Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 31 VU 213/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 VU 8/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichtes Düsseldorf vom 21.01.2003 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Sozialgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger verlangen vom Beklagten Zahlung von 116.133,00 DM an die Erbengemeinschaft.
Die Klägerin zu 1) ist die Tochter und der Kläger zu 2) der Ehemann der am 00.00.1998 verstorbenen T F (F.). Der Beklagte bewilligte F. mit Bescheid aus Mai 1998 Leistungen nach dem Unterstützungsabschlussgesetz (UntAbschlG). Die Kläger legten Widerspruch (28.02./15.06.2000) gegen den Bescheid des Beklagten vom 30.11.1999 ein, mit dem der Tochter der F., Frau D F (D.F.) im Wege der Sonderrechtsnachfolge (§ 56 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) ein Betrag in Höhe von 116.133,00 DM zugesprochen und ausgezahlt worden ist für die der F. für den Zeitraum vom 01.01.1991 bis 31.03.1998 nach § 4 UntAbschlG bewilligten Leistungen. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass D.F. im Zeitpunkt des Todes der F. in deren Haushalt lebte. Dies folgte für den Beklagten aus den von der Begünstigten vorgelegten Aussagen von B L (L.) und H U (U.). Erstere bestätigte als damalige Vermieterin, dass D.F. mit ihrer Mutter F. von November 1997 bis April 1998 in C gemeldet war. Die Großmutter U. bestätigte, dass D.F. im März 1998 nicht in ihrem Haushalt lebte. Zusätzlich versicherte die Begünstigte an Eidesstatt, dass sie seit ihrer Geburt mit ihrer Mutter zusammen gewohnt habe und nur im Februar 1998 vorübergehend für zwei bis drei Wochen wegen Meinungsverschiedenheiten ausgezogen und zudem für die Beerdigungskosten aufgekommen sei. Außerdem teilten die Kläger dem Beklagten mit, dass sie mit F. weder in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben noch von ihr unterhalten worden seien.
Zur Begründung des Widerspruchs betonten die Kläger, dass sie die Erben der F. seien. Die zunächst erfolgte Ausschlagung des Erbes sei von ihnen wirksam angefochten worden. Dies ergebe sich aus dem gemeinschaftlichen Erbschein vom 16.10.2000. Zudem seien die Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge der D.F. nicht gegeben. D.F. habe bereits geraume Zeit vor dem Ableben der F. bei der Zeugin U. gewohnt. Der Umstand, dass der faktische Lebensmittelpunkt der Begünstigten nicht mehr bei F. gewesen sei, könne durch Aussagen der D Q (Q.), der Schwester der F., und deren Bruder G U (G.U.) bewiesen werden. Der Beklagte wies die Widersprüche jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2001 mit der Begründung zurück, die Sonderrechtsnachfolge der D.F. sei durch die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit F. im Zeitpunkt des Todes bewiesen. Zudem gelte auch der Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast, so dass die Kläger die Folgen objektiver Beweislosigkeit/Nichterweisbarkeit einer Tatsache zu tragen hätten.
Hiergegen haben die Kläger am 28. Mai 2001 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben und vorgetragen, dass D.F. zum Zeitpunkt des Todes nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit F. gelebt habe und auch nicht wesentlich von ihr unterhalten worden sei. Dies werde die Vernehmung der Zeugen ergeben. Somit seien die Voraussetzungen des § 56 SGB I unabhängig von der Frage, ob es sich bei der bescheidmäßig festgestellten Nachzahlung um eine laufende Leistung handelt, nicht gegeben mit der Folge, dass der Beklagte an die Erbengemeinschaft zu leisten habe.
Das SG hat die Beiladung der D.F. (Beschluss vom 04.01.2002) mit Beschluss vom 22.02.2002 mit der Begründung aufgehoben, "die ehemals Beigeladene sei nach Mexiko verzogen und damit nicht mehr greifbar". Das SG hat G.U., Q. und L. schriftlich befragt; die beiden Erstgenannten haben geantwortet.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.01.2003 abgewiesen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.
Gegen das am 11.02.2003 zugestellte Urteil haben die Kläger am 07.03.2003 Berufung eingelegt. Sie verfolgen ihr Begehren weiter.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2003 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung für sachlich zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist i. S. einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Düsseldorf zur erneuten Entscheidung begründet. Das angefochtene Urteil vom 21.01.2003 leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass der Senat von der ihm eingeräumten Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch gemacht hat. Gemäß § 159 Abs.1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Der Verfahrensmangel kann das sozialgerichtliche Verfahren als solches, aber auch die Entscheidung selbst betreffen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl., § 159 Rdnr. 3).
Diese Voraussetzungen sind gegeben. Das SG hat den Anspruch auf Auszahlung der ursprünglich der F. zustehenden Leistungen nach dem UntAbschlG an die Erbengemeinschaft verneint, ohne - d.h. unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes des § 103 SGG und des § 128 SGG - in hinreichendem Maße aufgeklärt zu haben, ob die den Anspruch der Kläger ausschließenden Voraussetzungen der Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I vorliegen.
Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Das Gericht ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der das sozialgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsgrundsatz ist verletzt, wenn das Gericht Ermittlungen unterläßt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend anstellen müsste (Allgemeine Meinung, BSG, Urteil vom 11.05.1995, 2 RU 38/94). Nach § 128 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Im Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Urteil darf sich nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Das Gericht muss prüfen, welche Tatsachen vorliegen müssen, damit es die vom Kläger begehrte Rechtsfolge aussprechen kann. Es müssen alle für die Entscheidung in prozessualer und sachlicher Hinsicht wesentlichen Tatsachen festgestellt werden. Das Gericht muss in diesem Rahmen Beweismittel ausschöpfen, es darf nicht davon absehen, Beweismittel heranzuziehen, die zur Verfügung stehen. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ermöglicht es dem Gericht, das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der Beweisaufnahme frei nach der Überzeugungskraft des jeweiligen Beweismittels und des Beteiligtenvortrages unter Abwägung aller Umstände und insbesondere einander widersprechender Beweisergebnisse zu würdigen. Berücksichtigt das Gericht nicht alle bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vorgetragenen und bekannt gewordenen Umstände, verletzt es § 128 SGG. Im Hinblick auf Zeugenaussagen muss das Gericht diese in Beziehung zu den Gesamtumständen setzen und prüfen, ob Widersprüche bestehen und insbesondere einander widersprechende Aussagen abwägen. Die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sind auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 128 Rdnr. 9). Es handelt sich um eine Tatsachenvermutung. Das sind auf der Lebenserfahrung beruhende Beschlüsse, dass gewisse typische Sachverhalte bestimmte Folgen auslösen oder das umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten (BSG Breith 1992, 291). Diese erleichtern die Beweiswürdigung und können auch die Beweisaufnahme überflüssig machen. Die Folge des Anscheinsbeweises besteht darin, dass der volle Beweis erbracht wird, solange nicht konkrete Tatsachen festgestellt werden, die einen von der Typik abweichenden Ablauf ernsthaft als möglich erscheinen lassen und damit die Überzeugung des Gerichts erschüttern (BSGE 82,45; Meyer-Ladewig, a.a.0., § 128 Rdnr. 9 e). Auch wegen solcher Tatsachen besteht die Amtsermittlungspflicht (Schur SGb 1976, 501). Ein Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze liegt u.a. vor, wenn das Gericht von einem tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz ausgeht oder gegen die Grundsätze des Anscheinsbeweises verstößt (BSGE 36; SozR § 128 Nr. 72; SozR § 162 Nr. 68, Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 11). Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind auch dann verletzt, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend umfassend berücksichtigt hat (BSG, SozR § 128 Nrn. 40, 56). Ebenso lieg ein Verstoß gegen § 128 SGG vor, wenn das Gericht die Beweisaufnahme ungerechtfertigt ablehnt.
Im vorliegenden Verfahren können die Kläger nur dann gegen den Beklagten den Zahlungsanspruch an die Erbengemeinschaft erfolgreich durchzusetzen, wenn der Beklagte im Bescheid vom 30.11.1999 zu Unrecht die Voraussetzungen des § 56 SGB I bejaht hat. Danach stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten nacheinander dem Ehegatten, den Kindern, den Eltern, dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind.
Das SG ist davon ausgegangen, das D.F. als Kind von F. im Zeitpunkt des Todes mit der Verstorbenen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Das SG ist der Ansicht, dass D.F. "schon aus Rechtsgründen in einem gemeinsamen Haushalt mit F. lebte, unabhängig von der Frage, ob sie tatsächlich am Todestag und in den Wochen vorher in der Wohnung der Mutter gewesen ist". Dies folgert das SG aus § 8 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach Minderjährige in der Regel bei ihren Eltern wohnen. Da D.F. erst kurz vor dem Tode ihrer Mutter volljährig geworden ist, geht das SG davon aus, dass die Begrünstigte schon aus diesem Grunde bei der Mutter gewohnt hat. Dem Umstand, dass D.F. vorrübergehend ausgezogen und sich längere Zeit in einem anderen Haushalt aufgehalten hat, ist für das SG unerheblich, da ein vorübergehender anderweitiger Aufenthalt nicht ausreicht, um einen getrennten Haushalt i. S. von § 56 SGB I anzunehmen.
Mit dieser Betrachtungsweise verstößt das SG gegen allgemeine Erfahrungssätze. Es geht von einem tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz aus. Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Minderjährige, insbesondere kurz vor Erreichen der Volljährigkeit im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter leben. Aus dem vom SG herangezogenen Grundsatz des BGB, dass Minderjährige in der Regel bei den Eltern wohnen, läßt sich für das vorliegende Verfahren kein Erfahrungssatz herleiten. Zum einen ergibt sich aus der Formulierung eindeutig, dass hier nur ein Regel-Ausnahme-Verhältnis aufgestellt wird. Zum anderen vollendete D.F. ihr 18. Lebensjahr am 09.03.1998, d. h. vor dem Tod der Mutter, so dass der Erfahrungssatz sowieso nicht mehr zum Tragen kommt. Darüberhinaus kann sich das SG hier auch nicht auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins stützen. Die oben dargestellte Tatsachenvermutung, durch die der volle Beweis erbracht werden kann, gilt nur, solange nicht konkrete Tatsachen festgestellt werden, die einen von der Typik abweichenden Ablauf ernstlich als möglich erscheinen lassen. Diese Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen hat D.F. selbst zu Beginn des Verwaltungsverfahrens mitgeteilt, dass sie wegen Streitigkeiten mit ihrer Mutter zur Großmutter gezogen ist. Zum anderen hat die Begünstigte erst in Kenntnis der Voraussetzungen zur Durchsetzung des Erbanspruchs ihren Vortrag korrigiert. Aufgrund dieser Umstände ist nicht davon auszugehen, dass ein Anscheinsbeweis hier geführt werden kann. Vielmehr hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, alle drei von ihm angeschriebenen Personen als Zeugen zu hören. Eine schriftliche Befragung genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 128 SGG, da es hier entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommt und der persönliche Eindruck, insbesondere bei den widersprüchlichen Aussagen, entscheidend ist. Neben den vom SG angeschriebenen Zeugen G.U., Q. und L. ist insbesondere die Großmutter U. zu hören. Es sind die tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln, damit geklärt werden kann, inwieweit D.F. Anfang 1998 in einem gemeinsamen Haushalt mit F. lebte.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass D.F. zum Verfahren notwendig beizuladen ist (§ 75 Abs.2 SGG). Es ist dabei nicht zulässig, den Beschluss über die notwendige Beiladung mit der Begründung wieder aufzuheben, die Betreffende habe sich nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes nach Mexiko abgemeldet und sei für das Gericht "nicht mehr greifbar". Vielmehr muss das SG zunächst überprüfen, ob sich die Betreffende wieder in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, verneinendenfalls ist der Beiladungsschluss öffentlich zuzustellen. Die angefochtene Entscheidung kann auch auf den Verfahrensmängel beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass das SG nach Durchführung der weiteren Ermittlungen eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Der Senat hat es für zweckmäßig erachtet, von der in § 159 Abs. 1 SGG eingeräumten Möglichkeit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das SG Gebrauch zu machen, um den Beteiligten beide Tatsacheninstanzen zu erhalten.
Das SG wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden haben.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Kläger verlangen vom Beklagten Zahlung von 116.133,00 DM an die Erbengemeinschaft.
Die Klägerin zu 1) ist die Tochter und der Kläger zu 2) der Ehemann der am 00.00.1998 verstorbenen T F (F.). Der Beklagte bewilligte F. mit Bescheid aus Mai 1998 Leistungen nach dem Unterstützungsabschlussgesetz (UntAbschlG). Die Kläger legten Widerspruch (28.02./15.06.2000) gegen den Bescheid des Beklagten vom 30.11.1999 ein, mit dem der Tochter der F., Frau D F (D.F.) im Wege der Sonderrechtsnachfolge (§ 56 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) ein Betrag in Höhe von 116.133,00 DM zugesprochen und ausgezahlt worden ist für die der F. für den Zeitraum vom 01.01.1991 bis 31.03.1998 nach § 4 UntAbschlG bewilligten Leistungen. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass D.F. im Zeitpunkt des Todes der F. in deren Haushalt lebte. Dies folgte für den Beklagten aus den von der Begünstigten vorgelegten Aussagen von B L (L.) und H U (U.). Erstere bestätigte als damalige Vermieterin, dass D.F. mit ihrer Mutter F. von November 1997 bis April 1998 in C gemeldet war. Die Großmutter U. bestätigte, dass D.F. im März 1998 nicht in ihrem Haushalt lebte. Zusätzlich versicherte die Begünstigte an Eidesstatt, dass sie seit ihrer Geburt mit ihrer Mutter zusammen gewohnt habe und nur im Februar 1998 vorübergehend für zwei bis drei Wochen wegen Meinungsverschiedenheiten ausgezogen und zudem für die Beerdigungskosten aufgekommen sei. Außerdem teilten die Kläger dem Beklagten mit, dass sie mit F. weder in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben noch von ihr unterhalten worden seien.
Zur Begründung des Widerspruchs betonten die Kläger, dass sie die Erben der F. seien. Die zunächst erfolgte Ausschlagung des Erbes sei von ihnen wirksam angefochten worden. Dies ergebe sich aus dem gemeinschaftlichen Erbschein vom 16.10.2000. Zudem seien die Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge der D.F. nicht gegeben. D.F. habe bereits geraume Zeit vor dem Ableben der F. bei der Zeugin U. gewohnt. Der Umstand, dass der faktische Lebensmittelpunkt der Begünstigten nicht mehr bei F. gewesen sei, könne durch Aussagen der D Q (Q.), der Schwester der F., und deren Bruder G U (G.U.) bewiesen werden. Der Beklagte wies die Widersprüche jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2001 mit der Begründung zurück, die Sonderrechtsnachfolge der D.F. sei durch die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit F. im Zeitpunkt des Todes bewiesen. Zudem gelte auch der Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast, so dass die Kläger die Folgen objektiver Beweislosigkeit/Nichterweisbarkeit einer Tatsache zu tragen hätten.
Hiergegen haben die Kläger am 28. Mai 2001 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben und vorgetragen, dass D.F. zum Zeitpunkt des Todes nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit F. gelebt habe und auch nicht wesentlich von ihr unterhalten worden sei. Dies werde die Vernehmung der Zeugen ergeben. Somit seien die Voraussetzungen des § 56 SGB I unabhängig von der Frage, ob es sich bei der bescheidmäßig festgestellten Nachzahlung um eine laufende Leistung handelt, nicht gegeben mit der Folge, dass der Beklagte an die Erbengemeinschaft zu leisten habe.
Das SG hat die Beiladung der D.F. (Beschluss vom 04.01.2002) mit Beschluss vom 22.02.2002 mit der Begründung aufgehoben, "die ehemals Beigeladene sei nach Mexiko verzogen und damit nicht mehr greifbar". Das SG hat G.U., Q. und L. schriftlich befragt; die beiden Erstgenannten haben geantwortet.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.01.2003 abgewiesen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.
Gegen das am 11.02.2003 zugestellte Urteil haben die Kläger am 07.03.2003 Berufung eingelegt. Sie verfolgen ihr Begehren weiter.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2003 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung für sachlich zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist i. S. einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Düsseldorf zur erneuten Entscheidung begründet. Das angefochtene Urteil vom 21.01.2003 leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), so dass der Senat von der ihm eingeräumten Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch gemacht hat. Gemäß § 159 Abs.1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Der Verfahrensmangel kann das sozialgerichtliche Verfahren als solches, aber auch die Entscheidung selbst betreffen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl., § 159 Rdnr. 3).
Diese Voraussetzungen sind gegeben. Das SG hat den Anspruch auf Auszahlung der ursprünglich der F. zustehenden Leistungen nach dem UntAbschlG an die Erbengemeinschaft verneint, ohne - d.h. unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes des § 103 SGG und des § 128 SGG - in hinreichendem Maße aufgeklärt zu haben, ob die den Anspruch der Kläger ausschließenden Voraussetzungen der Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I vorliegen.
Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Das Gericht ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der das sozialgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsgrundsatz ist verletzt, wenn das Gericht Ermittlungen unterläßt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend anstellen müsste (Allgemeine Meinung, BSG, Urteil vom 11.05.1995, 2 RU 38/94). Nach § 128 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Im Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Urteil darf sich nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Das Gericht muss prüfen, welche Tatsachen vorliegen müssen, damit es die vom Kläger begehrte Rechtsfolge aussprechen kann. Es müssen alle für die Entscheidung in prozessualer und sachlicher Hinsicht wesentlichen Tatsachen festgestellt werden. Das Gericht muss in diesem Rahmen Beweismittel ausschöpfen, es darf nicht davon absehen, Beweismittel heranzuziehen, die zur Verfügung stehen. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ermöglicht es dem Gericht, das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der Beweisaufnahme frei nach der Überzeugungskraft des jeweiligen Beweismittels und des Beteiligtenvortrages unter Abwägung aller Umstände und insbesondere einander widersprechender Beweisergebnisse zu würdigen. Berücksichtigt das Gericht nicht alle bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vorgetragenen und bekannt gewordenen Umstände, verletzt es § 128 SGG. Im Hinblick auf Zeugenaussagen muss das Gericht diese in Beziehung zu den Gesamtumständen setzen und prüfen, ob Widersprüche bestehen und insbesondere einander widersprechende Aussagen abwägen. Die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sind auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 128 Rdnr. 9). Es handelt sich um eine Tatsachenvermutung. Das sind auf der Lebenserfahrung beruhende Beschlüsse, dass gewisse typische Sachverhalte bestimmte Folgen auslösen oder das umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten (BSG Breith 1992, 291). Diese erleichtern die Beweiswürdigung und können auch die Beweisaufnahme überflüssig machen. Die Folge des Anscheinsbeweises besteht darin, dass der volle Beweis erbracht wird, solange nicht konkrete Tatsachen festgestellt werden, die einen von der Typik abweichenden Ablauf ernsthaft als möglich erscheinen lassen und damit die Überzeugung des Gerichts erschüttern (BSGE 82,45; Meyer-Ladewig, a.a.0., § 128 Rdnr. 9 e). Auch wegen solcher Tatsachen besteht die Amtsermittlungspflicht (Schur SGb 1976, 501). Ein Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze liegt u.a. vor, wenn das Gericht von einem tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz ausgeht oder gegen die Grundsätze des Anscheinsbeweises verstößt (BSGE 36; SozR § 128 Nr. 72; SozR § 162 Nr. 68, Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 11). Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind auch dann verletzt, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend umfassend berücksichtigt hat (BSG, SozR § 128 Nrn. 40, 56). Ebenso lieg ein Verstoß gegen § 128 SGG vor, wenn das Gericht die Beweisaufnahme ungerechtfertigt ablehnt.
Im vorliegenden Verfahren können die Kläger nur dann gegen den Beklagten den Zahlungsanspruch an die Erbengemeinschaft erfolgreich durchzusetzen, wenn der Beklagte im Bescheid vom 30.11.1999 zu Unrecht die Voraussetzungen des § 56 SGB I bejaht hat. Danach stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten nacheinander dem Ehegatten, den Kindern, den Eltern, dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind.
Das SG ist davon ausgegangen, das D.F. als Kind von F. im Zeitpunkt des Todes mit der Verstorbenen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Das SG ist der Ansicht, dass D.F. "schon aus Rechtsgründen in einem gemeinsamen Haushalt mit F. lebte, unabhängig von der Frage, ob sie tatsächlich am Todestag und in den Wochen vorher in der Wohnung der Mutter gewesen ist". Dies folgert das SG aus § 8 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach Minderjährige in der Regel bei ihren Eltern wohnen. Da D.F. erst kurz vor dem Tode ihrer Mutter volljährig geworden ist, geht das SG davon aus, dass die Begrünstigte schon aus diesem Grunde bei der Mutter gewohnt hat. Dem Umstand, dass D.F. vorrübergehend ausgezogen und sich längere Zeit in einem anderen Haushalt aufgehalten hat, ist für das SG unerheblich, da ein vorübergehender anderweitiger Aufenthalt nicht ausreicht, um einen getrennten Haushalt i. S. von § 56 SGB I anzunehmen.
Mit dieser Betrachtungsweise verstößt das SG gegen allgemeine Erfahrungssätze. Es geht von einem tatsächlich nicht existierenden Erfahrungssatz aus. Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Minderjährige, insbesondere kurz vor Erreichen der Volljährigkeit im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter leben. Aus dem vom SG herangezogenen Grundsatz des BGB, dass Minderjährige in der Regel bei den Eltern wohnen, läßt sich für das vorliegende Verfahren kein Erfahrungssatz herleiten. Zum einen ergibt sich aus der Formulierung eindeutig, dass hier nur ein Regel-Ausnahme-Verhältnis aufgestellt wird. Zum anderen vollendete D.F. ihr 18. Lebensjahr am 09.03.1998, d. h. vor dem Tod der Mutter, so dass der Erfahrungssatz sowieso nicht mehr zum Tragen kommt. Darüberhinaus kann sich das SG hier auch nicht auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins stützen. Die oben dargestellte Tatsachenvermutung, durch die der volle Beweis erbracht werden kann, gilt nur, solange nicht konkrete Tatsachen festgestellt werden, die einen von der Typik abweichenden Ablauf ernstlich als möglich erscheinen lassen. Diese Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen hat D.F. selbst zu Beginn des Verwaltungsverfahrens mitgeteilt, dass sie wegen Streitigkeiten mit ihrer Mutter zur Großmutter gezogen ist. Zum anderen hat die Begünstigte erst in Kenntnis der Voraussetzungen zur Durchsetzung des Erbanspruchs ihren Vortrag korrigiert. Aufgrund dieser Umstände ist nicht davon auszugehen, dass ein Anscheinsbeweis hier geführt werden kann. Vielmehr hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, alle drei von ihm angeschriebenen Personen als Zeugen zu hören. Eine schriftliche Befragung genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 128 SGG, da es hier entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommt und der persönliche Eindruck, insbesondere bei den widersprüchlichen Aussagen, entscheidend ist. Neben den vom SG angeschriebenen Zeugen G.U., Q. und L. ist insbesondere die Großmutter U. zu hören. Es sind die tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln, damit geklärt werden kann, inwieweit D.F. Anfang 1998 in einem gemeinsamen Haushalt mit F. lebte.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass D.F. zum Verfahren notwendig beizuladen ist (§ 75 Abs.2 SGG). Es ist dabei nicht zulässig, den Beschluss über die notwendige Beiladung mit der Begründung wieder aufzuheben, die Betreffende habe sich nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes nach Mexiko abgemeldet und sei für das Gericht "nicht mehr greifbar". Vielmehr muss das SG zunächst überprüfen, ob sich die Betreffende wieder in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, verneinendenfalls ist der Beiladungsschluss öffentlich zuzustellen. Die angefochtene Entscheidung kann auch auf den Verfahrensmängel beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass das SG nach Durchführung der weiteren Ermittlungen eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Der Senat hat es für zweckmäßig erachtet, von der in § 159 Abs. 1 SGG eingeräumten Möglichkeit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das SG Gebrauch zu machen, um den Beteiligten beide Tatsacheninstanzen zu erhalten.
Das SG wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu befinden haben.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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