L 2 AL 72/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AL 1549/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AL 72/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 16. Februar 2003 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten einen Vermittlungsgutschein im Sinne des § 421 g Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).

Der Kläger war vom 01.05.1998 bis 12.04.2001 Rechtsreferendar mit dem Status eines Beamten auf Widerruf. Er meldete sich am 12.04.2001 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg), dessen Gewährung mit Bescheid vom 16.05.2001 abgelehnt wurde. Der Kläger blieb im weiteren Verlauf arbeitslos und beantragte als nicht im Leistungsbezug stehender Arbeitsloser am 10.09.2002 die Ausstellung eines Vermittlungsgutscheins, der mit Bescheid vom selben Tage abgelehnt wurde, weil der Kläger weder Alg noch Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezog und auch keine als Arbeitsbeschaffungs- (ABM) oder Strukturanpassungsmaßnahme (SAM) geförderte Beschäftigung ausübte. Der Widerspruch des Klägers vom 22.09.2002, mit dem er die Verfassungswidrigkeit des § 421 g SGB III geltend machte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2002 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht Dresden (SG) hat die dagegen erhobene Klage vom 08.11.2002, mit der der Kläger die seiner Meinung nach bestehende Verfassungswidrigkeit der Vorschrift näher erläutert hat, mit Gerichtsbescheid vom 16.02.2003 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte die einfachrechtliche Rechtslage zutreffend beurteilt habe und auch kein Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) zu erkennen sei. Der allgemeine Gleichheitssatz des GG werde nicht verletzt. Sinn und Zweck des Vermittlungsgutscheins nach § 421 g SGB III sei es, einen Arbeitslosen mit Hilfe eines privaten Arbeitsvermittlers schneller in Arbeit zu vermitteln. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei es durchaus gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber den Anspruch nach § 421 g SGB III an den Bezug von Sozialleistungen knüpfe. Es bestehe ein Interesse der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung, die finanziellen Belastungen der Arbeitslosigkeit gerade durch eine schnellere Vermittlung Arbeitsloser im Leistungsbezug zu senken. Zu dieser Gruppe gehöre der Kläger nicht. Ein Verstoß gegen das Sozialstaats- und das Rechtsstaatsprinzip sei nicht einmal ansatzweise erkennbar.

Mit seiner dagegen eingelegten Berufung hält der Kläger an seiner Auffassung fest, dass § 421 g SGB III gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verstoße. Die Intention, Geld zu sparen, mag ein nachvollziehbares Motiv für die Unterscheidung sein. Aber nicht jede ökonomisch sinnvolle Regelung sei deswegen schon verfassungsgemäß. Aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Recht auf gleiche Teilhabe für jeden an vom Staat geschaffenen sozialen Einrichtungen und Leistungen hergeleitet. Warum eine nicht durch eigene Beiträge erworbene Leistung auch noch ungleich verteilt werde, entbehre jeglicher Begründung.

Der Kläger regt an, das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz anzurufen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Dresden vom 16. Februar 2003 sowie des Bescheides der Beklagten vom 10. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2002 die Beklagte zu verpflichten, ihm einen Vermittlungsgutschein auszustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter als Einzelrichter den Rechtsstreit entscheidet (Schriftsätze vom 29.04. und 02.06.2003).

Dem Einzelrichter des Senats liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ferner hat die Beklagte die Ausdrucke der Beratungsvermerke vom 12.04.2001 bis 09.01.2003 vorgelegt. Mittlerweile ist dem Kläger mit Bescheid vom 19.02.2003 eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme im Wert von 10.973,01 Euro bewilligt worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Richtige Klageart ist hier die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Denn die begehrte Leistung ist nicht die Aushändigung des Vermittlungsgutscheins als Urkunde, sondern die Abgabe der Willenserklärung der Beklagten, den privatrechtlichen Vergütungsanspruch des Arbeitsvermittlers gegen den bislang Arbeitslosen nach Eintritt des Vermittlungserfolges an dessen Stelle zu erfüllen. Dabei kann dahingestellt bleiben, wie die Willenserklärung rechtlich im Einzelnen zu charakterisieren ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen nach § 421 g SGB III (Soweit nicht anders angegeben ist bei allen zitierten Vorschriften des SGB III die zuletzt geltende Fassung in Bezug genommen). Insoweit fehlt es schon an der Voraussetzung des Anspruchs auf Alg und Alhi sowie an der Ausübung einer als ABM oder SAM nach dem Sechsten Abschnitt des Sechsten Kapitels des SGB III geförderten Beschäftigung (§ 421 g Abs. 1 Satz 1 SGB III).

Die Vorschrift des § 421 g Abs. 1 Satz 1 SGB III verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Gesetzgeber hat die Leistung "Vermittlungsgutschein" auf Bezieher von Alg und solche Personen beschränkt, die Leistungen beziehen, weil sie grundsätzlich zuvor Alg bezogen haben (§§ 190 Abs. 1, 263 Abs. 1 Nr. 2, 274 Abs. 1 Nr. 2 SGB III; ) oder ohne die geförderte Maßnahme hätten beziehen können (§§ 263 Abs. 1 Nr. 2, 274 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Unerheblich ist, dass in einigen Fällen die Anwartschaft bzw. der Anspruch auf Alg nicht unmittelbar oder mittelbar Voraussetzung für den Bezug der Leistung ist (vgl. § 263 Abs. 2 SGB III). Dies ist im Rahmen der verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung und Verwaltungspraktikabilität hinzunehmen. Der Gesetzgeber ist im Rahmen des ihm gerade in Angelegenheiten der Daseinsvorsorge im Allgemeinen und in denen des Sozialrechts im Besonderen von Verfassungs wegen zugestandenen weiten Gestaltungsraums (vgl. nur BVerfG 03.04.2001 - 1 BvR 2014/95 - SozR 3-1100 Art. 74 Nr. 4; 01.07.1998 - 2 BvR 441/90, 2 BvR 493/90, 2 BvR 618/92, 2 BvR 21/93, 2 BvL 17/94 - BVerfGE 98, 169, 204; 23.01.1990 - 1 BvL 44/86, 1 BvL 48/87 - SozR 3-4100 § 128 Nr. 1) nicht gehindert, eine aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanzierte Leistung (vgl. § 363 SGB III) vornehmlich jenem Personenkreis zukommen zu lassen, der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in einem Umfang entrichtet hat, die zur Begründung eines Anspruchs auf Alg ausgereicht haben. Dies gilt umso mehr, wenn der Gesetzgeber dafür Sorge trägt, dass auch alle anderen Arbeitslosen weiterhin von den Arbeitsämter beraten und vermittelt werden (§§ 35 ff. SGB III) und zudem alle Arbeitslosen auch bei privater Arbeitsvermittlung in den Genuss der Schutzvorschrift des § 296 SGB III kommen.

Entscheidend kommt hinzu, dass der ohnehin schon weite Gestaltungsraum des Gesetzgebers zusätzlich dadurch erweitert wird, dass es sich bei § 421 g SGB III erklärtermaßen um einen zunächst zeitlich begrenzten Versuch des Gesetzgebers handelt, die Vermittlung Arbeitsloser in Arbeit effizienter zu gestalten (§ 421 g Abs. 4 SGB III; BT-Drucks 14/8546 S. 10), und dieser Versuch in das Gesamtkonzept des strukturellen Umbaus der Arbeitsförderung eingebunden ist (vgl. nur BVerfG 08.02.1994 - 1 BvR 1237/85 - SozR 3-2200 § 385 Nr. 4). So lange die Leistung "Vermittlungsgutschein" kein "Dauerinstrument" (so BT-Drucks 14/8546 S. 10) ist, stellt sich auch schon deswegen nicht die Frage, ob sie ebenso wie die unmittelbar von der Beklagten ausgeübte, öffentlich-rechtliche Arbeitsvermittlung allen Arbeitsuchenden zugänglich gemacht werden muss. Gerade bei Erprobungsregelungen ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, eine ihm als besonders geeignet erscheinende Gruppe von Personen auszuwählen, um Erfahrungen zu sammeln. Dass der Kläger dazu nicht gehört, muss er von Verfassungs wegen hinnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Aufgrund der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG zum allgemeinen Gleichheitssatz und zum gesetzgeberischen Gestaltungsraum sowie wegen des eindeutigen Erprobungscharakters der Regelung besteht im vorliegenden Fall kein Klärungsbedarf. Es bestand wegen der offensichtlichen Verfassungsmäßigkeit auch kein Grund, den Rechtsstreit an den Senat zurückzugeben, um dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vorzulegen, ob § 421 g Abs. 1 Satz 1 SGB III gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, was nach der Rechtsprechung des BVerfG im Falle der für entscheidungserheblich gehaltenen Verfassungswidrigkeit einer Norm erforderlich ist, weil die Anrufung des BVerfG durch den Einzelrichter eines Kollegialgerichts nicht zulässig ist.
Rechtskraft
Aus
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