L 3 AL 191/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 1 AL 50/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 191/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 27. Juli 2000 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die teilweise Rücknahme der der Klägerin bewilligten Arbeitslosenhilfe (Alhi) für den Zeitraum vom 17.01.1996 bis zum 31.03.1997 sowie die Erstattung des überzahlten Betrages in Höhe von 12.463,62 DM.

Die am ... geborene Klägerin ist verheiratet. In ihrem Lohnsteuerkarten war seit 1992 durchgehend die Lohnsteuerklasse III eingetragen. Nach dem Abschluss der Oberschule mit der Mittleren Reife besuchte sie von 1964 bis 1967 eine Ingenieurschule für Automatisierungstechnik. Diese beendete sie mit dem Abschluss "Ingenieur-Ökonom". Von 1967 bis 1970 war sie als Lochkartentechnologin im VEB L ... G ... beschäftigt. Ihre Aufgabe war dort die Organisation, Durchführung und Kontrolle ökonomischer Abrechnungen auf Lochkartenbasis (Materialrechnung sowie Grundmittelrechnung). Zudem erfolgte eine Berufung in den Arbeitsstab zur Vorbereitung von Abrechnungen auf EDV-Basis. Schließlich hatte die Klägerin auch Betreuungsaufgaben in der Lehrausbildung. Von 1970 bis 1978 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im VEB M ...-L ...-K .../L ... Forschungsinstitut. Zuletzt war die Klägerin von 1978 bis 1992 als Leiterin des Büros des Kombinatsdirektors im K ...-F ...kombinat/L ... beschäftigt. Ihre dortigen Aufgaben waren: Unterstützung und Beratung des Kombinatsdirektors bei der Vorbereitung und Durchführung von Tagungen in der operativen Leitungstätigkeit, Vorbereitung und Beratung bei der Ausarbeitung von Grundsatzmaterialien, Unterstützung des Kombinatsdirektors in der Öffentlichkeit, Vorbereitung von Entscheidungen auf der Grundlage von Analysen sowie Aufgaben auf dem Gebiet der Betriebsorganisation. Zuletzt erzielte sie ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.600,00 DM. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 18.12.1991 zum 31.03.1992.

Mit Wirkung zum 01.04.1992 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Dieses bewilligte ihr die Beklagte durch Bescheid vom 31.01.1992 ab dem 01.04.1992 in Höhe von 185,40 DM wöchentlich (BE 370,00 DM, Leistungsgruppe C/allgemeiner Leistungssatz). In der Folgezeit bezog die Klägerin - unterbrochen durch mehrfache Zeiten der Krankengeldzahlung - Alg zunächst bis zum 24.05.1995. Im Anschluss an einen weiteren Krankengeldbezug vom 25.05. bis zum 19.06.1995 hatte die Klägerin erneut ab dem 20.06.1995 einen Anspruch auf Alg erworben. Dieses bezog sie - unterbrochen durch einen Kuraufenthalt - bis zum Erlöschen des Anspruchs am 16.01.1996. Die Leistung betrug zuletzt 307,20 DM (BE 640,00 DM/Leistungsgruppe C/allgemeiner Leistungssatz).

Am 10.01.1996 beantragte die nach einem ärztlichen Gutachten für leichte Tätigkeiten vollschichtig arbeitsfähige Klägerin die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi). Zu den Einkommensverhältnissen ergaben sich folgende Beträge:

Der Ehemann der Klägerin bezog eine EU-Rente in Höhe von brutto 2.185,30 DM (netto 2.034,52 DM). Als Werbungskosten wurden für eine Hausratversicherung jährlich 258,30 DM (monatlich 21,53 DM), Haftpflichtversicherung jährlich 404,30 DM (monatlich 33,95 DM) und Kaskoversicherung jährlich 496,00 DM (monatlich 41,38 DM) geltend gemacht.

Unter Berücksichtigung des Einkommens des Ehemannes abzüglich von Steuern und Werbungskosten sowie des Freibetrages in Höhe eines eigenen, fiktiven Alhi-Betrages gelangte die Beklagte zu einem Anrechnungsbetrag von 198,89 DM.

Durch Schreiben vom 25.01.1998 wurde der Klägerin sowohl der monatliche Anrechnungsbetrag i. H. v. 861,86 DM als auch der wöchentliche Anrechnungsbetrag auf die Alhi-Höhe von 198,89 DM mitgeteilt. Weiter war in diesem Schreiben ausgeführt: "Diese Mitteilung wird Bestandteil des ihnen in Kürze zugehenden maschinell erstellten Bewilligungs-/Änderungsbescheides."

Durch Bescheid vom 29.01.1996 bewilligte die Beklagte hierauf Alhi ab dem 17.06.1996 in Höhe von 271,80 DM wöchentlich (BE 640,00 DM/Leistungsgruppe C/allgemeiner Leistungssatz). Ein Anrechnungsbetrag wurde hierbei (versehentlich) nicht berücksichtigt. Dies war ebenso bei dem Anpassungsbescheid an die Leistungsverordnung des Jahres 1997 vom 15.01.1997 zum 01.01.1997 der Fall. Mit diesem bewilligte die Beklagte einen wöchentlichen Betrag i. H. v. 268,20 DM.

Am 21.03.1997 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der Alhi. Die Netto-Rente ihres Ehemannes betrug zwischenzeitlich 2.021,41 DM. Hieraus ergab sich - abzüglich der Werbungskosten - ein Anrechnungsbetrag i. H. v. 196,96 DM.

Im Rahmen der Bearbeitung dieses Antrages stellte die Beklagte fest, dass seit der erstmaligen Alhi-Bewilligung der Anrechnungsbetrag nicht berücksichtigt worden war.

Mit Schreiben vom 26.03.1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe vom 17.01.1996 bis zum 31.03.1997 teilweise Alhi zu Unrecht bezogen, da der Anrechnungsbetrag nicht abgezogen worden sei. Diese Überzahlung habe sie zwar nicht verursacht, jedoch hätte sie erkennen können, dass die Höhe der Leistung nicht zutreffend gewesen sei. Soweit innerhalb von drei Wochen keine Erklärung abgegeben werde, erginge eine Entscheidung nach Aktenlage.

Am 01.04.1997 hat die Klägerin hierzu persönlich vorgesprochen und angegeben, die Überzahlung sei für sie nicht erkennbar gewesen.

Hierauf erließ die Beklagte am 03.04.1997 einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid. Die Klägerin habe seit dem 17.01.1996 wöchentlich 198,89 DM zu viel Alhi bezogen. Diese Überzahlung habe sie erkennen können. Die Entscheidung bezüglich der Rücknahme beruhe auf § 45 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 2 AFG i. V. m. § 138 AFG. Der überzahlte Betrag von 12.497,59 DM sei gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Hiergegen legte die Klägerin am 05.05.1997 Widerspruch ein. Durch den Bescheid vom 29.01.1996 seien ihr wöchentlich 271,80 DM zuerkannt worden. Dieser Bewilligungsbescheid sei für sie nicht prüfbar gewesen. Durch den Hinweis von dem vorhergehenden Schreiben vom 25.01.1996 sei für sie nicht erkennbar gewesen, dass der ausgewiesene Betrag als absolute Kürzung aufzufassen sei. An der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 29.01.1996 hätten für sie keine Zweifel bestanden. Die geforderte Rückzahlung bedeute für sie unzumutbare Nachteile.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.1998 kürzte die Beklagte hierauf den wöchentlichen Anrechnungsbetrag auf 198,38 DM, so dass sich insgesamt ein Erstattungsbetrag von 12.463,62 DM ergebe. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Der monatliche Brutto-Rentenbetrag des Ehemannes der Klägerin habe damals 2.185,30 DM (wöchentlich 504,30 DM) betragen. Davon sei ein Freibetrag in Höhe der eigenen Alhi des Ehegatten (248,84 DM) abzuziehen. Weiterhin seien Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 34,80 DM pro Woche berücksichtigungsfähig (Differenz zwischen der Brutto-Rente zur Netto-Rente), sowie Werbungskosten von wöchentlich 22,26 DM (1.858,60 DM: 52 Wochen). Damit belaufe sich der wöchentliche Anrechnungsbetrag auf 198,38 DM (504,30 DM - 248,84 DM - 34,80 DM - 22,28 DM).

Die Bewilligung der Alhi sei jedoch ohne Berücksichtigung dieses Anrechnungsbetrages erfolgt. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen können, dass der Alhi-Betrag nur 35,40 DM geringer sei als das vorher bezogene Alg, bzw. dass bei dem Betrag von 271,80 DM bereits der (genannte) Anrechnungsbetrag von 198,89 DM berücksichtigt worden sei. Daher lägen die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor.

Hiergegen hat sich die Klägerin am 05.02.1998 an das Sozialgericht Leipzig gewandt. Sie habe auf die Rechtmäßigkeit der Leistung vertraut. Der Hinweis, diese Mitteilung werde Bestandteil des ihr in Kürze zugehenden maschinell erstellten Bewilligungsbescheides, sei für sie kein mathematisches Problem, sondern eine Zuordnungsfrage gewesen. Auch in dem Änderungsbescheid vom 15.01.1997 (ab dem 01.01.1997) habe das Arbeitsamt die Alhi weiter auf der bisherigen Grundlage bewilligt. Der Hinweis, dass sie auf Grund ihrer früheren Tätigkeit zu diesen mathematischen Überlegungen in der Lage gewesen sei, sei für sie unverständlich.

Durch Urteil vom 27.07.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin hätte die Fehlerhaftigkeit des Betrages von 271,80 DM erkennen können. Die Formulierung - "Diese Mitteilung wird Bestandteil des maschinellen Bescheides." - sei insoweit eindeutig. Tatsächlich sei der genannte Betrag jedoch nicht in dem Bescheid vom 29.01.1996 eingeflossen; in der entsprechenden Rubrik befinde sich kein Eintrag. Dies hätte die Klägerin erkennen können.

Gegen dieses am 20.09.2000 abgesandte Urteil hat die Klägerin am 17.10.2000 Berufung eingelegt. Die Begründung des Urteils sei nicht stichhaltig, denn bei den Eintragungen in Spalte "Abführungen" handele es sich um Zahlungen an Dritte. Es sei ihr unverständlich, dass in der Gerichtsverhandlung die fehlerhafte Deutung unwidersprochen geblieben sei. Im Vorfeld der Antragstellung auf Alhi habe sie sich über die zu erwartende Höhe erkundigt. Hierbei habe sie zur Antwort erhalten, darüber könne noch keine Aussage getroffen werden, sie müsse nach Prüfung der Bedürftigkeit und Bearbeitung der Angaben im Antrag den Bewilligungsbescheid abwarten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 27. Juli 2000 sowie den Bescheid vom 03.04.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat hierzu mit Schreiben vom 18.12.2000 erwidert, auf Grund der Informationen in dem Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten" sowie in dem Hinweisschreiben vom 25.01.1996 habe die Klägerin erkennen können, dass von dem Einkommen ihres Ehemannes wöchentlich ein Betrag in Höhe von 198,89 DM auf ihre Alhi angerechnet werde. Der tatsächlich bewilligte Betrag hätte der Differenz zwischen Alg und Alhi abzüglich des gerundeten Anrechnungsbetrages in keiner Weise entsprochen. Dies sei ohne ausgeprägte mathematische Fähigkeiten erkennbar gewesen, daher hätten die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorgelegen.

In einem weiteren Schreiben vom 09.03.2001 hat die Beklagte bestätigt, dass der Anrechnungsbetrag im maschinell erstellten Bescheid nicht ausgewiesen wird. Der Bescheid werde daher in der Regel mit einem leicht nachvollziehbaren Berechnungsbogen verbunden, so dass der Leistungsempfänger problemlos verstehen könne, in welcher Höhe Einkommen auf die Alhi anzurechnen sei. Im Übrigen werde allgemein in der Bevölkerung vorausgesetzt, dass die Alhi niedriger liegt, als das (zuvor gewährte) Alg.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Rechtsstand wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und statthafte (§§ 143, 144 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht Leipzig (SG) hat im Ergebnis zu Recht den Bescheid vom 03.04.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 nicht aufgehoben, denn diese sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zunächst ist die Rücknahme formell rechtmäßig erfolgt. Die Anhörung der Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist - im Ergebnis - nicht zu beanstanden. Zwar hat die Beklagte im Anschluss an das Anhörungsschrieben vom 26.03.1997 mit dem Erlass des Rücknahmebescheides vom 03.04.1997 nicht die zunächst gesetzte Frist von drei Wochen abgewartet; dies ist jedoch deshalb unschädlich, weil die Klägerin bereits am 01.04.1997 vorgesprochen und sich zu den Vorhaltungen erklärt hat. Somit hat sie ihr rechtliches Gehör bereits wahrgenommen.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides und die Erstattung der Leistungen sind §§ 45 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1, 50 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) i. d. F. des Artikel 10 des Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 15.12.1995, BGBl. I Seite 1824. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein anfänglich rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf gemäß § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen in der Regel verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3). Gemäß § 152 Abs. 2 AFG ist, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen, der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Bei dem Bewilligungsbescheid vom 29.01.1996 handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Er war auch von Beginn an rechtswidrig, denn die zuerkannte Alhi entsprach nicht der gesetzlich vorgesehenen Höhe. Dem Grunde nach hatte die Klägerin die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi gemäß § 134 Abs. 1 AFG erfüllt: Sie war arbeitslos, objektiv und subjektiv verfügbar, hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) mehr und war - zumindest teilweise - bedürftig. Ausgehend von einem Bemessungsentgelt in Höhe von 640,00 DM lag der ungekürzte Alhi-Betrag in der Leistungsgruppe C nach dem allgemeinen Leistungssatz bei 271,80 DM. Gemäß § 137 Abs. 1 AFG ist der Arbeitslose jedoch nur insofern bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 Nr. 3 AFG, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 AFG zu berücksichtigen ist, die Alhi nach § 136 AFG nicht erreicht. Hierzu war gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 2 AFG das Einkommen des Ehemannes der Klägerin abzüglich eines Freibetrages in Höhe von dessen eigenem Alhi-Satz zu berücksichtigen. Dies ergab den Betrag von 255,46 DM (504,30 DM wöchentliches Einkommen - 248,84 DM - fiktiver Alhi-Betrag -). Weiter waren hiervon gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 2 AFG Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 34,80 DM wöchentlich sowie Werbungskosten (verschiedene Versicherungen in Höhe von 22,28 DM wöchentlich) abzusetzen. Dies ergab einen verbleibenden Anrechnungsbetrag in Höhe von 198,38 DM. In Höhe dieses Betrages war die Klägerin nicht bedürftig, er wäre daher auf die Höhe der Alhi gemäß §§ 137 Abs. 1, 136 AFG anzurechnen gewesen. Da dies nicht erfolgte, war die Bewilligung von Anfang an rechtswidrig.

Diese Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides vom 29.01.1996 hat die Klägerin auch grob fahrlässig nicht erkannt. Bei der Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist im Sozialgericht ein subjektiver Sorgfaltsbegriff zu Grunde zu legen, d. h. der Betroffene muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in einem das gewöhnliche Maß übersteigenden Ausmaß verletzt haben (BSGE 5, 267, 269; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 3, BSG, Urteil vom 02.08.2001 - Az: B 11 AL 21/00 R). Ob ein Kennenmüssen zu bejahen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen, entschieden werden (BSGE 5, 267). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind (BSG, Urteil vom 08.02.2001, Seite 7, Az: B 11 AL 21/00 R). Eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, besteht auch, wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Andererseits ist ein Antragsteller, der selbst zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Der Antragsteller darf vielmehr davon ausgehen, dass die Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben umsetzt. Dies gilt auch, soweit der Antragsteller über seine Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt wurde, welche abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Anderenfalls würde Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet.

Eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schweren Maße liegt daher zunächst dann vor, wenn sich die Fehlerhaftigkeit aus der Bescheidbegründung selbst ergibt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, vielmehr folgt die Fehlerhaftigkeit aus dem Zusammenhang zwischen dem errechneten Anrechnungsbetrag, der unmittelbar zuvor der Klägerin durch das Schreiben vom 25.01.1998 mitgeteilt worden war und der Höhe der im Bescheid vom 29.01.1998 festgestellten Alhi. Dem Leistungsempfänger, der allerdings die hier erforderliche Verknüpfung nicht erkennen kann, wird daher grobe Fahrlässigkeit nur vorzuwerfen sein, wenn der Fehler ihm bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt".

Die Klägerin hatte hier jedoch konkret die intellektuelle Erkenntnisfähigkeit, die Verknüpfung des Schreibens vom 25.01.1998 mit dem Bescheid vom 29.01.1998 zu erkennen. Dies ergibt sich zunächst aus ihrer schulischen und beruflichen Vorbildung, wonach ihr der Umgang mit Zahlen und Berechnungen sowie Texten nicht fremd war. Hierbei ist darüber hinaus anzumerken, dass es sich bei der Anrechnung eines mitgeteilten konkreten Betrages auf die Alhi nicht um einen höchst komplizierten mathematischen Vorgang handelt, sondern um eine Berechnung, die grundsätzlich jedem Leistungsempfänger zugemutet wird. Somit konnte dies auf jeden Fall auch der Klägerin zugemutet werden. Weiterhin wußte die Klägerin, dass es sich bei dem Begriff "Anrechnung" um Abzüge von der Alhi handelt und in welchem Prozentsatz die Alhi grundsätzlich gezahlt wird. Wenn sie darüber hinaus noch einen "absoluten Kürzungsbetrag" ausmachen wollte, dann ergibt sich dieser jedenfalls weder aus dem zugesandten Schreiben und dem Bewilligungsbescheid noch auch aus dem Merkblatt, sondern beruht auf einer zusätzlichen Interpretation der Klägerin, die zwar fehlerhaft war, aber andererseits erkennen lässt, dass sie sich mit der Anrechnung beschäftigt hat. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der angekreuzte Satz: "Als Anrechnungsbetrag für Ihren Ehegatten/Partner ergibt sich ein Wert in Höhe von 861,86 DM/Monat" nicht völlig klar ist, denn der Anrechnungsbetrag ist nicht "für" den Ehemann der Klägerin anzusetzen, sondern von seinem Einkommen ergibt sich ein entsprechender Betrag, der auf den grundsätzlichen Alhi-Satz der Klägerin anzurechnen war. Dies wird jedoch aus dem weiteren Satz des genannten Schreibens hinreichend erkennbar: "Der Gesamtanrechnungsbetrag beträgt 861,86 DM/Monat bzw. 198,89 DM/Woche." Jedenfalls aufgrund dieses Satzes im Zusammenhang mit dem im Bescheid vom 29.01.1998 genannten Betrag von 271,80 DM sowie dem ihr ebenfalls bekannten vorherigen Alg-Bezug in Höhe von wöchentlich 307,20 DM hätte sie die Fehlerhaftigkeit aufgrund des nicht berücksichtigten Anrechnungsbetrages erkennen können. Zumindest hätte sie insoweit "stutzig" werden und sich diesbezüglich bei der Beklagten erkundigen müssen. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Klägerin die richtige Höhe der zu beanspruchenden Alhi exakt hätte nachrechnen müssen. Angesichts der geringen Differenz zwischen Alg und Alhi in Höhe von lediglich 35,40 DM wöchentlich hätte es für die Klägerin lediglich fraglich und auffallend erscheinen müssen, was es mit dem in dem vorherigen Schreiben vom 25.01.1998 genannten Betrag von 198,89 DM auf sich hatte. Zu dieser Fragestellung und Überlegung wäre die Klägerin auch subjektiv in der Lage gewesen. Für einen Abzug zu Gunsten eines konkret ersichtlichen Dritten gab es nach der der Klägerin bekannten Sachlage keinerlei Anhaltspunkte.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Anpassungsbescheides vom 15.01.1997 ist § 48 SGB X. Denn Bescheide, die die Leistung lediglich aufgrund einer neuen Leistungsverordnung neu festsetzen, besitzen nur einen eingeschränkten Regelungsgehalt (Urteil des BSG vom 27.07.2000 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 43; Urteil des BSG vom 09.05.1996 - SozR 3-4800 § 63 Nr. 1; Urteil des BSG vom 28.11.1996 - SozR 3-4100 § 249 e Nr. 9). Daher ist mit der Rücknahme des rechtswidrigen Ausgangsbescheides für den Folgebescheid eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten (Urteil d. BSG vom 13.07.1988 - SozR 1300 § 45 Nr. 37; Urteil d. BSG vom 15.08.1996, BSGE 79, 92, 94; Urteil d. BSG vom 15.08.2002 - Az. B 7 AL 38/01 R).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung einer Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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