L 18 SB 116/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 488/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 116/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.09.2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Behinderung "hypochondrisch somatisierende Versagenseinstellung bei beginnender vorzeitiger Hirnalterung" von der Feststellung der Behinderungen auszunehmen ist.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Behinderungen des Klägers mit einem höheren Grad der Behinderung (GdB) als 60 zu bewerten sind und ob die Merkzeichen G, aG und RF dem Kläger zustehen.

Bei dem 1930 geborenen Kläger hatte der Beklagte während des Berufungsverfahrens L 18 SB 35/94 mit Bescheid vom 16.03.1994 Behinderungen mit einem GdB von 40 festgestellt. Der in diesem Verfahren nach ambulanter Untersuchung des Klägers mit Gutachten vom 30.06.1998 gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Hausarzt des Klägers, Dr.H. , hatte einen GdB von 60 ab 1987 und einen solchen in Höhe von 90 ab 01.01.1998 für gerechtfertigt gehalten. Der Beklagte hatte die von Dr.H. erhobenen Befunde nicht für ausreichend erachtet und eine weitere medizinische Sachaufklärung für erforderlich gehalten. Nachdem der Kläger weitere Untersuchungen abgelehnt hatte, hatte das Landessozialgericht (LSG) die Klage gegen den Bescheid vom 16.03.1994 mit Urteil vom 03.03.1999 abgewiesen.

Auf einen Verschlimmerungsantrag vom 16.11.1999 hin stellte der Beklagte beim Kläger mit Bescheid vom 18.02.2000 Behinderungen mit einem GdB von 60 ab Antragstellung wie folgt fest: 1. Wurzelneuralgische Beschwerden bei Abbauveränderungen der Wirbelsäule mit Lageveränderungen der Bandscheibe L4-S1 ohne wesentliche Funktionseinschränkung (Einzel-GdB 30) 2. Chronisches Nierenleiden mit faustgroßem Narbenbruch nach Nierensteinoperation, Urozystolithiasis mit winzigen Steinbildungen (Einzel-GdB 30) 3. Einschränkung der Herzleistungsbreite bei Bluthochdruck mit Linksbelastung des Herzens (Einzel-GdB 20) 4. Leicht- bis mittelgradige Schwerhörigkeit beidseits, Otitis externa links (Einzel-GdB 20) 5. Hypochondrisch somatisierende Versagenseinstellung bei beginnender vorzeitiger Hirnalterung (Einzel-GdB 10). Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 04.07.2000).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 18.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2000, die Feststellung eines höheren GdB als 60 sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG und RF begehrt. Mit Schreiben vom 05.08.2000 hat er dem SG mitgeteilt, dass er wegen der Gefahr weiterer gesundheitlicher Schädigungen gerichtlich angeordneten ärztlichen Untersuchungen nicht nachkommen werde, da die Untersuchungen nicht der körperlichen und funktionellen Besserung dienten.

Das SG hat von dem Internisten Dr.G. ein Gutachten nach Aktenlage vom 22.12.2001/27.01.2001 eingeholt. Dieser hat für die Behinderungen auf orthopädischem Gebiet einen GdB vom 30 angenommen. Hinsichtlich der chronischen Nierenerkrankung hat er auch nach der Entfernung der rechten Niere bei einer weitgehend unauffälligen Ausscheidungsleistung der Restniere einen GdB von 30 für angemessen gehalten. Das Herzleiden hat er weiterhin mit einem GdB von 20 bewertet. Für das Hörvermögen hat er einen GdB von 20 für befundangemessen gehalten. Das Behinderungsleiden Nr.5 hat er wie bisher mit einem GdB von 10 bewertet und insgesamt einen GdB von 60 für gerechtfertigt gehalten. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG und RF hat er verneint. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18.06.2002 hat Dr.G. in Auswertung des beigezogenen Berichts des HNO-Arztes Dr.G. eine mittelgradige Schwerhörigkeit beidseits mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Eine Anhebung des Gesamt-GdB hat Dr.G. nicht vorgenommen. Der Kläger - dessen persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung das SG zunächst angeordnet hatte - hat sich unter Vorlage eines Attestes des Dr.H. vom 05.09.2002 für sein Nichterscheinen entschuldigt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.09.2002 abgewiesen. Es hat einen Gesamt-GdB von 60 für angemessen gehalten und die gesundheitlichen Vorausetzungen für die Merkzeichen G, aG und RF verneint.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 16.12.2002 Berufung eingelegt und den Sachverständigen Dr.G. wegen Befangenheit abgelehnt. Er hat beantragt, "das Verfahren ... nach Lage der Akten unter Berücksichtigung des Gerichtsgutachtens des Dr.med. H. von 1998 und dessen ärztlichen Attesten vom 05.09. / 06.09.2002" ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren durchzuführen. Er hat angemerkt, dass er sich bereits in früheren Sozialgerichtsverfahren bereit erklärt habe, sich jederzeit ärztlich untersuchen zu lassen, dies jedoch nur ohne körperliche Eingriffe und nur dann, wenn solche Untersuchungen für nachfolgende Behandlungen unmittelbare Verwendung finden könnten. Außerdem hat der Kläger die Streichung der Behinderung Nr.5 aus dem Behindertenkatalog begehrt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Nürnberg vom 12.09.2002 aufzuheben und den Bescheid vom 18.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2000 abzuändern sowie einen höheren GdB als 60 festzustellen und die Merkzeichen G, aG und RF zu gewähren. Zusätzlich hat er beantragt, das durch das SG Nürnberg einbezogene sozialmedizinische Gutachten des Dr.G. als vorsätzlich falsch, zumindest als grob fahrlässig zum besonderen Nachteil des Klägers bei der Urteilsfindung des SG zu bewerten und eine Schadensersatzpflicht des Gutachters gegenüber dem Kläger dem Grunde und der Höhe nach festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 12.09.2002 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Archivakten des SG Nürnberg S 07/Vs 0161/86, S 16 Vs 985/93, S 14 RA 102/99, die Archivakte des BayLSG L 18 SB 35/94 und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 60. Die Merkzeichen G, aG und RF stehen ihm nicht zu.

Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Der im Berufungsverfahren erstmals gestellte Befangenheitsantrag des Klägers gegen den Sachverständigen Dr.G. ist unzulässig, weil verspätet. Ergibt sich der Grund zur Ablehnung eines Sachverständigen erst nach dessen Bestellung, ist der Ablehnungsantrag gemäß § 406 Abs.2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 202 SGG, falls das Gutachten selbst erst den Ablehnungsgrund ergibt, unverzüglich einzureichen (vgl. Baumbach-Hartmann 61.Auflage, § 406 Rdnr.23; Thomas-Putzo ZPO, 24.Auflage, § 406 Anm.7), wobei unverzüglich "innerhalb einer angemessenen Überlegungszeit" bedeutet (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.1993 Az: 5 W 49/93). Ein Ablehnungsgesuch, das erst sechs Wochen nach Erlangung dieser Kenntnis gestellt wird, ist auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Überlegungsfrist verfristet und deshalb unzulässig (OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.06.1998 Az: 10 W 14/98).

Das Gutachten des Dr.G. vom 22.12.2001 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 27.01.2002 und 18.06.2002 wurde dem Kläger am 14.01.2002 / 31.01.2002 / 24.06.2002 übersandt, der Kläger hat aber erst mit der Berufungsbegründung vom 27.12.2002 ausdrücklich die Befangenheit des Sachverständigen geltend gemacht. Der Ablehnungsantrag ist somit verfristet. Es kann daher offen bleiben, ob sich der abgelehnte Sachverständige in einer Art und Weise geäußert hat, dass Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit begründet sein könnten.

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger keinen Befangenheitsantrag gegen Dr.G. gestellt. Der Kläger hat mit Schreiben vom 16.01.2002 / 02.02.2002 und 28.06.2002 sich gegen das Gutachten bzw. die Stellungnahmen des Dr.G. gewandt. Er hat in diesen Schreiben pauschalerweise "berechtigte Zweifel hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der gutachtlichen Aussagen des Dr.G. und deren gerichtlicher Verwertbarkeit" geäußert und u.a. ausgeführt, Dr.G. scheine offenbar bemüht zu sein, den Forderungen des Amtes für Versorgung und Familienförderung nachzukommen und handle somit parteiisch. Gleichwohl hat der Kläger einen Sachantrag gestellt. Das SG hatte daher keine Veranlassung, von einem Befangenheitsantrag des Klägers gegen Dr.G. auszugehen.

In der Sache sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs.2 SGG). Er hält das Gutachten des Dr.G. für objektiv und sachlich zutreffend. Der Kläger hat im Berufungsverfahren keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen. Er will sich - wie bereits im sozialgerichtlichen Verfahren - keiner persönlichen Begutachtung unterziehen, so dass dem Senat eine weitere objektive Aufklärung des medizinischen Sachverhalts verwehrt ist. Der Senat hält es zur Feststellung etwaiger weiterer Behinderungen - wie schon im Verfahren L 18 SB 35/94 - für unverzichtbar, das Ausmaß der Behinderungen des Klägers durch Fachärzte aufgrund einer persönlichen Untersuchung feststellen zu lassen. Dass das im o.g. Berufungsverfahren erstattete Gutachten des Allgemeinmediziners Dr.H. vom 30.06.1998 wegen mangelhafter Befunderhebung und fehlender Beachtung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit ... nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) 1996 nicht verwertet werden konnte, hat der Senat im Urteil vom 03.03.1999 bereits festgestellt.

Dem Begehren des Klägers, die Behinderung "hypochondrisch somatisierende Versagenseinstellung bei beginnender vorzeitiger Hirnalterung" von der Feststellung der Behinderungen auszunehmen, war ohne sachliche Prüfung stattzugeben. Dem Kläger steht die Verfügungsbefugnis für die Feststellung der Behinderung zu (BSG SozR 3870 § 3 Nr.21). Der Wegfall dieser Behinderung aus der bisherigen verwaltungsmäßigen Feststellung hat zur Folge, dass auch die entsprechende Festsetzung des GdB außer Betracht bleibt. Eine Neufeststellung des Gesamt-GdB in Bezug auf die noch verbleibenden Behinderungen war nicht notwendig, da der Einzel-GdB von 10 für die o.g. Behinderung ohne Auswirkung auf die Bildung des Gesamt-GdB ist (vgl. AHP Rdnr.19 Abs.4).

Der Senat ist für eine Entscheidung über den geltend gemachten Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Sachverständigen Dr.G. nach § 839 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gemäß § 51 Abs.1 SGG nicht zuständig. Insoweit ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Den Beteiligten wird hiermit gemäß § 17 a Abs.2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Senat hat - falls der Anspruch aufrecht erhalten wird - den Rechtsstreit insoweit an das zuständige Landgericht zu verweisen (vgl. BSG SozR 3-1500 § 51 Nr.23). Der Senat weist den Kläger jedoch ausdrücklich auf das bei den Zivilgerichten bestehende Kostenrisiko hin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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