L 8 AL 192/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 34 AL 1912/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 192/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 1/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.04.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld einschließlich hierauf entfallender Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 128 Arbeitsförderungsgesetz für den ehemaligen Arbeitnehmer A. W. streitig.

Der 1940 geborene A. W. meldete sich am 27.03.1997 mit Wirkung zum 01.04.1997 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Nach der Arbeitsbescheinigung der Klägerin war Herr W. dort vom 01.03.1979 bis 31.03.1997 als Expedient beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis endete durch Auflösungsvertrag vom 18.09.1996 zum 31.03.1997. Die ordentliche Kündigungsfrist betrugt sechs Monate zum Vierteljahresende. Die Arbeitsbescheinigung enthielt den Vermerk, dass ohne Abschluss des Aufhebungsvertrages zum gleichen Zeitpunkt eine betriebsbedingte Kündigung erfolgt wäre. Nach dem Aufhebungsvertrag vom 18.09.1996 erhielt Herr W. eine Abfindung in Höhe von DM 114.300,- gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz und § 3 Ziff.9 Einkommensteuergesetz. Auf dem Fragebogen zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung bzw. des abgeschlossenen Aufhebungsvertrages gab die Klägerin an, das Beschäftigungsverhältnis des Herrn W. wäre durch arbeitgeberseitige Kündigung zum gleichen Zeitpunkt wie durch den Aufhebungsvertrag beendet worden. Eine Kündigung zu diesem Zeitpunkt wäre auch arbeitsrechtlich zulässig und rechtmäßig gewesen. Am Standort M. sei der Bereich "Ausgabeservice/ Expedititon" aufgelöst worden und der Arbeitsplatz von Herrn W. weggefallen. Es sei ein Sozialplan abgeschlossen und eine soziale Auswahl mittels eines Punktesystems getroffen worden. Dabei sei Herr W. mit einer nicht ausreichenden Punktezahl bewertet worden. Ab 01.04.1997 wurde Herrn W. Arbeitslosengeld (Alg) bewilligt. Ab 01.04.1998 bis 31.12.1998 bezog Herr W. Alg von wöchentlich DM 439,11 (Bemessungsentgelt DM 1.380; Leistungsgruppe A/0). Das vom 01.01.1999 bis 31.03.1999 bezogene Alg betrug DM 439,88. Vom 01.04.1999 bis 27.11.1999 bezog Herr W. Alg von wöchentlich DM 444,36 aus einem auf DM 1.400,- dynamisierten wöchentlichen Bemessungsentgelt. Ab 28.11.1999 war der Leistungsanspruch erschöpft.

Nach erfolgter Anhörung, noch bevor Herr W. das 58. Lebensjahr vollendet hatte, traf die Beklagte mit Bescheid vom 06.07.1998 eine Teilentscheidung und teilte der Klägerin mit, dass nach dem vorgetragenen Sachverhalt bzw. der Aktenlage die Voraussetzungen der Befreiungstatbestände des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.1, 3, 4 und 5 Arbeitsförderungsgeetz (AFG) nicht vorlägen. Mit dagegen erhobenem Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Arbeitsplatz von Herrn W. sei weggefallen. Hierzu wurde der am 05.07.1996 geschlossene Sozialplan vorgelegt. Mit weiterem Schreiben vom 22.12.1998 trug die Klägerin vor, dass vorliegend der Befreiungstatbestand des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AFG durchgreife, da die Klägerin zu einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung berechtigt gewesen wäre. Es sei reiner Formalismus, wenn der geschlossene Aufhebungsvertrag bei Vorliegen der Kündigungsgründe einer Kündigung nicht gleichgestellt werde. Im Rahmen des Vorverfahrens befragte die Beklagte den ehemaligen Arbeitnehmer, ob er seit 01.04.1997 arbeitsunfähig krank geschrieben gewesen sei oder sich seit der Arbeitslosmeldung sein Gesundheitszustand so schwer verschlechtert habe, dass er für eine von insgesamt neun einzeln aufgeführten Lohnersatzleistungen in Frage komme. Diese Fragen wurden von Herrn W. am 16.03.1999 verneint.

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wurde die Klägerin mit Schreiben vom 19.08.1999 erneut zur Frage der Erstattungspflicht gehört. Hierauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 13.09.1999 mit, dass sie weiterhin die Auffassung vertrete, dass im vorliegenden Fall der Befreiungstatbestand des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AFG vorliege. Mit Bescheid vom 29.09.1999, der gemäß § 86 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Vorverfahrens wurde, verpflichtete die Beklagte die Klägerin, das an Herrn W. in der Zeit vom 28.12.1998 bis 31.03.1999 gezahlte Alg sowie die entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung im Gesamtbetrag von DM 11.199,05 zu erstatten. Der Widerspruch blieb mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.1999 erfolglos.

Zur Begründung seiner dagegen zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin weiterhin die Auffassung vertreten, dass hier der Befreiungstatbestand des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AFG vorliege. Hierzu hat die Klägerin Ausführungen zur Zulässigkeit der nicht erfolgten Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Herrn W. gemacht.

Mit Urteil vom 10.04.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Das im Abrechnungszeitraum an Herrn W. gezahlte Alg sei einschließlich der gezahlten Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 128 Abs.1 Satz 1 AFG zu erstatten. Der von der Klägerin zur Verneinung ihrer Erstattungspflicht herangezogene Befreiungstatbestand des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr. AFG liege nach der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht vor (BSG-Urteile B 7 AL 20797 R vom 19.03.1998; B 11 Al 81/97 R vom 07.05.1998; B 7 Al 80/97 R; B 7 Al 82/97 R vom 25.08.1998 und B 11 AL 5/00 R vom 21.09. 2000). Im zitierten Urteil vom 19.03.1998 habe das BSG ausgeführt, dass der Ausnahmetatbestand des § 128 Abs.1 Satz 1 Nr.4 AFG dem Gedanken Rechnung trage, dass den Arbeitgeber dann keine besondere, die Erstattungspflicht begründende Verantwortung für die Freisetzung des Arbeitnehmers und damit die Aufwendungen der Arbeitslosenversicherung treffe, wenn er sich in arbeitsrechtlich begründeter Weise von seinem Arbeitnehmer getrennt habe, er das Arbeitsverhältnis also durch sozial gerechtfertigte Kündigung im Sinne des § 1 Kündigungsschutzgesetz beenden konnte und auch in dieser Form beendet habe. § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AFG knüpfe bewusst an das äußere Merkmal der Kündigung durch den Arbeitgeber an, weil sich dieser bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages gerade nicht der Überprüfung der die Kündigung sozial rechtfertigende Gründe aussetze. Die Beklagte habe im Übrigen auch ihrer Ermittlungspflicht genügt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfordere die amtliche Sachaufklärungspflicht nicht, nach Tatsachen zu forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalles keine Anhaltspunkte bieten würden (BSGE 78, 207, 213). Die Angaben von Herrn W. über seinen Gesundheitszustand und über die Nichtbeantragung anderer Sozialleistungen würden keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen und das Vorliegen der weiteren Befreiungstatbestände des § 128 Abs.1 Satz 2 AFG erkennen lassen.

Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Berufung führt die Klägerin im Wesentlichen aus, soweit sich das SG zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des BSG berufe, könne dem nicht gefolgt werden. Diese Rechtsprechung ignoriere im Ergebnis den Willen und die Absichten des Gesetzgebers, die der Neufassung des § 128 AFG (nunmehr § 147a 3. Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -) zugrunde gelegen hätten. Diese Rechtsprechung verkürze und missachte damit den gesetzgeberischen Regelungszweck mit der Folge, dass sie "unverhältnismäßig" und damit in verfassungswidriger Weise belastet werde. Die vom SG zitierte Rechtsprechung des BSG führe hier zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers (Art.12 Abs.1 Grundgesetz). Darüber hinaus liege auch ein Verstoß gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit vor, weil Vertragsfreiheit als Bestandteil ihrer unternehmerischen Berufsausübungsfreiheit nach Art.12 Abs.1 Grundgesetz durch die gesetzliche Regelung in der Auslegung durch das BSG übermäßig eingeschränkt werde. Nach dem Willen des Gesetzgebers trete die streitige Erstattungsverpflichtung des Arbeitgebers nur dann ein, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von diesem veranlasst sei, ohne dass im konkreten Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorgelegen hätten.

Die Klägerin stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.04.2002 sowie die Bescheide vom 06.07.1998 und 29.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, das BSG habe sich in seiner Rechtsprechung mit der Frage auseinandergesetzt, ob mit § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AFG über seinen Wortlaut hinaus neben der sozial gerechtfertigten Kündigung auch die Fälle einer einvernehmlich (sozial gerechtfertigten) Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfasst werden. Hierzu sei ausgeführt worden, der Ausnahmetatbestand trage dem Bedarf Rechnung, dass den Arbeitgeber dann keine besondere, die Erstattungspflicht begründende Verantwortung für die Freisetzung des Arbeitnehmers und damit die Aufwendungen der Arbeitslosenversicherung treffe, wenn er sich in arbeitsrechtlich begründeter Weise von seinem Arbeitgeber getrennt habe, er das Arbeitsverhältnis also durch sozial gerechtfertigte Kündigung im Sinne des § 1 Kündigungsschutzgesetz habe beenden können und auch in dieser Form beendet habe. Der Gesetzgeber habe damit beachtet, dass das Bundesverfassungsgericht gerade in der Wahl bestimmter Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjähriger Arbeitnehmer ein Indiz für einen Verantwortungsbereich des Arbeitgebers sehe. In der vom BSG aufgegriffenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 23.01.1990 - SozR 3-4100 § 128 Nr.1) werde dargelegt, dass bei der Prüfung, ob die Erstattungspflicht den Arbeitgeber nicht im Übermaß belaste, zu berücksichtigen sei, dass dieser für eine langjährig beschäftigten Arbeitnehmer ebenso längjährig Beitragsanteile zur Arbeitslosenversicherung entrichtet habe. Das gebiete, die Erstattungspflicht nur dann eintreten zu lassen, wenn den Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers und damit für die Gewährung der zu erstattenden Leistungen treffe. Hiervon sei im Gesetzgebungsverfahren auch der Ausschuss des Deutschen Bundestages für Arbeit und Sozialordnung ausgegangen, in dem er darauf abgestellt habe, dass die Beteiligung des Arbeitgebers an den sozialen Folgekosten der Freisetzung älterer Arbeitnehmer nur dann erfolgen könne, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Veranwortungsbereich des Arbeitgebers falle. Das Gesetz selbst bringe dies dadurch zum Ausdruck, dass es die Erstattungspflicht an solche Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer knüpfe, in denen sich zumindest das Einverständnis des Arbeitgebers mit der Lösung des arbeitsvertraglichen Bandes dokumentieren. Es seien dies die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung, der Aufhebungsvertrag und - bei einer vom Arbeitnehmer ausgesprochenen Kündigung - die Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlicher Leistungen. Damit entspreche die ständige Rechtsprechung des BSG, die einen Ausnahmetatbestand daran festgemacht habe, dass das Arbeitsverhältnis nicht nur durch sozial gerechtfertigte Kündigung habe beendet werden können, sondern tatsächlich auch in dieser Form beendet wurde, zum einen der Intention (Wortlaut) des § 128 AFG, zum anderen halte diese Rechtsprechung auch der bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung stand.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Zu Recht hat das SG München mit Urteil vom 10.04.2002 die Klage abgewiesen, da die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten vom 06.07.1998 und 29.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1999 nicht zu beanstanden sind.

Denn die Klägerin kann sich nicht auf den Befreiungstatbestand des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AFG berufen, da dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Denn die Klägerin hat das Beschäftigungsverhältnis mit Herrn A. W. durch Aufhebungsvertrag beendet. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages ist aber nach der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des BSG nicht einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung gleichzusetzen.

Der Senat folgt im Übrigen den Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 10.02.2002 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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