Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 549/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 428/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.10.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die teilweise Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und Erstattung von 29.303,49 DM.
Der 1942 geborene Kläger war von 1972 bis 31.12.1997 als Elektrotechniker beschäftigt bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 7.719,50 DM. Er meldete sich am 02.12.1997 mit Wirkung zum 01.01.1998 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Dabei gab er an, auf seiner Lohnsteuerkarte sei die Lohnsteuerklasse III eingetragen.
Mit Bescheid vom 10.02.1998 bewilligte die Beklagte Alg ab 01.01.1998 nach Leistungsgruppe C in Höhe von 642,88 DM wöchentlich. Anlässlich eines Telefongesprächs mit dem Kläger vom 11.05.2000 und auf Grund Nachfrage bei der Stadt M. (12.05.2000) erfuhr die Beklagte, dass der Kläger mit Wirkung zum 01.05.1998 auf der Lohnsteuerkarte 1998 die Steuerklasse V hat eintragen lassen. Diese Steuerklasse war auch auf den Lohnsteuerkarten 1999 und 2000 vermerkt.
Mit Bescheid vom 29.05.2000 hob die Beklagte die Alg-Bewilligungen für die Zeit vom 01.05.1998 bis 30.04.2000 (Bescheide vom 10.02.1998, 26.01.1999 und 26.01.2000) teilweise auf und forderte vom Kläger überzahltes Alg in Höhe von 29.303,49 DM zurück. Alg habe lediglich nach der Leistungsgruppe D in Höhe von anfangs 371,28 DM/Woche zugestanden.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, das Finanzamt A. habe ihm im April 1998 geraten, im Hinblick auf das wesentlich höhere Einkommen seiner Ehefrau die Lohnsteuerklassen zu wechseln. Er sei davon ausgegangen, dass die Beklagte durch einen Hinweis des Finanzamts vom Steuerklassenwechsel informiert werde.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.10.2000 zurück. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung werde auf § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) i.V.m. § 330 Abs.3 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) gestützt, da der Kläger zur Mitteilung des Lohnsteuerklassenwechsels gem. § 60 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) verpflichtet gewesen sei. Auf diese Pflicht sei er auf Seite 50/51 des ihm ausgehändigten Merkblatts für Arbeitslose hingewiesen worden. Auch hätte er erkennen können, dass ihm wegen des Steuerklassenwechsels Alg nicht mehr nach Leistungsgruppe C zugestanden habe.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 29.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufzuheben. Grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil er auf ausdrücklichen Rat des zuständigen Finanzamts gehandelt habe.
Mit Urteil vom 02.10.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Pflicht zur Mitteilung des Lohnsteuerklassenwechsels habe der Kläger dem nachweislich ausgehändigten Merkblatt entnehmen können. Über die Abhängigkeit der Leistungsgruppe von der jeweiligen Lohnsteuerklasse sei er auch auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides aufgeklärt worden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das angefochtene Urteil widerspreche der Wertung des BSG im Urteil vom 29.08.2002 - B 11 AL 87/01 R -. Der vom BSG danach geforderte Hinweis zu den leistungsrechtlichen Folgen des Steuerklassenwechsels fehle in dem ihm ausgehändigten Merkblatt Stand April 1997. Selbst den im Merkblatt Stand Januar 1998 enthaltenen Hinweis ("Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein.") habe das BSG nicht für ausreichend gehalten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.10.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Dem Kläger sei das Merkblatt Stand Januar 1998 ausgehändigt worden, in dem er auf die leistungsrechtlichen Auswirkungen und darauf, sich vor dem Steuerklassenwechsel beraten zu lassen, hingewiesen worden sei.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet, denn das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte war nämlich zur teilweisen Aufhebung der Bewilligungsbescheide nicht berechtigt, so dass der Kläger zur Erstattung des geforderten Betrages nicht verpflichtet ist.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 SGB X i.V.m. § 330 Abs.3 Satz 1 SGB III für eine Teilaufhebung der Alg-Bewilligungen (Zeitraum 01.05.1998 bis 30.04.2000) und für eine entsprechende Rückforderung lagen nicht vor (§ 50 Abs.1 SGB X).
Zwar stellte der Wechsel von Steuerklasse III zu Steuerklasse V mit Wirkung ab 01.05.1998 eine nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X wesentliche und für den Kläger nachteilige Änderung der Verhältnisse dar. Denn die auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklassenänderung hatte Auswirkungen auf die dem Kläger zuerkannte Leistung, weil sie sich mindernd auf die Höhe seines Anspruchs auf Alg auswirkte. Nach § 129 SGB III beträgt das Alg einen bestimmten Prozentsatz des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum (§§ 130 f SGB III) erzielt hat (Bemessungsentgelt; §§ 132 f SGB III). In Konkretisierung dieses Grundsatzes ist Leistungsentgelt das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt (§ 136 Abs.1 SGB III). Zu den Entgeltabzügen gehört u.a. die Lohnsteuer, wobei die Steuer zugrunde zu legen ist, die sich nach der für den Arbeitslosen maßgeblichen Leistungsgruppe ergibt (§ 136 Abs.2 Satz 1 und Satz 2 Nr.1 i.V.m. § 137 Abs.1 SGB III). Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist, sind der Leistungsgruppe C zuzuordnen und Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, der Leistungsgruppe D (§ 137 Abs.2 Nr.3 a und Nr.4 SGB III).
Die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe richtet sich grundsätzlich nach derjenigen Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf Alg entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war (§ 137 Abs.3 Satz 1 SGB III). Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen (§ 137 Abs.3 Satz 2 SGB III). Das gleiche gilt, wenn auf der für spätere Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird (§ 137 Abs.3 Satz 3 SGB III).
Für den freiwilligen Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten enthält § 137 Abs.4 SGB III eine abschließende Sonderregelung. Danach werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (Satz 1 Nr.1) oder wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Alg ergibt, das geringer ist als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe (Satz 1 Nr.2). Diese Regelung erfasst jedes Auswechseln der Steuerklassen, die für Verheiratete und beschränkt Einkommensteuerpflichtige und nicht dauernd getrennt lebende Arbeitnehmer vorgesehen sind (§ 38 b Satz 2 Nr.3 bis 5 Einkommensteuergesetz - EStG).
Bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte im Sinne des § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.1 SGB III bleibt nach Satz 2 dieser Vorschrift ein Ausfall des Arbeitsentgelts, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet, außer Betracht. Aus dieser Regelung folgt, dass bei der Prüfung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte der Ehegatten nur insoweit auf die aktuellen Einkünfte abzustellen ist, als einer der Ehegatten am Tag des Eintritts der Steuerklassenänderung Arbeitsentgelt erzielt. Bei demjenigen Ehegatten, der aktuell kein Arbeitsentgelt erzielt und wegen dieses Ausfalls einen Anspruch auf das gem. § 3 Nr.2 EStG steuerfreie Alg hat, ist dagegen das vor der Arbeitslosigkeit zuletzt erzielte Arbeitsentgelt für die Prüfung maßgeblich (BSG SozR 1100 § 113 Nr.3; BSG SozR 3-4300 § 137 Nr.1, BSG Urteil vom 21.03.2002 - B 7 AL 47/01 R -). Danach hat der Wechsel des Klägers von der Lohnsteuerklasse III zur Lohnsteuerklasse V mit Wirkung ab 01.05.1998 dazu geführt, dass dieser nunmehr einer anderen Leistungsgruppe (D statt vorher C) zuzuordnen war und er deswegen Alg nur noch in geringerer Höhe beanspruchen konnte als nach den Verhältnissen zur Zeit der Bewilligungsentscheidung vom 10.02.1998.
Der Lohnsteuerklassenwechsel wirkt sich nach § 137 Abs.4 Satz 1 SGB III leistungsrechtlich aus, wenn eine der beiden in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Da die beim Kläger neu eingetragene Lohnsteuerklasse V aus den schon genannten Gründen einer anderen Leistungsgruppe (D) mit gegenüber der bisherigen Leistungsgruppe (C) niedrigeren Leistungssätzen entsprach, ergibt sich die leistungsrechtliche Relevanz des vorgenommenen Lohnsteuerklassenwechsels aus § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III, wonach die neu eingetragene Lohnsteuerklasse dann berücksichtigt wird, wenn sich danach ein geringeres Alg als nach der vorher eingetragenen Lohnsteuerklasse ergibt.
In Unkenntnis des Steuerklassenwechsels gewährte die Beklagte dem Kläger über den 30.04.1998 hinaus somit ein zu hohes Alg. Die ab 01.05.1998 zu Unrecht nach Leistungsgruppe C gezahlten Leistungen beruhten auf der unterlassenen Mitteilung des Steuerklassenwechsels durch den Kläger. Zur Mitteilung des ab 01.05.1998 wirksamen Steuerklassenwechsels war der Kläger gem. § 60 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB I verpflichtet.
Trotzdem war die Beklagte nicht berechtigt, die Leistungsbewilligung (teilweise) aufzuheben, denn der Kläger hat seine Mitteilungspflicht nicht wenigstens grob fahrlässig im Sinne § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X verletzt.
Der Kläger hat sich vor dem Steuerklassenwechsel beim Finanzamt A. beraten lassen. Zutreffend ging das Finanzamt davon aus, dass der Lohnsteuerklassenwechsel steuerrechtlich geboten war, denn nach dem Steuerrecht muss dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden (vgl. § 39 Abs.5 Satz 3 EStG; Lohnsteuer-Richtlinien 109 Abs.5 Seite 5). Der Kläger musste somit nicht damit rechnen, dass er durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse leistungsrechtlich in jedem Fall Nachteile hinzunehmen hat. Dieser Wertungswiderspruch zwischen Einkommen- steuerrecht und Arbeitsförderungsrecht kann nach Auffassung des BSG nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obliegende Beratungspflicht bleiben (BSG, Urteil vom 29.08.2002 - B 11 AL 87/01 R - SozR 3-4300 § 137 Nr.3 § 48).
Hierüber wurde der Kläger aber durch die Beklagte nicht ausreichend informiert. Zwar hat er das Merkblatt für Arbeitslose (Stand April 1997) erhalten. Dies ergibt sich aus seiner unterschriftlichen Bestätigung auf dem Antragsformular vom 15.12.1997. Die Hinweise auf Seite 23, 24 ff, 48 f, 51 dieses Merkblatts über die Bedeutung der Lohnsteuerklassen und der Benachrichtigungspflicht bei Lohnsteuerklassenwechsel genügten aber nicht dafür, den Schluss auf die grobfahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht zuzulassen. Denn die Beklagte hätte den Kläger darauf aufmerksam machen müssen, dass er vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung beim Arbeitsamt suchen sollte. Nur so können die arbeitsförderungsrechtlich schädlichen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels vermieden werden (BSG aaO).
Dass der Kläger neben dem Merkblatt für Arbeitslose (Stand April 1997) auch das Merkblatt nach dem Stand Januar 1998 erhalten hat, ist nicht belegt.
Der Kläger bestreitet, das Merkblatt 1998 erhalten zu haben. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf einen der Leistungsakte lose beiliegenden Ausdruck der BewA über eine Beratung vom 26.02.1998 mit dem Eintrag "PV, MB und MT ausgegeben (Wo) 260298/559/W.". Danach dürfte dem Kläger am 26.02.1998 zwar ein "MB" (= Merkblatt) ausgehändigt worden sein. Die Art des Merkblatts und dessen Stand bleiben im Beratungsvermerk aber offen. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist insoweit nicht mehr möglich. Beweisangebote hat die Beklagte nicht unterbreitet. Die Beklagte trägt aber die objektive Beweislast für die Aushändigung des Merkblatts nach dem Stand Januar 1998. Die Folgen der Ungewissheit hat sie zu tragen (Meyer-Ladewig, SGG, 7.Aufl., § 103 Rd.Nr.19, 19 a; § 118 Rd.Nr.6).
Da vorliegend die Beklagte die Aushändigung des Merkblatts nach dem Stand Januar 1998 an den Kläger nicht beweisen kann, ist nicht entscheidungserheblich, ob der Hinweis in diesem Merkblatt den Anforderungen des BSG zur Beratungspflicht der Beklagten entspricht (offenbar auch für das Merkblatt 1998 ebenfalls verneinend BSG aaO).
Auf die Berufung des Klägers war daher das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.10.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die teilweise Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und Erstattung von 29.303,49 DM.
Der 1942 geborene Kläger war von 1972 bis 31.12.1997 als Elektrotechniker beschäftigt bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 7.719,50 DM. Er meldete sich am 02.12.1997 mit Wirkung zum 01.01.1998 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Dabei gab er an, auf seiner Lohnsteuerkarte sei die Lohnsteuerklasse III eingetragen.
Mit Bescheid vom 10.02.1998 bewilligte die Beklagte Alg ab 01.01.1998 nach Leistungsgruppe C in Höhe von 642,88 DM wöchentlich. Anlässlich eines Telefongesprächs mit dem Kläger vom 11.05.2000 und auf Grund Nachfrage bei der Stadt M. (12.05.2000) erfuhr die Beklagte, dass der Kläger mit Wirkung zum 01.05.1998 auf der Lohnsteuerkarte 1998 die Steuerklasse V hat eintragen lassen. Diese Steuerklasse war auch auf den Lohnsteuerkarten 1999 und 2000 vermerkt.
Mit Bescheid vom 29.05.2000 hob die Beklagte die Alg-Bewilligungen für die Zeit vom 01.05.1998 bis 30.04.2000 (Bescheide vom 10.02.1998, 26.01.1999 und 26.01.2000) teilweise auf und forderte vom Kläger überzahltes Alg in Höhe von 29.303,49 DM zurück. Alg habe lediglich nach der Leistungsgruppe D in Höhe von anfangs 371,28 DM/Woche zugestanden.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, das Finanzamt A. habe ihm im April 1998 geraten, im Hinblick auf das wesentlich höhere Einkommen seiner Ehefrau die Lohnsteuerklassen zu wechseln. Er sei davon ausgegangen, dass die Beklagte durch einen Hinweis des Finanzamts vom Steuerklassenwechsel informiert werde.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.10.2000 zurück. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung werde auf § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) i.V.m. § 330 Abs.3 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) gestützt, da der Kläger zur Mitteilung des Lohnsteuerklassenwechsels gem. § 60 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) verpflichtet gewesen sei. Auf diese Pflicht sei er auf Seite 50/51 des ihm ausgehändigten Merkblatts für Arbeitslose hingewiesen worden. Auch hätte er erkennen können, dass ihm wegen des Steuerklassenwechsels Alg nicht mehr nach Leistungsgruppe C zugestanden habe.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 29.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufzuheben. Grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil er auf ausdrücklichen Rat des zuständigen Finanzamts gehandelt habe.
Mit Urteil vom 02.10.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Pflicht zur Mitteilung des Lohnsteuerklassenwechsels habe der Kläger dem nachweislich ausgehändigten Merkblatt entnehmen können. Über die Abhängigkeit der Leistungsgruppe von der jeweiligen Lohnsteuerklasse sei er auch auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides aufgeklärt worden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das angefochtene Urteil widerspreche der Wertung des BSG im Urteil vom 29.08.2002 - B 11 AL 87/01 R -. Der vom BSG danach geforderte Hinweis zu den leistungsrechtlichen Folgen des Steuerklassenwechsels fehle in dem ihm ausgehändigten Merkblatt Stand April 1997. Selbst den im Merkblatt Stand Januar 1998 enthaltenen Hinweis ("Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein.") habe das BSG nicht für ausreichend gehalten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.10.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Dem Kläger sei das Merkblatt Stand Januar 1998 ausgehändigt worden, in dem er auf die leistungsrechtlichen Auswirkungen und darauf, sich vor dem Steuerklassenwechsel beraten zu lassen, hingewiesen worden sei.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet, denn das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte war nämlich zur teilweisen Aufhebung der Bewilligungsbescheide nicht berechtigt, so dass der Kläger zur Erstattung des geforderten Betrages nicht verpflichtet ist.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 SGB X i.V.m. § 330 Abs.3 Satz 1 SGB III für eine Teilaufhebung der Alg-Bewilligungen (Zeitraum 01.05.1998 bis 30.04.2000) und für eine entsprechende Rückforderung lagen nicht vor (§ 50 Abs.1 SGB X).
Zwar stellte der Wechsel von Steuerklasse III zu Steuerklasse V mit Wirkung ab 01.05.1998 eine nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X wesentliche und für den Kläger nachteilige Änderung der Verhältnisse dar. Denn die auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklassenänderung hatte Auswirkungen auf die dem Kläger zuerkannte Leistung, weil sie sich mindernd auf die Höhe seines Anspruchs auf Alg auswirkte. Nach § 129 SGB III beträgt das Alg einen bestimmten Prozentsatz des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum (§§ 130 f SGB III) erzielt hat (Bemessungsentgelt; §§ 132 f SGB III). In Konkretisierung dieses Grundsatzes ist Leistungsentgelt das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt (§ 136 Abs.1 SGB III). Zu den Entgeltabzügen gehört u.a. die Lohnsteuer, wobei die Steuer zugrunde zu legen ist, die sich nach der für den Arbeitslosen maßgeblichen Leistungsgruppe ergibt (§ 136 Abs.2 Satz 1 und Satz 2 Nr.1 i.V.m. § 137 Abs.1 SGB III). Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist, sind der Leistungsgruppe C zuzuordnen und Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, der Leistungsgruppe D (§ 137 Abs.2 Nr.3 a und Nr.4 SGB III).
Die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe richtet sich grundsätzlich nach derjenigen Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf Alg entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war (§ 137 Abs.3 Satz 1 SGB III). Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen (§ 137 Abs.3 Satz 2 SGB III). Das gleiche gilt, wenn auf der für spätere Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird (§ 137 Abs.3 Satz 3 SGB III).
Für den freiwilligen Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten enthält § 137 Abs.4 SGB III eine abschließende Sonderregelung. Danach werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (Satz 1 Nr.1) oder wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Alg ergibt, das geringer ist als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe (Satz 1 Nr.2). Diese Regelung erfasst jedes Auswechseln der Steuerklassen, die für Verheiratete und beschränkt Einkommensteuerpflichtige und nicht dauernd getrennt lebende Arbeitnehmer vorgesehen sind (§ 38 b Satz 2 Nr.3 bis 5 Einkommensteuergesetz - EStG).
Bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte im Sinne des § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.1 SGB III bleibt nach Satz 2 dieser Vorschrift ein Ausfall des Arbeitsentgelts, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet, außer Betracht. Aus dieser Regelung folgt, dass bei der Prüfung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte der Ehegatten nur insoweit auf die aktuellen Einkünfte abzustellen ist, als einer der Ehegatten am Tag des Eintritts der Steuerklassenänderung Arbeitsentgelt erzielt. Bei demjenigen Ehegatten, der aktuell kein Arbeitsentgelt erzielt und wegen dieses Ausfalls einen Anspruch auf das gem. § 3 Nr.2 EStG steuerfreie Alg hat, ist dagegen das vor der Arbeitslosigkeit zuletzt erzielte Arbeitsentgelt für die Prüfung maßgeblich (BSG SozR 1100 § 113 Nr.3; BSG SozR 3-4300 § 137 Nr.1, BSG Urteil vom 21.03.2002 - B 7 AL 47/01 R -). Danach hat der Wechsel des Klägers von der Lohnsteuerklasse III zur Lohnsteuerklasse V mit Wirkung ab 01.05.1998 dazu geführt, dass dieser nunmehr einer anderen Leistungsgruppe (D statt vorher C) zuzuordnen war und er deswegen Alg nur noch in geringerer Höhe beanspruchen konnte als nach den Verhältnissen zur Zeit der Bewilligungsentscheidung vom 10.02.1998.
Der Lohnsteuerklassenwechsel wirkt sich nach § 137 Abs.4 Satz 1 SGB III leistungsrechtlich aus, wenn eine der beiden in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Da die beim Kläger neu eingetragene Lohnsteuerklasse V aus den schon genannten Gründen einer anderen Leistungsgruppe (D) mit gegenüber der bisherigen Leistungsgruppe (C) niedrigeren Leistungssätzen entsprach, ergibt sich die leistungsrechtliche Relevanz des vorgenommenen Lohnsteuerklassenwechsels aus § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III, wonach die neu eingetragene Lohnsteuerklasse dann berücksichtigt wird, wenn sich danach ein geringeres Alg als nach der vorher eingetragenen Lohnsteuerklasse ergibt.
In Unkenntnis des Steuerklassenwechsels gewährte die Beklagte dem Kläger über den 30.04.1998 hinaus somit ein zu hohes Alg. Die ab 01.05.1998 zu Unrecht nach Leistungsgruppe C gezahlten Leistungen beruhten auf der unterlassenen Mitteilung des Steuerklassenwechsels durch den Kläger. Zur Mitteilung des ab 01.05.1998 wirksamen Steuerklassenwechsels war der Kläger gem. § 60 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB I verpflichtet.
Trotzdem war die Beklagte nicht berechtigt, die Leistungsbewilligung (teilweise) aufzuheben, denn der Kläger hat seine Mitteilungspflicht nicht wenigstens grob fahrlässig im Sinne § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X verletzt.
Der Kläger hat sich vor dem Steuerklassenwechsel beim Finanzamt A. beraten lassen. Zutreffend ging das Finanzamt davon aus, dass der Lohnsteuerklassenwechsel steuerrechtlich geboten war, denn nach dem Steuerrecht muss dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden (vgl. § 39 Abs.5 Satz 3 EStG; Lohnsteuer-Richtlinien 109 Abs.5 Seite 5). Der Kläger musste somit nicht damit rechnen, dass er durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse leistungsrechtlich in jedem Fall Nachteile hinzunehmen hat. Dieser Wertungswiderspruch zwischen Einkommen- steuerrecht und Arbeitsförderungsrecht kann nach Auffassung des BSG nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obliegende Beratungspflicht bleiben (BSG, Urteil vom 29.08.2002 - B 11 AL 87/01 R - SozR 3-4300 § 137 Nr.3 § 48).
Hierüber wurde der Kläger aber durch die Beklagte nicht ausreichend informiert. Zwar hat er das Merkblatt für Arbeitslose (Stand April 1997) erhalten. Dies ergibt sich aus seiner unterschriftlichen Bestätigung auf dem Antragsformular vom 15.12.1997. Die Hinweise auf Seite 23, 24 ff, 48 f, 51 dieses Merkblatts über die Bedeutung der Lohnsteuerklassen und der Benachrichtigungspflicht bei Lohnsteuerklassenwechsel genügten aber nicht dafür, den Schluss auf die grobfahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht zuzulassen. Denn die Beklagte hätte den Kläger darauf aufmerksam machen müssen, dass er vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung beim Arbeitsamt suchen sollte. Nur so können die arbeitsförderungsrechtlich schädlichen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels vermieden werden (BSG aaO).
Dass der Kläger neben dem Merkblatt für Arbeitslose (Stand April 1997) auch das Merkblatt nach dem Stand Januar 1998 erhalten hat, ist nicht belegt.
Der Kläger bestreitet, das Merkblatt 1998 erhalten zu haben. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf einen der Leistungsakte lose beiliegenden Ausdruck der BewA über eine Beratung vom 26.02.1998 mit dem Eintrag "PV, MB und MT ausgegeben (Wo) 260298/559/W.". Danach dürfte dem Kläger am 26.02.1998 zwar ein "MB" (= Merkblatt) ausgehändigt worden sein. Die Art des Merkblatts und dessen Stand bleiben im Beratungsvermerk aber offen. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist insoweit nicht mehr möglich. Beweisangebote hat die Beklagte nicht unterbreitet. Die Beklagte trägt aber die objektive Beweislast für die Aushändigung des Merkblatts nach dem Stand Januar 1998. Die Folgen der Ungewissheit hat sie zu tragen (Meyer-Ladewig, SGG, 7.Aufl., § 103 Rd.Nr.19, 19 a; § 118 Rd.Nr.6).
Da vorliegend die Beklagte die Aushändigung des Merkblatts nach dem Stand Januar 1998 an den Kläger nicht beweisen kann, ist nicht entscheidungserheblich, ob der Hinweis in diesem Merkblatt den Anforderungen des BSG zur Beratungspflicht der Beklagten entspricht (offenbar auch für das Merkblatt 1998 ebenfalls verneinend BSG aaO).
Auf die Berufung des Klägers war daher das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.10.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2000 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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