehmen. Der abweichenden Auffassung der Klägerin konnte der Senat angesichts der bindenden Vorgaben des VG nicht nachkommen.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat auch die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, bestehen bei der Klägerin funktionelle Behinderungen in Folge der Wirbelsäulenerkrankung. Dr. H. konnte hier ein diskretes Cervicalsyndrom mit leichten Muskelspannungsstörungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder Ausfallssymptomatik sowie ein diskretes Lumbalsyndrom mit leichter Bewegungseinschränkung und leichten Muskelspannungsstörungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder Ausfallssymptomatik. Bei der klinischen Untersuchung fand der Gutachter eine Beinverkürzung links von 1 cm, ohne wesentliche Seitabweichung der Wirbelsäule, jedoch eine deutliche Rundrückenhaltung mit Überhang des Schultergürtels nach ventral, was Muskelspannungsstörungen im Schulter-Nackenbereich erklären kann. Die Beweglichkeit sowohl der Halswirbelsäule als auch der Lendenwirbelsäule wurde durch die Klägerin als eingeschränkt demonstriert, jedoch erfolgte die Bewegungslimitierung nicht durch einen passiven Endanschlag, sondern durch ein muskuläres Gegenspannen der Klägerin unter Schmerzangabe. Röntgenologisch konnte der Gutachter keine höhergradigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule erkennen. Die kernspintomographisch erkennbaren Veränderungen an zwei lumbalen Bandscheiben zeigten kein entsprechendes neurologisches Korrelat und blieben reine Bilddiagnose. Der Gutachter konnte die von der Klägerin bei den Prüfungen angegebenen Schmerzen – so wurden bei Bewegungsprüfungen heftigste Schmerzen und teilweise auch Schmerzen in Bereichen angegeben, die keine, auch keine passive Mitbewegung zeigten – weder einem organischen Schaden zuordnen noch diese als konsistent und nicht logisch erklärbar finden (Blatt 48 der Senatsakte = Seite 20 des Gutachtens). So konnte die Klägerin bei den Untersuchungen auch lediglich eine eingeschränkte Rotation der Halswirbelsäule demonstrieren, dagegen bei Spontanbewegungen den Kopf jedoch bis endgradig zu dem links neben ihr sitzenden Ehemann drehen (Blatt 35 der Senatsakte = Seite 7 des Gutachtens). Im Übrigen konnte der Gutachter Dr. H. einem Finger-Boden-Abstand von 45 cm, ein Schober-Zeichen von 10/13,5 cm (abgebrochen unter Schmerzangabe der LWS), eine als schmerzhaft angegebene gesamte Lendenwirbelsäule, sowohl über den Dornfortsätzen als auch dem Weichteilmantel, eine Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule nach Ott mit 30/32 cm, eine Rückneigefähigkeit des Oberkörpers bis 10 Grad, eine Rotation des Oberkörpers gegenüber der Beckenebene rechts und links jeweils 20 Grad mit Schmerzangabe im Bereich der unteren Brustwirbelsäule und der gesamten Lendenwirbelsäule sowie Schmerzen der oberen BWS und der Übergangszone zur Lendenwirbelsäule, wie bei der Lendenwirbelsäule beschreiben. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat im Anschluss an die Ausführungen des Gutachters Dr. H. zugunsten der Klägerin allenfalls leichtgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten feststellen. Daher wäre an sich ein GdB von 10 anzusetzen gewesen. Der Senat konnte lediglich im Hinblick auf die geklagten Schmerzen – auch wenn diese organischen Schäden nicht direkt zugeordnet werden konnten und der Verdacht einer Verdeutlichung bestand – den vom Beklagten angenommenen Einzel-GdB von 20 nachvollziehen.

Im Funktionssystem der Arme war ein Einzel-GdB nicht anzunehmen. Bei einer Beweglichkeit der Ellenbogen von beidseits 140-0-0 und Unterarmdrehung von 70-0-90 (beidseits) sowie einer Schulterbeweglichkeit von rechts 150-0-20 bzw. links 140-0-20 übersteigen die funktionellen Defizite der Klägerin nicht die nach B 18.13 VG für einen GdB von 10 geforderten Schwellenwerte. Instabilitäten oder Versteifungen liegen nicht vor. Deutlich wird die Beweglichkeit der oberen Extremitäten der Klägerin, wenn der Gutachter (Blatt 38 der Senatsakte = Seite 10 des Gutachtens) angibt: "Während es der Probandin möglich ist beim Zeigen auf die einzelnen Schmerzregionen der Halswirbelsäule beim vorhergehenden Teil der Untersuchung problemlos mit den Langfingern beider Hände die gesamte Halswirbelsäule bis zum Dornfortsatz C7 spontan flüssig und ohne Schmerzäußerung zu erreichen, werden bei Aufforderung den Nackengriff durchzuführen zögerlich die Arme gehoben und zeitverzögert und unter Schmerzäußerungen gerade zur Höhe des Trapezmuskels gebracht. Auch bei der Aufforderung zum Schürzengriff wird mit beiden Händen gerade der hintere Beckenkamm erreicht. Die Bewegung zumindest der linken Hand war beim Demonstrieren der lumbalen Schmerzregionen deutlich besser und zügiger einsetzbar als bei der gezielten Bewegungsprüfung, hier zeigt sich eine offensichtliche Diskrepanz."

Im Funktionssystem der Beine konnte der Senat ebenfalls einen Einzel-GdB nicht feststellen. Zwar hat der Gutachter Dr. H. eine Ansatztendopathie pelvitrochantärer Muskulatur am großen Rollhügel beider Hüftgelenke bei altersentsprechenden geringfügigen degenerativen Umbauvorgängen sowie ein femoro-patellares Schmerzsyndrom beider Kniegelenke ohne Reizzustand und ohne Funktionsbeeinträchtigung beschrieben. Doch liegt an der Hüfte weder eine schnappende Hüfte noch eine Dysplasie oder eine Versteifung vor (Bewegungsmaße: rechts: 120-0-0, links 110-0-0, Blatt 40 der Senatsakte = Seite 12 des Gutachtens Dr. H.; vgl. auch die vergleichbaren Bewegungsmaße bei Dr. L., Blatt 22 der SG-Akte). Damit war nach B Nr. 18.14 VG kein Teil-GdB für die Hüfterkrankung anzunehmen. Bei Bewegungsausmaßen von beidseits 135-0-0 an den Kniegelenken ohne Versteifung, habitueller Kniescheibenverrenkung, Bandinstabilitäten oder Lockerungen und ohne ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke war der Teil-GdB für die Kniegelenke ebenfalls mit 0 anzusetzen; Dr. L. hatte sogar freie Kniegelenksbeweglichkeit angegeben (Blatt 22 der SG-Akte). Auch die Beinverkürzung um 1 cm war nach B Nr. 18.14 VG mit einem Teil-GdB von 0 zu bewerten. Die bestehenden Hohl- und Spreizfüße ("andere Fußdeformitäten" i.S.d. B Nr. 18.14 VG) haben keine wesentlichen statischen Auswirkungen, sodass auch hier kein Teil-GdB anzunehmen war. Die Krampfadern waren zuletzt mit Bericht von Dr. Stahl vom 07.04.2009 (Blatt 46/47 der Beklagtenakte) beschrieben worden. Dr. Stahl hatte retikuläre und Besenreisservarizen beschrieben. Die Leitvenen waren in Ordnung, es bestand beidseits keine manifeste Stammvarikose. Die geklagten Schmerzen seien statisch bedingt (Blatt 46/47 der Beklagtenakte). Länger andauernde Ödeme konnten die behandelnden Ärzte nicht beschreiben, ebenso wenig Stauungsbeschwerden. Daher konnte der Senat nach B Nr. 9.2.3 VG für die Krampfadern kein Teil-GdB feststellen. Insgesamt konnte der Senat daher im Funktionssystem der Beine einen Einzel-GdB nicht feststellen.

Die von der Klägerin seit Jahren vorgetragene Polyarthrose konnte der Senat nicht feststellen. So konnte der Gutachter Dr. H. eine solche nicht diagnostizieren (Blatt 54 der Senatsakte = Seite 26 des Gutachtens). Ohne objektivierte Erkrankung kann der Senat aber einen GdB nicht feststellen. Dasselbe gilt für die Kalksalzminderung, die als solche keine Funktionsbehinderung darstellt; erst zukünftige Schäden bleiben aber bei der GdB-Bewertung außer Betracht (A Nr. 2 Buchst. h) VG). Auch außer Betracht bleibt, ob die Funktionsbehinderungen zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit, wie sie Dr. N. beschrieben hat, führt (A Nr. 2 Buchst. b) VG):

Eine Erkrankung des Herzens bzw. des Kreislaufs, die nach B Nr.9 VG zu bewerten sind, liegen bis auf eine Hypertonie nicht vor (vgl. Bericht Dr. B., Blatt 90 der Beklagtenakte). Zwar hat Dr. W. die Kriterien eines metabolischen Syndroms angegeben, jedoch folgen hieraus noch keine mit einem GdB zu bewertenden Funktionsbehinderungen. Der Bluthochdruck besteht bei der Klägerin in einer leichten Form. So konnten weder die Augenerkrankungen in Zusammenhang mit der Hypertonie gebracht werden (Dr. G. hat Augenhintergrundveränderungen ausgeschlossen, Blatt 80 der Beklagtenakte) noch sind die diastolischen Werte mehrfach über 100 mm Hg trotz Behandlung gestiegen (vgl. Dr. G. Blatt 80 der Beklagtenakte). Eine medikamentöse Therapie war nicht erforderlich (Blatt 80 der Beklagtenakte), wird aber zuletzt mit Candesartan 1 x täglich (vgl. die Angaben der Klägerin bei Dr. H., Blatt 33 der Senatsakte = Seite 5 des Gutachtens) durchgeführt. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat keine gravierende Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft feststellen und konnte den Einzel-GdB zugunsten der Klägerin mit 10 annehmen.

Die Hypercholesterinämie, ein zu hoher Cholesterinspiegel im Blut, ist im Funktionssystem des Stoffwechsels zu berücksichtigen (dazu vgl. B Nr. 15 VG). Diese Erkrankung ist entsprechend ihren Auswirkungen zu berücksichtigen (B Nr. 15 VG). Vorliegend sind jedoch keinerlei wesentliche Auswirkungen objektiviert. So hat Dr. G., Arzt für Innere Medizin, mitgeteilt (Blatt 83 der Beklagtenakte), die Hypercholesterinämie erfordere keine medikamentöse Therapie. Auch hat die Klägerin gegenüber dem SG (Blatt 14 der SG-Akte) keine Behandlung angegeben. Diese Situation entspricht auch ihren Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. H. (Blatt 33/34 der Senatsakte = Seite 5/6 des Gutachtens). Ohne funktionelle Auswirkungen der Erkrankung war ein GdB aber nicht festzustellen.

Im Funktionssystem der Verdauung (dazu vgl. B Nr. 10 VG) war die von der Klägerin angegeben chronische Gastritis bei Vitamin B-Mangel zu bewerten. Dr. G. hat diese Erkrankung (Blatt 80 der Beklagtenakte) bei jetzt negativem Hp-Test als erfolgreich behandelt bezeichnet, in seinen jüngsten Stellungnahmen (vgl. z.B. den von der Klägerin vorgelegte Bericht vom 25.02.2015, Blatt 91 der Senatsakten) hat er auch hierauf nicht mehr abgestellt. Der Abheilung der Erkrankung entspricht auch der Bericht von Dr. W., vom 23.09.2014 (Blatt 101 der Senatsakte), der lediglich noch von einem Zustand nach Eradikationstherapie einer Typ B-Gastritis vor Jahren berichtet. Eine Gastritis war jedoch insgesamt nur im Jahr 2009 berichtet worden (Bericht Dr. B., Blatt 86 der Beklagtenakte) Ist die Erkrankung folgenlos abgeheilt, kann der Senat einen GdB nicht feststellen.

In diesem Funktionssystem – weil den Magen und die Speiseröhre betreffend – war auch die Refluxerkrankung bei Hiatushernie zu bewerten. Nach B Nr. 10.1 VG ist eine Refluxkrankheit der Speiseröhre mit anhaltenden Refluxbeschwerden je nach Ausmaß mit einem GdB von 10 bis 30 zu bewerten, Auswirkungen auf Nachbarorgane sind zusätzlich zu bewerten. Zwerchfellbrüche (einschließlich Zwerchfellrelaxation) sind als Speiseröhrengleithernie mit einem GdB von 0 bis 10, andere kleine Zwerchfellbrüche ohne wesentliche Funktionsstörung ebenfalls mit einem GdB von 0 bis 10 und größere Zwerchfellbrüche je nach Funktionsstörung mit einem GdB von 20 bis 30 zu bewerten (B Nr. 11.3 VG); Komplikationen sind zusätzlich zu bewerten. Bei der Klägerin besteht ein kleiner axialer Zwerchfellbruch. Dieser begünstigt die Refluxerkrankung, ist damit zwar nicht ohne wesentliche Funktionsstörung, doch sind diese Funktionsstörungen bei der Bewertung der Refluxkrankheit zu berücksichtigen. Dass es sich entgegen der Annahme der Klägerin nicht um einen größeren Zwerchfellbruch handelt, ergibt sich bereits aus dem von ihr vorgelegten Bericht des Dr. W. vom 23.09.2014 (Blatt 101/102 der Senatsakte). Dr. G. konnte gegenüber der Beklagten (Blatt 80 der Beklagtenakte) angeben, die Hernie habe sich von Grad IV auf Grad I zurückgebildet. Auch konnte Dr. G. in seinem Schreiben vom 25.02.2015 die Größe der Hernie mit lediglich 3 cm beschreiben, was einer kleineren Hernie entspricht. Die Refluxerkrankung der Klägerin ist – zwar mit hochdosierten Medikamenten - medikamentös gut behandelt relevante Schleimhautveränderungen sind nicht dokumentiert. Dass erheblich Beschwerden auftreten, würde die Klägerin die Medikamente nicht mehr nehmen, wie Dr. G. in seinem Schreiben vom 25.02.2015 (Blatt 91 der Senatsakte) ausführt, ist für die GdB-Bewertung ohne Bedeutung. Denn für die Bemessung der Teilhabebeeinträchtigung ist grds. der therapierte bzw. unter Therapie befindliche Zustand anzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist die Bemessung des Teil-GdB mit 10, wie vom Beklagten angenommen, nicht zu Lasten der Klägerin rechtswidrig zu niedrig. Mangels weiterer Teil-GdB im Funktionssystem ist der Einzel-GdB hier mit 10 festzustellen.

Eine broncniale Hyperreagibilität, wie von der Klägerin behauptet, konnte der Senat den vorliegenden ärztlichen Befunden nicht entnehmen, ebenso wenig ein relevantes Schlafapnoesyndrom (vgl. die Berichte Dr. P. und Dr. H., Blatt 95/96, 94 der Beklagtenakte). So konnte 2011 lediglich ein leichtgradiges Schlafapnoesyndrom angegeben werden (Blatt 64 der Beklagtenakte), das keine kontinuierliche nasale Überdruckbeatmung erforderte und nach der Untersuchung bei Dr. P. in der Paracelsus-Klinik im August 2011 ausgeschlossen werden konnte. Auch Dr. G. konnte in seinen Attesten und Stellungnahmen Erkrankungen des Funktionssystems der Atmung nicht berichten, sodass ein GdB insoweit nicht festzustellen war.

Ob im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) bei der Klägerin eine mit Funktionsbehinderungen verbundene Erkrankung besteht, konnte der Senat offen lassen. Gegen eine solche Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis spricht, dass die Klägerin letztmals am 16.01.2006 bei Dr. L., Facharzt für Nervenheilkunde, in Behandlung war und dieser eine mittelgradige depressive Episode angegeben hatte. Nachfolgend konnte keiner der behandelnden Ärzte auch nur Anhaltspunkte für das Fortbestehen dieser Episode geben, so war die Klägerin auch nicht weiter in fachärztlicher Behandlung (vgl. dazu auch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem SG und im Erörterungstermin). Dagegen hat der orthopädische Gutachter Dr. H. (Blatt 46 der Senatsakte = Seite 18 des Gutachtens) fachfremd eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren angenommen. Eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), die nach B Nr. 3.7 VG den GdB-Rahmen von 30 bis 40 eröffnen würde, setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. stellvertretend Senatsurteil 17.12.2010 – L 8 SB 1549/10 – juris RdNr. 31; ebenso LSG Baden-Württemberg 24.10.2013 – L 6 SB 5267/11 – juris RdNr. 30 und LSG Sachsen-Anhalt 07.12.2010 – L 7 SB 56/06 – juris) aber eine fachärztliche Behandlung voraus. Aufgrund der auch im vorliegenden Fall fehlenden ärztlichen Behandlung kann jedenfalls – im maßgeblichen Beurteilungszeitraum - nicht davon ausgegangen werden, dass das ein seelisches Leiden der Klägerin über eine leichtere psychische Störung hinausgegangen ist und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellte. Ein entsprechender Leidensdruck der Klägerin, der bei einer stärker behindernden psychischen Störung zu erwarten ist, findet sich in keinen der vorliegenden ärztlichen Ausführungen. Daher ist jedenfalls der vom Beklagten angenommene Einzel-GdB von 20 nicht zu Lasten der Klägerin zu niedrig.

Weitere - bisher nicht berücksichtigte - GdB-relevante Funktionsbehinderungen, die einen Einzel- bzw. Teil-GdB von wenigstens 10 bedingen, wurden weder geltend gemacht noch konnte der Senat solche feststellen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen, nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben zusammen mit den sachverständigen Zeugenauskünften und dem Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der medizinisch festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen.

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB mit 40 bzw. ab 08.12.2014 von 50, gebildet aus Einzel-GdB-Werten von - 30 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Augen bzw. 40 ab 08.12.2014, - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes (HWS/LWS), - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche sowie - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Verdauung (Refluxkrankheit/Hiatushernie) - wobei Teil-GdB-Werte von 10 regemäßig nicht erhöhend wirken - zu bemessen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass ausgehend vom Einzel-GdB von 30 bzw. 40 für das Funktionssystem der Augen zwischen den im Funktionssystem des Rumpfes – insbesondere im Hinblick auf die Schmerzhaftigkeit – und den im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche – bei laut Dr. H. bestehendem chronischen Schmerzsyndrom – bestehenden Funktionsbehinderungen sich erhebliche Überschneidungen ergeben. Insbesondere besteht hier eine Schmerzhaftigkeit der funktionellen Auswirkungen an der Behinderungen an der Wirbelsäule, die nicht mehrfach berücksichtigt werden können. Insoweit ist der Senat auch im Hinblick auf die in den VG benannten, mit einem GdB von 50 bewerteten Behinderungen (zum Erfordernis eines Vergleichs vgl. BSG 20.04.2015 – B 9 SB 98/14 B – n.v.) zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin einem Schwerbehinderten erst ab 08.12.2014 vergleichbar funktionell behindert ist. Damit war der GdB erst ab 08.12.2014 mit 50 festzustellen. Der abweichenden, nicht auf belastbaren Befunden beruhenden Einschätzung des Dr. G. konnte sich der Senat daher nicht anschließen.

Mit den vom Senat festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigung hat die Klägerin lediglich ab 08.12.2014 Anspruch auf eine höhere Feststellung des Gesamt-GdB.

Es war wie tenoriert zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Änderung, die den Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB begründet hat, erst im Laufe des Berufungsverfahrens eingetreten ist, der Beklagte zwar auch unverzüglich mit seiner nächsten Stellungnahme auf das Bekanntwerden der wesentlichen Änderung – durch Vorlage eines Vergleichsangebotes - reagiert hat, jedoch nach Ablehnung des Vergleichs sein Angebot nicht durch ein Anerkenntnis umgesetzt hat. Das spräche nach der Rechtsprechung des Senats zwar grds. für eine (zumindest teilweise) Kostentragung durch den Beklagten. Jedoch hat der Beklagte unverzüglich nach endgültiger Ablehnung des Vergleichsangebots durch die Klägerin mit der Beantragung, die Berufung zurückzuweisen, soweit sie über das Vergleichsangebot hinausgeht, deutlich gemacht, dass er die Feststellung des GdB von 50 seit 08.12.2014 akzeptiert und außer Streit stellt. Dieses Verhalten steht kostenrechtlich einem unverzüglichen Anerkenntnis gleich, weshalb der Senat von einer Auferlegung von Kosten i.S.d. §§ 193 Abs. 1, 202 SGG i.V.m. § 93 ZPO im Rahmen des auszuübenden Ermessens absehen durfte (dazu vgl. auch Senatsurteil vom 26.06.2015 - L 8 SB 4668/13 - n.V.).

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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