L 3 U 3245/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 U 2217/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3245/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juli 2014 abgeändert und die Beklagte aufgrund ihres Teilanerkenntnisses vom 25. November 2015 verurteilt, den Bescheid vom 5. Dezember 2013 abzuändern und dem Kläger wegen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente ab 19. April 2006 nach einer MdE um 10 v. H. zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Kosten und baren Auslagen des Klägers für das von Dr. A. nach § 109 SGG erstattete Gutachten vom 16. Juni 2015 werden nicht auf die Staatskasse übernommen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch die Höhe der dem Kläger zu gewährenden Verletztenrente wegen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. B. zeigte unter dem 18.04.2006 bei der Beklagten für den am 18.09.1950 geborenen Kläger wegen einer Innenohrschwerhörigkeit den Verdacht auf eine Berufskrankheit an. Nachdem der Kläger im Juni 2006 Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit als Bauwerker, Maurer und Einschaler gemacht und die Beklagte diverse über den Kläger gefertigte Audiogramme beigezogen hatte, legte sie die Akten dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. C. zur Beurteilung vor. Dieser führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 21.09.2006 aus, die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit sei aufgrund der 41-jährigen Lärmtätigkeit bei einem Beurteilungspegel von 89 Dezibel (dB) als möglich anzusehen. Nach den vorgelegten Audiogrammen sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit unter 10 vom Hundert (v. H.) zu bewerten. Sodann holte die Beklagte das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. D. vom 23.11.2006 ein. Er gelangte zu der Auffassung, die gutachterliche Untersuchung habe bei reizlosen und geschlossenen Trommelfellen sowie deckungsgleichem Verlauf der Knochen- und Luftleitungskurven eine weitgehend symmetrische reine Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Betonung des Hochfrequenzbereichs ergeben. Auf beiden Seiten fielen die Hörkurven jenseits 1 Kilohertz (kHz) zu den hohen Frequenzen hin ab, erreichten einen maximalen Hörverlust bei 4 kHz und stiegen zu noch höheren Frequenzen wieder leicht an. Entsprechend der Tabelle nach Boenninghaus und Röser (1973) zur Ermittlung des prozentualen Hörverlustes aus den Werten der Sprachaudiometrie ergebe sich für beide Seiten ein Wert von 0 %. Unter Zugrundelegung des sogenannten gewichteten Gesamtwortverstehens nach Feldmann ergebe sich für die linke Seite abweichend ein Wert von 10 %. Ermittele man den prozentualen Hörverlust zusätzlich aus dem Tonaudiogramm nach der Tabelle nach Röser (1980), so ergebe sich für beide Seiten ein Wert von 20 %. Der Gutachter schätzte die MdE mit 10 v. H. ein. Die Voraussetzungen für eine Hörgeräteversorgung seien gegeben.

Mit Bescheid vom 24.01.2007 anerkannte die Beklagte die Hörstörung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV und als Folge dieser Berufskrankheit eine beiderseitige knapp geringgradige Innenohrhochtonschwerhörigkeit. Die Gewährung einer Verletztenrente lehnte sie mit der Begründung ab, die Berufskrankheit habe keine rentenberechtigende MdE zur Folge.

Mit seinem ersten Schreiben vom 12.07.2012 beantragte der Kläger eine Überprüfung und Aufhebung des Bescheides vom 24.01.2007. Zur Begründung wurde ausgeführt, es mute eigentümlich an, dass eine Hörgeräteversorgung befürwortet worden sei, aber eine MdE um 20 v. H. nicht zustande kommen solle. Mit seinem zweiten Schreiben vom 12.07.2012 beantragte der Kläger "rein fürsorglich die Verschlimmerung der Lärmfolgen". Daraufhin holte die Beklagte das Gutachten des Dr. B. vom 19.11.2012 ein. Der Gutachter führte aus, im Vergleich zum Befund des Vorgutachtens falle auf dem besseren rechten Ohr eine Progredienz des Hörschadens auf. Die bereits damals bestandene leichte Asymmetrie zu Ungunsten links sei jetzt deutlich verstärkt, so dass hier bei gleichgebliebener Lärmexposition auf dem linken Ohr lärmunabhängige Faktoren an der progredienten Schwerhörigkeit beteiligt sein dürften. Die sprachaudiometrische Auswertung ergebe unter Berücksichtigung des gewichteten Gesamtwortverstehens einen Hörverlust rechts von 20 % und unter Verwendung des einfachen Gesamtwortverstehens links von 40 %. Die tonaudiometrische Auswertung ergebe einen Hörverlust rechts von 20 % und links von 35 %. Da sich eine Lärmschwerhörigkeit üblicherweise annähernd symmetrisch entwickele, könne die Höreinschränkung des rechten Ohres als Maß für die Lärmschädigung herangezogen werden. Der darüber hinausgehende Hörschaden, den das linke Ohr aufweise, sei lärmunabhängig entstanden. Die MdE für den Hörschaden insgesamt betrage 15 v. H. Der durch die Lärmschädigung bedingte Anteil betrage 10 v. H. Dies entspreche der Einschätzung des Vorgutachters, auch wenn hier eine leichte Verschlechterung rechts eingetreten sei.

Mit Bescheid vom 19.12.2012 führte die Beklagte aus, wegen der Folgen der Berufskrankheit bestehe weiterhin kein Anspruch auf eine Verletztenrente. Es sei keine Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit eingetreten. Es bestehe nach wie vor eine beiderseitige knapp geringgradige Innenohrhochtonschwerhörigkeit. Die zwischenzeitlich eingetretene linksseitige Verschlechterung des Gehörs sei auf außerberufliche Ursachen zurückzuführen, da Lärm generell nicht geeignet sei, Hörschäden dieser Art in diesem Ausmaß zu verursachen. Lärmbedingte Hörschäden seien grundsätzlich seitengleich ausgeprägt. Aus diesem Grund sei der über die Gehörschädigung des rechten Ohres hinausgehende Hörverlust links nicht Folge der beruflichen Lärmeinwirkung.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Eine Begründung des Widerspruchs erfolgte nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2013 wies die Beklage den Widerspruch zurück. Da eine Begründung des Widerspruchs nicht abgegeben worden sei, sei die Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung aller relevanter aktenkundiger Informationen nochmals überprüft worden. Hinweise, dass die Entscheidung fehlerhaft gewesen sei, hätten sich hierbei nicht ergeben.

Hiergegen hat der Kläger am 14.05.2013 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Die Auswertung des Gutachtens des Dr. B., wonach sich eine Lärmschwerhörigkeit grundsätzlich symmetrisch entwickeln würde und daher der erhöhte Hörverlust auf dem linken Ohr automatisch nicht lärmbedingt sei, sei schon etwas eigentümlich. Es werde also vom Schaden auf die Kausalität geschlossen. Eine solche Betrachtung dürfe man nicht anstellen. Es könne ja auch Gründe geben, warum nicht unmittelbar eine symmetrische Entwicklung stattgefunden habe. Vielleicht sei auch am rechten Ohr eine fehlerhafte Messung vorgenommen worden. Der Kläger hat beantragt, den Bescheid vom 19.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV zu gewähren.

Mit Bescheid vom 22.07.2013 hat die Beklagte wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 05.09.1985 und im Anschluss an einen Bescheid vom 13.05.1986 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 10 v. H. ab 01.01.2008 bis auf Weiteres bewilligt. Zur Begründung ist unter anderem ausgeführt worden, der Rentenbeginn richte sich unter Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften nach § 45 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nach dem Ersten des Antragsmonats.

Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des Dr. D. vom 12.11.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die gutachterliche Untersuchung habe bei annähernd deckungsgleichem Verlauf der Knochen- und Luftleitungskurven eine geringfügig links-betonte Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit ergeben, wobei die Hörkurven auf beiden Seiten jenseits 1 kHz steil zu den hohen Frequenzen hin abfielen. Entsprechend der Tabelle nach Bönninghaus und Röser (1973) zur Ermittlung des prozentualen Hörverlustes aus den Werten der Sprachaudiometrie ergebe sich für die rechte Seite ein Wert von 10 % und für die linke Seite ein Wert von 20 %. Zu dem gleichen Ergebnis gelange man auch, wenn der prozentuale Hörverlust zusätzlich entsprechend dem gewichteten Gesamtwortverstehen nach Feldmann ermittelt werde. Werde der Königsteiner Empfehlung entsprechend der prozentuale Hörverlust zusätzlich aus dem Tonaudiogramm nach der Tabelle nach Röser (1980) ermittelt, so ergebe sich für die rechte Seite ein Wert von 30 % und für die linke Seite ein Wert von 35 %. Unverändert sei somit unter Berücksichtigung des tonaudiometrischen Untersuchungsbefundes eine MdE um 10 v. H. zu ermitteln. Hierbei spiele die gering ausgeprägte Rechts-Links-Differenz ebenfalls unverändert keine wesentliche Rolle, so dass sie außer Acht bleiben dürfe. Die im Vorgutachten deutlich stärker ausgeprägte Diskrepanz bei den tonaudiometrischen Messwerten zwischen rechtem und linkem Ohr sei mit Wahrscheinlichkeit durch einen negativen Druck im Mittelohr verursacht worden, welcher durch ein einfaches Valsalva-Mannöver habe beseitigt werden können. Dieser Befund sei somit völlig unabhängig von der gleichzeitig bestehenden lärmbedingten Innen-Ohrschwerhörigkeit, so dass die vom Vorgutachter getroffene Entscheidung, diesen links stärker ausgeprägten Hörverlust unberücksichtigt zu lassen, im Ergebnis als zutreffend bezeichnet werden könne.

Mit Bescheid vom 05.12.2013 hat die Beklagte wegen der Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV mit einem am 18.04.2006 eingetretenen Versicherungsfall eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 10 v. H. ab 01.01.2008 bis auf Weiteres bewilligt. Der Anspruch auf die Verletztenrente bestehe nur, solange die MdE wegen eines anderen Versicherungsfalls um mindestens 10 v. H. gemindert sei. Als Folgen dieser Berufskrankheit sind die beiderseitige geringgradige Innenohrhochtonschwerhörigkeit, nicht aber die über den beruflichen Hörschaden hinausgehende Schwerhörigkeit links anerkannt worden. Zur Begründung ist unter anderem ausgeführt worden, der Rentenbeginn berücksichtige die Verjährungsvorschriften nach § 45 SGB I.

Der Kläger hat sodann im Klageverfahren ausgeführt, er halte "trotz Stützrentengewährung" an seinem Anspruch fest.

Mit Urteil vom 25.07.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bewilligung einer Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 10 v. H. komme nicht in Betracht. Den Ausführungen des Dr. D. sei zu folgen. Dessen MdE-Beurteilung stehe im Einklang mit den Vorgaben der unfallmedizinischen Fachliteratur, insbesondere dem Königsteiner Merkblatt, das bei einer beidseits knapp geringgradigen lärmbedingten Schwerhörigkeit eine MdE um 10 v. H. vorsehe. Diese Beurteilung sei auch deshalb überzeugend, weil sie mit der Vorbeurteilung von Dr. B., jedenfalls was den lärmbedingten Anteil angehe, im Ergebnis übereinstimme. Die Auffassung des Klägers, es müsse sich um eine MdE um 20 v. H. handeln, könne sich demgegenüber auf kein einziges ärztliches Zeugnis stützen. Demgemäß und unter Berücksichtigung der Folgen des Arbeitsunfalls, die ebenfalls eine MdE um 10 v. H. rechtfertigten, bestehe wegen der Lärmschwerhörigkeit Anspruch auf eine Verletztenrente als Stützrente nach einer MdE um ebenfalls 10 v. H.

Gegen das Urteil des SG hat der Kläger am 04.08.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er bemängelt, dass "das Ganze" auf dem Königsteiner Merkblatt basiere. So komme man auch regelmäßig zu dem Ergebnis, dass es entweder eine MdE von unter 10 v. H. oder eine MdE von über 25 v. H. gebe. Die Beeinträchtigungen, die im alltäglichen Leben gerade im Hinblick auf das Gesamtwortverstehen und dann bestünden, wenn normale Umweltgeräusche vorhanden seien, kämen nicht "zustande". Genau dort, wo die Beeinträchtigungen lägen, würden die Testungen beim Königsteiner Merkblatt so durchgeführt, dass es zu einer Entschädigung im Endergebnis nicht kommen könne.

Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juli 2014 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2013 sowie den Bescheid vom 5. Dezember 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. statt 10 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit sie über das Teil-Anerkenntnis vom 25. November 2015 hinausgeht.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des Dr. A., Ärztlicher Leiter der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten des Klinikums Lahr, vom 16.06.2015 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger leide unter einer mittelgradigen bifaktoriellen asymmetrischen Schwerhörigkeit vom Innenohrtyp. Mit Wahrscheinlichkeit sei der größte Anteil der Schwerhörigkeit lärmunabhängiger Genese. Es sei sogar fraglich, ob überhaupt eine lärmbedingte Störung vorliege. Insbesondere die Asymmetrie der tonaudiometrischen Kurven, die Entwicklung des Tonaudiogramms in den letzten 2 Jahren sowie die tonaudiometrischen Kurven mit Beteiligung des Tief- und Mitteltonbereichs schlössen Lärm als alleinige wesentliche Ursache der Hörstörung mit Wahrscheinlichkeit aus. Insbesondere handele es sich nicht um eine außergewöhnliche Lärmbelastung, bei der auch der Tief- und Mitteltonbereich nach langjähriger Exposition mitbetroffen sein könnte. Hinzu komme, dass sich seit dem Jahr 2006 die Hörminderung nach 8 Jahren trotz des seit 7 Jahren empfohlenen Hörschutzes von 0 % beziehungsweise 10 % auf 30 % gesteigert habe, obwohl die Lärmbelastung am Arbeitsplatz tendenziell eher geringer geworden sei. Mithin betrage die lärmbedingte MdE 10 v. H. und sei der Rest der Störung auf Grund der Entwicklung zuletzt überwiegend endogener Natur und somit nicht rentenrelevant.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25.11.2015 hat die Beklagte teilweise anerkannt, den Bescheid vom 05.12.2013 abzuändern und dem Kläger wegen der Folgen der Be-rufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente nach einer MdE um 10 v. H. ab 19.04.2006 unter Berücksichtigung des Stützrententatbestandes aus dem Arbeitsunfall vom 05.09.1985 zu gewähren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Teil-Anerkenntnisses der Beklagten vom 25.11.2015 war das Urteil des SG vom 25.07.2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid vom 05.12.2013 abzuändern und dem Kläger wegen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente ab 19.04.2006 nach einer MdE um 10 v. H. zu gewähren.

Die darüber hinaus gehende gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat wegen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente für die Zeit vor dem 19.04.2006. Denn nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist. Vorliegend ist der Versicherungsfall der Berufskrankheit mit der am 18.04.2006 erfolgten Anzeige des Verdachts auf das Vorliegen dieser Berufskrankheit eingetreten, so dass die hierauf beruhende Verletztenrente nicht vor dem 19.04.2006 beginnen kann.

Der Kläger hat wegen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV auch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE als 10 v. H.

Zu Recht hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 19.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2013 die Annahme einer Verschlimmerung der Erkrankungsfolgen und damit konkludent eine teilweise Aufhebung des Bescheides vom 24.01.2007 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) abgelehnt. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut dieses Bescheides, indem sie dargelegt hat, es sei keine Verschlimmerung der Lärmschwerhörigkeit eingetreten. Ob sie im Sinne des § 44 SGB X bei Erlass ihres Bescheides vom 24.01.2007 das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, hat sie indessen keiner Prüfung unterzogen. Streitgegenständlich war daher nur, ob der Kläger nach § 48 SGB X wegen einer Verschlimmerung der Erkrankungsfolgen einen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente und bejahendenfalls nach einer höheren MdE als 10 v. H. sowie in diesem Sinne auf eine teilweise Aufhebung des Bescheides vom 24.01.2007 hat.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Nach § 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ist bei der Feststellung der sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, das heißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, richtenden MdE eine solche Änderung nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v. H. beträgt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gilt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen der Berufskrankheit und den als deren Folgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - juris Rn. 12 unter Hinweis auf BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 22/10 R - juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R - juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 24.01.2007 vorgelegen haben, keine eine höhere MdE als 10 v. H. bedingende wesentliche Änderung eingetreten, so dass der Kläger keinen Anspruch auf eine insoweitige Aufhebung dieses Bescheides hat.

Der Senat stützt sich auf das überzeugende Gutachten des Dr. D. vom 12.11.2013. Der Sachverständige hat schlüssig dargelegt, dass beim Kläger eine geringfügig links-betonte Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit mit einem prozentualen Hörverlust sowohl nach den Werten der Sprachaudiometrie als auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des gewichteten Gesamtwortverstehens nach Feldmann rechts von 10 % und links von 20 % beziehungsweise unter zusätzlicher Berücksichtigung der Werte des Tonaudiogramms rechts von 30 % und links von 35 % besteht. Nach den in der "Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) - Königsteiner Empfehlung" abgedruckten Tabellen 3 (Berechnung der MdE aus den Schwerhörigkeitsgraden beider Ohren [Feldmann, 1995]) und 4 (MdE und Schwerhörigkeitsgrad bei symmetrischen Hörschäden in Abhängigkeit vom prozentualen Hörverlust [Brusis und Mehrtens, 1981]) kommt eine MdE um mindestens 20 v. H. aber erst ab einer gering- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit mit Hörverlusten ab 40 % in Betracht (siehe Königsteiner Empfehlung, S. 35 und 36). Damit haben sowohl das dem Bescheid vom 24.01.2007 zugrunde liegende Gutachten des Dr. D. vom 23.11.2006 als auch das dem Bescheid vom 19.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2013 zugrunde liegende Gutachten des Dr. B. vom 19.11.2012 im Ergebnis ihre Bestätigung gefunden.

Aus dem auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten Gutachten des Dr. A. vom 16.06.2015 ergibt sich kein anderes Ergebnis. Dieser hat ebenfalls überzeugend dargelegt, dass und warum die lärmbedingte MdE 10 v. H. beträgt und der Rest der Störung auf Grund der Entwicklung zuletzt überwiegend endogener Natur und somit nicht rentenrelevant ist.

Soweit der Kläger sich gegen den Inhalt der Königsteiner Empfehlungen wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur die zu den Entwürfen der BKV verfassten Begründungen und die von den jeweils zuständigen Bundesministerien zu den einzelnen Berufskrankheiten herausgegebenen Merkblätter eine wichtige Informationsquelle für die Praxis darstellen. Obgleich sie in der Regel einen guten Überblick über die jeweilige Berufskrankheit bieten, sind sie nicht immer auf dem neuesten Stand, so dass sie insbesondere für die Entnahme medizinischer Erfahrungssätze der Auswertung durch einen medizinischen Sachverständigen bedürfen. Über Materialien und Merkblätter hinaus muss für die Auslegung der Berufskrankheiten auf den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zurückgegriffen werden, wie er sich aus der einschlägigen Fachliteratur und anderen Veröffentlichungen ergibt. Mithin durften die Beklagte und das SG auf die Königsteiner Empfehlung, die von führenden deutschen Audiologen in Zusammenarbeit mit dem Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitssicherheit erarbeitet wurde und ständig (zuletzt 2012) aktualisiert wird, zurückgreifen (BSG, Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 6/04 R - juris Rz. 15 und 17).

Der Bescheid vom 05.12.2013 ist - soweit er in Bezug auf den nun früheren Rentenbeginn mit dem Teil-Anerkenntnis der Beklagten nicht abgeändert worden ist - ebenfalls rechtmäßig. Die Beklagte hat mit diesem Bescheid zu Recht eine Verletztenrente wegen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV nach einer MdE um 10 v. H. gewährt. Sie hat dabei zutreffend die Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII berücksichtigt. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht nach dieser Vorschrift für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Mithin war dem Kläger wegen der eine MdE um 10 v. H. bedingenden Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.09.1985 auch wegen der eine MdE um 10 v. H. bedingenden Folgen der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV eine Verletztenrente zu gewähren. Dass und warum diese Verletztenrente nicht nach einer höheren MdE als 10 v. H. zu gewähren ist, ist oben bereits unter Hinweis auf die überzeugenden Gutachten des Dr. D. vom 23.11.2006 sowie 12.11.2013 und des Dr. B. vom 19.11.2012 sowie die Königsteiner Empfehlung dargelegt worden.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Kosten und baren Auslagen des Klägers für das von Dr. A. nach § 109 SGG erstattete Gutachten vom 16.06.2015 werden nicht auf die Staatskasse übernommen, da hierdurch die Sachverhaltsaufklärung nicht wesentlich gefördert worden ist und es daher auch keine wesentliche Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung gewonnen hat. Denn dieses Gutachten hat - wie oben bereits dargelegt - lediglich die von der Beklagten bereits getroffene Entscheidung bestätigt.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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