L 7 P 1/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 2 P 231/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 1/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2001 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin zusätzliches Pflegegeld in Höhe von 2.045,17 Euro zu bezahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Pflegegeld nach Stufe II in der Zeit vom 01.02. bis 30.11.1999 streitig.

Die 1925 geborene Klägerin leidet an Morbus Alzheimer. Sie hat mit der Beklagten einen Pflegeversicherungsvertrag abgeschlossen. Auf den Pflegegeldantrag vom 04.12.1998 hin erstellte die Sachverständige B. von der Gesellschaft M. nach Untersuchung am 10.02.1999 ein Gutachten, in dem es u.a. heißt, die Klägerin sei orientierungslos zur Zeit, zur eigenen Person, Situation und Ort (auch innerhalb des eigenen Hauses). Für die Grundpflege bezifferte die Sachverständige den Hilfebedarf auf 80 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung auf 45 Minuten. Die Beklagte zahlte daraufhin der Klägerin Pflegegeld nach Stufe I.

Die Klägerin, die höheres Pflegegeld begehrte, erhob schließlich am 15.11.1999 beim Sozialgericht München (SG) Klage und machte geltend, die Untersuchung durch die Sachverständige B. sei wegen zu großer psychischer Belastung vorzeitig beendet worden. Die Aussagen der Klägerin hätten krankheitsbedingt nicht den Tatsachen entsprochen, zumal sie selbst als Medizinerin ihr Alzheimerleiden gegenüber fremden Personen weder wahrhaben noch zugeben wolle.

Im Auftrag der Beklagten hat die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin und Sozialmedizin Dr.W. von der Gesellschaft M. das Gutachten vom 14.01.2000 erstellt, in dem sie den Bedarf in der Grundpflege auf 147 Minuten und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten eingeschätzt hat, und zwar für die Zeit ab Oktober 1999. Die Beklagte hat so dann der Klägerin ab Dezember 1999 Leistungen nach Pflegestufe II und schließlich ab 04.08.2000 nach Stufe III bewilligt.

Im Auftrag des SG hat die Sachverständige Dr.S. nach Untersuchung der Klägerin am 02.03.2001 das Gutachten vom 16.03. 2001 erstellt. Nach den glaubhaften Angaben des Ehemannes, die durch die Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr.B. vom 06.02.2000 gestützt würden, sei dem Antrag vom Dezember 1998 eine massive Verschlechterung der Orientierungslage mit der Notwendigkeit der ergänzenden Hilfe durch Pflegekräfte vorausgegangen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit habe ein Hilfebedarf in der Grundpflege von über 120 Minuten täglich bereits ab Dezember 1998, mit Sicherheit ab Februar 1999 bestanden. Dies ergebe sich aus den Feststellungen der Sachverständigen B. einerseits und dem zeitnahen Bericht der Psychiatrischen Klinik des Klinikums Innenstadt der Universität M. vom 09.03.1999 andererseits.

Mit Urteil vom 20.12.2001 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen nach Pflegestufe II in der Zeit vom 01.02.1999 bis 03.08.2000 zu bewilligen. Die gerichtlich Sachverständige habe in ihrem Gutachten die Pflegezeiten sachgerecht und in Anlehnung an die geltenden Richtlinien ermittelt.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, das SG habe unzulässiger Weise ein Feststellungsurteil erlassen. Auch habe es nicht berücksichtigt, dass in dem streitigen Zeitraum bereits Leistungen nach Pflegestufe I und ab 01.12.1999 nach Pflegestufe II erbracht worden seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.12.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Soweit die Beklagte seit 01.12.1999 Leistungen nach Stufe II erbracht habe, könne sie "Erfüllung" einwenden, ohne auf ein Berufungsverfahren angewiesen zu sein.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel insoweit als begründet, als zur Klarstellung das Urteil des SG dahingehend abzuändern ist, dass die Beklagte nur für die Zeit vom 01.02. bis 30.11.1999 verpflichtet ist, Pflegegeld nach Stufe II anstelle von Stufe I zu zahlen. Das Pflegegeld beträgt nach Teil II-Tarif PV der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung MB/PPV 1996 gemäß Ziffer 2.1b 800,00 DM, so dass der Klägerin unter Anrechnung der bereits bezahlten 400,00 DM pro Monat für die streitigen zehn Monate 4.000,00 DM = 2.045,17 Euro nachzuzahlen sind.

Der Anspruch ist in dieser Höhe begründet, da entsprechend Teil I MB/PPV 1996 § 1 Abs.8b bereits ab 01.02.1999 der Hilfebedarf mindestens drei Stunden täglich betrug, wobei auf die Grundpflege wenigstens zwei Stunden entfallen sind. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem schlüssigen Gutachten der Sachverständigen Dr.S. vom 16.03.2001 und ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 17.10.2001. Aus diesem Gutachten ergibt sich gleichzeitig, dass das von der Beklagten eingeholte Gutachten der Sachverständigen B. im Sinne des § 64 Abs.1 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetztes (VVG) offenbar von der wirklichen Schlage erheblich abweicht, weshalb es für die Beurteilung der streitigen Frage nicht maßgebend ist.

Dr. S. verweist auf den Bericht des Prof. Dr.M. von der Psychiatrischen Klinik vom 09.03.1999 über eine Vorstellung in der Gedächtnissprechstunde am 17.02.1999, in dem bereits von einem mittelgraden dementiellen Syndrom bei Verdacht auf senile Demenz vom Alzheimer-Typ die Rede ist. Dieser Bericht hat der Sachverständigen B. nicht vorgelegen. Aus den in diesem Bericht festgehaltenen Angaben der Klägerin, wonach es ihr "sehr gut" gehe, und sie lediglich etwas vergesslich sei, wird deutlich, dass der Vortrag des Ehemannes zutreffend ist, wonach die Klägerin das Ausmaß ihrer Defizite nicht wahrnehme. Bereits im April 1997 sei es zu einer Verschlechterung der Orientierung gekommen. Die Klägerin gehe nicht mehr allein aus dem Haus und wolle zurück in die alte Wohnung, wobei sie nicht mehr wisse, dass sie von dort ausgezogen sei. Bereits seit Dezember 1998 hat nicht nur die von der Sachverständigen B. festgehaltene Harninkontinenz, sondern auch eine Stuhlinkontinenz bestanden mit Weigerung, die Toilette aufzusuchen. Hieraus ergibt sich, dass die von der Sachverständigen B. angesetzten sechs Minuten für die Hilfe bei der Darm- Blasenentleerung schon damals bei weitem nicht ausreichend waren. Der von Dr. W. in dem Gutachten vom 14.01.2000 festgestellte tägliche Pflegebedarf von 147 Minuten in der Grundpflege hat bereits ab Februar 1999 vorgelegen. Dr. W. räumt selbst ein, dass sich der Zeitpunkt der Verschlechterung "nur schwer angeben" lässt, da kein akutes Ereignis eingetreten ist. Aus der Zusammenschau der oben dargestellten Unterlagen ist der Zeitpunkt der Verschlechterung mit hinreichender Sicherheit spätestens ab dem obigen Zeitpunkt anzunehmen. Danach benötigte die Klägerin 20 Minuten Hilfe beim Baden, jeweils 4 Minuten bei der Zahnpflege und beim Kämmen, 25 Minuten für Wechseln der Windeln. Für das Reinigen des Umfeldes waren anschließend 12 Minuten erforderlich. Die Klägerin bedurfte der Hilfe in Form der mundgerechten Zubereitung und bei der Aufnahme der Nahrung über 18 Minuten, für das Aufstehen/Zubettgehen waren 20 Minuten, für das An- und Auskleiden 16 Minuten erforderlich. Die Hilfe beim Gehen und Treppensteigen umfasste 28 Minuten. Da die Klägerin selbst keinen wesentlichen Beitrag für die hauswirtschaftliche Versorgung mehr leisten konnte, betrug der Hilfebedarf hierfür wenigstens 60 Minuten, insgesamt somit mehr als drei Stunden.

Somit war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, soweit sie die Zahlung von Pflegegeld in der Zeit vom 01.02. bis 30.11. 1999 betraf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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