S 8 KR 87/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 87/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Erinnerung wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.07.2003 abgeändert.
II. Die anwaltliche Vergütung wird auf 487,20 EUR festgesetzt.
III. Die Entscheidung ergeht kostenfrei.

Gründe:

I.

Im Hauptsacheverfahren war zwischen den Beteiligten die Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung streitig.

Die am 28.11.2001 von der Klägerin beantragte Kostenübernahme für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) bzw. intracytoplasmatische Spermainjektion (ICSI) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2001 ab. Eine Kostenübernahme sei nur bei verheirateten Paaren gesetzlich vorgesehen. Den hiergegen am 21.12.2001 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2002 zurück. Die Klägerin hat deswegen über ihren Prozessbevollmächtigten am 06.05.2002 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Nachdem das Gericht den Antrag mit Beschluss vom 10.07.2002 zunächst abgelehnt hatte, hat es noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28.03.2003 Prozesskostenhilfe bewilligt. Mit Beschluss vom 28.03.2003 hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht, § 27 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur konkreten Normenkontrolle vorgelegt (Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung von Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung ausschließlich für verheiratete Paare).

Am 07.07.2003 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Kostenerstattung für einen Prozesskostenhilfe-Vorschuss beantragt. In seiner Kostennote macht er geltend:

Sozialgerichtsverfahren §§ 123, 161 Abs. 1 Satz 1 Bundesrechtsanwalts-Gebührenordnung (BRAGO) 400,00 EUR Post- und Telekommunikation § 26 BRAGO 20,00 EUR Zwischensumme netto: 420,00 EUR 16 % Mehrwertsteuer gem. §§ 11, 25 II BRAGO 67,20 EUR Bruttohonorar: 487,20 EUR.

Durch Beschluss vom 10.07.2003 setzte die Kostenbeamtin die außergerichtlichen Kosten demgegenüber wie folgt fest:

Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts gem. § 116 Abs. 1 BRAGO 319,50 EUR Auslagenpauschale gem. § 26 BRAGO 20,00 EUR insgesamt: 339,50 EUR 16 % Mehrwertsteuer gem. § 25 Abs. 2 BRAGO 54,32 EUR Gesamtsumme: 393,82 EUR.

Der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.03.1990 folgend (Az: L 9 b 18/90), errechne sich die Höhe des Vorschusses nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels aus der sogenannten Mittelgebühr nach § 116 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) zuzüglich der Gebührenpauschale. Der zu erwartende Umfang des Rechtsstreits rechtfertige eine Gebühr nur in Höhe der Mittelgebühr, wobei die festgesetzte Gebühr um 10 v.H. zu ermäßigen sei. Der klägerische Bevollmächtigte sei vor einem Gericht in den neuen Bundesländern nach dem 01.07.1996 im Auftrag eines Beteiligten tätig geworden, der seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet habe.

Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 24.07.2003 Erinnerung eingelegt. Die in Ansatz gebrachte Mittelgebühr berücksichtige weder die Bedeutung der Angelgenheit, die Schwierigkeit des Falles, den zeitlichen Aufwand für die Bearbeitung der Angelegenheit und die Vermögensverhältnisse der Klägerin. Die Kostenerstattung (wohl richtig: Kostenübernahme) für die künstliche Befruchtung beeinflusse die gesamte künftige Lebensplanung der Klägerin. Sie habe daher für sie und ihren Lebenspartner eine herausragende Bedeutung. Mangels eigener finanzieller Mittel - die Klägerin sei auf Sozialhilfe angewiesen - habe dies zur Folge, dass sie sich den (weiteren) Kinderwunsch nicht mehr erfüllen könne. Die Schwierigkeit des Falles werde auch darin deutlich, dass das Gericht nach Versagung der Prozesskostenhilfe auf Grund der Ausführungen des Klägerbevollmächtigten noch im Termin zur mündlichen Verhandlung Prozesskostenhilfe bewilligt habe. Die Komplexität der Rechtsfragen werde auch anhand der überdurchschnittlichen Dauer der mündlichen Verhandlung deutlich. Zudem habe das Gericht die streitgegenständliche Bestimmung des § 27 a SGB V für verfassungswidrig erachtet.

II.

Über die nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Erinnerung ist nach § 178 Satz 1 SGG, § 128 Abs. 3 BRAGO durch Beschluss des Gerichtes des Rechtszuges, bei dem die Vergütung festgesetzt ist, zu entscheiden. Die Erinnerung ist statthaft. Entgegen der Stellungnahme der Staatskasse kann nicht davon ausgegangen werden, dass nur bei einer Verweigerung eines Kostenvorschusses Erinnerung eingelegt werden könne (vgl. von Eicken, in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 127 Rdnr. 3). Auch die Höhe des Kostenvorschusses muss im Wege der Erinnerung anfechtbar sein. Andernfalls hätte es für eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung einer eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit einer Erinnerung indes allgemein "gegen die Festsetzung" eingeräumt (vgl. § 128 Abs. 3 BRAGO).

Die Erinnerung ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet. Entgegen der Rechtsansicht des LSG Niedersachsen mit Beschluss vom 10.12.1987 (in: Breithaupt 1988, 259 ff.), hat der Rechtsanwalt auch in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit einen Anspruch auf Vorschuss seiner Gebühren, wenn seinem Mandanten Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist und seine Tätigkeit durch eine Rahmengebühr abgegolten wird. Insbesondere kann nicht aus der restriktiven Gestaltung der Vorschussregelung in § 127 BRAGO geschlossen werden, dass der Gesetzgeber Gebührenvorschüsse bei bewilligter Prozesskostenhilfe nur noch ausnahmsweise unter ganz bestimmten und eng umrissenen Voraussetzungen hat zulassen wollen. Vielmehr geht der Wille des Gesetzgebers erkennbar dahin, nicht nur bei Gebühren, die nach dem Gegenstandswert zu ermitteln sind, sondern auch bei Rahmengebühren dem beigeordneten oder gerichtlich bestellten Rechtsanwalt das Recht zuzubilligen, einen Vorschuss aus der Staatskasse zu fordern (wie hier: BSG, Beschluss vom 23.01.1991, Az: 5 RJ 72/89).

Bei den Gebühren ist zu unterscheiden danach, ob sie sich nach dem Gegenstandswert richten (§ 11 BRAGO) oder nach einem Rahmen (§ 12 BRAGO). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist regelmäßig eine Rahmengebühr in Ansatz zu bringen. Da der Klägerin hier (bindend) Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann sich der geltend gemachte Anspruch auf Gebührenvorschuss allein gegen die Staatskasse richten. Gem. § 127 Satz 1 BRAGO kann für die entstandenen Gebühren (§ 123) und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen der Rechtsanwalt aus der Bundes- oder Landeskasse angemessenen Vorschuss fordern. Danach richtet sich die Höhe des Gebührenvorschusses nach den entstandenen Gebühren bzw. entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen.

Aus § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO folgt, dass der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelgenheit, des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr von einem Dritten zu erstatten, so ist die vom Rechtsanwalt getroffene Gebührenbestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO). Für Gebührenfestsetzungen im sozialgerichtlichen Verfahren sind somit der Schwierigkeitsgrad des Hauptsacheverfahrens, die Dauer des Rechtsstreites sowie die Bedeutung des Falles für den Kläger und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit maßgebend.

Entgegen der Rechtsansicht der Kostenbeamtin ist nicht lediglich die Mittelgebühr in Ansatz zu bringen. Zwar ist davon auszugehen, dass sich die Höhe des Vorschusses nach Einlegung und Begründung des Rechtsmittels (bzw. Rechtsbehelfs) grundsätzlich aus der sogenannten Mittelgebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO, zuzüglich der Gebührenpauschale, errechnet (so: LSG Bad.-Württ., wie vor). Daraus lässt sich indes nicht schlussfolgern, dass nicht im Einzelfall - ausnahmsweise - eine Abweichung von dieser Regel gerechtfertigt sein kann.

Anders als im Kostenfestsetzungsbeschluss ist hier nicht von einer lediglich durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit auszugehen. Denn die Frage, ob die Klägerin durch künstliche Befruchtung ihren Kinderwunsch verwirklichen kann, ist eine die gesamte weitere Lebensführung der Klägerin und ihres Lebenspartners bestimmende Angelegenheit. Sie ist von erheblicher ideeller, aber auch wirtschaftlicher Bedeutung für die Klägerin und ihren Lebenspartner. Ohne eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung könnten sie ihren Kinderwunsch nicht mehr verwirklichen. Der Ausgang des Rechtsstreits hat mithin für die Klägerin erhebliche Bedeutung. Sie hat in besonderer Weise ein persönliches, ideelles und wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens. Hierbei ist zu beachten, dass der Fall auch Bedeutung - über den einzelnen Fall hinaus - hat. Über die Beteiligten hinaus berührt die Entscheidung alle diejenigen, die auf natürlichem Wege ihren Kinderwunsch nicht verwirklichen können und nicht verheiratet sind. Im Unterschied zur Rechtsauffassung der Staatskasse kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass die Streitsache - im Vergleich zu den anderen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen mit ähnlichem Klagegegenstand - nur unterdurchschnittliche Bedeutung habe.

Eine Überschreitung der Mittelgebühr ist auch wegen des Schwierigkeitsgrades gerechtfertigt. Die anwaltliche Tätigkeit gilt insbesondere dann als schwierig, wenn erhebliche, im Normalfall nicht auftretende, Probleme juristisch zu erörtern sind (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 12 Rdnr. 13). Wenn das LSG Baden-Württemberg (vgl. wie vor) bei Erwerbsminderungsrente die Mittelgebühr für angemessen erachtet, ist deren Überschreitung erst recht gerechtfertigt, wenn die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit nicht nur auf sozialrechtlichem und medizinischem Gebiet liegt, sondern fast ausschließlich auf verfassungsrechtlicher Ebene. Hier lag die Besonderheit des Falles darin, dass einfachgesetzlich der Anspruch nach § 27 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB V bereits deswegen ausgeschlossen war, weil die Klägerin nicht verheiratet ist. Demzufolge hatte das Gericht auch zunächst Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 10.07.2002 versagt. Gleichwohl ist das Gericht nach ausführlicher verfassungsrechtlicher Erörterung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28.03.2003 mit den Beteiligten zu der Überzeugung gelangt, dass die Vorschrift des § 27 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB V mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Hierzu waren auch von anwaltlicher Seite erhebliche zeitaufwändige und damit auch umfangreiche (vgl. Madert, wie vor) Ausführungen zu tätigen. Der zeitliche Arbeitsaufwand - wie auch anhand der umfangreichen anwaltlichen Schriftsätze deutlich wurde - lag mithin erheblich über dem Üblichen. Wenn indes, auch auf Grund anwaltlicher Ausführungen, ein Verfahren durch Vorlagebeschluss endet, kann grundsätzlich nicht von einer einfachen und nur durchschnittlichen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ausgegangen werden.

Die vom Rechtsanwalt gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bestimmte Gebühr ist verbindlich, da sie billigem Ermessen entspricht. Billiges Ermessen lässt sich grundsätzlich nach dem Inhalt der Vorschrift nicht positiv bestimmen, sondern nur negativ abgrenzen, und zwar dadurch, dass man von einer konkreten Bestimmung sagt, diese stehe außerhalb des Bereichs, der vom billigen Ermessen abgedeckt ist (Madert, a.a.O., Rdnr. 5 m.w.N.). Insoweit der Prozessbevollmächtigte einen 10 %igen Abschlag wegen Tätigkeit vor einem Gericht in den neuen Bundesländern im Auftrag eines Beteiligten, der seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet hat und die Beauftragung nach dem 01.07.1996 erfolgte (§ 1 Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung vom 15.04.1996), nicht gesondert in Ansatz gebracht hat, ist davon auszugehen, dass dieser bereits in der Kostennote vom 04.07.2003, bei Gericht eingegangen am 07.07.2003, mit enthalten ist. Hier kam hinzu, dass auch der Kostenfestsetzungsbeschluss der Kostenbeamtin selbst einen 10 %igen Abschlag nicht gesondert ausweist.

Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts nicht auf völlig abwegigen Überlegungen beruht, die wesentliche Aspekte der gesetzlichen Bestimmung außer Acht lassen, ist eine objektiv nicht zu billigende Abweichung von dem angemessenen Gebührenbetrag nicht festzustellen. Die Umstände des Einzelfalles in Verbindung mit den vorgenannten Bemessungskriterien führen nicht zur Unbilligkeit der Gebührenbestimmung, so dass auf die Erinnerung die Kosten wie beantragt festzusetzen waren.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei und ist beschwerdefähig (§ 128 Abs.5, Abs. 4 Satz 1 BRAGO).
Rechtskraft
Aus
Saved