L 8 SB 2535/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SB 908/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2535/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.05.2014 abgeändert und der Beklagte unter weiterer Abänderung des Bescheids vom 17.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 verurteilt, beim Kläger in der Zeit vom 09.07.2012 bis zum 31.03.2015 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf höhere (Erst-)Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB; 50 statt 40) ab 09.07.2012 zusteht.

Der 1955 geborene, verheiratete Kläger, deutscher Staatsangehöriger, ist bei einer Bausparkasse als Kreditsachbearbeiter (Blankokredite bis 30.000,- EUR) sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Am 09.07.2012 beantragte er erstmals beim Landratsamt Rems-Murr-Kreis (LRA) die Feststellung eines GdB (Blatt 1/2 der Beklagtenakte). Zu seinem Antrag gab er u.a. an, tagweise an Schwächeanfällen, Luftnot, Vorhofflimmern, Bluthochdruck zu leiden, außerdem an Rückenschmerzen (BWS und HWS), häufigem Harndrang und Ausscheidungen zu leiden und 2010 wegen Nierensteinen einen Krankenhausaufenthalt durchlebt zu haben. In den Akten finden sich zum Antrag ärztliche Unterlagen, darunter - ein vorläufiger Entlassbericht des Klinikums L. vom 18.05.2012 (Blatt 3/7 der Beklagtenakte) mit der Diagnose eines paroxysmalen Vorhofflimmerns und einer Perikardtamponade nach Pulmonalvenenisolation am 24.04.2012 und - ein Entlassbericht zu einer in der Zeit vom 22.05.2012 bis zum 19.06.2012 zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung durchgeführten stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation der Klinik S., I.-N., vom 18.06.2012 (Blatt 8/15 der Beklagtenakte).

Vom LRA befragt teilte der behandelnde Arzt Dr. H. mit (Blatt 23 der Beklagtenakte), beim Kläger bestünden chronische Wirbelsäulenbeschwerden, neu rezidivierendes Vorhofflimmern, eine Katheterablation und multiple Komplikationen, die sicher relevanter seien als die Wirbelsäulenbeschwerden. Der Urologe Dr. T teile dem LRA mit Schreiben vom 01.10.2012 (Blatt 27/28 der Beklagtenakte) mit, es bestehe eine chronisch rezidivierende Prostatitis und Vesikulitis.

Nachdem Dr. F. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.10.2012 (Blatt 30/31 der Beklagtenakte) den GdB mit 30 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck: Einzel-GdB 30; Entleerungsstörungen der Harnblase, Nierensteinleiden: Einzel-GdB 10) eingeschätzt hatte, stellte das LRA mit Bescheid vom 17.10.2012 (Blatt 32/33 der Beklagtenakte) den GdB seit 09.07.2012 mit 30 fest.

Der Kläger machte mit seinem Widerspruch vom 08.11.2012 (Blatt 35 der Beklagtenakte) u.a. geltend, bei der Behandlung des Vorhofflimmerns sei es zu Komplikationen gekommen, er leide unter starken Stimmungsschwankungen und fühle sich dadurch zeitweise geschwächt und kraftlos. Auch habe sich das HWS-Syndrom durch die Jahre wesentlich verschlechtert. Aus dem vom Kläger vorgelegten Attest des Orthopäden Dr. T. vom 05.11.2012 (Blatt 36 der Beklagtenakte) ergibt sich u.a. eine "WS-Rotation re./li. 80-0-60; HWS Seitneige bds. 20o, KBA 4-16 cm ".

Vom LRA befragt gab der Kardiologe Dr. R. mit Schreiben vom 20.11.2012 (Blatt 39/45 der Beklagtenakte) an, dass ein paroxysmales Vorhofflimmern bestehe, eine koronare Herzerkrankung aber ausgeschlossen sei. Aufgrund zunehmender Palpationen habe sich der Kläger 4/2012 zu einer Pulmonalvenenisolation entschlossen, welche prompt einen komplikationsreichen Verlauf genommen habe. Das Langzeit-EKG vom Dezember 2012 habe einen durchgehend im Durchschnitt bradykarden Sinusrhythmus ohne Rhythmuswechsel gezeigt.

Als der Versorgungsarzt Dr. S. (Stellungnahme vom 10.12.2012, Blatt 47/48 der Beklagtenakte) den GdB ebenfalls mit 30 einschätzte, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013, Blatt 50/52 der Beklagtenakte).

Am 19.02.2013 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Stuttgart Klage erhoben. Seiner Meinung nach und nach der von Dr. H. sei der GdB zu niedrig eingestuft. Er sei ständig in Behandlung. Ursache sei, dass es bei der Vorhofflimmernablation zu massiven Komplikationen gekommen sei. Seither leide er unter massiven Stimmungsschwankungen und fühle sich dadurch zeitweise geschwächt und kraftlos. Begleitet würden diese Schwankungen durch ständigen Harndrang, der im täglichen Leben sehr unangenehm sei. Vor dem Eingriff habe er solche Probleme nicht gehabt. Aufgrund seiner körperlichen Verfassung werde er in Zukunft eine weniger anspruchsvolle Tätigkeit verrichten.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 24/29, 32/37, 38/41 und 46 der SG-Akte Bezug genommen. Der Urologe Dr. T hat ausgeführt (Schreiben vom 27.03.2013), der Kläger habe über häufigen Harndrang und ein diffuses Druckgefühl im kleinen Becken geklagt, was schwer zu objektivieren sei. Es bestehe eine chronisch rezidivierenden Prostatitis und Vesikulitis. Der Facharzt für Innere Medizin/Kardiologie Dr. R. hat dem SG unter dem Datum des 06.05.2013 geschrieben, beim Kläger bestehe eine arterielle Hypertonie, ein Vorhofflimmern sowie eine manifeste FT3 Hyperthyreose. Trotz Ablation trete noch immer ein belastendes Vorhofflimmern auf. Der Kläger sei 12/12 bei einer Ergometrie im Sinusrhythmus bis 100 Watt belastbar gewesen. Dr. T., Facharzt für Orthopädie/Facharzt für Chirurgie, teilte in seinem Schreiben vom 13.05.2013 eine Behandlung wegen rezidivierender Schmerzsyndrome der Hals- und Brustwirbelsäule mit. Die Gesundheitsstörungen seien auf Grund der häufig rezidivierenden und dann stark funktionseinschränkenden Beschwerden als mittelgradig einzustufen, obwohl die strukturellen Veränderungen nicht so ausgeprägt seien. Betroffen sei vor allem die HWS und die BWS. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. H. hat dem SG am 03.07.2013 geschrieben, er habe den Kläger seit August 2012 nicht mehr in der Sprechstunde gesehen.

Das SG hat des weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisch/unfallchirurgischen Gutachtens gemäß § 109 SGG bei Dr. R., Facharzt für Orthopädie, Orthopädie und Unfallchirurgie, spezielle Unfallchirurgie. Dieser hat in seinem Gutachten vom 23.12.2013 (Blatt 69/85 der SG-Akte) ein chronisches HWS-Syndrom mit Funktionseinschränkungen und intermittierenden Cephalgien und ein chronisches BWS-Syndrom festgestellt. Die Funktionsstörungen seien mittelschwer, seitens der HWS sei der GdB mit 20, seitens der BWS mit 10 einzuschätzen. Den Gesamt-GdB schätzte er auf 40.

Der Kläger hat (Schreiben vom 17.01.2014, Blatt 87 der SG-Akte) darauf hingewiesen, dass zusätzlich eine Depression und das Blasenleiden berücksichtigt werden müsse. Er müsse bis zu 20 mal am Tag auf die Toilette, wodurch sein Arbeits-, Familien- und Freizeitleben belastet werde und ein höherer GdB als 50 geboten sei.

Ein vom Beklagten (Schreiben vom 14.03.2014, Blatt 81/93 der SG-Akte) abgegebenes Vergleichsangebot über die Feststellung eines GdB von 40 ab 09.07.2012 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck: Einzel-GdB 30; Funktionsbehinderung der Wirbelsäule: Einzel-GdB 20; Entleerungsstörungen der Harnblase, Nierensteinleiden: Einzel-GdB 10) hat der Kläger nicht angenommen und darauf verwiesen, dass er bis zu 20 mal am Tag auf die Toilette müsse, was Arbeits-, Familien- und Freizeitleben belaste.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 28.05.2014 den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger in Abänderung des Bescheides vom 17.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2013 einen GdB von 40 festzustellen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Da eine andauernde Leistungsbeeinträchtigung des Herzens nicht erkennbar sei, sei nach B Nr. 9.1.6 VG für das Vorhofflimmern ein höherer GdB als 30 nicht anzusetzen. Die bei dem Kläger vorliegenden Hals- und Brustwirbelsäulenbeschwerden seien nach der überzeugenden Einschätzung Dr. R. mit einem GdB von 20 zu bewerten. Bezüglich der vom Urologen diagnostizierten chronisch-rezidivierenden Prostatitis schließe sich das Gericht der versorgungsärztlichen Beurteilung vom 19.09.2013 an, dass für den häufigen Harndrang und ein unspezifisches Druckgefühl im Unterbauch mangels Objektivierung der Beschwerden ein höherer Einzel-GdB als 10 nicht anzusetzen sei. Bezüglich der geltend gemachten Depressionen lägen mangels ärztlicher oder gar fachärztlicher Behandlung keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Funktionseinschränkung vor. Der Gesamt-GdB sei mit 40 zu bewerten.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 06.06.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.06.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt und auf die Herzrhythmusstörungen, den Bluthochdruck sowie die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule verwiesen. Das SG habe auch die Depression nicht berücksichtigt. Auch die Entleerungsstörungen der Blase und das Nierensteinleiden sowie die rezidivierende Prostatitis seien nicht ausreichend berücksichtigt. Der Kläger hat ein augenfachärztliches Attest von Dr. W. vom 17.06.2014 vorgelegt (Diagnosen: Abduzensparese links, Lidhautvermehrung, Sicca-Syndrom, Presbyopie, Astigmatismus, Blatt 16/17 der Senatsakte).

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.05.2014 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheid vom 17.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab Antragstellung festzustellen und ihm einen Schwerbehindertenausweis zu erteilen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Eine weitere Erhöhung des GdB sei nicht begründbar.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des den Kläger behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. H. als sachverständigen Zeugen. Dieser hat in seiner schriftlichen Aussage vom 09.08.2014 (Blatt 23/24 der Senatsakte) die Diagnose einer depressiven Störung sowie den Verdacht auf Persönlichkeitsstörung und auf hypoxische Hirnschädigung mitgeteilt und den GdB mit 50 eingeschätzt.

Der Beklagte hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vom 29.10.2014 vorgelegt (Blatt 26/28 der Senatsakte), der Kläger hat sich mit Schreiben vom 09.12.2014 und 30.12.2014 geäußert (Blatt 29, 32/33 der Senatsakte). Die hypoxische Hirnschädigung werde im Universitätsklinikum Tübingen abgeklärt. Zwischenzeitlich sei er aber wegen massiver Herzbeschwerden stationär behandelt worden. Der Kläger hat (Schreiben vom 19.01.2015, Blatt 36/40 der Senatsakte) einen Bericht der R.-M.-Kliniken vom 22.09.2014 über eine stationäre Behandlung vom 19.09.2014 bis 23.09.2014 vorgelegt. Hierin wird eine koronare Herzerkrankung ausgeschlossen; im Übrigen wurde über eine Tachyarrhythmia absoluta bei paroxysmalem Vorhofflimmern, cardiovaskulären Risikofaktoren (arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie) sowie eine Hypokaliämie berichtet. Der Kläger habe bis auf eine Belastungsdyspnoe keine weiteren Beschwerden.

Darüber hinaus hat der Kläger u.a. vorgelegt, - Berichte der R.-M.-Kliniken vom 22.09.2014 (Blatt 43/44 der Senatsakte), 28.01.2015 (Blatt 46/49 der Senatsakte), vom 08.02.2014 (Blatt 51/54 der Senatsakte) und vom 17.07.2015 (Blatt 90 der Senatsakte), - den Bericht der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. vom 25.02.2015 (Blatt 57/59 der Senatsakte), in dem über ein bis auf eine Beeinträchtigung der einfachen Aufmerksamkeitsleistungen, unauffälliges Leistungsprofil der getesteten kognitiven Fähigkeiten berichtet wird, und - Berichte des Klinikums L. zur Behandlung des Vorhofflimmerns vom 18.03.2015 (Blatt 61/64 der Senatsakte) und vom 02.07.2015 (Blatt 87/88 der Senatsakte) und den Entlassungsbericht der W.-M.-Klinik vom 25.06.2015 (Blatt 82/86 der Senatsakte), Der Beklagte hat eine Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. G. vom 15.07.2015 (Blatt 69/70 der Senatsakte) vorgelegt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines urologischen Gutachtens bei Dr. R. und eines internistisch-sozialmedizinischen Gutachtens bei Dr. S., einschließlich von Zusatzgutachten auf orthopädischem Fachgebiet bei Dr. H. und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin B ... Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 29.10.2015 (Blatt 92/97 der Senatsakte) eine mäßige Vergrößerung der Prostata mit Adenomwachstum sowie ein Miktionsmuster wie bei einem benignen Prostata-Syndrom beschrieben. Er hat den GdB insoweit mit 20 eingeschätzt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 20.11.2015 (Blatt 110/133 der Senatsakte) ein Zervikalsyndrom mit initialen degenerativen Veränderungen, neuroforaminaler Enge C 6/ 7 mit Affektion beider C 7-Wurzeln, Bandscheibenprotrusionen C 5 bis C 7, muskulären Verspannungen, einen Morbus Forestier, ein chronisches Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen L 4/ 5 und muskulären Verspannungen sowie Senk-Spreizfuß beidseits beschrieben. Die Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule seien mittelgradig und im Bereich der Brust- und der Lendenwirbelsäule jeweils geringgradig ausgeprägt. Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule hat Dr. H. mit einem GdB von 20, die Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform mit einem GdB von unter 10 bewertet. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin B. hat in seinem Gutachten vom 25.03.2016 (Blatt 134/156 der Senatsakte) eine Angst und depressive Störung, gemischt, eine kernspintomographisch nachweisbare, diskrete frontale Hirnatrophie unklarer Ursache ohne bislang erkennbares funktionelles Defizit, eine isolierte, seit langem vorbestehende Augenmuskellähmung links (Abduzensparese) ohne Doppelbildwahrnehmung und einen vorbeschriebenen, intermittierend auftretenden Tinnitus ohne Beeinträchtigung des umgangssprachlichen Hörvermögens beschrieben, die er jeweils mit Teil-/Einzel-GdB von 10 bzw. unter 10 bewertet hat. Der Internist Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 29.03.2016 (Blatt 99/159 der Senatsakte) eine rezidivierende Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern mit nach mehrfacher Pulmonalvenenisolation jetzt stabilem Sinusrhythmus und einen labilen Bluthochdruck, aktuell ohne Medikamente im Normalbereich, beschrieben und mit einem GdB von 20, bis 3/2015 mit 30 bewertet. Unter Berücksichtigung der weiteren Gutachten hat er den Gesamt-GdB auf 40 geschätzt.

Die Sach- und Rechtslage wurde in einem nichtöffentlichen Termin am 08.07.2016 mit den Beteiligten erörtert. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Termins wird auf die Niederschrift (Blatt 164/166 der Senatsakte) Bezug genommen. Der Kläger hat u.a. mitgeteilt, wieder an Vorhofflimmern zu leiden, auch sei ihm im Juni ein Wirbel herausgesprungen.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 02.08.2016 (Blatt 170/173 der Senatsakte) ein ständiges Kribbeln im Kopf und massive Stimmungsschwankungen, Herzbeschwerden, Herzschmerzen und Bluthochdruck, eine chronisch rezidivierende Prostatitis, Prostatopathie, Pollakisurie und einen imperativen Harndrang geltend g. Ludwigsburg, einen Bericht von Dr. T vom 21.07.2016 (Blatt 173 der Senatsakte) sowie ein Attest von Dr. T. vom 15.08.2016 (Blatt 176 der Senatsakte) vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats sowie die beigezogenen Akte des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Kläger ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nur teilweise begründet.

Der angefochtene Bescheid des LRA vom 17.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 06.02.2013, mit dem der GdB lediglich mit 30 bewertet worden war, ist über die Entscheidung des SG hinaus rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 vom 09.07.2012 bis zum 31.03.2015, erst danach auf Feststellung eines GdB von 40.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die erstmalige Feststellung des GdB sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktionssystemen zusammenfassend (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 69 Abs. 3 SGB IX anschließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die beim Kläger vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau seit dem 09.07.2012 einen Gesamt-GdB von 50 und ab 01.04.2015 einen Gesamt-GdB von 40 rechtfertigen.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, war ein Einzel-GdB von 20 anzunehmen. Nach den B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB von 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist ein GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch beim Kläger nicht vorliegen und auch nicht geltend gemacht werden.

Vorliegend hat der orthopädische Gutachter Dr. H. an der Wirbelsäule des Klägers ein Zervikalsyndrom mit initialen degenerativen Veränderungen, neuroforaminaler Enge C 6/ 7 mit Affektion beider C 7-Wurzeln, Bandscheibenprotrusionen C 5 bis C 7 und muskulären Verspannungen, einen Morbus Forestier sowie ein chronisches Lumbalsyndrom mit degenerative Veränderungen L 4/ 5 und muskulären Verspannungen feststellen können. Die Wirbelsäule steht beim Kläger im Lot bei Schulter- und Beckengeradstand. Die Halswirbelsäule wird steilgestellt gehalten. Insgesamt besteht eine leicht vorgebeugte Haltung mit nach vorne hängenden Schultern. Die Brustwirbelsäulenkyphose ist leicht vermehrt. Insgesamt ist das Profil der Wirbelsäule noch physiologisch. Eine Seitausbiegung oder Rotationszeichen konnte Dr. H. an keinem der Wirbelsäulenabschnitte feststellen. Die Beweglichkeit der Hals- und der Lendenwirbelsäule hat der Kläger als schmerzhaft angegeben. Die Entfaltung der Dornfortsatzreihe bei der Re- und Inklination war nicht eingeschränkt. Muskelverspannungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule und Muskelverhärtungen bestanden im Bereich der Rückenstrecker im Bereich des lumbo-sakralen Überganges. Paravertebrale Druckbeschwerden an den Nackenstreckern, in Höhe des cervico-thorakalen Überganges, im Bereich des Kyphosescheitels und über den caudalen Etagen der Lendenwirbelsäule hat der Kläger angegeben.

Dr. R. hat bei seiner Begutachtung des Klägers einen Becken- und Schultergeradstand beschrieben. Die Wirbelsäule war insgesamt altersentsprechend im Lot. Eine Seitabweichung der Dornfortsatzreihe war nicht festzustellen, ein Lendenwulst oder Rippenbuckel ebenfalls nicht. Eine vermehrte Beckenkippung oder -verwringung konnte Dr. R. auch nicht feststellen. Es lag keine sagittale Dysbalance vor. Der Druckschmerz über den Facetten der Halswirbelsäule war im Segment C3, C4 und C5 und C 6 rechts und im Segment C4 und C6 links im Sinne positiver segmentaler Irritationspunkte auffällig. Positive Myogelosen und starker muskulärer Hartspann im Bereich der gesamten Halswirbelsäule rechts deutlich mehr als links konnte Dr. R. darstellen, ebenso diskrete Myogelosen im Bereich des M. Rhomboideus, im Bereich des M. erector spinae distal. Dr. R. hat einen positiven Druckschmerz im Bereich der Facettengelenke TH 10 - L1 beidseits mitgeteilt. Die Drehung des Kopfes war schmerzhaft und subjektiv wie objektiv deutlich eingeschränkt, beim Heben oder Senken des Kopfes konnte keine Brachialgie ausgelöst werden, auch nicht beim manuellen Herunterziehen oder -drücken der Schultern beziehungsweise beim Hyperabduzieren des Armes.

Folgende Bewegungsmaße wurden gemessen:

Normal- werte Dr. T. Dr. R. Dr. H. Dr. T. Blatt 85 der SG-Akte 38 der SG-Akte 85 der SG-Akte 121/122 der Senatsakte 176 der Senatsakte Untersuchungsdatum Auskunft 13.05.2013 12.12.2013 18.11.2015 Attest 15.08.2016 HWS Drehung rechts/links 60/80-0-60/80 80-0-60 30-0-20 50-0-50 40-0-60 Seitwärtsneigung rechts/links 45-0-45 20-0-20 20-0-10 20-0-20 20-0-10 Vorneigen/Rückneigen 35/45-0-45/70 - 10-0-20 60-0-40 - Kinn-Jugulum-Abstand 4/16 cm 20,0/1,0 cm BWS/LWS Ott 30/32 cm 30/31 cm 30/31 cm 28,5/30,0/31,0 cm 30-30,5 cm Finger-Boden-Abstand 0 cm - 40 cm 12 cm 30 cm Schober 10/15 cm - 10/23 cm 8,5/10,0/14,0 cm 10-12 cm Seitneigung rechts/links 30/40-0-30/40 20-0-30 20-0-20 30-0-30 - Vorneigen/Rückneigen 45-0-35 - - Rumpfdrehen 30/40-0-30/40 20-0-30 30-0-20 35-0-35 20-0-20 Beckenschiefstand 0 cm Beckengeradestand Beckengeradestand -

Neurologische Ausfälle, radikuläre Beeinträchtigungen oder Wurzelreizungen konnten weder Dr. H. noch Dr. R. feststellen. Solche hat auch Dr. T. nicht berichten können. Auch im Gutachten B. wurden solche nicht festgestellt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich im Hinblick auf die gerade von Dr. T. beschriebenen rezidivierenden Wirbelsäulensyndrome eine mittelgradig eingeschränkte Halswirbelsäule und eine lediglich leichtgradig eingeschränkte Brust- und Lendenwirbelsäule feststellen. Damit war der Einzel-GdB im Funktionssystem des Rumpfes mit 20 zu bewerten; dabei hat der Senat die Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäulensyndrome mitberücksichtigt. Soweit der Kläger geltend macht, im Juni 2016 sei ihm ein Wirbel/eine Bandscheibe herausgesprungen, so führt dies nicht zu einer höheren Bewertung des GdB. Denn diese Gesundheitsstörung, die an sich behandelbar ist, liegt noch keine sechs Monate vor (vgl. dazu § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Im Funktionssystem der Beine hat Dr. H. lediglich eine beidseitige Fußfehlform ohne statische Auswirkungen beschrieben, für die nach B Nr. 18.14 VG ein GdB nicht anzusetzen war (GdB 0). Aus den Auskünften von Dr. T. und den sonstigen Berichten ergibt sich nichts weitergehendes.

Soweit Dr. T. für die Schulter eine Abduktion/Adduktion von 160-0-40 rechts und links 150-0-40, eine Elevation/Retroversion von 140-0-40 rechts und links 130-0-30 bei Außen-/Innenrotation beidseits von 60-0-80 angibt und einen GdB insoweit mit 30 bewertet, kann ihm der Senat angesichts der Vorgaben von B Nr. 18.13 VG nicht folgen. Denn insoweit besteht beim Kläger weder eine Versteifung der Schulter noch eine Instabilität. Hinsichtlich der Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks hat er aber den Schwellenwert von 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit nicht unterschritten.

Im Funktionssystem der Augen ist der Einzel-GdB mit allenfalls 10 anzusetzen. Zwar besteht hier eine Augenmuskellähmung (Abduzensparese), die von Dr. B. wie auch von den Augenärzten Dres. W. (Blatt 16/17 der Senatsakte) beschrieben wurde. Die Lähmung betrifft die Augapfeldrehung nach außen am linken Auge. Damit ist der GdB nach B Nr. 4.4 VG zu bewerten. Da Doppelbilder, was Voraussetzung eines GdB nach B Nr. 4.4 VG wäre, aber nicht vorliegen, ist der vom Gutachter B. angenommene GdB von 10 nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig, zumal auch ein Lähmung des Oberlides oder eine Fehlstellungen der Lider bzw. eine Verlegung der Tränenwege mit Tränenträufeln nicht vorliegen. Gesichtsfeldausfälle (dazu B Nr. 4.5 VG) oder ein Ausfall des Farbsinnes (dazu B Nr. 4.6 VG) sind ebenfalls nicht beschrieben. Der Astigmatismus und die Sicca-Symptomatik führen zu keinen wesentlichen im Alltag sich funktionell auswirkenden Beeinträchtigungen. Damit war der Einzel-GdB im Funktionssystem der Augen allenfalls mit 10 anzunehmen. Die Minderung der Sehschärfe auf jeweils 0,8 auf beiden Augen (Bericht Dres. W., Blatt 16 der Senatsakte) bedingt nach B Nr. 4.3 VG keinen höheren Einzel-GdB.

Im Funktionssystem der Ohren war ein Einzel-GdB nicht anzunehmen. Insoweit haben die HNO-Ärzte Dres. R./R.-B. keinen vom alterstypischen Gesundheitszustand (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) abweichenden Gesundheitszustand des Klägers mitteilen können. Vielmehr haben diese (Blatt 89 der Senatsakte) mitgeteilt, im Tonaudiogramm habe sich ein altersentsprechendes normales Gehör ergeben. Auch der mitgeteilte intermittierend auftretende Tinnitus führt nicht zu einer relevanten Funktionsbehinderung. Er ist, wie sich aus dem Gutachten B. ergibt, ohne Beeinträchtigung des umgangssprachlichen Hörvermögens und ohne psychische Begleiterscheinungen geblieben. Damit konnte der Senat dem Vorschlag vom Gutachter B., den Tinnitus mit einen GdB von unter 10 zu bewerten, folgen.

Die manifeste FT3 Hyperthyreose, eine krankhafte Überfunktion der Schilddrüse, ist im Funktionssystem des Stoffwechsels/der inneren Sekretion zu bewerten (B Nr. 15 VG). Jedoch sind Schilddrüsenfunktionsstörungen gut behandelbar, so dass in der Regel anhaltende Beeinträchtigungen nicht zu erwarten sind (B Nr. 15.6 VG). So sind auch beim Kläger Organkomplikationen nicht aufgetreten. Damit war kein GdB für diese Gesundheitsstörung anzunehmen. Auch die Hypercholesterinämie, ein zu hoher Cholesterinspiegel, führt weder unter Anwendung der Maßstäbe von B Nr. 15 VG noch unter den Maßstäben von B Nr. 16 VG zu einer relevanten funktionellen Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeit und war daher nicht mit einem GdB zu bewerten.

Im Funktionssystem der Harnorgane bzw. des Geschlechtsapparates (A Nr. 2 Buchst. e) VG) ist die Blasenerkrankung und das Nierensteinleiden des Klägers zu bewerten. Nierenschäden oder Nierenfunktionseinschränkungen konnten weder die behandelnden Ärzte noch die Gutachter Dr. S. und Dr. R. darstellen. Die Nierensteine waren im Jahr 2010 im Rahmen einer Krankenhausbehandlung therapiert worden und sind seither nicht wieder aufgetreten. Insoweit war ein Teil-GdB nicht anzusetzen. Darüber hinaus liegen weder chronische Harnwegsentzündungen (dazu vgl. B Nr. 12.2.1 VG) oder eine Harninkontinenz (dazu vgl. B Nr. 12.2.4 VG) vor, noch wurde ein Blasentumor (dazu vgl. B Nr. 12.2.3 VG) entfernt. Die Entleerungsstörungen der Blase, die Dr. R. als einem benignen Prostata-Syndrom vergleichbar angesehen hat, sind nach B Nr. 12.2.2 VG zu bewerten; insoweit gilt dasselbe für das von Dr. R. und Dr. T beschriebene Prostataadenom (vgl. B Nr. 13.5 VG). Vorliegend hat Dr. T zuletzt eine Pollakisurie, ein häufiges Wasserlassen in kleinen Mengen, beschrieben. Der Kläger hat insoweit bis zu 20 Toilettengänge täglich angegeben. Dr. T hat auch chronisch auftretende Prostatitisschübe und eine starke Schmerzsymptomatik im Bereich des Unterbauches angegeben (Blatt 173 der Senatsakte), jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Beschwerden schwer zu objektivieren seien (Blatt 24 der SG-Akte). Der Gutachter Dr. R. konnte zumindest den häufigen Harndrang mit dem Erfordernis vielfacher Blasenentleerungen auch nachts objektivieren. Diese Miktionsbeschwerden beeinträchtigen den Tagesablauf und den Nachtschlaf. Daher konnte der Senat mit Dr. R. und Dr. S. die Funktionsbehinderung als mittelgradig bewerten. Insoweit konnte der Senat unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben von B Nr. 13.5 VG und B Nr. 12.2.2 VG den Einzel-GdB mit 20 feststellen. Denn eine dauerhaft schmerzhafte Blasenentleerung oder das Erfordernis zur Anwendung manueller Entleerungstechniken, eine erhebliche Restharnmenge, die Anlass gäben, den GdB-Rahmen nach oben auszuschöpfen, liegen nicht vor; auch überschneiden sich die funktionellen Beeinträchtigungen durch das Prostataadenom und die Prostatitis mit den Blasenentleerungsstörungen vollständig. Aus dem zuletzt vorgelegten Attest von Dr. T vom 21.07.2016 ergibt sich nichts abweichendes. Zwar hat dieser einen tröpfchenweisen Urinabgang nachts beschrieben, doch stellt dies auch nach seiner Bewertung keine Inkontinenz dar. Vielmehr hat Dr. T diesen Urinabgang als "altersentsprechend durchaus normal" bezeichnet, weshalb eine Behinderung insoweit nicht vorliegt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Im Funktionssystem Herz/Kreislauf (dazu vgl. B Nr. 9 VG) zu bewerten sind beim Kläger das Vorhofflimmern (Herzrhythmusstörungen) und der Bluthochdruck. Die Herzrhythmusstörung hat vor einigen Jahren zu einer kardialen Dekompensation geführt. Beim Kläger besteht insoweit ein paroxysmales Vorhofflimmern mit Tachyarrhythmia absoluta, welche aufgrund der hohen Frequenz die Dekompensation ausgelöst hatte (Gutachten Dr. S., Blatt 157 der Senatsakte = Seite 22 des Gutachtens). Ein zusätzlicher struktureller Schaden am Herz (Herzmuskel, Klappenapparat und Koronarsystem) besteht nicht (Gutachten Dr. S. a.a.O.). So konnten auch das Klinikum Ludwigsburg und die R.-M.-Kliniken eine koronare Herzerkrankung (dazu B Nr. 9.1.1 VG) ausschließen (vgl. z.B. Bericht des Klinikums L. vom 18.03.2015, Blatt 61 ff. der Senatsakte; Bericht der R.-M.-Kliniken vom 17.07.2015, Blatt 90 der Senatsakte). Die elektrophysiologische Intervention und Pulmonalvenenisolierung wurde durchgeführt, führte aber zu der Komplikation i.S.e. Herzbeuteltamponade; mittlerweile wurden zwei weitere Eingriffe dieser Art durchgeführt, der letzte im März 2015. Seit diesem letzten stationären Aufenthalt im Klinikum L. wurden Flimmer- oder Flatterepisoden nicht mehr nachgewiesen (Gutachten Dr. S., Blatt 157 RS der Senatsakte = Seite 23 des Gutachtens). Die Herzleistung/Pumpleistung des Herzens ist beim Kläger gut. So konnte er am 23.05.2012 (Blatt 11 der Beklagtenakte) über sechs Minuten 75 Watt leisten (Abbruch wegen Erschöpfung und Beinschwäche, keine Angina Pectoris oder Dyspnoe; vgl. Rehabericht der Klinik S.) und bei Dr. Ritzmann im Dezember 2012 im EKG im Sinusrhythmus bis 100 Watt (Abbruch wegen Erschöpfung). Auch bei der Untersuchung am 12.05.2015 (Bericht der W.-M.-Klinik, Blatt 84 der Senatsakte) konnte der Kläger von 50 bis 125 Watt unauffällig belastet werden. Bei der Untersuchung durch Dr. S. hat der Kläger die Testung nach Umschalten auf die 75 Watt Stufe wegen körperlicher Erschöpfung abgebrochen (Blatt 108 der Senatsakte = Seite 19 des Gutachtens). Dr. S. konnte kardiale Gründe für diesen Abbruch nicht feststellen, da die Kreislaufparameter keine entsprechende Reaktion gezeigt hatten und die Herzfrequenz nicht durch eine Betablockade beeinflusst war (a.a.O.). Die Einschätzung von Dr. S. wird dadurch bestätigt, dass der Kläger während der gesamten Rehamaßnahme in der W.-M.-Klinik 2015 keine Herzrhythmusstörungen aufwies, im täglichen Ergometertraining keine Episoden von Vorhofflimmern und keine höhergradigen Herzrhythmusstörungen auftraten, er sogar bei 175 Watt unauffällig zu belasten war auch während der diagnostischen Ergometrie im Rahmen der letzten Reha-Behandlung (W.-M.-Klinik) bis 175 Watt leisten konnte. Eine relevante organisch bedingte Leistungseinschränkung seitens des Herzens konnte der Senat damit nicht feststellen. Diese Einschätzung deckt sich mit den Angaben und Bewertungen des behandelnden Kardiologen Dr. R ...

Der Bluthochdruck (dazu vgl. B Nr. 9.3 VG) war bei der Untersuchung durch Dr. S. gut eingestellt, obwohl die theoretisch bestehende Medikation mit einem Betablocker nicht wirksam war - Betablocker wurden auch nicht eingenommen. Auch bestanden keine Organveränderungen (z.B. Augenhintergrundveränderungen).

Dr. S. konnte aus rein kardiologischer Sicht einen Einzel-GdB von 30 zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nicht mehr bestätigen. Denn Herzrhythmusstörungen (dazu B Nr. 9.1.6 VG) waren nach der letzten Intervention im März 2015 nicht mehr in einem kreislaufrelevanten Umfang aufgetreten. Daher war Dr. S. unter Berücksichtigung der vorangegangenen Eingriffe und der noch nicht ausschließbaren Rezidiv-Gefahr zum Schluss gekommen, dass die Herzrhythmusstörung und der Bluthochdruck zusammenfassend mit einem Einzel-GdB von 20 ab 04/2015 zu bewerten sind. Vor dem letzten Eingriff hat er die kardiale Situation als deutlich instabiler und den Einzel-GdB mit 30 eingeschätzt.

Bei einer Einschränkung der Herzleistung auf 75 Watt, wovon der Senat mit dem Gutachter Dr. S. ausgeht, ist nach B Nr. 9.1.1 VG der GdB-Rahmen von 20 bis 40 eröffnet. Nach B Nr. 9.1.6 VG richtet sich bei Rhythmusstörungen die Beurteilung des GdB vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens. Anfallsweise auftretende hämodynamisch relevante Rhythmusstörungen (z.B. paroxysmale Tachykardien) sind je nach Häufigkeit, Dauer und subjektiver Beeinträchtigung bei fehlender andauernder Leistungsbeeinträchtigung des Herzens mit einem GdB von 10 zu bewerten. Lediglich bei bestehender andauernder Leistungsbeeinträchtigung des Herzens sind sie entsprechend zusätzlich zu bewerten.

Der Senat konnte lediglich die von Dr. S. angegebene Leistungsbeeinträchtigung des Herzens bei 75 Watt feststellen, eine koronare Herzerkrankung aber nicht. Auch die Rhythmusstörungen führen zu keiner weitergehenden dauerhaften Einschränkung der Herzleistung. Daher ist der GdB aus einem Rahmen von 20 bis allenfalls 40 zu bemessen. Da aber seit dem letzten Eingriff im März 2015 über mehr als sechs Monate hinweg keine Rhythmusstörungen und kein Vorhofflimmern mehr aufgetreten sind, konnte der Senat jedenfalls ab April 2015 lediglich noch einen Einzel-GdB von 20 annehmen; zuvor war die Bewertung des Einzel-GdB mit 30 jedenfalls nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig.

Soweit der Kläger zuletzt geltend gemacht hat, es seien ab Frühjahr 2016 wieder Rhythmusstörungen im Sinne von Vorhofflimmern aufgetreten, so bedeutet dies nicht, dass der Einzel-GdB derzeit zu erhöhen ist. Ärztliche Befunde konnte der Kläger, der wegen der Rhythmusstörungen im Jahr 2016 – eigenen Angaben im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung zufolge - keinen Arzt aufgesucht hatte, nicht vorlegen. Damit konnten diese auch nicht als objektiviert betrachtet werden. Soweit der Senat zugunsten des Klägers ab Frühjahr 2016 dennoch Rhythmusstörungen als nachgewiesen annimmt, konnte der Kläger diese mit den verordneten Medikamenten (Notfallset) schnell und sicher unter Kontrolle bringen; hierzu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung anschaulich beschrieben, wie er nach einer Attacke die Tabletten einnimmt und wie diese wirken. Darüber hinaus muss das Wiederauftreten der Rhythmusstörungen vor dem Hintergrund der jedenfalls ab März 2015 durchgehende dokumentierten unauffälligen kardiologischen Befunde als Wiedererkrankung betrachtet werden, für das die Maßgaben des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gelten. Mithin muss die Gesundheitsstörung zumindest sechs Monate bestanden haben. Da der Kläger aber angegeben hat, diese Störungen seien erst wieder im Frühjahr 2016 aufgetreten, konnte der Senat zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht feststellen, dass diese bereits sechs Monate vorgelegen hätten. Damit waren diese nicht bei der GdB-Bewertung zu berücksichtigen.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche ist der Einzel-GdB mit 20 zu bewerten. Beim Kläger besteht eine psychische Gesundheitsstörung in Form von Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10:F41.2) sowie eine neurologische Störung in Form einer diskreten frontalen Hirnatrophie. Dies konnte der Gutachter B. für den Senat überzeugen darstellen. Insoweit besteht auch keine relevante Abweichung zu den sich aus den Unterlagen von Dr. H. und der Universitätsklinik Tübingen ergebenden Gesundheitsstörungen.

In seiner Stellungnahme vom 09.08.2014 hat Dr. H. gegenüber dem Senat folgenden Befund mitgeteilt (Blatt 23 der Senatsakte): "Wach, orientiert, Stimmung mittelgradig depressiv, affektive Schwingung gemindert. Patient wirkt leicht verlangsamt. Denken formal intakt, inhaltlich vorwiegend um Körpersymptome besorgt. Antrieb leicht eingeschränkt, adynam. Keine Halluzinationen, keine Wahnsymptome." In seinem Bericht vom 12.01.2015 hat er den Kläger wie folgt beschrieben (Blatt 55 der Senatsakte): "Wacher orientierter Patient in deutlich gedrückter Stimmungslage. Die affektive Schwingung ist deutlich eingeengt. Im Kontakt ist der Patient verhalten. Das Denken ist inhaltlich und formal intakt, teilweise inhaltlich auf die Krankheitsbeschwerden fixiert. Herr S. wirkt insgesamt etwas verlangsamt, der Antrieb ist gemindert. Bei der Anamneseerhebung fallen keine Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen auf." Der Gutachter B. hat den Kläger im Kontakt als adäquat, nicht distanzgemindert, nicht enthemmt, in der Beschwerdeschilderung offen und kooperativ erlebt. Der Kläger war wach, vollständig orientiert, bewusstseinsklar. Konzentration und Aufmerksamkeit waren nicht in belangvoller Art und Weise beeinträchtigt. Es lagen keine Störungen der Gedächtnisfunktionen und keine erkennbaren Zeitgitterstörungen vor. Affektiv war der Kläger euthym, die affektive Modulationsfähigkeit war nicht beeinträchtigt. Der Antrieb war bei der Untersuchung unbeeinträchtigt, in den kurzfristig auftretenden depressiven Phasen hat der Kläger sich als leicht bis mäßig, jedoch nicht schwer beeinträchtigt beschrieben. Psychomotorisch war der Kläger unauffällig; das formale Denken war unauffällig, nicht beschleunigt, nicht verlangsamt, nicht sprunghaft oder gelockert und auch nicht inkohärent. Es bestand kein Wahn, jedoch eine vermehrte Ängstlichkeit, die auf die kardiale Situation fokussiert keine höhergradige depressive Kognition beinhaltete. In den Phasen der Depressivität, die vom Kläger als nur wenige Tage andauernd beschrieben wurden, beschreibt der Gutachter B. ein vermehrtes Insuffizienzerleben und das Gefühl der Überforderung, das aber im Hinblick auf die körperliche Belastbarkeit auch durchgängig in nicht depressiven Phasen besteht.

Für die Bewertung von Hirnschäden bestimmt B Nr. 3.1 VG, dass ein Hirnschaden nachgewiesen ist, wenn Symptome einer organischen Veränderung des Gehirns festgestellt worden sind. Wenn bei späteren Untersuchungen keine hirnorganischen Funktionsstörungen und Leistungsbeeinträchtigungen mehr zu erkennen sind beträgt der GdB dann - auch unter Einschluss geringer z.B. vegetativer Beschwerden - 20; nach offenen Hirnverletzungen nicht unter 30. Vorliegend hat eine offene Hirnverletzung nicht stattgefunden, weshalb der GdB mit 20 zu bewerten ist.

Für die Feststellung eines Hirnschadens ist zunächst auf bildgebende Verfahren abzustellen, was sich auch aus der Stellungnahme des Sachverständigen Beirats (Protokoll vom 10.04.1991, vgl. dazu auch Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 6. Auflage, Seite 115) ergibt. Insoweit ist die bildgestützte Darstellung einer krankhaften Hirnveränderung bereits das Symptom i.S. eines klinischen Zeichens eines Hirnschadens (zur Problematik vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg 14.10.2010 – L 13 SB 53/10 – juris RdNr. 14 ff.). Dieses Symptom muss nicht - weder anfänglich noch später (dazu vgl. B Nr. 3.1 Buchst. a) VG am Ende) - mit funktionellen Auswirkungen einhergehen, denn ein einmal eingetretener Hirnschaden i.S. einer eingetretenen krankhaften Hirnveränderung lässt sich ähnlich dem Verlust von Organen (z.B. Verlust einer Niere oder der Milz) organisch nicht rückgängig machen; vielmehr können ggf. lediglich funktionelle Auswirkungen durch Bildung neuer Synapsen gemindert bzw. beseitigt werden, wovon auch B Nr. 3.1 Buchst. a) VG ausgehen, als ein GdB von einer hirnorganischen Funktionsstörungen und Leistungsbeeinträchtigungen unabhängig anzunehmen ist. Hirnorganische Funktionsstörungen und Leistungsbeeinträchtigungen müssen bei nachgewiesenem Hirnschaden insoweit auch nicht zum Zeitpunkt des Auftretens des Hirnschadens bzw. dessen Feststellung bestanden haben; vergleichbar ist z.B. bei einer intakten Niere und Verlust der anderen Niere auch ohne weitere Funktionsausfälle ein GdB anzunehmen (B Nr. 12.1.1 VG; zum vergleichbaren Fall des Verlusts der Milz vgl. B Nr. 16.1 VG). Daher war vorliegend auch ohne klinische Funktionsstörungen ein Hirnschaden in Form eines dauerhaft atrophierten, mithin krankhaft verkleinerten Hirns, anzunehmen und mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten.

Bestimmend für die Beurteilung eines höheren GdB ist das Ausmaß der bleibenden Ausfallserscheinungen. Ein höherer GdB kommt so nach B Nr. 3.1.1 VG in Betracht, wenn die Hirnschäden mit zumindest geringer Leistungsbeeinträchtigung einhergehen oder i.S.v. 3.1.2 VG jedenfalls mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen verbunden sind. Erst in diesem Rahmen ist für die Bewertung des GdB das Ausmaß der bleibenden Ausfallerscheinungen von Bedeutung (dazu vgl. LSG Sachsen-Anhalt 22.02.2011 – L 7 SB 10/08 – juris RdNr. 43). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach der VG der zu den einzelnen Syndromen genannte GdB in Einzelfällen höher bewertet ist als vergleichsweise Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht auf Hirnschäden zurückzuführen sind (LSG Berlin-Brandenburg 02.02.2012 – L 13 SB 210/10 – juris RdNr. 25). Das ist aber beim Kläger gerade nicht der Fall. So konnte der Gutachter B. feststellen, dass die Hirnatrophie bislang ohne erkennbares funktionelles Defizit geblieben ist. Das bestätigt auch der Bericht der Universitätsklinik T ... Dort hatten sich bis auf eher leichte Beeinträchtigungen in den Aufmerksamkeitsleistungen keine höheren kognitiven Einschränkungen gezeigt; die beschriebenen Einschränkungen wurden aber auf eine psychische Ursache bei depressiven Zeichen zurückgeführt, also gerade nicht auf die Hirnatrophie. Bei der Begutachtung durch den Gutachter B. konnten im klinischen Eindruck, aber auch testpsychologisch keine kognitiven Einschränkungen festgestellt werden; auch insoweit stimmen die Ergebnisse vom Gutachter B. mit denjenigen aus T. überein, wonach wesentliche kognitive Bereiche unbeeinträchtigt sind. Insofern sind die diskreten Zeichen der Atrophie des Stirnhirns ätiologisch unklar, sie weisen nicht auf eine Demenz hin, auch nicht auf eine Unterform im Sinne einer front-temporalen Demenz. Diesbezüglich fehlen typische Zeichen wie etwa emotionale Verflachung, Vergröberung des Sozialverhaltens, Enthemmung oder aber Apathie sowie Sprachstörungen (Aphasie; vgl. Gutachten B., Blatt 152 der Senatsakte = Seite 19 des Gutachtens). Vor diesem Hintergrund konnte der Senat weder zumindest geringe Hirnleistungsbeeinträchtigungen noch mit dem Hirnschaden verbundene isoliert vorkommende bzw. führende Syndrome feststellen. Damit war der Teil-GdB insoweit mit 20 anzusetzen.

Aus dem Versuch des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung den Kläger eine 13er-Reihe rückwärts rechnen zu lassen und eine verlangsamte Sprechweise aufzuzeigen, ergeben sich ebenso wenig wie aus der selten stockenden Sprechweise des Klägers, der in der mündlichen Verhandlung angegeben hatte, das Reden erst mit fünf Jahren gelernt zu haben, Anhaltspunkte für eine weitergehende Störung der Hirnfunktion.

Die vom Gutachter B. mitgeteilte psychische Gesundheitsstörung in Form von Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10:F41.2), bedingt lediglich einen Teil-GdB von 10. Nach den B Nr. 3.7 VG ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten. Vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Befundes von Dr. H. und des Gutachters B. konnte der Senat aber einen Teil-GdB von 20 nicht annehmen. Denn beim Kläger liegt keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, auch nicht eine ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störung oder Entwicklungen mit Krankheitswert bzw. somatoforme Störungen. Der Kläger ist vollschichtig als Kreditsachbearbeiter bei einer Bausparkasse verantwortlich tätig. Der Gutachter B. hat er angegeben, er verbringe viel Zeit mit den Familienangehörigen (Ehefrau, Kind). Vor diesem Hintergrund konnte der Senat weder einen wesentlichen sozialen Rückzug noch eine Unmöglichkeit, den Alltag zu gestalten, mithin keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, feststellen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger insoweit auch von Theaterbesuchen und Stadtausflügen mit seiner jungen Familie berichtet; soweit er diese abbricht bzw. im Theater Randplätze bevorzugt, ist dies nicht einer psychischen Erkrankung geschuldet, sondern seinem Harndrang bzw. dem nun wohl wieder aufgetretenen Vorhofflimmern. Auch nimmt der Kläger neben den Untersuchungen beim Neurologen und Psychiater die von diesem und vom Gutachter B. dringend angeratene Psychotherapie nicht in Anspruch, weil er keine Gespräche wolle, bei denen der "Blutdruck auf 200 hochgehe". Das gilt auch, obwohl Dr. T aus urologischer Sicht eine psychische Belastung angenommen hat. Ein erhöhter Leidensdruck wird hieraus für den Senat aber nicht ersichtlich. Da sich die Depressivität und die Angstzustände des Klägers immer wieder aber nur über wenige Tage zeigt, ist nach A Nr. 2 Buchst. f) VG von einem Durchschnittswert auszugehen. Insoweit hält der Senat mit dem Gutachter B. einen Teil-GdB von 10 für angemessen; dabei hat er berücksichtigt, dass die Gesundheitsstörung des Klägers insoweit nicht lediglich aus einer depressiven Komponente sondern auch einer Angstkomponente im Hinblick auf die Herzrhythmusstörungen besteht.

Ausgehend von Teil-GdB-Werten von 20 und 10 im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche und keinen (bezüglich des Hirnschaden) bzw. nur geringen (bezüglich der Angst und depressive Störung gemischt) funktionellen Auswirkungen konnte der Senat im Funktionssystem lediglich einen Einzel-GdB von 20 feststellen.

Weitere GdB-relevante Gesundheitsstörungen sind weder vorgetragen, noch konnte der Senat solche feststellen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den sachverständigen Zeugenauskünften und den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris).

Weitere Ermittlungen waren auch nicht im Hinblick auf die zuletzt vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen (Wiederauftreten der Rhythmusstörungen; herausgesprungener Wirbel/Bandscheibe) erforderlich. Insoweit konnte der Senat zwar zugunsten des Klägers vom Vorliegen der Erkrankungen ausgehen. Da diese aber therapeutisch beeinflussbar sind und auch noch nicht mindestens sechs Monate vorliegen, waren sie auch nicht zur aktuellen Grundlage der GdB-Bewertung zu machen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), weshalb insoweit Ermittlungen nicht anzustellen waren.

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB zu bilden aus Einzel-GdB-Werten von - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes (Wirbelsäule), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Augen (Abduzensparese), - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Harnorgane/des Geschlechtsapparates (Pollakisurie, Prostataadenom, Prostatitis), - 20, bis 31.03.2015: 30, für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems des Herz/Kreislaufs und - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche, wobei sich Einzel-GdB-Werte von 10 regelmäßig nicht erhöhend auswirken. Nachdem beim Kläger vorliegend ab 01.04.2015 von zu berücksichtigenden Einzel-GdB von lediglich 20 und einem des Weiteren zu berücksichtigenden Einzel-GdB von 10 auszugehen ist und auch kein Fall vorliegt, in dem ein Einzel-GdB von 10 ausnahmsweise erhöhend zu berücksichtigen wäre, konnte der Senat einen Gesamt-GdB i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i.H.v. 40 feststellen. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass die Funktionsbehinderungen im Bereich des Gehirns einschließlich der Psyche nur gering ausgeprägt sind. Auch bestehen beim Kläger ab 01.04.2015 insgesamt keine schwerwiegende Behinderungen, die mit einem Teil-GdB von 30 oder mehr zu bewerten sind. So ist es nach den dargestellten Grundsätzen zu Bildung des Gesamt-GdB bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil 24.01.2014 – L 8 SB 211/13 – juris = www.sozialgerichtsbarkeit.de und Urteile vom 25.03.2011 - L 8 SB 4762/08 - und 05.03.2010 - L 8 SB 5038/08 -, m.w.N., unveröffentlicht) ist es daher grundsätzlich nicht möglich, bei Vorliegen mehrerer Behinderungen mit Einzel-GdB von 20, wie dies beim Kläger ab 01.04.2015 zutrifft, einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden und damit die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen, liegen beim Kläger nicht vor. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und einer Prüfung im Einzelfall ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger unter Berücksichtigung eines Vergleichs der bei ihm insgesamt vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren gegenseitigen Auswirkungen einerseits und derjenigen Fälle, für die die VG die Schwerbehinderteneigenschaft, mithin einen GdB von 50, vorsehen andererseits, nicht als einem Schwerbehinderten vergleichbar schwer funktionell beeinträchtigt anzusehen ist. Damit konnte der Senat ab 01.04.2015 lediglich einen Gesamt-GdB von 40 annehmen.

Da bis zum 31.03.2015 die Funktionsbehinderungen des Herzens mit dem Gutachter Dr. S. mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten waren und Überschneidungen lediglich mit der Angst und depressive Störung, gemischt, bestehen war bis dahin der Gesamt-GdB mit 50 festzustellen. Insoweit konnte der Senat der Bewertung des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. H., der in seiner Stellungnahme gegenüber dem Senat vom 14.08.2014 den Gesamt-GdB auf 50 eingeschätzt hatte, nur bezogen für den Zeitraum bis 31.03.2015 folgen. Für den danach liegenden Zeitraum, in dem eine Besserung der Rhythmusbeschwerden eingetreten war, hat auch Dr. H. keine abweichende Einschätzung mitteilen können.

Lediglich im Hinblick auf den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bis 31.03.2015 hätte der Kläger nach § 69 Abs. 5 SGB IX Anspruch auf Erteilung eines Schwerbehindertenausweises gehabt. Da der Zeitraum der festgestellten Schwerbehinderung aber ausschließlich in der Vergangenheit liegt besteht vorliegend kein Anspruch auf Erteilung eines Ausweises. Das ergibt sich im Ergebnis auch aus der Pflicht der Versorgungsämter Schwerbehindertenausweise einzuziehen, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft erloschen ist (§ 69 Abs. 5 Satz 4 SGB IX) und der Möglichkeit, die Schwerbehinderteneigenschaft in der Vergangenheit mit dem das Urteil ausführenden Bescheid nachzuweisen.

Damit war das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei das teilweise Obsiegen des Klägers, auch wenn dieses in der Vergangenheit lag, berücksichtigt.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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