L 18 U 122/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 152/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 122/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.03.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) festzustellen und zu entschädigen ist.

Der 1948 geborene Kläger beantragte am 16.02.1999 die Feststellung einer BK wegen einer chronischen Bronchitis. Er machte geltend, sich diese Erkrankung während seiner Tätigkeit vom 11.10.1976 bis 30.09.1994 als Schweißer bei der Firma A. Turbinen GmbH zugezogen zu haben. Nach Beiziehung einer Krankheitenauskunft der Allgemeinen Ortskrankenkasse Mittelfranken vom 26.03.1999, von Arztbriefen des Internisten Dr.W. und der Dres K./D. einschließlich Behandlungsunterlagen des Internisten Dr.V. sowie des Internisten Dr.H. veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme ihres Techn. Aufsichtsdienstes (TAD) vom 12.07.1999. Dieser stellte fest, dass der Kläger als Schweißer auch im Behälter- und Grundplattenbau tätig gewesen ist. Hierbei seien keine hochlegierten Stähle bearbeitet worden. Allerdings hätten viele Schweißarbeiten im Behälter bzw. in lüftungstechnisch ungünstigen Situationen ausgeführt werden müssen. Aufgrund der verölten Bleche sei es zu einer erhöhten Rauchbildung gekommen. Um welche Öle es sich dabei gehandelt habe und welche Zersetzungsprodukte beim Schweißen entstanden seien, sei nicht mehr nachvollziehbar. Schweißrauchmessungen lägen nicht vor. Die Beklagte ließ von Prof. Dr.L. (Universitätsklinik E.n) ein arbeitsmedizinisch-internistisches Gutachten vom 05.01.2000 über den Kläger erstellen. Prof. Dr.L. bejahte die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK gemäß Nr 4302 der Anlage zur BKV und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 20 vH ein. Er ging - wie der behandelnde Arzt Dr.V. am 26.11.1997 - im Untersuchungszeitpunkt von einer leichtgradigen obstruktiven Ventilationsstörung aus. Dem intensiven Zigarettenkonsum des Klägers (bis zu 50 Zigaretten täglich) maß er keine wesentliche Bedeutung bei.

Im Rahmen eines stationären berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens vom 26.04.2000 bis 24.05.2000 in der Klinik für Berufskrankheiten Bad R. erstellte der Leiter der Klinik, Dr.R. , ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 02.07.2000 über den Kläger. Dr.R. verneinte die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine BK Nr 4301 bzw. 4302, weil beim Kläger auch bei mehrfachen Messungen eine Lungenfunktionsbeeinträchtigung nicht habe dokumentiert werden können. Auch eine bronchiale Hyperreagibilität habe sich nicht feststellen lassen. Eine wechselnde Überblähung mit peripherer Obstruktion führte Dr.R. auf die fortgesetzte Rauchgewohnheit des Klägers zurück.

Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK nach Nr 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV mit Bescheid vom 09.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2001 unter Berufung auf das Gutachten des Dr.R. ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Anerkennung einer BK Nr 4302 und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 20 vH begehrt. Der vom SG mit Gutachten vom 23.10.2001 gehörte Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr.S. hat dargestellt, dass die Lungenfunktionsdaten von 1994 bis 2001 durchgängig Normalbefunde zeigten und nicht auf eine Bronchialobstruktion hinwiesen. Auch eine bronchiale Hyperreagibilität hat Dr.S. nicht feststellen können. Die beim Kläger bestehende chronische nicht ob- struktive Bronchitis hat der Sachverständige auf den erheblichen Nikotinkonsum seit dem 14. Lebensjahr zurückgeführt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.03.2002 abgewiesen und sich auf die von Dr.R. und Dr.S. erhobenen Befunde gestützt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung auf das Gutachten des Prof. Dr.L. Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 21.03.2002 und den Bescheid vom 09.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV anzuerkennen und Rente nach einer MdE von mindestens 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 21.03.2002 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Ergänzned zum Sachverhalt wird auf die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2, 155 Sätze 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht iS des § 54 Abs 2 SGG. Dieser hat keinen Anspruch auf Verletztenrente, weil die beim ihm bestehende Erkrankung keine entschädigungspflichtige BK darstellt.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den Vorschriften des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Zwar soll der Versicherungsfall nach dem Vortrag des Klägers vor dem Tag des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzes eingetreten sein, der Kläger macht aber Leistungen für die Zeit nach dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 01.01.1997 geltend (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes -UVEG-, §§ 212, 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII).

BKen sind gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, welche die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die entschädigungspflichtigen BKen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte Berufsgruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, werden in der Liste der Anlage zur BKV bezeichnet.

Eine vom Verordnungsgeber in der Anlage (Liste der BKen) zur BKV aufgenommene BK liegt - wie die Beklagte zu Recht entschieden hat - beim Kläger nicht vor. Die Feststellung einer BK setzt grundsätzlich voraus, dass zum einen in der Person des Versicherten die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind, d.h., dass er im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen iS der BK ausgesetzt gewesen ist, die prinzipiell geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen (haftungsausfüllende Kausalität). Während die arbeitstechnischen Voraussetzungen und der Gesundheitsschaden voll bewiesen sein müssen, reicht zur Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr 38; § 551 Nr 1; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheite-Verordnung [Kommentar] E § 9 SGB VII Rdnr 26). Diese ist dann gegeben, wenn nach geltender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (BSGE 32, 303, 309; BSG SozR 2200 § 548 Nr 38; BSG Breithaupt 1963, 60, 61).

Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend kann nicht festgestellt werden, dass beim Kläger eine BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV vorliegt. Die BK 4302 erfasst durch chemisch- irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Inwieweit die arbeitstechnischen Voraussetzungen für diese BKen erfüllt sind, kann vorliegend letztlich dahinstehen. Die vorgenannte BK erfordert nämlich zunächst einmal das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Damit sind verschiedene akute und chronische Krankheitsbilder gemeint, die charakterisiert sind durch vorübergehende, sich wiederholende, meist reversible Zustände und Anfälle von Atemnot, die duch eine Erhöhung der Atemwegswiderstände verursacht werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S 1115 ff). Fehlt es an einer Obstruktion, liegen die Voraussetzungen für eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht vor (aaO S 1116; Mehrtens/Perlebach, aaO M 4301 Rdnr 3 und M 4302 Rdnr 2).

So ist es hier. Im Falle des Klägers fehlt es bereits an einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Der von der Beklagten gehörte Dr.R. und der vom SG gehörte Sachverständige Dr.S. konnten weder bei der Durchsicht des gesamten Aktenmaterials noch bei der Untersuchung des Klägers eine obstruktive Lungenerkrankung des Klägers feststellen. Die Lungenfunktionsdaten von 1994 bis 2001 ergaben zu keinem Zeitpunkt eine manifeste obstruktive Lungenerkrankung. Beim Kläger konnte noch nicht einmal eine Überempfindlichkeit der Atemwege iS einer bronchialen Hyperreagibilität festgestellt werden. Auch eine solche Erkrankung würde die Annahme einer BK nicht begründen, weil sie keine obstruktive Atemwegserkrankung darstellt, sondern allenfalls ein Vorläufer oder Begleiter ist (Schönberger/ Mehrtens/Valentin aaO. 6 Auflage, S 1031, LSG München Urteil vom 26.03.2003 Az: L 17 U 93/01, L 17 U 125/02, iuris BYRE 030620092 und Urteil des erkennenden Senats vom 05.03.2002, Az: L 18 U 292/00 iuris BYRE 030214449, des Weiteren Urteile des LSG Berlin vom 12.12.1996, Az: L 3 U 70/91 HVBG-Info 1997, 2688, LSG Rheinland-Pfalz vom 12.12.2000, Az: L 3 U 262/99 iuris KSR029541122, LSG für das Land Niedersachsen vom 17.09.1998, Az: L 6 U 389/97, iuris KSR022121322).

Dem Gutachten des Prof. Dr.L. vermag der Senat nicht zu folgen. Dieses Gutachten ist nicht schlüssig. Prof. Dr.L. geht davon aus, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung erst drei Jahre nach der Beendigung der Exposition aufgetreten ist. Allein der fehlende zeitliche Zusammenhang der Erstmanifestation mit der gesundheitsgefährdenden Einwirkung spricht gegen das Vorliegen einer BK. Bei einer chronischen Exposition hätte ein schleichend beginnendes Krankheitsbild mit Irreversibilität nach Expositionsende vorliegen müssen (so Bekanntmachung des BMA vom 10.07.1979 in BArbBl 7/8/1979, abgedr. bei Mehrtens/ Perlebach aaO M 4302). Bei fehlendem Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung zur Zeit der beruflichen Exposition von 1976 bis 1994 und der Begutachtung bei Dr.R. im Jahr 2000 bzw. Dr.S. im Jahr 2001 kann eine Anerkennung einer BK Nr 4302 nicht erfolgen. Der von dem Sachverständigen Dr.S. beigezogene Lungenfunktionsbefund des Dr.H. einschließlich der dazu gehörigen Flussvolumenkurve vom 06.04.1994 lässt nach den Feststellungen des Dr.S. nur den eindeutigen Schluss zu, dass im April 1994 keine obstruktive Ventilationsstörung vorgelegen hat.

Nach alledem kann die Bronchitis des Klägers nicht als BK anerkannt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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