L 8 AL 256/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 344/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 256/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 9/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes (Alg) und die Erstattung von 13.484,72 DM (6.876,22 Euro) streitig.

Der 1941 geborene Kläger legte bei seiner Arbeitslosmeldung am 27.07.1998 eine Lohnsteuerkarte, auf der für das Jahr 1998 die Steuerklasse III eingetragen war, vor. Ihm wurde ab 27.07.1998 Alg unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C bewilligt. Seine Ehefrau bezog seit 1996 Altersrente und erzielte daneben ein Einkommen von monatlich 630,- DM.

Anlässlich der Beantragung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) wurde bekannt, dass der Kläger mit Wirkung zum 01.08.1999 die Lohnsteuerklasse V gewählt hatte. Er unterzeichnete an diesem Tag einen von dem Sachbearbeiter verfassten Vermerk, wonach er vergessen habe, den Lohnsteuerklassenwechsel mitzuteilen. Später gab er im Anhörungsverfahren an, der Lohnsteuerklassenwechsel sei vorgenommen worden, weil die Ehefrau beabsichtigt gehabt habe, eine vollschichtige Tätigkeit aufzunehmen. Dazu sei es aber nicht gekommen. Er habe die geänderte Lohnsteuerkarte vorgelegt und sei nicht davon unterrichtet worden, dass das Alg nun auf "der Basis einer fiktiven berichtigten Lohnsteuerberechnung weiter bezahlt werde". Tatsächlich sei eine solche Änderung in der Auszahlung nicht erfolgt. Wäre ein solcher Hinweis gegeben bzw. die Alg-Zahlung abgeändert worden, hätte er sofort wieder eine Berichtigung der Lohnsteuerklassen herbeigeführt, nachdem festgestanden habe, dass seine Ehefrau die vollschichtige Arbeit nicht aufnehmen würde.

Mit Bescheid vom 07.06.2002 hob die Beklagte die Bewilligung des Alg ab 01.08.1999 teilweise auf und forderte die Erstattung von 13.484,72 DM. Den Widerspruch, mit dem der Kläger wiederum geltend machte, die Änderung der Steuerklasse dem Sachbearbeiter angezeigt zu haben, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2001 als unbegründet zurück. Zwar habe der Kläger am 14.07.1999 bei der Arbeitsvermittlung vorgesprochen und Urlaub beantragt, es lägen jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass er hierbei auf die Änderung der Steuerklasse zum 01.08.1999 hingewiesen habe.

Mit seiner zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger erneut geltend gemacht, die geänderte Lohnsteuerkarte beim Arbeitsamt vorgelegt zu haben. Als er die schriftliche Erklärung vom 30.04.2001 unterschrieben habe, sei ihm nicht bewusst gewesen, damit zu erklären, die Mitteilung des Steuerklassenwechsels vergessen zu haben, da er von der Mitteilung der Sachbearbeiterin, ca. 13.000,- DM zurückzahlen zu müssen, völlig überrascht worden sei.

Die Beklagte hat eine Erklärung des Sachbearbeiters K. vom 24.07.2001 vorgelegt, wonach er zum heutigen Tag nicht mehr feststellen könne, ob der Kläger zum damaligen Zeitpunkt eine geänderte Lohnsteuerkarte vorgelegt habe. In diesem Fall hätte er seinerseits entweder eine Kopie der geänderten Karte an die Abteilung 3 weitergeleitet oder den Kläger zur unmittelbaren Vorlage der Karte an diese Abteilung verwiesen.

Mit Urteil vom 04.06.2002 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Nach dem persönlichen Eindruck der Kammer könne ein wenigstens grob fahrlässiger Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht festgestellt werden. Es sei glaubhaft, dass der Kläger am 14.07.1999 die erst kurz zuvor geänderte Lohnsteuerkarte vorgelegt habe. Dies habe der Mitarbeiter K. nicht ausschließen können. Auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 Abs.2 Satz 2 Nr.4 SGB X lägen nicht vor. Zwar sei in dem ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose der Hinweis enthalten, dass das Alg nach fünf verschiedenen Leistungsgruppen gezahlt werde und sich die maßgebende Leistungsgruppe in erster Linie aus der Lohnsteuerklasse ergebe, die zu Beginn des Jahres eingetragen gewesen sei; jedoch ergebe sich aus dem Hinweis nicht, ob und inwieweit sich diese Änderung der Leistungsgruppe anspruchsmindernd auswirke.

Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, das SG halte es zu Unrecht für glaubhaft, dass der Kläger seiner Anzeigepflicht nachgekommen sei. Hiergegen spreche die Schilderung des Mitarbeiters K. , wie er verfahre, wenn ihm eine Steuerkarte vorgelegt werde, sowie die vom Kläger unterzeichnete Erklärung vom 30.04.2001. In dem dem Kläger bei der Abeitslosmeldung ausgehändigten Merkblatt, Stand Januar 1998, werde auf die leistungsrechtlichen Auswirkungen eines Steuerklassenwechsels und darauf hingewiesen, dass sich der Leistungsempfänger vor einem Wechsel beraten lassen solle.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.06.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beweiswürdigung des SG sei nachvollziehbar. Die vorbereitete Erklärung vom 30.04.2001 habe der Kläger nicht im Einzelnen gelesen, sondern unterschrieben, ohne dass ihm der Inhalt bewusst gewesen sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelete Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

Das Rechtsmittel erweist sich in der Sache als nicht begründet. Zu Recht hat das SG die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X liegen nicht vor, auch wenn durch den Wechsel von der Lohnsteuerklasse III zur Steuerklasse V ab 01.08.1999 eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Bewilligung des Alg vorgelegen haben, eingetreten ist. Denn gemäß § 137 Abs.2 Nr.3 a SGB III erhalten Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist, das Alg nach der Leistungsgruppe C, während Arbeitnehmer mit der Lohnsteuerklasse V die Leistungsgruppe D zuzuordnen sind (§ 137 Abs.2 Nr.4 SGB III).

Da das Alg, das der Leistungsgruppe D entspricht, geringer ist als das der Leistungsgruppe C zugeordnete, war der Lohnsteuerklassenwechsel gemäß § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III von dem Tage an zu berücksichtigen, an dem der Wechsel wirksam wurde. Die Voraussetzungen des § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.1 SGB III haben demgegenüber nicht vorgelegen, da die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte des Klägers und seiner Ehefrau entsprachen, da gemäß § 137 Abs.4 Satz 2 SGB III hierbei auf die Arbeitsentgelte vor Bezug des Alg abzustellen ist. Der Kläger hat nach Bezug von Krankengeld bis 31.03.1998 im April ein monatliches Bruttogehalt von 3.532,58 DM, im Mai von 3.395,38 und bis 12.06.1998 von 1.049,- DM erhalten.

Dennoch ist die Beklagte nicht zur teilweisen Aufhebung der Bewilligung des Alg ab 01.08.1999 berechtigt, weil nicht von einer grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht im Sinne des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X ausgegangen werden kann. Hierbei kann letztlich dahinstehen, ob es das SG zu Recht glaubhaft angesehen hat, dass der Kläger vor dem 01.08.1999 die geänderte Lohnsteuerkarte vorgelegt hat. Denn selbst wenn er den Wechsel nicht angezeigt haben sollte, wäre nicht von grober Fahrlässigkeit auszugehen.

Wie das BSG im Urteil vom 29.08.2002, B 11 AL 87/01 R zutreffend dargelegt hat, legen es die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 137 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III nahe, die Frage einer grob fahrlässigen Verletzung in einem Fall, in dem ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht mit dem Zweck der Leistungsmanipulation vorgenommen wurde, nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen. Zu fordern ist, dass die Betroffenen unter Hinweis auf die rechtliche Problematik und die leistungsrechtlichen Konsequenzen eines Lohnsteuerklassenwechsels vorher darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie vor einem solchen Lohnsteuerklassenwechsel sich bei der Beklagten beraten lassen sollen. Entgegen der Ansicht der Beklagten weicht der in dem Merkblatt für Arbeitslose, Stand Januar 1998, auf Seite 27 gegebene Hinweis nicht aus, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bei dem Leistungsbezieher zu begründen. Das BSG hat am a.a.O. einen Fall entschieden, in dem ebenfalls das Merkblatt Stand Januar 1998 ausgehändigt worden war. Auch wenn in diesem Urteil Ausführungen zu der in diesem Merkblatt auf S.27 befindlichen Belehrung fehlen, so ist dieser Hinweis angesichts der rechtlichen Problematik nicht eindeutig genug. Der Hinweis lautet:"Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein." Dieser Hinweis ist insofern missverständlich, als er so verstanden werden kann, dass eine Beratung lediglich dahingehend empfohlen wird, wie häufig ein Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen werden kann; jedenfalls fehlt der klare Hinweis, dass Beratung darüber in Anspruch genommen werden soll, ob ein solcher Wechsel wegen der leistungsrechtlichen Konsequenzen überhaupt sinnvoll ist. Weiterhin ergibt sich nicht klar, dass gerade eine Beratung durch die Beklagte, die allein für die Beurteilung der leistungsrechtlichen Konsequenzen zuständig ist, empfohlen wird. Wegen der Bezugnahme auf die Häufigkeit des Lohnsterklassenwechsels kann sich ein Leistungsempfänger auch veranlasst sehen, sich diesbezüglich z.B. an die Finanzbehörde zu wenden.

Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.4 SGB X liegen nicht vor, da der Kläger nicht wissen musste, dass durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse sein Anspruch gemindert wurde. Zwar wird in dem Merkblatt auf S.26 darauf hingewiesen, dass sich die Höhe der Leistungen nach der jeweils gültigen Lohnsteuerklasse und der daraus resultierenden Leistungsgruppe richtet, jedoch ergibt sich hieraus nicht, ob und in welcher Höhe eine Änderung der Lohnsteuerklasse und der Leistungsgruppe zu einer Minderung des Leistungssatzes führt.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.06.2002 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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