L 3 SB 315/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 1642/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 315/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) und "Berechtigung für eine ständige Begleitung" (B) streitig.

Bei dem im Jahr 1947 geborenen Kläger hatte der Beklagte in einem auf die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) gerichteten Verfahren unter Zugrundelegung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.08.1996, in der als Behinderungen Funktionsstörungen nach Kleinhirninfarkt mit einem Einzel-GdB von 100, ein Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 sowie ein Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 100 eingeschätzt worden waren, mit Bescheid vom 23.08.1996 den GdB des Klägers mit 100 seit 30.05.1996 sowie die Merkzeichen "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (G), B und "Hilflosigkeit" (H) festgestellt. Unter Zugrundelegung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.12.1996, in der als weitere Behinderungen ein Teilverlust des Dickdarms im Stadium der Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 80 berücksichtigt worden war, hatte der Beklagte mit Bescheid vom 19.12.1996 weiterhin den GdB des Klägers mit 100 sowie die Merkzeichen G, B und H festgestellt. Mit Bescheid vom 27.10.1997 hatte der Beklagte das Merkzeichen aG seit 06.11.1996 festgestellt. Mit Bescheid vom 07.02.2002 hatte der Beklagte die Bescheide vom 09.12.1996 und 27.10.1997 abgeändert und die Feststellung der Merkzeichen B, H und aG aufgehoben.

Am 28.11.2013 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB und die Feststellung der Merkzeichen aG und B. Er führte aus, neu aufgetreten seien eine Sprunggelenksarthrose beidseits, eine Kniegelenksarthrose beidseits und ein Herzleiden. Der Beklagte zog das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 04.04.2007 bei und holte Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Der Allgemeinmediziner Dr. A. beschrieb in seinem Befundbericht vom 08.01.2014 unter Beifügung diverser Arztbriefe als Gesundheitsstörungen einen unklaren Schmerzzustand in der rechten Kleinzehe, ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Diskusprolaps L5/S1 und Rückenbeschwerden ohne neurologische Ausfälle sowie eine koronare Herzkrankheit mit einem erneuten Myokardinfarkt und einer Herzinsuffizienz im Stadium II. Der Chirurg Dr. B. gab in seinem Befundbericht vom 22.01.2014 an, am linken Sprunggelenk bestehe eine Arthrose mit eingeschränkter Beweglichkeit und glaubhafter Schmerzhaftigkeit. Hinsichtlich der Kniegelenke sei in den letzten Jahren keine Diagnostik oder Behandlung durchgeführt worden. Zuletzt habe eine rezidivierende Hyperurikämie bestanden. Der Internist und Kardiologe Dr. C. führte in seinem Befundbericht vom 30.01.2014 aus, es lägen eine koronare Herzkrankheit mit Drei-Gefäß-Erkrankung, eine ischämische Kardiomyopathie, eine Herzinsuffizienz, ein Diabetes mellitus, eine Polyneuropathie, eine arterielle Hyptertonie sowie eine Hyperlipoproteinämie vor. Es handele sich um ein metabolisches Syndrom sowie eine schwerste systemische und koronare Arteriosklerose. Beim Elektrokardiogramm sei eine Belastbarkeit mit 100 Watt ohne manifeste Herzinsuffizienz oder Ischämie möglich gewesen. Auf Grund des Verlaufs der schweren kardiovaskulären Erkrankung und der ausgeprägten Einschränkung der linksventrikulären Funktion sei der Kläger im Alltag kaum belastbar. Durch die schwere kardiovaskuläre Erkrankung liege eine ausgeprägte Funktionsbeeinträchtigung vor. Dr. A. wies in seinem Befundbericht vom 03.02.2014 unter Beifügung eines Arztbriefs darauf hin, beim Kläger bestehe eine Cox- und Gonarthrose beidseits. Die Funktion der Kniegelenke sei deutlich eingeschränkt. Der Kläger leide an einer schweren koronaren Herzkrankheit mit in letzter Zeit folgender Herzinsuffizienz mit deutlichen Beinödemen. Der Orthopäde Dr. D. beschrieb in seinem Befundbericht vom 10.02.2014 eine Gonarthrose rechts Grad II bis III, ein Ödem am oberen Sprunggelenk rechts, eine koronare Herzkrankheit und eine Adipositas. Die Gehfähigkeit sei durch die Adipositas und koronare Herzkrankheit eingeschränkt. Dr. E. berücksichtigte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.04.2014 als Funktionsbeeinträchtigungen Hirndurchblutungsstörungen, Schlaganfallfolgen, eine inkomplette Halbseitenlähmung, einen Bluthochdruck, einen Diabetes mellitus, einen Bauchnarbenbruch, einen Teilverlust des Dickdarms, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, eine koronare Herzkrankheit, abgelaufene Herzinfarkte, eine Herzinsuffizienz sowie eine Funktionsbehinderung beider oberer Sprunggelenke und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 100. Öffentliche Verkehrsmittel könnten ohne regelmäßige Hilfe benutzt werden. Die Gehfähigkeit sei nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Weder das Herzleiden noch die orthopädischen Funktionsbehinderungen könnten die Merkzeichen aG und B begründen. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.04.2014 die Neufeststellung des GdB und mit Bescheid vom 23.04.2014 die Feststellung der Merkzeichen aG und B ab.

Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 23.04.2014 Widerspruch und legte das Attest des Dr. C. vom 28.04.2014 vor. Darin wurde der Kläger als schwer herz- und peripher gefäßkrank beschrieben. Auf Grund der schweren Erkrankung sei der Kläger kaum belastbar. Die beschwerdefreie Gehstrecke liege unter 100 Metern. Dr. F. führte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.05.2014 aus, die Ausführungen des Dr. C. zur GdB-Einschätzung des Herzleidens und zur Gehfähigkeit würden durch die von ihm mitgeteilten objektiven Befunde nicht hinreichend gestützt. Beschrieben seien eine Herzinsuffizienz nach der Klassifikation der New York Heart Association (NYHA) Grad II - also kardiale Beschwerden bei mittelschwerer Belastung, beispielsweise bei 75 Watt -, eine allenfalls mittelgradig eingeschränkte Herzmuskelfunktion mit einer Ejektionsfraktion (EF) von 40 % sowie eine unter Belastung gute Globalfunktion des Herzens mit einer wiederholt belegten Belastbarkeit bis zumindest 100 Watt ohne kardiale Beschwerden. Unter Berücksichtigung all dieser Befunde zur Herzmuskelfunktion und kardialer Belastbarkeit sei die kardiale Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von deutlich weniger als 80 zu bewerten. Trotz der angegebenen gelegentlichen Dekompensationserscheinungen ohne nähere Ausführungen hierzu rechtfertigten sich die Merkzeichen aG und B nicht. Auch die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Sprung- und Kniegelenke begründeten nicht ansatzweise die Merkzeichen aG und B berechtigende Befunde. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 12.06.2014 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die Vorlage einer Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht am 18.06.2014 angefordert und unter dem 07.10.2014 und 20.11.2014 angemahnt. Hierauf hat der Kläger mit Schreiben vom 04.12.2014 um Fristverlängerung gebeten. Die angeforderte Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ist indes nicht vorgelegt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.12.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Orthopädische Befunde, welche die Zuerkennung des Merkzeichens aG begründen könnten, lägen nicht vor. Unter Bezugnahme auf die überzeugenden und schlüssigen Ausführungen der Dr. F. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme sei die Globalfunktion des Herzens unter Belastung gut, was wiederholt mit einer Belastbarkeit bis zumindest 100 Watt ohne beschriebene kardiale Beschwerden belegt würde. Schwere Dekompensationserscheinungen, welche eine Gleichstellung begründen könnten, seien mithin nicht ersichtlich. Der Kläger gehöre auch nicht zu dem das Merkzeichen B berechtigenden Personenkreis. Es lägen keine Befundberichte vor, welche die Annahme begründen könnten, dass der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sei. Es habe keine Veranlassung bestanden, weitere Ermittlungen von Amts wegen anzustellen. Vorermittlungen in Form einer Anhörung der behandelnden Ärzte habe der Kläger vereitelt, indem er trotz mehrfacher Erinnerung und Folgenbelehrung die Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht abgegeben habe. Der Gerichtsbescheid des SG ist ausweislich des auf ihm angebrachten Eingangsstempels am 15.12.2014 in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen. Ferner ist das vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 30.12.2014 unterzeichnete Empfangsbekenntnis aktenkundig.

Der Kläger hat am 26.01.2015 Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG erhoben. Er hat ausgeführt, bei Zustellung gegen Empfangsbekenntnis sei der Tag des Zustellungsdatums, an dem der Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstückes persönlich Kenntnis erlange und es empfangsbereit entgegennehme. Dieser Empfang werde in der Regel durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch den Adressaten begründet. Der auf dem Gerichtsbescheid des SG angebrachte Stempel sei lediglich der postalische Eingang in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten. Zur Begründung der Berufung hat er ausgeführt, ihm stehe das Merkzeichen aG zu, da seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sei und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der anzuwendenden Verordnung genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen könne. So habe Dr. C. festgestellt, dass er schwer herz- und peripher gefäßkrank sei. Auf Grund der Schwere der Erkrankung könne er trotz mehrdimensionaler Therapie lediglich noch eine Wegstrecke von unter 100 Metern zurücklegen. Auch habe er einen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens B. Das SG habe keinerlei Amtsermittlungen eingeleitet, obwohl hinreichend zu den Gesundheitsbeeinträchtigungen vorgetragen worden und der Akteninhalt bekannt gewesen sei. Das SG habe gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstoßen, so dass ihm noch einmal eine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht hätte übersandt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 8. Dezember 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 23. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Merkzeichen aG und B festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Die Berufung sei verfristet, da unmaßgeblich sei, wann die Bearbeitung eingehender Post erfolge. Es komme ausschließlich darauf an, wann der Gerichtsbescheid in den Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist nach § 151 Abs. 2 SGG formgerecht eingelegt.

Sie ist auch nach § 151 Abs. 2 SGG fristgerecht erfolgt. Vorliegend ist eine wirksame Zustellung des Gerichtsbescheides des SG nicht bereits am 15.12.2014, dem Tag des Eingangs desselben in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers, sondern erst am 30.12.2014, dem Tag der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers, erfolgt. Denn in Fällen des vereinfachten Zustellungsverfahrens an Personen, die wegen ihres Amtes besonders vertrauenswürdig sind, wird nach § 118 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 174 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Zustellungsurkunde durch ein vom Rechtsanwalt zu unterzeichnendes und mit einem Datum zu versehendes Empfangsbekenntnis ersetzt. Dieses ist aber nicht bloßes Beweismittel, sondern Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung. Die Zustellung ist dann wirksam erfolgt, wenn der Zustellungsempfänger das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt anzusehen. Das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis erbringt als öffentliche Urkunde Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch dafür, dass der darin genannte Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, das Empfangsbekenntnis mit dem Datum zu versehen, an dem er das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es zu behalten (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 27.03.2001 - 2 BvR 2211/97 - juris, Rn. 19). Bei Divergenzen zwischen dem (Kanzlei-)Eingangsstempel auf dem Empfangsbekenntnis und dem vom Rechtsanwalt eingetragenen Datum gilt Letzteres, weil der Eingangsstempel nicht die Empfangsbereitschaft des Rechtsanwalts ausweist (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 11.01.1995 - 4 AS 24/94 - juris; Münchener Kommentar, ZPO, 4. Auflage, 2013, § 174, Rn. 9). Bis zum Nachweis des Gegenteils, den der Beklagte nicht angetreten und nicht geführt hat, beweist das vom Rechtsanwalt eingetragene Datum den Zeitpunkt der Entgegennahme. Mithin hat der Kläger die Berufungsfrist mit dem am 26.01.2015 erfolgten Eingang der Berufungsschrift gewahrt.

Die auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist aber unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 08.12.2014, mit dem die Klage des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 23.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2014 abgewiesen worden ist. Der Kläger erstrebt die Aufhebung dieses Bescheides und die Verpflichtung des Beklagten, bei ihm die Merkzeichen aG und B festzustellen. Dieses prozessuale Ziel verfolgt der Kläger zulässigerweise gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Feststellung dieser Merkzeichen ist zunächst § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 4 und 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 69 Abs. 4 SGB IX treffen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen. Nach § 69 Abs. 5 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus.

Zu diesen Merkmalen gehören auch die Merkzeichen aG und B.

Beim Kläger sind indes die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens aG nicht gegeben.

Das Merkzeichen aG im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Vierte Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes [SchwbAwV]) im Schwerbehindertenausweis einzutragen. Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne des § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen. Darüber hinaus führt sie nach § 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr nach § 145 Abs. 1 SGB IX und gegebenenfalls zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeuges, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) in angemessenem Umfang möglich.

Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Dies ist, obwohl nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) erlassene Verwaltungsvorschriften keine unmittelbare Außenwirkung entfalten (Lerche in Maunz-Dürig, GG, Kommentar, Stand Januar 1985, Art. 84, Rz. 94 bis 103), ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris). Danach ist gemäß Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen gemäß Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie gemäß Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.

Der seit dem 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) ließen sich bislang im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens aG entnehmen. Denn die VG waren hinsichtlich der getroffenen Regelungen für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche G, aG, B, "Gehörlosigkeit" (Gl) und "Blindheit" (Bl) als unwirksam anzusehen, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlte. Eine solche Ermächtigung fand sich nämlich - mit Ausnahme des Merkzeichens H - weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab 01.07.2011 (BGBl. I S. 2904) noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (Beschluss des Senats vom 15.12.2014 - L 3 SB 3922/13, Urteil des Senats vom 28.05.2013 - L 3 SB 5383/12 - juris; Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 09.06.2011 - L 6 SB 6140/09, vom 09.05.2011 - L 8 SB 2294/10, vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09, vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/09 und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08; alle veröffentlicht in juris, Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4). Dies hat sich mit Wirkung ab dem 15.01.2015 (BGBl. II S. 15) mit Einführung des § 70 Abs. 2 SGB IX geändert. Danach wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Jedoch hat der Gesetzgeber von dieser Verordnungsermächtigung noch keinen Gebrauch gemacht. Allerdings hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 15.01.2015 (BGBl. II S. 15) in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung erlassen. Danach sollen, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab 01.07.2011 erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Seine ursprünglich geäußerten Bedenken, ob der Gesetzgeber damit wirksam und in Übereinstimmung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen für die mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassene VersMedV - quasi nachträglich - eine Verordnungsermächtigung hat schaffen können (Urteil des Senats vom 13.05.2015 - L 3 SB 319/14), hält der Senat im Hinblick auf die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R - juris Rn. 11), wonach es für eine Übergangszeit bis zum Erlass einer neuen Rechtsverordnung bei der bisherigen Rechtslage bleiben und daher die VersMedV auch für die Feststellung des Merkzeichens aG heranzuziehen sein soll, nicht mehr aufrecht (vergleiche BT-Drucks. 18/2953 und 18/3190 S. 5).

Mithin sind die in den VG vorgenommenen näheren Konkretisierungen verbindlich. Im Übrigen übernehmen die VG, Teil D, Nr. 3 Buchst. b vollständig die Vorgaben der VwV-StVO zum Merkzeichen aG und verweisen die VG, Teil D, Nr. 3 Buchst. a insoweit ausdrücklich auf das StVG, welches als Ermächtigungsgrundlage für die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens aG weiterhin bestehen bleibt. Zusätzlich ist in den VG, Teil D, Nr. 3 Buchst. c ergänzend dargelegt, dass die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden darf. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist danach zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt nach dieser Regelung auch dann, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.

Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - juris). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Solche Besonderheiten können aber angesichts des mit der Zuerkennung des Merkzeichens aG bezweckten Nachteilsausgleichs nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beziehungsweise § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BT-Drucks. 8/3150, S. 9 und 10 in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - juris).

Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Dabei lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - juris). Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).

Auch soweit diese großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG reichen überdies nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität der Schmerzen beziehungsweise der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich unter anderem aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).

Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).

Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt werden. Denn für den Nachteilsausgleich aG gelten gegenüber dem Nachteilsausgleich G nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - juris).

Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßen-verkehrsrechtlichen Zweck des Nachteilsausgleichs aG herleiten. Insofern kommt es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Der Nachteilsausgleich aG soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - juris). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahelegen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen. Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zum Beispiel die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - juris; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - juris).

An dieser oben dargestellten Rechtslage für die Zuerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG hat sich auch durch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) nichts geändert. Allerdings kann die UN-BRK als Auslegungshilfe orientierend herangezogen werden. Insoweit ist entsprechend Art. 1 der UN-BRK, wie bereits in § 2 Abs. 1 SGB IX vorgesehen, die individuelle Beeinträchtigung des behinderten Menschen an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R - juris Rn. 23).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert ist. Der Senat hat seiner Entscheidung den bis Mai 2014 dokumentierten Gesundheitszustand des Klägers zu Grunde gelegt. Weder hat der Kläger eine seither eingetretene Gesundheitsverschlechterung geltend gemacht noch hat er dem SG und dem Senat durch eine Entbindung der ihn behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht die Aktualisierung seines Gesundheitszustandes ermöglicht.

Der Kläger gehört nicht zu dem in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Personenkreis. Er ist auch nicht nach Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Abs. 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VvV-StVO aufgrund seiner Erkrankungen diesem Personenkreis gleichzustellen. Der Senat konnte sich ebenso wie das SG nicht davon überzeugen, dass das Gehvermögen des Klägers auf das Schwerste eingeschränkt und beispielsweise mit dem Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten gleichzusetzen ist.

Das Gehvermögen des Klägers wird zwar maßgeblich durch seine vielfältigen Behinderungen eingeschränkt. Insoweit hat Dr. E. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.04.2014 als Funktionsbeeinträchtigungen auf neurologischem Fachgebiet Hirndurchblutungsstörungen, Schlaganfallfolgen und eine inkomplette Halbseitenlähmung, auf internistischem Fachgebiet eine koronare Herzkrankheit, abgelaufene Herzinfarkte, eine Herzinsuffizienz, einen Bluthochdruck und einen Diabetes mellitus, auf orthopädischem Fachgebiet eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, beider Kniegelenke und beider oberer Sprunggelenke sowie ferner einen Bauchnarbenbruch und einen Teilverlust des Dickdarms berücksichtigt. Die hieraus resultierenden Einschränkungen erreichen jedoch nicht das Ausmaß, das für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung erforderlich ist.

In Bezug auf die Funktionseinschränkungen auf neurologischem Fachgebiet verweist der Senat auf den von Dr. A. vorgelegten Arztbrief der AOK-Klinik Korbmattfelsenhof vom 13.08.2013, wonach der Kläger seit seinem ischämischen Insult mit Hemiparese links nur eine leichte Schwäche im linken Bein hat, für den Alltag einen Rollator oder eine Gehilfe nicht braucht und seinen Haushalt und seine Einkäufe gut zu Fuß erledigen kann. Das Gangbild hat sich damals lediglich als kleinschrittig bei Schonhaltung des linken Beines gezeigt. Ferner hat der Kläger innerhalb von 6 Minuten eine Gesamt-Gehstrecke von 320 Metern ohne Pause erreicht. Eine Gesundheitsverschlechterung auf neurologischem Fachgebiet ist nicht dokumentiert, so dass die versorgungsärztlich berücksichtigten Hirndurchblutungsstörungen, Schlaganfallfolgen und inkomplette Halbseitenlähmung die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht rechtfertigen.

Bei dem Herzschaden des Klägers handelt es sich nicht um einen solchen mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz im Sinne der VG, Teil D, Nr. 3 Buchst. c., der einen Einzel-GdB von mindestens 80 (vergleiche Knittel, SGB IX, § 69, Rn. 175) bedingen würde. Denn nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 ist Grundvoraussetzung für die Annahme einer solchen Funktionseinschränkung eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (zum Beispiel Spazierengehen [3 bis 4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) mit gelegentlich auftretenden, vorübergehend schweren Dekompensationserscheinungen oder gar eine Leistungsbeein-trächtigung bereits in Ruhe (Ruheinsuffizienz, zum Beispiel auch bei fixierter pulmonaler Hypertonie). Eine solche Leistungsbeeinträchtigung ist aber nach den zutreffenden Ausführungen der Dr. F. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.05.2014 nicht gegeben. Denn Dr. C. hat in seinem Befundbericht vom 30.01.2014 und in seinen von Dr. A. vorgelegten Arztbriefen vom 13.09.2013 und 19.11.2013 eine mögliche Belastung auch knapp unter 100 Watt ohne Herzinsuffizienz oder Ischämie attestiert und nur eine Herzinsuffizienz nach der Klassifikation NYHA Grad II beschrieben, woraus der Senat folgert, dass beim Kläger eben nur mit einem Einzel-GdB von weit unter 80 einzuschätzende kardiale Beschwerden bei mittelschwerer Belastung und damit nur eine mittelgradig eingeschränkte Herzmuskelfunktion mit unter Belastung guter Globalfunktion des Herzens vorliegen.

Nichts anderes gilt für die von Dr. A. in seinen Befundberichten vom 08.01.2014 und 03.02.2014, Dr. B. in seinem Befundbericht vom 22.01.2014, Dr. C. in seinem Befundbericht vom 30.01.2014 sowie Dr. D. in seinem Befundbericht vom 10.02.2014 beschriebenen Gesundheitsstörungen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind beim Kläger zwar ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Diskusprolaps L5/S1 und Rückenbeschwerden ohne neurologische Ausfälle, eine beidseitige Cox- und Gonarthrose, eine rechtsseitige Gonarthrose Grad II bis III mit eingeschränkter Funktion der Kniegelenke, eine Arthrose am linken Sprunggelenk mit eingeschränkter Beweglichkeit und glaubhafter Schmerzhaftigkeit, ein Ödem am oberen rechten Sprunggelenk sowie ein unklarer Schmerzzustand in der rechten Kleinzehe beschrieben. Eine das Merkzeichen aG rechtfertigende hieraus resultierende Einschränkung der Gehfähigkeit ist jedoch von keinem der den Kläger behandelnden Ärzte dokumentiert worden. Auch die beim Kläger beschriebenen Erkrankungen rezidivierende Hyperurikämie, Diabetes mellitus, Polyneuropathie, arterielle Hyptertonie, Hyperlipoproteinämie, Beinödeme, Adipositas, Bauchnarbenbruch und Teilverlust des Dickdarms bedingen keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Auch insoweit stützt sich der Senat auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. F. vom 13.05.2014.

Zwar sieht der Senat, dass eine beträchtliche Einschränkung der Gehfähigkeit des Klägers vorliegt. Diese ist aber angemessen mit der Zuerkennung des Merkzeichens G berücksichtigt. Eine das Merkzeichen aG rechtfertigende Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße, also derart, dass sich der Kläger selbständig nur unter ebenso großen Anstrengungen wie beispielsweise ein Doppeloberschenkelamputierter oder sich nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist nicht festzustellen.

Beim Kläger sind auch die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens B nicht gegeben.

Für das Merkzeichen B gilt nach § 146 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, dass zur Mitnahme einer Begleitperson schwerbehinderte Menschen berechtigt sind, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Nach § 146 Abs. 2 Satz 2 SGB IX bedeutet die Feststellung nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.

Ferner sind auch für die Feststellung des Merkzeichens B die in den VG vorgenommenen näheren Konkretisierungen nach dem oben Gesagten verbindlich. Nach den VG, Teil D, Nr. 2 Buchst. b ist für eine Berechtigung für eine ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl oder H vorliegen) gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (zum Beispiel bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Nach den VG, Teil D, Nr. 2 Buchst. c ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien lassen sich beim Kläger die Voraussetzungen für die Berechtigung für eine ständige Begleitung nicht ausmachen. Nach den aktenkundigen objektiven Befunden ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Insbesondere ist er nicht mit dem in den VG, Teil D, Nr. 2 Buchst. c aufgeführten Personenkreis - wie beispielsweise Querschnittsgelähmten oder Anfallskranken - vergleichbar.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Danach waren die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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