L 8 SB 1902/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 2223/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1902/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist - im Berufungsverfahren - das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.

Bei der am 17.02.1964 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt R. - Kreissozialamt - Versorgungsamt - (LRA) mit Bescheid vom 12.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.10.2007 den Grad der Behinderung (GdB) mit 30 fest.

Am 08.07.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung der Merkzeichen "G", "aG" und "RF. Das LRA nahm medizinische Unterlagen zu den Akten (Bericht der Ermstalklinik B. U. - ohne Datum -, Entlassbrief der Rommel-Klinik B. W. vom 07.05.2009, Gutachten des Dr. S. vom 06.11.2006 und Gutachten der Dr. M. vom 18.04.2007 jeweils an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, des Dr. N. vom 28.03.2007 an die Deutsche Rentenversicherung Bund und des Dr. S. vom 09.05.2008 an das Sozialgericht Reutlingen im Rechtsstreit S 2 R 4009/07). In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 24.09.2009 wurde von Dr. L. der GdB weiterhin mit 30 vorgeschlagen. Mit Bescheid vom 14.10.2009 entsprach das LRA dem Antrag auf Neufeststellung des GdB sowie auf Feststellung der Merkzeichen "G", "aG" und "RF" nicht.

Hiergegen legte die Klägerin am 13.11.2009 Widerspruch ein, mit dem sie einen GdB von mindestens 50 sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "aG" geltend machte. Er gehe es darum, einen Behindertenparkplatz benutzen zu dürfen und dass sie besser Ein- und Aussteigen könne. Das LRA holte den Befundbericht von Dr. M. vom 08.03.2010 ein (Diagnosen: Chronisches Cervikobrachial- und Thorakalsyndrom sowie Lumbalgie, beginnende Radiocarpalarthrose rechts, Status nach Neurolyse des Nervus medianus rechts, Adipositas, chronischer Knieschmerz rechts bei Chondromalazie, ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung, Asthma bronchiale). In der eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 29.04.2010 schlug Dr. G. den Gesamt-GdB weiterhin mit 30 vor und verneinte die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG" und "RF". Mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2010 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 14.10.2009 zurück. Die Zuerkennung eines höheren GdB als 30 sowie der Merkzeichen "G", "aG" und "RF" sei nicht möglich.

Über einen im Verlauf des Rechtsstreits gestellten Änderungsantrag der Klägerin vom 25.04.2014 wurde vom Beklagten bislang nicht entschieden. Das LRA zog zu diesem Antrag die Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des MdK vom 13.05.2014 sowie vom 08.06.2012 - empfohlene Pflegestufe I - bei und nahm Befundberichte zu den Akten.

Am 07.07.2010 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG), zuletzt mit dem Ziel, ihr einen GdB von 100 sowie die Merkzeichen "G" und "aG" zuzuerkennen (Schriftsatz vom 21.06.2011). Sie verwies zur Begründung auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend machte sie im Verlauf des Klageverfahrens geltend, sie sei zwischenzeitlich an Brustkrebs erkrankt (Schriftsatz vom 19.01.2011) und sei wegen einer Herzinsuffizienz NYHA III nunmehr auf einen Rollstuhl angewiesen (Schriftsätze vom 20.06.2012 und 10.08.2012). Die Klägerin legte im Verlauf des Klageverfahrens ärztliche Unterlagen vor.

Das SG hörte von der Klägerin benannte Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen - zum GdB und zum Merkzeichen "G" - an. Der Orthopäde H. teilte in seiner schriftlichen Aussage vom 12.11.2010 unter Vorlage ärztlicher Unterlagen den Behandlungsverlauf, die Diagnosen und die Befunde mit. Er schätzte den GdB auf 50 ein. Die Allgemeinärztin Dr. G.-B. bejahte in ihrer schriftlichen Aussage vom 07.11.2010 unter Vorlage ärztlicher Unterlagen einen GdB von (mindestens) 50 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Der Orthopäde R. teilte in seiner schriftlichen Aussage vom 24.01.2011 unter Vorlage ärztlicher Unterlagen den Behandlungsverlauf, die Diagnosen und die Befunde mit. Er bejahte hinsichtlich des rechten Kniegelenkes einen GdB von 50 und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Die Gehstrecke mit Rollator beschränke sich auf 200 bis 300 Meter. Die Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. H. teilte in ihrer schriftlichen Aussage vom 31.03.2011 unter Vorlage ärztlicher Unterlagen mit, bei der Klägerin sei im Januar 2011 ein Mammakarzinom rechts diagnostiziert worden.

Der Beklagte unterbreitete der Klägerin unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. B. vom 04.07.2011, der wegen einer Erkrankung der rechten Brust (GdB 80), einer Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und des rechten Sprunggelenkes sowie einem Knorpelschaden des rechten Kniegelenkes (GdB 30), einem psychovegetativen Erschöpfungssyndrom, funktionellen Organbeschwerden und chronischem Schmerzsyndrom (GdB 20), einer Funktionsbehinderung des rechten Handgelenkes und Carpaltunnelsyndrom rechts (GdB 20), einem hyperreagiblen Bronchialsystem und Allergie (GdB 20), Adipositas permagna (GdB 10) und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule (GdB 10) den Gesamt-GdB mit 100 seit 13.01.2011 vorschlug, sowie von Dr. W. vom 19.07.2011 ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 50 ab 14.07.2009 und den GdB mit 100 ab 13.01.2011 festzustellen (Schriftsatz vom 21.07.2011). Die Klägerin nahm dieses Vergleichsangebot nicht an und machte geltend, es lägen auch die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "aG" vor (Schriftsätze vom 07.09.2011 und 13.10.2011).

Das SG hörte anschließend PD Dr. Z., Reha-Klinik Schloss S., sowie Dr. G.-B. schriftlich als sachverständigen Zeugen an. PD Dr. Z. teilte in seiner schriftlichen Aussage vom 02.04.2012 unter Vorlage des ärztlichen Entlassungsberichts der Reha-Klinik Schloss S. vom 17.02.2012 die Diagnosen mit und äußerte sich zum Gehvermögen der Klägerin. Dr. G.-B. teilte in ihrer schriftlichen Aussage vom 28.08.2012 unter Vorlage ärztlicher Unterlagen mit, der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich dramatisch verschlechtert. Inzwischen sei von einem GdB von 100, sowie den Merkzeichen "G", "H" und "aG" auszugehen. Die Klägerin könne wegen einer schweren Herzinsuffizienz und Belastungsatemnot sowie der Kniegelenksarthrose nicht mehr gehen. Es bestehe eine erhebliche Muskelschwäche und Sarkopenie.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 11.10.2012, der die zusätzliche Berücksichtigung einer Herzleistungsminderung und Adipositas (GdB 30 ab März 2012) vorschlug, weiter entgegengetreten.

Das SG holte das orthopädische Gutachten des Dr. S. vom 06.02.2013 ein. Dr. S. diagnostizierte eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks, eine beginnende Gonarthrose rechts mit leichter funktioneller Beeinträchtigung, Senk-Spreizfüße, eine Hallux valgus-Fehlstellung links, tendomyopathische Rückenbeschwerden sowie Adipositas. Dr. S. gelangte zu der Beurteilung, aus orthopädischer Sicht bestünden keine nachvollziehbaren schwerwiegenden funktionelle Beeinträchtigungen im Bereich der Bewegungsorgane. Das Gehvermögen sei im geringen Ausmaß beeinträchtigt. Das Zurücklegen einer ortsüblichen Gehstrecke erscheine möglich. Das Gehvermögen der Klägerin sei in keinster Weise mit den Beeinträchtigungen derjenigen zu vergleichen, bei denen die Zuerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung in Frage komme.

Die Klägerin äußerte sich zum Gutachten des Dr. S. (Schriftsatz vom 03.04.2013). Wie der Sachverständige zu seinen Feststellungen bezüglich ihrer Gehfähigkeit komme, bleibe rätselhaft.

Anschließend hörte das SG den Facharzt für Kardiologie, Innere Medizin und Notfallmedizin Dr. A ... schriftlich als sachverständigen Zeugen an. Dr. A ... teilte in seiner Aussage vom 09.09.2013 den Behandlungsverlauf, die Diagnosen und Befunde (insbesondere links Herzinsuffizienz mit Beschwerden bei leichterer Belastung NYHA-Stadium III) mit.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 11.04.2013 und Dr. R. vom 19.12.2013 der Klage weiter entgegen.

In der öffentlichen Sitzung des SG am 24.03.2014 gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis dahin ab, ab 14.07.2009 einen GdB von 50 und ab 13.01.2011 einen GdB von 100 sowie ab 09.08.2013 die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" festzustellen. Dieses Teilanerkenntnis nahm die Klägerin an und verfolgte ihre Klage dahin weiter, den Beklagten zu verurteilen, ab Juni 2012 die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen. Auf die Niederschrift vom 24.03.2014 wird Bezug genommen. In Ausführung des Teil-Anerkenntnisses vom 24.03.2014 stellte das LRA mit Bescheid vom 14.04.2014 bei der Klägerin den GdB mit 50 für die Zeit ab 14.07.2009 bis 12.01.2011 und den GdB mit 100 seit 13.01.2011 sowie das Merkzeichen "G" seit 09.08.2013 fest.

Mit Urteil vom 24.03.2014 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Gehvermögen der Klägerin auf das schwerste eingeschränkt sei. Die bestehende Einschränkung der Gehfähigkeit der Klägerin sei mit der Zuerkennung des Merkzeichens "G" berücksichtigt. Eine das Merkzeichen "aG" rechtfertigende Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße sei nicht festzustellen.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 04.04.2014 zugestellte Urteil richtet sich die von der Klägerin am 29.04.2014 durch ihren Prozessbevollmächtigten eingelegte Berufung. Die Klägerin hat unter Verweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen zur Begründung geltend gemacht, das SG habe sein Urteil auf die Gutachten von Dr. S. und Dr. Z. gestützt und Diskrepanzen zu zahlreichen medizinischen Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte als nicht überzeugend bzw. nicht nachvollziehbar abgetan. Sie sei außer Haus vollständig, d.h. vom ersten Meter an, auf die Hilfe Dritter angewiesen. Sie könne nicht etwa unter kurzem Pausieren anschließend ihren Weg ohne zusätzliche Probleme fortsetzen. Auf dem kurzen Weg (unter 50 m) zwischen Haus und Garage müsse sie 3-4 mal stehen bleiben. Sie sei nicht in der Lage, den Rollstuhl eigenhändig fortzubewegen. Sie könne ohne fremde Hilfe das Haus nicht verlassen. Sie habe im Übrigen die Pflegestufe I erhalten. Ihr Gesundheitszustand habe sich insbesondere wegen Herzbeschwerden und Belastungsatemnot in den vergangenen zwei Jahren verschlechtert. Die versorgungsärztlichen Stellungnahmen entsprächen nicht der Realität. Ein Teil-GdB von mindestens 80 für das Herzleiden sei nicht Voraussetzung für das Merkzeichen "aG". Für die korrekte Bewertung sei eine Gesamtschau erforderlich. Die Klägerin hat Zeugen benannt.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. März 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 14. April 2014 zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "aG" seit Juni 2012 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat zur Begründung ausgeführt, objektive Befunde, die eine Verschlechterung belegen könnten, lägen nicht vor. Die kardiologischen Befunde rechtfertigten - sofern objektiviert - einen Teil-GdB von 50 bis 70. Das Merkzeichen "aG" könne aber erst bei einem Teil-GdB von wenigstens 80 für das Herzleiden zuerkannt werden. Dies sei nicht nachgewiesen. Die übrigen auf orthopädischem Fachgebiet liegenden Leiden seien ebenfalls nicht derart gravierend, dass sie die Zuerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung rechtfertigen könnten. Dies gelte auch im Hinblick auf die Pflegegutachten vom 08.06.2012 und 13.05.2014. Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 18.11.2014 vorgelegt.

Der Senat hat Dr. A. zu Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin (seit September 2013) schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. A. hat in seiner schriftlichen Aussage vom 04.11.2014 mitgeteilt, im erfragten Zeitraum sei zuletzt am 10.01.2014 eine Untersuchung der Klägerin erfolgt. Dr. A. teilte die von ihm am 14.01.2010 erhobenen Befunde und Diagnosen mit. Ob eine Veränderung eingetreten sei, könne nicht beurteilt werden, da keine aktuelle Untersuchung vorliege.

Ausschließlich hat der Senat (von Amts wegen) das internistische Gutachten des Prof. Dr. - K. vom 22.06.2015 mit radiologischem Zusatzgutachten des Dr. H. vom 28.04.2015 eingeholt. Prof. Dr. K. gelangte in seinem Gutachten zu den Ergebnissen, an regelwidrigen körperlichen Zuständen mit sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsbeeinträchtigungen bestünden eine Gonarthrose rechts mit Beugedefizit und Reizerscheinungen, eine Gonarthrose links ohne wesentliche Funktionsbehinderung, eine Arthrose im linken Sprunggelenk ohne wesentliche Funktionsbehinderung, eine Coxarthrose rechts, ein asthmatisches Leiden seit der Kindheit, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der Verdacht auf ein Fatigue-Syndrom. Die Funktionsbeeinträchtigungen bedingten keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Die aktuelle Herzfunktion der Klägerin werde in der durchgeführten Echokardiographie als Normalbefund dokumentiert. Das 12-Kanal-EKG stelle sich unauffällig dar. Radiologisch ergäbe sich keine Hinweise auf eine Lungenstauung oder auf Ergüsse. Zum aktuellen Zeitpunkt bestätigten die durchgeführten Untersuchungen die vorbefundlich beschriebene Herzinsuffizienz NYHA III nicht. Die von der Klägerin beschriebene Luftnot, korreliere nicht mit den erhobenen kardiologischen und internistischen Befunden. Eine fachpulmologische Vorstellung wäre sinnvoll, um asthmatische Beschwerden genau zu definieren und zu behandeln. Letztlich werde der dort erhobene Befund nicht zum Nachweis einer Funktionsbeeinträchtigung führen, die die Gleichstellung mit einer außergewöhnlich gehbehinderten Person rechtfertige.

Die Klägerin hat zum Gutachten des Prof. Dr. K. Stellung genommen (Schriftsatz vom 07.08.2015).

Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 07.08.2015 hat der Senat von der Klägerin benannte Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. G.-B. hat in ihrer schriftlichen Aussage vom 21.09.2015 unter Vorlage medizinischer Unterlagen insbesondere mitgeteilt, die Klägerin könne wegen ihrer schweren Herzinsuffizienz und Dyspnoe sowie wegen der Kniegelenksarthrose und Handgelenksarthrose nicht mehr gehen. Sie könne max. 50 Meter am Rollator gehen. Die Klägerin verlasse ihre Wohnung nur mit Krankentransport, Begleitung und Rollstuhl. Die Frauenärztin Dr. H. hat in ihrer schriftlichen Aussage vom 29.09.2015 insbesondere mitgeteilt, seit der Tumorerkrankung leidet die Klägerin unter deutlichem Lymphödem. Bei Untersuchungen im Jahr 2009 sei beispielsweise wegen Kurzatmigkeit keine vollständige Untersuchung möglich gewesen. Seit 2011 sei die Klägerin auf den Rollator angewiesen. Die Klägerin suche die Praxis in Begleitung auf. Auch im Untersuchungszimmer benötige die Klägerin regelmäßig Hilfe. Das Gehen am Rollator sei sehr schwer. Dass der Klägerin eine Strecke über 10 Meter möglich sei, sei nicht vorstellbar. Dr. A. hat unter dem 18.09.2015 seine schriftliche Aussage vom 04.11.2014 wiederholt.

Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 13.01.2016 weiter entgegengetreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist der Änderungsantrag der Klägerin auf Feststellung einer Behinderung vom 25.04.2014, denn eine anfechtbare Verwaltungsentscheidung des Beklagten zu diesem Änderungsantrag ist nicht ersichtlich.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, ob die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" seit Juni 2012 hat. Soweit die Klägerin außerdem begehrt hat, den GdB neu festzustellen sowie ihr das Merkzeichen "G" zu zuerkennen, hat sich der Rechtsstreit durch das von der Klägerin angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten, dem der Beklagte durch den Bescheid vom 14.04.2014 entsprochen hat, erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Soweit die Klägerin außerdem zunächst die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab der Antragstellung am 08.07.2009 begehrt hat, hat sie dieses Begehren nach dem von ihr in der mündlichen Verhandlung am 24.03.2014 gestellten Antrag ausdrücklich lediglich ab Juni 2012 weiterverfolgt und damit ihre Klage für den Zeitraum vom 08.07.2009 bis 31.05.2012 (konkludent) zurückgenommen. Gegenstand des Rechtsstreits ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG auch der Bescheid des Beklagten vom 14.04.2014, der den Bescheid des Beklagten vom 14.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2010 zu Gunsten der Klägerin abändert. Der Senat hat dementsprechend den Berufungsantrag der Klägerin sinngemäß gefasst.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten in der Fassung des Bescheides vom 14.04.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG" seit Juli 2012 zu. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742). Danach ist das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206, zuletzt in der ab 26.09.2015 geltenden Fassung vom 22.09.2015 (BAnz 2010 Nr. 110a. Nach Art. zu § 46 StVO, Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung insbesondere solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.

Die Klägerin gehört unstreitig nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Die Klägerin kann dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden. Für den Senat steht fest, dass ihre Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und sie sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten.

Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "aG" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 3) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich aG (und G) waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröff. in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 L 6 SB 2556/09, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 L 3 SB 523/12 unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu nach ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.

Ein Betroffener ist danach gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 und Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R-, juris).

Maßgebend ist nur die Beeinträchtigung des Gehvermögens. Gesundheitsstörungen, die das Gehvermögen nicht oder nur peripher einschränken, sind nicht geeignet, eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu begründen. Dies folgt unmittelbar aus den aufgeführten schwerwiegenden Gehbehinderungen der in Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Personen, mit denen eine Gleichstellung zu prüfen ist. Für die vorzunehmende Beurteilung sind folglich nur die Funktionsbeeinträchtigungen von Belang, die sich auf das Gehvermögen selbst auswirken (Urteil des erkennenden Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 -, veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" geschaffen. Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entfaltet jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam (Urteil des Senats vom 22.05.2015, - L 8 SB 70/13 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 31.12.2008 auf die AHP, bis 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab.

Vorliegend führt ein Abstellen auf die AHP bzw. die VG oder die für die Feststellung des Merkzeichens "aG" entwickelten Rechtsprechungskriterien jedoch zu keinen anderem Ergebnis für die Klägerin im streitigen Zeitraum, auch nicht zeitweise. Denn bei Anlegung dieser Maßstäbe kann im gesamten streitigen Zeitraum nicht festgestellt werden, dass das Gehvermögen der Klägerin außergewöhnlich herabgesetzt ist und die Klägerin dem genannten Personenkreis gleichgestellt werden kann.

Allein der Umstand, dass die Klägerin nach ihrem Vorbringen einen Rollstuhl benutzt, rechtfertigt für sich noch nicht die Feststellung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Denn dass die Klägerin ständig auf den Rollstuhl angewiesen ist, ist nicht belegt.

Auch Schwierigkeiten der Klägerin, mit dem Pkw einen geeigneten Parkplatz zu finden, der ihr das Ein- bzw. Aussteigen ermöglicht, rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Senates die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht. Die Notwendigkeit einer weit geöffneten Pkw-Tür beim Ein- bzw. Aussteigen erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer Einschrän - 9a RVs 19/88 -, SozR 3870 § 3 Nr. 3; vgl. auch Senatsurteil vom 21.02.2007 - L 8 SB 763/06 -, nicht veröffentlicht).

Gesundheitsstörungen, die das Gehvermögen der Klägerin außergewöhnlich herabsetzen, können nach den vom SG und vom Senat durchgeführten Ermittlungen sowie den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht festgestellt werden.

Auf orthopädischem Gebiet sind bei der Klägerin keine Gesundheitsbeeinträchtigungen festzustellen, die das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung begründen. Nach dem vom SG eingeholten Gutachten von Dr. S. vom 06.02.2013 bestehen aus orthopädischer Sicht keine nachvollziehbaren schwerwiegenden funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der Bewegungsorgane. Nach den Beschreibungen im Gutachten von Dr. S. besteht bei der Klägerin insbesondere (bei massivem Gegenspannen) eine Streckhemmung des linken Kniegelenkes in der Streckung/Beugung von 20° (0-20-110°). Hierdurch wird das Gehvermögen der Klägerin nach der überzeugenden Bewertung von Dr. S. nur in geringem Ausmaß beeinträchtigt. Arthroskopienarben an beiden Kniegelenken sind völlig reizlos verheilt. Beim Durchbewegen beider Kniegelenke ist nur ein leichtes retropatellares Knorpeln fühlbar. Die Knieseitenbänder links sind stabil, rechts ist lediglich das mediale Seitenband leicht gelockert. Die vorderen Kreuzbänder sind stabil. Meniskuszeichen bestehen nicht. An den übrigen unteren Extremitäten besteht hinsichtlich der Hüftgelenke, der Sprunggelenke und der Zehengelenke eine annähernd freie Beweglichkeit. Eine bedeutsame Einschränkung der Wirbelsäule, insbesondere der Brust-/Lendenwirbelsäule beschreibt Dr. S. in seinem Gutachten nicht. Hinsichtlich der oberen Extremitäten hat eine Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes auf das Gehvermögen der Klägerin keinen Einfluss, wie Dr. S. plausibel und überzeugend ausführt. Nach diesen Befunden ist es nach der überzeugenden Bewertung von Dr. S. nicht nachzuvollziehen, weshalb die Klägerin sowohl auf Gehstützen wie auch Rollator und Rollstuhl angewiesen sein soll. Dr. S. erachtet im Hinblick auf die objektiven medizinischen Befunde es sogar für möglich, dass die Klägerin ortsübliche Gehstrecken, d.h. etwa 2 km in einer halben Stunde, zurücklegen kann. Eine Einschränkung des Gehvermögens in außergewöhnlichem Ausmaß kann danach wegen orthopädischer Funktionsbehinderungen /Beeinträchtigungen der Bewegungsorgane bei der Klägerin nicht festgestellt werden.

Den von der Klägerin gegen das Gutachten des Dr. S. erhobenen Einwendungen (Schriftsatz vom 03.04.2013) kann nicht gefolgt werden. Bestehende degenerative Veränderungen (z.B. Knorpelschaden im femuralen Gleitlager bzw. der Kniescheibe, Verschmälerungen des medialen Gelenksspaltes im rechten Kniegelenk) lassen keinen verlässlichen Rückschluss auf damit einhergehende Funktionsbehinderungen zu, die nach dem im Gutachten von Dr. S. beschriebenen Befund tatsächlich nur leichtgradig ausgeprägt sind. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für den Senat im Hinblick auf die von Dr. S. in seinem Gutachten dargestellten Befunde nachvollziehbar (und nicht rätselhaft), dass bei der Klägerin keine schwerwiegenden funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich der Bewegungsorgane bestehen. Zudem setzt die Klägerin lediglich ihre eigene subjektive Betrachtungsweise gegen die gutachterlichen Bewertungen des Dr. S., die durch objektive medizinische Befunde nicht gestützt wird, und nicht geeignet ist, die gutachtlichen Bewertungen von Dr. S. in Zweifel zu ziehen.

Auch auf internistischem Gebiet sind bei der Klägerin keine Gesundheitsbeeinträchtigungen festzustellen, die das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung begründen. Nach dem von Dr. G.-B. ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 28.08.2012 beigefügten Entlassungsbrief der Tropenklinik P.-L.-Krankenhaus vom 15.03.2012 wurde bei der Klägerin im Hinblick auf eine von ihr subjektiv sehr einschneidend empfundene belastungsabhängige Atemnot bei einer transthorakalen Echokardiographie am 07.03.2012 lediglich eine leichtgradig eingeschränkte systolisch linksventrikuläre Globalfunk- EF - 42 %), bei normaler Größe der Herzhöhlen. Klappenvitien und ein Hinweis für eine pulmonale Hypertonie ergab sich nicht. Das Ruhe-EKG zeigte einen unauffälligen Stromkurvenverlauf. Nach dem Entlassungsbrief spricht ein normaler BNP-Wert gegen eine ausgeprägte Herzinsuffizienz. Eine Prüfung der Lungenfunktion am 08.03.2012 ergab keinen erhöhten Atemwegswiderstand, keine obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung. In der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. A vom 09.09.2013 (an das SG) bestätigt Dr. A. eine reduzierte linksventrikuläre Funktion des Herzens (EF 40 %) mit diastolischer Dysfunktion Grad I sowie eine geringe Trikuspidalklappeninsuffizienz ohne PAH. Eine bedeutsame Organschädigung des Herzens beschreibt Dr. A ... nicht. In der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. A ... vom 04.11.2014 (an den Senat) wird eine verbesserte leichtgradig reduzierte systolische Funktion (EF 50 %) bei weiterhin bestehender diastolischer Dysfunktion Grad I sowie geringer Trikuspidalklappeninsuffizienz ohne PAH bei sonst unverändertem herzorganischen Befund beschrieben. Diese dargestellten Befunde rechtfertigen die Feststellung einer leichten Herzinsuffizienz mit einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit - vgl. VG Teil B 9.1.1), machen aber das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung der Klägerin nach den objektiven medizinischen Befunden nicht plausibel, worauf Dr. B. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.10.2012 sowie Dr. R. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.12.2013, die der Senat als sachverständiges Parteivorbringen verwertet, überzeugend (zu den Voraussetzungen des Merkzeichens "G") hinweisen. Auch nach dem vom Senat eingeholten Gutachten des Prof. Dr. K. vom 22.06.2015 sind bei der Klägerin keine internistischen Erkrankungen festzustellen, insbesondere eine Herzleistungsschwäche oder eine Einschränkung der Atmung / Lungenfunktion, die eine Gleichstellung der Klägerin mit dem genannten Personenkreis rechtfertigen. Nach den nachvollziehbaren und den Senat überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. K. dokumentiert die bei der Begutachtung der Klägerin durchgeführte transthorakalen Echokardiographie einen Normalbefund (EF 60 % im Normbereich), ohne Ergüsse bei normaler Herzfunktion. Insbesondere bestanden keine Hypertrophie, keine regionale Wandbewegungsstörungen, keine Narben, keine Mitralklappeninsuffizienz, keine Aortenklappeninsuffizienz oder Aortenklappenstenose bei auch sonst unauffälligen Herzklappen, keine pulmonale Hypertonie, kein Pleura- oder Perikarderguss sowie eine normale Weite der Aorta thoracalis ascendens. Das Herz stellt sich als normal groß dar. Das abgeleitete 12-Kanal-EKG ergab einen unauffälligen Befund. Lediglich das pro BNP mit 266 pg/ml als Herzinsuffizienzparameter zeigte sich leicht erhöht. Beinödeme beidseits hat Prof. Dr. K. nicht feststellen können. Eine vorbefundlich beschriebene Herzinsuffizienz NYHA III hat Prof. Dr. K. - zum aktuellen Zeitpunkt - nicht bestätigt, da die von der Klägerin beschriebene Luftnot, welche laut Definition einer Herzinsuffizienz NYHA III entsprechen müsste, nicht mit den erhobenen kardiologischen und internistischen Befunden korreliert. Zwar zeigte eine Spirometrie am 22.04.2015 nach den Beschreibungen von Prof. Dr. K. in seinem Gutachten nach der Beurteilung durch Dr. W., Facharzt für Innere Medizin und Pulmologie des Klinikums B. U., hinsichtlich der Lungen eine Einschränkung der VC (59 % Soll) bei normalem Lungenvolumen (TLC 97 % Soll) und stark erhöhten Residualvolumen (RV 62 Prozent der TLC) ohne Obstruktion, wofür nach den Ausführungen von PD Dr. K. als Gründe ein Pneumothorax, ein Thoraxmagen bzw. ein Lungenemphysem, ohne dass sich allerdings in der durchgeführten Röntgenuntersuchung hierfür Hinweise ergaben, oder auch Complianceprobleme bei der Durchführung der Untersuchung in Frage kommen. Formal ergab sich jedoch keine Obstruktion. Eine die Gehfähigkeit der Klägerin außergewöhnlich limitierende Leistungsminderung auf pulmonalem Gebiet lässt sich nach den Ausführungen von Prof. Dr. K. in seinem Gutachten durch den Lungenbefund nicht ableiten. Bei einem fehlenden Hinweis auf eine Obstruktion erklärt sich nach der gutachtlichen Bewertung von Prof. Dr. K. die von der Klägerin beschriebene Luftnot nicht durch eine pulmonale Spastik. Nach der nachvollziehbaren und den Senat überzeugenden Bewertung von Prof. Dr. K. liegt bei der Klägerin damit auf internistischem Gebiet keine außergewöhnliche Gehbehinderung in dem Sinne vor, dass sich die Klägerin wegen der Schwere des Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (praktisch von den ersten Schritten an) außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen kann, und deshalb mit dem genannten Personenkreis außergewöhnlich Gehbehinderter gleichzustellen ist. Dieser Bewertung schließt sich der Senat an.

Den von der Klägerin gegen das Gutachten des Prof. Dr. K. erhobenen Einwendungen (insbesondere Schriftsatz vom 07.08.2015) kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin setzt im Wesentlichen lediglich ihre eigene subjektive Betrachtungsweise gegen die gutachterlichen Bewertungen des Prof. Dr. K., die, wie ausgeführt, durch objektive medizinische Befunde nicht gestützt wird, und sind deshalb nicht geeignet, die gutachtlichen Bewertungen von Prof. Dr. K. in Zweifel zu ziehen.

Auch eine nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von PD Dr. Z. vom 02.04.2012 durch die Tumorerkrankung bedingte verminderte Belastbarkeit der Klägerin (Muskelschwäche) belegt keine außergewöhnliche Gehbehinderung der Klägerin. Nach den Aussagen des PD Dr. Z. ist die Klägerin zwar aufgrund degenerativer Veränderungen der Kniegelenke und am rechten Sprunggelenk sowie einer ausgeprägten Muskelschwäche - vermutlich im Zusammenhang mit einem Tumor-Fatiguesyndrom - auf die Benutzung eines Rollators angewiesen. Unter Benutzung eines Rollators war die Klägerin zuletzt im Rahmen einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme der Reha-Klinik Schloss S. nach den Angaben von PD Dr. Z. in der Lage, Wegstrecken von 400 bis max. 600 m zurückzulegen. Bei dieser Geh fähigkeit der Klägerin lässt sich eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht feststellen.

Auch den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen (insbesondere soweit sie sich auf den vorliegend streitigen Zeitraum seit Juni 2012 beziehen) lassen sich keine Gesundheitsstörungen der Klägerin entnehmen, die einer außergewöhnlichen Gehbehinderung begründen. Nach dem von Prof. Dr. K. im Gutachten vom 26.06.2015 beschriebenen orthopädischen Befund hat sich zwar im Vergleich zu den Beschreibungen im Gutachten von Dr. S. die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks in der Beugung verschlechtert (5-85-0°), die den VG Teil B 18.14 noch als geringgradige Bewegungseinschränkung zu werten ist, bei nunmehr freier Beweglichkeit des linken Kniegelenkes und weiterhin der Sprunggelenke. Auch diese Befundbeschreibung rechtfertigt nicht die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung der Klägerin. Allein der Umstand, dass bei der Klägerin nach den Ausführungen von Prof. Dr. K. im Gutachten eine Fahrradergometrie aufgrund der Knieproblematik nicht möglich gewesen sei, lässt noch keinen verlässlichen Schluss auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung zu. Gesichtspunkte, die eine der Klägerin günstigere Bewertung rechtfertigen, lassen sich auch den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht entnehmen. Insbesondere im Bericht des Universitätsklinikums T. vom 13.08.2015 wird die körperliche Untersuchung cardial und pulmonal als unauffällig beschrieben. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) der Klägerin konnte ausgeschlossen werden, eine Behandlungsindikation wurde nicht gesehen. Auch den aktenkundigen Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des MDK vom 13.05.2014 und 08.06.2012 lassen sich keine objektiv medizinische Befunde entnehmen, die entgegen dem oben Ausgeführten das tatsächliche Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung der Klägerin belegen. Dies gilt auch für die Aussagen der vom SG und vom Senat schriftlich als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, insbesondere Dr. G.-B. vom 28.08.2012 und 21.09.2015 und Dr. H. vom 29.09.2015, sowie die sonstigen medizinischen Befundunterlagen.

Nach alledem kann in der Gesamtschau der bei der Klägerin bestehenden Leistungsbeeinträchtigungen, die sich auf ihre Gehfähigkeit auswirken, nicht festgestellt werden, dass die Klägerin mit dem genannten Personenkreis der außergewöhnlich gehbehinderten gleichzustellen ist. Das im Verlaufe des Rechtsstreites getätigte ausführliche Vorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Bewertung. Die von ihr beschriebenen erheblichen Einschränkungen ihres Gehvermögens findet in der objektiven medizinischen Befundlage kein Korrelat, weshalb ihr Vorbringen nicht geeignet ist, eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu belegen.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom SG sowie vom Senat durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der festgestellte medizinisch Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG". Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, sind nicht gegeben. Das konkrete Ausmaß des aktuellen Gelenkverschleißes ist für die Beurteilung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht ausschlaggebend, sondern die damit verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen, die durch die durchgeführten Ermittlungen für den Senat hinreichend geklärt sind, weshalb es hierzu keiner weiteren Ermittlungen bedarf. Entsprechendes gilt, soweit Prof. Dr. K. in seinem Gutachten eine fachpulmologische Vorstellung zur Definierung asthmatischer Beschwerden und deren Behandlung für sinnvoll erachtet hat. Nach der für den Senat nachvollziehbaren Bewertung von Prof. Dr. K., die auf keine Obstruktion der Atemwege ergebende Spirometrien vom 22.05.2015 und 08.03.2012 gestützt ist, führt eine solche Vorstellung nicht zum Nachweis einer Funktionsbeeinträchtigung, die die Gleichstellung der Klägerin mit genannten Personenkreis außergewöhnlich Gehbehinderter rechtfertigt. Der Senat sieht sich deshalb nicht gedrängt, den Sachverhalt wegen asthmatischer Beschwerden der Klägerin von Amts wegen weiter zu ermitteln, denn Nachforschungen "ins Blaue hinein" sind durch die Amtsermittlungspflicht nicht geboten (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2003 - B 13 RJ 39/02 R, SozR 4-1300 § 31 Nr. 1; BSG Urteil vom 05.04. 2001, SozR 3-2600 § 43 Nr. 25; BSG, Urteil vom 07.05.1998 - B 11 AL 81/97 R -, juris). Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, die von der Klägerin im Berufungsverfahren benannten Zeugen (Schriftsatz vom 21.08.2014) insbesondere dazu zu hören, dass die Klägerin außer Haus vollständig auf Hilfe Dritter angewiesen ist. Dass die Klägerin ständig auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen ist, und deshalb der Hilfe Dritter bedarf, kann nach dem objektiv medizinischen Befund zur Überzeugung des Senates nicht festgestellt werden. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass die benannten Zeugen über (besondere) medizinische Sachkenntnisse verfügen, die über die durchgeführten Ermittlungen hinaus weitere entscheidungserhebliche Erkenntnisse vermitteln könnten. Darauf, dass die Klägerin nur mit fremder Hilfe das Haus zu verlassen kann, weil sie u.a. den Rollstuhl eigenen Angaben zufolge nicht selbst bewegen kann, kommt es für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht entscheidend an. Dass sie wegen körperlichen Beeinträchtigungen rollstuhlpflichtig ist, ist nicht nachgewiesen. Daher könnte selbst dann, wenn die benannten Zeugen das Vorbringen der Klägerin zur Beeinträchtigung ihres Gehvermögens bestätigten, mangels Vorliegens objektiv medizinischer Befunde, die eine außergewöhnliche Gehbehinderung plausibel machen, die Feststellung einer - nicht nur peripher bestehenden - außergewöhnlichen Gehbehinderung bei der Klägerin nicht erfolgen. Eine etwa in Betracht kommende psychogene Gehstörung bei organisch nicht beeinträchtigter Gehfähigkeit erfüllt die Voraussetzungen des Merkzeichen "aG" nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. stellvertretend Senatsurteil vom 24.01.2014 - L 8 SB 2723/13 -, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de; vgl. auch BSG Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R - RNrn. 12, 19, 21, juris).

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved