Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (18) EG 122/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 31/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 EG 4/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30. Juli 1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin, die Erziehungsgeld für die Betreuung ihres am 00.00.1996 geborenen Kindes T begehrt und ihr Ehemann, der Vater des Kindes, sind irakische Staatsangehörige. Die Klägerin lebt seit Oktober 1995 in Deutschland. Sie erhielt zunächst eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Am 07.08.1996 wurde ihr eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt. Bei ihr ist mit seit dem 06.05.1996 rechtskräftigem Bescheid vom 23.04.1996 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) hinsichtlich des Herkunftsstaates unanfechtbar festgestellt.
Mit Bescheid vom 23.07.1996/Widerspruchsbescheid vom 17.09.1996 hat das beklagte Land den am 25.06.1996 gestellten Erziehungsgeldantrag der Klägerin abgelehnt, weil diese weder im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung noch -erlaubnis sei.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die hiergegen am 18.10.1996 erhobene Klage mit Urteil vom 30.07.1998 abgewiesen: Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis reiche in Abweichung der vor dem 27.06.1993 geltenden Rechtslage für den Bezug von Erziehungsgeld gerade nicht mehr aus. Ein Anspruch lasse sich auch nicht aus Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonventionen (FlüAbk) herleiten, denn die streitbefangene Leistung zähle nicht zur öffentlichen Fürsorge oder sonstigen Hilfeleistung im Sinne dieser Vorschrift. Artikel 24 der Genfer Flüchtlingskonvention sei nicht einschlägig. Dieser gewährleiste keinen vom Erfordernis eines der in § 1 BErzGG alter Fassung (aF) genannten Aufenthaltstitel unabhängigen Anspruch auf Erziehungsgeld. Schließlich könne die Klägerin auch keinen Anspruch aus der EWGV Nr. 1408/71 herleiten. Zwar finde die Verordnung nach deren Artikel 2 auch auf Staatenlose und Flüchtlinge Anwendung, dies jedoch nur dann, wenn es sich bei den betreffenden Flüchtlingen bzw. Staatenlosen um Arbeitnehmer oder Selbstständige im Sinne der Verordnung handele. Dies sei bei der Klägerin und ihrem Ehemann nicht der Fall, weil die Familie seit Einreise nach Deutschland ausschließlich Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz beziehe.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 31.08.1998 zugestellte Urteil am 30.09.1998 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie sich zunächst sowohl auf die EWGV 1408/71 als auch auf die Genfer Flüchtlingskonvention bezogen hat. Zwischenzeitlich hat sie eingeräumt, dass nach der nunmehr einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die EGWG 1408/71 als Anspruchsgrundlage ausscheide. Sie hält einen Erziehungs- geldanspruch nunmehr aber unter Zugrundelegung des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluß der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten des Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (Vorläufiges Europäisches Abkommen) für gegeben. Das Abkommen erfasse in seinem Artikel 1 Abs. 1 d Familienbeihilfen. Es erstrecke sich auch ausweislich des Zusatzprotokolls ausdrücklich auf den Personenkreis der Flüchtlinge.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30. Juli 1998 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 23.07.1996 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.09.1996 zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld für die Betreuung des am 03.05.1996 geborenen Kindes T zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es vertritt in Übereinstimmung mit dem vom Senat in einem Parallelverfahren angehörten Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ) die Auffassung, das Vorläufige Europäische Abkommen finde auf Erziehungsgeld keine Anwendung, denn hiervon seien nur Familienbeihilfen erfasst. Das Erziehungsgeld stelle jedoch keine solche dar. Es sei zu unterscheiden zwischen dem Begriff der Familienleistung und demjenigen der Familienbeihilfe. Zu den Familienbeihilfen gehörten regelmäßige Geldleistungen, die auschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters von Familienangehörigen gewährt würden. Das Erziehungsgeld werde hingegen noch an weitere Voraussetzungen geknüpft.
Der Senat hat das Auswärtige Amt zu völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Vorläufigen Europäischen Abkommen angehört. Insofern wird auf dessen Auskunft vom 21.08.2003 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten des beklagten Landes sowie der die Klägerin betreffenden Ausländerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin erfüllte in der hier streitigen Zeit nicht die Voraussetzungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) für den Anspruch auf Erziehungsgeld. Aber auch nach zwischenstaatlichen und übernationalen Vorschriften steht ihr die Leistung nicht zu.
Nach der hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 1 Abs. 1a Satz 1 BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden alten Fassung (a. F.) setzte die Gewährung von Erziehungsgeld an einen ausländischen Staatsangehörigen voraus, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war. Dies galt selbst dann, wenn der Ausländer ein anerkannter Flüchtling war. Eine hier nicht zu berücksichtigende Rechtsänderung ist erst am 01.01.2001 durch § 1 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 BErzGG in der Fassung des Gesetzes vom 12.10.2000 eingetreten. Es handelt sich nicht um eine authentische Interpretation der bisherigen Rechtslage. Vielmehr wurde für den Personenkreis der Flüchtlinge eine Anspruchsberechtigung neu geschaffen. (Bundesrats-Drs. 191/00).
Die beanstandete alte Fassung des § 1 BErzGG ist mit dem Grundgesetz, insbesondere auch mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 zu vereinbaren (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr. 16). Sie verstößt auch nicht gegen vorrangiges zwischenstaatliches und überstaatliches Recht.
Zwar ist die Klägerin seit dem 06.05.1996 anerkannter Flüchtling im Sinne des FlüAbk und kann daher die den Flüchtlingen durch dieses Abkommen eingeräumten Rechte in Anspruch nehmen. Das Erziehungsgeld wird jedoch von den Bestimmungen des FlüAbk nicht erfasst. Insbesondere stehen Art. 23 und 24 der Anwendung des § 1 Abs. 1a BErzGG a.F. nicht entgegen. Den Signatarstaaten ist es hinsichtlich ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestrittener Leistungen erlaubt, besondere Bestimmungen zu treffen, die zu einer Verschiedenbehandlung von Flüchtlingen und eigenen Staatsangehörigen führen.
Auch das Diskriminierungsverbot des Art. 3 EWGV 1408/71 ist nicht auf die Klägerin anwendbar. Denn sie befand sich während des streitigen Leistungszeitraums in einer Lage, die mit keinem Element über die Grenzen des EG-Mitgliedstaates Deutschland hinauswies (BSG, Urteil vom 29.01.2002 - B 10 EG 7/01 R -).
Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf das Vorläufige Europäische Abkommen von 1953 stützen, das bis heute gültig ist und auf Grund des Ratifikationsgesetzes vom 07.05.1956 (BGBl.1956, S. 507 ff.)unmittelbare Rechtsansprüche begründet. Dies ist vom BFSFJ unter dem 27.01.2003 zudem bestätigt worden. Es sei erst nach der Ratifikation durch osteuropäische Staaten wieder in den Blickpunkt geraten. Nach Auskunft des beklagten Landes hatte während eines vorübergehenden Zeitraums sogar eine Weisungslage bestanden, wonach es im Bereich des BErzGG die Ansprüche der Flüchtlinge selbst auf Erziehungsgeld begründe (vgl. Auskunft des Beklagten vom 17.09.2002 - 101-03a-42E7-100237 EGEG - in der Streitsache L 13 EG 41/02 LSG NRW). Nach der Auskunft des BFSFJ vom 27.01.2003 besteht jedoch eine andere Weisungslage (Hinweis auf das Rundschreiben an die Länder vom 16.09.2002).
Die Klägerin gehört auch zu dem Personenkreis, auf den das Vorläufige Europäische Abkommen Anwendung findet. Nach Art. 2 des Zusatzprotokolls (BGBl aa0, S. 528) finden die Vorschriften des Hauptabkommens auf die Flüchtlinge unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der Vertragsschließenden. Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist in Deutschland der Ausländer, bei dem das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (sog. kleines Asyl) festgestellt ist.
Sachlich erstreckt sich das Abkommen jedoch nicht auf das Erziehungsgeld nach dem BErzGG. Diese Leistung ist nicht als Familienbeihilfe (Art. 1 Nr. 1 d) anzusehen. Der Senat schließt sich der im Rundschreiben vom 16.09.2002 ausgesprochenen Rechtsauffassung des BFSFJ an.
Allgemein findet das Abkommen gemäß Art. l Anwendung auf alle Gesetze und Regelungen über soziale Sicherheit, die in jedem Teil des Gebietes der Vertragsschließenden am Tage der Unterzeichnung Geltung haben oder in der Folge in Kraft treten und sich - u.a. - auf Familienbeihilfen (d) beziehen. Nach Art. 7 Abs. l des Vorläufigen Europäischen Abkommens bestimmt der Anhang I für jeden Vertragschließenden diejenigen Systeme der sozialen Sicherheit, auf die Art. l Anwendung findet und die in irgendeinem Teil seines Gebietes am Tage der Unterzeichnung des Abkommens in Kraft sind. Nach Anhang I waren für die Bundesrepublik Deutschland zunächst nur die Gesetze und Regelungen zur Krankenversicherung, Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten einschließlich der Entschädigung von Unfällen von Gefangenen sowie die Arbeitslosenversicherung und -fürsorge umfasst. Erst durch das Schreiben des deutschen Repräsentanten vom 19.08.1956 wurde der Anhang I auch auf "family allowances" erweitert. Nach der offiziellen Übersetzung des Art. l des Vorläufigen Europäischen Abkommens entspricht diese englische Bezeichnung in der deutschen Sprache dem Begriff "Familienbeihilfe".
Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob das Erziehungsgeld schon deshalb nicht vom Vorläufigen Abkommen umfasst wird, weil Deutschland dem Generalsekretär des Europarates das Gesetz vom 06.12.1985 (BGBl I S. 2154) nach Art. 7 Abs. 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens nicht mitgeteilt hat. Dieser Auffassung ist schon die Interpretation des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2003 (Schreiben zum Rechtsstreit L 13 EG 15/03) entgegen zu halten, wonach nach der auch im Völkerrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben Art. 7 Abs. 2 keinen Entscheidungsspielraum dahingehend eröffnen kann, welche neuen innerstaatlichen Regelungen in den Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens fallen sollen. Eine Mitteilung nach Art. 7 Abs. 2 habe mehr deklaratorische als konstitutive Wirkung. Sonst hätte es der besonderen Ausgestaltung dieser Dispositionsbefugnis durch Art. 9 nicht mehr bedurft.
Zur Bestimmung des Begriffes "Familienbeihilfe" muss nach Auffassung des Senats auf die im internationalen und supranationalen Recht verwandte Terminologie zurückgegriffen werden. Wie die Vertragschließenden des Vorläufigen Europäischen Abkommens diesen Begriff definieren wollten, lässt sich aus Inhalt und Zusammenhang des Abkommens nicht ohne Weiteres erschließen. Eine Definition für den Begriff der Familienbeihilfe auch in Abgrenzung zu dem Begriff der Familienleistung enthält die EWGV 1408/71. Obwohl die in der EWGV 1408/71 enthaltenen Bestimmungen und deren für die innerstaatliche Rechtsanwendung verbindliche Auslegung durch den (EuGH) bei der Auslegung des Vorläufigen Europäischen Abkommens nicht verbindlich sind. bestehen nach Auffassung des Senats keine Bedenken, die Auslegungskriterien des EG-Rechts bei der Bestimmung des Begriffs "Familienbeihilfe" zu berücksichtigen. Gleichermaßen handelt sich um Begriffe, die im Bereich des internationalen und supranationalen Rechts Anwendung finden.
Nach Art. l der EWGV 1408/71 sind Familienleistungen alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. l Buchst, h genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen. In Abgrenzung hierzu sind Familienbeihilfen regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters der Familienangehörigen gewährt werden. Die Begriffe schließen sich nicht gegenseitig aus. Vielmehr ist jede Familienbeihilfe auch eine Familienleistung, allerdings nicht jede Familienleistung auch eine Familienbeihilfe (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Albers vom 12.10.2000 in der Rechtssache C - 33/99).
Zwar handelt es sich bei dem deutschen Erziehungsgeld, jedenfalls nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.10.1996 - C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow in SozR 3-6050 Art. 4 Nr. 8) um eine Familienleistung, weil es zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt ist. Dabei ist jedoch der Auffassung des zuständigen Bundesministeriums zu folgen, wonach es sich bei dem deutschen Erziehungsgeld nicht um eine Familienbeihilfe in diesem Sinne handelt. Familienbeihilfen sind regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters der Familienangehörigen gewährt werden. Für den Bezug des deutschen Erziehungsgeldes sind jedoch weitere Voraussetzungen zu erfüllen. So muss der/die Berechtigte das mit ihm/ihr in einem gemeinsamen Haushalt lebende Kind selbst betreuen und erziehen und darf während dieser Zeit keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausüben (§ l Abs. l Nr. 2, 3 u. 4 BErzGG a.F.). Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C - 43/99 vom 31.05.2001 stellt die luxemburgische Erziehungsbeihilfe, eine dem deutschen Erziehungsgeld ähnliche Leistung, keine Familienbeihilfe im Sinne des EWGV Nr. 1408/71 dar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 29.01.2002 -B 10 EG 5/01 R- (SozR 3-6615 Art. 41 Nr. 4); denn die Familienzulage gemäß Art. 41 Abs. 3 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem Königreich Marokko unterscheidet sich, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 15.03.2001 - - 8599 Offermanns- Slg 2001, I-2261 RdNr. 19) von dem Begriff der Familienbeihilfe, die eine Geldleistung ist, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters von Familienangehörigen bewilligt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil die Rechtssache nur noch wegen der Rechtsfrage, ob das deutsche Erziehungsgeld eine Familienbeihilfe im Sinne des Vorläufigen Europäischen Abkommens ist, grundsätzliche Bedeutung hat. Obwohl die Klärung dieser Frage durch die zum 01.01.2001 eingetretene Rechtsänderung nicht mehr bedeutsam ist, stehen nach den Informationen des beklagten Landes und der Sozialgerichte im Lande NRW noch zahlreiche gleichgelagerte Altfälle zur Entscheidung an.
Tatbestand:
Die Klägerin, die Erziehungsgeld für die Betreuung ihres am 00.00.1996 geborenen Kindes T begehrt und ihr Ehemann, der Vater des Kindes, sind irakische Staatsangehörige. Die Klägerin lebt seit Oktober 1995 in Deutschland. Sie erhielt zunächst eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Am 07.08.1996 wurde ihr eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt. Bei ihr ist mit seit dem 06.05.1996 rechtskräftigem Bescheid vom 23.04.1996 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) hinsichtlich des Herkunftsstaates unanfechtbar festgestellt.
Mit Bescheid vom 23.07.1996/Widerspruchsbescheid vom 17.09.1996 hat das beklagte Land den am 25.06.1996 gestellten Erziehungsgeldantrag der Klägerin abgelehnt, weil diese weder im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung noch -erlaubnis sei.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die hiergegen am 18.10.1996 erhobene Klage mit Urteil vom 30.07.1998 abgewiesen: Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis reiche in Abweichung der vor dem 27.06.1993 geltenden Rechtslage für den Bezug von Erziehungsgeld gerade nicht mehr aus. Ein Anspruch lasse sich auch nicht aus Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonventionen (FlüAbk) herleiten, denn die streitbefangene Leistung zähle nicht zur öffentlichen Fürsorge oder sonstigen Hilfeleistung im Sinne dieser Vorschrift. Artikel 24 der Genfer Flüchtlingskonvention sei nicht einschlägig. Dieser gewährleiste keinen vom Erfordernis eines der in § 1 BErzGG alter Fassung (aF) genannten Aufenthaltstitel unabhängigen Anspruch auf Erziehungsgeld. Schließlich könne die Klägerin auch keinen Anspruch aus der EWGV Nr. 1408/71 herleiten. Zwar finde die Verordnung nach deren Artikel 2 auch auf Staatenlose und Flüchtlinge Anwendung, dies jedoch nur dann, wenn es sich bei den betreffenden Flüchtlingen bzw. Staatenlosen um Arbeitnehmer oder Selbstständige im Sinne der Verordnung handele. Dies sei bei der Klägerin und ihrem Ehemann nicht der Fall, weil die Familie seit Einreise nach Deutschland ausschließlich Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz beziehe.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 31.08.1998 zugestellte Urteil am 30.09.1998 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie sich zunächst sowohl auf die EWGV 1408/71 als auch auf die Genfer Flüchtlingskonvention bezogen hat. Zwischenzeitlich hat sie eingeräumt, dass nach der nunmehr einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die EGWG 1408/71 als Anspruchsgrundlage ausscheide. Sie hält einen Erziehungs- geldanspruch nunmehr aber unter Zugrundelegung des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluß der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten des Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (Vorläufiges Europäisches Abkommen) für gegeben. Das Abkommen erfasse in seinem Artikel 1 Abs. 1 d Familienbeihilfen. Es erstrecke sich auch ausweislich des Zusatzprotokolls ausdrücklich auf den Personenkreis der Flüchtlinge.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 30. Juli 1998 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 23.07.1996 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.09.1996 zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld für die Betreuung des am 03.05.1996 geborenen Kindes T zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es vertritt in Übereinstimmung mit dem vom Senat in einem Parallelverfahren angehörten Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ) die Auffassung, das Vorläufige Europäische Abkommen finde auf Erziehungsgeld keine Anwendung, denn hiervon seien nur Familienbeihilfen erfasst. Das Erziehungsgeld stelle jedoch keine solche dar. Es sei zu unterscheiden zwischen dem Begriff der Familienleistung und demjenigen der Familienbeihilfe. Zu den Familienbeihilfen gehörten regelmäßige Geldleistungen, die auschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters von Familienangehörigen gewährt würden. Das Erziehungsgeld werde hingegen noch an weitere Voraussetzungen geknüpft.
Der Senat hat das Auswärtige Amt zu völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Vorläufigen Europäischen Abkommen angehört. Insofern wird auf dessen Auskunft vom 21.08.2003 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten des beklagten Landes sowie der die Klägerin betreffenden Ausländerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin erfüllte in der hier streitigen Zeit nicht die Voraussetzungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) für den Anspruch auf Erziehungsgeld. Aber auch nach zwischenstaatlichen und übernationalen Vorschriften steht ihr die Leistung nicht zu.
Nach der hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 1 Abs. 1a Satz 1 BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden alten Fassung (a. F.) setzte die Gewährung von Erziehungsgeld an einen ausländischen Staatsangehörigen voraus, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war. Dies galt selbst dann, wenn der Ausländer ein anerkannter Flüchtling war. Eine hier nicht zu berücksichtigende Rechtsänderung ist erst am 01.01.2001 durch § 1 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 BErzGG in der Fassung des Gesetzes vom 12.10.2000 eingetreten. Es handelt sich nicht um eine authentische Interpretation der bisherigen Rechtslage. Vielmehr wurde für den Personenkreis der Flüchtlinge eine Anspruchsberechtigung neu geschaffen. (Bundesrats-Drs. 191/00).
Die beanstandete alte Fassung des § 1 BErzGG ist mit dem Grundgesetz, insbesondere auch mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 zu vereinbaren (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr. 16). Sie verstößt auch nicht gegen vorrangiges zwischenstaatliches und überstaatliches Recht.
Zwar ist die Klägerin seit dem 06.05.1996 anerkannter Flüchtling im Sinne des FlüAbk und kann daher die den Flüchtlingen durch dieses Abkommen eingeräumten Rechte in Anspruch nehmen. Das Erziehungsgeld wird jedoch von den Bestimmungen des FlüAbk nicht erfasst. Insbesondere stehen Art. 23 und 24 der Anwendung des § 1 Abs. 1a BErzGG a.F. nicht entgegen. Den Signatarstaaten ist es hinsichtlich ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestrittener Leistungen erlaubt, besondere Bestimmungen zu treffen, die zu einer Verschiedenbehandlung von Flüchtlingen und eigenen Staatsangehörigen führen.
Auch das Diskriminierungsverbot des Art. 3 EWGV 1408/71 ist nicht auf die Klägerin anwendbar. Denn sie befand sich während des streitigen Leistungszeitraums in einer Lage, die mit keinem Element über die Grenzen des EG-Mitgliedstaates Deutschland hinauswies (BSG, Urteil vom 29.01.2002 - B 10 EG 7/01 R -).
Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf das Vorläufige Europäische Abkommen von 1953 stützen, das bis heute gültig ist und auf Grund des Ratifikationsgesetzes vom 07.05.1956 (BGBl.1956, S. 507 ff.)unmittelbare Rechtsansprüche begründet. Dies ist vom BFSFJ unter dem 27.01.2003 zudem bestätigt worden. Es sei erst nach der Ratifikation durch osteuropäische Staaten wieder in den Blickpunkt geraten. Nach Auskunft des beklagten Landes hatte während eines vorübergehenden Zeitraums sogar eine Weisungslage bestanden, wonach es im Bereich des BErzGG die Ansprüche der Flüchtlinge selbst auf Erziehungsgeld begründe (vgl. Auskunft des Beklagten vom 17.09.2002 - 101-03a-42E7-100237 EGEG - in der Streitsache L 13 EG 41/02 LSG NRW). Nach der Auskunft des BFSFJ vom 27.01.2003 besteht jedoch eine andere Weisungslage (Hinweis auf das Rundschreiben an die Länder vom 16.09.2002).
Die Klägerin gehört auch zu dem Personenkreis, auf den das Vorläufige Europäische Abkommen Anwendung findet. Nach Art. 2 des Zusatzprotokolls (BGBl aa0, S. 528) finden die Vorschriften des Hauptabkommens auf die Flüchtlinge unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der Vertragsschließenden. Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist in Deutschland der Ausländer, bei dem das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (sog. kleines Asyl) festgestellt ist.
Sachlich erstreckt sich das Abkommen jedoch nicht auf das Erziehungsgeld nach dem BErzGG. Diese Leistung ist nicht als Familienbeihilfe (Art. 1 Nr. 1 d) anzusehen. Der Senat schließt sich der im Rundschreiben vom 16.09.2002 ausgesprochenen Rechtsauffassung des BFSFJ an.
Allgemein findet das Abkommen gemäß Art. l Anwendung auf alle Gesetze und Regelungen über soziale Sicherheit, die in jedem Teil des Gebietes der Vertragsschließenden am Tage der Unterzeichnung Geltung haben oder in der Folge in Kraft treten und sich - u.a. - auf Familienbeihilfen (d) beziehen. Nach Art. 7 Abs. l des Vorläufigen Europäischen Abkommens bestimmt der Anhang I für jeden Vertragschließenden diejenigen Systeme der sozialen Sicherheit, auf die Art. l Anwendung findet und die in irgendeinem Teil seines Gebietes am Tage der Unterzeichnung des Abkommens in Kraft sind. Nach Anhang I waren für die Bundesrepublik Deutschland zunächst nur die Gesetze und Regelungen zur Krankenversicherung, Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten einschließlich der Entschädigung von Unfällen von Gefangenen sowie die Arbeitslosenversicherung und -fürsorge umfasst. Erst durch das Schreiben des deutschen Repräsentanten vom 19.08.1956 wurde der Anhang I auch auf "family allowances" erweitert. Nach der offiziellen Übersetzung des Art. l des Vorläufigen Europäischen Abkommens entspricht diese englische Bezeichnung in der deutschen Sprache dem Begriff "Familienbeihilfe".
Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob das Erziehungsgeld schon deshalb nicht vom Vorläufigen Abkommen umfasst wird, weil Deutschland dem Generalsekretär des Europarates das Gesetz vom 06.12.1985 (BGBl I S. 2154) nach Art. 7 Abs. 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens nicht mitgeteilt hat. Dieser Auffassung ist schon die Interpretation des Auswärtigen Amtes vom 21.08.2003 (Schreiben zum Rechtsstreit L 13 EG 15/03) entgegen zu halten, wonach nach der auch im Völkerrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben Art. 7 Abs. 2 keinen Entscheidungsspielraum dahingehend eröffnen kann, welche neuen innerstaatlichen Regelungen in den Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens fallen sollen. Eine Mitteilung nach Art. 7 Abs. 2 habe mehr deklaratorische als konstitutive Wirkung. Sonst hätte es der besonderen Ausgestaltung dieser Dispositionsbefugnis durch Art. 9 nicht mehr bedurft.
Zur Bestimmung des Begriffes "Familienbeihilfe" muss nach Auffassung des Senats auf die im internationalen und supranationalen Recht verwandte Terminologie zurückgegriffen werden. Wie die Vertragschließenden des Vorläufigen Europäischen Abkommens diesen Begriff definieren wollten, lässt sich aus Inhalt und Zusammenhang des Abkommens nicht ohne Weiteres erschließen. Eine Definition für den Begriff der Familienbeihilfe auch in Abgrenzung zu dem Begriff der Familienleistung enthält die EWGV 1408/71. Obwohl die in der EWGV 1408/71 enthaltenen Bestimmungen und deren für die innerstaatliche Rechtsanwendung verbindliche Auslegung durch den (EuGH) bei der Auslegung des Vorläufigen Europäischen Abkommens nicht verbindlich sind. bestehen nach Auffassung des Senats keine Bedenken, die Auslegungskriterien des EG-Rechts bei der Bestimmung des Begriffs "Familienbeihilfe" zu berücksichtigen. Gleichermaßen handelt sich um Begriffe, die im Bereich des internationalen und supranationalen Rechts Anwendung finden.
Nach Art. l der EWGV 1408/71 sind Familienleistungen alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. l Buchst, h genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen. In Abgrenzung hierzu sind Familienbeihilfen regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters der Familienangehörigen gewährt werden. Die Begriffe schließen sich nicht gegenseitig aus. Vielmehr ist jede Familienbeihilfe auch eine Familienleistung, allerdings nicht jede Familienleistung auch eine Familienbeihilfe (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Albers vom 12.10.2000 in der Rechtssache C - 33/99).
Zwar handelt es sich bei dem deutschen Erziehungsgeld, jedenfalls nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.10.1996 - C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow in SozR 3-6050 Art. 4 Nr. 8) um eine Familienleistung, weil es zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt ist. Dabei ist jedoch der Auffassung des zuständigen Bundesministeriums zu folgen, wonach es sich bei dem deutschen Erziehungsgeld nicht um eine Familienbeihilfe in diesem Sinne handelt. Familienbeihilfen sind regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters der Familienangehörigen gewährt werden. Für den Bezug des deutschen Erziehungsgeldes sind jedoch weitere Voraussetzungen zu erfüllen. So muss der/die Berechtigte das mit ihm/ihr in einem gemeinsamen Haushalt lebende Kind selbst betreuen und erziehen und darf während dieser Zeit keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausüben (§ l Abs. l Nr. 2, 3 u. 4 BErzGG a.F.). Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C - 43/99 vom 31.05.2001 stellt die luxemburgische Erziehungsbeihilfe, eine dem deutschen Erziehungsgeld ähnliche Leistung, keine Familienbeihilfe im Sinne des EWGV Nr. 1408/71 dar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 29.01.2002 -B 10 EG 5/01 R- (SozR 3-6615 Art. 41 Nr. 4); denn die Familienzulage gemäß Art. 41 Abs. 3 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und dem Königreich Marokko unterscheidet sich, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 15.03.2001 - - 8599 Offermanns- Slg 2001, I-2261 RdNr. 19) von dem Begriff der Familienbeihilfe, die eine Geldleistung ist, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf. des Alters von Familienangehörigen bewilligt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil die Rechtssache nur noch wegen der Rechtsfrage, ob das deutsche Erziehungsgeld eine Familienbeihilfe im Sinne des Vorläufigen Europäischen Abkommens ist, grundsätzliche Bedeutung hat. Obwohl die Klärung dieser Frage durch die zum 01.01.2001 eingetretene Rechtsänderung nicht mehr bedeutsam ist, stehen nach den Informationen des beklagten Landes und der Sozialgerichte im Lande NRW noch zahlreiche gleichgelagerte Altfälle zur Entscheidung an.
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