L 3 U 1452/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1605/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 1452/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 2. März 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger wegen einer als Berufskrankheit anerkannten Lärmschwerhörigkeit Rente zu gewähren ist.

Der 1971 geborene Kläger absolvierte zunächst von August 1989 bis Juli 1992 bei der A. - GmbH in B. eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und war im Anschluss hieran im gleichen Betrieb in diesem Beruf tätig. Nach Ablegung der Meisterprüfung im Jahr 2001 wurde er als Teamleiter im Bereich Motoren und Fahrwerk eingesetzt. Zum 30.09.2014 beendete der Kläger das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen.

Bereits am 06.12.2007 zeigte der Dr. C., Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-(HNO)-Krankheiten, bei der Beklagten den Verdacht einer Berufskrankheit an und teilte mit, der Kläger leide seit zwei Jahren an einem Tinnitus links und einer Hyperakusis, einem gesteigerten Hörempfinden. Ursächlich könne ein im Betrieb eingesetztes Luftdruckabschießgerät sein. Die Beklagte befragte daraufhin den Kläger und holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes sowie eine beratungsärztliche Stellungnahme ein. Der Kläger gab unter dem 15.12.2007 an, die Ohrgeräusche träten gelegentlich auf. Innerhalb der letzten zwei Jahre seit Auftreten der Ohrgeräusche hätten sich diese verschlimmert. Der Präventionsdienst berichtete am 07.04.2008, unter üblichen Werkstattbedingungen werde der Beurteilungspegel von 85 dB (A) nicht erreicht; der Dauerschallpegel am Arbeitsplatz betrage seit August 1992 82 dB (A). Es komme aber in der Werkstatt der A. - GmbH im Rahmen der Montage von Reifen auf die zugehörigen Felgen des Öfteren beim Einsatz eines Luftdruckabschießgerätes (Entspannung eines Druckvolumens von 10 bar auf Umgebungsdruck) zu Schalldruckspitzenpegeln zwischen 120 und 130 dB (A) (Messung vor Ort). Die Einsatzhäufigkeit des Luftdruckabschießgerätes könne nicht exakt angegeben werden. Nach Angaben des Klägers könne das Gerät drei- bis viermal am Tag oder aber auch drei- bis viermal pro Woche zum Einsatz kommen. Der Kläger habe solche Spitzenpegel als Auslöser seiner Hörminderung angegeben. Prof. Dr. D. sprach sich in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 04.10.2010 für die Anerkennung einer Berufskrankheit aus. Zur Begründung führte er aus, es sei auf Grund der Schalldruckspitzenpegelwerte zwischen 120 und 130 dB (A) und der sicher zu unterstellenden Häufung solcher Ereignisse zu einer Summierung akuter, knallartiger akustischer Traumata gekommen, die geeignet seien, einen Gehörschaden und damit kombiniert auch einen Tinnitus auszulösen. Die Hörminderung stufe er in Auswertung der beigefügten Audiogramme als praktisch Normalhörigkeit ohne messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ein. Angesichts des beschriebenen Beschwerdeausmaßes sei für den Tinnitus eine MdE von 10 v.H. möglich. Er empfahl abschließend eine instrumentelle Versorgung des Tinnitus.

Die Beklagte anerkannte daraufhin mit Bescheid vom 25.11.2010 eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) mit der gesundheitlichen Beeinträchtigung einer beginnenden Hochtonschwerhörigkeit beidseits und Ohrgeräuschen links an. Einen Anspruch auf Gewährung einer Rente lehnte sie ab, da die Berufskrankheit zu keiner messbaren MdE geführt habe. Ferner übernahm sie die Kosten der wegen der Berufskrankheit erforderlichen Hilfsmittel (Hörgerät mit Tinnitusmaskerfunktion).

Der Kläger legte ohne weitere Begründung Widerspruch ein. Zur Akte gelangte noch der Arztbrief des Dr. E., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 14.03.2011. Darin wird ausgeführt, dass sich der anhaltende persistierende Tinnitus während längerer Ferien bessere, unter neuerlicher Arbeitsbelastung jedoch an Intensität wieder massiv zunehme, so dass der Schlaf gestört sei. Es wurde das Antidepressiva Doxepin verordnet.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2011 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, beim Kläger bestehe eine beginnende Hochtonschwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen links. Der prozentuale Hörverlust begründe nach den Kriterien des Königsteiner Merkblattes keine MdE in rentenberechtigendem Grade. Ohrgeräusche könnten als Begleiterscheinung einer lärmbedingten Schädigung mit einer MdE bis zu 10 v.H. berücksichtigt werden. Diese seien jedoch bei der MdE-Einschätzung integrierend im Rahmen einer Gesamt-MdE zu bewerten. Eine Addition erfolge nicht. Unter Berücksichtigung der bestehenden Ohrgeräusche lasse sich ebenfalls keine MdE in rentenberechtigendem Grade rechtfertigen, so dass kein Anspruch auf eine Rente bestehe.

Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2011 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und geltend gemacht, wegen des Tinnitus und den damit verbundenen erheblichen Schlafstörungen sei er zunehmend psychisch beeinträchtigt und stehe bei Dr. E. in Behandlung. Dies bedinge eine MdE von 20 v.H.

Das SG hat Dr. C. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Er hat unter dem 31.10.2011 mitgeteilt, er stimme der MdE-Einschätzung von Prof. Dr. D. zu und bewerte die MdE mit maximal 10 v.H. Eine weitere Anfrage des SG bei Dr. C. hat ergeben, dass die audiologischen Kontrolluntersuchungen vom 07.11.2011 und 06.01.2012 keine wesentlichen tonaudiometrischen Veränderungen und somit keine Änderung der MdE ergeben hätten (Auskunft vom 27.01.2012).

Der Kläger hat am 29.02.2012 abschließend mitgeteilt, er habe nunmehr auch starke Schmerzen im Gehörbereich, die bisher nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Diese würden ihn Tag und Nacht und auch während der Arbeit beeinträchtigen, so dass er ständig Medikamente einnehmen müsse.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 02.03.2012 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Beurteilung von Prof. Dr. D. in dessen beratungsärztlicher Stellungnahme gestützt. Beim Kläger liege quasi Normalhörigkeit vor. Der Tinnitus könne bei der Bewertung des Gesamtschadensbildes mit einer MdE bis 10 v.H. im Rahmen einer integrierenden Bewertung berücksichtigt werden. Der Kläger befinde sich wegen seiner Schlafstörungen in nervenärztlicher Behandlung, dies jedoch erst seit dem Widerspruchsverfahren. Dass die von Dr. E. eingeleitete medikamentöse Therapie erfolglos bleibe, sei nicht absehbar. Dies berücksichtigend erscheine eine MdE von 10 v.H. denkbar und angemessen, jedoch werde keine MdE von 20 v.H. erreicht. Hinsichtlich der zuletzt geltend gemachten Schmerzen sei ein ursächlicher Zusammenhang mit der anerkannten Berufskrankheit nicht zu erkennen. Weder im Königsteiner Merkblatt noch in der Versicherungsliteratur fänden sich Hinweise auf eine durch eine Lärmschwerhörigkeit erzeugte Schmerzhaftigkeit des Gehörbereiches. Das Gericht halte sich daher für ausreichend sachkundig, um festzustellen, dass solche Schmerzen nicht auf eine Lärmschwerhörigkeit zurückgeführt werden könnten. Es werde deshalb offen gelassen, ob die geltend gemachten Schmerzen tatsächlich bestünden. Der anerkannten Berufskrankheit seien sie jedenfalls nicht zuzurechnen.

Gegen den dem Kläger am 09.03.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 04.04.2012 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.

Noch während des Klageverfahrens, am 17.10.2011, hat der Kläger ein Knalltrauma erlitten, als beim Durchqueren der Werkstatt ein Druckschlauch von einem Kollegen abgesteckt wurde und es dadurch zu einem lauten Knall direkt (40 bis 50 cm) neben dem linken Ohr des Klägers gekommen ist (Unfallanzeige vom 15.11.2011; Bericht des Dr. C. vom 17.10.2011). Der Kläger hat sich noch am gleichen Tag bei Dr. C. vorgestellt, der eine Infusionsbehandlung durchführte. Unter dem 20.12.2011 hat Dr. C. der Beklagten mitgeteilt, der Kläger habe bei der letzten Vorstellung am 29.11.2011 noch ein lautes Summen in der Nacht links mit Schlafstörung, teilweise Ohrenschmerzen und einen auch rechts bestehenden Tinnitus angegeben. Zuletzt seien ein Schlafmittel, ein Antidepressivum und Tinnitusgeräte beidseits verordnet sowie eine neurologische Behandlung eingeleitet worden. Dr. E. hat im Befundbericht vom 09.12.2011 mitgeteilt, durch das Ereignis vom 17.10.2011 sei es zu einer Verstärkung des vorbestehenden Tinnitus links sowie jetzt auch eines Tinnitus rechts einhergehend mit Spannungsschmerzen im Nacken-/Schultergürtelbereich sowie Schmerzen im seitlichen Gesichts- und Ohrbereich gekommen. Darüber hinaus sei es zu einer psychischen Veränderung mit Erschöpfung und Schlafstörungen gekommen, was nur unzureichend unter einem Antidepressivum habe gebessert werden können. In einem weiteren Schreiben vom 27.01.2012 hat sich Dr. E. gegenüber der Beklagten dahingehend geäußert, dass das psychophysische Erschöpfungssyndrom auch im Rahmen arbeitsspezifischer Überlastung zu sehen sei. Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 25.05.2012 den Unfall vom 17.10.2011 als Arbeitsunfall sowie als Folge hiervon einen Zustand nach folgenlos ausgeheiltem Knalltrauma am linken Ohr anerkannt; gleichzeitig hat sie die Zunahme der vorbestehenden Ohrgeräusche links sowie Ohrgeräusche rechts nicht als Folgen des Arbeitsunfalles anerkannt und einen Anspruch auf Leistungen (insbesondere Heilbehandlung und sonstige Geldleistungen) über den 07.11.2011 hinaus sowie einen Anspruch auf Rente und sonstige Rehabilitationsleistungen abgelehnt. Der vom Kläger hiergegen eingelegte Widerspruch ist erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 29.11.2012, Bl. 96). Die dagegen zum SG erhobene Klage (S 11 U 8/13) wurde zum Ruhen gebracht (Beschluss vom 21.03.2013). Mit weiterem Bescheid vom 16.10.2013 hat die Beklagte die Übernahme der Kosten für die medizinische Behandlung einer graniomandibulären Dysfunktion sowie der Verspannungen im HWS-Bereich anlässlich des Unfalles vom 17.10.2011 abgelehnt und sich dabei auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. D. vom 30.09.2013 gestützt (ablehnender Widerspruchsbescheid vom 11.06.2014, Bl. 174). Die dagegen erhobene Klage (S 11 U 1902/14) wurde ebenfalls zum Ruhen gebracht.

Im Rahmen der Ermittlungen zum Arbeitsunfall vom 17.10.2011 hat die Beklagte von Amts wegen eine Verschlimmerung in den Folgen der Berufskrankheit Nr. 2103 der Anlage zur BKV geprüft. Hierzu hat sie die beratungsärztliche Stellungnahmen von Dr. F., Facharzt für HNO-Krankheiten, vom 14.03.2012 und von Dr. G., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 21.02.2012 eingeholt. Dr. F. hat unter Auswertung eines Tonaudiogramms von Dr. C. vom 28.02.2012 ausgeführt, der jetzt nachgewiesene Tinnitus liege im mittleren Frequenzbereich bei ca. 1000 Hz und somit in einer Tonlage, in der keine Schädigung im Hörorgan zu erkennen sei. Der jetzige Tinnitus sei nicht identisch mit dem in früherer Zeit festgestellten und nachgewiesenen Tinnitus bei 6000 Hz. Dr. G. hat in seiner Stellungnahme eine Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen um zu klären, ob die von Dr. E. beschriebenen psychischen Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Berufskrankheit stünden oder schicksalshaft bedingt seien. Diese hat die Beklagte im weiteren Verlauf nicht durchgeführt.

Mit Bescheid vom 07.05.2012 hat die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen der Lärmschwerhörigkeit weiterhin abgelehnt und eine Verschlimmerung verneint. Ferner hat sie einen Anspruch auf Übernahme von Heilbehandlungskosten wegen der Ohrgeräusche abgelehnt, da die Zunahme der Ohrgeräusche links sowie die Ohrgeräusche rechts nicht ursächlich auf die anerkannte Lärmschwerhörigkeit zurückzuführen seien. Der Widerspruch ist erfolglos geblieben (Bescheid vom 29.11.2012). Die dagegen zum SG erhobene Klage (S 11 U 9/13) wurde mit Beschluss vom 21.03.2013 zum Ruhen gebracht.

Der Kläger macht im Berufungsverfahren geltend, das SG habe zu Unrecht eine ausreichende Sachkunde dahingehend behauptet, dass die starken Schmerzen im Gehörbereich nicht auf eine Lärmschwerhörigkeit zurückgeführt werden könnten. Unter Bezugnahme auf eine arbeitswissenschaftliche Untersuchung (von Ising, Plath u.a. in "Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, Forschungsergebnisse für die Praxis, Lärmbeurteilung-Gehörschäden", herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund, ISSN 0720-1699) hat er ausgeführt, dass sehr wohl ein Zusammenhang zwischen Tinnitus und Lärm induzierten Ohrenschmerzen bestehe. Im Übrigen verweist er auf die im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 2. März 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2011 zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Verletzenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtete die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend. Die im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten seien nicht überzeugend.

Der Senat hat Dr. C. und Dr. E. als sachverständige Zeugen gehört und auf Antrag des Klägers Gutachten bei Prof. Dr. H., Facharzt für HNO-Krankheiten, und Prof. Dr. J., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, eingeholt.

Dr. C. hat unter dem 18.12.2012 über die seit Januar 2012 erfolgten Behandlungen berichtet und ausgeführt, der Kläger habe Ohrenschmerzen geltend gemacht. Dabei handele es sich um eine cervikogene Otalgie, craniomandibuläre Dysfunktion sowie neuralgieforme Otalgie links. Die Schmerzart sei in Form von einschießenden, sog. neuralgieformen Schmerzen linksseitig angegeben worden, so dass eine Schmerzmedikation erforderlich gewesen sei. Die Ursache der Schmerzen sei eher auf das Knalltrauma vom 17.10.2011 zurückzuführen, da der Kläger die Schmerzen erstmalig wieder in diesem Zusammenhang angegeben habe.

Prof. Dr. H. hat im Gutachten vom 04.04.2014 eine Innenohrfunktionsstörung mit Hochtonschwerhörigkeit beidseits sowie einen Tinnitus aurium beidseits als Folge der anerkannten Lärmschwerhörigkeit festgestellt. Es handele sich um einen dekompensierten Tinnitus, der unter Zugrundelegung der Gradeinteilung von 1 bis 4 einem 3.-gradigen, als schwer einzustufenden Tinnitus einzuordnen sei. Die einschlägige Gutachtenliteratur erkenne einen Tinnitus als Lärmfolge nur dann an, wenn sich der Tinnitus hinsichtlich seiner Tonhöhe in dem Frequenzbereich befinde, in welchem die Schädigung des Hörorganes bestehe. Dies sei initial nach den Traumata beim Kläger wohl der Fall gewesen. Bei seiner gutachterlichen Untersuchung habe der Tinnitus in einem tiefer frequenten Bereich als die Hörstörung bestanden. Da für den Tinnitus keine andere Ursache als die Lärmexposition zu erkennen sei, sei er für die Bewertung der lärmbedingten MdE zu berücksichtigen. Der Hörverlust betrage beidseits 0 %, so dass ein normales Hörvermögen bestehe, welches für sich genommen in eine MdE von 0 v.H. münde. Der Tinnitus mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen sei mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten. Zur Abschätzung der durch den Tinnitus bedingten Begleiterscheinungen hat Prof. Dr. H. eine Begutachtung auf psychosomatischem Fachgebiet empfohlen.

Dr. E. hat in seiner Auskunft von 22.09.2014 über die in der Zeit vom 25.10.2010 bis 22.03.2013 erfolgten Behandlungen berichtet. Am 25.10.2010 habe sich der Kläger wegen eines depressiven Erschöpfungssyndromes vorgestellt. Er habe berichtet, dass es in den vergangenen zweieinhalb Jahren wiederholt zu Lärmtraumata mit Hörminderung beidseits und persistierendem Tinnitus links gekommen sei. Er könne nicht mehr richtig schlafen, sei unruhig und ausgelaugt. Psychisch habe eine leichte depressive Symptomatik mit innerer Anspannung und psychophysischer Erschöpfung im Vordergrund gestanden. Anlässlich der Vorstellungen am 14.03. und 20.04.2011 habe sich diagnostisch neben dem dekompensierten Tinnitus links und dem Zustand nach früherem Knalltrauma ein ausgeprägtes Erschöpfungssyndrom gezeigt. Unter beruflicher Belastung sei es zu einer massiven Zunahme des Tinnitus gekommen; drei Mitarbeiter seien zudem weggegangen, deren Funktion von den restlichen Mitarbeitern habe übernommen werden müssen. Dem Kläger sei alles zu viel. Am 08.12.2011 habe sich der Kläger mit ähnlicher Symptomatik vorgestellt, nachdem es zu einem neuerlichen Lärmtrauma mit anhaltender Beschwerdesymptomatik am 17.10.2011 gekommen sei. Trotz sofortiger ohrenärztlicher Vorstellung mit Infusionsbehandlung habe der Kläger über seither anhaltende Schmerzen im linken Gesichts- und Nackenbereich ohne Besserung unter durchgeführter manueller Behandlung geklagt. Letztmals habe sich der Kläger am 22.03.2013 vorgestellt, nachdem es zu einem neuerlichen Lärmtrauma am 27.09.2012 mit anhaltender Schmerzsymptomatik gekommen sei. Der Kläger habe über Dauerkopfschmerz im linken Ohrbereich geklagt, wobei Hörminderung und Tinnitus durch Hörgeräteversorgung bzw. Noiser hinreichend ausgeglichen schienen.

Prof. Dr. J. hat im Gutachten vom 05.01.2015 ausgeführt, der Tinnitus habe zu einer massiven psychischen Belastung geführt, die bis heute anhalte. Für die von ihm diagnostizierte ängstlich depressive Entwicklung und Persönlichkeitsveränderung im Rahmen einer körperlichen Erkrankung ohne Systemerkrankungskomponente sei die MdE mit 20 v.H. ab April 2014 einzuschätzen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine vollständige Dekompensation am Arbeitsplatz eingetreten, die sich in der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger zeige. Unter Berücksichtigung der auf HNO-ärztlichem Gebiet bestehenden MdE von 20 v.H. sei die MdE insgesamt mit 30 v.H. einzuschätzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 25.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2011, mit dem die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV mit einer beginnenden Hochtonschwerhörigkeit beidseits und Ohrgeräuschen links anerkannt und die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt hat.

Der Bescheid vom 07.05.2012 (Widerspruchsbescheid vom 29.11.2012) ist, wie die Beklagte auch zutreffend erkannt hat, nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Zwar wäre er wohl nach der zu § 96 SGG in der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als Gegenstand des Berufungsverfahrens anzusehen gewesen; dies gilt jedoch nicht nach der zum 01.04.2008 erfolgten Einschränkung der Anwendbarkeit ("nur dann") der Vorschrift (vgl. BSG, Beschluss vom 30.09.2009, B 9 SB 19/09 B, juris). Der anlässlich des Lärmtraumas vom 17.10.2011 von der Beklagten mit Bescheid vom 07.05.2012 geprüften Verschlimmerung der Berufskrankheitenfolgen hätte es im Übrigen nicht bedurft. Seine Erteilung war entbehrlich, weil das Tatsachengericht bei einer Anfechtungs- und Leistungsklage grundsätzlich alle bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung eintretenden entscheidungsrelevanten neuen Tatsachen zu berücksichtigen hat. Ein zwischenzeitlich ergangener Verwaltungsakt entfaltet insoweit auch keine Sperrwirkung, jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Klagebegehren daraufhin nicht zeitlich begrenzt wird (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 6/12 R, juris).

Der Bescheid vom 25.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf eine Verletztenrente wegen der Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV nach einer MdE von 20 v.H. (dazu unter 1.) noch auf eine Stützrente wegen des Vorliegens eines weiteren, eine MdE von 10 v.H. bedingenden Arbeitsunfalles (dazu unter 2.).

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf Rente, deren Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Unter den Voraussetzungen der Sätze 2 und 3 des § 56 Abs. 1 SGB VII kann Anspruch auf Rente bestehen, wenn in Folge mehrerer Versicherungsfälle jeweils eine MdE von wenigstens 10 v.H. besteht und die Vomhundert-Sätze gemeinsam wenigstens die Zahl 20 erreichen (sog. Stützrente). Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufungskrankheiten. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit, wobei Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse sind, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Als eine solche Berufskrankheit ist in der Anlage 1 zur BKV unter Nr. 2301 "Lärmschwerhörigkeit" bezeichnet.

1. Der Kläger leidet, wie die Beklagte im Bescheid vom 25.11.2010 festgestellt hat, an einer Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV. Der Tages-Lärmexpositionspegel erreicht zwar nicht den Mindestwert von 85 dB (A); die im vorliegenden Fall wiederholt auftretenden Lärmspitzen von 120 bis 130 dB (A) sind der Berufskrankheit jedoch zuzurechnen (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 6/04 R, juris, Rn. 17). Die Summierung dieser durch das Luftdruckabschießgerät verursachten Lärmexpositionen war geeignet, beim Kläger einen Gehörschaden und damit kombiniert einen Tinnitus links auszulösen. Dies wird von allen Ärzten in diesem Verfahren bestätigt. Ob das Lärmtrauma vom 17.10.2011 von der Beklagten zu Recht als Arbeitsunfall gewertet wurde oder richtigerweise im Rahmen der Berufskrankheit hätte berücksichtigt werden müssen, kann letztlich offenbleiben. Selbst wenn das Trauma vom 17.10.2011 der Berufskrankheit zugerechnet würde, bedingten die Folgen bis heute keine MdE von 20 v.H.

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Bewertung der MdE sowie die im unfallmedizinischen Schrifttum für den HNO-ärztlichen Bereich heranzuziehenden Beurteilungsmaßstäbe hat das SG zutreffend in seiner Entscheidung dargelegt. Hierauf nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Entgegen der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. H. und des Sachverständigen Prof. Dr. J. verursacht die Lärmschwerhörigkeit lediglich eine MdE von 10 v.H. Der durch die Hochtonschwerhörigkeit bedingte Hörverlust beträgt unter Zugrundelegung der Königsteiner-Empfehlung (vormals Königsteiner Merkblatt, welches von führenden deutschen Audiologen in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Institut für Lärmbekämpfung erarbeitet wurde und seither regelmäßig aktualisiert wird, zuletzt 2012) beiderseits 0 %. Somit ergibt sich ein normales Hörvermögen, so dass die MdE 0 v.H. beträgt.

Die durch die Lärmschwerhörigkeit verursachten Ohrgeräusche (Tinnitus) sind mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Folgende Grundsätze gilt es nach der Königsteiner-Empfehlung zu beachten:

Für einen Zusammenhang zwischen Lärmschwerhörigkeit und Tinnitus spricht, wenn der Tinnitus vom Charakter eines hohen Tones oder hohen Geräuschbandes ist, im Bereich des lärmbedingten Hörverlustes empfunden wird und durch Töne und Geräusche hörschwellennah über dem subjektiv empfundenen Lautstärkepegel verdeckt werden kann (vgl. S. 29 der Printausgabe). Ohrgeräusche, die nicht permanent vorhanden sind, werden im versicherungsrechtlichen Sinne als nicht erheblich eingestuft und sind somit bei der MdE-Einstufung nicht zu berücksichtigen. In Fällen dauerhafter Ohrgeräusche kann ein lärmbedingter Begleit-Tinnitus bei der Bewertung des Gesamtschadens mit einer MdE bis zu 10 v.H. berücksichtigt werden. Dies muss jedoch im Sinne einer integrierenden MdE-Bewertung geschehen und nicht durch eine einfache Addition. Der Gutachter soll prüfen, ob die Lärmschädigung tatsächlich die wesentliche Bedingung für die Ohrgeräusche ist (vgl. S. 37 der Printausgabe).

Werden zusätzlich psychische Befindungsstörungen (depressive Stimmung, Gereiztheit, Konzentrations- und Schlafstörungen) durch die Ohrgeräusche geltend gemacht, ist eine neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung angezeigt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 351). Der Schweregrad des Tinnitus wird nach der Tinnitus-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (DGHNOKHC) wie folgt eingeteilt: Grad 1: Der Tinnitus ist gut kompensiert, kein Leidensdruck. Grad 2: Der Tinnitus tritt hauptsächlich in Stille in Erscheinung und wirkt störend bei Stress und Belastung. Grad 3: Der Tinnitus führt zu einer dauernden Beeinträchtigung im privaten und beruflichen Bereich. Es treten Störungen im emotionalen, kognitiven und körperlichen Bereich auf. Grad 4: Der Tinnitus führt zur vollständigen Dekompensation im privaten Bereich, Berufsunfähigkeit.

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass jedenfalls bis 2010 die Ohrgeräusche hoch frequent bei 6000 Hz gewesen sind. In genau diesem Frequenzbereich lag und liegt auch aktuell der Hörverlust, wie sich aus dem Befundbericht des Dr. C. vom 28.02.2012 und dem Gutachten des Prof. Dr. H. ergibt. Diese Art von Hochton-Tinnitus ist nach der Königsteiner-Empfehlung als lärmbedingt einzuordnen. Zur Ausprägung des Tinnitus hat der Kläger unter dem 15.12.2007 angegeben, dass die Ohrgeräusche gelegentlich aufträten und sich in den letzten beiden Jahren verschlimmert hätten. Insoweit handelte es sich zum damaligen Zeitpunkt um einen nicht stark beeinträchtigenden Tinnitus, der allenfalls mit einer MdE bis 10 v.H. bewertet werden kann. Offensichtlich ist es in der Folgezeit zu einer Verschlimmerung gekommen, denn Dr. E. hat in seiner Auskunft gegenüber dem Senat berichtet, der Kläger habe sich am 25.10.2010 wegen eines depressiven Erschöpfungssyndroms vorgestellt und über persistierende Ohrgeräusche links geklagt sowie am 14.03. und 20.04.2011 eine massive Zunahme des Tinnitus angegeben. Insoweit geht der Senat von einem dekompensierten Tinnitus aus, der dem Grad 3 - 4 der Tinnitus-Leitlinie der DGHNOKHC zuzuordnen ist. Zu dieser Einschätzung ist auch Prof. Dr. H. gelangt. Allerdings findet diese Ausprägung zur Überzeugung des Senats ihr Ursache nicht in dem durch die Lärmschwerhörigkeit verursachen Tinnitus.

Für die Kausalität zwischen Gesundheitsschäden als Folgen einer Berufskrankheit einschließlich Verschlimmerungen gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2009, B 2 U 18/07 R, juris), die auf der naturwissenschaftlich- philosophischen Bedingungstheorie beruht. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Als rechtserheblich werden aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache für das Entstehen eines neuen bzw. Verschlimmerung eines bereits bestehenden Gesundheitsschadens wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolges abgeleitet werden (BSG, a.a.O.) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten. Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, die konkurrierende Ursache nach Art und Ausmaß, der zeitliche Ablauf des Geschehens, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris). Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Ist jedoch eine Ursache gegenüber anderen Ursachen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache "wesentlich" und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als wesentlich anzusehen ist, kann auch als Gelegenheitsursache oder Auslöser bezeichnet werden (BSG, a.a.O.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes ist zu beachten, dass das Vorliegen eines Gesundheitsschadens bzw. eines Gesundheitsfolgenschadens im Wege des Vollbeweises feststehen muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 29/07 R, juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Verstärkung des Tinnitus nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Lärmschwerhörigkeit zurückzuführen. So hat Dr. E. anlässlich von Vorstellungen am 14.03. und 20.04.2011 ausgeführt, dass es unter beruflicher Belastung - u.a. wurden drei Mitarbeiter im Betrieb nicht ersetzt - zu einer massiven Zunahme des Tinnitus gekommen sei, gefolgt von Schlafstörungen und einer depressiven Symptomatik. Damit haben lärmunabhängige Faktoren zu einer Verschlimmerung des Tinnitus geführt. Dass das psychophysische Erschöpfungssyndrom lärmunabhängig entstanden ist, zeigt auch die Äußerung von Dr. E. in seinem Schreiben vom 27.01.2012, wonach diese Symptomatik im Rahmen einer arbeitsspezifischen Überlastungssituation zu sehen sei. Zudem hat sich der Tinnitus zwischenzeitlich in tiefere Frequenzen verlagert, was nicht dem typischen Befund einer lärmbedingten Tinnitusentwicklung entspricht. Diese Einschätzung steht im Einklang mit dem unfallmedizinischen Schrifttum, wonach bei einem durch Lärm verursachten Tinnitus die Verdeckungskurve zumeist einem sog. Konvergenztyp entspricht (vgl. Feldmann/Brusis, Das Gutachten des HNO-Arztes, 7. Aufl., S. 361) und sich ein lärmbedingter Tinnitus frequenzstabil zeigt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 350). Damit haben unfallunabhängige Belastungsfaktoren den wesentlichen Beitrag für die gesundheitliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes gesetzt. Vor diesem Hintergrund kann die MdE für den lärmbedingten Tinnitus nicht mit mehr als 10 v.H. bewertet werden.

Der Senat vermag den Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. J., die die MdE mit 20 v.H. bzw. 30 v.H. bewertet haben, nicht zu folgen.

Zu Unrecht hat Prof. Dr. H. den dekompensierten Tinnitus mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen auf die berufliche Lärmbelastung zurückgeführt und mit einer MdE von 20 v.H. bewertet. Abgesehen davon, dass Prof. Dr. H. insoweit eine fachfremde Beurteilung getroffen hat, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, hat der Sachverständige nicht überzeugend zu begründen vermocht, weshalb der von ihm bei 1000 Hz lokalisierte Tinnitus auf die Lärmschwerhörigkeit zurückzuführen sein soll. Er räumt sogar ausdrücklich ein, dass der Tinnitus hinsichtlich seiner Tonhöhe in dem geschädigten Frequenzbereich lokalisiert sein muss und dies beim Kläger nicht der Fall ist, da sich bei diesem die Hochtonschädigung im Bereich von 6000 Hz befindet. Seine Begründung, es seien keine anderen Ursachen für den Tinnitus zu finden, weshalb dieser lärmbedingt sei, kann nicht überzeugen. Er hat den beruflichen Hintergrund nicht ausreichend eruiert, sodass die vom Kläger als äußerst belastend beschriebene Arbeitsplatzsituation weder zur Kenntnis genommen, geschweige denn als mögliche Ursache für die weitere Verstärkung des Tinnitus und die psychische Verschlechterung diskutiert wurde.

Aus den gleichen Erwägungen ist die Beurteilung von Prof. Dr. J. nicht überzeugend. Die von ihm auf seinem Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen (depressive Entwicklung und Persönlichkeitsveränderung) können nicht auf den lärmbedingten Tinnitus zurückgeführt werden.

Soweit der Kläger Ohren- und Kopfschmerzen sowie Verspannungen der HWS und des Kiefergelenkes beklagt, sind diese ebenfalls nicht Folge der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV. Anerkannt ist zwar, dass als Folge eines Tinnitus Ohrenschmerzen (Otalgie), Kopfschmerzen sowie Verspannungen im Kieferbereich und der HWS entstehen können (vgl. Leitlinie der AWMF, Stand 2/2015, 3 c). Diese Beschwerden sind beim Kläger jedoch im Rahmen des sich lärmunabhängig verstärkten Tinnitus entstanden und können deshalb nicht als Folge der Lärmschwerhörigkeit anerkannt werden.

2. Der Kläger hat wegen der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV mit einer MdE von 10 v.H. auch keinen Anspruch auf eine Stützrente. Dieser Anspruch bestünde dann, wenn er in Folge des anerkannten Arbeitsunfalles vom 17.10.2011 gleichfalls in der Erwerbsfähigkeit gemindert wäre und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen würden. Die Folgen eines Arbeitsunfalles sind allerdings nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. gemindert haben. Diese gegenseitige Abhängigkeit verschiedener Arbeitsunfälle bzw. Berufskrankheiten voneinander, die jeweils eine MdE von 10 v.H. bedingen, hat für die Frage der Gewährung einer Stützrente zur Folge, dass verfahrensrechtlich eine Entscheidung in einem einheitlichen Verfahren zu erfolgen hat, wobei - wie hier - die Voraussetzungen von § 96 SGG nicht erfüllt sein müssen (BSG, Urteil vom 18.03.1993, 8 RKN 4/92, juris). Gegenstand eines Streites über die Gewährung von Stützrenten aus zwei Entschädigungsfällen jeweils mit einer MdE unter 20 v.H. kann demnach nicht jeweils die Gewährung einer Teilrente allein sein, sondern den Gegenstand des Streites bilden letztlich beide Stützrenten. Die Voraussetzung hierfür, nämlich dass sich im sozialgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit zeigt, dass einem Verletzten mehrere Stützrenten zu zahlen sein könnten, ist vorliegend erfüllt, da der Kläger am 17.10.2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Das BSG hat in seinem Urteil vom 12.04.2005 (B 2 U 6/04 R, juris) zwar entschieden, es sei nicht ausgeschlossen, dass während einer Dauerlärmbelastung auftretenden Lärmspitzen der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage 1 der BKV zuzurechnen seien; eindeutig abgrenzbare Lärmereignisse, d.h. kurzdauernde, jedoch sehr laute Schallerlebnisse fallen nach Ansicht des BSG jedoch nicht unter den Begriff des Lärms i.S.v. Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV. Nachdem sich der Knall am 27.10.2011 - anders als sonst - unmittelbar am linken Ohr des Klägers ereignete, ist ein isoliertes Knalltrauma und damit ein Arbeitsunfall zu bejahen. Allerdings hat der Arbeitsunfall keinen Gesundheitsschaden hinterlassen, der eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen könnte. Zu einer Verschlechterung des Hörvermögens ist es nicht gekommen, wie Dr. C. und Dr. F. sowie Prof. Dr. H. übereinstimmend festgestellt haben. Die vom Kläger geklagte Verschlimmerung des Tinnitus ist ebenfalls nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Hier gelten die gleichen Erwägungen wie bei der zuvor geprüften Berufskrankheit. So befindet sich der Tinnitus ausweislich des Tonaudiogrammes des Dr. C. vom 28.02.2012 im mittleren Frequenzbereich bei 1000 Hz und damit in einer Tonlage, in der keine Schädigung im Hörorgan nachzuweisen ist. Ferner ist der insoweit festgestellte Tinnitus nicht identisch mit dem früher festgestellten und nachgewiesenen Tinnitus bei 6000 Hz. Im unfallmedizinischen Schrifttum ist zudem anerkannt, dass lärmbedingte Ohrgeräusche - anders als beim Kläger - frequenzstabil sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.o.). Daraus folgt, dass die weitere Entwicklung des Tinnitus nicht auf das Lärmtrauma vom 17.10.2011 zurückgeführt werden kann. Damit sind auch die depressive Entwicklung, die Persönlichkeitsveränderung sowie die Ohren-Kopfschmerzen nicht Folgen des Arbeitsunfalles.

Die Berufung ist hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved