L 20 KR 597/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 420/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 597/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 13 Abs. 3 Satz 7 SGB V sieht einen Kostenerstattungsanspruch vor, der die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V voraussetzt.
2. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V begründet keinen Sachleistungsanspruch.
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2015 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 19.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2015 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin von der Beklagten aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - eine Schlauchmagen-Operation beanspruchen kann.

Die 1978 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert.

Mit Schreiben vom 08.12.2014, eingegangen bei der Beklagten am 17.12.2014, beantragte die Klägerin "die Übernahme von Behandlungskosten". Sie leide seit ihrer Kindheit unter Übergewicht, habe die verschiedensten Diäten ausprobiert. Diese hätten jedoch nicht den erwünschten Erfolg gezeigt, trotz regelmäßigem Sport (Schwimmen, Tanzen (Standard/Latein), Nordic Walking, lange Spaziergänge, Aqua-Fitness und Zumba) habe sie ihre Ziele nicht erreicht. Sie habe zwischenzeitlich starke körperliche Beschwerden an der Wirbelsäule, Knie und Hüfte. Ihr Fettstoffwechsel sei ein Desaster. Durch Umstellung der Psychopharmaka im vergangenen Jahr habe sie innerhalb eines Jahres 30 Kilo zugenommen. Sie habe einen BMI von 42,5, was als morbiditäre und krankhafte Adipositas bezeichnet werde. Sie habe sich bereits im Adipositas Zentrum in A-Stadt bei Dr. S. vorgestellt und würde sich dort auch gerne behandeln lassen. Sie bitte, ihr eine Chance zu geben, ihr Gewicht mittels einer Operation zu verringern. Vorgelegt wurde hierzu eine Bescheinigung ohne Datum von der "metabolic balance GmbH", dass die Klägerin an einem entsprechenden Ernährungsprogramm teilnehme, eine ärztliche Bescheinigung der Neurologin und Psychiaterin Dr. A. vom 12.12.2014, wonach die Klägerin sich im Adipositas-Zentrum A-Stadt vorgestellt und die Empfehlung zur Durchführung eines bariatrischen Eingriffs erhalten habe, den auch sie empfehle, insbesondere im Hinblick auf die damit verbundenen positiven Auswirkungen hinsichtlich Selbstwertproblematik und vermehrter körperlicher Aktivität. Des Weiteren wurde vorgelegt eine Rechnung der Krankenhäuser N. GmbH über eine konsiliarische Betreuung der Klägerin im Mai 2014, ein Schreiben des Adipositas-Zentrums A-Stadt an die Klägerin vom 01.12.2014, eine "Stellungnahme" der Dipl.-Psych. R. vom 01.12.2014 über eine psychotherapeutische Behandlung der Klägerin bei den bestehenden Diagnosen "emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3) und Adipositas (E66) sowie ein "Attest" des behandelnden Hausarztes Dr. M. zur Vorlage an das Adipositas-Zentrum vom 11.12.2014, wonach sich die Klägerin nach diversen Reha-Aufenthalten und diversen Abnehmprogrammen einer bariatrischen Intervention dort unterziehen wolle und der Hausarzt die Vorstellung der Klägerin im Adipositas-Zentrum befürworte.

Nach telefonischer Aufforderung durch die Beklagte übersandte die Klägerin zunächst per Mail am 11.01.2015, und nachdem diese Daten von der Beklagten nicht geöffnet werden konnten, auf telefonische Aufforderung der Beklagten erneut am 15.01.2015 ihr Ernährungstagebuch und eine Ultraschallabklärung der Nebenniere und der Schilddrüse zum Ausschluss einer hormonellen Störung. Nach Vorliegen dieser Unterlagen beauftragte die Beklagte am 16.01.2015 den Medizinischen Dienst der Krankenkassen - MDK - mit der Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme. Mit Schreiben vom 16.01.2015 wurde zudem die Klägerin darauf hingewiesen, dass für die abschließende Bearbeitung eine Beratung durch den MDK erforderlich sei. Es werde um Verständnis gebeten, dass dies einige Zeit in Anspruch nehmen werde.

Am 13.02.2015 nahm der MDK dahingehend Stellung, dass eine Kostenübernahme für eine Schlauchmagen-OP nicht befürwortet werde. Voraussetzung für eine adipositaschirurgische Maßnahme sei eine seit mehr als fünf Jahren bestehende Adipositas mit einem BMI von 40 kg/m² bzw. einem BMI von 35 kg/m² bei adipositasassoziierter Komorbidität, sowie erfolglose konservative Therapie mit einer mindestens 6-, besser 12-monatigen ärztlich kontrollierten, zusammenhängend durchgeführten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Die Adipositas Grad III liege bei der Klägerin erst seit ein bis zwei Jahren vor und sei sekundär durch ein Medikament mitverursacht worden. Anhand der vorliegenden Unterlagen lasse sich auch keine ausreichende konservative Therapie innerhalb der letzten zwei Jahre ableiten. Eine OP-Indikation könne in dieser Konstellation nicht festgestellt werden. Es lägen bei der Klägerin Hinweise auf Kontraindikationen vor: Instabile psychopathologische Zustände, insbesondere solche mit rasch wechselnden Ideen, Impulsen und Stimmungen stellten eine Kontraindikation gegen eine bariatrische OP dar. Bei der Klägerin sei eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorbekannt. Diese gehe typischerweise mit rasch wechselnden Impulsen und Stimmungen einher. Derzeit sei die Klägerin aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung krankgeschrieben. Die Beschwerden seien so schwerwiegend, dass die Klägerin einen Rentenantrag gestellt habe. Aktuell könne somit nicht von einer ausreichenden Stabilität für einen tiefgreifenden elektiven Eingriff ausgegangen werden.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19.02.2015 die Gewährung einer bariatrischen Operation in Form eines Schlauchmagens ab.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 11.03.2015 Widerspruch ein, ohne diesen zunächst zu begründen. Am 22.04.2015 beauftragte die Beklagte den MDK mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage, was aber wegen fehlender ärztlicher Unterlagen wieder zurückgereicht wurde. Am 23.04.2015 ging bei der Beklagten ein als "Widerspruch" bezeichnetes Schreiben des Adipositas-Zentrums A-Stadt vom 20.04.2015 ein, mit dem der Widerspruch der Klägerin begründet werden sollte. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 07.07.2015 wies der MDK nochmals darauf hin, dass eine ausreichende und kontinuierliche ärztlich begleitete multimodale Therapie über einen zusammenhängenden Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten aus den Akten nicht nachvollziehbar sei. Die bislang geltend gemachten Komorbiditäten (Hypercholesterinämie und Bandscheibenprobleme) seien aus sozialmedizinischer Sicht nicht ausreichend begründend für einen ultima ratio bariatrischen Eingriff mit Notwendigkeit von lebenslanger Therapieadhärenz in der Folge. Auch im Hinblick auf die psychische Erkrankung sei nicht von einer ausreichenden Stabilität der Klägerin für einen derartigen Eingriff auszugehen. Es werde vielmehr die Durchführung einer leitliniengerechten ärztlich begleitenden ambulanten Adipositastherapie empfohlen. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 19.02.2015 mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2015 als unbegründet zurück.

Bereits am 07.08.2015 hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, mit dem Ziel feststellen zu lassen, dass der Antrag des Klägers (richtig: der Klägerin) auf Gewährung einer bariatrischen Operation als Sachleistung vom 08.12.2014 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte. Der Antrag der Klägerin sei am 17.12.2014 bei der Beklagten eingegangen. Beschieden sei der Antrag aber erst am 19.02.2015 worden, so dass die Beklagte die Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1, 2. Alt. SGB V nicht eingehalten habe. Eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung der Beklagten an die Klägerin, man könne die Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht einhalten, wie es Satz 5 zwingend vorschreibe, sei gerade nicht erfolgt. Als Folge hiervon sei die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten. Mit Eintritt der Genehmigungsfiktion sei das Antragsverfahren in der Hauptsache erledigt, es verbleibe dann nur noch das Feststellungsinteresse. Die Genehmigungsfiktion ersetze den positiven Bewilligungsbescheid. Sie habe dieselbe Qualität und sei keine Genehmigung zweiter Klasse. Eine Prüfung der medizinischen Notwendigkeit finde dann - wie nach dem Erlass eines positiven Bewilligungsbescheides - nicht mehr statt. Diese Norm gelte nicht nur im Bereich der Erstattungsansprüche, sondern finde auch Anwendung im Bereich der Sachleistungsansprüche (unter Bezugnahme auf Entscheidungen von Sozialgerichten, einem Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2014 sowie auf die Kommentierung von Hauck/Noftz zu § 13 Abs. 3a SGB V). Die Beklagte sei nach Eintritt der Genehmigungsfiktion mit allen Einwendungen ausgeschlossen. Dies entspreche dem Sanktionscharakter des § 13 Abs. 3a SGB V.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 19.02.2015 als unbegründet zurück.

Mit Schriftsatz vom 17.09.2015 hat die Beklagte im sozialgerichtlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass nach dem eingeholten MDK-Gutachten ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Durchführung der bariatrischen OP (Schlauchmagen-Operation) nicht bestehe. Der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V sei nicht eröffnet, da keine Selbstbeschaffung durch die Klägerin vorliege.

Mit Schriftsatz vom 26.09.2015 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinen Klageantrag dahingehend umgestellt, dass die Beklagte verurteilt werde, der Klägerin aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eine bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren, dies unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.06.2016.

Das SG hat sodann nach Anhörung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 05.11.2015 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2015 (der Widerspruchsbescheid datiert vom 16.09.2015) verurteilt, der Klägerin eine bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin auf der Grundlage des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V in der seit dem 26.02.2013 geltenden Fassung vom 20.02.2013 einen Anspruch auf Kostenübernahme für die beantragte bariatrische Operation habe. Die beantragte Leistung gelte von Gesetzes wegen als genehmigt. Die Beklagte habe die in § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V genannte Frist von drei Wochen ebenso wenig eingehalten wie die Fünf-Wochen-Frist. Das Schreiben vom 16.01.2015 erfülle die notwendigen Anforderungen an eine sachliche Begründung der zeitlichen Verzögerung nach Ansicht der Kammer nicht. Auch der MDK habe die für ihn vorgeschriebene Drei-Wochen-Frist nicht eingehalten. Eine Fristverlängerung ergebe sich auch nicht aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte von der Klägerin Unterlagen angefordert habe. Eine dem § 32 Abs. 1a Satz 4 SGB V entsprechende Regelung sei in § 13 Abs. 3a SGB V gerade nicht vorgesehen. Mit Ablauf des 22.01.2015 gelte gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V die beantragte Leistung als genehmigt. Diese Vorschrift sei auf die beantragte bariatrische Operation auch anwendbar, da diese die beantragte Leistung gewesen sei. Die Rechtsfolge des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V sei auch nicht auf eine Kostenerstattung beschränkt. Angesichts des klaren Wortlauts bestehe kein Auslegungsbedarf. Wäre der Geltungsbereich dieser Regelung allein auf einen Erstattungsanspruch beschränkt, wäre § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V praktisch ohne Regelungsgehalt. Denn die Möglichkeit, sich die erforderliche Leistung selbst zu beschaffen und von der Kasse Erstattung zu verlangen, gebe bereits § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V. Für die Kammer stelle sich der Regelungsgehalt des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V daher so dar, dass durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion der Genehmigungsbescheid der Beklagten ersetzt werde. Der Versicherte könne den Eintritt der Genehmigungsfiktion dann zum Anlass nehmen, entweder von der Beklagten die Leistung zu verlangen oder sich gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V die Leistung selbst zu beschaffen. Würde sich nämlich ansonsten der Versicherte die Leistung selbst beschaffen, ohne dass eine explizite Entscheidung der Kasse vorliege, dann stünde entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - zu § 13 Abs. 3 SGB V das Fehlen einer ablehnenden Entscheidung dem Kostenanspruch entgegen. Folglich sei es auch notwendig gewesen, für diesen Fall (Genehmigung ohne Bescheid) eine gesonderte Regelung zu treffen. Würde man die Regelung jedoch auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränken, so würde sie weitgehend ins Leere laufen. Je höher der Wert der im Raum stehenden beantragten Leistung und je höher somit auch die Schutzbedürftigkeit des Versicherten sei, umso kleiner werde der Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion, da Voraussetzung für die Anwendung wäre, dass der Versicherte in der Lage sein müsste, die entsprechenden Kosten vorzuschießen.

Zur Begründung der hiergegen am 22.12.2015 eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung der bariatrischen Operation als Sachleistung habe. Die Voraussetzungen hierfür im Sinne einer Ultima Ratio-Behandlung lägen nicht vor. Insoweit werde auf die Gutachten des MDK vom 13.02.2015 und 07.07.2015 verwiesen. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht auf der Grundlage des § 13 Abs. 3a SGB V, auch hier könne ein Anspruch nur in dem Rahmen bestehen, wie normalerweise ein Sachleistungsanspruch bestehen würde. Unnötige oder unwirtschaftliche Leistungen gehörten grundsätzlich nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, auch nicht im Rahmen des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Zum anderen sei zwischen dem Sachleistungsanspruch und einer Selbstbeschaffung durch den Versicherten zu unterscheiden. § 13 Abs. 3a SGB V sei nur anwendbar, wenn es um eine Kostenerstattung gehe, nicht um eine Kostenübernahme oder um die originäre Sachleistungspflicht. Zum anderen sei aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ersichtlich, dass nur erforderliche Leistungen über diesen Beschaffungsweg erstattet werden könnten, so dass der Anspruch auf Kostenerstattung, wie es sich aus Satz 7 ergebe, unter dem Vorbehalt eines dem Grunde nach bestehenden Sachleistungsanspruchs stehe. Die Ermächtigung zur Selbstbeschaffung nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V setze eine Leistungsberechtigung in Form eines individuellen Anspruchs auf die konkrete Leistung voraus. Dies decke sich mit dem allgemeinen Grundsatz, wonach der Kostenerstattungsanspruch grundsätzlich nicht weiter gehen könne, als die Naturalleistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber gewünscht habe, dass im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V vom Übermaßverbot des § 12 SGB V abgewichen werden solle. Der Sanktionscharakter des § 13 Abs. 3a SGB V liege nach Ansicht der Beklagten darin, dass der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Fiktion wohl zum Ausdruck habe bringen wollen, dass der Krankenkasse nach Fristablauf formelle Einwendungen, z. B. hinsichtlich einer Fristverlängerung oder einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme nicht mehr gestattet seien, so dass der fingierte Verwaltungsakt im Hinblick auf § 13 Abs. 3a Satz 1 bis 5 SGB V verfahrensrechtlich nicht mehr angegriffen werden dürfe. Dies führe zur beabsichtigten Disziplinierung der Krankenkassen, die in den Sätzen 1 und 4 normierten Verfahrensfristen einzuhalten, wodurch der versicherte Patient das Recht erhalte, zügig Gewissheit darüber zu bekommen, ob ein Anspruch auf die beantragte Leistung gegen die Krankenkasse bestehe. Selbst dann, wenn ein Verwaltungsakt in Form einer Genehmigungsfiktion vorläge, bleibe zu berücksichtigen, dass dieser vor dem Ablehnungsbescheid vom 19.02.2015 entstanden wäre. Insoweit würde sich dieser Bescheid dann als Aufhebungsbescheid nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - darstellen. Die vorherige Genehmigungsfiktion - vorausgesetzt sie sei überhaupt entstanden - würde hierdurch wieder aufgehoben.

Die Beklagte hat zugleich Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG gestellt, die mit Beschluss des Senats vom 03.03.2016 angeordnet wurde (Az. L 20 KR 66/16 ER).

Mit weiterem Schriftsatz vom 30.03.2016 hat die Beklagte auf ein Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 10.12.2015 (Az. L 1 KR 413/14) hingewiesen. Danach greife die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V unter anderem nur dann ein, wenn sich der Versicherte die begehrte Leistung selbst beschafft habe und Kostenerstattung geltend mache. Die Klägerin beantrage aber weiterhin eine Sachleistung.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2015 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 19.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2015 abzuweisen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2015 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Beklagtenakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht mit Urteil vom 05.01.2015 aufgrund der in § 13 Abs. 3a S 6 SGB V enthaltenen Genehmigungsfiktion zur Erbringung einer bariatrischen Operation in Form einer Sachleistung verurteilt. Auch auf andere Rechtsgrundlagen kann ein solcher Anspruch der Klägerin nicht gestützt werden.

Gemäß § 13 Abs. 3a S 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang, oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (S 2). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachterlich Stellung (S 3) ...Kann die Krankenkasse die Frist nach S 1 ... nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungserbringern unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (S 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (S 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (S 7).

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 08.12.2014, das erst am 17.12.2014 bei der Beklagten eingegangen ist, einen Antrag gestellt, der auf "Übernahme der Behandlungskosten" für eine Gewichtsreduktion lautete. Aus den letzten beiden Absätzen ihres Schreibens ging hervor, dass sie bereits Kontakt zum Adipositas-Zentrum in A-Stadt (Dr. S.) aufgenommen hatte, sich dort auch gerne behandeln lassen wolle und dass sie hoffe, dass sie von der Beklagten die Chance erhalten werde, ihr Gewicht mittels einer Operation zu verringern, da sie "doch die Hochzeiten ihrer Töchter erleben" wolle. Sofern für den Beginn der in § 13 Abs. 3a S 1 SGB V genannten Fristen lediglich auf den Umstand des Eingangs eines Antragsschreibens bei der Beklagten abgestellt werden müsste, ist davon auszugehen, dass die Genehmigungsfiktion im Sinne des § 13 Abs. 3a S 6 SGB V mit Ablauf des 21.01.2015 unter Beachtung der 5 Wochen-Frist wegen Einschaltung des MDK nach § 13 Abs. 3 S 1 2. Alt. SGB V eingetreten wäre.

Fraglich ist, ob der Umstand, dass die Klägerin der Beklagten erst mit Mail vom 11.01.2015 mitgeteilt hatte, dass sie sich nach langer Überlegung zusammen mit Dr. S. (vom Adipositas-Zentrum A-Stadt) zu einem Schlauchmagen entschieden habe sowie der Umstand, dass die notwendigen Behandlungsdaten erst am 15.01.2015 in lesbarer Form der Beklagten zur Verfügung standen, die Annahme rechtfertigen könnten, dass ein wirksamer Antrag, der ja die Rechtswirkung der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S 6 SGB V determiniert (so auch BSG, Urteil vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, Rdnr 23, veröffentlicht bei juris: Erfordernis eines fiktionsfähigen Antrages), erst dann angenommen werden kann, wenn der Beklagten alle hierfür erforderlichen Fakten und insbesondere ein Antrag auf eine bestimmte (unverwechselbare) Leistung vorliegt, was hier erst am 15.01.2015 der Fall gewesen wäre. Bei Abstellen auf das Datum 15.01.2015 wäre die 5-Wochen-Frist erst am 19.02.2015 abgelaufen. An diesem Tag wurde aber der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten erlassen, mit dem die Leistung abgelehnt wurde. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S 6 SGB V wäre dann nicht eingetreten.

Das SG hat in seinen Entscheidungsgründen zutreffend darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V keine Regelung enthält, die in § 32 Abs. 1a SGB V für das Genehmigungsverfahren für Heilmittel vorgesehen ist. Dort hat der Gesetzgeber angeordnet, dass der Ablauf der Frist nach § 32 Abs. 1a S 3 SGB V für den Eintritt einer Genehmigungsfiktion solange gehemmt ist, bis die benötigten Informationen von dem Versicherten bei der Krankenkasse eingehen. Dies ist zutreffend, eine Begründung gibt es in den Gesetzesmaterialien hierzu nicht.

Gleichwohl ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass der Eintritt der Genehmigungsfiktion auch davon abhängt, wann ein konkreter Antrag vorliegt, der das Ausmaß der Genehmigungsfiktion nach Satz 6 festlegen kann. Die Neuregelung des § 13 Abs. 3a SGB V war ursprünglich dergestalt, dass der Versicherte nach Ablauf der Fristen nach S 1 der Krankenkasse eine Frist setzen musste, nach deren Ablauf er sich die beantragte Leistung selbst verschaffen würde (vgl. BT-Drucks Nr. 17/10488 S 7). Diese Regelung wurde erst in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit am 28.11.2012 geändert und die in S 6 nunmehr vorgesehene Genehmigungsfiktion eingeführt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Neuregelung des § 13 Abs. 3a SGB V die Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens bei den Krankenkassen durch die Bestimmung konkreter Fristen für die Leistungsentscheidungen bezwecke. Dies konkretisiere die allgemeine Pflicht der Leistungsträger nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -, darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhalte. Im Fall nicht fristgerechter Leistungserbringung könne sich der Versicherte aufgrund der vorliegenden Regelung die erforderliche Leistung selbst beschaffen und Kostenerstattung von der Krankenkasse verlangen (BT-Drucks Nr. 17/11710 S 29, 30). Zur Änderung von Satz 6 ist ausgeführt, dass die Leistung nun als genehmigt gelte, wenn die Krankenkasse dem Versicherten keinen hinreichenden Grund für die Nichteinhaltung der genannten Fristen nenne. Eine zusätzliche eigene Fristsetzung durch den Versicherten werde nicht mehr als Voraussetzung für eine Selbstbeschaffung der Leistung mit der Folge einer Kostenerstattungspflicht der Krankenkasse vorgesehen (BT-Drucks., a.a.O., S 30). Bei der Neuregelung des Satzes 7 wurde nicht mehr auf die "entstandene Höhe" der Kosten, sondern auf die "hierdurch (durch die Selbstbeschaffung) entstandenen Kosten abgestellt, um sicherzustellen, dass die Krankenkasse auch im Falle der selbstbeschafften Leistung, z. B. bei der notwendigen Versorgung mit Zahnersatz, nicht den vom Versicherten zu tragenden Eigenanteil zu übernehmen habe (BT-Drucks. a.a.O., S 30). Unter Beachtung der gesetzgeberischen Begründung, der Kürze der in § 13 Abs. 3a SGB V angeordneten Fristen, die zudem der Umsetzung der allgemein in § 17 SGB I enthaltenen Verpflichtung der Sozialleistungsträger auf zeitnahe und zügige Versorgung der Versicherten dienen sollen, und der weitreichenden Konsequenzen der Genehmigungsfiktion in § 13 Abs. 3a S 6 SGB V, muss zur Überzeugung des Senats davon ausgegangen werden, dass ein Antrag, der die Fristen nach § 13 Abs. 3a SGB V in Gang setzt und zum Eintritt der Genehmigungsfiktion führen kann, nur dann anzunehmen ist, wenn dieser auf eine konkrete Leistung gerichtet ist, die grundsätzlich auch Leistungsgegenstand des SGB V sein kann und die für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen vorliegen. Dies wäre hier erst am 15.01.2015 der Fall gewesen, so dass der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 19.02.2015 gerade noch innerhalb der 5-Wochen-Frist gewesen wäre und die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V deshalb noch nicht eingetreten wäre. Auch bei Aufhebungsentscheidungen nach §§ 45 und 48 SGB X geht die einhellige Meinung davon aus, dass die gesetzlich festgelegten Fristen erst dann zu laufen beginnen, wenn die Behörde im Anhörungsverfahren die Kenntnisse erlangt hat, die sie für eine Entscheidung benötigt (vgl. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, § 45, Rdnr 83 m.w.N.; für eine entsprechende Anwendung des § 32 Abs. 1a SGB V vgl. Ulmer, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, 2. Aufl., 2016, § 13 Rdnr 61 ff., 67 m.w.N.).

Geht man wie das SG davon aus, dass bereits der Eingang eines als Antrag erkennbaren Schreibens bei der Beklagten ausreicht, um die Fristen des § 13 Abs. 3a S 1 SGB V in Gang zu setzen, wären vorliegend die Fristen abgelaufen und die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S 6 SGB VI eingetreten. Da die Beklagte in ihrem Schreiben vom 16.01.2015 den Umfang der durch die Anhörung des MDK notwendig werdenden zeitlichen Verzögerung nicht genau benannt hat - das BSG hat in seinem Urteil vom 08.03.2016 (BSG, a.a.O., Rdnr 20) eine "taggenaue" Bezeichnung verlangt - dürfte davon auszugehen sein, dass eine ausreichende Mitteilung der zeitlichen Verzögerung nicht erfolgt ist und deshalb die Fristen nach § 13 Abs. 3a S 1 SGB V nicht gehemmt waren.

Ausgehend von dem Eintritt der Genehmigungsfiktion des Satzes 6 im vorliegenden Fall ist gleichwohl kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Gewährung einer Schlauchmagen-OP als Sachleistung entstanden. Der Argumentation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, wonach § 13 Abs. 3a S 6 SGB V einen eigenständigen Sachleistungsanspruch auf die fiktiv genehmigte Leistung gewährt, der unabhängig von Satz 7 besteht, folgt der Senat nicht.

Bereits aus der gesetzeshistorischen Entwicklung der Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber lediglich einen weiteren Fall einer Selbstbeschaffung durch den Versicherten regeln wollte, weil die bislang in § 13 Abs. 3 SGB V vorgesehene Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung unaufschiebbarer oder von der Krankenkasse zu Unrecht abgelehnter Leistungen den Bedürfnissen der Versicherten gerade bei der Notwendigkeit zügiger Leistungserbringung nicht ausreichend gerecht wurde (vgl. Protokoll über die 211. Sitzung der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestags vom 29.11.2012; Plenarprotokoll der 906. Sitzung des Bundesrates vom 01.02.2013). Nach Ablauf der Fristen sollte der Versicherte berechtigt sein, aufgrund der Genehmigungsfiktion des S 6 sich die beantragte Leistung selbst zu beschaffen, ohne nochmals eine Fristsetzung (vergleichbar der Verzugsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch - BGB -) gegenüber der Krankenkasse vornehmen zu müssen. Die Krankenkasse sollte dann zur Übernahme der erforderlichen und entstandenen Kosten verpflichtet sein. § 13 Abs. 3a S 6 SGB V hat dabei (nur) den Regelungsgehalt, die Genehmigungsfiktion herbeizuführen, die notwendige Voraussetzung für einen Kostenerstattungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse ist, die die erforderlichen Kosten zu erstatten hat, um eine zügigere Inanspruchnahme einer notwendigen Leistung durch den Versicherten zu gewährleisten, als dies bislang im Rahmen der Kostenerstattungsansprüche nach § 13 Abs. 3 SGB V in der Regel möglich war. Einen eigenständigen Sachleistungsanspruch wollte der Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht schaffen, insbesondere nicht in der Art und Weise, dass die Krankenkasse mit jeder Einwendung hinsichtlich Notwendigkeit (Erforderlichkeit), Wirtschaftlichkeit und Wissenschaftlichkeit der gewünschten Leistung ausgeschlossen wäre. Die Genehmigungsfiktion nach Satz 6 wird zudem in der Entscheidung des BSG vom 08.03.2016 als Sanktion dafür gesehen, dass die Krankenkasse ohne Mitteilung eines hinreichenden Grundes die gesetzlich geregelten Fristen versäumt (BSG a.a.O., Rdnr 20): Der Eintritt der Genehmigungsfiktion ist "in der Erstattungsregelung" nach Satz 7 "verkürzend mit den Worten " nach Ablauf der Frist" vorausgesetzt. Gemeint ist aber nicht jeder Fall des Ablaufs der Fristen nach § 13 Abs. 3a S 1 oder S 4 SGB V. Der Erstattungsanspruch setzt nach seinem inneren Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht (nach Satz 5) und dem Eintritt der Genehmigungsfiktion (nach Satz 6) vielmehr voraus, dass die Krankenkasse keinen oder keinen hinreichenden Grund mitteilte. Nur im Falle grundlos nicht fristgerechter Leistungserbringung kann sich der Versicherte aufgrund der Regelung die erforderliche Leistung selbst beschaffen und Kostenerstattung von der Krankenkasse verlangen" (BSG, a.a.O., Rdnr 20).

Auch rechtssystematische Gründe sprechen dafür, dass die Regelung des § 13 Abs. 3a S 6 SGB V keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch gewährt. Aus dem unmittelbaren Kontext der Norm sowie ihrem systematischen Zusammenhang innerhalb des SGB V wird deutlich, dass der Gesetzgeber einen weiteren Anspruch auf Kostenerstattung in Abs. 3a schaffen wollte. Dabei sind auch die Grundprinzipien der gesetzlichen Sozialversicherung und die Leistungsprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung zu berücksichtigen. § 13 Abs. 3a SGB V sieht in Satz 7 einen Kostenerstattungsanspruch vor. Die Regelung befindet sich in der Vorschrift des § 13 SGB V, der eine Regelung über Kostenerstattung ist und damit eine Ausnahmeregelung zu dem eigentlichen Leistungsprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung, dem sog. Sachleistungsprinzip. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im 3. Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 SGB V zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit nicht nach dem SGB V oder dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - Abweichendes vorgesehen ist. Abweichend von diesem Sachleistungsprinzip sieht § 13 SGB V Kostenerstattung für besondere Fälle vor. Eine Kostenerstattung ist nur möglich, soweit dies im SGB V oder im SGB IX vorgesehen ist. Zum einen besteht die Möglichkeit für die Versicherten generell Kostenerstattung zu wählen (§ 13 Abs. 2 SGB V), des Weiteren sah das Gesetz bislang lediglich in § 13 Abs. 3 SGB V eine Kostenerstattung vor, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte und dadurch dem Versicherten Kosten für die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind. Diese sind dann unter diesen Voraussetzungen von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. § 13 Abs. 4 SGB V sieht eine Kostenerstattung - auch begrenzt auf die vergleichbaren Leistungen - bei Inanspruchnahme von Leistungserbringern im europäischen Ausland vor. § 13 Abs. 3a SGB V ist in diese Norm der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingefügt worden durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 (BGBl I, 277). Konsequenterweise sieht § 13 Abs. 3a Satz 7 für den Versicherten einen Kostenerstattungsanspruch vor, sofern sich der Versicherte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst beschafft hat (so auch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.12.2015, Az L 1 KR 413/14 - Revision anhängig bei BSG unter dem Az B 3 KR 4/16 R; vgl. auch von Koppenfels-Spies, Stärkung der Patientenrechte? Sanktionierung der Krankenkassen? Sinn und Zweck, Reichweite und Folgen des § 13 Abs. 3a SGB V, in: SGb 2016, 601 - 606 m.w.N.; Knispel, Zwischenruf - Rechtsfolgen einer nicht zeitgerechten Bearbeitung eines Leistungsantrags nach § 13 Abs. 3a SGB V , in: SGb 2014, 374 - 376 m.w.N.; Helbig, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar, 3. Auflage 2016, Stand 17.05.2016, § 13 SGB V Rdnr 71 m.w.N.).

Nachdem die Klägerin sich die begehrte Leistung einer Schlauchmagen-OP aber zwischenzeitlich weder selbst auf eigene Kosten beschafft hat, noch eine entsprechende schuldrechtliche Verpflichtung gegenüber einem Leistungserbringer wie vorliegend dem Adipositas-Zentrum A-Stadt eingegangen ist, hinsichtlich der sie von der Beklagten im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruchs auch eine Freistellung von der Verbindlichkeit verlangen könnte, hat die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte nach § 13 Abs. 3a S 7 SGB V. Der mit § 13 Abs. 3a SGB V verbundene Zweck einer schnellen Umsetzung einer vom Versicherten für notwendig gehaltenen Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung wurde von der Klägerin gerade nicht umgesetzt. Eine Erweiterung der Leistungsverpflichtungen der gesetzlichen Krankenkassen über die gesetzlichen Ansprüche hinaus nur aufgrund einer Fristversäumung war sicherlich nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte durch Erlass des Bescheids vom 19.02.2015 (bei unterstelltem Fristablauf) den Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht verhindert hätte. Dieser Bescheid stellt einen Ablehnungsbescheid dar, der nicht in einen Widerruf nach § 47 SGB X und auch nicht in einen Aufhebungsbescheid nach §§ 45 oder 48 SGB X umgedeutet werden kann (so auch BSG, a.a.O., Rdnr 32). Die Beklagte wäre aber nicht gehindert, einen solchen Bescheid zu erlassen oder einen Widerruf zu verfügen, da eine gesetzlich fingierte Genehmigung ebenso lange wirksam bleibt wie eine ausdrückliche Genehmigung durch Verwaltungsakt. Diese bleibt gemäß § 39 Abs. 2 SGB X wirksam, soweit und solange sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Gewährung der gewünschten Schlauchmagen-OP auf der Grundlage der §§ 27 ff. SGB V. Bariatrische Eingriffe stellen nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, Az B 1 KR 2/08 R; Urteil vom 19.02.2003, Az B 1 KR 1/02 R, jeweils veröffentlicht bei juris) ultima-ratio-Maßnahmen dar, die nur dann erbracht werden dürfen, wenn zuvor alle denkbaren Behandlungsmaßnahmen, insbesondere ernährungs- und bewegungsspezifische Maßnahmen unter ärztlicher Aufsicht und psychotherapeutische oder psychiatrische Maßnahmen ausgeschöpft wurden oder keinen Erfolg mehr erwarten lassen. Eine - wie bei der Klägerin offensichtlich - vorliegende psychische Instabilität ist als Kontraindikation anzusehen. Insoweit wird auf die beiden Stellungnahmen des MDK vom 13.02.2014 und 07.07.2014 verwiesen.

Die Beklagte hat in ihrem streitgegenständlichen Bescheid ausführlich die Voraussetzungen für die Gewährung bariatrischer Operationen dargelegt, die sich aus der Rechtsprechung des BSG und den Festlegungen in der S3-Leitlinie Adipositas ergeben. Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und auch in ein funktionierendes Organ, dem Magen, kann nur durch besonders schwerwiegende Gründe gerechtfertigt werden. Es ist in der Akte der Beklagten nicht dokumentiert, dass die Klägerin ein unüberwindbares, erhebliches Übergewicht mit einem mindestens fünf Jahre bestehenden BMI von mindestens 40 gehabt hat. Nicht nachgewiesen ist auch der nachhaltige Einsatz von konservativen multimodalen Therapiekonzepten unter ärztlicher Überwachung. Die Klägerin schildert zwar in ihrem Antrag, dass sie zahlreiche Maßnahmen, wie Diäten etc. ergriffen habe, dass jedoch allein die Medikamentenumstellung bei der psychischen Erkrankung im Jahr 2014 zu einer Gewichtszunahme von 30 kg geführt hätte. Der MDK hat in den Stellungnahmen vom 07.07.2015 und 13.02.2015 ferner darauf hingewiesen, dass die Klägerin an einer erheblichen psychischen Erkrankung vorerkrankt ist, nämlich einer Borderline-Erkrankung und im Zeitpunkt der Antragstellung zudem an einem - der Grund ist nicht ersichtlich - posttraumatischen Belastungssyndrom.

Nach der interdisziplinären Leitlinie der Qualität S 3 "zur Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2.0 (April 2014) ist davon auszugehen, dass eine chirurgische Intervention indiziert ist, wenn die konservativen Behandlungsmöglichkeiten durch eine multimodale konservative Therapie innerhalb von kumulativ sechs Monaten in den letzten zwei Jahren das Therapieziel nicht erreicht haben. Bei Patienten mit einem BMI von 35 bis 39,9 kg/m² werden mehr als 10 % und mit einem BMI über 40 kg/m² mehr als 20 % Verlust des Ausgangsgewichts gefordert. Unter einer multimodalen Therapie wird subsumiert:

1. Art der Behandlung: Ernährung: Möglichkeiten zur Ernährungstherapie sind dann ausgeschöpft, wenn mittels einer energiereduzierten Mischkost und einer weiteren ernährungsmedizinischen Maßnahme, z. B. Formula-Diät, weitere Form einer energiereduzierten Mischkost) das Therapieziel nicht erreicht wurde.

Bewegung: Durchführung einer Ausdauer- und/oder Kraftausdauersportart mit mindestens zwei Stunden Umfang pro Woche, falls keine Barrieren bestehen (z. B. Gonarthrose für Gehsportarten oder Scham beim Schwimmen).

Verhalten: Durchführung einer ambulanten oder stationären Psychotherapie (Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologie), falls eine Essstörung oder eine Psychopathologie vorliegt.

2. Setting Behandlungen zum Lebensstil sollten nach Möglichkeit in der Gruppe (Leitung durch Fachpersonal) erfolgen (vgl. S 3 Leitlinie Adipositas, Seite 70).

Eine Kontraindikation für diesen operativen Eingriff besteht insbesondere bei instabilen psychopathologischen Zuständen, d. h. bei bestehender Neigung zu rasch wechselnden Ideen, Impulsen, Stimmungen und anderem, aktiver Substanzabhängigkeit und einer unbehandelten Bulimia nervosa. Wenn die psychische Erkrankung erfolgreich behandelt und in einen stabilen Zustand übergeführt wurde, kommt eine Re-Evaluation in Betracht (S 3 Leitlinie, Seite 73).

Der MDK hat in seinen Stellungnahmen vom 13.02.2015 und 07.07.2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass aus den von der Klägerin selbst vorgelegten Aufzeichnungen ihres Ernährungstagebuches erhebliche Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ernährung gegeben sind, z. B. der übermäßige Genuss zuckerhaltiger Getränke, energiereiche Ernährung, etc. Der erfolglose Versuch einer multimodalen Therapie und einer intensiven psychotherapeutischen Begleitung der Klägerin ist nicht nachgewiesen. Insbesondere ist wohl auch davon auszugehen, dass die notwendige psychische Stabilität für die im Falle einer OP nachfolgende lebenslange Therapie und Substitution bei der Klägerin zumindest gegenwärtig nicht gegeben sind. Die Beklagte hat deshalb zu Recht mit dem Bescheid vom 19.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2015 einen Sachleistungsanspruch der Klägerin für die von ihr gewünschte bariatrische Operation abgelehnt.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des SG Nürnberg vom 05.11.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Es liegt auch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage vor, ob § 13 Abs. 3a S 6 SGB V unabhängig von § 13 Abs. 3a S 7 SGB V einen Sachleistungsanspruch eigener Art enthält oder ob der Versicherte aus der in § 13 Abs. 3a S 6 SGB V enthaltenen Genehmigungsfiktion ein Wahlrecht auf Gewährung einer Sachleistung oder auf Kostenerstattung hat oder nur ein Kostenerstattungsanspruch besteht, der die Genehmigungsfiktion des Satzes 6 voraussetzt. Nicht geklärt ist bislang auch, inwieweit generell die Fragen der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit nach §§ 2, 12 SGB V im Rahmen eines möglichen Sachleistungsanspruchs oder auch im Rahmen der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3a S 7 SGB V Berücksichtigung finden können.
Rechtskraft
Aus
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