L 9 AL 122/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AL 121/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 122/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. Mai 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld (InsG) für die Zeit von Februar bis April 1999.

Der in den Niederlanden wohnende Kläger war seit dem 09.02.1998 als Maurer bei H. T als Inhaber der Fa. T Bau (letzte Adresse: L Weg 00 in S) tätig. H. T meldete am 05.09.1997 bei der Gemeinde C unter der Adresse T 00, C, ein Bauunternehmen als Gewerbe an, welches wegen Auflösung der Betriebsstätte am 30.09.1998 von Amts wegen abgemeldet wurde. Dies teilte die Stadt C H. T mit Schreiben vom 30.09.1998 an seine niederländische Anschrift J 0, ZE O, mit. Mit seiner weiteren Gewerbeanmeldung vom 30.03.1999 gab H. T der Gemeinde C bekannt, seit dem 30.09.1998 führe er unter der Anschrift Nstraße 00, C weiterhin ein Bauunternehmen. Auch diesen Betrieb meldete die Stadt C am 24.08.1999 von Amts wegen ab mit der Begründung, eine Betriebsstätte sei nicht mehr vorhanden. Mit Gewerbeuntersagungsverfügung vom 09.08.1999 (unanfechtbar seit 11.09.1999) untersagte die Stadt C dem Kläger gemäß § 35 der Gewerbeordnung (GewO) die selbständige Ausübung eines Gewerbes mit dem Gegenstand "Bauunternehmen".

Die Innungskrankenkasse Münsterland stellte am 04.03.1999 bei dem Amtsgericht N einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fa. T Bauunternehmung/C. Sie führte aus, H. T schulde für die Zeit vom 01.10.1998 bis 31.01.1999 Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. 10.468,35 EUR, wobei sie am 02.02.1999 einen fruchtlosen Pfändungsversuch vorgenommen habe (Insolvenzverfahren Amtsgericht 000). In einem auf Anforderung des Amtsgerichts N erstatteten Gutachten vom 13.07.1999 sah Rechtsanwalt I keine Möglichkeit zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners T zumindest nicht in C gelegen habe. Die IKK Münsterland nahm den Antrag daraufhin zurück.

Der Kläger erhob am 04.05.1999 bei dem Arbeitsgericht C Klage gegen H. T und machte Lohnforderungen für die Monate Februar bis April 1999 geltend. Das Arbeitsgericht verurteilte H. T mit Versäumnisurteil vom 08.06.1999, an den Kläger 8.966,50 DM brutto sowie 388,43 DM netto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 25.05.1999 zu zahlen. Auf den Einspruch des Bevollmächtigten des Herrn T vom 09.11.1999 wurde das Versäumnisurteil durch Urteil des Arbeitsgerichts C vom 04.02.2000 aufrecht erhalten.

Der Kläger beantragte am 17.06.1999 unter Bezugnahme auf dieses Versäumnisurteil bei der Beklagten die Zahlung von InsG. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.09.1999 ab und führte aus, ein Insolvenzgeldanspruch sei auf inländische Insolvenzereignisse beschränkt. Eine insolvenzrechtliche Zuständigkeit liege jedoch nicht vor, da H. T niederländischer Staatsbürger mit Wohnsitz in den Niederlanden (O) sei. Mit seinem Widerspruch vom 17.09.1999 machte der Kläger geltend, der allgemeine Gerichtsstand sei in der Bundesrepublik, da H. T hier - mit ständig wechselnden Adressen - seinen Firmensitz gehabt habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.1999 unter Bezugnahme auf die im Insolvenzverfahren vorliegende Stellungnahme von Rechtsanwalt I zurück.

Gegen den am 19.11.1999 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit einem am 16.12.1999 bei dem Sozialgericht (SG) Münster eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, ein inländischer Betriebsitz habe im Zeitpunkt des Insolvenzgeldzeitraumes (Februar bis April 1999) vorgelegen. H. T habe anläßlich eines Telefonats mit seinem Bevollmächtigten mitgeteilt, dass er selten im Büro anzutreffen sei, weil er hauptsächlich auf Baustellen arbeite. Es sei daher verständlich, wenn er selten dort anzutreffen sei. Der Bevollmächtigte des H. T, Rechtsanwalt G, habe in einem Termin vor dem Arbeitsgericht C am 14.12.1999 erklärt, dass die Betriebsaufgabe erfolgt sei, weil sein ehemaliger Arbeitgeber die ausstehenden Forderungen der Arbeitnehmer nicht habe bezahlen können. Seine ausschließliche unternehmerische Tätigkeit sei von dem Betriebssitz in C ausgegangen. In den Niederlanden habe er lediglich unter der Adresse J 0, O, eine private Anschrift gehabt. Die GAK Nederland BV (niederländisches Arbeitsamt) zahle kein InsG mit der Begründung, dass berufliche Aktivitäten ausschließlich in der Bundesrepublik stattgefunden hätten. Im Übrigen sei nach der Entscheidung des EuGH vom 16.12.1999 (C 198/99) darauf abzustellen, an welchem Ort die Tätigkeit des Arbeitnehmers ausgeübt worden sei, da nur so der Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sichergestellt sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17.05.2002 abgewiesen und ausgeführt, der Wohnsitz des Klägers in den Niederlanden stehe einem Anspruch auf InsG nicht entgegen, wenn der Kläger bei einer inländischen Firma in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Es sei aber nach wie vor fraglich, ob die Fa. T Bau unter der ermittelten Anschrift tatsächlich einen Betriebssitz gehabt habe. Zwar habe das Arbeitsgericht C seine Zuständigkeit im Rechtsstreit des Klägers gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber bejaht. Dies reiche jedoch nicht aus, um insgesamt von einem inländischen Betriebssitz auszugehen. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass der Bevollmächtigte des ehemaligen Arbeitgebers im Arbeitsgerichtsverfahren bekundet habe, unter der letzten Adresse (L Weg 00, S) habe niemals formell eine Firma, ein Büroraum oder eine Wohnung existiert. Auch habe der Firmeninhaber H. T seinen Wohnsitz jedenfalls zur Zeit des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Kläger in den Niederlanden gehabt. Insofern habe der Kläger auch vorgetragen, dass sein ehemaliger Arbeitgeber mehrere Unterlagen zum Arbeitsverhältnis nicht habe vorlegen können, da seine - ebenfalls in den Niederlanden wohnhafte - Ehefrau diese dort vernichtet habe. Die Tatsache, dass Geschäftsunterlagen nicht in der Bundesrepublik, sondern in den Niederlanden vom Firmeninhaber aufbewahrt worden seien, spreche nicht für eine Firma in der Bundesrepublik. Dies lasse eher den Schluss zu, dass H. T seinen Firmensitz in den Niederlanden gehabt habe.

Gegen das ihm am 31.05.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.06.2002 Berufung eingelegt. Er macht geltend, die von H. T durchgeführten Aufträge seien ausschließlich solche im Geltungsbereich des Gesetzes gewesen. So habe dieser z.B. den Steuerberater E mit der Erstellung von Lohnabrechnungen bzw. dem Ausfüllen der Steuerkarte befasst. Da es sich bei H. T um eine "Ein-Mann-Firma" gehandelt habe, sei es nachvollziehbar, dass die Büroräume regelmäßig tagsüber nicht besetzt gewesen seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.05.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.11.1999 zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die Gerichtsakte, das Verfahren vor dem Arbeitsgericht N bezüglich des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (000), das Arbeitsgerichtsverfahren - 000 - vor dem Arbeitsgericht C, die Gewerbeakte und Gewerbeuntersagungsakte betreffend H. T sowie die Parallelverfahren vor dem SG Münster in Sachen X (S 2 AL 160/99) und U (S 3 AL 184/99) Bezug genommen. Sämtliche Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von InsG hat.

Der Kläger kann seinen Anspruch - mangels Vorliegen anderer Tatbestände - von vorneherein nur auf die Vorschrift des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs - Arbeitsförderung - SGB III stützen. Hiernach haben Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Der Antrag der Innungskrankenkasse Münsterland vom 04.03.1999 steht der Berücksichtigung dieses Insolvenztatbestandes nicht entgegen, da die Rücknahme ex tunc wirkt, so dass das Insolvenzereignis am Tag der vollständigen Betriebseinstellung eingetreten sein kann (Roeder in: Niesel, Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB III, 2. Auflage 2002, § 183 Randnr. 3; BSG SozR 3 - 4100 § 141 b Nr. 3).

Den Insolvenztatbestand der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit sieht der Senat hier jedoch nicht. § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III stellt einen Auffangtatbestand für den Fall der offensichtlichen Masseunzulänglichkeit dar, durch den nicht der Kreis der insolvenzgeschützten Forderungen erweitert werden, sondern nur das formelle Erfordernis eines Konkursantrags ausnahmsweise entfallen soll (BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 30/00 R -). Das von § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III geforderte Ende betrieblicher Tätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes setzt - bei hier gegebenem Wohnsitz des Arbeitgebers in den Niederlanden - voraus, dass ein Betrieb als eine Gesamtheit von Personen und Sachen zur Erreichung arbeitstechnischer Zwecke des Arbeitgebers im Inland organisiert war. Es ist daher nicht ausreichend, dass der Kläger in Deutschland abhängig beschäftigt gewesen ist und möglicherweise Sozialversicherungsbeiträge an deutsche Träger entrichtet worden sind, wenn nicht zugleich ein Betriebssitz im Inland festgestellt werden kann. Entscheidend ist insofern, ob die äußeren Umstände für die beteiligten Verkehrskreise ergeben, dass der (Gemein-)Schuldner auf seinen Namen und Rechnung an einem bestimmten inländischen Ort ein Gewerbe im weitesten Sinne in der Weise dauerhaft betrieben hat, dass dies durch die Art der Geschäftsausstattung, der Organisation und Tätigkeit erkennbar wird (siehe auch BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 30/00 R -).

Der Senat hat nicht feststellen können, dass der ehemalige Arbeitgeber des Klägers in dem hier streitigen Insolvenzgeldzeitraum von Februar bis April 1999 einen Betriebssitz in der Bundesrepublik inne hatte. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochenen Urteils Bezug, denen er sich nach eigener Sach- und Rechtsprüfung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den übereinstimmenden Ermittlungen des Gerichsvollziehers U1, dem im Dezember 1998 ein Vollstreckungsauftrag der Betriebskrankenkasse Zollern-Alb vorlag, sowie des mit dem Gewerbeuntersagungsverfahren befassten Mitarbeiters der Stadt C C handelte es sich bei dem von H. T angegebenen Betriebssitz in der Nstraße in C offenbar nur um eine Büroniederlassung bzw. Postanschrift, die über den Steuerberater E verwaltet wurde. Belegt wird dies auch dadurch, dass z.B. bei Pfändungsversuchen des Finanzamtes C1 bis Januar 1999 und der Innungskrankenkasse Münsterland im Februar 1999 sowie bei Zustellungen des Amtsgerichts N im März 1999 unter der angegebenen Anschrift regelmäßig niemand angetroffen wurde. Insofern wies auch Rechtsanwalt I in seiner Stellungnahme für das Amtsgericht N - Insolvenzgericht - vom 30.07.1999, auf die der Senat ausdrücklich Bezug nimmt, darauf hin, dass der Schuldner so gut wie nie in der Nstraße 00 in C anzutreffen gewesen sei. Auch der Kläger sah sich offenbar bei Abgabe des Antrages auf InsG nicht in der Lage, die Anschrift und Lohnabrechnungsstelle des ehemaligen Arbeitgebers anzugeben. Dies muss gerade vor dem Hintergrund, dass es sich hier um einen Betrieb der Baubranche handelte, als ungewöhnlich angesehen werden, da das Vorhalten von Baumaterialien und -werkzeugen auf einem den Mitarbeitern bekannten Gelände üblich sein dürfte. Weitere Ermittlunsgmöglichkeiten zur Ausgestaltung des Betriebssitzes sieht der Senat nicht, da - der Arbeitgeber - nach Auskunft der niederländischen Gemeinde O seit dem 14.08.1999 mit unbekanntem Aufenthalt verzogen ist, und der als Vermieter der Räumlichkeit in der Nstraße 00 auftretende Steuerberater E sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht bezieht (vgl. SG Münster - S 3 AL 184/99 -).

Entsprechend dem Urteil des EuGH vom 16.12.1999 (a.a.O.) ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf InsG allein aus dem Umstand seiner inländischen Beschäftigung. Auch der EuGH nahm eine Verpflichtung der Garantieeinrichtung des Beschäftigungsstaates nur für den Fall an, dass eine Zweigniederlassung mit kaufmännischer Präsenz vorliegt. Das Vorhandensein einer Zweigniederlassung im Sinne eines Betriebssitzes lässt sich jedoch nicht feststellen.

Unabhängig hiervon sieht sich der Senat sich auch nicht in der Lage, den genauen Zeitpunkt der Einstellung der Betriebstätigkeit und des Vorliegens von Zahlungsunfähigkeit festlegen. Im Zusammenhang mit einem - hier offensichtlichen - Untertauchen eines Unternehmers kann die Nichterfüllung wirtschaftlicher Verpflichtungen nicht allein auf eine vorliegende Zahlungsunfähigkeit, sondern auch auf eine bloße Zahlungsunwilligkeit zurückgeführt werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1993 - 10 RAr 9/91 - SozR 3 - 4100 § 141 b Nr. 2). Für letztere Möglichkeit spricht, dass H. T offenbar systematisch seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern und Finanzbehörden nicht erfüllt hat. So teilte beispielsweise die Innungskrankenkasse Münsterland mit Schreiben vom 28.04.1999 mit, dass die Firma T Bau dort seit dem 01.10.1998 ein Beitragskonto führe, auf das jedoch kein einziger Beitrag entrichtet worden sei. Der Kläger selbst machte in seinem Antrag auf Insolvenzgeld keine Angaben zum Tag der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit. Die auch insofern bestehende Ungewißheit geht zu Lasten des Antragstellers (Roeder in: Niesel, a.a.O., § 183 Randnr. 44).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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