L 8 AL 210/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1650/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 210/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 5/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. April 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 10.07.1997 und dessen Erstattung vom 10.07.1997 bis 30.04.1999 in Höhe von DM 35.157,16 streitig.

Der 1940 geborene Kläger meldete sich am 10.07.1997 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Dabei kreuzte er auf dem Antragsformular die Frage, ob er noch andere Leistungen beziehe, mit "nein" an. Unterschriftlich bestätigte er, dass die von ihm gemachten Angaben zutreffend seien und dass er das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe. Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma W. , Deutsche Industrie-Treuhand GmbH, war der Kläger dort vom 01.03.1981 bis 30.06.1997 als Sachbearbeiter in der Steuer- und Rechtsabteilung beschäftigt gewesen. Mit Bescheid vom 17.11.1997 bewilligte ihm die Beklagte ab 10.07.1997 Alg in Höhe von wöchentlich DM 369,60. Mit Widerspruch machte der Kläger geltend, ihm stünde Alg bereits ab 01.07.1997 zu, da er davon ausgegangen sei, mit Hilfe der Gerichte die Zahlung von Arbeitsentgelt über den 30.06.1997 hinaus zu erstreiten. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.1997 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Alg könne erst ab der persönlichen Arbeitslosmeldung bewilligt werden. Die dagegen zum Sozialgericht (SG) München unter dem Az.: S 36 AL 34/98 erhobene Klage nahm der Kläger zurück.

Im Hinblick auf eine mögliche Erstattungspflicht gemäß § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wandte sich die Beklagte am 19.04.1999 an den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers. Mit Schreiben vom 23.04.1999 wurde von diesem unter Vorlage eines Rentenbescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 10.11.1995 mitgeteilt, der Kläger erhalte bereits seit 01.08.1994 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und beziehe seit 01.01.1996 eine laufende EU-Rente in Höhe von monatlich DM 1.934,52. Nach einem Aktenvermerk vom 23.07.1999 hatte die BfA die EU-Rente bei Verneinung eines Restleistungsvermögens des Klägers zuerkannt. Die Ausübung der versicherungspflichtigen Beschäftigung sei unschädlich gewesen, weil diese nach Feststellung des Medizinischen Dienstes auf Kosten der Gesundheit ausgeübt worden sei. Eine Anrechnung des Verdienstes sei nach der damaligen Rechtslage nicht vorgesehen gewesen. Ab 1996 seien die Bestimmungen verschärft worden. Die BfA wäre dann möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gekommen. Anders wäre die Entscheidung ausgefallen, wenn ein Restleistungsvermögen vorhanden gewesen wäre.

Nach erfolgter Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.08.1999 die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 10.07.1997 ganz auf. Dem Kläger sei mit Bescheid der BfA vom 10.11.1995 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt und ab 01.01.1996 laufend gezahlt worden. Nach § 118 Abs.1 Nr.3 und Abs.2 Nr.1 AFG sowie § 142 Abs.1 Nr.3 und Abs.2 Nr.2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ruhe daher der Anspruch auf Alg. Die vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen würden keinen Ermessensspielraum zulassen. In seinem Antrag auf Alg vom 10.07.1997 habe der Kläger den laufenden Bezug einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht angegeben. Gemäß § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 152 Abs.2 AFG und § 330 Abs.2 SGB III sei der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit (18.07. 1997) zurückzunehmen. Für die von der Aufhebung betroffene Zeit vom 10.07.1997 bis 30.04.1999 habe der Kläger DM 35.157,16 ohne Rechtsanspruch erhalten. Dieser Betrag sei von ihm nach § 50 Abs.1 SGB X zu erstatten. Nach § 157 Abs.3a und § 166c AFG sowie § 335 Abs.1 und 5 SGB III seien von ihm auch die für den Zeitraum entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von DM 12.831,17 zu erstatten.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch, der nicht begründet wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2000 als unbegründet zurück. Eine eingehende Überprüfung der Angelegenheit habe ergeben, dass der Bescheid vom 05.08.1999 nicht zu beanstanden sei.

Zur Begründung seiner dagegen zum SG München erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, er stehe trotz seiner medizinischen Erwerbsunfähigkeit der Arbeitsvermittlung weiter zur Verfügung, da er erwerbstätig sein wolle. Er habe ausnahmsweise in verfassungskonformer Auslegung der gesetzlichen Vorschriften trotz des Bezuges eine EU-Rente Anspruch auf Alg. Es müsse berücksichtigt werden, dass er während des Bezuges der EU-Rente vollschichtig auf Kosten der Gesundheit gearbeitet habe und ihm deshalb auch die Lohnersatzleistung, das Alg, zusätzlich zustehe. Es handle sich bei ihm um keine Doppelversorgung, da er das Alg zum Lebensunterhalt benötige und die EU-Rente zur Sicherung seines gesundheitlichen Zustands einsetze. Er habe bei seiner Antragstellung im Juli 1997 nicht grob fahrlässig gehandelt. Das gegen ihn in dieser Leistungsangelegenheit durchgeführte Strafverfahren wegen Betrugs sei vom Landgericht München I bei Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden. Dies komme nur bei einem geringfügigen Verschulden in Betracht.

Auf richterlichen Hinweis hat die Beklagte den Änderungsbescheid zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 05.08.1999 bis 31.05.2001 erlassen. Es ergebe sich insoweit eine Änderung, als die für den Zeitraum vom 10.07.1997 bis 30.04.1999 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht zurückgefordert würden. Im Übrigen bleibe es bei der Entscheidung vom 05.08.1999. Dieser Bescheid werde gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des anhängigen Verfahrens.

Mit Urteil vom 30.04.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Ob und in welchem Umfang die Beklagte die Alg-Bewilligung zurücknehmen durfte, richte sich hier nach § 45 Abs.2 SAtz 3 Nr.2, Abs.4 SGB X iVm § 330 Abs.2 SGB III. Der Bescheid vom 17.11. 1997 über die Bewilligung von Alg ab 10.07.1997 sei ein begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der rechtswidrig sei, da der Kläger wegen des gleichzeitigen Bezugs einer EU-Rente keinen Anspruch auf Alg gehabt habe. Nach § 118 Abs.1 Nr.3, Abs.2 Nr.1 AFG bzw. ab 01.01.1998 § 142 Abs.1 Nr.3, Abs.2 Nr.2 SGB III ruhe der Anspruch auf Alg während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt sei, vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an. Unstreitig beziehe der Kläger seit 01.01.1996 fortlaufend von der BfA eine EU-Rente in Höhe von monatlich DM 1.934,52. Sein Anspruch auf Alg in Höhe von wöchentlich DM 369,60 ruhe demzufolge bereits seit der Antragstellung am 10.07.1997. Nach Auffassung des Gerichts sei das Ruhen des Alg auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die dem Kläger zuerkannte EU-Rente führe zu Recht zum Ruhen des Alg-Anspruchs. Die EU-Rente, die hier sogar etwas höher als das Alg sei, sei wie das Alg bestimmt und geeignet, den Lebensunterhalt des Klägers zu decken. Die EU-Rente sei von der Rentenberechnung her so konzipiert, dass sie in der Regel den Lebensunterhalt abdecken könne. § 118 AFG bzw. § 142 SGB III sollen nach dem Sinn und Zweck der Norm die doppelte Sicherung des Lebensunterhalts durch öffentlich-rechtliche Leistungsträger vermeiden (s. Niesel/Due, Kommentar zum SGB III, § 142 Anm.2 m.w.N.). Das vollständige Ruhen des Alg beinhalte keinen Verfassungsverstoß, sondern sei in Anbetracht des Gesetzeszweckes, Doppelleistungen aus öffentlichen Kassen zu vermeiden, eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums und verstoße auch nicht gegen Art.3 Abs.1 Grundgesetz (GG) - s. Niesel/Due, Kommentar zum SGB III, § 142 Anm.11 m.w.N. -. Soweit der Kläger einwende, er habe Anspruch auf Alg, da er die EU-Rente neben seinem Arbeitsentgelt ungeschmälert bezogen habe, führe dies zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage, da es sich bei dem Bezug von Rente zuzüglich Arbeitsentgelt um eine Doppelversorgung von zwei öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern gehandelt habe. Der Umstand, dass der Kläger die EU-Rente nach eigenen Angaben nicht zum Lebensunterhalt, sondern zur Sicherung seines gesundheitlichen Zustands verwendet habe, ändere nichts daran, dass die EU-Rente von der Konzeption her zur Sicherung des Lebensunterhalts des Rentenempfängers diene. Entgegen der Auffassung des Klägers komme es hingegen nicht darauf an, welche Zweckbestimmung der Kläger der EU-Rente subjektiv beimesse. Maßgeblich sei allein, welchem Zweck die EU-Rente objektiv dienen solle, nämlich den Lebensunterhalt des Rentenempfängers abzusichern. Im Ergebnis ruhe der Anspruch des Klägers auf Alg wegen des gleichzeitigen Bezugs einer EU-Rente in vollem Umfang. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die Entscheidung über die Bewilligung von Alg mit der Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, mit der Folge, dass der Kläger die zu Unrecht erhaltenen Leistungen zu erstatten habe. § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) lege demjenigen, der Sozialleistungen beantragt habe oder erhalte, die Verpflichtung auf, alle Tatsachen unverzüglich mitzuteilen, die für die Leistung erheblich seien oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden seien. Dieser Rechtspflicht sei der Kläger nicht nachgekommen. So habe er in seinem Antrag auf Alg nicht anggeben, dass er eine EU-Rente beziehe. Er habe vielmehr den Bezug anderer Leistungen verneint. Diese unrichtigen Angaben seien ihm zur Überzeugung des Gerichts im Sinne eines zumindest grob fahrlässigen Fehlverhaltens zuzurechnen (§ 45 Abs.2 Satz 3 Ziffer 2 SG X). Die Fragen auf dem Alg-Antrag seien unter Beachtung der beigefügten ausführlichen Weise sowie der Erläuterungen im Merkblatt klar und eindeutig formuliert. Selbst wenn der akademisch gebildete Kläger als Jurist ein Ruhen des Anspruchs auf Alg bei Bezug einer EU-Rente in seinem Fall für nicht gerechtfertigt erachte, ändere dies nichts daran, dass er die Frage nach dem Bezug anderer Leistungen auf dem Antragsformular eindeutig unrichtig beantwortet habe und der Verwaltungsakt auf diesen Angaben beruht habe. Es sei in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass er dem ihm ausgehändigten Merkblatt unmissverständlich habe entnehmen können, dass der Anspruch auf Alg bei Bezug einer EU-Rente in vollem Umfang ruhe und dass der Bezug einer Rente der Beklagten mitzuteilen sei. Soweit der Kläger geltend mache, dass das gegen ihn in dieser Leistungsangelegenheit eingeleitete Strafverfahren wegen Betrugs nach Zahlung einer Geldauflage wegen Annahme eines geringfügigen Verschuldens eingestellt worden sei, führe dies zu keiner anderen Beurteilung, da die Einstellung eines Strafverfahrens einem anderen Prüfungsmaßstab unterliege als die im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens vorzunehmende Beurteilung der Frage, ob der Kläger in zumindest grob fahrlässiger Weise bei der Beklagten unrichtige Angaben gemacht habe. Da die Rücknahmeentscheidung der Beklagten in dem erfolgten Umfang rechtmäßig sei, sei der angefochtene Verwaltungsakt auch hinsichtlich des Erstattungsanspruchs nicht zu beanstanden.

Zur Begründung seiner Berufung verweist der Kläger im Wesentlichen nochmals dezidiert auf sein bisheriges Vorbringen. Er ist nach wie vor der Meinung, dass bei ihm ein Sonderfall vorliege. § 142 Abs.1 Teile III SGB III müsse wie folgt gelesen werden: "Das Alg ruhe nur dann, wenn es neben der EU-Rente nicht zum Lebensunterhalt verwendet wird." Seinen Lebensunterhalt bestreite er ausschließlich mit dem Alg, wohingegen die EU-Rente ausschließlich zur Erhaltung seiner Restarbeitsfähigkeit dienen würde.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.04.2002 und den Bescheid vom 05.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2000 und den Änderungsbescheid vom 31.05.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen auf ihr bisheriges vorbringen. Eine Ausnahmeregelung sehe das Gesetz nicht vor. Nur am Rande sei bemerkt, dass dem Kläger anlässlich der Bewilligung der EU-Rente mitgeteilt worden sei, dass der Bezug von Alg Einfluss auf die Renten/Rentenhöhe haben könne, weshalb er verpflichtet sei, den Bezug dieser Leistungen der BfA unverzüglich mitzuteilen. Auch hieraus ergebe sich, dass der gleichzeitige Bezug von Alg und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht möglich sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG München mit Urteil vom 30.04.2002 die Klage abgewiesen, da die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten vom 05.08.1999, 18.10.2000 und 31.05.2001 nicht zu beanstanden sind.

Nachdem im Berufungsverfahren keine neuen rechtserheblichen Tatsachen vorgetragen wurden, die zu einer Änderung der erst- instanzlichen Entscheidung hätten führen können, folgt der Senat im Übrigen den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Somit war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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