Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 4 U 8/97
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 23/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 41/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Auch wer Hegemaßnahmen durchführt kann versicherungsfreier Jagdgast sein.
2. Die sogenannten Erstangaben eines Versicherten haben nicht grundsätzlich höheren Beweiswert als dessen spätere Angaben.
2. Die sogenannten Erstangaben eines Versicherten haben nicht grundsätzlich höheren Beweiswert als dessen spätere Angaben.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. März 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) die Anerkennung ihres Unfalls am 22. Oktober 1996 als Arbeitsunfall.
Die im Jahre 1963 geborene Klägerin ist seit dem Jahre 1994 Inhaberin eines Jagdscheins iS des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) und hatte eine Jagderlaubnis des Jagdpächters S für dessen Jagdrevier. Sobald die Klägerin jagdpachtfähig werden würde, sollte sie Mitpächterin in diesem Jagdrevier werden und war daher schon an allen Pflichten und Lasten für das Revier beteiligt. Am 22. Oktober 1996 begab sie sich um 18.00 Uhr in Begleitung ihrer beiden Kinder in das Revier, um Enten zu "jagen" - so der Durchgangsarztbericht und die Unfallanzeige des Jagdpächters - oder zu "vertreiben" - so ihr Klagevortrag und die Zeugenaussage des Jagdpächters. Auf dem Heimweg erlitt sie gegen 18.20 Uhr einen Unfall, als sie umknickte und sich das linke Sprunggelenk verletzte. Der Jagdpächter teilte der Beklagten ergänzend mit, aufgrund seiner Montagetätigkeit mit längerer Abwesenheit habe er der Klägerin alle seine Rechte und Pflichten hinsichtlich der Jagd für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit übertragen und sie beauftragt, ua die Enten stärker zu bejagen, um den Wildschaden so gering wie möglich zu halten. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, weil die Klägerin als Jagdgast nicht versichert gewesen sei (Bescheide vom 15. November 1996 und 2. Dezember 1996, letzterer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1997).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 21. Oktober 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. März 2002) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei wie eine Jagdaufseherin des Jagdpächters tätig geworden. Sie sei kein Jagdgast iS des § 542 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen, da ihre Tätigkeit im Revier nicht der Jagdausübung iS von § 1 Abs 4 BJagdG, nämlich dem "Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild", gedient habe. Sie habe vielmehr Maßnahmen der sog Wildhege ergriffen, die von der Jagdausübung zu unterscheiden seien (vgl § 1 Abs 2, 4 BJagdG) und wozu auch nach § 1 Abs 2 Satz 2 BJagdG die Vermeidung von Wildschäden gehöre. Denn die Klägerin habe die Enten lediglich vertreiben wollen. Auf die Geeignetheit der eingesetzten Mittel hierfür komme es nicht an, zumal nach der Aussage des Jagdpächters nur gegenüber dem betroffenen Landwirt "Aktivitäten" gezeigt werden sollten. Ob die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit auch von Personen hätte ausgeübt werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen, ließ das LSG dahingestellt, da nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO nicht nur der Jagdpächter, sondern auch der in seinem Jagdunternehmen Tätige unter Versicherungsschutz stehe. Die Eigeninteressen der Klägerin (Mitnahme ihrer Kinder und die Absicht, einmal Mitpächterin des Jagdpächters zu werden) würden gegenüber den Interessen der Klägerin, die Hege im Jagdrevier für den zeitweilig verhinderten Jagdpächter durchzuführen, nicht überwiegen. Aus der Wortwahl ("Entenjagd") zu Beginn des Verwaltungsverfahrens folge nichts Anderes, da nicht auf den anfangs verwandten Begriff, sondern die objektiv feststellbaren Umstände abzustellen sei.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie macht geltend, das LSG habe § 542 Nr 3 RVO zu Unrecht als eng auszulegende Ausnahmeregel angesehen. Der Jagdgast sei versicherungsfrei, obwohl er bei der Jagd betriebsdienliche Tätigkeiten mit Wissen und Wollen des Unternehmers ausübe. Grundlage seines Tätigwerdens sei nicht ein beschäftigungsähnliches Verhältnis, sondern eine entgeltlich oder unentgeltlich erteilte Jagderlaubnis. Folglich seien alle Tätigkeiten iS des § 1 BJagdG nicht versichert, auch wenn sie den Tatbestand des § 539 Abs 2 RVO erfüllen würden. Jagdgast iS des § 542 Nr 3 RVO sei nicht nur derjenige, der ein- oder mehrmals an der Jagd teilnehme, sondern auch der, dem die dauernde Jagderlaubnis für ein bestimmtes Revier erteilt sei. Der Begriff Jagdausübung sei nicht auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild iS des § 1 Abs 4 BJagdG beschränkt. Zur Jagdausübung gehöre auch die Hege des Wildes. Das bloße Verscheuchen der Enten sei der Klägerin nur aufgrund ihres Jagdscheines gestattet gewesen. Zumal sie zumindest einen Schuss abgegeben habe, was lediglich zur Jagdausübung erlaubt sei. Die schriftliche Jagderlaubnis der Klägerin spreche gegen eine Tätigkeit als Jagdaufseherin, da nur ein Jagdgast eine solche benötige. Das LSG habe auch gegen das Recht auf freie Beweiswürdigung verstoßen, weil es den von versicherungsrechtlichen Überlegungen noch freien Erstangaben der Klägerin und des Jagdpächters keinen höheren Beweiswert als deren späteren Angaben im Gerichtsverfahren beigemessen habe. Die Frage, ob eine Entenjagd vorgelegen habe oder nicht, sei eine tatsächliche und keine rechtliche Frage. Auch sei der Begriff des "Verscheuchens" dem BJagdG (vgl dessen § 26) nicht fremd. Das Gericht hätte sich gedrängt sehen müssen, einen Sachverständigen zum Sprachgebrauch der Jäger zu hören.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. März 2002 und das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 21. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe ihre Wortwahl und die des Jagdpächters sehr wohl berücksichtigt, und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Sprachgebrauch der Jäger dränge sich nicht auf. Ihr Handeln sei aber - entgegen der Ansicht des LSG - keine Wildhege iS des BJagdG (vgl dessen § 1 Abs 1 Satz 1) gewesen. Das Verscheuchen der Enten sei keine jagdtypische Handlung gewesen. Dafür sei keine Jagderlaubnis erforderlich gewesen. Auch das Verscheuchen mit einer Schusswaffe hätte keine Jagderlaubnis erfordert, sondern nur einen Waffenschein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
II
Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über die von der Klägerin geltend gemachte Anerkennung ihres Unfalls vom 22. Oktober 1996 als Arbeitsunfall nicht aus.
Auf den geltend gemachten Anspruch sind noch die Vorschriften der RVO anzuwenden, weil sich der Unfall am 22. Oktober 1996 und damit vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes vom 7. August 1996, BGBl I 1254, § 212 SGB VII).
Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten) erleidet (§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO). Eine versicherte Tätigkeit, die einen Versicherungsschutz der Klägerin für den Unfall am 22. Oktober 1996 begründen könnte, kann sich nur aus § 539 Abs 2 RVO ergeben, wenn die Klägerin im Unfallzeitpunkt wie eine Versicherte nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO tätig war (sog Wie-Beschäftigte). Insbesondere sind keine Anhaltspunkte für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO zu erkennen und auch für ein Tätigwerden der Klägerin als Unternehmerin gemäß § 539 Abs 1 Nr 5 iVm § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 3 RVO sind die Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn obwohl die Klägerin an den Pflichten und Lasten für das Revier schon beteiligt war, war sie noch keine Mitpächterin und damit (Mit-)Unternehmerin, sondern wollte es erst werden (zum Begriff des Unternehmers einer Jagd vgl BSGE 16, 79 ff).
Eine versicherte Tätigkeit nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG voraus, dass - selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt - eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSGE 5, 168, 174; 14, 1, 4 = SozR Nr 1 zu § 798 RVO aF; 15, 292, 294 = SozR Nr 25 zu § 537 RVO aF; BSGE 16, 73, 76 = SozR Nr 26 zu § 537 RVO aF; BSGE 17, 211, 216 = SozR Nr 30 zu § 537 RVO aF; BSGE 34, 240, 242 = SozR Nr 32 zu § 539 RVO; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 16, 37; Brackmann/Wiester, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, § 2 RdNr 804). Bei einer Tätigkeit gemäß § 539 Abs 2 RVO braucht eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen nicht vorzuliegen (vgl Brackmann/Wiester, aaO, § 2 RdNr 841 mwN).
Kein Versicherungsschutz, sondern Versicherungsfreiheit bestand nach der ausdrücklichen Regelung des § 542 Nr 3 RVO, wenn die Klägerin aufgrund der vom Jagdausübungsberechtigten erteilten Jagderlaubnis die Jagd als sogenannter Jagdgast ausgeübt hat. Die genannte Vorschrift konkretisiert den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz, dass Tätigkeiten, die in den Bereich des Privatlebens gehören, nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen (so die Gesetzesbegründung BT-Drucks IV/120 S 53). Dass die Klägerin eine Jagderlaubnis des Jagdausübungsberechtigten besessen hat, führt allerdings nicht dazu, dass sie zwangsläufig bei jedem Gang in oder aus dem Revier als Jagdgast versicherungsfrei war. Vielmehr kann auch eine Person, die über einen Jagdschein und eine Jagderlaubnis für ein Revier verfügt, in diesem als "Wie-Beschäftigte" gemäß § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO tätig werden, zB beim Bau eines Hochsitzes (BSG SozR Nr 1 zu § 542 RVO; BSG SozR 2200 § 542 Nr 2).
Bei der Abgrenzung der versicherungsfreien Tätigkeit als Jagdgast von der versicherten Tätigkeit als "Wie-Beschäftigter" im Jagdunternehmen des Jagdpächters muss neben dem Wortlaut des § 542 Nr 3 RVO dessen Funktion innerhalb des Regelungszusammenhangs der §§ 539 ff RVO beachtet werden. Zur Bestimmung dessen, was zur Jagdausübung gehört, ist von den einschlägigen Vorschriften des Jagdrechts auszugehen, weil es einen hiervon unterschiedlichen Begriff der Jagdausübung in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gibt (BSG SozR Nr 19 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 542 Nr 2). Nach § 1 BJagdG ist das Jagdrecht die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wild lebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen (Wild), zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sie sich anzueignen. Mit dem Jagdrecht ist die Pflicht zur Hege verbunden. Die Hege hat die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen zum Ziel (§ 1 Abs 2 BJagdG). Die Jagdausübung erstreckt sich auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild (§ 1 Abs 4 BJagdG). Soweit das LSG davon ausgeht, dass Jagdausübung und Hege zwei verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Tätigkeiten darstellten, verkennt es diese jagdrechtlichen Begriffe: Denn zur Hege kann auch das Jagen von Tieren gehören, zB um den Bestand bestimmter Tierarten zu verringern (vgl § 21 BJagdG: Abschussregelung; Mitzschke/Schäfer, Kommentar zum Bundesjagdgesetz, 4. Aufl, 1982, § 1 BJG Nr 8: "Hege mit der Büchse").
Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die an sich schon nach allgemeinen Grundsätzen bestehende Versicherungsfreiheit des Jagdgastes zum Gegenstand einer gesonderten Regelung gemacht und für Jagdgäste überdies auch eine Versicherungsberechtigung mittlerweile ausdrücklich ausgeschlossen hat (§ 3 Abs 2 Nr 3, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VII), macht deutlich, dass der betreffende Personenkreis keinen Unfallversicherungsschutz erhalten soll, und zwar auch dann nicht, wenn bei der Ausübung der Jagd zugleich Aufgaben des Jagdpächters, beispielsweise die Hege des Wildbestandes, wahrgenommen werden. Dass der Jagdgast neben seinem eigenen Interesse an der Jagd durch den Abschuss von Wild gegebenenfalls die Abschussquoten des Jagdpächters (vgl §§ 21, 27 BJagdG) erfüllt, macht ihn deshalb angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht zu dessen "Wie-Beschäftigten" (BSG SozR Nr 1 zu § 542 RVO). Auch wenn er anlässlich seines Aufenthaltes im Revier des Jagdberechtigten nebenher eine Tätigkeit verrichtet, die nicht zur Jagdausübung gehört, zB Aufräumungs- oder Säuberungsarbeiten, so wird damit nicht der gesamte Aufenthalt einschließlich der Zu- und Abwege zu einer versicherten Tätigkeit (BSG aaO). Nur wenn keine Jagd ausgeübt wurde und der Aufenthalt im Revier im wesentlichen Zwecken des Jagdpächters und seines Unternehmens gedient hat, kann die in Rede stehende Tätigkeit nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert sein. Ob eine derartige versicherte Tätigkeit vorlag, ist stets ausschließlich nach den zum Unfall führenden Tätigkeiten unabhängig von den sonstigen Betätigungen des Verletzten im Jagdrevier zu beurteilen. Unerheblich ist, ob er früher an anderen Tagen für den Jagdpächter als Jagdgast tätig wurde oder Tätigkeiten verrichtete, bei denen er wie ein Beschäftigter tätig wurde.
Im Übrigen ist zu bedenken, dass nicht jeder Aufenthalt einer Person mit Jagdschein und Jagderlaubnis für das jeweilige Revier in diesem Revier entweder eine Tätigkeit als Jagdgast oder eine als "Wie-Beschäftigter" sein muss, sondern aus privaten und persönlichen Interessen, die ggf nicht unmittelbar der Jagdausübung dienen, veranlasst sein kann. Die Beurteilung, ob der Aufenthalt und die verrichteten Tätigkeiten im Revier als "Wie-Beschäftigter" dem Unternehmen des Jagdpächters iS des § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO dienten oder als Jagdgast iS des § 542 Nr 3 RVO oder aus persönlichen, privaten Gründe erfolgten, hat nach objektiven Merkmalen unter Einbeziehung der Gesamtumstände des Einzelfalles - insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten bzw vorgesehenen Tätigkeit(en) - zu erfolgen (BSG SozR 2200 § 542 Nr 2).
Ausgehend von diesen Grundsätzen lassen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht den Schluss zu, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt eine nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherte Tätigkeit verrichtet hat.
Das LSG ist aufgrund des Klagevorbringens und der Angaben des Zeugen S davon ausgegangen, dass die Klägerin am Abend des 22. Oktober 1996 nicht der Jagd nachgegangen ist, sondern lediglich Enten vertreiben wollte, wie es ihr der Jagdpächter aufgetragen habe. Es sei nur darum gegangen, gegenüber den Landwirten "Aktivitäten" zu zeigen. Die gegen diese Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Beklagten gehen fehl. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, dass aus den ersten Angaben der Klägerin und des Jagdpächters mit dem Begriff "Entenjagd" nicht automatisch folgt, dass die Klägerin auf dem Rückweg von einer unversicherten Tätigkeit als Jagdgast war, als sich der Unfall ereignete. Denn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) kennen eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben usw zu würdigen. Denn der objektive Beweiswert einer Erklärung kann nicht allein nach dem zeitlichen Abstand von dem Ereignis, auf das sie sich bezieht, bestimmt werden (BSG vom 14. März 1958 - 2 RU 126/56 -). Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles und vor allem auch die Glaubwürdigkeit der die Erklärung abgebenden Personen zu würdigen (vgl Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Aufl, 1995). Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung kann das Gericht den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen ggf noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen zumessen, muss es aber nicht. Auch musste das LSG sich nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Sprache der Jäger gedrängt fühlen, weil nicht zu erkennen ist, welche für das vorliegende Verfahren entscheidungserhebliche Feststellung damit bewiesen werden sollte.
Die mangels durchgreifender Verfahrensrügen für den Senat bindende Feststellung des LSG, dass es sich bei den Aktivitäten der Klägerin nicht um Jagdausübung iS des § 1 Abs 4 BJagdG, sondern um Maßnahmen der Hege iS des § 1 Abs 4 BJagdG gehandelt hat, ist indessen für die Frage des Versicherungsschutzes nicht entscheidungserheblich. Denn wie bereits ausgeführt wurde, können entgegen dem vom LSG zugrunde gelegten landläufigen Begriff der Jagd gerade auch Maßnahmen der Hege zur Jagdausübung eines Jagdgastes iS des § 542 Nr 3 RVO iVm § 1 Abs 4 BJagdG gehören und die Versicherungsfreiheit entfällt nicht deshalb, weil durch die Jagd zugleich der Entstehung von Wildschäden in der Landwirtschaft vorgebeugt werden soll. Auch wenn die Klägerin die Enten "nur" vertreiben oder verscheuchen wollte, schließt dies eine versicherungsfreie Jagdausübung als Jagdgast nicht aus. Aber selbst wenn sie im Unfallzeitpunkt nicht der Jagd nachgegangen sein sollte, kann die Klägerin unversichert gewesen sein, da nicht jede andere Tätigkeit einer Person im Jagdrevier automatisch von dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO umfasst ist. Nur wenn die Klägerin bei ihrem Aufenthalt im Revier keine Jagd ausgeübt, sondern eine im Interesse des Jagdpächters liegende andere Tätigkeit verrichtet hat, kommt eine Anerkennung des erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall in Betracht. Ob ein solcher Sachverhalt vorliegt, lässt sich beim derzeitigen Stand des Verfahrens nicht entscheiden, denn dazu müssen die Geschehensabläufe vor und während des Unfalls sowie die Motive der Klägerin, die sich nach den Feststellungen des LSG nur zwanzig Minuten in Begleitung ihrer Kinder im Revier aufgehalten und nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten einen Schuss aus dem mitgeführten Jagdgewehr abgegeben hat, genauer aufgeklärt werden. Da dies dem Revisionsgericht verwehrt ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) die Anerkennung ihres Unfalls am 22. Oktober 1996 als Arbeitsunfall.
Die im Jahre 1963 geborene Klägerin ist seit dem Jahre 1994 Inhaberin eines Jagdscheins iS des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) und hatte eine Jagderlaubnis des Jagdpächters S für dessen Jagdrevier. Sobald die Klägerin jagdpachtfähig werden würde, sollte sie Mitpächterin in diesem Jagdrevier werden und war daher schon an allen Pflichten und Lasten für das Revier beteiligt. Am 22. Oktober 1996 begab sie sich um 18.00 Uhr in Begleitung ihrer beiden Kinder in das Revier, um Enten zu "jagen" - so der Durchgangsarztbericht und die Unfallanzeige des Jagdpächters - oder zu "vertreiben" - so ihr Klagevortrag und die Zeugenaussage des Jagdpächters. Auf dem Heimweg erlitt sie gegen 18.20 Uhr einen Unfall, als sie umknickte und sich das linke Sprunggelenk verletzte. Der Jagdpächter teilte der Beklagten ergänzend mit, aufgrund seiner Montagetätigkeit mit längerer Abwesenheit habe er der Klägerin alle seine Rechte und Pflichten hinsichtlich der Jagd für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit übertragen und sie beauftragt, ua die Enten stärker zu bejagen, um den Wildschaden so gering wie möglich zu halten. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, weil die Klägerin als Jagdgast nicht versichert gewesen sei (Bescheide vom 15. November 1996 und 2. Dezember 1996, letzterer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1997).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 21. Oktober 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 27. März 2002) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei wie eine Jagdaufseherin des Jagdpächters tätig geworden. Sie sei kein Jagdgast iS des § 542 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen, da ihre Tätigkeit im Revier nicht der Jagdausübung iS von § 1 Abs 4 BJagdG, nämlich dem "Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild", gedient habe. Sie habe vielmehr Maßnahmen der sog Wildhege ergriffen, die von der Jagdausübung zu unterscheiden seien (vgl § 1 Abs 2, 4 BJagdG) und wozu auch nach § 1 Abs 2 Satz 2 BJagdG die Vermeidung von Wildschäden gehöre. Denn die Klägerin habe die Enten lediglich vertreiben wollen. Auf die Geeignetheit der eingesetzten Mittel hierfür komme es nicht an, zumal nach der Aussage des Jagdpächters nur gegenüber dem betroffenen Landwirt "Aktivitäten" gezeigt werden sollten. Ob die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit auch von Personen hätte ausgeübt werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen, ließ das LSG dahingestellt, da nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO nicht nur der Jagdpächter, sondern auch der in seinem Jagdunternehmen Tätige unter Versicherungsschutz stehe. Die Eigeninteressen der Klägerin (Mitnahme ihrer Kinder und die Absicht, einmal Mitpächterin des Jagdpächters zu werden) würden gegenüber den Interessen der Klägerin, die Hege im Jagdrevier für den zeitweilig verhinderten Jagdpächter durchzuführen, nicht überwiegen. Aus der Wortwahl ("Entenjagd") zu Beginn des Verwaltungsverfahrens folge nichts Anderes, da nicht auf den anfangs verwandten Begriff, sondern die objektiv feststellbaren Umstände abzustellen sei.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie macht geltend, das LSG habe § 542 Nr 3 RVO zu Unrecht als eng auszulegende Ausnahmeregel angesehen. Der Jagdgast sei versicherungsfrei, obwohl er bei der Jagd betriebsdienliche Tätigkeiten mit Wissen und Wollen des Unternehmers ausübe. Grundlage seines Tätigwerdens sei nicht ein beschäftigungsähnliches Verhältnis, sondern eine entgeltlich oder unentgeltlich erteilte Jagderlaubnis. Folglich seien alle Tätigkeiten iS des § 1 BJagdG nicht versichert, auch wenn sie den Tatbestand des § 539 Abs 2 RVO erfüllen würden. Jagdgast iS des § 542 Nr 3 RVO sei nicht nur derjenige, der ein- oder mehrmals an der Jagd teilnehme, sondern auch der, dem die dauernde Jagderlaubnis für ein bestimmtes Revier erteilt sei. Der Begriff Jagdausübung sei nicht auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild iS des § 1 Abs 4 BJagdG beschränkt. Zur Jagdausübung gehöre auch die Hege des Wildes. Das bloße Verscheuchen der Enten sei der Klägerin nur aufgrund ihres Jagdscheines gestattet gewesen. Zumal sie zumindest einen Schuss abgegeben habe, was lediglich zur Jagdausübung erlaubt sei. Die schriftliche Jagderlaubnis der Klägerin spreche gegen eine Tätigkeit als Jagdaufseherin, da nur ein Jagdgast eine solche benötige. Das LSG habe auch gegen das Recht auf freie Beweiswürdigung verstoßen, weil es den von versicherungsrechtlichen Überlegungen noch freien Erstangaben der Klägerin und des Jagdpächters keinen höheren Beweiswert als deren späteren Angaben im Gerichtsverfahren beigemessen habe. Die Frage, ob eine Entenjagd vorgelegen habe oder nicht, sei eine tatsächliche und keine rechtliche Frage. Auch sei der Begriff des "Verscheuchens" dem BJagdG (vgl dessen § 26) nicht fremd. Das Gericht hätte sich gedrängt sehen müssen, einen Sachverständigen zum Sprachgebrauch der Jäger zu hören.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. März 2002 und das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 21. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe ihre Wortwahl und die des Jagdpächters sehr wohl berücksichtigt, und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Sprachgebrauch der Jäger dränge sich nicht auf. Ihr Handeln sei aber - entgegen der Ansicht des LSG - keine Wildhege iS des BJagdG (vgl dessen § 1 Abs 1 Satz 1) gewesen. Das Verscheuchen der Enten sei keine jagdtypische Handlung gewesen. Dafür sei keine Jagderlaubnis erforderlich gewesen. Auch das Verscheuchen mit einer Schusswaffe hätte keine Jagderlaubnis erfordert, sondern nur einen Waffenschein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
II
Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über die von der Klägerin geltend gemachte Anerkennung ihres Unfalls vom 22. Oktober 1996 als Arbeitsunfall nicht aus.
Auf den geltend gemachten Anspruch sind noch die Vorschriften der RVO anzuwenden, weil sich der Unfall am 22. Oktober 1996 und damit vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes vom 7. August 1996, BGBl I 1254, § 212 SGB VII).
Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten) erleidet (§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO). Eine versicherte Tätigkeit, die einen Versicherungsschutz der Klägerin für den Unfall am 22. Oktober 1996 begründen könnte, kann sich nur aus § 539 Abs 2 RVO ergeben, wenn die Klägerin im Unfallzeitpunkt wie eine Versicherte nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO tätig war (sog Wie-Beschäftigte). Insbesondere sind keine Anhaltspunkte für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO zu erkennen und auch für ein Tätigwerden der Klägerin als Unternehmerin gemäß § 539 Abs 1 Nr 5 iVm § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 3 RVO sind die Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn obwohl die Klägerin an den Pflichten und Lasten für das Revier schon beteiligt war, war sie noch keine Mitpächterin und damit (Mit-)Unternehmerin, sondern wollte es erst werden (zum Begriff des Unternehmers einer Jagd vgl BSGE 16, 79 ff).
Eine versicherte Tätigkeit nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG voraus, dass - selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt - eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit vorliegt, die ungeachtet des Beweggrundes des Tätigwerdens ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSGE 5, 168, 174; 14, 1, 4 = SozR Nr 1 zu § 798 RVO aF; 15, 292, 294 = SozR Nr 25 zu § 537 RVO aF; BSGE 16, 73, 76 = SozR Nr 26 zu § 537 RVO aF; BSGE 17, 211, 216 = SozR Nr 30 zu § 537 RVO aF; BSGE 34, 240, 242 = SozR Nr 32 zu § 539 RVO; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 16, 37; Brackmann/Wiester, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, § 2 RdNr 804). Bei einer Tätigkeit gemäß § 539 Abs 2 RVO braucht eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen nicht vorzuliegen (vgl Brackmann/Wiester, aaO, § 2 RdNr 841 mwN).
Kein Versicherungsschutz, sondern Versicherungsfreiheit bestand nach der ausdrücklichen Regelung des § 542 Nr 3 RVO, wenn die Klägerin aufgrund der vom Jagdausübungsberechtigten erteilten Jagderlaubnis die Jagd als sogenannter Jagdgast ausgeübt hat. Die genannte Vorschrift konkretisiert den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz, dass Tätigkeiten, die in den Bereich des Privatlebens gehören, nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen (so die Gesetzesbegründung BT-Drucks IV/120 S 53). Dass die Klägerin eine Jagderlaubnis des Jagdausübungsberechtigten besessen hat, führt allerdings nicht dazu, dass sie zwangsläufig bei jedem Gang in oder aus dem Revier als Jagdgast versicherungsfrei war. Vielmehr kann auch eine Person, die über einen Jagdschein und eine Jagderlaubnis für ein Revier verfügt, in diesem als "Wie-Beschäftigte" gemäß § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO tätig werden, zB beim Bau eines Hochsitzes (BSG SozR Nr 1 zu § 542 RVO; BSG SozR 2200 § 542 Nr 2).
Bei der Abgrenzung der versicherungsfreien Tätigkeit als Jagdgast von der versicherten Tätigkeit als "Wie-Beschäftigter" im Jagdunternehmen des Jagdpächters muss neben dem Wortlaut des § 542 Nr 3 RVO dessen Funktion innerhalb des Regelungszusammenhangs der §§ 539 ff RVO beachtet werden. Zur Bestimmung dessen, was zur Jagdausübung gehört, ist von den einschlägigen Vorschriften des Jagdrechts auszugehen, weil es einen hiervon unterschiedlichen Begriff der Jagdausübung in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gibt (BSG SozR Nr 19 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 542 Nr 2). Nach § 1 BJagdG ist das Jagdrecht die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wild lebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen (Wild), zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sie sich anzueignen. Mit dem Jagdrecht ist die Pflicht zur Hege verbunden. Die Hege hat die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen zum Ziel (§ 1 Abs 2 BJagdG). Die Jagdausübung erstreckt sich auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild (§ 1 Abs 4 BJagdG). Soweit das LSG davon ausgeht, dass Jagdausübung und Hege zwei verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Tätigkeiten darstellten, verkennt es diese jagdrechtlichen Begriffe: Denn zur Hege kann auch das Jagen von Tieren gehören, zB um den Bestand bestimmter Tierarten zu verringern (vgl § 21 BJagdG: Abschussregelung; Mitzschke/Schäfer, Kommentar zum Bundesjagdgesetz, 4. Aufl, 1982, § 1 BJG Nr 8: "Hege mit der Büchse").
Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die an sich schon nach allgemeinen Grundsätzen bestehende Versicherungsfreiheit des Jagdgastes zum Gegenstand einer gesonderten Regelung gemacht und für Jagdgäste überdies auch eine Versicherungsberechtigung mittlerweile ausdrücklich ausgeschlossen hat (§ 3 Abs 2 Nr 3, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VII), macht deutlich, dass der betreffende Personenkreis keinen Unfallversicherungsschutz erhalten soll, und zwar auch dann nicht, wenn bei der Ausübung der Jagd zugleich Aufgaben des Jagdpächters, beispielsweise die Hege des Wildbestandes, wahrgenommen werden. Dass der Jagdgast neben seinem eigenen Interesse an der Jagd durch den Abschuss von Wild gegebenenfalls die Abschussquoten des Jagdpächters (vgl §§ 21, 27 BJagdG) erfüllt, macht ihn deshalb angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht zu dessen "Wie-Beschäftigten" (BSG SozR Nr 1 zu § 542 RVO). Auch wenn er anlässlich seines Aufenthaltes im Revier des Jagdberechtigten nebenher eine Tätigkeit verrichtet, die nicht zur Jagdausübung gehört, zB Aufräumungs- oder Säuberungsarbeiten, so wird damit nicht der gesamte Aufenthalt einschließlich der Zu- und Abwege zu einer versicherten Tätigkeit (BSG aaO). Nur wenn keine Jagd ausgeübt wurde und der Aufenthalt im Revier im wesentlichen Zwecken des Jagdpächters und seines Unternehmens gedient hat, kann die in Rede stehende Tätigkeit nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert sein. Ob eine derartige versicherte Tätigkeit vorlag, ist stets ausschließlich nach den zum Unfall führenden Tätigkeiten unabhängig von den sonstigen Betätigungen des Verletzten im Jagdrevier zu beurteilen. Unerheblich ist, ob er früher an anderen Tagen für den Jagdpächter als Jagdgast tätig wurde oder Tätigkeiten verrichtete, bei denen er wie ein Beschäftigter tätig wurde.
Im Übrigen ist zu bedenken, dass nicht jeder Aufenthalt einer Person mit Jagdschein und Jagderlaubnis für das jeweilige Revier in diesem Revier entweder eine Tätigkeit als Jagdgast oder eine als "Wie-Beschäftigter" sein muss, sondern aus privaten und persönlichen Interessen, die ggf nicht unmittelbar der Jagdausübung dienen, veranlasst sein kann. Die Beurteilung, ob der Aufenthalt und die verrichteten Tätigkeiten im Revier als "Wie-Beschäftigter" dem Unternehmen des Jagdpächters iS des § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO dienten oder als Jagdgast iS des § 542 Nr 3 RVO oder aus persönlichen, privaten Gründe erfolgten, hat nach objektiven Merkmalen unter Einbeziehung der Gesamtumstände des Einzelfalles - insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten bzw vorgesehenen Tätigkeit(en) - zu erfolgen (BSG SozR 2200 § 542 Nr 2).
Ausgehend von diesen Grundsätzen lassen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht den Schluss zu, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt eine nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherte Tätigkeit verrichtet hat.
Das LSG ist aufgrund des Klagevorbringens und der Angaben des Zeugen S davon ausgegangen, dass die Klägerin am Abend des 22. Oktober 1996 nicht der Jagd nachgegangen ist, sondern lediglich Enten vertreiben wollte, wie es ihr der Jagdpächter aufgetragen habe. Es sei nur darum gegangen, gegenüber den Landwirten "Aktivitäten" zu zeigen. Die gegen diese Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Beklagten gehen fehl. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, dass aus den ersten Angaben der Klägerin und des Jagdpächters mit dem Begriff "Entenjagd" nicht automatisch folgt, dass die Klägerin auf dem Rückweg von einer unversicherten Tätigkeit als Jagdgast war, als sich der Unfall ereignete. Denn weder das SGG noch die Zivilprozessordnung (ZPO) kennen eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG, § 286 ZPO) sind vielmehr alle Aussagen, Angaben usw zu würdigen. Denn der objektive Beweiswert einer Erklärung kann nicht allein nach dem zeitlichen Abstand von dem Ereignis, auf das sie sich bezieht, bestimmt werden (BSG vom 14. März 1958 - 2 RU 126/56 -). Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles und vor allem auch die Glaubwürdigkeit der die Erklärung abgebenden Personen zu würdigen (vgl Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Aufl, 1995). Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung kann das Gericht den zeitlich früheren Aussagen aufgrund des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen ggf noch unbeeinflusst waren, einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen zumessen, muss es aber nicht. Auch musste das LSG sich nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Sprache der Jäger gedrängt fühlen, weil nicht zu erkennen ist, welche für das vorliegende Verfahren entscheidungserhebliche Feststellung damit bewiesen werden sollte.
Die mangels durchgreifender Verfahrensrügen für den Senat bindende Feststellung des LSG, dass es sich bei den Aktivitäten der Klägerin nicht um Jagdausübung iS des § 1 Abs 4 BJagdG, sondern um Maßnahmen der Hege iS des § 1 Abs 4 BJagdG gehandelt hat, ist indessen für die Frage des Versicherungsschutzes nicht entscheidungserheblich. Denn wie bereits ausgeführt wurde, können entgegen dem vom LSG zugrunde gelegten landläufigen Begriff der Jagd gerade auch Maßnahmen der Hege zur Jagdausübung eines Jagdgastes iS des § 542 Nr 3 RVO iVm § 1 Abs 4 BJagdG gehören und die Versicherungsfreiheit entfällt nicht deshalb, weil durch die Jagd zugleich der Entstehung von Wildschäden in der Landwirtschaft vorgebeugt werden soll. Auch wenn die Klägerin die Enten "nur" vertreiben oder verscheuchen wollte, schließt dies eine versicherungsfreie Jagdausübung als Jagdgast nicht aus. Aber selbst wenn sie im Unfallzeitpunkt nicht der Jagd nachgegangen sein sollte, kann die Klägerin unversichert gewesen sein, da nicht jede andere Tätigkeit einer Person im Jagdrevier automatisch von dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO umfasst ist. Nur wenn die Klägerin bei ihrem Aufenthalt im Revier keine Jagd ausgeübt, sondern eine im Interesse des Jagdpächters liegende andere Tätigkeit verrichtet hat, kommt eine Anerkennung des erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall in Betracht. Ob ein solcher Sachverhalt vorliegt, lässt sich beim derzeitigen Stand des Verfahrens nicht entscheiden, denn dazu müssen die Geschehensabläufe vor und während des Unfalls sowie die Motive der Klägerin, die sich nach den Feststellungen des LSG nur zwanzig Minuten in Begleitung ihrer Kinder im Revier aufgehalten und nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten einen Schuss aus dem mitgeführten Jagdgewehr abgegeben hat, genauer aufgeklärt werden. Da dies dem Revisionsgericht verwehrt ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved