L 18 AS 2284/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 107 AS 25809/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2284/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 16. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2010 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Beschäftigungszuschusses vom 30. November 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Bewilligung eines Beschäftigungszuschusses (BZ) auf der Grundlage von § 16e Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Die Klägerin beantragte am 30. November 2009 die Bewilligung eines BZ für die Dauer von 24 Monaten iHv 75 vH des für die Bemessung berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts für den am 1983 geborenen IG (nachfolgend: AN). Dabei verwies die Klägerin auf einen mit dem AN geschlossenen Arbeitsvertrag vom 25. November 2011 für ein auf den Zeitraum 1. Dezember 2009 bis 30. November 2011 befristetes Vollzeit-Arbeitsverhältnis (39 Wochenstunden). Das - tarifliche - monatliche Arbeitsentgelt des AN betrug danach 1.550,- EUR brutto. Für den gesamten Zeitraum der Beschäftigung des AN entstanden nach Angaben der Klägerin Personalkosten iHv 49.853,04 EUR, hiervon sollten 25 vH aus Landesmitteln getragen werden, was jedoch von der Bewilligung des BZ durch den Beklagten abhängig gewesen sei.

Der seit dem 26. November 2002 arbeitslose AN hatte ausweislich eines Vermerkes der Mitarbeiter des Beklagten diesen am 3. August 2009 persönlich aufgesucht und um den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung (EV) zur möglichen BZ-Förderung eines Arbeitsverhältnisses bei der Klägerin nachgesucht; bereits zuvor hatte der Beklagte mit dem AN am 26. Februar 2009 eine bis 25. August 2009 vorbehaltlich anderer Vereinbarungen gültige EV geschlossen. In der am 3. August 2009 vom AN unterschriebenen und bis zum 2. Februar 2010 gültigen EV ist unter Punkt 1 uA ausgeführt:

"Der Träger der Grundsicherung unterstützt Sie mit folgenden Leistungen zur Eingliederung: Unterstützung mit einem Beschäftigungszuschuss zu untenstehenden Förderbedingungen, da bei Ihnen die persönlichen Voraussetzungen für eine solche Förderung vorliegen. Frühestens nach Ablauf einer sechsmonatigen Aktivierungsphase kann die Förderung eines Arbeitsverhältnisses mit BEZ erfolgen. Die Aktivierungsphase beginnt in Ihrem Fall mit dem 28. April 2009. Es handelt sich hierbei um eine Arbeitgeberförderung, der Antrag ist demnach durch den Arbeitgeber/Träger zu stellen."

Ausweislich eines von dem Mitarbeiter des Beklagten am 18. Dezember 2010 erstellten Vermerkes seien bereits in einem persönlichen Gespräch mit dem AN am 28. April 2009 die persönlichen Fördervoraussetzungen für einen BZ festgestellt und schließlich in der EV nochmals schriftlich dokumentiert worden: Danach sei der AN Langzeitarbeitsloser, er verfüge über keinen Berufsabschluss und auch über wenig Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt, er sei vorbestraft und habe eine Lese-Rechtschreibschwäche, hinzu komme eine Schuldenproblematik. Da im Laufe der Aktivierungsphase keine wesentliche Verbesserung in den persönlichen Verhältnissen des AN eingetreten sei, werde die Aktivierungsphase per 30. November 2009 zwecks Aufnahme einer BZ-geförderten Beschäftigung abgeschlossen.

Den von der Klägerin gestellten Antrag auf BZ lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. April 2010 mit der Begründung ab, der AN erfülle nicht die Voraussetzung für die Bewilligung des BZ, wonach eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voraussichtlich innerhalb der nächsten 24 Monate ohne die Förderung durch BZ nicht möglich sei. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. April 2010 Widerspruch ein und führte aus, im Hinblick auf die getroffenen Absprachen sowie die Zusicherung des BZ in der mit dem AN getroffenen EV habe sie auf die Förderung des AN durch BZ vertraut und daraufhin den Arbeitsvertrag mit dem AN abgeschlossen, welcher ohne die Förderung durch BZ nicht abgeschlossen worden wäre. Bei der mit dem AN getroffenen EV handle es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, auf deren Einhaltung sie sich - auch im Namen des AN - berufe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Bewilligung eines BZ nach § 16e SGB II sei eine Ermessensentscheidung zu treffen. Aufgrund der angespannten Haushaltslage Ende 2009/Anfang 2010 sei der Beklagte gezwungen, für den Förderzeitraum eine Haushaltssperre zu verhängen und nur noch Leistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige zu erbringen, die zur Sicherung des Lebensunterhaltes dringend notwendig gewesen seien. Die Förderung durch BZ nach § 16e SGB II stelle keine in diesem Sinne lebensnotwendige Leistung dar. Die Beklagte sei zudem bei ihrer Entscheidung an Richtlinien und Maßgaben des Bundesministeriums für Arbeit gebunden, wonach Leistungen im Sinne des § 16e SGB II aufgrund der Haushaltssperre kaum bzw. nur in ganz geringen Ausnahmefällen zu gewähren seien. Eine solche Ausnahme läge jedoch im Falle des AN nicht vor. Die Beklagte habe im Rahmen dieser gültigen ermessenslenkenden Weisungen zu entscheiden. Auch seien andere Möglichkeiten der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt im Falle des AN noch nicht vollständig ausgeschöpft worden, was ebenfalls im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sei. Schließlich könne die Klägerin sich auch nicht auf die mit dem AN geschlossene EV berufen, da diese keine Rechte der Klägerin begründe, sie enthalte auch keine Zusicherung auf Förderung mit einem BZ, welche die Klägerin im Namen des AN geltend machen könne.

Hiergegen hat die Klägerin am 19. August 2010 Klage erhoben, zunächst die Verurteilung des Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrages auf Bewilligung des BZ beantragt und auf Nachfrage des Gerichts sodann die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung des Zuschusses iHv 37.389,78 EUR begehrt. Durch Urteil vom 24. Juli 2014 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf BZ iHv 37.389,78 EUR für die Beschäftigung des AN. Es könne offen bleiben, ob in der Person des AN die Vermittlungshindernisse im Sinne des § 16e Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-4 SGB II vorgelegen hätten, denn der Beklagte habe die Bewilligung des BZ ermessensfehlerfrei unter Bezugnahme auf eine Haushaltssperre und deren Auswirkungen abgelehnt. Eine Ermessensreduzierung auf Null sei nicht ersichtlich. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte das Interesse an einer sparsamen Haushaltsmittelbewirtschaftung als vorrangig vor dem Interesse der Klägerin am Erhalt des begehrten Zuschusses angesehen habe. Auch könne sich die Klägerin nicht auf eine Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) berufen, denn eine solche sei in der erforderlichen Schriftform weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber dem AN erteilt worden. Überdies wäre der Beklagte selbst im Falle einer Zusicherung an diese wegen zwischenzeitlicher Änderung der Sach- und Rechtslage durch Erlass der Haushaltssperre nach § 34 Abs. 4 SGB X nicht mehr gebunden gewesen. Auch könne die Klägerin aus der zwischen der vom AN und dem Beklagten geschlossenen EV keine eigenen Rechte herleiten. Jedenfalls sei gegenüber dem AN in der EV keine konkrete Zusage auf Förderung durch BZ erteilt worden, da bei Abschluss der EV die Aktivierungsphase noch nicht abgelaufen und deren Ausgang völlig offen gewesen sei.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin (nur) noch ihr Begehren auf Neubescheidung des BZ-Antrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts weiter. Sie trägt vor, sie sei als öffentlicher Arbeitgeber von der Beendigung der staatlichen Förderung des öffentlichen Beschäftigungssektors zum Jahresende 2009 überrascht worden und habe bis zum 7. April 2010 keine Kenntnis von der plötzlichen Beendigung des Förderprogramms gehabt. Als Kirchengemeinde, die karikative und soziale Zwecke verfolge, sei sie gegenüber anderen öffentlichen Arbeitgebern besonders auf die Einstellung von durch BZ geförderten Arbeitnehmern angewiesen, was bei der Ermessensabwägung des Beklagten jedoch nicht ausreichend berücksichtigt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 16. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihren Antrag auf Gewährung eines Beschäftigungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an der von ihm vertretenen Auffassung fest, wonach die von ihm getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden sei. Die Haushaltssperre habe zur Folge gehabt, dass Eingliederungsleistungen nur noch hätten gewährt werden können, wenn im Einzelfall eine Förderung die einzig rechtmäßige Entscheidung gewesen sei, mithin eine Ermessensreduktion "auf Null" vorgelegen habe. Die insoweit maßgebenden Ermessenrichtlinien könnten nicht vorgelegt werden. Jedenfalls sei eine Zusicherung gegenüber der Klägerin nicht erteilt worden.

Zu den Umständen der von dem Beklagten in Bezug genommenen Haushaltssperre hat der Senat eine Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 29. März 2016 eingeholt; hierauf wird Bezug genommen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit zuletzt einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Berufung, deren Gegenstand allein noch die bei verständiger Würdigung (vgl § 103 SGG) schon vor dem SG hilfsweise erhobene Bescheidungsklage der Klägerin ist und über die das SG sinngemäß klagabweisend mitentschieden hat, ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres BZ-Antrags vom 30. November 2009.

Ein solcher Anspruch kann indes nicht aus einer Zusicherung iSv § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X folgen. Danach bedarf eine von einer zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Die Beklagte hat jedoch gegenüber der Klägerin keine Zusicherung, die diesen Anforderungen genügt, erteilt. Auch kann die Klägerin aus der mit dem AN getroffenen EV keine eigenen Rechte herleiten: Zwar handelt es sich bei der EV vom 3. August 2009 um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag iSd § 58 SGB X. Dieser begründet jedoch nur Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen dem Beklagten und dem AN. Als solcher ist er entsprechend den Regelungen der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auszulegen. Dass die Klägerin selbst durch die EV nicht begünstigt wurde, folgt bereits aus dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Gewährung eines BZ durch den Arbeitgeber beantragt werden muss und es sich nicht um einen Anspruch des AN handelt. Hierdurch wurde klargestellt, dass ein Anspruch auf BZ nicht bereits durch den Abschluss der EV begründet werden sollte, sondern über einen BZ erst nach einem entsprechenden Antrag eines namentlich nicht genannten potentiellen Arbeitgebers und Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen entschieden werden sollte. Bei verständiger Würdigung des Inhaltes der EV konnte deshalb nicht bereits im Abschluss der Vereinbarung die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines Bewilligungsbescheides für BZ für die Beschäftigung des AN bei der Klägerin gesehen werden, zumal ein solcher Anspruch ohnehin nur von dem AN als Vertragspartner der Vereinbarung hätte geltend gemacht werden können.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf BZ ist § 16e SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (aF). Danach konnten Arbeitgeber zur Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Vermittlungshemmnissen in Arbeit einen Beschäftigungszuschuss als Ausgleich der zu erwartenden Minderleistungen des Arbeitnehmers und einen Zuschuss zu sonstigen Kosten erhalten (Abs. 1). Voraussetzung hierfür ist, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige - wie der Kläger - das 18. Lebensjahr vollendet hat, langzeitarbeitslos iS des § 18 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) aF ist und in seinen Erwerbsmöglichkeiten durch mindestens zwei weitere in seiner Person liegende Vermittlungshemmnisse - im Falle des Klägers fehlende Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt, Lese-Rechtschreibschwäche, Vorstrafe, Schuldenproblematik - besonders schwer beeinträchtigt ist (§ 16e Abs. 1 Satz 2 Nr 1) sowie auf der Grundlage einer EV für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten betreut wurde und Eingliederungsleistungen unter Einbeziehung der übrigen Leistungen nach dem SGB II erhalten hat (Nr 2), eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voraussichtlich innerhalb der nächsten 24 Monate ohne die Förderung nach Satz 1 nicht möglich ist (Nr 3) und zwischen dem Arbeitgeber und dem Hilfebedürftigen ein Arbeitsverhältnis mit in der Regel voller Arbeitszeit unter Vereinbarung des Tarifentgelts oder des für vergleichbare Tätigkeiten ortsüblichen Arbeitsentgelts begründet wird (Nr 4).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16e Abs. 1 SGB II aF sind vorliegend erfüllt. Insbesondere wurde der AN auf der Grundlage einer bereits am 26. Februar 2009 geschlossenen EV, die mWv 3. August 2009 durch die an diesem Tag abgeschlossene EV ersetzt wurde, vor Abschluss des in Rede stehenden Arbeitsverhältnisses für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten betreut und erhielt Eingliederungsleistungen. Angesichts der Erwerbsbiographie des Klägers war - wie der Beklagte in der EV vom 3. August 2009 letztlich festgestellt hat und wie sich dem Vermerk vom 18. Dezember 2009 entnehmen lässt - auch die Prognose gerechtfertigt, dass innerhalb der nächsten 24 Monate ohne die Förderung eine Erwerbstätigkeit des AN auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich war.

Aus dem Wort "können" auf der Rechtsfolgenseite des § 16e Abs. 1 SGB II aF geht hervor, dass der Beklagte über BZ-Anträge nach Ermessen entscheidet. Das bedeutet: Der Beklagte hat sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB I -; § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Umgekehrt hat die Klägerin einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I), nicht aber einen Rechtsanspruch auf Gewährung der in § 16e SGB II aF genannten Leistungen. Ein solcher stünde ihr allein unter der Voraussetzung zu, dass sich der der Beklagten eingeräumte Ermessensspielraum so stark eingeengt hätte, dass nur noch eine einzige richtige Entscheidung, nämlich die von der Klägerin vor dem SG mit dem Hauptantrag verlangte, möglich wäre (sog Ermessensreduzierung auf Null). Anhaltspunkte für eine solche Situation liegen hier nicht vor, weshalb die Klägerin ihren vor dem SG gestellten Hauptantrag im Berufungsverfahren zu Recht nicht weiterverfolgt hat.

Somit kommt es darauf an, ob die Entscheidung des Beklagten als ermessensfehlerfrei oder ermessensfehlerhaft zu bewerten ist. Nach Auffassung des Senats entspricht die Entscheidung der Beklagten den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung schon deshalb nicht, weil der Beklagte dabei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.

Der Beklagte hat seine – in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid getroffene - Ermessensentscheidung im Wesentlichen mit "ermessenslenkenden Weisungen" im Rahmen einer seinerzeit geltenden Haushaltssperre begründet, die er indes auf Nachfrage des Gerichts nicht vorlegen konnte. Ungeachtet dessen, dass auch derartigen Richtlinien im Rahmen der Ermessensausübung nicht absoluter Charakter zukommt, vielmehr Raum für eine Ermessensausübung unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls bleiben muss (vgl BSG, Urteil vom 11. November 1993 - 7 Rar 52/93 = SozR 3-4100 § 55a Nr 5), haben die Ermittlungen des Senats ergeben, dass die zum Zeitpunkt der Verlautbarung der angefochtenen Ablehnungsentscheidung vom 16. April 2010 (seit 4. März 2010) bestehende Haushaltssperre bei Kapitel 1112 Titel 685 11 - Leistungen zur Eingliederung in Arbeit - iHv 600 000 000,- EUR bereits am 21. April 2010 wieder aufgehoben worden war (vgl BMAS-Auskunft vom 29. März 2016). Überdies ist darauf hinzuweisen, dass das BMAS in einem Schreiben vom 12. Februar 2010 an die Bundesagentur für Arbeit darauf hingewiesen hatte, dass bei Bewilligung von Eingliederungsleistungen darauf hinzuwirken ist, dass diese Leistungen "verstärkt den Ansatz für das Arbeitslosengeld II entlasten" Entgegen den Darlegungen des Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid bestand somit "Ende 2009/Anfang 2010" keine Haushaltssperre. Zudem hatte der Beklagte in seiner Ablehnungsentscheidung noch gar keine Ermessensentscheidung getroffen, sondern diese erst im Widerspruchsbescheid nachgeholt; er hatte daher auch die zu diesem Zeitpunkt geltende Sach- und Rechtslage bei seiner Ermessensausübung zu beachten. Eine Berufung auf eine seinerzeit gar nicht mehr bestehende Haushaltssperre ist daher ermessensfehlerhaft. Ebenso wenig war der Beklagte zu diesem Zeitpunkt aufgrund von Weisungen des BMAS gehalten, nur noch "lebensnotwendige" Leistungen zu gewähren, auf die ohnehin ein gesetzlicher Anspruch bestand. Vielmehr hatte das BMAS ausdrücklich darauf verwiesen, dass bei der Bewilligung von Eingliederungsleistungen verstärkt der Ansatz für das Arbeitslosengeld II entlastet werden solle; gerade bei dem hier streitgegenständlichen BZ wäre das indes der Fall gewesen.

Zwangsläufige Folge der Nichtberücksichtigung der geschilderten tatsächlichen und rechtlichen Umstände ist, dass auch die Begründung der Ermessensentscheidung des Beklagten nicht, wie erforderlich, die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen sich der Beklagte bei ordnungsgemäßer Ausübung seines Ermessens hätte leiten lassen müssen (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Die Entscheidung des Beklagten leidet also an einem Abwägungsdefizit mit der Folge, dass sie rechtswidrig und deshalb zu wiederholen ist. Denn ein Gericht darf eine Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde nicht durch eine andere Entscheidung ersetzen, die es für sachdienlicher hält (vgl hierzu etwa BVerwGE 4, 283, 284; BSGE 58, 263, 270 = SozR 2200 § 1237 Nr 20). Der Beklagte war vielmehr lediglich zum Erlass eines neuen Bescheides zu verpflichten. Im Rahmen seiner erneuten Entscheidung wird er jedoch die Rechtsauffassung des erkennenden Senats über die Art und Weise der Ermessensausübung zu beachten haben (§ 131 Abs 3 SGG)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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