L 11 KR 4715/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 4809/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4715/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.10.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Versorgung mit dem Heilmittel der manuellen Therapie.

Der 1946 geborene Antragsteller ist Mitglied der Antragsgegnerin. Er bezieht eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem monatlichen Zahlbetrag ab 01.07.2015 iHv 1.106,05 EUR.

Der Antragsteller erkrankte im Jahr 1996 (Erstdiagnose August 1996) an einem Non-Hodgkin-Lymphom und leidet als Spätfolge von Bestrahlungen der Schulter-Nacken-Region an Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und der Schultern. Die Allgemeinmediziner Dres. A. und D. beantragten am 07.01.2015 bei der Antragsgegnerin für den Antragsteller mittels eines Privatrezepts die Dauerbehandlung über manuelle Therapie außerhalb des Budgets. Beigefügt war ein Arztbrief des Orthopäden Dr. Sch. vom 01.12.2014. Darin wurden folgende Diagnosen gestellt: Chronisches Cervical-Syndrom, fortgeschrittene degenerative Veränderungen im Bereich der HWS, Zn Bestrahlung im Bereich der Schulter-/Nackenregion bei Lymphom 2000 Marienhospital. Der Orthopäde berichtete über eine Verordnung von sechsmal manueller Therapie und empfahl im Anschluss eine Kontrolluntersuchung beim Hausarzt.

Ebenfalls am 07.01.2015 stellten die Allgemeinmediziner eine Heilmittelverordnung als Folgeverordnung im Regelfall über sechsmal manuelle Therapie zweimal pro Woche aus. Als Indikationsschüssel wurde WS2a und als Diagnose M54.2G (Zervikalneuralgie) mit HWS-Syndrom, Funktionsstörungen/Schmerzen durch Gelenkfunktionsstörungen sowie Gelenkblockierung angegeben.

Auf Anfrage der Antragsgegnerin teilte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) am 09.01.2015 mit, dass zur Beurteilung die Vorlage der Heilmittelverordnung erforderlich sei. Nach Vorlage der Heilmittelverordnung vom 07.01.2015 nahm Dr. W. vom MDK am 16.01.2015 Stellung. Der Arzt wies darauf hin, dass eine langfristige Genehmigung bei nicht in der Anlage des Merkblatts des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen nach § 32 Abs. 1a SGB V iVm § 8 Abs. 5 Heilmittelrichtlinie gelisteten Diagnosen nur bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls infrage kommen könnten und eine solche Verordnung nicht vorliege. Im Übrigen sei die Schwere und Dauerhaftigkeit der hier vorliegenden Schädigungen nicht vergleichbar mit den in dieser Anlage aufgeführten Diagnosen. Empfohlen werde manuelle Therapie oder Krankengymnastik im Regelfall, gegebenenfalls außerhalb des Regelfalles in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf.

Mit Bescheid vom 20.01.2015 lehnte die Antragsgegnerin die Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Antragsteller eine Bescheinigung der behandelnden Allgemeinmediziner vor. Danach sei es im Anschluss an die Bestrahlung zu rezidivierenden Schmerzen im Nacken und im Schulterbereich mit allgemeiner Einschränkung der Beweglichkeit gekommen. Hinzu trete ein fortgeschrittenes degeneratives HWS-Syndrom mit muskulären Dysbalancen. Intensivierte physikalische Therapiemaßnahmen auch im Rahmen einer ambulanten Rehamaßnahme seien erforderlich.

Dr. P. vom MDK erstellte am 06.07.2015 ein sozialmedizinisches Gutachten, wonach unter Würdigung der vorliegenden Befunde die Bewilligung des Antrags auf langfristige Genehmigung weiterhin nicht empfohlen wurde. Eine wiederholte Heilmitteltherapie sei zwar medizinisch plausibel. Diese könne aber im Rahmen von Verordnungen im Regelfall oder bei noch nicht erreichtem Therapieziel auch als Verordnung außerhalb des Regelfalles erfolgen. Ein wesentliches Behandlungsziel der Heilmitteltherapie sollte das Erlernen von Eigenübungen sein, welche bei dem vorliegenden Krankheitsbild wichtiger Therapiebestandteil seien. Die Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen seien mit den in der Anlage des Merkblattes des GBA aufgeführten Diagnosen nicht vergleichbar.

Vom 16.06.2015 bis 28.07.2015 befand sich der Antragsteller in ambulanter Rehabilitation im Z. St. Zusätzlich zu den bereits oben erwähnten Diagnosen wurden eine Narbenkontraktur linker Arm nach Laugenverbrennung 1949, ein chronisches Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium III und Spannungskopfschmerzen attestiert. Der Tonus der Schulter-Nackenmuskulatur war deutlich erhöht, die Beweglichkeit der Halswirbelsäule eingeschränkt mit Bewegungsschmerz, die Mobilität der Brustwirbelsäule fast aufgehoben und die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule eingeschränkt. Im Abschlussbefund ergab sich eine deutliche Mobilisierung, Lockerung der Muskulatur und Besserung der Beweglichkeiten. Die Befähigung zu Eigenübungen und die Motivation zur Weiterführung der erlernten Übungen wurden gestärkt. Nach Ansicht der Rehaärzte ist die Fortsetzung von Krankengymnastik, auch an Geräten, regelmäßig erforderlich, auch langfristig.

Am 28.08.2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Stuttgart (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn vorläufig mit dem Heilmittel der manuellen Therapie in einem Umfang von zweimal wöchentlich zu versorgen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2015 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt, dass bei der Beurteilung des Antrags auf langfristige Genehmigung grundsätzlich nicht der Behandlungsbedarf der versicherten Personen infrage gestellt werde, sondern allein zu beurteilen sei, ob eine unveränderte Leitsymptomatik und ein gleichbleibender Bedarf eines festgelegten Heilmittels auf ein Jahr im Voraus mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus medizinischer Sicht gesehen werden könne. Diese Voraussetzung sei nach den Stellungnahmen des MDK nicht erfüllt. Vielmehr sei auch im Fall des Antragstellers die Verordnung von manueller Therapie im Regelfall möglich.

Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 07.10.2015 abgelehnt und ausgeführt, dass es im Falle des Antragstellers bereits an einer ärztlichen Heilmittelverordnung außerhalb des Regelfalls fehle. Zudem sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller wegen der besonderen Schwere und Langfristigkeit seiner funktionellen oder strukturellen Schädigungen auf eine langfristige Heilmittelbehandlung angewiesen ist. Es fehle auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Denn der Antragsteller habe schon nicht glaubhaft gemacht, dass er nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen die beantragte Heilmittelbehandlung nicht vorfinanzieren könne. Er habe nur seine Einkommensverhältnisse offengelegt und nicht seine Vermögensverhältnisse. Zudem könne er mittlerweile die beantragte manuelle Therapie wieder im Rahmen der Regelfallversorgung in Anspruch nehmen. Das hierfür nach der Heilmittelrichtlinie notwendige behandlungsfreie Intervall von zwölf Wochen sei abgelaufen.

Gegen den dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 12.10.2015 zugestellten Beschluss hat dieser am 11.11.2015 Beschwerde zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und diese mit Schreiben vom 25.11.2015 begründet.

Der Antragsteller ist der Ansicht, dass bei ihm funktionelle bzw strukturelle Schädigungen im Sinne des § 8 Abs. 5 Heilmittelrichtlinie bestünden. Es liege eine schmerzhafte Blockade der Halswirbelsäule vor. Zudem komme es zu einer anhaltenden Verspannung der Nacken- und Schultermuskulatur, welche zusätzlich Schmerzen mit Ausstrahlung in den Schulterarmbereich und den Hinterkopf bedingten. Diese Krankheitsfolgen seien langfristiger Natur. Das Merkblatt des GBA sei nicht Bestandteil der Heilmittelrichtlinie und deshalb nicht verbindlich. Die vorliegenden Krankheitsfolgen führten zu deutlichen Beeinträchtigungen der Aktivitäten. Der Antragsteller ist weiter der Auffassung, dass ein Anordnungsgrund vorliege. Ihm sei es aufgrund der bestehenden dauerhaften Schmerzen nicht zumutbar, den Ausgang des Klageverfahrens abzuwarten. Ferner sei es ihm nicht möglich, das begehrte Heilmittels selbst zu beschaffen. Es würden ihm bei zwei Terminen pro Woche monatliche Aufwendungen in Höhe von mindestens 280 EUR entstehen. Er könne zudem nicht auf Verordnungen im Regelfall verwiesen werden, da diese durch die Gesamtverordnungsmenge gedeckelt seien und eines behandlungsfreien Intervalls von zwölf Wochen bedürften. Zudem sei ungewiss, ob der behandelnde Arzt eine weitere Folgeverordnung machen würde. Er habe das begehrte Heilmittel von seinem Orthopäden Dr. Sch. als Verordnung im Regelfall in einem Umfang von wöchentlich zwei Terminen mit Erstverordnung vom 18.09.2015 und Folgeverordnung vom 28.10.2015 erhalten. Die Termine der Folgeverordnung strecke er auf einen Termin pro Woche.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.10.2015 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihn vorläufig mit dem Heilmittel der manuellen Therapie in einem Umfang von zweimal wöchentlich zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs 1, 173 Satz 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Nach § 86 Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Vorliegend begehrt der Antragsteller die Versorgung mit manueller Therapie in einem Umfang von zweimal wöchentlich. Insoweit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung. Diese verlangt grundsätzlich (als nicht existenzielle Leistung) die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).

Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung vorläufiger Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes abgewiesen.

Mit dem Antrag kann nicht zulässigerweise eine vorläufige Genehmigung für eine langfristige Heilmittelversorgung außerhalb des Regelbedarfs begehrt werden, da insoweit eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen würde. Folgerichtig hat der Antragsteller seinen Antrag auf vorläufige Versorgung mit dem Heilmittel der manuellen Therapie zweimal wöchentlich begrenzt. Insoweit fehlt es aber sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ist der Zeitpunkt der Entscheidung des (Beschwerde-)Gerichts. Die Eilbedürftigkeit ist schon deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil zu diesem Zeitpunkt unter Zugrundelegung des insoweit glaubhaften Vortrags des Bevollmächtigten noch (mindestens) eine Folgeverordnung für manuelle Therapie innerhalb der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls gemäß § 7 Abs 9 Heilmittelrichtlinie iVm Teil I A Nr. 1 WS2a (insgesamt 18 Einheiten, von denen der Antragsteller bislang zweimal sechs erhalten hat) möglich ist. Es bedarf demnach derzeit gar keiner gerichtlichen Entscheidung, um die Versorgung des Antragstellers mit dem Heilmittel sicherzustellen, sollte eine Folgeverordnung medizinisch indiziert sein.

Unabhängig davon fehlt es auch am Anordnungsanspruch. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, liegt im vorliegenden Fall noch nicht einmal eine ärztliche Verordnung des Heilmittels außerhalb des Regelbedarfs gemäß § 8 Heilmittelrichtlinie vor. Denn bei dem von den behandelnden Allgemeinmedizinern ausgefüllten Privatrezept mit dem Antrag auf Dauerbehandlung außerhalb des Budgets handelt es sich um keine Verordnung, sondern lediglich um einen Antrag auf Genehmigung. Auch fehlt es an der vorgeschriebenen Form für eine solche Verordnung. Gemäß § 13 Heilmittelrichtlinie erfolgt die Verordnung ausschließlich auf vereinbarten Vordrucke. Eine solche Verordnung liegt zwar als Folgeverordnung im Regelfall vor, nicht jedoch für eine Behandlung außerhalb des Regelfalls. Es kann dabei dahinstehen, ob auch für die Genehmigung gemäß § 7 Abs. 5 Heilmittelrichtlinie eine solche Verordnung mittels Verordnungvordruck vorher vorliegen muss. Dafür könnte sowohl die entsprechende Regelung im Merkblatt zu § 32 Abs 1a SGB V iVm § 8 Abs 5 Heilmittelrichtlinie wie auch der Zusammenhang zwischen Abs 4 und Abs 5 der Vorschrift sprechen. Jedenfalls bedarf es der vorherigen ärztlichen Verordnung in der erforderlichen Form für jede Versorgung mit dem Heilmittel der manuellen Therapie, selbst wenn die Genehmigung erteilt würde.

Unter Zugrundelegung der derzeit vorliegenden medizinischen Befunde ist für den Senat nicht nachgewiesen, dass die Versorgung des Antragstellers mit dem beantragten Heilmittel der manuellen Therapie außerhalb des Regelfalls als langfristige Heilmittelbehandlung erforderlich ist. Denn eine Vergleichbarkeit der Erkrankung des Antragstellers mit den in der Anlage zum Merkblatt des GBA zu § 8 Abs 5 Heilmittelrichtlinie aufgeführten Erkrankungen ist nicht glaubhaft gemacht. Eine solche wäre jedoch nötig, um gem § 31 Abs 1a SGB V iVm § 8 Abs 5 Heilmittelrichtlinie eine Heilmittelversorgung von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf gewähren zu können (siehe Senatsurteil vom 27.05.2014, L 11 KR 4072/13). Die letzte in der Verwaltungsakte vorliegende Folgeverordnung als Regelfall basiert auf der Diagnose M 54.2G mit beschriebenem HWS Syndrom, Funktionsstörungen/Schmerzen durch Gelenkfunktionsstörungen und Gelenkblockierung. Diese Erkrankung ist mit den schwerwiegenden Erkrankungen der Anlage (zB Spinale Muskelatrophie, angeborene Fehlbildungen des Rückenmarks, Reduktionsdefekte der oberen oder unteren Extremität) nicht annähernd vergleichbar. Darauf hat auch der MDK überzeugend hingewiesen.

Der Antrag auf einstweilige Anordnung konnte deshalb unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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