L 18 SB 113/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 SB 45/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 113/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 54/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.02.1999 und der Bescheid vom 28.08.1996 in der Fassung der Teilabhilfebescheide vom 04.06.1997 und 03.11.1997 und des Widerspruchsbescheides vom 07.01.1998 abgeändert.
II. Der Beklagte wird verurteilt, die Behinderungen des Klägers ab 01. Dezember 1997 mit einem Grad der Behinderung von 80 zu bewerten und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF anzuerkennen.
III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
IV. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Behinderungen des Klägers mit einem höheren Grad der Behinderung (GdB) als 60 zu bewerten sind und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B, aG, RF und H vorliegen.

Der Beklagte stellte beim Kläger auf den Antrag vom 27.07.1995 erstmals mit Bescheid vom 28.08.1996 als Behinderung mit einem GdB von 20 ein "psycho-vegetatives Syndrom mit psychosomatischen Beschwerden" fest. Mit dem Widerspurch vom 30.08.1996 bezeichnete der Kläger die vom Beklagten angeführten Behinderungen als unzutreffend und begehrte wegen "Zustand nach Amalgam-Vergiftung und Amalgam-Allergie, Struma II, rezidivierenden Hypoglykämien, Herzrhythmusstörungen, oralem Lichen ruber planus bei gleichzeitiger Unfähigkeit feste Nahrung aufnehmen zu können, rezidivierender Candida-Infektionen, oral, gastro-intestinal, Tinnitus aurium, Minderung der Leistungsfähigkeit durch Lärm, diverser Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Unverträglichkeit von Chemikalien und Arzneimitteln, Unverträglichkeit von Kunststofffüllungen und Plastik allgemein sowie deren Düften, MCS (Multiple Chemical Sensivity)" die Feststellung eines GdB von 100. Er bat die Beklagte um eine Begutachtung im Wege eines Hausbesuches, da er seit Oktober 1996 das Haus nicht mehr verlassen könne. Nach Beiziehung eines Gutachtens des Dr.H. vom 06.03.1996 (Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken) holte der Beklagte Stellungnahmen des Internisten Dr.B. vom 28.01.1997 und des Nervenarztes Dr.W. vom 31.01.1997 nach Aktenlage ein. Dr.B. vermochte internistischerseits keine behindernden Gesundheitsstörungen feststellen. Dr.W. bezeichnete die Behinderung des Klägers als "Umweltkrankheit" (MCS-Syndrom). Da der Kläger nach seinen Angaben das Haus noch keine 6 Monate lang nicht verlassen hatte, nahm Dr.W. für die Umwelterkrankung einen GdB von 50 an. Für die Zeit ab 01.04.1997 schlug er einen GdB von 80 wegen erheblicher sozialer Anpassungsschwierigkeiten bei ausgeprägter Umweltangst vor, falls der Kläger bis dahin das Haus immer noch nicht verlassen habe.

Der Beklagte stellte mit Teilabhilfebescheid vom 04.06.1997 als Behinderung eine "Umweltkrankheit" mit einem GdB von 50 ab 27.07.1995 (Antrag) fest. Anschließend ließ der Beklagte den Kläger im Wege des Hausbesuches von Dr.H. untersuchen (Gutachten vom 18.09.1997). Diese diagnostizierte beim Kläger eine erhebliche seelische Störung ohne Krankheitseinsicht. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen verneinte sie. Entsprechend dem Vorschlag der Dr.H. erließ der Beklagte einen weiteren Teilabhilfebescheid vom 03.11.1997 mit einem GdB von 60. Er bezeichnete die Behinderungen nunmehr wie folgt:

1. Umweltkrankheit (Einzel-GdB 50) 2. Krampfadern beidseits (Einzel-GdB 20) 3. Herzrhythmusstörungen (Einzel-GdB 10) 4. Dupuytren sche Kontraktur beidseits (Einzel-GdB 10) Den Widerspruch im Übrigen wies er mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.1998 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 100 und die Zuerkennung der Merkzeichen RF, G, aG und B begehrt. Das SG hat den Kläger von dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Umweltmedizin, Dr.H. im Wege eines Hausbesuchs untersuchen lassen (Gutachten vom 23.09.1998). Dieser hat neben einem MCS-Sydrom das Vorliegen einer seelischen Erkrankung angenommen, den GdB auf 80 beziffert und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF bejaht. Der Beklagte hat sich mit einer internistischen Stellungnahme der Dr.L. vom 22.10.1998 und einer nervenärztlichen Stellungnahme der Dr.S. vom 26.10.1998 gegen das Gutachten des Dr.H. gewandt. Dr.S. hat die seelische Störung bei Annahme mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet. Das SG ist dem von ihm gehörten Sachverständigen Dr.H. nicht gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 08.02.1999 abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und eine Reihe von medizinischen Befunden vorgelegt. Der Senat hat einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr.B. vom 28.03.2001 eingeholt und von dem Facharzt für Allgemeinmedizin/Umweltmedizin Dr.S. ein Gutachten vom 06.06.2003 nach Aktenlage erstellen lassen, nachdem Dr.S. den Kläger wegen seiner Behinderungen nicht für reisefähig gehalten hat. Dr.S. hat die Behinderungen des Klägers mit einem Gesamt-GdB von 90 bis 100 eingeschätzt. Den Gesamt-GdB hat er aus Einzel-GdB-Werten wie folgt gebildet: GdB 80 bis 90 für Hirnleistungsschwäche, zentrale vegetative Störungen als Ausdruck eines Hirndauerschadens, cerebrale vasomotorische Störungen, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Kordinations- und Gleichgewichtsstörungen und anderes mehr mit häufigen Anfällen und erheblichen Auswirkungen auf den Allgemeinzustand einschließlich der Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen; GdB 70 bis 80 für Gleichgewichtsstörungen mit mittelgradigen bis schweren Folgen, Ohrgeräusche, Störungen aller Sinnesorgane (Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen), rezidivierende massive infekt-ähnliche Reizungen aller Schleimhäute, Reizhusten bis hin zu bronchialer Hyperreagibilität, schwere Schluckstörungen mit erheblicher Behinderung der Nahrungsaufnahme und erheblicher Beeinträchtigung des Kräftezustandes; GdB 40 bis 50 für anfallsweise Herzrhythmusstörungen mit gelegentlicher Leistungsbeeinträchtigung des Herzens bei leichter Belastung; GdB 20 bis 40 für Lymphödeme (Beine, Abdomen) mit mittelschwerer Funktionseinschränkung; GdB 30 bis 40 für chronische Darmstörungen (irritabler Darm) mit stärkeren und häufig rezidivierenden und anhaltenden Symptomen, Durchfälle, Spasmen und Symptome im Sinne von chronischer Colitis mit erheblicher Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes; GdB 80 bis 100 für Muskel- und Gelenkschmerzen, einschließlich Rückenmuskulatur und -gelenke, Parästhesien und zyanotische Verfärbungen der Hände und Füße, Verdacht auf Raynaud-Syndrom und sonstige Vasospasmen, Histamin-Intoleranz, ingesamt: Systemische spezifische (undifferenzizerte) Vaskulitis und Kollagenose mit Auswirkungen auf alle Organe, vaskulär-induzierte Autoimmunkrankheit mit Auswirkungen auf alle Organe, Beschwerden von Leber und Nieren und endokrinen (hormonellen) Organen, jeweils während und nach Expositionen. Dr.S. hat die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Kläger nicht mehr für möglich gehalten und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B, aG und RF bejaht.

Der Beklagte ist den GdB-Vorschlägen des Dr.S. nicht gefolgt (versorgungsärztliche Stellungnahme des Internisten Dr.S. vom 07.07.2003) und hat dessen Äußerungen nicht für geeignet gehalten, neue Erkenntnisse zu den Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers zu gewinnen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Nürnberg vom 08.02.1999 und den Bescheid vom 28.08.1996 in der Fassung der Teilabhilfebescheide vom 04.06.1997 und 03.11.1997 und des Widerspruchsbescheides vom 07.01.1998 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die Behinderungen ab Antragstellung mit einem GdB von 100 zu bewerten und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen G, B, aG, RF und H festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 08.02.1999 zurückzuweisen.

Die Beteiligen haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und zum Teil begründet. Der Kläger hat ab 01. Dezember 1997 einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80 sowie auf Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF. Die Merkzeichen G, B, aG und H stehen ihm jedoch nicht zu.

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 155 Abs.3 und 4, 124 Abs.2 SGG).

Das Vorliegen einer Behinderung und den GdB stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des Behinderten fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs.1 Sätze 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs.3 Satz 1 SGB IX). Die Gesamtauswirkung der Behinderung darf nicht durch Anwendung irgendwelcher mathematischer Formeln, sondern muss aufgrund einer nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung festgesetzt werden (BSG SozR 3870 § 3 Nr.4 zum im wesentlichen inhaltsgleichen § 4 Abs.3 Satz 1 Schwerbehindertengesetz, aufgehoben durch Art. 63 SGB IX).

Die Behinderungen des Klägers sind mit einem Gesamt-GdB von 80 ab Dezember 1997 zu bewerten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der Stellungnahme des Dr.W. vom 31.01.1997 und dem vom SG eingeholten Gutachten des Dr.H. vom 23.09.1998. Diese medizinischen Äußerungen können vom Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Dies gilt auch für die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr.W. (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7.Auflage, § 118 RdNr.12 b m.w.N.). Sowohl Dr.W. als auch Dr.H. haben für die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Störungen einen GdB von 80 angenommen. Dr.W. hat in seiner Stellungnahme vom 29.01.1997 diese GdB-Höhe für den Fall bejaht, dass der Kläger seine Wohnung nicht mehr verlassen werde. Dr.H. hat bei seinem Hausbesuch am 23.09.1998 zuverlässig eruiert, dass der Kläger seit Dezember 1997 das Haus nicht mehr verlassen hat. Dr.H. hat zwar in seinem Gutachten eine Anhebung des GdB erst ab dem Tag des Hausbesuchs, dem 23.09.1998, vorgeschlagen. Dem ist jedoch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Dr.W. nicht zu folgen, da die Gesundheitsstörungen des Klägers nach Art und Umfang bereits im Dezember 1997 vorgelegen haben.

Die sowohl von Dr.H. als auch von Dr.W. festgestellte schwere psychische Störung (ähnlich Dr.H. in dem versorgungsärztlichen Gutachten vom 18.09.1997) mit schwerwiegenden sozialen Anpassungsstörungen bewegt sich mit dem vorgeschlagenen Einzel-GdB von 80 im Rahmen der vom Senat zu beachtenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit ( ...) nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP). Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenbeirat beim Bundesminister für Arbeit (vgl. Tagung der Sektion Versorgungsmedizin vom 25. bis 26.11.1998) der Auffassung, dass bei der Bewertung sog. "Umweltkrankheiten" - wie dem MCS-Syndrom -, die mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungseinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder primär kein organischer Befund zugrunde liegt, einhergehen, als Vergleichsmaßstab am ehesten die in Ziffer 26.3 Seite 60 ff der AHP unter "neurologische Persönlichkeitsstörungen" genannten stärker behindernden psycho-vegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und eventuellen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht kommen (ebenso Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03.04.2001, Az: L 6 SB 53/00, bestätigt durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.02.2002, Az: B 9 SB 6/01 R und der erkennende Senat, Urteil vom 17.04.2002, Az: L 18 SB 102/99, SGb 2003, 102 iuris Nr.KSREO13251509).

Die beim Kläger des weiteren vorliegenden Behinderungen "Krampfadern beidseits" (Einzel-GdB 20) sowie "Herzrhythmusstörungen und Dupuytren sche Kontraktur beidseits" (jeweiliger Einzel-GdB 10) führen nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB, da bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden dürfen (vgl. AHP RdNr.19 Abs.1). Zusätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (a.a.O. Abs.4). Die Feststellung eines höheren GdB wegen dieser Nebenleiden oder weiterer Behinderungen war dem Senat verwehrt, da der Kläger zu einer Begutachtung das Haus nicht verlässt und eine zuverlässige Feststellung des GdB zur Überzeugung des Senats nur durch eine Begutachtung in einer Klinik erfolgen kann. Der Senat schließt sich der Auffassung des Internisten Dr.S. an, der die allgemein gehaltenen Diagnosen des Dr.S. nicht für geeignet gehalten hat, neue Erkenntnisse zu den Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers zu gewinnen. Die von Dr.S. aufgezählten zahlreichen Gesundheitsstörungen des Klägers sind nicht durch entsprechende Befunde belegt und können daher nicht mit den von Dr.S. vorgeschlagenen Einzel-GdB-Werten bewertet werden. Weder sind die von Dr.S. genannten Diagnosen noch das Ausmaß etwaiger Erkrankungen im Einzelnen gesichert. Der Kläger trägt die Beweislast für das Vorliegen und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7.Auflage § 103 RdNr.19 a). Der Kläger muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit im Hinblick auf die tatsächlich vorliegenden Funktionseinschränkungen verblieben ist.

Dem Kläger steht - bei einem GdB von 80 - der Nachteilsausgleich RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) zu. Dieses Merkzeichen ist auch demjenigen Behinderten zuzuerkennen, der wegen einer psychischen Störung ständig an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr.26). Entsprechendes muss für einen Behinderten gelten, dessen Funktionsstörungen in ihrem Ausmaß und ihrer Wirkung einer psychischen Störung vergleichbar sind. Ein Ausschluss auf psychischen Gesundheitsstörungen beruhender Behinderungen vom Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ergibt sich weder durch die Aufzählung in Nr.33 Abs.2 c AHP 1996 noch aus dem Fehlen einer Gleichstellungsklausel. Der mit den Worten "Hierzu zählen" eingeleitete Fallkatalog beschreibt nach dem Einleitungssatz zu Nr.33 Abs.2 AHP 1996 nur, wann die gesundheitlichen Voraussetzungen "nach landesrechtlichen Vorschriften und ergänzender Rechtsprechung immer erfüllt" sein sollen, ist also offen für weitere Fälle (BSG Orientierungssatz a.a.O.). Der Kläger ist wegen seiner schweren auf einer "Umweltkrankheit" beruhenden Störungen nicht in der Lage, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Nach den Feststellungen des Dr.H. würden bei einem Besuch öffentlicher Veranstaltungen beim Kläger schwerwiegende Symptome, wie Zittern, Schweißausbruch, Gesichtsfeldeinengung, Angstzustände oder auch Ohnmachtsanfälle auftreten, ohne dass der Kläger in der Lage wäre, sein Verhalten aus eigener Willensanstrengung zu überwinden.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B und aG liegen hingegen nicht vor bzw. sind nicht nachgewiesen.

Gemäß § 146 Abs.1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge der Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die Aufzählung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Anfälle und Störungen der Orientierungsfähigkeit), durch die die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sein kann und die der Störung des Gehvermögens gegenübergestellt werden, ist abschließend (so BSG Beschluss vom 10.05.1994, Az: 9 BVs 45/93 in juris Nr.KSRE017730508). Psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit "Anfällen" gleichzusetzen sind und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führen, sondern z.B. mit Verstimmungen, Antriebsminderung und Angstzuständen einhergehen, sind daher in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt (Orientierungssatz a.a.O.). Gleiches muss für die Funktionsstörungen einer "Umwelterkrankung" gelten, die in ihrem Ausmaß einer psychischen Störung vergleichbar ist.

Nach den Feststellungen des Dr.H. haben die Behinderungen des Klägers zu keiner Störung der Orientierungsfähigkeit geführt. Sie sind auch nicht "Anfällen" gleichzusetzen. Hiermit sind nämlich hirnorganische Anfälle, insbesondere epileptische Anfälle gemeint (vgl. AHP RdNr.30 Abs.4). Derartige Gesundheitsstörungen sind beim Kläger nicht nachgewiesen. Zwar leidet der Kläger an "Unterzuckerungszuständen". Er hat jedoch bei dem Hausbesuch des Dr.H. angegeben, dass er diesen Unterzuckerungszuständen durch regelmäßiges Essen gegensteuern kann.

Das Merkzeichen B steht dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil er die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht erfüllt. Unentgeltlich zu befördern sind nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 146 Abs.2 SGB IX nur die Begleitpersonen eines Schwerbehinderten im Sinne des § 145 Abs.1 Satz 1 SGB IX, der selbst infolge seiner Behinderung in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Die gesetzliche Regelung ist aus der Erwägung zu rechtfertigen, dass Schwerbehinderte, die selbst für ihre Fahrtkosten aufkommen müssen, diese auch dann in vollem Umfang zu tragen haben, wenn sie auf eine Begleitperson angewiesen sein sollten; die Kosten dieser Begleitperson sind Fahrtkosten des Behinderten i.S. des Gesetzes (BSG SozR 3870 § 58 Nr.2).

Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG liegen offensichtlich nicht vor. Da beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht vorliegen, kann er auch nicht außergewöhnlich gehbehindert sein. Der Kläger bewegt sich nach den Feststellungen des Dr.H. ohne Schwierigkeiten in seiner Wohnung. Der Kläger hat berichtet, dass er immer wieder körperliche Übungen durchführt einschließlich des Gehens im Treppenhaus und im Dachgeschoß.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H liegen ebenfalls offensichtlich nicht vor. Der Kläger bedarf nicht dauernd fremder Hilfe für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages (vgl. zum Begriff der Hilflosigkeit im Schwerbehindertenrecht AHP RdNr.21 Abs.2 bis 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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