L 16 RJ 84/97

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 23 RJ 1078/95
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RJ 84/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 1997 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1995 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit seit 1. Mai 1994 zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren zu zwei Dritteln. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch, ob der Klägerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.

Die im Juni 1943 geborene Klägerin erlernte nach ihren Angaben vom 1. September 1958 bis zum 31. August 1961 bei der Kosumgenossenschaft S/Brandenburg den Beruf einer Fachverkäuferin für Industriewaren. Bei diesem Betrieb war sie weiter bis zum 15. März 1966 tätig, wobei sie nach ihren Angaben eine betriebsinterne Fortbildung zur Handelskauffrau absolvierte und ab 13. August 1962 auch als „ausbildende Verkäuferin“ im Rahmen der Lehrlingsausbildung sowie als Verkaufsstellenleiterin eingesetzt war. Vom 1. April 1966 an war sie im Gartenbaubetrieb ihres Schwiegervaters in B tätig. Im Mai 1977 wurde der Betrieb von ihrem Ehemann übernommen und sie war weiterhin dort beschäftigt. Ab dem 21. Oktober 1993 war die Klägerin arbeitsunfähig krank und bezog Krankengeld bis zum 21. April 1995. Danach stand sie ab Mai 1995 im Leistungsbezug des Arbeitsamtes.

Während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit wurde die Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) - Chirurg W - untersucht. Dieser Arzt stellte folgende Diagnosen:
MCP-Arthrose, links mehr als rechts, mit Osteochondritiskomponente im linken MCP-Gelenk Dig. I, letztlich altersentsprechende Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule.
Praearthrotische Deformität in beiden Hüften mit Hüftbelastungsschmerz links, Trapeziusverspannung beidseits bei uneingeschränkter Halswirbelsäulen-Beweglichkeit. Belastungsbeschwerden im Schultergelenk nach früher radiologisch dokumentierter PAS calcaria.

Er gelangte zu der Einschätzung, die Klägerin sei in dem Beruf der Gärtnerin auf Dauer arbeitsunfähig. Daraufhin wurde eine Entscheidung der Beklagten über Rehabilitationsmaßnahmen veranlasst (vgl. § 51 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung ( SGB V)). Zudem hatte die Klägerin am 31. Mai 1994 einen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation gestellt. Dazu wurden das Gutachten des Chirurgen W und ein Befundbericht der behandelnden Allgemeinmedizinerin Dr. Sch vom 14. Mai 1994 von der Ärztin L im Auftrag der Beklagten ausgewertet. Sie beurteilte das Leistungsvermögen der Klägerin als Verkäuferin oder Gärtnerin als allenfalls noch halbschichtig. Rehabilitationsmaßnahmen seien indes nicht angezeigt, da keine Besserungsaussicht bestehe. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 30. Dezember 1994 die Gewährung berufsfördernder Leistungen ab.

Im Januar 1995 stellte die Klägerin unter Bezugnahme auf ihre Wirbelsäulenbeschwerden den Rentenantrag. Daraufhin wurden die vorliegenden medizinischen Unterlagen nochmals von der Internistin Dr. G ausgewertet, die zu dem Ergebnis gelangte, die Leistungsbeurteilung der Ärztin L sei weiterhin zutreffend, da Änderungen des Gesundheitszustandes nicht eingetreten seien.

Mit Bescheid vom 5. Mai 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder einer Invalidenrente ab. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes, die ihr sozial zumutbar seien, vollschichtig verrichten.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Beklagte gehe von falschen Voraussetzungen aus; sie sei nicht mehr belastbar. Mit Bescheid vom 4.Juli 1995 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe sich von ihrem Lehrberuf als Verkäuferin gelöst und sei in Ansehung ihrer letzten Tätigkeit auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar. Insoweit könne sie nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen vollschichtig berufstätig sein.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie müsse wie eine Gärtnerin eingestuft werden. Diese Tätigkeit könne sie nach der Einschätzung der zuständigen Krankenkasse und der Beklagten nicht mehr leisten.

Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte des behandelnden Arztes für Orthopädie und Chirotherapie We vom 20. November 1995, von Dr. Sch vom 25. November 1995 und von der Fachärztin für Physiotherapie und Sportmedizin Dr. K vom 8. Februar 1996 eingeholt. Ferner hat es ein im Auftrag des Arbeitsamtes erstattetes Gutachten (Internistin Dr. Ku) vom 20. Dezember 1995 beigezogen, in dem als Ergebnis festgehalten wird, die Klägerin könne noch leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten mit weiteren Einschränkungen bezüglich Zwangshaltungen, Klimaexpositionen, Arbeit auf Leitern und Gerüsten vollschichtig verrichten. Das SG hat dann den Arzt F mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 7. Oktober 1996 folgende Leiden festgestellt:

Fehlstellung der Wirbelsäule und Verschleißerscheinungen mit Betonung der Brustwirbelsäule;
beginnende Coxarthrose und Gonarthrose beiderseits;
Fuss- und Zehenfehlform, Großzehengrundgelenksarthrose;
Periathritis humero-scapularis calcarea rechts;
Bluthochdruck;
Adipositas.

Er hat zur Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin ausgeführt, sie könne täglich regelmäßig noch leichte körperliche Arbeiten überwiegend in geschlossenen Räumen unter Vermeidung von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft, überwiegend im Sitzen verrichten, wobei ein gelegentlicher Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen möglich sein sollte und eine einseitige Belastung durch ständiges Gehen und Stehen vermieden werden solle.

Die Klägerin hat danach ein Privatgutachten des Facharztes für Orthopädie Dipl. Med. M vom 23. Februar 1997 und Atteste von Dr. Sch vom 18. Mai und 23. Juni 1997 beigebracht. Dazu ist eine Stellungnahme des Arztes F vom 28. Juli 1997 eingeholt worden, in der dieser am Ergebnis seines Gutachtens festgehalten hat.

Mit Urteil vom 30. Juli 1997 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen nicht erwerbsunfähig oder invalide. Auch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit stehe ihr nicht zu. Selbst wenn man davon ausginge, dass sie Berufsschutz als Gärtnerin und damit als Facharbeiterin genieße, sei sie jedenfalls noch als Verkaufssachbearbeiterin oder Büroangestellte einsetzbar. Die Zumutbarkeit dieser Tätigkeiten ergebe sich daraus, dass sie beispielsweise im Bereich des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) nach der Vergütungsgruppe VII bzw. VIII vergütet würden.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin nach Rücknahme ihrer weitergehenden Klage nunmehr nur noch den Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit weiter. Sie ist der Auffassung, sie genieße den Berufsschutz einer Facharbeiterin, könne entsprechende Tätigkeiten nicht mehr ausüben und zumutbare Verweisungstätigkeiten seien nicht benannt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts vom 30. Juli 1997 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 5. Mai 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1995 zu verurteilen, ihr Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Mai 1994 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Auffassung vertreten, die Klägerin könne zwar ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, sei aber zumutbar auf eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle verweisbar. Zu dieser Tätigkeit reicht die Beklagte eine Auskunft des Arbeitsamtes II B vom 29. März 1996 ein.

Der Senat hat nochmals Befundberichte von Dr. Sch vom 8. Februar 1998 und vom 10. November 1998 eingeholt. Danach ist der Chirurg Dr. B mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Dieser Arzt kommt in seinem Gutachten vom 21. Juli 1999 im Wesentlichen zu dem Ergebnis, die Feststellungen des Arztes F seien weiterhin gültig.

Die Klägerin ist in zwei Erörterungsterminen zu ihrer Berufstätigkeit angehört worden. Außerdem ist von dem Garten- und Landschaftsarchitekten Dr. N als Sachverständigen nach Anhörung der Klägerin mündlich ein Gutachten zu der Frage erstattet worden, ob die Klägerin über die Kenntnisse und Fertigkeiten einer gelernten Gärtnerin verfügt. Auf die Sitzungsniederschriften vom 7. September 1998 und 8. Mai 2000 wird Bezug genommen. Ferner ist beim Landesverwaltungsamt Berlin zur Tätigkeit eines „Mitarbeiters in der Poststelle“ eine Auskunft eingeholt worden; auf die Auskunft vom 25. September 2000 wird Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 1. Mai 1994.

Der von der Klägerin erhobene Anspruch bestimmt sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert), weil die Klägerin den maßgebenden Antrag im Mai 1994 gestellt hat und Rente wegen Berufsunfähigkeit (auch) für Zeiträume vor dem 31. Dezember 2000 geltend macht.

Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie
1. berufsunfähig sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die Klägerin erfüllt die Wartezeit für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI), da sie mehr als fünf Jahre (60 Kalendermonate) Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt hat (§§ 50 Abs. 1 Nr. 2, 51 Abs. 1, 55 Abs. 1, 248 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind ausweislich des von der Beklagten festgestellten Versicherungsverlaufs (Bescheid vom 16. Mai 1995) erfüllt, ohne dass dies vorliegend nach § 240 Abs. 2 SGB VI erforderlich wäre. Denn auch die Voraussetzungen dieser Bestimmung - Wartezeiterfüllung vor dem 1. Januar 1984 und fortlaufende Beitragsentrichtung bzw. durchgängig vorliegende Ersatztatbestände -, sind nach § 240 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 6 SGB VI gegeben.

Die Klägerin ist auch jedenfalls seit April 1994 berufsunfähig. Dies führt gemäß §§ 99 Abs. 1, 116 Abs. 2 SGB VI zu einem Rentenbeginn am 1. Mai 1994, da die Klägerin im Mai 1994 (vgl. dazu die Sitzungsniederschrift vom 31. Mai 2001) einen erfolglos gebliebenen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation gestellt hatte.

Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, da die Klägerin mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen ihren bisherigen Beruf - den Beruf der Gärtnerin, denn als solche war sie im Geschäft des Ehemannes zuletzt von 1966 bis 1995, und damit nicht nur vorübergehend, versicherungspflichtig beschäftigt - nicht mehr ausüben kann und eine zumutbare Verweisungstätigkeit nicht zu ersehen ist.

Zur Beurteilung des körperlichen Leistungsvermögens sind im Gerichtsverfahren zwei Gutachten, und zwar von dem Arzt F vom 7. Oktober 1996 und von dem Chirurgen Dr. B vom 21. Juli 1999, eingeholt worden. Dr. B hat im Wesentlichen die bereits vom Arzt F festgestellten Leiden bestätigt; ein Unterschied ergibt sich insoweit, als er eine Coxarthrose und eine Gonarthrose von leistungsmindernder Relevanz nicht feststellen konnte. Beide Gutachter sehen unter Auswertung ihrer jeweiligen fachkundigen und umfassend dokumentierten Untersuchungen annähernd die gleichen Leistungseinschränkungen begründet. Danach kann die Klägerin nur noch körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten (Dr. B) bzw. überwiegend im Sitzen mit der Gelegenheit zum Wechsel der Haltungsarten (Arzt F) ohne einseitige Belastung und nicht auf Leitern und Gerüsten, in geschlossenen (Dr. B) bzw. überwiegend in geschlossenen Räumen (Arzt F) ohne Klimaexpositionen und ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten verrichten. Diese Feststellungen sind überzeugend, da sie von erfahrenen Gutachtern getroffen wurden; sie beruhen auf von den Gutachtern selbst durch Untersuchung der Klägerin gewonnenen Erkenntnissen, aus denen die angegebenen Leistungseinschränkungen nachvollziehbar abgeleitet werden, wobei die Leistungsbeschränkungen ersichtlich den zuvor beschriebenen Funktionsdefiziten entsprechen.

Die Leistungsbeurteilung der Gerichtsgutachter entspricht der Einschätzung, die die Ärztin L im Juni 1994 abgegeben hatte (leichte Arbeit im Wechsel der Haltungsarten ohne Zwangshaltungen). Diese zeitnahe Beurteilung, die auf dem MDK-Gutachten des Chirurgen W vom 18. April 1994 beruhte, sowie die Feststellungen der Gerichtsgutachter, dass Änderungen im Gesundheitszustand der Klägerin nicht eingetreten seien (jeweils Antwort zu Beweisfrage 5), begründen zuverlässig die Feststellung, dass die beschriebenen Leistungsminderungen bereits vor Mai 1994 vorgelegen und sich seither nicht wesentlich verändert haben.

Das der Klägerin danach verbliebene Restleistungsvermögen reicht zur Ausübung des Gärtnerberufes nicht mehr aus. Dies gilt bereits deshalb, weil im Bereich des Gartenbaus nicht allein leichte Arbeiten anfallen. Zudem gehören Arbeiten im Freien bzw. unter Gefährdung durch Kälte, Nässe und das Erfordernis, Zwangshaltungen wie Knien, Hocken und Bücken einzunehmen, geradezu zum Berufsbild. Diese Anforderungen sind allgemeinkundig und zudem im Rahmen der Fragestellungen und Ausführungen von Dr. N nochmals deutlich geworden.

Dementsprechend haben auch alle im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren beteiligten Mediziner eine Arbeit als Gärtnerin aus Krankheitsgründen nicht mehr für möglich gehalten.

Das krankheitsbedingte Unvermögen, den bisherigen Beruf weiter auszuführen, begründet die Berufsunfähigkeit der Klägerin. Denn ihr ist von der Beklagten auch keine andere Tätigkeit benannt worden, die ihr sozial zumutbar ist und die sie sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag. Auch für das Gericht ist eine derartige Tätigkeit nicht ersichtlich.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe eines Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hochqualifizierten Facharbeiters , des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61 m.w.Nachw.). Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Ausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr die Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn.2, 33). Die Wertigkeit des bisherigen Berufes bestimmt die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit in der Weise, dass ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf nur auf die nächst niedrigere Stufe verwiesen werden darf (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 107, 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 3).

Die Klägerin ist aufgrund ihres bisherigen Berufes als Gärtnerin Facharbeiterin im Sinne des Mehr-Stufen-Schemas. Diese Bewertung ist zwischen den Beteiligten auch nicht mehr streitig. Zwar verfügt sie nicht über den entsprechenden berufsqualifizierenden Abschluss, der nach einer Regelausbildung von 36 Monaten erreicht werden kann (Verordnung Berufsausbildung Gartenbau vom 26. Juni 1972, BGBl. I S. 1027 in der Fassung der Änderungsverordnungen vom 20. Juli 1979, 22. März 1985 und 28. Februar 1991), sie ist aber im Wege der Gleichstellung der Facharbeitergruppe zuzuordnen, da sie den Beruf der Gärtnerin langjährig vollwertig ausgeübt hat und damit eine berufliche Position erlangt hat, die in voller Breite der einer regulär ausgebildeten (Zierpflanzen)-Gärtnerin entspricht. Dass die Klägerin über die praktischen Fertigkeiten und theoretischen Kenntnisse einer gelernten Facharbeiterin verfügt, hat der als Sachverständiger gehörte Garten- und Landschaftsarchitekt Dr. N nach ausführlicher Vernehmung der Klägerin bestätigt. Diese Bewertung des bisherigen Berufes der Klägerin ist überzeugend, da der Sachverständige seine Beurteilung nach einer sachgerechten Befragung der Klägerin im Erörterungstermin vom 8. Mai 2000 und unter Einbeziehung ihres beruflichen Werdeganges und ihrer Aufgabenstellung im Betrieb abgegeben hat. Dabei bestehen keine Zweifel an der Vertrautheit des Sachverständigen mit den Verhältnissen des einschlägigen Arbeitsmarktes.

Da danach die Verweisbarkeit der Klägerin auf Anlerntätigkeiten, das heißt solche Tätigkeiten, die eine echte betriebliche Ausbildung von mindestens drei Monaten Dauer erfordern (z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17) oder die solchen Tätigkeiten tariflich gleichgestellt sind (BSG a.a.0.; BSG, Urteil vom 27. November 1991 - 5 RJ 91/89 unveröffentlicht), beschränkt ist, scheidet die von der Beklagten benannte Tätigkeit als Mitarbeiterin einer Poststelle als Verweisungsberuf aus. Da für diese Tätigkeit in den einschlägigen Tarifverträgen konkrete Ausbildungsvoraussetzungen nicht bestimmt sind, könnte sie nur unter dem Gesichtspunkt der tariflichen Gleichstellung mit Anlerntätigkeiten sozial zumutbar sein. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des BSG die Verweisung auf Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VIII der Anlage 1a zum Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) zulässig, nicht aber auf Tätigkeiten, die der Vergütungsgruppe IXb Anlage 1 BAT zuzuordnen sind (BSG SozR 3-2200 §1246 Nr. 17; BSG, Urteil vom 27. November 1991 - 5 RJ 91/89 unveröffentlicht), wobei ein Bewährungsaufstieg außer Betracht bleibt, da er den qualitativen Wert einer Tätigkeit nicht verändert (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61; BSG, Urteil vom 28. November 1980 - 5 RJ 98/80 unveröffentlicht). Die Arbeit in Poststellen ist den Vergütungsgruppen X und IXb Anhang 1 BAT zugeordnet, wobei eine Vergütung nach der Gruppe IXb im Rahmen eines Bewährungsaufstiegs nach zwei Beschäftigungsjahren erreicht werden kann. Dies bestätigt auch die vom Senat eingeholte Auskunft des Landesverwaltungsamtes Berlin. Soweit auch die Arbeit auf Poststellen der Vergütungsgruppe VIII Anlage 1 BAT zugeordnet sein kann (ausdrücklich genannt sind nur Angestellte im Büro-, Registratur-, Kassen-, Buchhalterei-, Sparkassen-, sonstiger Innen- und Außendienst), handelt es sich um hervorgehobene Tätigkeiten. Die Tätigkeitsbeschreibung nennt insoweit exemplarisch „Führung von Brieftagebüchern schwierigerer Art“ (Gliederungspunkt 1 a der Vergütungsgruppe VIII Anlage 1 BAT). Bezüglich einer so einzugruppierenden Tätigkeit steht - vorbehaltlich der Frage, ob es sich überhaupt um eine „Einstellungsvergütungsgruppe“ für Postmitarbeiter handelt - einer Verweisbarkeit der Klägerin entgegen, dass Tätigkeiten dieser Vergütungsgruppe, wie sich aus der von der Beklagten selbst vorgelegten Auskunft des Arbeitsamtes II Berlin ergibt, nicht nach einer Zeit der Einweisung und Einarbeitung bis zu drei Monaten vollwertig ausgeübt werden können (zu diesem Erfordernis vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 61; BSG, Urteil vom 27. November 1991 - 5 RJ 90/89 und vom 9. September 1982 - 5 b RJ 76/81 jeweils nicht amtlich veröffentlicht); nach der in Bezug genommenen Auskunft sind dazu vielmehr vier bis sechs Monate erforderlich.

Weitere Ermittlungsnotwendigkeiten bestanden insoweit nicht, da es sich um die Auskunft einer sachkundigen und neutralen Stelle handelt, wobei zudem eine kürzere Einarbeitungsnotwendigkeit in Ansehung des tariflichen Zusammenhangs fernliegend erscheint. Wenn nach der „Hierarchie“ der Poststellenarbeiten bereits der Aufstieg von der Vergütungsgruppe X Anlage 1 BAT zur Vergütungsgruppe IXb Anlage 1 BAT im Sinne eines Bewährungsaufstiegs in Fristen von nicht weniger als zwei Jahren erfolgt, spricht nichts für die Annahme, Tätigkeiten der Vergütungsgruppe VIII könnten allgemein bereits nach bis zu drei Monaten Einarbeitung verrichtet werden. Die Klägerin verfügt für Arbeiten, die in Poststellen anfallen, nicht über besondere Vorkenntnisse, die Anlass zu der Prüfung gäben, ob bezogen auf ihre Person eine Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten für den sozial zumutbaren Tätigkeitsbereich (Vergütungsgruppe VIII Anlage 1 a BAT) ausreichen könnte. Die in der DDR erlernte und ausgeübte Tätigkeit als Verkäuferin bietet keinen entsprechenden Anhaltspunkt, da sie keinen spezifischen Bezug zur Postbearbeitung aufweist und auch keine Kenntnisse von Behördenstrukturen und Verwaltungsabläufen vermittelt, die im Postwesen des Öffentlichen Dienstes von Bedeutung sind.

Nach den vorliegenden Auskünften steht der Verweisbarkeit der Klägerin überdies entgegen, dass es sich bei der Arbeit auf Poststellen nicht ausschließlich um leichte Arbeit handelt. Nach der Auskunft des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 25. September 2000 müssen teilweise Lasten bis zu 30 kg bewältigt werden, wobei aus dieser Auskunft zumindest nicht deutlich wird, dass diese Anforderungen nicht auch im „reinen“ Postdienst, sondern nur im Rahmen der Botentätigkeit anfielen, die ebenfalls Gegenstand dieser Auskunft ist. In der Auskunft des Arbeitsamtes II Berlin vom 29. März 1996 wird zu den körperlichen Anforderungen nicht ausdrücklich Stellung genommen. Auch unter Einbeziehung der damaligen Anfrage wird keine konkrete Aussage zur Schwere der Arbeit getroffen, vielmehr wird eine Tätigkeit als „Postsortierer“ für einen bestimmten Versicherten für „denkbar“ gehalten. Soweit von den Sitzungsvertretern der Beklagten Tätigkeiten - etwa die einer Verkäuferin in Gartencentern - mit Bezug zum Gartenbau als mögliche Verweisungstätigkeiten angesprochen worden sind, bestand kein Anlass zu vertiefter Erörterung oder weiteren Ermittlungen, da nicht ersichtlich ist, dass das körperliche Anforderungsprofil solcher Berufe entscheidend hinter dem des bisherigen Berufes der Klägerin zurückbleibt, insbesondere nicht zumindest mittelschweres Heben sowie überwiegende Arbeit im Gehen oder Stehen erfordern könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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