L 12 AL 151/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 (14) AL 277/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 151/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 02.04.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wege der Überprüfung gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) höhere Arbeitslosenhilfe ab 05.10.1992.

Er ist 1947 geboren und siedelte 1989 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland über. In Rumänien hatte er eine Ausbildung zum Kameramann absolviert und war auch als Kameramann tätig.

In der Bundesrepublik meldetet sich der Kläger arbeitslos und bezog bis 10.01.1992 - lediglich unterbrochen vom 05.08.1991 bis 30.09.1991 durch eine Beschäftigung als Kameramann bei der Firma U - Arbeitslosengeld, zuletzt nach einem Bemessungsentgelt von 800 DM. Anschließend erhielt er Arbeitslosenhilfe. Grundlage des berücksichtigten Bemessungsentgelts war eine sogenannte fiktive Bemessung im Anschluss an einem Sprachkurs ab Oktober 1990.

Mit Bescheid vom 29.09.1992 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 16.11.1992 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 05.10.1992 zunächst ab mit der Begründung, der Kläger sei nicht bedürftig. Ausgehend von einem Bemessungsentgelt von 800 DM kam die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die anrechenbaren Einkünfte der Ehefrau des Klägers seinen Leistungsanspruch überstiegen. Dagegen hatte der Kläger vor dem Sozialgericht Köln Klage erhoben (Az S 10 Ar 191/92). Im Rahmen dieses Klageverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 23.06.1993 Arbeitslosenhilfe ab 05.10.1992 nach einem Bemessungsentgelt von 920,00 DM unter Anrechung von Einkommen seiner Ehefrau. Grundlage für das höhere Bemessungsentgelt war eine Stellungnahme der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt vom 16.02.1993, die nach einem Gespräch mit dem Kläger ab 01.07.1992 die Berücksichtigung eines fiktiv zu erzielenden Entgelts von 4.000 DM im Monat für angebracht hielt, weil der Kläger habe belegen können, nach 1990 zeitweise als freier Kameramann gearbeitet zu haben.

Vom 15.01. bis 30.04.1994 stand der Kläger nochmals in einem Beschäftigungsverhältnis als Kameramann.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Köln am 09.06.1994 nahm der Kläger durch seinen Bevollmächtigten das aufgrund des Bescheides vom 23.06.1993 erklärte Teilanerkenntnis der Beklagten "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" an.

Vom 01.05.1994 an bezog der Kläger durchgehend wieder Arbeitslosenhilfe. Entsprechende Bewilligungsbescheide wurden jeweils bindend. Erst gegen den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 20.06.1997, mit dem ihm Arbeitslosenhilfe ab 01.07.1997 nach einem Bemessungsentgelt von 980,00 DM bewilligt worden war, legte der Kläger am 18.07.1997 Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.1997 als unbegründet zurück. Die hiergegen gerichtete Klage (Az S 12 Ar 167/97) wies das Sozialgericht Duisburg mit Urteil vom 28.11.1997 als unzulässig ab, da der Kläger ausdrücklich die rückwirkende Einstufung ab 05.10.1992 begehrte. Der Klage - so das Sozialgericht - stehe entgegen, dass der Kläger seinerzeit in dem sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Köln das Teilanerkenntnis der Beklagten an - und im übrigen die Klage zurückgenommen habe.

Die Beklagte wertete allerdings den Widerspruch des Klägers vom 18.07.1997 als Antrag gemäß § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 29.04.1999 lehnte sie eine Erhöhung des Bemessungsentgelts ab. Dagegen legte der Kläger am 10.05.1999 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.1999 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zu Beginn seiner Arbeitslosigkeit wegen fehlender Deutschkenntnisse als Kameramann nicht vermittelbar gewesen. Gemäß § 44 SGB X könne vorliegend eine rückwirkende Erhöhung des Bemessungsentgelts allenfalls für die Zeit ab 01.01.1993 erfolgen. Bei der zum Stichtag 04.10.1993 vorzunehmenden Überprüfung des Bemessungsentgelts nach § 136 Abs. 2 b a. F., 112 Abs. 7 AFG ergebe sich keine Erhöhung des Bemessungsentgelts. Aus dem Umstand, dass der Kläger vom 15.01.1994 bis 30.04.1994 ein Beschäftigungsverhältnis als Kameramann und ein höheres Gehalt als das vorherige Bemessungsentgelt erzielt habe, ergebe sich nichts anderes. Die Entlassung durch die Firma U nach Ablehnung des Einarbeitungszuschusses zeige, dass dem Arbeitgeber selbst ein Arbeitsentgelt von 3500 DM ohne Bezuschussung durch das Arbeitsamt zu hoch gewesen sei.

Dagegen hat der Kläger am 25.10.1999 vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten: Seine Einstufung sei von Anfang an fehlerhaft erfolgt. Aufgrund seiner Tätigkeit in Rumänien als Kameramann sei ein höheres Bemessungsentgelt gerechtfertigt gewesen. Die Beschäftigungsverhältnisse in den Jahren 1991 und 1994 seien wegen des Verhaltens der Beklagten schon nach kurzer Zeit beendet worden. Im ersten Fall habe die Beklagte die Gewährung des Einarbeitungszuschusses abgelehnt. Im zweiten Fall habe der Arbeitgeber durch die Entlassung seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Sozialgericht entgehen wollen. Aufgrund falscher Bewerberdaten im Stelleninformationssystem der Beklagten sei eine Vermittlung in ein adäquates Beschäftigungsverhältnis nicht zustande gekommen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.04.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.1999 und unter Abänderung des Bescheides vom 23.06.1993 zu verpflichten, ihm für die Zeit ab 05.10.1992 Arbeitslosenhilfe nach einem höheren Bemessungsentgelt als 920,00 DM zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 02.04.2003 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung folgendes ausgeführt: "Der Kläger kann über § 44 SGB X eine Korrektur des Bewilligungsbescheides vom 23.06.1993 im Sinne einer Erhöhung des Bemessungsentgelts nicht beanspruchen. Einer Korrektur des Bewilligungsbescheides gemäß § 44 SGB X steht entgegen, dass der Kläger sich seinerzeit in dem sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Köln mit der Beklagten hinsichtlich des ab dem 05.10.1992 zugrundezulegenden Bemessungsentgelts einvernehmlich geeinigt hat. Diese in Form eines angenommen Anerkenntnisses und Klagerücknahme im übrigen als Vergleich zu wertende Vereinbarung schließt eine einseitig den Kläger begünstigende Korrektur über § 44 SGB X aus. Es ist zunächst zu beachten, dass eine Korrektur der Bewilligungsentscheidung aufgrund des am 18.10.1997 gestellten Überprüfungsantrags frühestens ab dem 01.01.1993 möglich ist. Denn gemäß § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften des besonderen Teils des Gesetzbuchs für einen Zeitpunkt bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme, der Antrag. Damit ist der ursprüngliche Bewilligungsbescheid über die Gewährung von Arbeitslosenhilfe vom 21.01.1992 einer Überprüfung entzogen. Aufgrund der materiell-rechtlichen Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts war eine Neubemessung im Überprüfungszeitraum erstmalig ab dem 05.10.1993 gemäß § 136 2b a. F. möglich. Zu diesem Zeitpunkt war das Gerichtsverfahren vor dem SG Köln noch anhängig. Mit Bescheid vom 23.06.1993 hatte die Beklagte im Rahmen dieses Klageverfahrens die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab dem 05.10.1992 nach einem Bemessungsentgelt von 920,00 DM bewilligt. In der mündlichen Verhandlung vom 09.06.1994 hatte der Kläger diese, insofern als Teilanerkenntnis zu wertende Erhöhung des Bemessungsentgelts "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" angenommen. Gemäß § 101 SGG wurde der Rechtsstreit durch das angenommene Anerkenntnis sowie im übrigen durch die einseitige Erledigungserklärung des Klägers, die gemäß §§102 SGG als Klagerücknahme zu werten ist, erledigt. Gemäß § 101 Abs. 2 SGG erledigt das angenommene Anerkenntnis den Rechtsstreit in der Hauptsache soweit dieses reicht. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 23.06.1993 dem Kläger Arbeitslosenhilfe ab dem 05.10.1992 nach einem Bemessungsentgelt von 920,00 DM bewilligt. Damit hatte sie den streitigen Anspruch des Klägers teilweise anerkennt. Dies wird vom Kläger insoweit auch nicht bestritten. Durch die weitere Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 09.06.1994 "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" hat der Kläger seine Klage im übrigen zurückgenommen. Gemäß § 102 SGG kann der Kläger die Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Durch die Erklärung "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er eine Entscheidung des Gerichts über die Hauptsache nicht mehr wünscht. Die Annahme des Anerkenntnisses und die Rücknahme der Klage im übrigen durch den Kläger ist nicht unwirksam gemäß § 142 Abs. 1 BGB, denn dem Kläger steht ein Anfechtungsrecht nach den §§ 119 ff BGB nicht zu. Anhaltspunkte für einen nach den §§ 119 ff BGB beachtlichen Irrtum liegen nicht vor. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass seine Erklärung analog § 779 Abs. 1 BGB unwirksam wäre. Auch wenn man die Annahme eines Teilanerkenntnisses und die Erklärung der Rücknahme im übrigen als Vergleich werten und damit der Regelung des § 779 Abs. 1 BGB unterwerfen will, bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger über die Vergleichsgrundlage sich im Irrtum befunden hätte. Hiergegen spricht zum einen, dass der Kläger die aufgrund der vergleichsweisen Regelung bis zum Juli 1997 ergangenen Bewilligungsentscheidungen der Beklagten unwidersprochen akzeptiert hat. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Aktenvermerk der Beklagten, dessen Inhalt mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 02.04.2003 ausführlich besprochen wurde, dass der Sachverhalt zwischen ihm und einem Mitarbeiter der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung am 17.03.1993 in Köln persönlich besprochen wurde. Hierbei hatte sich der Kläger mit einer neuen Einstufung aufgrund eines fiktiven Entgeltes in Höhe von 4000 DM einverstanden erklärt. Wegen des Inhalts des Vermerks wird auf Blatt 98 der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. All dies zeigt, dass der Kläger seinerzeit eine einvernehmliche Regelung mit der Beklagten zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits schließen wollte. Wenn er dann später durch Stellung eines Antrags gemäß § 44 SGB X versucht, sich einseitig von dem Vergleich zu lösen, so stellt dies ein rechtsmissbräuchliches Handeln im Sinne eines venire contra factum proprium dar. Denn es muss als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn sich eine Vergleichspartei durch Abschluss des Vergleichs Rechtsvorteile sichert und anschließend auf anderem Wege versucht, sich darüber hinausgehende Rechtsvorteile zu verschaffen. Es würde Sinn und Zweck eines Vergleichs, Frieden zu stiften, widersprechen, wenn sich eine Vergleichspartei lediglich die Vorteile des Vergleichs sichern könnte, ihr aber die Möglichkeit bliebe, ihre Rechtsposition auf anderem Wege noch weiter zu verbessern. Dies gilt um so mehr, wenn - wie hier - der anderen Vertragspartei diese Möglichkeit aus Rechtsgründen grundsätzlich verwehrt ist. Unabhängig von der Frage, ob in einem Vergleich zugleich ein Verzicht auf den materiell-rechtlichen Anspruch zu sehen ist und bereits deswegen eine Lösung von dem Vergleich nicht möglich ist, ist mit der herrschenden Meinung (SG Mannheim, Urteil vom 23.02.1989, Breithaupt 1989 Seite 476; Knopp GK SGB-RVO Anmerkung 9 zu § 50 SGB X, Heilemann SGB 1995 Seite 240, 243, Dörr: Die Deutsche Angestelltenversicherung 1988, 452, 454) davon auszugehen, dass ein gerichtlicher Vergleich einer erneuten Überprüfung des dort einvernehmlich geregelten Rechtsverhältnisses entgegensteht. Hierfür spricht, dass der vor einem Gericht abgeschlossene Vergleich die materiell-rechtliche Wirkung eines öffentlichrechtlichen Vertrages hat. Sofern eine Loslösung von dem Vergleich nach allgemeinen Vorschriften (§§ 119 ff, 779 BGB) wie oben ausgeführt, nicht in Betracht kommt, kann die Nichtigkeit oder ein Anspruch auf Kündigung oder Abänderung der vergleichsweise getroffenen Regelung nur über die gesetzlichen Tatbestände der §§ 58, 59 SGB X erreicht werden. Eine Unwirksamkeit des Vergleichs gemäß §§ 58 Abs. 1 SGB X, 142 Abs. 1 BGB ist jedoch nicht gegeben. Denn eine wirksame Anfechtung des Vergleichs durch den Kläger ist - wie oben ausgeführt - nicht möglich. Auch scheidet eine Unwirksamkeit aus diesem Grunde gemäß § 779 Abs. 1 BGB aus, denn die zutreffende Einstufung des Klägers und damit die Höhe des Bemessungsentgelts, sei es, dass es auf der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung oder auf der Bewilligung gemäß § 136 Abs. 2 b a. F. beruhte, wurde von den Beteiligten gerade als streitig oder ungewiss vorausgesetzt. Eine Anpassung des Vergleichs oder eine Nichtigkeit nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlagen, kommt ebenfalls nicht in Frage. Es ist nicht erkennbar, dass die beiden Vertragsparteien bei Abschluss des Vergleichsvertrages eine gemeinsame Vorstellung hatten, die sich später als unzutreffend herausstellte. Genauso wenig war für die Beklagte erkennbar, dass der Kläger hiervon ausging. Sollte der Kläger sich insgeheim vorbehalten haben, später eine Überprüfung des vergleichsweise geregelten Rechtsstreits über § 44 SGB X zu beantragen, so wäre dieser Vorbehalt als geheimer Vorbehalt im Sinne von § 116 BGB unbeachtlich. Aus dem gleichen Grunde scheidet auch eine Anpassung des Vertrages nach § 59 SGB X aus. Schließlich liegt auch keine Nichtigkeit des Vergleichsvertrages nach § 58 Abs. 2 SGB X vor. Da somit eine Lösung von der Bindungswirkung des Vergleichsvertrages nach den oben genannten Vorschriften nicht möglich ist, muss konsequenterweise auch eine Verpflichtung der Beklagten, eine Abänderung der Bescheide nach § 44 SGB X vorzunehmen, verneint werden. Ein derartiger Anspruch des Klägers liefe nämlich auf die unzulässige Ausübung einer formalen Rechtsposition hinaus. Auch wenn einem Antrag nach § 44 SGB X ein vorhergehendes rechtskräftiges Klageabweisendes Urteil nicht entgegensteht, macht es einen Unterschied, wenn die Aufgabe der Rechtsposition aufgrund eines rechtsgeschäftlichen (Vergleichs -) Vertrages erfolgt ist. Denn in diesem Fall begründet der Vertragsabschluss, dass Vertrauen des Vertragspartners auf den Bestand der einvernehmlich getroffenen Regelung (pacta sunt servandum). Derjenige, der einen Rechtsstreit einvernehmlich durch Abschluss eines Vergleichs oder wie hier durch Annahme eines Anerkenntnisses und Rücknahme der Klage im übrigen beendet, handelt rechtmissbräuchlich, wenn er anschließend seine formalen Rechte aus § 44 SGB X geltend macht. Der Grundsatz von Treu und Glauben als Gebot der Redlichkeit und allgemeine Schranke der Rechtsausübung beschränkt nicht nur subjektive Rechte, sondern auch die Berufung auf Rechtsinstitute und Rechtsnormen. Ein derartiger institutioneller Rechtsmissbrauch wäre vorliegend gegeben, wenn der Kläger sich über die Vorschrift des § 44 SGB X von seiner Bindung an die mit der Beklagten getroffenen einvernehmlichen Regelung lösen könnte. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X, unter denen eine Zugunstenregelung erfolgen kann, bilden nur eine relativ niedrige Schranke, da der Antragsteller unter Berufung auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung zumindest immer eine Überprüfung in rechtlicher Hinsicht durch die Gerichte erreichen kann. Letztlich würde auch - wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt - der Zweck eines gerichtlichen Vergleichs, rechtsbefriedende Wirkung zu entfalten, ad absurdum geführt. Mit der Zulassung von Vergleichsverträgen eröffnet der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur vereinfachten und beschleunigten Herstellung von Rechtssicherheit zwischen den Parteien (vgl. Bundestagsdrucksache 7/910, S. 80). Dieser Regelungszweck der §§ 101 Abs. 1 SGG, 54 Abs. 1 SGB X würde vereitelt, wenn die Verwaltung zur Überprüfung und gegebenenfalls zur Rücknahme eines auf einem Vergleichsvertrag beruhenden Verwaltungsaktes verpflichtet wäre. Insbesondere würde seitens des regelmäßig beklagten Sozialleistungsträgers die Bereitschaft, von der eigenen Rechtsposition zum Zwecke einer einvernehmlichen, schnelleren Beilegung des Rechtsstreits abzurücken, in dem Maße schwinden, wie der anderen Vertragspartei die Möglichkeit eröffnet wird, die einmal gefundene einvernehmliche Regelung über den Weg eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X in seinem Sinne zu verändern."

Das Urteil ist dem Kläger am 28.05.2003 zugestellt worden. Am 27.06.2003 hat er dagegen Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Teilanerkenntnisses der Beklagten zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits ein Vergleich ist, denn auch dieser sei rechtsunwirksam. Das Sozialgericht Duisburg habe bei seiner Würdigung zwei Tatsachenkomplexe verkannt. Zum einen sei das die Drucksituation, in der er sich damals befunden habe, als er die Erklärung seines damaligen Prozessbevollmächtigten in der Verhandlung, in der er selber nicht anwesend gewesen sei, bestehen gelassen habe. Zum anderen seien es die neuen Tatsachenerkenntnisse, die sich für ihn erst 1997 gezeigt hätten, als er die Angelegenheit neu geklärt haben wissen wollen. Wie er erst später erfahren habe, habe bereits damals der Tariflohn für einen Kameramann seiner Qualität vom 01.09.89 bis 30.03.91 DM 3.200,00 wöchentlich betragen und nach dem 01.04.91 bis 31.12.92 DM 3.264,00.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 02.04.2003 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Ergänzend führt sie aus, dass der Kläger weiterhin den Marktwert seiner beruflichen Qualifikation in der Bundesrepublik Deutschland verkenne. Dieser Qualifikation sei mit der Einstufung Rechnung getragen worden, die auf dem Teilanerkenntnis vom 23.06.1993 beruhe und welches der Kläger auch unter dem 09.06.1994 angenommen habe. Käme es darauf an, ob die Erklärung zur Beendigung des Rechtsstreites aus 1994 wirksam wäre oder nicht, müsse der Kläger eben diese Erklärung anfechten. Mit der seinerzeitigen Klagerücknahme und der damit verbundenen Annahme des Anerkenntnisses zur Erledigung der Hauptsache sei der Kläger jedenfalls des Rechtsmittels gegen den damaligen Klagegegenstand verlustig gegangen. Er könne eine erneute Prüfung des Streitgegenstandes ohne neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nur über den Widerruf erlangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogen Gerichtsakten des SG Köln (Az S 10 Ar 191/92) und SG Duisburg (Az S 12 Ar 167/97) sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Es besteht kein Anspruch des Klägers auf Änderung bindender Arbeitslosenhilfebewilligungsbescheide, welche die Zeit ab 05.10.1992 betreffen, und damit auch kein Anspruch auf höhere Arbeitslosenhilfe. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage den Gründen des Urteils vom 02.04.2004 an. Von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe sieht der Senat gem § 153 Abs 2 SGG insoweit ab.

Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass hier zwar kein gerichtlicher Vergleich Grundlage für die Höhe des ab 05.10.1992 berücksichtigten Bemessungsentgelts war, denn die formalen Anforderungen des § 101 Abs 1 SGG sind nicht erfüllt. Ein materiellrechtlicher Vergleich kann allerdings - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - in gleicher Weise Rechtgrundlage für Verwaltungsentscheidungen sein. Weil dieser Vergleich nicht unwirksam ist, kommt eine Änderung der darauf beruhenden Bescheide nicht in Betracht.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren überzeugt nicht und geht zum Teil an der Sache vorbei. Insbesondere wird nicht deutlich warum am 09.06.1994 (Termin vor dem SG Köln) noch eine Drucksituation bestanden haben soll, obwohl das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Studio Dortmund GmbH bereits zum 30.04.1994 beendet war und zwar durch eine Kündigung vom 28.03.1994. Die Ladung des Arbeitgebers als Zeugen erfolgte erst am 03.05.1994.

Im Übrigen ist der Senat mit der Beklagten der Auffassung, dass der Kläger insbesondere aufgrund seiner Beschäftigungslosigkeit vom 1989 bis 1992 und der fehlenden verwertbaren Berufserfahrung in Deutschland im Jahre 1992 keinen höheren Verdienst hätte erzielen können. Dies wird durch die auch nach 1992 noch lange Zeit fortbestehende Arbeitslosigkeit des Klägers deutlich unterstrichen. Die Bescheide der Beklagten sind daher auch aus diesem Grunde rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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